Archiv für den Monat Juni 2022

Kaiser Bill

Kaiser Bill

Titelbild: Der säbelschwingende Deutsche Kaiser („Kaiser Bill“) überzieht Europa mit Krieg; Karikatur aus der Boulevardzeitung Truth, Perth, 5. September 1914

Spott für den Kaiser und antideutsche Stimmung in Australien

Insgesamt waren zwischen 1788 und 1900 über 1 Millionen Menschen nach Australien gekommen. Die große Mehrheit von ihnen kam von den Britischen Inseln. Die anderen Europäer zusammen machten nicht mehr als etwa zehn Prozent der neuen Siedler aus.

Im Jahr 1900 stellten die Deutschen von diesen „anderen Europäern“ die größte Einwanderergruppe und im Jahr 1914 sollen etwa 100.000 Deutschstämmige in Australien gelebt haben. Zu diesem Zeitpunkt betrug die Gesamtbevölkerung Australiens etwa fünf Millionen Menschen.

Das respektvolle Miteinander zwischen der Mehrheit aus Australiern, die aus England, Irland und Schottland nach Australien gekommen waren und der deutschen Minderheit endete mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges.

Australier deutschstämmiger Herkunft wurden zu Feinden (enemy aliens) erklärt und deutsche Schulen und Vereine geschlossen.

Australische Zeitung Adelaide

Australische Zeitung, Titel der letzten Ausgabe vom 15. März 1916; Quelle: National Library of Australia, trove.nla.gov.au

Verbannung der deutschen Sprache

Die deutsche Sprache wurde aus dem Unterricht staatlicher Schulen verbannt und auch die Australische Zeitung in Adelaide musste ihr Erscheinen mit ihrer letzten Ausgabe vom 15. März 1916 einstellen.

Das hatte der australische Minister für Landesverteidigung per Dekret beschlossen:

An unsere Leser!

„Befehl nach Paragraph 28 B der Kriegs-Vorsichtsmaßregeln 1915.

Da es nach meinem Dafürhalten im Interesse der öffentlichen Sicherheit und der Verteidigung der Commonwealth notwendig ist, die Veröffentlichung des als „Australische Zeitung“ bekannten Blattes zu verbieten, die oder ein Teil von welcher, in der deutschen Sprache gedruckt und die in Adelaide von Basedow, Eimer & Co. herausgegeben wird:
Verbiete ich, George Foster Pearce, Minister für Landesverteidigung hiermit die Veröffentlichung der genannten Zeitung nach dem kommenden 15. März, solange solche oder ein wesentlicher Teil derselben in der deutschen Sprache gedruckt wird.

Datiert, diesen elften Tag des Februar 1916.
Gezeichnet: G. F. Pearce,
Minister für Landesverteidigung.

An Herren Basedow, Eimer & Co.,
Office der „Australischen Zeitung“,
Adelaide, Südauftralien.“

Obiger Befehl spricht für sich selbst, und nehmen wir also mit tiefstem Bedauern hiermit Abschied von unseren Lesern. Gebe Gott, daß der Friede bald kommen möge, wann wir hoffen, allen Abonnenten ihre Zeitung wieder zustellen zu dürfen.
Basedow, Eimer & Co.

Australische Zeitung Adelaide

Australische Zeitung, Artikel „An unsere Leser“, letzte Ausgabe vom 15. März 1916; Quelle: National Library of Australia, trove.nla.gov.au

Wirtschaftsleben

Viele australische Unternehmen ohne deutsche oder deutschstämmige Beteiligung nutzen die Gunst der Stunde, ihre unliebsamen Konkurrenten zu diffamieren oder anzuschwärzen. Das ging durch alle Industriezweige.

Eine Branche, die traditionell viele Deutsche beschäftigt, ist das Brauereiwesen und so bewarb das Unternehmen Tucker & Co. in Sydney sein Foster’s Lager gegen die Konkurrenz mit folgender Anzeige:

Fosters advertisement 1915

Anzeige Foster’s Lagerbier in The Mirror of Australia, Sydney, So 17. Okt. 1915, S. 8; Advertising; Quelle: National Library of Australia; trove.nla.gov.au

Ortsbezeichnungen

Auch deutsche Ortsbezeichnungen wurden vielfach ersetzt. Insgesamt gab es während des Ersten Weltkrieges über 80 Umbenennungen. So erhielt der vielleicht bekannteste „deutsche“ Ort Hahndorf in Südaustralien den Namen Ambleside, den der bis in das Jahr 1935 trug, bevor er den alten Namen zurückerhielt.

