Archiv für den Monat Oktober 2022

Melbourne Queen's Wharf about 1912

Spaziergang in Melbourne

Nächste Station: Flinders Street

Titelbild: Melbourne, Eisenbahn-Station (Flinders Street Station) und Yarra-Fluss, Ansichtskarte der Deutsch-Australischen Dampfschiff-Gesellschaft aus dem Jahr 1913; Fotograf unbekannt, eigene Sammlung

Die schöne detailreiche Aufnahme zeigt die Flinders Street in Melbourne um das Jahr 1912. Die abgebildete Ansichtskarte ist Teil einer Ansichtskartensammlung, die die Deutsch-Australische Dampfschiff-Gesellschaft (DADG) zu ihrem 25jährigen Jubiläum im September 1913 herausgegeben hat. Siehe dazu: Postkarten der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft

Links im Bild sehen wir die Gleisanlagen des Bahnhofs Flinders Street Station, darüber die Queens Bridge, den Fluss Yarra mit dem breiten Wendebecken und dem Anleger Queens Wharf (flache Gebäude links neben der Hochbahnstrecke in der Bildmitte). Rechts oben auf der linken Seite der belebten Flinders Street schließlich steht der Fischmarkt mit seinem markanten Turm.

Die Flinders Street war (und ist) ein zentraler Verkehrsknotenpunkt Melbournes. Hier kreuzten sich verschiedene Bahnlinien. Außerdem hatte die Personenschifffahrt in unmittelbarer Nähe einen Anlegeplatz.

Eindrucksvolle Gebäude aus der viktorianischen Epoche und dem Zeitalter Eduards VII. lohnen eine Zeitreise, auf die wir uns heute begeben.

Der Bahnhof Flinders Street Station

Der von einer Dampflokomotive gezogene Personenzug verlässt gerade den Bahnhof Flinders Street Station, dessen eindrucksvolles Gebäude uns der Fotograf leider vorenthalten hat. Das ist aber kein Problem, ich liefere es Ihnen nach:

Flinders Street Station about 1910

Melbourne, Bahnhof in der Flinders Street (Flinders Street Station), ca. 1908-1914; State Library of Victoria Collections; über commons.wikimedia.org

Das Bahnhofsgebäude mit seiner eindrucksvollen Kuppel und dem hohen Uhrturm erstreckt sich über eine Länge von zwei Straßenblocks und wurde 1910 fertiggestellt. Es ersetzte einen weitaus bescheideneren Vorgängerbau aus dem Jahr 1854.

Zusammen mit dem direkt angrenzenden Bahnhof Princess Bridge soll Flinders Street Station 1923 der geschäftigste Bahnhof weltweit mit 2.300 Zugbewegungen und über 300.000 Passagieren täglich gewesen sein (Quelle: Moree Gwydir Examiner and General Advertiser, 30. Aug. 1923). Ob dieser Superlativ richtig ist oder nicht, lasse ich dahingestellt. Flinders Street Station war auf jeden Fall ein sehr belebter Knotenpunkt.

Im Stellwerk

Eine sehr ähnliche Ansicht wie die Karte der DADG im Titel dieses Artikels zeigt uns folgende Karte, nur die Blickrichtung ist eine andere. Vorne links ist eines der Stellwerke der Flinders Street Station zu sehen und am rechten Bildrand führt ein Gleisstrang über die Sandridge-Brücke diagonal über den Fluss. Die Straßenbrücke in der Bildmitte ist wieder die Queens Bridge, die das Ende des Schiffsverkehrs auf dem Fluss Yarra markierte.

Signal box A flinders street about 1910

Stellwerk A an der Flinders Street Station, Queens Bridge und Wendebecken im Yarra-River, um 1913; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:FlindersStreetA-SignalBox.jpg

Das folgende Foto gestattet uns einen Blick ins Innere des Stellwerks. Es wurde wahrscheinlich am Tag der Eröffnung aufgenommen. Es zeigt neun Herren zwischen zwei langen Hebelbänken, die insgesamt 280 Stellhebel umfassen. (https://web.archive.org/web/20170116201914/http://www.signalbox.org/overseas/australia/flindersstreeta.htm)

signal box A flinders street 1905

Melbourne, Stellwerk A der Flinders Street Station, Aufnahme vom 17. September 1905; Quelle: State Library Victoria, Referenz 2465289

Das Gleisdreieck neben dem Stellwerk lässt sich auf dieser Ansicht gut erkennen:

sandridge bridge and queen's bridge about 1910

Melbourne, Yarra-Fluss mit Eisenbahnbrücke (Sandridge Bridge) und Queens Bridge (rechts); Blick von einem Gebäude in der Flinders Street, Quelle: State Library Victoria, Referenz H2008.105/12

In der Flinders Street

Machen wir nun einen Spaziergang durch die Flinders Street. Wir beginnen im Osten und gehen auf den Bahnhof zu, der links vor uns liegt.

