Archiv der Kategorie: Fracht

Rockhampton Queensland about 1913

Gruß aus Rockhampton

In Queensland/Australien

Die Stadt Rockhampton in Queensland gehörte zu den weniger häufig angefahrenen Fahrtzielen der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG).

In den regelmäßigen Fahrplan wurde Rockhampton erst nach 1910 mit zweimonatlichen, später vierwöchentlichen Abfahrten aufgenommen.

Praktischerweise waren es die Dampfer der Linie 4, die von Sydney aus kommend, über Brisbane die gesamte Ostküste Australiens entlangfuhren, die in Rockhampton Halt machten. Anschließend setzten die Frachtdampfer ihre Küstenfahrt fort, um dann durch die Torres-Straße nördlich um Australien herum nach Makassar in Niederländisch-Indien weiterzureisen.

Weiterer Anlaufpunkt der Reederei an der Küste Queenslands war Townsville, bei Bedarf wurde auch das noch nördlichere Cairns bedient. 1913 startete die Reederei einen Versuch, auch die kleineren Hafenstädte Mackay und Bowen mit in den Linienverkehr einzubeziehen.

German Line for Port Alma 1911

German Line for Port Alma, Artikel in Morning Bulletin, Rockhampton vom 21. Oktober 1911; Quelle: trove.nla.gov.au

Der Hafen Port Alma

Die Stadt Rockhampton liegt nicht direkt am Meer, sondern am Fitzroy-River etwa 40 Kilometer landeinwärts.

Die Frachtdampfer der DADG legten deshalb im Hafen Port Alma am Delta des Fitzroy Rivers an, der sich etwa 60 Straßenkilometer südöstlich vom Stadtzentrum befindet.

Der Frachthafen verfügte seit 1912 über einen Eisenbahnanschluss, um den Gütertransport nach Rockhampton zu erleichtern.

Außerdem wird in Port Alma bis heute Meersalz gewonnen.

steamship Roscommon in Port Alma, 1912

Kühlschiff „Roscommon“ am Anleger in Port Alma, Rockhampton (Queensland/Australien), Aufnahme undatiert, ca. 1912-1917; Quelle: State Library Queensland über wikimedia; https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Roscommon_(ship,_1902), public domain

Die Stadt Rockhampton

Rockhampton wurde ab 1853 von Briten besiedelt und zählt zu den ältesten Städten im nördlichen Australien.

Einen steilen Aufschwung nahm die Stadt durch die Goldfunde bei Mount Morgan in den 1880er Jahren.

Der in Rockhampton lebende Rechtsanwalt William Knox D’Arcy hatte eine Beteiligung an der Mount Morgan Goldmining Corporation erworben und war dadurch sehr reich geworden. Siehe dazu den Artikel: Die Ursprünge der bp Gruppe (British Petroleum).

Fleisch und Fleischextrakt

Wichtigster Wirtschaftszweig in Rockhampton selbst war die Fleischverarbeitung. Das Umland bot ideale Weideflächen und in der Stadt hatten sich zwei große Schlachtbetriebe angesiedelt.

Fleisch und Fleischprodukte wurden in Dosen, gekühlt oder tiefgefroren für den australischen Markt und den Export produziert.

Auch der damals beliebte Liebigs Fleischextrakt wurde in Rockhampton hergestellt. Hierbei handelte es sich jedoch nicht um das Original. Der Name Liebig’s war zuvor von einem britischen Gericht als generisch eingestuft worden und konnte seitdem auch von anderen Herstellern, wie im vorliegenden Fall von der Central Queensland Meat Export Co. Ltd. in Rockhampton verwendet werden.

Liebig's extractum carnis

Liebigs Fleischextrakt, Central Queensland Meat Export Co. Ltd. Rockhampton, Banderole, ohne Jahresangabe, Quelle: State Library of Queensland, Negativnummer 190792, public domain

Die folgende Aufnahme zeigt das Unternehmen Central Queensland Meat Export Company zur Zeit der großen Überschwemmungen im Januar/Februar 1918.

Rockhampton floods 1918

Central Queensland Meat Export Company, Rockhampton, Hochwasser 1918; Quelle: State Library of Queensland, https://collections.slq.qld.gov.au/viewer/IE60559, public domain

Einen detailreichen Einblick in die Produktion von Konservendosen gibt dieses Bild.

tinmaking department lakes creek queensland 1913

Herstellung von Konservendosen, Central Queensland Meat Preserving Company, Lakes Creek, Queensland, 1913; Quelle: State Library of Queensland, public domain

Die Fitzroy-Brücke

Die Fitzroy-Brücke in Rockhampton wurde ab 1877 gebaut und 1881 fertiggestellt. Die Hängebrücke über den Fitzroy River war die erste Brücke Rockhamptons. Geplant wurde sie von Frederick Byerley. Zuvor musste der Fluss mit einer Dampffähre überquert werden.

Die Brücke hatte eine neogotische Anmutung, wozu vor allem die mit Zinnen verzierten Türmchen der Brückenpfeiler beitrugen.

Fitzroy bridge 1918

Rockhampton, Fitzroy-Brücke mit Schaulustigen, Hochwasser Januar/Februar 1918; Quelle: State Library Queensland über wikimedia; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:StateLibQld_1_72091_Fitzroy_Bridge,_Rockhampton,_1918.jpg; public domain

Im Jahr 1918 überstand die Fitzroy-Brücke nicht nur die Rekordüberschwemmung, von der zahlreiche Fotodokumente existieren, sondern auch das stärkste Erdbeben, dass seit der europäischen Besiedelung in Queensland registriert wurde (Great Queensland Earthquake of 1918).

Nach über 75 Jahren musste die 336,5 Meter lange Brücke einer Neukonstruktion Platz machen. Sie wurde im Januar 1956 abgerissen.

Glücklicherweise existieren zahlreich historische Aufnahmen, die an das bemerkenswerte Bauwerk erinnern.

fitzroy bridge rockhampton

Rockhampton, Pferdewagen auf der Fitzroy-Brücke bei Hochwasser, um 1910; State Library of Queensland, Negativnummer 24769; https://collections.slq.qld.gov.au/viewer/IE325901

Rockhampton – Weitere historische Aufnahmen

Zum Abschluss des heutigen Artikels noch zwei ganz unterschiedliche Abbildungen Rockhamptons, das 1901 gerade einmal gut 15.000 Einwohner hatte. Bis heute ist die Stadt mit ihren 80.000 Bewohnern recht übersichtlich geblieben.

Das erste Foto zeigt die 1895 errichtete Post. Das imposante Gebäude zeugt vom Reichtum der Stadt nach den Goldfunden bei Mount Morgan. Es besticht durch seine schönen Kolonnaden und den zentralen Uhrturm. Es existiert noch heute, wenn auch nicht mehr als Postamt.

post office rockhampton 1895

Rockhampton, Post, ca. 1895; Fotograf Jens Hansen Lundager (1853-1930); Quelle: State Library Queensland über wikimedia; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:StateLibQld_2_237154_Rockhampton_Post_Office,_ca._1895.jpg

Die zweite Abbildung zeigt Kunden, Angestellte und Produkte in einem Warenhaus. Die Angestellten mit ihren Schürzen und die gut gekleideten Kundinnen legen den Schluss nahe, dass sich in dem eleganten Geschäft das gut gestellte Bürgertum mit Waren eindeckte. Der lange Tresen bot reichlich Platz, seine Einkäufe in aller Ruhe zusammenzustellen. Und wenn die Kundinnen eine Pause brauchten, standen auch Stühle an der Theke für eine kurze Rast zur Verfügung.