Spottgedichte

Vor diesem Hintergrund änderte sich auch der Ton in den australischen Medien gegenüber dem Deutschen Reich, vor allem die Boulevardzeitungen schossen sich auf Kaiser Wilhelm II. ein und „The German Emperor“ oder „Emperor William of Germany“ erhielt stattdessen jetzt immer öfter den Spottnamen „Kaiser Bill“ (Billy ist eine Form von William, also Wilhelm). Ein Spitzname, der sich auch in anderen englischsprachigen Ländern immer größerer Beliebtheit erfreute.

Karikaturen von und Spottgedichte über „Kaiser Bill“ wurden vielfach abgedruckt und viele Zeitungen ermunterten auch ihre Leser, Spottgedichte einzusenden.

Hier ein Auszug aus dem Spottgedicht, das die Titelabbildung begleitete:


He’s posed indeed in manner grand,
And threatened Europe day by day,
He is a sort of firebrand
That must be squashed and brushed away:
The German nation is all right,
They’ve men just like the rest of us,
And with them we don’t want to fight
With cannon, gun, or blunderbuss;
It’s Kaiser Bill, as here you see,
Who’s causing all the gory strife,
And makes enlist both you and me,
And leave our kiddies and our wife.

Aus: Truth, Perth, 5. September 1914

Das Boulevardblatt Truth war der westaustralische Ableger einer auch in Sydney, Melbourne und Adelaide veröffentlichten Zeitung und erschien 1903 bis 1931.

Normalisierung der Beziehungen

Nach dem Ersten Weltkrieg sollte es lange dauern, bis die Vorbehalte gegen Deutsche und Deutschland wieder abgebaut wurden. Erst Mitte der 1920er Jahre hatte sich das Verhältnis zwischen Deutschen und Australiern normalisiert.

Die Rückbenennung ursprünglich deutscher Ortsnamen nahm mehr Zeit in Anspruch. Hahndorf hatte seinen Namen 1935 zurückerhalten. Bei einigen anderen allerdings dauerte die Wiederbenennung bis in die 1970er oder gar 1980er Jahre.

Kalimas Surabaya, ca. 1913

Auf Weltreise mit dem Dampfschiff „Fürth“

In Surabaya (Java)

Titelbild: Soerabaya, Neuer Krahn am Kalimas, Ansichtskarte, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Aufnahme undatiert, Karte ungelaufen, veröffentlicht 1913; eigene Sammlung

Ankunft zur See. Mit Dampfer der Koninklijke Paketvaart Mij. von Batavia dampft man, wenn im SO. der weiße Leuchtturm von Soerabaja in Sicht und der Lotse an Bord, durch das schwierige und sehr seichte Fahrwasser der Madoera-Straße, r. Java, l. die gebirgige, von den unzuverlässigen Maduresen bewohnte, mit üppigem Grün bewachsene Insel Madoera, vorbei an vielen ins Wasser hineingebauten Fischerdörfern, vor denen zahllose Fischerprauen segeln oder treiben, auf die mit Dampfern und Seglern meist dichtgefüllte Reede von Soerabaja, wo der Dampfer bei dem weißen Wachtschiff ankert, dicht beim Landungsplatz Oedjong, an der Mündung des Flusses Kalimas, beim Wilhelminatoren. Man landet im Tambangan (Ruderboot, wie Sampan) für ½ Fl. beim Zollamt (kleine Boom), wo stets, auch wenn man von Batavia kommt, Zolluntersuchung stattfindet; Einfuhr von Schußwaffen ist nur mit Erlaubnis (S. 195) gestattet. Viel Gepäck lasse man mit dem Boot zum Gasthof schaffen; sonst nehme man beim Zollamt einen Wagen.“

So beschreiben Meyers Reisebücher im Jahr 1912 die Ankunft mit dem Dampfschiff in Soerabaja.
Meyers Weltreisen, Erster Teil Indien, China und Japan; abgerufen über books.google.fr

Reede Surabaya, ca. 1900-1910

Surabaya, Blick auf die Reede vom Wilhelminaturm; ohne Jahresangabe; Quelle: Tropenmuseum, part of the National Museum of World Cultures über commons.wikimedia.org

Surabaya und Batavia

Auch die Frachtdampfer der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) liefen auf Java neben Batavia regelmäßig Surabaya (niederländisch Soerabaja) an. Das Dampfschiff „Fürth“ legte zwischen 1907-1914 insgesamt neun Mal in Surabaya an.