Links an der Straße möchte uns ein Werbeschild dazu verleiten, Tabak der Marke „Happy Thoughts“ zu kaufen. Rechts im Hintergrund weist der Schriftzug „Sargood“ auf ein Geschäft des bekannten Melbourner Geschäftsmannes und Politikers Sargood hin.

flinders street melbourne about 1900

Melbourne, Flinders Street, Blick in westliche Richtung, Bahnhof Flinders Street Station im Hintergrund links, ca. 1900, Quelle: State Library Victoria, Referenz H2008.105/25

Die markante Kuppel des Bahnhofs (siehe oben) haben wir jetzt hinter uns gelassen und befinden uns rechts neben dem Bahnhof und gehen auf den Uhrturm über dem Bahnhofseingang Eilzabeth Street zu.

Rechts oben erkennen wir angeschnitten eine Werbung für The Mutual Store, Melbournes zu dieser Zeit führendem Warenhaus.

flinders street melbourne 1909

Melbourne, Flinders Street, Ansichtskarte, 1909; links das Bahnhofsgebäude mit Uhrturm; Quelle: State Library Victoria, Referenz 1668125

Beim Weitergehen öffnet sich der Blick links zum Yarra River mit dem Schiffsanleger (Queen’s Wharf), auf den wir noch zurückkommen werden. Die linke Straßenseite wird in diesem Abschnitt von einer Hochbahnstrecke begrenzt.

Melbourne yarra river flinders street 1912

Melbourne, Flinders Street mit Hochbahn, Queen’s Wharf und Fischmarkt (Gebäude hinten rechts), Postkarte, um 1912, Quelle: State Library Victoria, Referenz 1668317

Schauen wir jetzt nach Osten zurück, können wir ganz links gerade noch den Uhrturm des Bahnhofs erkennen. Rechts unten in einem Bogen unter der Hochbahn hatte der Verband „The Market Gardeners & Fruit Growers Association“ ein Zuhause gefunden.

flinders street about 1900

Melbourne, Flinders Street mit Hochbahn, dahinter (verdeckt) Dampfschiff am Anleger, Quelle: State Library Victoria, Referenz H2008.105/16

Auf der linken Seite liegt nun das prächtige Ensemble des Fischmarktes vor uns. Der 1890 errichtete Gebäudekomplex beherbergte nicht nur Fischhändler, sondern auch Büros von Reedereien, Maklern sowie Geschäfte einer Vielzahl anderer Händler. 1959 wurde der repräsentative Bau im Namen des Fortschritts abgerissen.

old fish market melbourne 1890

Melbourne, Fischmarkt und staatliche Kühlhäuser in der Flinders Street, um 1890; Quelle: https://collections.museumsvictoria.com.au/items/1697847

Der über allem thronende Turm sollte übrigens nie eine Uhr bekommen. Doch begeben wir uns jetzt zum Yarra River.

old fish market melbourne

Melbourne, Flinders Street mit Fischmarkt, Blick in Richtung Osten, ca. 1900; Quelle: State Library Victoria, Referenz H2008.105/31

Howard Smith Company

Zwischen dem Wendebecken des Yarra River und der Eisenbahnhochbrücke an der Flinders Street befand sich Queen’s Wharf. Das linke Gebäude (siehe Titelabbildung) gehörte der Howard Smith Company, die zwischen den Jahren 1875 – 1947 einen inneraustralischen Linienverkehr betrieb. Außerdem bot die Reederei einen regelmäßigen Ausflugsverkehr in der großen Port Phillips Bay nach Geelong und Portalington auf der Bellarine-Halbinsel an (das damals noch selbständige Portarlington gehört heute zu Geelong). Howard Smith gehörte auch die größte Schlepperflotte Australiens.