Wo gibt es heute noch ein solch formidables Einkaufserlebnis?

rockhampton store interior about 1910

Rockhampton, Warenhaus um 1910-1920, Quelle: State Library of Queensland, Referenz: 21251688730002061, public domain

HIrsch Kupfer- und Messingwerke (HKM) Halberstadt

Der „Fall Snow“ und die Firma Hirsch in Halberstadt

Handel mit dem Feind

Titelbilld: Verkaufsprospekt für die Kapitalerhöhung der Hirsch Kupfer- und Messingwerke (HKM) in der Berliner Börsenzeitung vom 7. Oktober 1911; Quelle europeana.eu

Halberstadt und Fürth

Wussten Sie schon, was Halberstadt und die Stadt Fürth, Namenspatin des Dampfschiffes „Fürth“ gemein haben?

Beide Städte verfügen über ein reiches jüdisches Erbe und in beiden Städten hinterließen wohlhabende jüdische Bürger eindrucksvolle Stiftungen, die zum Teil noch heute ihren Einwohnern zugutekommen.

Diese Gemeinsamkeit wurde im Jahr 2011 durch eine gemeinsame „Bewerbung für die Tentativliste der UNESCO Welterbekonvention“ unter dem Titel „Jüdisches Stiftungswesen als Beitrag zur Entwicklung des modernen Sozialstaates“ zum Ausdruck gebracht.

Darin heißt es: „Die seriellen Komponenten in Fürth und Halberstadt repräsentieren die Vielfalt der materiellen Zeugnisse jüdischen Wohlfahrtswesen in zwei städtischen jüdischen Gemeinden. Die erhaltenen Stiftungsgebäude reflektieren dabei die Breite der Wohlfahrtsleistungen, die Aspekte der sozialen Fürsorge, medizinischen Versorgung und Bildung aufnahmen und damit das Spektrum der späteren Grundleistungen des modernen Sozialstaates vorwegnehmen.“
Quelle: www.moses-mendelssohn-akaedemie.de

Halberstadt cathedral about 1890

Halberstadt, der Dom; Fotochromdruck der Fa. Photoglob in Zürich, 1890, Quelle: Library of Congress, https://www.loc.gov/resource/ppmsca.52560/

Aron Hirsch

Einer dieser jüdischen Stifter in Halberstadt war der Metallindustrielle Aron Hirsch. Das Familienunternehmen Hirsch & Sohn war ein bedeutender Metallhändler und über zahlreiche Beteiligungen auch in der Metallproduktion tätig. Geschäftsbeziehungen bestanden nach ganz Europa, aber auch nach Mittel- und Südamerika, Asien und Australien.

Im Jahr 1906 wurde aus der offenen Handelsgesellschaft Hirsch & Sohn die Hirsch Kupfer- und Messingwerke Aktiengesellschaft zu Halberstadt (HKM). Die Gesellschaft hatte ein Stammkapital von 7 Millionen Mark. Sie betrieb als Zweigstellen ein Messingwerk bei Eberswalde und ein Kupferwerk in Ilsenburg am Harz.

Das Kapital der Aktiengesellschaft blieb mit großer Mehrheit bei Aron Hirsch & Sohn (6.996.000 Mark). Geschäftsführer waren die Kaufleute Aron Hirsch und Dr. Phil. Abraham Hirsch sowie Fabrikdirektor Max Hesse, der das Messingwerk bei Eberswalde leitete.
Quelle: Berliner Börsenzeitung vom 23. August 1906; Staatsbibliothek zu Berlin über europeana.eu

Über die Tätigkeit des Unternehmens sagt der im Titelbild dieses Beitrages abgebildete Verkaufsprospekt bei der Erhöhung des Grundkapitals im Jahr 1911:

Die Gesellschaft befasst sich mit der Weiterverarbeitung und Verfeinerung von Metallen, insbesondere Kupfer und Zink in den verschiedensten Legierungen und verschiedenen anderen Metallen durch Walzen, Pressen, Stanzen und Ziehen zu mannigfachen Zwecken, namentlich auch für den Eisenbahn-, Schiffbau und militärische Zwecke.

Die beiden Werke der Gesellschaft beschäftigten im Jahr 1911 „etwa 1550 Beamte und Arbeiter“.

Dem florierenden Unternehmen wurde jedoch durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges der Rohstoffnachschub abgeschnitten. Eine dieser Rohstoffquellen war Australien.

Messingwerk Finow (HKM)

Messingwerk bei Eberswalde am Finowkanal mit Hafenbecken und Wasserturm, der 1918 fertiggestellt wurde; historische Ansichtskarte; commons.wikimedia.org; Heegermuehle-messingwerk-lu.jpg; Lizenz: CC BY-SA 3.0

Hirsch & Sohn in Australien

Hirsch & Sohn hatte sich in Australien eine solide Geschäftsbasis aufgebaut. Das Unternehmen besaß Anteile an den beiden australischen Metallgesellschaften Australian Electrolytic Smelting & Refining Company und an der Mount Morgan Gold Mining Co. Ltd.

An letzterer hatte sich 1882 übrigens auch William Knox D’Arcy beteiligt. Siehe dazu den Beitrag Die Ursprünge der bp Gruppe (British Petroleum).

Des Weiteren bestand eine Geschäftsbeziehung mit dem Unternehmen Francis H. Snow in Adelaide, der für Hirsch & Sohn als Agent arbeitete und die Verschiffung von Erzen und Konzentraten organisierte.

An dieser Stelle kommt die Deutsch-Australische Dampfschiffahrts-Gesellschaft (DADG) ins Spiel. Erze und Konzentrate waren eine regelmäßige Fracht auf den Heimfahrten der Reederei von Australien.

Ein schönes Beispiel eines Erztransports nach Europa ist folgende Zeitungsnotiz über die Fahrt des Dampfschiffes „Australia“ von Port Pirie (Südaustralien) nach Hamburg über Antwerpen:

April 22.—Australia, str., 4686, J. Hellerich, for Antwerp via Durban, with 2003 tons zinc concentrates, shipped; by F. H. Snow; 4011 tons ore, shipped by Australian Metal Co., and 4633 tons do., shipped, by Elder, Smith & Co., total 10,647 tons. Elder, Smith & Co., agents.
Port Pirie Recorder and North Western Mail, Fr 24. 
Apr 1914, S. 2, SAILED.

Die 2003 Tonnen Zinkkonzentrate, die F. H. Snow verschiffte, waren für Hirsch & Sohn bestimmt.

Port Pirie, Australia

Die „Australia“ in Port Pirie, eigene Montage aus zwei Fotos aus der State Library of South Australia, Referenznummer B9524/2 und B9524/3

Metallhandel in deutscher Hand

Wie groß die Bedeutung deutscher Unternehmen im weltweiten Metallhandels zu diesem Zeitpunkt war, zeigt sich, wenn man sich auch die anderen beiden Verschiffer ansieht:

4011 Tonnen Erz im Namen der Australia Metal Co.

Die Australian Metal Company war eine Tochtergesellschaft der Metallgesellschaft in Frankfurt am Main, Inhaber Wilhelm Merton. Siehe dazu den Artikel: Die Erze an Bord der „Fürth“ …

Das Unternehmen Elder, Smith & Co., das 4633 Tonnen Erze mit der „Australia“ nach Antwerpen verschiffte, war wiederum der Agent des dritten großen deutschen Metallhändlers, der Firma Beer, Sondheimer & Co. mit Sitz ebenfalls in Frankfurt am Main.

