HMS Espiegle

Die Kaperung der „Fürth“

10. August 1914,
100 Seemeilen südlich von Ceylon im Indischen Ozean

Zwei Augenzeugenberichte

Von der Kaperung der „Fürth“ und den folgenden Geschehnissen gibt es zwei Augenzeugenberichte, die beide in deutschen Tageszeitungen erschienen sind. Sie enthalten einander ergänzende oder auch widersprüchliche Informationen und ich werde sie in der Folge auszugsweise und kommentiert wiedergeben. Dazu kommen noch andere Dokumente und Fotos, die die Geschehnisse komplettieren und besser veranschaulichen.

Ernst oder Heidepriem?

Der Bericht „Erlebnisse in Colombo“ erschien am 31. Oktober 1914 in der Zeitung Hamburgischer Correspondent und neue hamburgische Börsen-Halle auf Seite 3. Die Augenzeugen sind im Artikel nicht namentlich genannt. Es ist nur vom 3. Maschinisten der „Fürth“ und einem Assistenten die Rede. Hier müssen wir auf andere Quellen zurückgreifen: Der 3. Maschinist der „Fürth“ war laut Mannschaftsliste in Sydney vom 14. Juli 1914 A. Herrde, 34 Jahre alt (Drei Mannschaftslisten der „Fürth“ aus dem Jahr 1914).

Mit dem Assistenten verhält es sich etwas schwieriger. Als Assistenten wurden eigentlich immer nur die Maschinisten-Assistenten bezeichnet. Von diesen Maschinisten-Assistenten gab es deren zwei auf der „Fürth“, es könnte sich daher also entweder um J. Ernst, Alter 24 oder um den jungen W. Heidepriem, 18 Jahre, handeln.

Allerdings taucht der Name Heidepriem später in Tasmanien als Gefangener in der Quarantänestation Bruny Island als Besatzungsmitglied der „Oberhausen“ auf, einem anderen Schiff der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft:

„Heidepriem, William Henrich, geb. 1896. Maschinist. Am 05. November 1914 unter Auflagen entlassen und am 01. März 1915 wieder interniert. Repatriiert am 09. Juli 1919 auf der Tras os Montes.“
https://geschimagazin.wordpress.com/2014/07/14/die-mannschaft-der-ss-oberhausen-im-ersten-weltkrieg/

Es liegt also nahe, dass Heidepriem in Sydney das Schiff gewechselt hat. Eingehend in Sydney am 17. Juli 1914 war er noch nicht Besatzungsmitglied der „Oberhausen“ (http://marinersandships.com.au/), jedoch am 14. Juli 1914 auf der „Fürth“. Ein Initiale des Vornamens (W.) und das Alter (18) stimmen überein und Heidepriem ist kein häufiger Nachname. Es sollte sich also um dieselbe Person handeln.

Der zweite Augenzeuge in diesem Bericht ist also mit deutlich größerer Wahrscheinlichkeit J. Ernst.

Kapitän W. Richter

Der zweite Augenzeugenbericht ist von Kapitän W. Richter selbst, erschienen unter dem Titel „In französischer Gefangenschaft“ am 16. Dezember 1914 in den Hamburger Nachrichten auf Seite 3.

Beide Artikel sind abrufbar unter www.theeuropeanlibrary.com.

Die „HMS Espiegle“

Der Assistent und der dritte Maschinist berichten:

„Wir waren am 30. Juli von Fremantle nach Colombo abgefahren und befanden uns am 9. August etwa 100 Seemeilen südlich Colombo, als wir von einem englischen Kriegsschiff, der etwa 30 Jahre alten, 1500 Tonnen großen Panzerdeckskorvette „Espigle“ gekapert wurden.“

Statt 9. August muss es richtig heißen 10. August, das geht aus der Schilderung des Kapitäns und auch aus anderen Dokumenten eindeutig hervor. Der Name des englischen Schiffes lautet richtig geschrieben „HMS Espiegle“.