Queens wharf melbourne about 1900

Melbourne, Queen’s Wharf, ca. 1900, Aufnahme von John Henry Harvey (1855-1938), Quelle: State Library Victoria, Ref. 2281412

In späteren Jahren wurde aus Howard Smith ein Industrie- und Handelskonglomerat, das in den verschiedensten Branchen aktiv war. Die Gruppe existierte noch bis in das Jahr 2001.

Der zunehmende Schiffsverkehr auf dem Yarra führte an dem relativ engen Wendebecken bei Queen’s Wharf zu Problemen. Ende der 1920er Jahre wurde Queen’s Wharf durch den Neubau der Spencer Street Bridge flussabwärts vom Schiffsverkehr abgeschnitten.

bay excursions edina 1910

Ausflüge nach Portarlington und Geelong mit dem Dampfer „Edina“, Anzeige von Howard Smith in The Age, Melbourne, 17. Januar 1910; http://www.trove.nla.gov.au

Der Dampfer „Edina“

Außergewöhnlich ist die Geschichte des in der obenstehenden Anzeige genannten Dampfers „Edina“. Er war über 40 Jahre zwischen Melbourne und Geelong im Einsatz, aber nicht nur das.

Das Schiff war bereits 1854 (!) bei Barclay, Curle & Co. am Clyde (Glasgow) fertiggestellt worden. 1855 wurde „Edina“ dann von der Admiralität beschlagnahmt und als Versorgungsschiff im Krimkrieg (1853-1856) eingesetzt.

Nach Einsätzen in Großbritannien und im amerikanischen Bürgerkrieg kam das Schiff schließlich nach Australien: zunächst für Fahrten zwischen Australien und Neuseeland und später für die Küstenfahrt in Queensland. Anschließend kam es in die große Port Phillip Bucht als Fracht- und Passagierdampfer auf der Strecke Melbourne – Geelong. Dabei sollen zwischen Melbourne und Geelong 20.000 Fahrten absolviert und über zwei Millionen Passagiere befördert worden sein. Die letzte Fahrt von Geelong fand am 21. Juni 1938 statt.

edina geelong melbourne

Dampfschiff „Edina“ mit einer großen Zahl von Passagieren, zwischen 1900-1938; Foto von Allen C. Green (1878-1954); Quelle: State Library Victoria, Ref. H91.108/1116

Das jetzt in „Dinah“ umbenannte Schiff diente dann noch als Leichter, bevor es 1957 nach erstaunlichen einhundertvier Jahren in Melbourne abgebrochen wurde. Es ist damit weltweit eines der Dampfschiffe mit der längsten Betriebszeit.

Überreste des Schiffsrumpfes liegen bis heute am Grund des Flusses Maribyrnong bei der ehemaligen Footscray Werft. Sie sind in der Datenbank des Viktorianischen Kulturerbes eingetragen. https://vhd.heritagecouncil.vic.gov.au/

Bye-bye edina 1938

Der Dampfer „Edina“ verlässt Geelong auf seiner letzten Fahrt am 21. Juni 1938; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Edina_geelong.jpg

Mehr über Melbourne mit weiteren historischen Aufnahmen gibt es hier:
Tagebuch (12): Die „Fürth“ in Melbourne

Seminole, 1865, full-rigged ship, Mystic

Das älteste Schiff der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft

Der Klipper „Seminole“

Titelbild: Reklamekarte für den Klipper „Seminole“, um 1865, Quelle: Westward by Sea: A Maritime Perspective on American Expansion 1820 – 1890; über https://commons.wikimedia.org/wiki/File:SEMINOLE_(Ship)_(c112-02-26).jpg

Bleiben wir bei den Segelschiffen! Nachdem ich Ihnen im vergangenen Blogartikel den Segler „Loch Ness“ vorgestellt hatte, präsentiere ich Ihnen heute das (mit allergrößter Wahrscheinlichkeit) älteste Schiff der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) und darüber hinaus das einzige, welches in Nordamerika hergestellt worden ist: Den Klipper „Seminole“ aus dem Jahr 1865.