Bleiben wir für heute bei Hirsch & Sohn und seinem Geschäftspartner Snow.

Hampden Smelters Qld.

Erze werden mit Bahnwaggons einer Eisenhütte angeliefert, um 1912, Hampden Smelters, Queensland, Australia, Quelle: State Library of Queensland

Francis Hugh Snow

Francis Hugh Snow wurde 1854 in Yorkshire (England) geboren und ging als junger Mann nach Australien wo er zu nächst als Handelsagent arbeitete.

Später spezialisierte er sich als Metallbroker und wurde ein bedeutender Händler. Snow war verheiratet und hatte vier Söhne.

Iron Monarch Whyalla 1919

Minenarbeiter beim Erzabbau, 1919, Iron Monarch, Whyalla, South Australia, State Library of South Australia, Ref. B62487; https://collections.slsa.sa.gov.au/resource/B+62487

Gestörte Geschäftsbeziehung

Die internationale Geschäftsbeziehung von Hirsch & Sohn mit Francis H. Snow fiel nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges noch im August unter den Bann des Commonwealth, die Handelsbeziehungen mit dem Feind unter Strafe gestellt hatte.

Trading with the Enemy

Commonwealth Proclamation, Trading with the Enemy, The Daily News, Perth vom 25. August 1914; trove.nla.gov.au

Das stellte Unternehmen wie Francis H. Snow, die über viele Jahre eng mit den deutschen Geschäftspartnern zusammengearbeitet hatten, natürlich vor große Probleme.

Der Staat hatte plötzlich ein scharfes Auge darauf, welche Firmen noch mit dem Feind kommunizierten.

Verlässlicher Partner der Regierung waren die australischen Tageszeitungen, die sich auf die vermutlichen Fälle stürzten und in großer Breite darüber Bericht erstatteten. Mit Kriegsbeginn war in Australien eine breite antideutsche Kampagne gestartet worden.

So kam das Unternehmen Snow als Agent eines deutschen Großunternehmens auf die Anklagebank.

Weiters überrascht es nicht, dass dies sehr zügig geschah, nämlich bereits im November 1914:

alleged trading with the enemy 1914

Vermeintlicher Handel mit dem Feind; Observer, Adelaide, 28. November 1914; trove.nla.gov.au

Vor Prozessbeginn hatte die Staatsanwaltschaft Snows Büros durchsucht und zahlreiche Unterlagen sichergestellt.

Der Prozess gegen Francis H. Snow

Der Prozess gegen Snow dauerte von November 1914 bis Februar 1915.

Während des Prozesses verfolgte die Presse sehr genau den Prozessverlauf und berichtete nach jeder Sitzung des Gerichts. Die Details würden viele Seiten füllen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Firma Snow nach Kriegsbeginn versuchte, die Lieferungen über Drittstaaten abzuwickeln, wie zum Beispiel über Geschäftspartner in New York oder Rotterdam.

Auf Dokumente angesprochen, die einen direkten Kontakt mit Hirsch & Sohn belegten, äußerte sich Snow nicht, sondern gab an, nichts davon zu wissen. Er wird zitiert mit Aussagen wie “I know nothing about“ oder “I must admit I know nothing of that”.

Ende Januar 1915, als sich die Beweislage gegen Snow mehr und mehr verdichtete, ordnete das Gericht Hausarrest gegen Snow an und ließ eine Militärwache vor seinem Haus postieren.

Am 11. Februar wurde Snow wegen versuchten Handels mit dem Feind schuldig gesprochen. Snow wurde gegen eine Sicherheitsleistung von 1000 £ von einer Haftstrafe verschont. Außerdem musste er zwei Bürgschaften von je 1000 £ hinterlegen:

The Snow Case 1915

Snow Case Concluded; Observer, Adelaide, 13. Februar 1915; trove.nla.gov.au

Zu späteren Zeiten

Francis Hugh Snow starb am 5. April 1930 im Alter von 75 Jahren in einem Krankenhaus in Adelaide. Einer seiner Söhne, Wilfrid H. Snow, hat das väterliche Unternehmen in den 1920er Jahren nach Rückzug seines Vaters weitergeführt.

Francis Hugh Snow 1930

Meldung über den Tod von Francis H. Snow, News, Adelaide, Sa 5. April 1930, S. 4; Quelle: trove.nla.gov.au

Das Unternehmen Aron Hirsch & Sohn bestand bis 1929, als das Handelshaus in Zahlungsschwierigkeiten kam und mit dem Berliner Metallunternehmen Schoyer & Co. fusionieren musste. Die Industrieaktivitäten wurden von der britischen ICI-Gruppe übernommen.

Neben seiner Geschäftstätigkeit war Aron Hirsch in Halberstadt und Berlin ein großzügiger Stifter. Er starb im Februar 1942 in Wiesbaden.

Das zu HKM gehörende Kupferwerk Ilsenburg wurde 1948 auf das Walzen von Blech umgestellt und gehört heute als Ilsenburger Grobblech GmbH zum Salzgitter-Konzern.

Das Messingwerk in Eberswalde war bis 1945 in Betrieb und wurde dann von der sowjetischen Besatzungsbehörde demontiert. Ein später an gleicher Stelle stehendes Walzwerk wurde 2012 stillgelegt. Zurzeit (2022) soll dort zwischen einigen noch verbliebenen historischen Industriegebäuden neuer Wohnraum entstehen: http://www.messingwerkfinow.de

Der Traum der Städte Halberstadt und Fürth, ihr jüdisches Stiftungswesen zum UNESCO Welterbe werden zu lassen, war 2014 zu Ende. Gegen Neuschwanstein hatten sie keine Chance.

Vielleicht schafft es ja in Zukunft das Halberstädter Würstchen als immaterielles Kulturerbe anerkannt zu werden. Meine Stimme hat es.

fruit shipping in australia about 1913

Obst aus Übersee

Über die Anfänge des Fruchtimports

Titelbild: Verladen von Frucht in Australien, Ansichtskarte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft aus dem Jahr 1913, ungelaufen, eigene Sammlung

Äpfel, Birnen und Bananen

Der Transport von frischen Früchten über weite Strecken wurde im großen Maßstab erst durch die Entwicklung der Kühltechnik möglich. Parallel dazu musste der Transport schnell und verlässlich erfolgen. Eigenschaften, die erstmals die Dampfschifffahrt garantieren konnte.

In Deutschland wurde 1903 bei Blohm & Voss in Hamburg der erste HAPAG-Dampfer zum Kühlschiff umgebaut. Es war das Passagier- und Frachtschiff „Sibiria“.

Dann dauerte es allerdings weitere neun Jahre, bis der erste Neubau eines Kühlschiffes von einer deutschen Werft in Dienst gestellt wurde: ebenfalls ein HAPAG-Schiff, die „Carl Schurz“.

Andere Schiffe verfügten zu diesem Zeitpunkt zwar auch schon über Kühlräume, es handelte sich aber um Einbauten, die nur jeweils einen Teil des Laderaums umfassten (siehe unten).

Carl Schurz Kühlschiff

Das Fruchtschiff „Changuinola“ ex „Karl (Carl) Schurz“ der HAPAG, Baujahr 1912, Aufnahme aus dem Jahr 1914; http://www.naval-history.net/PhotoWW1-08amcChanguinola1PS.JPG

Anmerkung: Das Schiff hieß zunächst „Karl Schurz“. Carl Schurz, nach dem das Schiff benannt worden war, schreibt sich jedoch mit „C“. Im Jahr 1913 erfolgte dann die Korrektur.

Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG)

Das erste Schiff der DADG, das über eine Kühlanlage verfügte, war die 1905 in Dienst gestellte „Oberhausen“. Es sollten bei der DADG bis 1914 sechs weitere Schiffe mit Kühleinrichtungen folgen.

Es waren jedoch keine echten Kühlschiffe; sondern nur ein Teil des Laderaums verfügte über Kühlung.

Einerseits wollte die DADG zwar Kapazitäten für Fruchtverschiffer zur Verfügung stellen, andererseits war der Einbau der Kühlungen mit einem Verlust an Frachtraum verbunden. Außerdem war der Einbau recht kostenintensiv. Erschwerend kam hinzu, dass Frucht und Fleisch unterschiedliche Einrichtungen der Kühlräume verlangten.

So nahmen die Kühlräume jeweils nur einen Teil des Laderaums ein:

Für das Schiff „Adelaide“ ist die Größe des Kühlraums beispielsweise mit 100 000 Kubikfuß angegeben, was 1000 Bruttoregistertonnen entspricht. Bei einer Tonnage von insgesamt 5898 BRT waren also etwa 17 % des Laderaums gekühlt.

Adelaide ship 1911 German Australian Line

Der Frachtdampfer „Adelaide“ (1911), gebaut von der Flensburger Schiffbau-Gesellschaft, Aufnahme aus den Jahren 1911-1914; © R. Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, S. 30, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven 1984.

Deichtormarkt und Fruchthof

Parallel zum Aufbau der Kühlschifffahrt wurden in Hamburg die Kapazitäten für den Umschlag an Frucht erhöht: Ab 1911 entstand ein neuer Großmarkt (Deichtormarkt). Im selben Jahr wurde das Kontorhaus Fruchthof am Oberhafen eröffnet.

Die Anlagen für die Fruchtzufuhr am Zentralmarkt.
Wie an der Ecke der Spalding- und Amsinckstraße in einem mächtigen Neubau die Zentralstelle für den Blumenhandel geschaffen ist, so wurde auch an der Ausmündung der Oberhafenstraße in die Bankstraße in dem Kontorhaus Fruchthof eine solche Zentralstelle für den Fruchthandel geschaffen.


Hamburger Anzeiger vom 21. Juli 1911

Nach der gleichen Quelle wurde auch eine neue Kaimauer an der Oberhafenstraße angelegt, der Schienenanschluss verbessert und ein Fruchtschuppen errichtet.

Port Adelaide about 1910 export of apples

Kontrolle und Verpackung von Äpfeln, Port Adelaide, Aufnahme um 1910; State Library of South Australia, Ref. B 22739

Äpfel und Birnen

Die DADG transportierte aus Australien Äpfel (und Birnen) nach Niederländisch-Indien und nach Europa. Auf den kurzen Transportwegen nach Niederländisch-Indien erfolgte das auch ungekühlt. Nach Europa hingegen war der Transport auf Schiffe mit Kühleinrichtung beschränkt.

Harms (1933) schreibt über den Erfolg der australischen Fruchtexporte:

„Die gute Stimmung hielt an, die australischen Fruchtverschiffer waren von Einrichtungen im Fruchtschuppen und der Art der Auktionen sehr befriedigt; sie ermöglichte ihnen genau zu verfolgen, welche Preise die einzelnen Sorten und Sendungen erzielten und gewannen damit nicht nur einen guten Ueberblick über die Geschmacksrichtung, sondern auch eine Kontrolle über die Preise ihrer eigenen Sendungen.“

Heute würde man das Marketinganalyse nennen. Im Prinzip gab es das auch schon vor über hundert Jahren, ohne dass der moderne Begriff dafür verwendet worden wäre.

Weiter heißt es bei Harms zu den Obstimporten:

„Das Geschäft entwickelte sich gut und Hamburg begann nicht nur das Inland und Hinterland, sondern auch viele nordische und Ostseehäfen mit zu versorgen. Im Mai 1910 sind rund 32 000 Kisten Aepfel und Birnen an einem Tage zu guten Preisen verkauft worden.“

Diese Lieferungen von der Südhalbkugel machten damit Äpfel und Birnen auch zu einer Jahreszeit verfügbar, in denen es vor Ort kein Angebot geben konnte, die Apfelernte ist schließlich erst im Spätsommer/Herbst.

apple packaging and grading about 1910

Lange Tische mit Äpfeln in einem Schuppen in Südaustralien, ev. beim Sortieren und Verpacken, Aufnahme ca. 1910; Quelle: Library of South Australia, Ref. [PRG 280/1/43/259]

Die erfreuliche Marktentwicklung veranlasste die DADG zu weiteren Investitionen und 1911 wurden zwei weitere Frachtdampfer mit über 100000 Kubikfuß (2830 m3) großen Kühlräumen in den Verkehr gebracht und ein dritter war bestellt:

„Die ersten beiden großen Dampfer („Adelaide“ und „Melbourne“) brachten volle Ladungen Frucht heran und an einem Tage sind 50 000 Kisten umgesetzt worden; ein Ereignis in diesem Geschäft.“

Vor dem Ersten Weltkrieg hatte die DADG auf sieben Schiffen eine Kühlraumkapazität von 700 000 engl. Kubikfuß für Frucht und für 725 000 engl. Kubikfuß für Fleisch (Harms 1933).

inspecting fruit 1912 melbourne

Kontrolle von Äpfeln für den Export, Staatliches Kühlhaus in Melbourne; National Museum Australia, https://collectionsearch.nma.gov.au/icons/images/kaui2/index.html#/home?usr=CE

Bananen

Andere Reedereien brachten Äpfel aus den USA sowie Zitrusfrüchte und Trauben aus Italien und Spanien nach Hamburg. Erste Bananenimporte stammten von den Kanarischen Inseln.

Mit Entwicklung der Kühlschiffe war der Weg frei für den Import von exotischen Früchten aus der Karibik und Mittelamerika, allen voran der Banane. Für deren Transport waren spezielle Schiffe konzipiert worden, die sogenannten „Bananendampfer“.

„Die Kultur der Banane ist zwar uralt, aber der Anbau zum Zweck der Ausfuhr in nordische Länder bedeutet eine Errungenschaft, die erst durch die Verbesserung der Verkehrsmittel neuester Zeit möglich war.“
Die Banane, Altonaer Nachrichten/Hamburger Neueste Zeitung, 24. Sep. 1913, S. 5

transporting bananas about 1918

Lastwagen mit Bananen der National Fruit Company (USA), 1918, Quelle: Library of Congress; https://www.loc.gov/resource/npcc.33409/

In Deutschland hatte die Banane ihren Siegeszug auf dem Fruchtmarkt im Jahr 1902 begonnen. Die ersten Stauden sollen allerdings nur schlecht abverkauft worden sein. Bald aber wurde die Banane eine Erfolgsgeschichte (zumindest aus europäischer und nordamerikanischer Sicht).

Die Anfänge des Imports waren noch bescheiden: 1911 kamen 745000 Bananenstauden aus Mittel- und Südamerika nach Deutschland, 1913 waren es 2 258 800.

Zu dieser frühen Zeit wurden Bananen noch in Stauden (Büschels) gezählt, bevor die Statistiken später wie für andere Güter auch auf Tonnen umgestellt wurden.

