Sydney – Teneriffa – Newcastle-on-Tyne – New York
– Die dreizehnte Fahrt der „Fürth“ ist eine sehr außergewöhnliche. Sie dauerte vom 15. Februar 1913 bis zum 7. April 1914, also etwa 14 Monate im Vergleich zu den sonst üblichen fünf Monaten.
Die Reise war auch die erste, auf der die „Fürth“ nicht im Linienverkehr eingesetzt war, sondern als Sonderfahrt/Extraschiff nach Sydney im Fahrplan der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft stand. Aber nicht nur die Länge der Reise, sondern auch die angelaufenen Häfen waren andere, als wir sie bei den ersten zwölf Reisen kennen gelernt haben.
Drei Teile
Alle diese Umstände führen dazu, dass ich die Fahrt in drei Teile aufgegliedert habe:
Teil 1: 15. Februar 1913 bis 29. Juli 1913 mit den erstmals angelaufenen Häfen Durban (Südafrika), Santa Cruz de Tenerife, Newcastle-on-Tyne (Nordost-England) und New York.
Teil 2: 29. Juli 1913 bis 21. Dezember 1913 auf der Linie New York – Java und ein anschließender Kohlentransport von Newcastle (New South Wales) nach Singapur
Teil 3: 21. Dezember 1913 bis 7. April 1914 von Singapur über Australien zurück nach Europa
Sonderfahrt nach Sydney
Diese ungewöhnliche Fahrt der „Fürth“ beginnt damit, dass das Dampfschiff als Extra-Schiff nach Sydney angekündigt wurde und keine der bestehenden Linien der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft bediente. Das hatte später zur Folge, dass die „Fürth“ ebenfalls für die Heimreise in „spezieller Mission“ unterwegs war und keinen Linienverkehr besegelte.

Nach Kapstadt und Sydney
D. „Fürth“ ab Hamburg, Rotterdem und Antwerpen;
Ausschnitt einer Anzeige der DADG in der Zeitung Hamburger Correspondent und neue hamburgische Börsenhalle vom 6. Februar 1913
Diese Direktfahrt nach Sydney lief von Hamburg über Rotterdam und Antwerpen über Kapstadt als einzige Zwischenstation.
THE FUERTH LEAVES ANTWERP.
The German-Australian liner Fuerth is making her present voyage to Australia as an extra steamer- A cable states she left Antwerp on the 23rd February, and comes to Sydney, calling at Capetown only, en route.
Daily Commercial and Shipping List, Mi 26 Feb 1913

Ausschnnitt einer Anzeige von Wambersie und Sohn in der Zeitung Nieuwe Rotterdamsch Courant vom 2. Februar 1913
Die beiden Dampfschiffe „Fürth” und „Bielefeld“ liefen fast parallel, beide waren am 15. Februar in Hamburg aufgebrochen. Die „Bielefeld” hatte Melbourne und Brisbane als Zielhäfen.
BIELEFELD AND FUERTH
A cable received , by the German-Australian S.S. Company states that the steamer Bielefeld, en route from Hamburg and Antwerp to Australian ports, left Algoa Bay on the 22nd March; also that the s.s. Fuerth, bound to Sydney from Antwerp, left Capetown the following day.
Daily Commercial and Shipping List, Do 27 Mar 1913
Export von australischem Weizen
Beide Schiffe waren in Australien für die Ausfuhr von Weizen vorgesehen.
TWO MORE G-A- LINERS FOR WHEAT LOADING.
Owing to their not being required for berth business the German-Australian steamers Fuerth and Bielefeld, now en route to the Commonwealth from Hamburg and Antwerp, have been fixed for wheat loading. The charterers are, it is understood, Messrs. J. Darling and Son, but the loading port of either vessel has not yet been divulged.
Daily Commercial News and Shipping List, Sydney, Fr. 4. Apr 1913, S. 4