Die im Titel dieses Artikels abgebildete Werbemarke preist das Schiff als neuen und eleganten Klipper der besten Kategorie:

The New and Elegant A1 Mystic Built Clipper Ship

A 1 ist die beste Kategorie in der Klassifikation von Lloyd’s Register: Siehe dazu auch den Artikel: Die „Fürth“ in Lloyd’s Register

Mystic Built heißt, dass die „Seminole“ 1865 als Vollschiff an dem bedeutenden Werftstandort Mystic in Connecticut gebaut wurde und zwar von Maxon, Fish and Company. Das elegante Schiff hatte eine Länge von 59,9 Metern, 12,7 Meter Breite und eine Seitenhöhe von 7,6 Metern. „Seminole“ hatte einen Rumpf aus Holz und 1511 Bruttoregistertonnen. Die Baukosten beliefen sich auf 125.000 USD.

Anmerkung: Vollschiff heißt, dass die drei Masten des Schiffes alle rahgetakelt waren, wie auf der Abbildung unten zu sehen ist.

seminole, 1865, full-rigged ship, later barque

„Seminole“ als Vollschiff um 1880; Foto aus der A. D. Edwardes Collection, Quelle: State Library of South Australia, Ref. V66No81

In späterer Zeit wurde die Besegelung des hinteren Mastes der „Seminole“ auf Schratsegel geändert und aus dem Vollschiff wurde eine Bark. Bei dem Schiff “Loch Ness” war genauso verfahren worden.

This splendid Ship is of the Sharp Clipper Model, and built expressly for the California trade, with thorough ventilation, and every requisite for delivering cargo at the earliest possible day in fine order.

Der schnelle Klipper war für den Warentransport von der nordamerikanischen Atlantikküste nach Kalifornien gebaut worden. 1866 unternahm die „Seminole“ eine Reise von New York nach San Francisco in 97 Tagen: eine rekordverdächtige Fahrt! Auf dieser Reise transportierte „Seminole“ eine Dampflokomotive der berühmten Central Pacific Eisenbahngesellschaft.
Quelle: Central Pacific Railroad Photographic History Museum, http://cprr.org/Museum/RR_Shipped_by_Sea.html

Die Leistung kann man besser einschätzen, wenn man weiß, dass die durchschnittliche Reisedauer 145 Tage, also fast fünf Monate betrug.

Being constructed in the best manner with extra copper fastening, she is rated A1 for NINE YEARS, and is probably the BEST SHIP AFLOAT. Shippers will please examine her, and judge for themselves.

Die vollmundige Werbung auf der Reklamekarte war nicht unberechtigt, denn die „Seminole“ war über 20 Jahre zwischen der amerikanischen Ost- und Westküste im Einsatz, in der Regel zwischen New York/Boston und San Francisco.

Holmes, (formerly Master of the Twillght,) Master, at Pier 12 E. R.
Sutton & Co., 58 South Street, Corner Wall.

In der Fußzeile der Karte wirbt schließlich Kapitän Holmes um Vertrauen, immerhin hatte er schon den Klipper „Twilight“ (gebaut 1857 in Mystic) kommandiert. Außerdem gibt er seinen Liegeplatz am East River (E. R.) an.

Suttons & Co. (Sutton’s California Dispatch Line) war einer der zahlreichen Anbieter, die Transportdienste an die Westküste anboten. Die beiden abgebildeten Reklamekarten waren ein beliebtes Werbemittel der damaligen Zeit. Heute sind sie ein begehrtes Sammlerobjekt.

In diesem Artikel können Sie mehr über die Geschichte dieser Karten erfahren (in englischer Sprache): The Story of Clipper Ship Sailing Cards, Allen Forbes, American Antiquarian Society, Oct.1949; https://www.americanantiquarian.org/proceedings/44807197.pdf

Cremorne Sutton & Co.

Reklamekarte für den Klipper „Cremorne“, Sutton & Co.‘s Dispatch Line; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:CREMORNE_Clipper_ship_sailing_card_3065.jpg

Die „Seminole“ in den 1890er Jahren

In späteren Jahren transportiere die „Seminole“ über 12 Jahre Hölzer und Holzprodukte von der amerikanischen Nordwestküste in die Südsee und nach Australien. Auf dem Rückweg waren Kohlen die übliche Fracht, die meist nach Honolulu auf Hawaii geliefert wurden.