Angaben nach: Die PackEISwaffel: Von Gletschern, Schnee und Speiseeis, C. Reinke-Kunze: Springer Verlag Basel (1996); abgerufen über books.google.fr

Die Vorzüge der Banane wurden zwar schnell erkannt, jedoch war die Frucht vor dem Ersten Weltkrieg noch ein Luxusgut:

„Die Banane übertrifft an Nährwert andere Obstarten recht erheblich. Es ist daher nur zu wünschen, daß unsere Handelsgesellschaften es ermöglichen, den Preis noch weiter zu ermäßigen und die Banane zu einem den weitesten Volkskreisen zugänglichen Nahrungs- und Genußmittel zu machen.“
Die Banane, Altonaer Nachrichten/Hamburger Neueste Zeitung, 24. Sep. 1913, S. 5

santos 1914 bananas

Verladung von Bananen auf ein Frachtschiff, Santos, Brasilien, Stereoaufnahme 1914; Quelle: Library of Congress; https://www.loc.gov/resource/stereo.1s17571/

Unternehmensgründungen

Die neuen Marktchancen, die sich aus dem Fruchtimport ergaben, spiegelten sich in zahlreichen Firmengründungen wider.

Eine davon war die Elders & Fyffes Fruit Company mbH in Hamburg:

Bananen-Import.
Kürzlich ist in Hamburg die Elders & Fyffes Fruit Company m. b. H. mit einem nominellen Kapital von 500 000 Mk. eingetragen worden. Dies Unternehmen bildet einen Teil des großen amerikanischen Bananentrusts, der ‚United Fruit Company‘ in Boston, deren europäische Interessen von der Firma Elders & Fyffes Ltd. in London geleitet werden. Das amerikanische Unternehmen ist das größte dieser Art in der ganzen Welt. Sein Kapital beträgt 175 000 000 Mark. Ueber 100 Dampfer sind in seinem Dienst, und der Trust besitzt 181 786 Hektar Land, abgesehen von ausgedehnten Pachtungen in Westindien und Mittelamerika. Zur Bewirtschaftung seiner Bananen- und Obstplantagen sind 600 Kilometer Eisenbahn und 270 Kilometer Trambahn in Betrieb, und die Zahl der Pferde, Ochsen und Maultiere beträgt 21 657. Für das deutsche Geschäft werden jetzt vorläufig drei Dampfer gebaut, von denen jeder 70 000 Bananenbündel faßt; die Schiffe machen 15 Knoten, und es wird ein regelmäßiger vierzehntägiger Dienst stattfinden. Der Sitz des deutschen Geschäfts wird Hamburg sein, wo die notwendigen Bureau- und Lagerräume bereits gemietet sind.
Hamburger Anzeiger, 24. Nov. 1911; europeana.eu

Fyffes & Son. in London hatte 1888 begonnen, Bananen von den Kanarischen Inseln zu importieren.

1901 wurde dann durch Entwicklung von Kühlschiffen der Import von Bananen aus Westindien möglich und die Dampfschifffahrtsgesellschaft Elder Dempster Company Ltd. stieg in das Geschäft ein. Die neue Gesellschaft erhielt den Namen Elders & Fyffes.

elders and fyffes 1917

Elders & Fyffes Ltd., Anzeige aus dem Jahrbuch für Telefon und drahtlose Telegraphie 1917; Quelle: https://www.gracesguide.co.uk/Elders_and_Fyffes

1910 kam die Gesellschaft unter die Kontrolle der amerikanischen United Fruit Company, behielt aber ihre eigene Identität.

Die übermächtige United Fruit Company griff massiv in die Politik der Herkunftsländer in Mittelamerika ein. Der bis heute bekannte Begriff der Bananenrepubliken entstand daraus in den 1930er Jahren.

1969 wurde aus Elders & Fyffes die Fyffes Group.

Heute (2022) ist das Unternehmen ein weltweit führender Importeur tropischer Früchte und einer der größten Bananenimporteure Europas. Der Pro-Kopf-Verbrauch an Bananen in Deutschland liegt aktuell etwa bei 12 Kilogramm pro Jahr.

Nachdem ich keine esse, muss also irgendjemand anderer deutlich mehr verdrücken. Sie vielleicht?

Bananendampfer

„Golfito“, ein typischer weißer Bananendampfer von Elders & Fyffes, Aufnahme von 1950; Quelle: Grace’s Guide to British Industrial History; https://www.gracesguide.co.uk/File:Im1950v189-p064.jpg

Über Kühleinrichtungen auf DADG-Schiffen siehe auch den Blogartikel:
Hatte die Fürth eine Kühlanlage?

Makassar harbour, about 1910

In Makassar

Titelbild: Ladebrücke im Hafen von Makassar, Ansichtskarte, ungelaufen, undatiert, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, Aufnahme ca. 1910-1913; eigene Sammlung

Mit dem Dampfschiff „Fürth“ in Niederländisch-Indien

Die Hafenstadt Makassar (Macassar, Mangkasar) war die Hauptstadt des gleichnamigen Distriktes auf der Insel Celebes (indonesisch: Sulawesi). Zu den Zeiten des Dampfschiffes „Fürth“ gehörte die Insel und damit auch die Stadt zu Niederländisch-Indien (heute Indonesien).

Laut Encyclopedia Britannica (Ausgabe 1911) lebten dort 17.925 Menschen, davon 940 Europäer, 2618 Chinesen und 168 Araber.

Die Stadt liegt an der Westküste einer südlichen Halbinsel von Celebes (zur Lage siehe Karte unten). Die Makassarstraße trennt die Insel von der westlich gelegenen Insel Borneo.

Heute hat die Stadt etwa 1,5 Mio. Einwohner, der Ballungsraum rund 3 Mio.

Celebes and Macassar map

Die Lage von Celebes und Makassar in Niederländisch-Indien; die Lage der Städte Singapur und Batavia (heute: Jakarta) habe ich zur Orientierung eingefügt; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sulawesi_Locator.svg (Wiedergabe in Sepia); Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported

Macassar pier and quays, before1912

Makassar, Hafen, Aufnahme aus dem 1912 veröffentlichten Buch „Scented Isles and Coral Gardens“ von C. D. Mackellar; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:The_Pier_and_Quays,_Macassar,_Celebes.jpg

Kopra

Die Handelsgüter für die Schiffe der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG), die in Makassar geladen wurden, waren Kopra, Kaffee, Gummi, Gewürze und Hölzer.

Von diesen Gütern war Kopra (getrocknetes Kokosnussfleisch) mit Abstand das wichtigste, es diente in Europa zur Herstellung von Margarine und Seife. 70 % der Ausfuhr im östlichen Teil Niederländisch-Indiens lief über den Hafen von Makassar.

Siehe dazu auch den Artikel: Die Fracht der „Fürth“ – Kopra

Im Zeitraum von 1909 bis 1913 war Niederländisch-Indien weltweit der wichtigste Exporteur von Kopra mit 2,38 Mio. Tonnen, gefolgt von den Philippinen, Britisch-Malaya (heute Malaysia) und Ceylon (heute Sri Lanka).

Wichtigstes Abnehmerland für Kopra war zu dieser Zeit Frankreich, das etwa 50 % der Weltproduktion von Kopra importierte. Haupteinfuhrhafen war Marseille. Über die beeindruckende Schwebefähre im Hafen von Marseille habe ich kürzlich ausführlich berichtet. SIEHE: Die Schwebefähre in Marseille

Aber auch Deutschland fragte Kopra in großer Menge nach. So wurden in Bremen und Hamburg allein täglich 60-200 Tausend Tonnen Margarine hergestellt, für die große Mengen Kopra benötigt wurden.