Während sich das Verwaltungszentrum der niederländischen Kolonie Niederländisch-Indien in Batavia befand, war Surabaya zumindest bis um das Jahr 1900 herum, das bedeutendere wirtschaftliche Zentrum und auch von beiden die größere Stadt. Dafür gab es verschiedene Gründe.

Java map railway connections 1893

Karte der Insel Java mit den 1893 bestehenden und geplanten Bahnlinien, Lage von Batavia (linker schwarzer Punkt) und Soerabaja (rechter schwarzer Punkt) von mir ergänzt; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:JavaMapRail_1893.jpg

Großer Naturhafen

Surabaya verfügt über eine großen Naturhafen, der durch die vorgelagerte Insel Madura (Madoera) gut geschützt ist.

Batavia hingegen verfügte nur über eine vorgelagerte Reede, die dem Westmonsun schutzlos ausgesetzt war. Überseedampfer konnten in Batavia nicht an einem Kai anlegen. Das änderte sich erst Ende des 19. Jahrhunderts durch die Anlage des Hafens Tandjong Priok mit seinen geschützten Kaianlagen.

Anmerkung: Neue Hafenanlagen, die 1910 fertiggestellt wurden, verbesserten die Infrastruktur in Surabaya 1910 erheblich.

Madoera map 1909

Die Hafenstadt Soerabaya an der Mündung des Kali Mas in Ostjava und die vorgelagerte Insel Madoera, aus Atlas Sekolah Hindia Belanda, 1909; Quelle: commons.wikimedia.org

Der Fluss Kalimas

Ein weiterer Vorteil Surabayas war die Lage am Fluss Kalimas, der ein ausgedehntes Hinterland mit dem Seehafen verband und mit Pirogen (Prauen/ndl. prauwen) befahren werden konnte. Batavia hingegen verfügte über keine schiffbare Verbindung zu seinem Umland.

Eisenbahnverbindungen bestanden in Soerabaya seit 1878; in den 1890er Jahren gab es dann eine Linie bis Batavia.

Surabaya um 1910

Soerabaya, Entlöschung von Prauwen, Ansichtskarte, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Aufnahme undatiert, Karte ungelaufen, veröffentlicht 1913; eigene Sammlung

Größte Stadt Javas

Infolgedessen hatte Surabaya bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts mehr Einwohner als Batavia:

Im Jahr 1890 lebten in Surabaya knapp 118.000 Menschen, in Batavia hingegen etwa 105.000. Um 1900 war die Zahl in Surabaya auf 147.000 angewachsen und in Batavia auf 116.000. Unter den Einwohnern Surabayas waren um 1900 etwa 10.000 Europäer.

Im Jahr 1920 hatte sich das Bild verändert. Jetzt bevölkerten rund 253.000 Menschen Batavia. Surabaya hingegen war „nur“ auf 192.000 Bewohner angewachsen.

Wenn wir die aktuellen Zahlen um das Jahr 2020 zum Vergleich heranziehen, wird die Bevölkerungsexplosion deutlich, die die beschaulichen Städte von damals in riesige Metropolen verwandelt hat.

Heute wird Surabaya je nach Quelle mit um die 3 Mio. Einwohnern angegeben, der Ballungsraum mit 5,6 Mio. Menschen.

In Jakarta, wie Batavia seit der Übergabe der Niederländer an die japanischen Besatzungstruppen im Jahr 1942 heißt, sind die Zahlen noch dramatischer: 9,8 Millionen Stadtbewohner und über 30. Mio. in der Metropolregion.

Wie die Bevölkerungszahl dort wohl in weiteren hundert Jahren aussehen wird?

Anmerkung: Der vollständige japanische Name war Jakarta Tokubetsu Shi (Jakarta Special Municipality). Der Name Batavia wiederum war 1621 nach der Übernahme des Gebietes durch die niederländische Ostindien-Kompanie V.O.C. (Vereenigde Oostindische Compagnie) entstanden.

Surabaya vor 1912

Plan von Soerabaja aus Meyers Weltreisen 1912, Erster Teil Indien, China und Japan; abgerufen über books.google.fr

Stadtentwicklung

Die Stadtentwicklung Surabayas verlief entlang des Süd-Nord verlaufenden Flusses Kalimas. Um das Zentrum in der Bildmitte herum sind noch Reste der Festungsanlagen erkennbar. Diese waren Ende des 19. Jahrhunderts stark zurückgebaut worden, um der Stadtentwicklung Platz zu machen.