Seminole, 1865, Galionsfigur

Galionsfigur des Segelschiffes „Seminole“, ein nordamerikanischer Indianer der Ethnie der Seminolen, Foto aus der A. D. Edwardes Collection, um 1910; Quelle: State Library South Australia, PRG 1373/79/109, gemeinfrei

Im Februar 1901 kaufte die DADG die mittlerweile 36 Jahre alte „Seminole“ für 1200 £ und ließ sie anschließend im Jubilee Dock, einem großen Trockendock in Sydney, gründlich überholen. Das Schiff sollte anschließend in Adelaide als schwimmendes Lager für Bunkerkohlen zum Einsatz kommen (Kohlenhulk). Ein trauriges Schicksal vieler Segelschiffe, die nicht mehr auf See gebraucht wurden.

THE SEMINOLE SOLD.

The barque Seminole has been purchased by the German-Australian line for use as a hulk at Adelaide. She is now undergoing an extensive over haul at the Jubilee Dock prior to leaving for the South Australian capital.
Newcastle Morning Herald and Miners’ Advocate, 14. Feb. 1901.

Bevor es allerdings nach Adelaide ging, stand ein Umweg über Newcastle NSW auf dem Programm, dem wichtigsten Kohlehafen Australiens, weil dort Kohlen am billigsten zu bekommen waren.

Jubilee Dock Sydney 1903

Jubilee Dock, Balmain Sydney Harbour, schöne detailreiche Aufnahme aus dem Jahr 1903; © Australian National Maritime Museum, ANMS1092[244] über trove.nla.gov.au

Duplizität der Ereignisse

Von Newcastle NSW sollte die „Seminole“ vom DADG-Dampfer „Kiel“ nach Adelaide geschleppt werden.

Wie beim Schlepp der „Loch Ness“ sieben Jahre später, kam auch „Kiel“ mit der „Seminole“ in einen schweren Sturm, die Schlepptrosse riss und konnte nicht wieder übergeben werden.

Die „Seminole“ war nun auf sich allein gestellt, hatte aber Mannschaft und auch die Segel noch an Bord. Der Vorfall ereignete sich bereits 200 Seemeilen nach der Abfahrt am 21. März auf Höhe der Jervis Bay und es vergingen neun lange Tage der Ungewissheit, in denen das Schicksal des alten Klippers in Frage stand.

Am 1. April 1901 schließlich passierte das Schiff um sechs Uhr abends Wilson’s Promontory, von wo aus die Passage der „Seminole“ telegrafiert wurde.

SAFETY OF THE SEMINOLE.

The anxiety that had been felt for the safety of the barque Seminole, which is en route from Sydney to Adelaide, was relieved last night by the receipt of a message from Wilson’s Promontory stating that the vessel passed there at 6 p.m.
Quelle: The Australian Star, 2. April 1901; trove.nla.gov.au

THE SENTINEL THAT STANDS GUARD AT THE SOUTHERN POINT OF THE AUSTRALIAN CONTINENT. WILSON'S PROMONTORY

WILSON’S PROMONTORY. Originaltitel des Bildes: THE SENTINEL THAT STANDS GUARD AT THE SOUTHERN POINT OF THE AUSTRALIAN CONTINENT. WILSON’S PROMONTORY, Aufnahmedatum unbekannt (zwischen 1885 und 1946), State Library Victoria, Referenz H99.220/1845

Die “Seminole” in Adelaide

Ab April 1901 lag der Klipper oder was von ihm nach dem Umbau zur Kohlenhulk noch übrig war in Port Adelaide.

Diese Zeit blieb nicht ereignislos:

Am 18. Januar 1902 starb der Arbeiter Henry Kohler beim Bunkern des Dampfers „Apolda“ als er sich bei einem Sturz aus 14 Fuß (4,27 m) Höhe auf das Deck der „Seminole“ tödliche Verletzungen zuzog.

Am 25. April 1903 riss sich „Seminole“ bei starken Windböen von ihrem Liegeplatz los, wurde quer über den Fluss getrieben und beschädigte am Kai das Segelschiff „Mayflower“ und einen Leichter.

Am Morgen des 19. Juli 1906 brach auf der Hulk ein Feuer aus. Versuche, den Brandherd durch Übergabe von Kohlen an den Dampfer „Oberhausen“ zu erreichen, blieben erfolglos. Schließlich wurde die Hulk in Ufernähe gebracht und durch das Hineinpumpen von Wasser geflutet. Später wurden bei Niedrigwasser etwa 300 Tonnen Kohle geborgen und die Hulk wieder flott gemacht.