Informationen nach: The globalizing of copra and coconut oil industry of Makassar before the second world war, Abd. Rasyid Asba et al., 2020 IOP Conf. Ser.: Earth Environ. Sci. 575 012094;

the white meat of coconutsis dried to get kopra

Kopra ist das getrocknete weiße Fruchtfleisch der Kokosnuss, die Nüsse sind ca. 1-2,5 Kilo schwer; Bild: Pixabay

Verträge mit niederländischen Linien

Nachdem Makassar in Niederländisch-Indien lag, musste die DADG ihr Frachtaufkommen vertraglich mit den holländischen Linien regeln.

Dies waren die folgenden drei Reedereien:

– Stoomfahrt Maatschappij Nederland, Amsterdam
– Rotterdamsche Lloyd, Rotterdam und
– Stoomvaart Maatschappij Ocean, Amsterdam/Ocean S. S. Co. Holt, Liverpool

Nach einem Vertrag vom 12. Oktober 1900 erhielt die DADG einen Frachtanteil von 21 Prozent der Ladung aus Java und von Padang (Sumatra). Der Hafen Makassar hingegen wurde zunächst ganz der DADG überlassen. Das dürfte daran gelegen haben, dass er im östlichen Teil Niederländisch-Indien und damit „weit ab vom Schuss“ lag. Für die DADG bedeutete er auf der Rückfahrt über die australische Ostküste und die Torres-Straße hingegen keinen Umweg.

Bei den vereinbarten Frachtanteilen waren Regierungsgüter und Zucker ausdrücklich ausgenommen. Diese beide Kategorien waren ausschließlich den niederländischen Linien vorbehalten.

Spätere Änderungen der Vereinbarung erhöhten den Frachtanteil der DADG auf 25 %. Makassar musste dafür wieder mit den niederländischen Linien geteilt werden.

Insgesamt waren die Absprachen mit den niederländischen Reedereien für die DADG eine gute Geschäftsgrundlage. Der damalige Geschäftsführer der DADG, Otto Harms schrieb dazu:

„So hat der Vertrag denn auch gut gearbeitet und die Verbindung mit den holländischen Linien hat sich immer freundschaftlicher gestaltet.“
Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft Hamburg, Otto Harms (1933), Schröder & Jeve, Hamburg.

Macassar harbour about 1910

Makassar , Pirogenhafen, Aufnahme um 1910; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Macassar._Prauwenhaven._Lighter_harbour.,_KITLV_1403280.tiff

Direktfahrten nach Niederländisch-Indien

Im Jahr 1909 wurde mit den niederländischen Reedern eine Übereinkunft über Direktfahrten nach Niederländisch-Indien getroffen. Das war neu, denn bislang wurden die Häfen Niederländisch-Indien von der DADG nur auf der Rückfahrt von Australien bedient. Die neuen Direktfahrten liefen stattdessen von Europa direkt durch den Suezkanal.

An dem Vertrag mit je einem Drittel beteiligt waren die DADG, die Stoomvaart Maatschapij Nederland und der Rotterdamsche Lloyd.

Die zweiwöchentlichen Abfahrten erfolgten von Hamburg und Amsterdam bzw. Hamburg und Rotterdam.

Für die DADG bedeutete der Vertrag eine weitere Ausweitung des Südostasiengeschäfts:

„Das war ein sehr bedeutender und wichtiger Vertrag, welcher unsere Stellung in der Fahrt weiter befestigte und insbesondere uns erleichterte von Makassar 14tätige Gelegenheit zu bieten.“ (gleiche Quelle)

Frachtdampfer „Fürth“ in Makassar

Die Bedeutung Makassars für die DADG spiegelt sich auch in den Fahrten des Dampfschiffes „Fürth“ wider. Bei 15 Australienfahrten liefen fünf Reisen über Makassar.

Allerdings hatte der Erfolg des Warenumschlagsplatzes Makassar auch seine Schattenseiten. Die Anleger im Hafen waren mehr und mehr überlastet, was zu längeren Wartezeiten bei der Abfertigung führte. Im August 1911 waren die „Fürth“ und ein weiterer Frachter davon betroffen:

„…
En wat dat zeggen wil, konden we dezer dagen alen toen twee groote vrachtschepen, de Deucalion en de Fürth eenige dagen op de ree moesten wachten brj gebrek aan ruimte aan de steigers.
…“
Bataviaasch nieuwsblad, 10. Aug 1911, Quelle: delpher.nl

Muskatnüsse, Makassar vor 1942

Arbeiter und Arbeiterinnen in Makassar sortieren Muskatnüsse und trennen sie von den Blüten; Sammlung Tropenmuseum (National Museum of World Cultures), Aufnahme vor 1942; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:COLLECTIE_TROPENMUSEUM_Arbeiders_selecteren_nootmuskaat_en_ontdoen_de_noten_van_de_foelie_Makassar_Celebes_TMnr_10012350.jpg

Demnächst im Blog

Historische Aufnahmen geben interessante Einblicke in die Häfen, die Wirtschaft und in die Kultur Niederländisch-Indiens. Bleiben Sie dran!

Antwerp about 1912, steamship Elmshorn

„Elmshorn“ lädt in Antwerpen

Titelbild:
Die Schelde in Antwerpen und der Dampfer „Elmshorn“ beim Laden für Australien; Ansichtskarte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, 1913, ungelaufen, eigene Sammlung

Heute zeige ich Ihnen eine weitere Ansichtskarte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, die die Reederei sehr wahrscheinlich zu ihrem 25jährigen Jubiläum im September 1913 veröffentlicht hat.

Da die Reederei eine reine Frachtschiffreederei war und keine Passagiere beförderte, hat die Karte einen gewissen Seltenheitswert. Zumindest ist sie nicht oft zu finden.

Leider wurde die Kartenserie „nur“ im Offsetdruck hergestellt und die Karten haben nicht die Brillanz von Karten, die im Lichtdruck produziert wurden. Über diese überlegene Technik hatte ich hier berichtet: Der Strandhöft im Jahr 1905

Die Stadtsilhouette von Antwerpen

Die Stadtsilhouette von Antwerpen wird dominiert von der Liebfrauenkathedrale (Onze-Lieve-Vrouwekathedraal). Der 123 Meter hohe Turm ist eine weithin sichtbare Landmarke und die Kirche der größte gotische Dom in den Beneluxländern.

Rechts neben dem hohen Turm sieht man den kleinen Vierungsturm, der ebenfalls zur Kathedrale gehört, jedoch nie fertiggestellt und im 17. Jahrhundert mit einer Holzkonstruktion abdeckt wurde.

Über dem Vorschiff der „Elmshorn“ sieht man Burg Steen, die Stadtburg von Antwerpen. Sie geht auf des 12. Jahrhundert zurück. Zur Zeit dieser Aufnahme war hier ein Museum untergebracht, heute ist es die Touristeninformation von Antwerpen.

Der „Stammplatz“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) war eigentlich etwas weiter südlich am Quai St. Michel. An der Stelle, an der die „Elmshorn“ auf der Ansichtskarte zu sehen ist, legten normalerweise Schiffe des Norddeutschen Lloyd an.

Aber dort hätte der Fotograf das Dampfschiff nicht so schön mit Dom und Schloss in Szene setzen können.