Und weiter heißt es im gleichen Dokument:

„Nachdem ein Offizier und 30 Mann zu uns an Bord gekommen waren, wurden wir am anderen Morgen, gefolgt vom „Espigle“ in den Hafen von Colombo eingebracht, wo bereits 4 Dampfer der Hansa-Linie lagen. Der „Espigle“ und der Kreuzer „Fox“, den wir bereits am Tage vorher auf See gesichtet hatten, verließen bald wieder den Hafen, nachdem sie sich mit Kohlen und Wasser versehen hatten. Die englischen Marinesoldaten auf unserem Schiff waren durch indisches Militär und dieses nach einer Weile durch schwarze Polizeitruppen abgelöst worden. Uns wurde jede Verbindung mit dem Lande untersagt. Am nächsten Tage wurden wichtige Maschinenteile auf der „Fürth“ entfernt. Jeden Morgen und Abend wurden wir gezählt. Am 12. August gesellten sich der ebenfalls gekaperte Dampfer „Australia“ und der Hansadampfer „Rappenfels“ zu uns.“

Die „Australia“ habe ich hier im Blog ausführlich vorgestellt (Bordkonzert in Port Pirie). Sie wurde ebenfalls am 10. August 1914 gekapert und von der „HMS Fox“ nach Colombo gebracht (siehe unten). Zu den „wichtigen Maschinenteilen“ gibt es im folgenden Auszug mehr Informationen. Nachdem sich die Augenzeugen bereits bei den vorangegangenen Daten um einen Tag vertan hatten, ist die Ankunft der „Australia“ und der „Rappenfels“ auf den 11. August 1914 zu datieren.

HMS Espiegle

HMS Espiegle, eine für die Royal Navy von 1900-1903 gebaute Sloop; Quelle: commons.wikimedia.org/wiki/File:HMS_Espiegle_(1900).jpg

Der Kapitän berichtet

Und hier die Schilderung des Kapitäns W. Richter:

Ich hatte mit meinem Dampfer Fürth am 30. Juli Fremantle in Australien verlassen, um über Colombo die Heimreise anzutreten. Ohne jegliche Kenntnis des Kriegsausbruches zwischen Deutschland und England war ich bereits bis in die Nähe der Insel Ceylon gekommen, als am Mittag des 10. August ein Kriegsschiff unbekannter Nationalität – es zeigte seine Nationalität nicht – in unsere Nähe kam. Ich tauschte mit dem Schiffe Grüße aus, worauf von diesem ein blinder Schuß abgegeben wurde, der mich zwang, die Fahrt meines Schiffes zu stoppen. Gleich darauf setzte das Kriegsschiff das Flaggensignal: Krieg zwischen England und Deutschland. Da mein Schiff aber immer noch etwas Bewegung hatte, gab das fremde Kriegsschiff, das als der englische Kreuzer Espigels erkannt wurde, jetzt zwei scharfe Schüsse ab, von denen der eine vor dem Bug vorüber- und der andere über die Kommandobrücke meines Schiffes hinüberging. Gleich darauf kam ein Boot längsseit, auf dem ein Kapitänleutnant und 15 bewaffnete Matrosen zu mir an Bord kamen. Der Offizier erklärte das Schiff als beschlagnahmt und befahl mir, dem Kriegsschiff zu folgen. Am 11. August traf ich im Hafen von Colombo ein, wo mein Schiff vertäut wurde. Die Schieber und Reserveschieber wurden aus der Maschine genommen und dadurch diese unbrauchbar gemacht. Ich bekam dann Polizeimannschaften zur Bewachung an Bord.“

Auch in diesem Bericht ist der Name des englischen Schiffes „HMS Espiegle“ nicht richtig wiedergegeben.

Der Schieber sitzt bei einer Dampfmaschine im Schieberkasten und steuert den Dampfstrom wechselweise von oben oder von unten in den Zylinder. Fehlt der Schieber, ist das Schiff fahruntüchtig.

Interessant ist auch, dass die Angaben beider Augenzeugen durchaus Unterschiede aufweisen: im ersten Bericht ist von 30 Mann die Rede, die auf die „Fürth“ kommen, der Kapitän spricht von nur 15 „bewaffneten Matrosen“. Der dritte Maschinist sagt, dass die „HMS Espiegle“ der „Fürth“ folgte, der Kapitän berichtet, dass er dem Kriegsschiff folgte.

Im September können wir dann in der englischen Presse folgenden Artikel über die Erfolge der „HMS Espiegle“ finden:

WARSHIP CAPTURES
PORTSMOUTH CREW’S WORK.