Dampfschiff Essen

Die „Essen” am Kai Nr. 1 in Port Adelaide, detailreiche Aufnahme aus dem Jahr 1914; Quelle: Searcy Collection, State Library of South Australia [PRG 280/1/14/75]

Eine Kohlenhulk in einem Hafen wurde nicht unbeaufsichtigt gelassen. Ein sogenannter Hulk-Keeper wohnte auf dem schwimmenden Lager, bewachte es und hielt es in Stand. Am 2. Juli 1908 bekam der Hulk-Keeper der „Seminole“ Besuch vom australischen Zoll. Der Zollbeamte listete minutiös alle verdächtigen Gegenstände auf, die mehrheitlich deutschen Ursprungs waren. Darunter befand sich neben Bootszubehör auch Hundekuchen, ein leeres Fass Margarine, Alkohol, Tabak und noch vieles mehr. All das war doch tatsächlich ohne Zollpapiere an Bord gebracht worden. Der Hulk-Keeper sagte zwar aus, dass vieles Geschenke von den Offizieren der deutschen Schiffe wären und andere Gegenstände schon vor ihm an Bord gewesen wären, aber der pingelige Zollbeamte bezifferte die entgangenen Zollgebühren auf etwas über zwei Pfund und leitete seinen Bericht nach Melbourne weiter. Wie die Geschichte für den Hulk-Keeper ausgegangen ist, habe ich in den Medien nicht mehr gefunden.

Interessant war in dem Artikel zu erfahren, dass der Hulk-Keeper schon sechs Jahre auf dem schwimmenden Lager lebte. Zuerst hatte er auch seine Familie noch mit an Bord, aber nachdem die Hulk immer mehr leckte, zog er es vor, seine Familie an Land unterzubringen.

Lang kann unser Hulk-Keeper nicht mehr auf der „Seminole“ verbracht haben, denn noch im Jahr 1908 verkaufte die DADG die Hulk und ersetzte sie durch die „Loch Ness“. Vielleicht hat sie den Mann dort wieder eingestellt.

Adelaide harbour, about 1910

Der Hafen von Adelaide, ca. 1910, State Library of South Australia, Originalbeschreibung: Port Adelaide: ocean steamers wharf in the foreground, looking south west across the Port River. Birkenhead wharf on the other side is in course of construction. Referenz Nr. [B 2156].

Im Jahr 1909 wurde die „Seminole“ dann von ihrem neuen Eigentümer in Adelaide abgebrochen. Am 16. März 1909 brach erneut ein Feuer aus, dass diesmal allerdings schnell gelöscht werden konnte.

Anschließend wurde das Wrack am Strand von Garden Island sich selbst überlassen.

Die „Seminole“ war damit das erste Schiff an einer Stelle, die heute als Garden Island Ship Graveyard bekannt ist. Der Schiffsfriedhof wurde die letzte Ruhestätte von mindestens 25 Schiffen, die hier entsorgt wurden. Er kann heute auf einem maritimen Kulturlehrpfad des Ministeriums für Umwelt und Wasser erkundet werden.

Auch die Reste der „Seminole“ sind bei Niedrigwasser noch erkennbar, wenngleich vom Rumpf nur noch sehr wenig erhalten ist. Ein Bild vom traurigen Erhaltungszustandes des ehemaligen Klippers können Sie sich hier machen:

https://www.environment.sa.gov.au/topics/heritage/maritime-heritage/visiting-maritime-heritage-places/shipwreck-trails/garden-island#Seminole

seminole 1865, Galionsfigur

Galionsfigur des Segelschiffes „Seminole“ in einem Garten, Foto aus der A. D. Edwardes Collection, um 1910; Quelle: State Library South Australia, PRG 1373/79/109, gemeinfrei

Loch Ness, ship, 1869

Ein Segelschiff der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft

„Loch Ness”

Titelbild: „Loch Ness“ in einem unbekannten Hafen, Quelle: State Library South Australia, [PRG 1373/15/6], https://collections.slsa.sa.gov.au/resource/PRG+1373/15/6

Im August 1908 kaufte die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) das Segelschiff „Loch Ness“. Der Blogartikel berichtet, was es mit diesem Kauf auf sich hatte und warum das Schiff, das eigentlich gar nicht mehr fahren sollte, dann unter Segeln in Port Adelaide eintraf.