Antwerp, Schelde, Steen, about 1910

Antwerpen, Partie an der Schelde mit Burg Steen, Postkarte, gelaufen Juli 1917, Aufnahme vermutlich vor dem Ersten Weltkrieg; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Antwerpen_-_Schelde.jpg

Das Dampfschiff „Elmshorn“

Das knapp 125 Meter lange Schiff wurde am 19. November 1910 für die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) in Dienst gestellt. Gebaut worden war der Frachtdampfer auf der „Hauswerft“ der DADG, der Flensburger Schiffbau-Gesellschaft.

Das Titelfoto mit der Ansicht von querab backbord zeigt schön den typischen Aufbau der DADG-Dampfschiffe (von links nach rechts): die Back mit den Mannschaftsunterkünften, das sog. Versaufloch, das die Position des tieferen Welldecks mit Ladeluke 1 kennzeichnet, den vorderen Mast, die zweite Ladeluke dahinter und dann das Steuerhaus, das vom Maschinenhaus getrennt war. Zwischen beiden liegt Laderaum drei, der auf den langen Fahrten als Reservebunker für zusätzliche Kohlen genutzt wurde. Hinter dem Maschinenhaus lagen die Räume 4 und 5, mit einer Luke vor und der anderen hinter dem zweiten Mast. Schließlich das Heck mit der Handrudereinrichtung und verschiedenen kleineres ‚Stores‘, also Lagerräumen für Betriebsmittel, Post, Pakete oder Nahrungsmittel.

Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges suchte die „Elmshorn“ in Manila Zuflucht. Kapitän Peter Kiel und andere Mannschaftsmitglieder müssten 1917 dann nach Hot Springs in North-Carolina gekommen sein, denn die Philippinen waren zu diesem Zeitpunkt amerikanische Kolonie.
SIEHE dazu den Artikel: Angelpartie in Hot Springs

Elmshorn, Capetown, Table Mountain, about 1912

Der Frachtdampfer „Elmshorn“ im Hafen von Kapstadt vor dem Tafelberg; © R. Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven 1984, Aufnahme aus der Sammlung A. Kludas

Das Schiff „Elmshorn“ wurde im Januar 1918 als USS „Casco“ wieder in Fahrt gebracht.

Interessanterweise kaufte die DADG das Schiff 1922 zurück, benannte es zunächst aber „Mannheim“ bevor es 1925 den alten Namen „Elmshorn“ zurückerhielt. Vielleicht hatten die Elmshorner bei der Reederei protestiert. Der Grund für die nachträgliche Namensänderung ist meiner Kenntnis nach jedoch nicht dokumentiert.

Weitere Details zu dem Frachtdampfer „Elmshorn“ gibt es bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Elmshorn_(Schiff,_1910)

Von Interesse ist auch immer die Frage, warum ein Schiff den Namen einer bestimmten Stadt erhielt. Naheliegend ist, dass die Reederei die Schiffe nach Städten benannte, in denen wichtige Geschäftspartner ansässig waren, die regelmäßig Waren über die Reederei aus- oder einführten.

Bei dem Schiff „Elmshorn“ führt die Spur zur Elmshorner Lederindustrie.

Die Stadt Elmshorn

Elmshorn war der bedeutendste Industriestandort in Südwestholstein. Der größte Industriezweig wiederum war die Lederindustrie.

„1890 existierten 31 Gerbereien. … Der Aufstieg Elmshorns zu einer bedeutenden Lederstadt Norddeutschlands beruhte auf der günstigen Lage zu Hamburg. Der Hamburger Hafen war der größte Häute-Einfuhrhafen Europas. Importiert wurden überwiegend Rinderhäute, die vor allem zu Leder für Schuhsohlen verarbeitet wurden.“
Quelle: www.industriemuseum-elmshorn.de

Eine dieser Gerbereien war die 1873 gegründete Lederfabrik Johann Knecht & Söhne. Mit bis zu 500 Arbeitnehmern entwickelte sie sich zum größten Arbeitgeber Elmshorns. Die Fabrik in den sogenannten Knechtschen Hallen existierte bis zum Jahr 1953.
Quelle: https://www.knechtschehallen-elmshorn.de/knechtsche-hallen/lederfabrik-knecht/

Heute (April 2022) ist das Schicksal der Fabrik ungewiss. Ein Freundeskreis bemüht sich um deren Erhaltung.

Regelmäßige Fracht

Häute waren an Bord der Schiffe der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft eine regelmäßige Fracht.

Man unterscheidet zwischen Häuten von Rindern oder Büffeln (hides) und Häuten kleinerer Tiere, vor allem Schafen oder auch Ziegen (skins).

Der lange Transportweg der Häute war nicht unproblematisch, da die Zersetzung nach dem Töten der Tiere einsetzt und erst durch den Gerbprozess gestoppt wird. Um den Zerfall möglichst lange hinauszuzögern wurden und werden die Häute nass/trocken gesalzen oder getrocknet.

In den australischen Exportlisten liest sich das dann zum Beispiel wie folgt:

FUERTH, G.A., s.
For Antwerp and Hamburg.
Sailed Brisbane July 10, 1914.
Brabant and Co., agents. –
ANTWERP.

Denham Bros (R’p’ton) Ltd., 500 wet salted hides
Mofflin and Co. Ltd., 500 wet 250 dry salted hides
Geo. Wilcox and Co., 1500 wet salted hides
and C. Kreglinger, 500 dry salted hides
HAMBURG.
Denham Bros. (R’p’ton) Ltd., 2988 wet salted hides
W. H. Turner and Co., 345 wet salted hides
and C. Kerglinger, 500 wet hides

Quelle: Daily Commercial News and Shipping List, Sydney, 14. Jul 1914, S. 17, Export Manifests.
Queensland

A/S Hertz' Garveri & Skotojsfabrik, Köbenhavn, Danmark

A/S Hertz‘ Garveri & Skotojsfabrik in Kopenhagen, Bearbeitung der Häute, Quelle: http://www.heilesen.dk/ahertz/ahfabrik.html

Je nach Konservierung wurden die Häute zu Dampfschiffzeiten in Ballen, Bündeln, Tonnen, Fässern oder Säcken transportiert.

Hier im Blog hatte ich über eine Lieferung von Häuten an die Schuhfabrik Hertz in Kopenhagen berichtet. Diese Lieferung war Gegenstand eines umfangreichen Schriftverkehrs, da die Häute durch den Ausbruch des ersten Weltkrieges nie in Kopenhagen angekommen und durch langen Transport und Lagerung schließlich auch unbrauchbar geworden waren.

SIEHE: Die Fracht der „Fürth“: Häute aus Australien für Schuhe aus Dänemark

Andere Lieferungen aus Australien landeten sicher in Elmshorn und wurden dort zu Schuhwerk und anderen Lederartikeln verarbeitet.

Die erste Globalisierung war in vollem Gange. Die Konsumenten dürften sich jedoch keine Gedanken gemacht haben, woher das Material für ihre Schuhe stammte.

Hertz Garveri Skarvhuset Köbenhavn

A/S Hertz‘ Garveri & Skotojsfabrik, Reinigung der Häute, Quelle: http://www.heilesen.dk/ahertz/ahfabrik.html

Anmerkung:

Auch Gerbstoffe für die Lederindustrie wurden von der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft nach Deutschland importiert.

Siehe dazu den Beitrag: Gambir und Eucalyptusrinde

Wool train Sydney 1901

Der Weg der Wolle

Titelbild: Vollbeladener Zug mit Wollballen in Sydney, Postkarte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, 1913, ungelaufen, eigene Sammlung

Eindrucksvolle Bilder vom Wolltransport

Der Transport von Wolle von Australien nach Kontinentaleuropa gehörte zum Kerngeschäft der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG).