Die Stadt war nach dem Ursprung ihrer Bewohner in Stadtviertel aufgeteilt: es gab ein niederländisches (europäisches) Viertel sowie ein chinesisches, ein malaiisches und ein arabisches Viertel (Kampongs). Durch weiteren Zustrom von Europäern und dem Entstehen einer einheimischen Oberschicht vermischten sich diese Viertel ab etwa 1900 jedoch zunehmend.

Export

Wichtige Exportgüter Surabayas waren Reis, Zucker, Kopra und Kaffee, wobei die Bedeutung des Kaffees im 19. Jahrhundert bereits zugunsten des Zuckers zurückging. 1850 sollen 24 % der Bevölkerung Ostjavas im Zuckeranbau tätig gewesen sein.

Ende des 19. Jahrhunderts gewann die Erdnuss stark an Bedeutung.

Concordia Sociëteit Surabaya

Der Concordia Club, Soerabaya, um 1865; CollectieStichting Nationaal Museum van Wereldculturen über commons.wikimedia.org

Clubs – Treffpunkte der europäischen Oberschicht

Clubs waren für die europäische Oberschicht zunächst die einzigen Orte, die Geselligkeit und Unterhaltung boten. Dabei verfügten die jeweiligen sozialen Gesellschaftsschichten über ihren eigenen Club (sociëteit). Concordia war in Surabaya der Club der Offiziere und Modderlust das Kasino der Marine.

Seit 1850 bestand ein Club für die zivile wirtschaftliche Oberschicht, der Simpang Club. Mitglieder zahlten einen Monatsbeitrag von 100 Gulden und bei Besuch einen Eintritt von 25 Gulden.

Beliebte Veranstaltungen waren Musikdarbietungen, Theateraufführungen, Maskenbälle oder Tanzabende. Höhepunkte waren Aufführungen bekannter Künstler, die auf Tourneereisen in den Clubs auftraten. Auch die zu dieser Zeit beliebten gesellschaftlichen Picknicks durften nicht fehlen. Die Bars in den Clubs waren gut sortiert und essen konnte man in den Clubs natürlich ebenfalls.

Mit der Entwicklung der Kolonie nahm für die Clubs die Konkurrenz zu: Kinos, Hotels und Sportvereine boten später ebenfalls Unterhaltung und Abwechslung. In Surabaya war Grimm & Co. bekanntes Restaurant, Konditorei und Tanzsaal. Die Eröffnung war 1888.

Für die einige hundert Personen umfassende Gruppe von Deutschen hatte sich 1902 ein Deutscher Verein gegründet. Meyers Reiseführer schreibt dazu::

Vereine: Simpangsche Sociëteit (Club) und Concordia, beide international; Deutscher Verein (eignes Haus in Genteng, deutschen Reisenden sehr zu empfehlen).

Simpang Surabaya

Sociëteit Simpang, Soerabaja, zwischen 1900 – 1940; Collectie Stichting Nationaal Museum van Wereldculturen über commons.wikimedia.org

Kein Reiseziel

Reisenden, die nicht geschäftlich nach Surabaya kamen, macht Meyers wenig Hoffnung:

Für Vergnügungsreisende gibt es in Soerabaja nichts.

Auch sonst kann Meyers Reiseführer in Surabaya nicht viel Sehenswertes ausmachen:

Am schönsten ist das Stadtviertel Simpang mit dem *Simpang- und Scheepsmakerspark und schönen Villen, darunter das Haus des Residenten.

Anmerkung: Resident war in Niederländisch-Indien ein Verwaltungstitel, ähnlich einem Gouverneur.

Auch heute ist Surabaya weitaus mehr ein pulsierendes Wirtschaftszentrum denn ein touristisches Ziel, gleich wenn die Stadt sich als grünste und sauberste Stadt Indonesiens bezeichnet.

Seit 2009 verbindet die 5,4 Kilometer lange Suramadu-Brücke (Jembatan Suramadu) Surabaya mit der Insel Madura. Um die Entwicklung der wirtschaftlich schwachen Insel Madura zu fördern ist die Benutzung der Brücke seit 2018 mautfrei.

Falls Sie mal nach Surabaya kommen sollten: Über eine Ansichtskarte freue ich mich immer!