Ein schneller Klipper aus Glasgow

Die „Loch Ness“ war 1869 von Barclay, Curle and Co. in Glasgow für John Pearson Kidston gebaut worden. 1875 übernahm die Glasgow Shipping Co. das Schiff. Die Gesellschaft war als Loch Line bekannt, da alle ihre Schiffe nach einem Loch (See oder Fjord in Schottland) benannt waren.

Der schnelle Wollklipper (von der Besegelung her zunächst ein Vollschiff, ab 1899 eine Bark) hatte einen Rumpf aus Eisen, 68,5 Meter Länge und etwa 1250 Bruttoregistertonnen. Das Schiff fuhr im Linienverkehr mit Passagieren (Emigranten) und Fracht von Glasgow nach Adelaide und dann nach Melbourne oder Sydney. Von dort aus lief das Schiff in der Regel mit Wolle zurück nach Großbritannien.

Die Loch Line blieb eine reine Segelschiffreederei. Sie musste 1911 den Betrieb einstellen, hatte aber schon in den Jahren zuvor einige Schiffe abgeben müssen. Darunter auch die „Loch Ness“.

Diese wechselte im Sommer 1908 in Melbourne den Besitzer für den Kaufpreis von 3000 Pfund.

Loch Ness sold, 1908

Verkauf der „Loch Ness“, The Sydney Morning Herald vom 3. August 1908, Quelle: trove.nla.gov.au

Käufer war die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, die das Schiff später unter dem Namen ihrer australischen Tochtergesellschaft, der Stevedoring & Shipping Company in Sydney, registrieren ließ.

Harms erklärt den Geschäftszweck dieser Tochter:

„… führte u. a. dazu, die Stauerei mit Zubehör in eigenen Betrieb zu nehmen und dafür eine besondere englische Gesellschaft zu errichten, unter dem Namen „Stevedoring & Shipping Co Lim.“. Leichterei wurde damit verbunden, Pressen der Wolle, Bunkerung in Adelaide nebst Hulk und Kohlendampfer. Für die Gründung genügten sieben Gesellschafter, welche nicht Engländer zu sein brauchten.“
Otto Harms, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg (1933)

Anmerkung:
Stauer „verstauten“ Ladung auf Schiffen; im Container-Zeitalter ist dieser Beruf im Logistikgewerbe nahezu ausgestorben.
Leichterei bezeichnet den Betrieb von Leichtern, also antriebslosen Wasserfahrzeugen zum Be- und Entladen von Schiffen oder zum Zwischenlagern verschiedener Güter. In Hamburg spricht man von Schuten.
Bunkerung schließlich meint die Versorgung von Dampfschiffen mit Bunkerkohle. Der genannte Kohlendampfer war „Shamrock“, ein kleiner Dampfer, der Bunkerkohlen von New South Wales nach Adelaide transportierte. Er lief jedoch bereits am 31. März 1903 in der Catherine Hill Bay auf Grund und wurde nicht ersetzt.

Loch Ness clipper 1869

“Loch Ness”, Foto ohne Jahresangabe Quelle: South Australian Maritime Museum über https://passengers.history.sa.gov.au/node/930417

Traurige Schicksale

Die „Loch Ness“ sollte nun in Port Adelaide registriert und zur Kohlenhulk umgebaut werden.

Dieses Schicksal ereilte zu dieser Zeit viele Segelschiffe. Sie wurden außer Dienst gestellt, oft ihrer Masten beraubt und dann in einem Hafen als schwimmender Lagerraum oder als Unterkunft genutzt.

Das glorreiche Zeitalter der Segelschifffahrt neigte sich unwiederbringlich dem Ende.

Port Adelaide, approximately 1909

Port Adelaide etwa 1909; State Library of South Australia [B4410]

Adelaide

In Südaustralien gab (und gibt) es keine Kohlevorkommen. Zur Versorgung der Schiffe mit Kohlen wurde die Kohle mit Kohlendampfern, wie der oben erwähnten „Shamrock“, aus New South Wales herangeschafft.

Zum Zwischenlagern dienten Hulks, also ausgediente Schiffe, von denen aus die Dampfer mit Bunkerkohlen versorgt wurden. Diese Lösung war günstiger, als bei jeder Ankunft der Dampfer Kohlen direkt zum Schiff liefern zu lassen.

Betroffen waren bei der DADG vor allem die Schiffe, die von Adelaide direkt nach Niederländisch-Indien weitersegelten, ohne New South Wales anzulaufen. Schiffe, die anschließend Häfen in New South Wales anliefen, konnten die Kohlen dort billiger beziehen, was sie auch regelmäßig taten.