The mail from Colombo brings news of two important captures of German merchant shipsby the British sloop Espiegle, a Portsmouth manued vessel on the East Indies Station, in command of Com. W. Nunn.
The first capture was the Rappenfels, which had a valuable cargo of merchandise; and some days later the Espiegle succeeded in making the German ship Furth a prize of war.
Both the prizes were taken to Colombo.
Hampshire Telegraph, Fr 25. September 1914, S. 14; Quelle: British Newspaper Archive

Damit haben wir auch den Namen des Schiffsführers der HMS Espiegle:
Commander W. Nunn, als auch den Heimathafen des Schiffes: Portsmouth.

Die „HMS Fox“

Am 10. August war noch ein anderes englisches Kriegsschiff von Colombo aus auf Patrouille gegangen: die „HMS Fox“.

Die „HMS Fox“ kaperte an diesem Tag, dem 10. August 1910, ebenfalls ein Schiff der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft: die „Australia“.

Von dieser Kaperung gibt es sogar noch einen Logbucheintrag. Darin heißt es unter anderem für den 10. August 1914:

From Colombo on patrol
Lat 5.0, Long 80.2
12.10pm: sighted smoke on port bow; proceeded to intercept
1.06pm: Stopped along side German SS AUSTRALIA, Dutch Australian Lloyd Line; Sent officer on board to take possession; Sent prize crew to take vessel to Colombo;
2.25pm: proceeded
Quelle: https://www.naval-history.net/OWShips-WW1-05-HMS_Fox.htm

Logbook, HMS Fox, August, 10th 1914

Logbuchseite der „HMS Fox“ vom 10. August 1914; aus: Royal Navy Log Books of the World War 1 Era HMS FOX – November 1913 to April 1915, Persian Gulf, East Indies Station, German East African Campaign (Part 1 of 2); Edited by Don Kindell, Naval History Researcher, Ohio, USA; Quelle: https://www.naval-history.net/OWShips-WW1-05-HMS_Fox.htm

 

Trotz Funkanlage gekapert

Die „Australia“ hatte im Gegensatz zur „Fürth“ bereits Funk an Bord. Das Schiff hatte Suez am 29. Juli 1914 verlassen und war auf dem Weg nach Colombo und nach Java. Im Roten Meer hatte das Schiff Nachricht vom Krieg aufgefangen. Daraufhin wollte Kapitän Hellerich Ceylon südlich umfahren und direkt Java anlaufen. Allerdings hatte er die Route nicht südlich genug gewählt und wurde daher von der „HMS Fox“ gekapert. (Quelle: Otto Harms, 1933).

Port Pirie, Australia

Die „Australia“ in Port Pirie: Aufnahmedatum nicht bekannt; wahrscheinlich zwischen dem 27. Februar und dem 20. März 1913; Quelle: State Library of South Australia, Referenznummer B9524/3

Telegramm nach London

Ein Dokument der Kaperung der „Fürth“ gibt es im Britischen Nationalarchiv in Kew (London). Es ist ein Telegramm des Obersten Kommandeurs von Ostindien an die Britische Admiralität vom 16. August 1914. Darin heißt es:

[HMS] Fox and [HMS] Espiegle captured [German] Australian Line ships Australia and Furth off Ceylon 10th August and took them to Colombo

Quelle: https://discovery.nationalarchives.gov.uk/details/r/C12813014

Commander-in-Chief von Ostindien war zu dieser Zeit Richard Henry Peirse, der zu dieser Zeit den Rang eines Konteradmirals („rear-admiral“) innehatte. Er sollte also der Absender des Telegramms sein. „Sollte“ deshalb, da mir von diesem Telegramm bislang nur die obenstehende Archiv-Beschreibung des Britischen Nationalarchivs vorliegt. Ein Besuch in Kew würde das Original selbst wieder an Licht bringen. Über die Dokumente im Nationalarchiv, die die „Fürth“ betreffen, werde ich demnächst hier im Blog noch einen eigenen Artikel machen.

Insgesamt gibt es im Britischen Nationalarchiv nämlich über einhundert (!) Dokumente, in denen das Dampfschiff „Fürth“ erwähnt wird. Eine echte Goldgrube!

Bildquelle Titelbild des Artikels, HMS Espiegle:
http://www.naval-history.net/PhotoWW1-18slEspiegle1PS.JPG

 

18 Gedanken zu „Die Kaperung der „Fürth“

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  17. juergenfeytiat Autor

    Laut australischen Medien hatte die „Australia“ ihren Schornstein komplett schwarz gestrichen und die dänische Flagge gehisst, um als neutrales Handelsschiff nach Java zu gelangen.

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