Wilhelminatoren Soerabaja

Surabaya, Wilhelmina-Turm am Hafen aus dem Jahr 1898, Ansichtskarte, ohne Datum, zwischen 1898-1935; Leiden University Library, Royal Netherlands Institue of Southeast Asian and Caribbean Studies über commons.wikimedia.org

Quellen/weitere Informationen:

Surabaya in the 19th Century and on to Independence; Joshua Ramon Enslin, https://www.jrenslin.de/post/47; abgerufen am 15. Juni 2022

Virtueel Indië; Stichting Pelita; http://www.virtueelindie.nl/index.php

HIrsch Kupfer- und Messingwerke (HKM) Halberstadt

Der „Fall Snow“ und die Firma Hirsch in Halberstadt

Handel mit dem Feind

Titelbilld: Verkaufsprospekt für die Kapitalerhöhung der Hirsch Kupfer- und Messingwerke (HKM) in der Berliner Börsenzeitung vom 7. Oktober 1911; Quelle europeana.eu

Halberstadt und Fürth

Wussten Sie schon, was Halberstadt und die Stadt Fürth, Namenspatin des Dampfschiffes „Fürth“ gemein haben?

Beide Städte verfügen über ein reiches jüdisches Erbe und in beiden Städten hinterließen wohlhabende jüdische Bürger eindrucksvolle Stiftungen, die zum Teil noch heute ihren Einwohnern zugutekommen.

Diese Gemeinsamkeit wurde im Jahr 2011 durch eine gemeinsame „Bewerbung für die Tentativliste der UNESCO Welterbekonvention“ unter dem Titel „Jüdisches Stiftungswesen als Beitrag zur Entwicklung des modernen Sozialstaates“ zum Ausdruck gebracht.

Darin heißt es: „Die seriellen Komponenten in Fürth und Halberstadt repräsentieren die Vielfalt der materiellen Zeugnisse jüdischen Wohlfahrtswesen in zwei städtischen jüdischen Gemeinden. Die erhaltenen Stiftungsgebäude reflektieren dabei die Breite der Wohlfahrtsleistungen, die Aspekte der sozialen Fürsorge, medizinischen Versorgung und Bildung aufnahmen und damit das Spektrum der späteren Grundleistungen des modernen Sozialstaates vorwegnehmen.“
Quelle: www.moses-mendelssohn-akaedemie.de

Halberstadt cathedral about 1890

Halberstadt, der Dom; Fotochromdruck der Fa. Photoglob in Zürich, 1890, Quelle: Library of Congress, https://www.loc.gov/resource/ppmsca.52560/

Aron Hirsch

Einer dieser jüdischen Stifter in Halberstadt war der Metallindustrielle Aron Hirsch. Das Familienunternehmen Hirsch & Sohn war ein bedeutender Metallhändler und über zahlreiche Beteiligungen auch in der Metallproduktion tätig. Geschäftsbeziehungen bestanden nach ganz Europa, aber auch nach Mittel- und Südamerika, Asien und Australien.

Im Jahr 1906 wurde aus der offenen Handelsgesellschaft Hirsch & Sohn die Hirsch Kupfer- und Messingwerke Aktiengesellschaft zu Halberstadt (HKM). Die Gesellschaft hatte ein Stammkapital von 7 Millionen Mark. Sie betrieb als Zweigstellen ein Messingwerk bei Eberswalde und ein Kupferwerk in Ilsenburg am Harz.

Das Kapital der Aktiengesellschaft blieb mit großer Mehrheit bei Aron Hirsch & Sohn (6.996.000 Mark). Geschäftsführer waren die Kaufleute Aron Hirsch und Dr. Phil. Abraham Hirsch sowie Fabrikdirektor Max Hesse, der das Messingwerk bei Eberswalde leitete.
Quelle: Berliner Börsenzeitung vom 23. August 1906; Staatsbibliothek zu Berlin über europeana.eu

Über die Tätigkeit des Unternehmens sagt der im Titelbild dieses Beitrages abgebildete Verkaufsprospekt bei der Erhöhung des Grundkapitals im Jahr 1911:

Die Gesellschaft befasst sich mit der Weiterverarbeitung und Verfeinerung von Metallen, insbesondere Kupfer und Zink in den verschiedensten Legierungen und verschiedenen anderen Metallen durch Walzen, Pressen, Stanzen und Ziehen zu mannigfachen Zwecken, namentlich auch für den Eisenbahn-, Schiffbau und militärische Zwecke.

Die beiden Werke der Gesellschaft beschäftigten im Jahr 1911 „etwa 1550 Beamte und Arbeiter“.

Dem florierenden Unternehmen wurde jedoch durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges der Rohstoffnachschub abgeschnitten. Eine dieser Rohstoffquellen war Australien.