Im Sommer 1908 war die Anschaffung einer neuen Hulk in Adelaide nötig geworden, da die alte Hulk aus Holz einen Feuerschaden erlitten hatte. Nicht zuletzt deshalb entschied man sich wohl für einen Rumpf aus Eisen, wie ihn die „Loch Ness“ besaß.

Doch das Schiff sollte sich noch gegen sein Schicksal wehren.

Loch Ness Pier Queensland

Die Schiffe „Myrtle Holme“, „Loch Ness“ und „Loch Garry“ an einer Pier; Quelle: State Library of Queensland Collections, https://collections.slq.qld.gov.au/viewer/IE79273

Unter Segeln

Der Plan war, das alte Segelschiff in Schlepp nach Adelaide zu bringen. Dazu auserkoren war der DADG-Dampfer „Itzehoe“ unter Führung von Kapitän Bahr. Die „Itzehoe“ war auf dem Weg von Sydney nach Hamburg und nahm die „Loch Ness“ in Melbourne in Empfang.

Die Überfahrt verlief jedoch nicht planmäßig. Nach der Abfahrt aus Melbourne kam die „Itzehoe“ in einen schweren Südweststurm und bei Cape Otway riss die Schlepptrosse. Aufgrund des schweren Wetters war es nicht möglich, eine neue Trosse an der Bark festzumachen. Kapitän Bahr entschloss sich daher, die Fahrt ohne die Bark im Schlepp fortzusetzen.

Auf der Bark selbst befand sich vorsorglich Kapitän Buchanan mit einer kompletten Mannschaft, die nun die Segel setzte und aus eigener Kraft mit der „Loch Ness“ Port Adelaide erreichte.

Quelle: The Daily News Perth, 5. September 1908; trove.nla.gov.au

Die Ankunft der „Loch Ness“ erregte dort einige Aufmerksamkeit, schließlich war das ehemalige Schiff der Loch Line seit dem Jahr 1875 regelmäßiger Gast in Adelaide gewesen.

Itzehoe Schiff 1899

Der Zweischornsteiner „Itzehoe“ mit dem kleinen Küstendampfer „Teck“; Quelle: R. Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven 1984

Ein nasses Grab

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 beschlagnahmte die australische Regierung die „Loch Ness“ und die Hulk wurde nach Westaustralien verbracht.

Am 18. August 1926 wurde die „Loch Ness“ bei Schießübungen vor Rottnest Island (Westaustralien) von HMAS „Melbourne“ versenkt.

Das einst so prachtvolle Segelschiff fand auf dem Rottnest Ship Graveyard ein trauriges Ende.

Anmerkung:
Das Seegebiet südwestlich von Rottnest Island wurde seit 1910 regelmäßig für die Entsorgung ausgedienter Schiffe verwendet. Heute sind dort 47 Wracks kartiert: http://museum.wa.gov.au/maritime-archaeology-db/sites/default/files/no._148_graveyard.pdf

TO DAVY JONES

LAST OF THE LOCH NESS

MIMIC NAVAL FIGHT

At 8.30 this morning the tug Uco took in tow the hulk Loch Ness at North Wharf and proceeded to Gage Roads. As the Loch Ness passed down the harbor tugs and other river craft screeched farewell blasts from their steam whistles. A little over an hour later the cruiser Melbourne cast off from Victoria Quay, her band playing lively airs, bound for Melbourne. In Gage Roads the Uco was dispensed with, and the warship took the hulk in tow.
The spot chosen for the sinking is at the 100-fathom line on the chart, 15 to 20 miles west of Rottnest. Progress to the appointed spot was necessarily slow, and it was after 3 o’clock before the Melbourne cast loose the derelict Loch Ness, and proceeded with the mimic naval action planned for the occasion, representing the closing stages of a sea fight between two cruisers.
The Daily News, Perth, 18. August 1926

Loch Ness Hulk 1926

Das Ende des berühmten Wollklippers „Loch Ness“, mit Schlepper „Uco“, News, Adelaide, 4. September 1926; trove.nla.gov.au

Loch Ness Hulk 1926 Fremantle

„Loch Ness“ längsseits HMAS Melbourne, Aufnahme vom 18. August 1926; Western Mail, Perth, 26. August 1926; Quelle: trove.nla.gov.au