Gestapelte Weizensäcke warten auf den Abtransport, Südaustralien, genauer Ort unbekannt, um 1911, Quelle: State Library of South Australia [PRG 280/1/44/367]
Große Mengen warten auf ihre Verschiffung
In Australien war der Weizen geerntet und wartete auf den Abtransport. Die folgende Liste gibt einen Eindruck, wie viele Schiffe mit der Verschiffung von Weizen beauftragt waren, wobei die Liste nur die zweite Aprilhälfte wiedergibt.
Unter den Schiffen waren viele Nationen und es fällt auf, dass sich darunter auch viele Segelschiffe befinden. Der Transport von Getreide war eine der letzten Domänen der Segelschifffahrt. Das Ziel der (in der Liste genannten) Verschiffungen war überwiegend Europa (UK und Kontinent, aber auch Südafrika).
THE WHEAT FLEET.
TO LOAD.
NEW SOUTH WALES.
Vessel and Rig, Tons
Glitre, bq, 1594, U K or Cont
Renee Rickmers, bq … 1959, U K or Cont
SOUTH AUSTRALIA.
Maryetta, bq, 1346, U K or Sth Afr
Sator, sh, 1133, South Africa
Sierra Miranda, sh, 1748 U K opt Sth Afr
WEST AUSTRALIA.
Hammershuus, s, 3931, U K or Sth Africa
Marco Polo, bq, 1532, U K or Cont
Salvatore Ciampa, sh, 1540, U K or Cont
OPTION.
Bielefeld, s, 4460, U K or Cont
Fuerth, s, 4215, U K or Cont
Henriette, sh, 1921, U K or Cont
Meissen, s, 4487, U K or Cont
Port Kembla, s, 4600, U K or Cont
Daily Commercial News and Shipping List, Sydney, Di 8. Apr 1913, S. 8
Anm.: bq und sh sind Segelschiffe (Bark, Schoner), s Dampfschiffe
Über die erzielen Verkaufspreise des Weizens erfahren wir etwas in der folgenden Meldung. 38 Shillinge und 6 Pennies für den Quarter (das entspricht einer Menge von 28 engl. Pfund oder etwa 12,7 Kg).
Wheat Markets.
LONDON, April 23
The wheat market is active, and prices are firm. The cargo by the Furth sold at 38s 6d per quarter, and those by the Moliere and Ockley at 38s per quarter.
The Mercury, Hobart, Do 24. Apr 1913, S. 3, COMMERCIAL NEWS
73.723 Säcke, Bestimmungshafen: Teneriffa
Die in Sydney geladene Menge Weizen war eine sehr beachtliche: 73.723 Säcke. Die damals üblichen Säcke fassten drei Buschel oder etwa 80 Kg Weizen. Wenn wir noch das Gewicht des Sackes von etwa drei Kilo hinzurechnen, kommen wir auf gut 6.100 Tonnen Gesamtgewicht. Zu den Begriffen im Weizenhandel, wie zum Beispiel dem Buschel, gibt es demnächst hier im Blog noch einen extra Artikel.
Erstaunlich ist auch die im Artikel genannte Destination: Teneriffa. Dazu weiter unten noch mehr.
Exports.
New South Wales.
FUERTH, G.A. s.
For Teneriffe (f.o.)
Sailed Sydney May 6 1913.
German-Aust. S.S. Co., agents.
TENERIFFE (f.o.)
J. J. Donnelly & Co., 73,723 bgs wheat
(Complete.)
Daily Commercial and Shipping List, Sa 10. Mai 1913, S. 2
Anm.: f.o. for Order, per Order; zur Erklärung s. u.

Zugladungen mit Weizensäcken in Port Adelaide warten auf die Verschiffung, um 1910; Quelle: State Library of South Australia [PRG 280/1/44/212]
6100 Tonnen
Um die Menge von 73.723 Sack Weizen besser einordnen zu können, hier ein Vergleich: Laut einer Meldung vom 4. Februar 1913 war die größte Ladung der Saison bis zu diesem Zeitpunkt eine Menge von 108.124 Säcken von Australien in Richtung Europa. Sie ging im Auftrag der Fa. Dreyfus und Co. übrigens nach Neapel. Italienische Pasta aus australischem Weizen, die Globalisierung war also auch damals schon Realität! Auf den nächsten Plätzen lagen Mengen von 99.106, 91.213 und 80.377 Säcken.
Quelle: The Sydney Stock and Station Journal, Di 4. Feb 1913, S. 5, BIGGEST WHEAT CARGO.
Also waren 73.723 Säcke keine Rekordmenge, aber doch eine sehr große Einzelladung.
Pickepacke voll
Die „Fürth“ dürfte mit der Menge randvoll beladen gewesen sein. Sicher wurde auch der Kohlenvorrat so klein wie möglich gehalten, um möglichst viel Weizen transportieren zu können. Die Reservebunker für die Kohle waren auch als Laderaum nutzbar.
Dafür spricht, dass nach Sydney noch Albany in Südwest-Australien angelaufen wurde, bevor es nach Südafrika zurückging, wo wiederum Durban erster Anlaufhafen war. Sowohl Albany als auch Durban waren wichtige Kohlestationen für die Dampfschifffahrt auf der südlichen Halbkugel.