Messingwerk Finow (HKM)

Messingwerk bei Eberswalde am Finowkanal mit Hafenbecken und Wasserturm, der 1918 fertiggestellt wurde; historische Ansichtskarte; commons.wikimedia.org; Heegermuehle-messingwerk-lu.jpg; Lizenz: CC BY-SA 3.0

Hirsch & Sohn in Australien

Hirsch & Sohn hatte sich in Australien eine solide Geschäftsbasis aufgebaut. Das Unternehmen besaß Anteile an den beiden australischen Metallgesellschaften Australian Electrolytic Smelting & Refining Company und an der Mount Morgan Gold Mining Co. Ltd.

An letzterer hatte sich 1882 übrigens auch William Knox D’Arcy beteiligt. Siehe dazu den Beitrag Die Ursprünge der bp Gruppe (British Petroleum).

Des Weiteren bestand eine Geschäftsbeziehung mit dem Unternehmen Francis H. Snow in Adelaide, der für Hirsch & Sohn als Agent arbeitete und die Verschiffung von Erzen und Konzentraten organisierte.

An dieser Stelle kommt die Deutsch-Australische Dampfschiffahrts-Gesellschaft (DADG) ins Spiel. Erze und Konzentrate waren eine regelmäßige Fracht auf den Heimfahrten der Reederei von Australien.

Ein schönes Beispiel eines Erztransports nach Europa ist folgende Zeitungsnotiz über die Fahrt des Dampfschiffes „Australia“ von Port Pirie (Südaustralien) nach Hamburg über Antwerpen:

April 22.—Australia, str., 4686, J. Hellerich, for Antwerp via Durban, with 2003 tons zinc concentrates, shipped; by F. H. Snow; 4011 tons ore, shipped by Australian Metal Co., and 4633 tons do., shipped, by Elder, Smith & Co., total 10,647 tons. Elder, Smith & Co., agents.
Port Pirie Recorder and North Western Mail, Fr 24. 
Apr 1914, S. 2, SAILED.

Die 2003 Tonnen Zinkkonzentrate, die F. H. Snow verschiffte, waren für Hirsch & Sohn bestimmt.

Port Pirie, Australia

Die „Australia“ in Port Pirie, eigene Montage aus zwei Fotos aus der State Library of South Australia, Referenznummer B9524/2 und B9524/3

Metallhandel in deutscher Hand

Wie groß die Bedeutung deutscher Unternehmen im weltweiten Metallhandels zu diesem Zeitpunkt war, zeigt sich, wenn man sich auch die anderen beiden Verschiffer ansieht:

4011 Tonnen Erz im Namen der Australia Metal Co.

Die Australian Metal Company war eine Tochtergesellschaft der Metallgesellschaft in Frankfurt am Main, Inhaber Wilhelm Merton. Siehe dazu den Artikel: Die Erze an Bord der „Fürth“ …

Das Unternehmen Elder, Smith & Co., das 4633 Tonnen Erze mit der „Australia“ nach Antwerpen verschiffte, war wiederum der Agent des dritten großen deutschen Metallhändlers, der Firma Beer, Sondheimer & Co. mit Sitz ebenfalls in Frankfurt am Main.

Bleiben wir für heute bei Hirsch & Sohn und seinem Geschäftspartner Snow.

Hampden Smelters Qld.

Erze werden mit Bahnwaggons einer Eisenhütte angeliefert, um 1912, Hampden Smelters, Queensland, Australia, Quelle: State Library of Queensland

Francis Hugh Snow

Francis Hugh Snow wurde 1854 in Yorkshire (England) geboren und ging als junger Mann nach Australien wo er zu nächst als Handelsagent arbeitete.

Später spezialisierte er sich als Metallbroker und wurde ein bedeutender Händler. Snow war verheiratet und hatte vier Söhne.

Iron Monarch Whyalla 1919

Minenarbeiter beim Erzabbau, 1919, Iron Monarch, Whyalla, South Australia, State Library of South Australia, Ref. B62487; https://collections.slsa.sa.gov.au/resource/B+62487

Gestörte Geschäftsbeziehung

Die internationale Geschäftsbeziehung von Hirsch & Sohn mit Francis H. Snow fiel nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges noch im August unter den Bann des Commonwealth, die Handelsbeziehungen mit dem Feind unter Strafe gestellt hatte.

Trading with the Enemy

Commonwealth Proclamation, Trading with the Enemy, The Daily News, Perth vom 25. August 1914; trove.nla.gov.au

Das stellte Unternehmen wie Francis H. Snow, die über viele Jahre eng mit den deutschen Geschäftspartnern zusammengearbeitet hatten, natürlich vor große Probleme.

Der Staat hatte plötzlich ein scharfes Auge darauf, welche Firmen noch mit dem Feind kommunizierten.

Verlässlicher Partner der Regierung waren die australischen Tageszeitungen, die sich auf die vermutlichen Fälle stürzten und in großer Breite darüber Bericht erstatteten. Mit Kriegsbeginn war in Australien eine breite antideutsche Kampagne gestartet worden.

So kam das Unternehmen Snow als Agent eines deutschen Großunternehmens auf die Anklagebank.

Weiters überrascht es nicht, dass dies sehr zügig geschah, nämlich bereits im November 1914:

alleged trading with the enemy 1914

Vermeintlicher Handel mit dem Feind; Observer, Adelaide, 28. November 1914; trove.nla.gov.au

Vor Prozessbeginn hatte die Staatsanwaltschaft Snows Büros durchsucht und zahlreiche Unterlagen sichergestellt.

Der Prozess gegen Francis H. Snow

Der Prozess gegen Snow dauerte von November 1914 bis Februar 1915.

Während des Prozesses verfolgte die Presse sehr genau den Prozessverlauf und berichtete nach jeder Sitzung des Gerichts. Die Details würden viele Seiten füllen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Firma Snow nach Kriegsbeginn versuchte, die Lieferungen über Drittstaaten abzuwickeln, wie zum Beispiel über Geschäftspartner in New York oder Rotterdam.

Auf Dokumente angesprochen, die einen direkten Kontakt mit Hirsch & Sohn belegten, äußerte sich Snow nicht, sondern gab an, nichts davon zu wissen. Er wird zitiert mit Aussagen wie “I know nothing about“ oder “I must admit I know nothing of that”.

Ende Januar 1915, als sich die Beweislage gegen Snow mehr und mehr verdichtete, ordnete das Gericht Hausarrest gegen Snow an und ließ eine Militärwache vor seinem Haus postieren.

Am 11. Februar wurde Snow wegen versuchten Handels mit dem Feind schuldig gesprochen. Snow wurde gegen eine Sicherheitsleistung von 1000 £ von einer Haftstrafe verschont. Außerdem musste er zwei Bürgschaften von je 1000 £ hinterlegen:

The Snow Case 1915

Snow Case Concluded; Observer, Adelaide, 13. Februar 1915; trove.nla.gov.au

Zu späteren Zeiten

Francis Hugh Snow starb am 5. April 1930 im Alter von 75 Jahren in einem Krankenhaus in Adelaide. Einer seiner Söhne, Wilfrid H. Snow, hat das väterliche Unternehmen in den 1920er Jahren nach Rückzug seines Vaters weitergeführt.

Francis Hugh Snow 1930

Meldung über den Tod von Francis H. Snow, News, Adelaide, Sa 5. April 1930, S. 4; Quelle: trove.nla.gov.au

Das Unternehmen Aron Hirsch & Sohn bestand bis 1929, als das Handelshaus in Zahlungsschwierigkeiten kam und mit dem Berliner Metallunternehmen Schoyer & Co. fusionieren musste. Die Industrieaktivitäten wurden von der britischen ICI-Gruppe übernommen.

Neben seiner Geschäftstätigkeit war Aron Hirsch in Halberstadt und Berlin ein großzügiger Stifter. Er starb im Februar 1942 in Wiesbaden.

Das zu HKM gehörende Kupferwerk Ilsenburg wurde 1948 auf das Walzen von Blech umgestellt und gehört heute als Ilsenburger Grobblech GmbH zum Salzgitter-Konzern.

Das Messingwerk in Eberswalde war bis 1945 in Betrieb und wurde dann von der sowjetischen Besatzungsbehörde demontiert. Ein später an gleicher Stelle stehendes Walzwerk wurde 2012 stillgelegt. Zurzeit (2022) soll dort zwischen einigen noch verbliebenen historischen Industriegebäuden neuer Wohnraum entstehen: http://www.messingwerkfinow.de

Der Traum der Städte Halberstadt und Fürth, ihr jüdisches Stiftungswesen zum UNESCO Welterbe werden zu lassen, war 2014 zu Ende. Gegen Neuschwanstein hatten sie keine Chance.

Vielleicht schafft es ja in Zukunft das Halberstädter Würstchen als immaterielles Kulturerbe anerkannt zu werden. Meine Stimme hat es.