Verschiffung von Weizensäcken, Queen’s Wharf in Port Adelaide um 1910, Quelle: State Library of South Australia [PRG 280/1/44/202]
Teneriffa
Teneriffa war ebenfalls eine wichtige Versorgungsstation der Schifffahrt. Im Segelschiff-Zeitalter wurden Frischwasser und Nahrungsmittel aufgenommen, bevor es über den Atlantik oder nach Südafrika ging. Für die Dampfschifffahrt entwickelte sich Teneriffa als wichtige Kohlenstation, ebenso Las Palmas auf Gran Canaria. Allein fünf britische Unternehmungen hatten in Teneriffa eine Niederlassung, daneben die Deutsche Kohlen-Depot GmbH, die sicher auch die „Fürth“ wieder mit Kohlen versorgt hat.
Santa Cruz auf Teneriffa hatte sich auch zu einem bedeutenden Ausfuhrhafen von kanarischem Obst und Gemüse entwickelt. Am wichtigsten waren Bananen und Tomaten mit 70.000 bzw. 18.000 Tonnen im Jahr 1914. Größter Abnehmer dafür war die Britische Insel.
Quelle: The Fortnightly Tenerife News (http://www.tenerifenews.com/2015/03/the-golden-age-of-shipping-in-the-canaries/,abgerufen am 6.1.2018

Hafen von Santa Cruz de Tenerife, ca. 1905-1910, © Archivo de fotografía histórica de Canarias, http://www.fotosantiguascanarias.org, Colección JOSÉ A. PÉREZ CRUZ
Weizen für Teneriffa?
Jetzt werden Sie sich vielleicht fragen, was auf Teneriffa mit einer Ladung von über 6.000 Tonnen Weizen passiert. Das ist eine Frage, die ich mir natürlich auch gestellt habe. Die Antwort darauf ist ganz einfach: NICHTS.
Betrachten wir zwei dazu Aspekte: einen technischen und einen wirtschaftlichen.
Die „Fürth“ hat Durban am 4. Juni verlassen, für die Ankunft in Teneriffa liegt mir kein Datum vor. Bei einer Reisegeschwindigkeit von 11,5 Knoten und einer Entfernung von 5263 Seemeilen braucht ein Schiff dafür etwa 19 Tage. Die „Fürth“ könnte also am 23. Juni, frühestens einen Tag vor der Abfahrt, Teneriffa erreicht haben und ist am 24. bereits wieder weitergesegelt. Eine Entladung kann unmöglich in dieser kurzen Zeit stattgefunden haben, aber sie war auch gar nicht geplant.
Telegramm für Kapitän Richter
Es war zur damaligen Zeit eine gängige Praxis, Waren „per Order“ (for order, f.o.) zu verschiffen. Dabei wurde ein Bestimmungshafen in der Nähe des Zielgebietes als Zwischenziel ausgewählt. An diesem Ort bekam dann das Schiff eine Nachricht, welches der endgültige Bestimmungshafen sein würde. Zur Erinnerung: die „Fürth“ verfügte noch nicht über Funk, so dass die Meldung nur in einem Hafen an das Schiff weitergegeben werden konnte.
Die Praxis war vor allem bei Massengütern üblich, die an der Terminbörse gehandelt wurden (und werden) und Preisschwankungen ausgesetzt waren, wie in unserem Beispiel Weizen. Die Fahrtzeit des Schiffes von – in diesem Fall sieben Wochen – wurde dann genutzt, um einen möglichst guten Preis für die Lieferung zu bekommen. Der Weizen konnte also für irgendeinen europäischen Hafen bestimmt gewesen sein.
Die Kanarischen Inseln waren nicht nur für Lieferungen aus Australien beliebtes Zwischenziel, sondern ebenfalls für Schiffsladungen aus Südamerika, beispielsweise für den sogenannten Laplata-Weizen aus Argentinien.
Für Forscher, die sich mit historischen Außenhandelsbeziehungen beschäftigen, ist die Praxis der „per Order“-Verschiffungen ein Alptraum, weil das Zielland der Lieferung nur sehr schwer zu recherchieren ist. Agustina Rayes von der Universität Buenos Aires stellt fest, dass im argentinischen Außenhandel etwa ein Drittel aller damaligen Lieferungen „per Order“ ausgeführt wurden und zunächst für Zwischenziele, wie zum Beispiel die Kapverdischen oder Kanarischen Inseln bestimmt waren. Mehr zu dem Thema der Per-Order-Verschiffungen: La construcción de las estadísticas oficiales argentinas de exportación, c. 1880 – 1930 The construction of official export statistics in Argentina, c. 1880-1930 Agustina Rayes, Estudios Sociales del Estado – vol. 2, num. 4, 96-120, segundo semestre de 2016; Spanisch mit englischer Zusammenfassung.