Albany Australia about 1910

Mit dem Dampfschiff „Fürth“ in Westaustralien

Titelbild: Albany, Blick vom Mount Melville über die Stadt; Ansichtskarte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft aus dem Jahr 1913, ungelaufen, eigene Sammlung

Albany

Die kleine Hafenstadt Albany liegt ganz im Südwesten des australischen Kontinents etwa 260 Meilen (420 Kilometer) südöstlich der westaustralischen Hauptstadt Perth.

Die Siedlung war im Jahr 1826 als militärischer Außenposten gegründet worden. Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Hafen große Bedeutung, da er der einzige Tiefwasserhafen im westlichen Australien war. Über ihn liefen die Ein- und Ausfuhren zum britischen Mutterland. Der große Naturhafen wird durch die südlich gelegene Vancouver-Halbinsel gut geschützt.

“In addition it has the finest harbour in West Australia. A pier extends for 1700 ft. into the sea, giving safe accommodation to the large steamers which call the port.”
Encyclopedia Britannica, 1911 über en.wikisource.org

Albany harbour, steamships, about 1910

Dampfschiffe in Albany, ca. 1910; Quelle: State Library of Western Australia, Ref.: 016869PD

Zusätzlichen Stellenwert erlangte der Hafen nach Entdeckung der westaustralischen Goldfelder. Menschen und Material kamen über Albany ins Land.

Das Blatt begann sich 1897 mit der Eröffnung des Fremantle Inner Harbour zu wenden. Fortan entwickelte sich das in unmittelbarer Nähe zur Hauptstadt Perth gelegene Fremantle zum wichtigsten Hafen Westaustraliens und Albany verlor nach und nach seine Bedeutung.

Albany pier

Albany (Westaustralien), „Landungsbrücke v. Albani“ ca. 1891 – 1897, interessanterweise ist die Bildunterschrift in deutscher Sprache; Quelle: State Library of Victoria, ID 1890475

Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft

Der schwindende Belang Albanys spiegelte sich auch im Verkehr der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) wider. Auch wenn die Zahl statistischen Grundlagen nicht gerecht wird: Das Dampfschiff „Fürth“ legte von 1907-1914 insgesamt zehnmal in Fremantle an, für Albany sind nur zwei kurze Aufenthalte dokumentiert. Der erste am 13. April 1908 und der zweite am 15. Mai 1913. Vermutlich dienten beide Zwischenstopps nur zur Aufnahme von Bunkerkohlen und nicht zum Be- oder Entladen.

Albany Australia about 1905

Albany, Straße zur Pier, Aufnahme aus dem Jahr 1905; Quelle: State Library of Western Australia, Ref.: 025825PD

1901 lebten in Albany gerade einmal 3650 Menschen. Wegen des moderaten und gesunden Klimas war Albany bekannt für seine Gesundheitseinrichtungen (health resorts).

Der Hafen von Albany behielt für seine Ausfuhr von landwirtschaftlichen Produkten (Getreide) und Holz eine gewisse Bedeutung.

In den 1950er Jahren entwickelte sich Albany zu einem wichtigen Ausgangspunkt für den Walfang. Die Walfangstation schloss 1978 wieder ihre Tore.

Heute hat Albany etwa 30 000 bis 35 000 Einwohner. Die Stadt verfügt über zahlreiche historische Gebäude und ist bei Touristen ein beliebter Ausgangspunkt für die Erkundung der Umgebung. Außerdem verfügt die Region über zahlreiche attraktive und naturbelassene Strände.

Persic in Albany about 1910

Dampfschiff „Persic“ kommt in Albany an, Aufnahme ca. 1910; Quelle: State Library of Western Australia, Ref.: 016876PD

„Persic“ (Baujahr 1899) war ein Dampfschiff der White Star Line. Die Reederei betrieb in den Jahren 1899 – 1934 einen Linienverkehr von Liverpool nach Sydney. Das bekannteste Schiff der Reederei war zweifelsohne die „Titanic“.

Suevic, White Star Line, 1900-1910

Albany, Pier mit Dampfschiff „Suevic“ (White Star Line), um 1910; Quelle: State Library of Western Australia, Ref.: 015319PD

Der Fotograf in Albany hatte offenbar ein Faible für die White Star Line. Zahlreiche Dampfer dieser Linie lichtete er ab, leider jedoch kein DADG-Schiff. Zumindest wurde ich nicht fündig. Schade drum!

Albany map 1905

Stadtplan von Albany, 1905; Quelle: State Library of Western Australia, Ref. slwa_b3089277_1; zur Orientierung: die Pier ragt in der unteren Bildmitte nach unten ins Meer