Swinging Bridge in Newcastle, Anfang 20. Jahrh., alte Postkarte, abgerufen unter: https://www.chroniclelive.co.uk/news/history/swing-bridge-140-10-things-11521269
Des Rätsels Lösung: Newcastle-on-Tyne
Die Nachricht, die Kapitän Richter in Teneriffa in Empfang nehmen konnte, lautete sinngemäß wohl: Fahren Sie nach Newcastle-on-Tyne! Für ein Schiff der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft sicher ein ungewöhnlicher Zielhafen, der nach acht Tagen auf See am 2. Juli 1913 erreicht wurde. Hier lag das Schiff vierzehn Tage im Hafen, Zeit genug, um jetzt die große Ladung Weizen zu löschen.
Anmerkung: Statt Newcastle-On-Tyne müsste es korrekt eigentlich Shields heißen. Der Hafen von Shields liegt direkt an der Tyne-Mündung, während die Stadt Newcastle-on-Tyne einige Meile flussaufwärts liegt. In den britischen Medien ist auch Shields als Hafen angegeben worden, die Medien auf dem Kontinent sprachen dagegen von Newcastle-on-Tyne.
Mögliche Kunden
Abnehmer für den Weizen könnte die Fa. Spillers gewesen sein, die 1829 gegründet wurde und 1896 die Phoenix Mills von Davidsons in Newcastle-on-Tyne übernahm. Spillers entwickelte sich von einem Mühlenbetrieb zu einem der großen Nahrungs- und Futtermittelhersteller Englands und wurde erst 1979 von Dalgety übernommen.
Quelle und mehr Informationen: gracesguide.co.uk, Grace’s Guide to British Industrial History
Ein zweiter Großverbraucher von Weizen am Tyne River war die Firma Wright’s Biscuit, einer der großen britischen Hersteller von Keksen und Kuchen in South Shields in unmittelbarer Nähe von Newcastle. Wo der Weizen letztendlich wirklich gelandet ist, werden wir heute voraussichtlich aber nicht mehr erfahren.

Laden von Wright’s Biscuits in Newcastle-on-Tyne; interessant die Kartonaufschriften: Hamburg und Rangoon; Quelle: wikimedia.commons; Packing Wrights Biscuits.jpg
New York
Sehr außergewöhnlich ist auch das nächste Reiseziel der „Fürth“: Von Newcastle-on-Tyne im Nordosten Englands lief die „Fürth“ nicht zurück nach Hamburg, sondern auf direktem Weg nach New York.
Die „Fürth“ lief in Ballast über den Atlantik und traf am Vormittag des 29. Juli 1913 um 9.20 Uhr in New York ein. Die Firma Funch, Edye & Co. war der Makler der DADG in New York.
Steamer Furth (Ger), Shields July 16, to Funch, Edye & Co. in ballast, Arrived at the Bar at 9:20 am.
New-York Tribune, 30. Juli 1913, S. 9 (Quelle: Library of Congress, Washington DC)
Warum die „Fürth“ nach New York unterwegs war und wohin die Reise als nächstes ging, gibt es in Kürze hier im Blog. Die dreizehnte Fahrt – Teil 2!
Lange unterwegs
Zum Abschluss noch eine Meldung, die einen Eindruck gibt, wie lange Waren unterwegs sein konnten, die für Ziele bestimmt waren, die abseits der großen Schifffahrtsrouten lagen. So erreichen 20 Pakete Ware die Firma Ferguson in Tasmanien Anfang Juli 1913, die in Hamburg Mitte Februar auf die Reise geschickt wurden und bereits Mitte April in Sydney ankamen. Sie waren über Melbourne schließlich auf einer Bark, also einem Segelschiff, nach Hobart gelangt.
Kassa bq from Melbourne-4 676 bgs wheat, 60 pine deals
…
Ex Fuerth from Hamburg-20 pkgs merchandise Ferguson & Co.
…
The Mercury, Hobart, Do 3. Jul 1913, S. 4, SHIPPING.

Der erste Teil der dreizehnten Australienfahrt der „Fürth“ vom 15. Februar bis 29. Juli 1913