So wurden im Geschäftsjahr 1908/1909 allein von dieser Reederei 196.847 Ballen Wolle von australischen Häfen nach Europa transportiert. Als zweite deutsche Reederei hatte der Norddeutsche Lloyd Bremen fast das gleiche Frachtaufkommen. Mit 190.954 Ballen lag die transportierte Menge nur geringfügig darunter.

Damit hatten die beiden deutschen Reedereien über 30 % Marktanteil am Gesamtvolumen des Wolltransports von Australien nach Europa.

Um die Zahl von 196.000 Ballen Wolle besser einordnen zu können: Das Dampfschiff „Fürth“ hatte im November/Dezember 1912 eine Einzelladung von etwa 13.500 Ballen mit etwas Beifracht nach Antwerpen und Hamburg transportiert:
Ein Nilpferd und viel Wolle

Das Hauptaugenmerk der DADG lag immer darauf, während der Wollsaison genügend Raum für diese Heimfahrten nach Europa zu haben, auch wenn dafür Schiffe unter Ballast oder mit wenig Fracht nach Australien geschickt werden mussten.

„Wir sind aber immer darauf bedacht gewesen, reichlich Schiffsraum hinauszulegen, um in der Wollezeit besonderen Anforderungen genügen zu können. So hatten wir schon 1908 außer den in der regelmäßigen Fahrt befindlichen Schiffen folgende Nebendampfer für die Wollezeit zur Verfügung:
im September 1 Dampfer
im Oktober 2 Dampfer
im November 4 Dampfer
im Dezember 1 Dampfer
im Januar 2 Dampfer“
Quelle: Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, Otto Harms (1933), Schröder und Jeve, Hamburg.

In dem Ansichtskartenheft der DADG sind dementsprechend gleich mehrere Ansichtskarten dem Wollgeschäft gewidmet.

Die Herden

Die Darstellung des Wollgeschäfts beginnt mit einer geradezu idyllischen Szenerie: Eine sehr überschaubare Schafherde grast in einer offenen Parklandschaft mit saftigen Wiesen am Rande einer kleinen Wasserfläche. Hinter der Herde sehen wir einige berittene Hirten.

sheep NSW

Schafherde in New South Wales, Australien, Postkarte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, 1913, ungelaufen, eigene Sammlung

Pferdekutschen

Die zweite Karte aus dem „Wollzyklus“ zeigt drei hoch beladene Gespanne, die von jeweils zehn Pferden gezogen werden. Solche Zehnspänner dürften auch zu Zeiten, als das Pferd noch das Haupttransportmittel war, ein seltener Anblick gewesen sein. Nach Informationen der Karte ging die Fahrt von den Farmen zu den Bahnstationen.

wool transport with carriages

Transport von Wolle von der Farm zum Bahnhof, Postkarte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, 1913, ungelaufen, eigene Sammlung

Weniger spektakulär ist dieser „gemütliche“ Woll-Transport in Hahndorf, einem bekannten Ort deutscher Siedler in Südaustralien.

Cartering Wool, Hahndorf, 1901

Mit Wolle beladenes Fuhrwerk in Hahndorf bei Adelaide; Hahndorf ist eine der ältesten deutschen Siedlungen Australiens, Aufnahme 1901, © State Library of Sout Australia, B-18258.

Per Bahn

Von den Eisenbahnstationen auf dem Land erfolgte dann der Transport per Bahn nach Sydney. Hier ein Detail mit posierendem Bahnpersonal aus der Titelabbildung dieses Blogartikels.

wool train sydney 1901

Vollbeladener Zug mit Wollballen in Sydney, Ausschnitt mit posierendem Bahnpersonal, Postkarte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, 1913, ungelaufen, eigene Sammlung

Laut der Pyrmont History Group (siehe unten), die das gleiche Foto auf ihrer Internetseite zeigt, datiert das Foto bereits aus dem Jahr 1901.

Muster und Auktionen

In Sydney angekommen, wurden die Ballen zu Verkaufslosen ähnlicher Qualität zusammengefasst. Dann wurden Muster genommen und die Wolle auf ihre Merkmale getestet.

Im Anschluss erfolgte und erfolgt auch noch heute der Verkauf über Auktionen.

wool samples

Musterraum für Wolle, Postkarte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, 1913, ungelaufen, eigene Sammlung

Verschiffung

Für die anschließende Verschiffung der Ballen bedeutet der Verkauf auf Auktionen, dass jeder einzelne Ballen identifizierbar sein muss:

„Bei Wolle muß jeder einzelne Ballen nach Marke und Gegenmarke und Nummer ausgesucht werden.“ (Zitat: Otto Harms, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, 1933)

Die folgende Karte zeigt die Verladung von Wolle im Hafen von Sydney.

Sydney verladen der wolle

Verladen der Wolle in Sydney auf einen der typischen „Zweischornsteiner“ der Reederei, Postkarte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, 1913, ungelaufen, eigene Sammlung

Aus dieser Karte noch ein Detail:
Ein Ladungskontrolleur („Tallymann“, unten Mitte) beaufsichtigt das Laden der Wolle. Auf dem Welldeck des Schiffes (dort wo die Bordwand niedriger ist) posieren drei Personen. An der Schiffswand ist ein Schild zur Orientierung für die Verlader angebracht (Deutsch-Australische Dampfschiff-Gesellschaft).

Sydney verladen der wolle_detail

Detail aus der Aufnahme von oben

Ausführlicher habe ich den Wollhandel in Australien in diesem Artikel vorgestellt:
Wolle und Wollhandel in Australien um 1910

Lagerhäuser für Wolle

Viele historische Aufnahmen und Informationen über den Wollhandel in Sydney finden Sie auch bei der Pyrmont History Group auf der Seite Wool Stores.

Pyrmont war ein Industrieviertel Sydneys.

Demnach wurden ab den 1880er Jahren bis in die 1930er Jahre auf der Halbinsel Pyrmont zwanzig Lagerhäuser für Wolle mit einer Fläche von über 40 Hektar errichtet, die rund ein Drittel der Halbinsel einnahmen. Erst in den 1970er Jahren verschwanden die alten Lager und die Lagerung der Wolle wurde nach Liverpool in das Hinterland Sydneys verlagert.

Die Wollballen hatten ein Standardformat von etwa 120 cm x 76 cm x 76 cm, davon wurden je vier übereinandergestapelt. Fenster und Glasdächer spendeten Licht, damit die Wolle von den Käufern beurteilt werden konnte (siehe dazu auch die Postkarte „Musterraum für Wolle“ oben).

In den größten Lagerhäusern Pyrmonts konnten bis über 50.000 Wollballen gelagert werden.

Großbrand bei Goldbrough, Mort und Co.

Das in der Wolle enthaltene Wollfett oder Wollwachs (Lanolin) macht Wolle wasser- und schmutzabweisend. Es ist aber auch leicht entzündlich. Zahlreiche Lagerhäuser in Pyrmont fielen deshalb immer wieder Brandkatastrophen zum Opfer.

Ein Großbrand ereignete sich bei Goldbrough, Mort und Co. am 25. September 1935.

Nach Ausbruch des Feuers waren in kurzer Zeit zwanzig Löschzüge und 230 Feuerwehrmänner vor Ort. Das Feuer wurde jedoch durch Winde derartig angefacht, dass das Lagerhaus Nr. 1 nicht gerettet werden konnte und vollständig abbrannte.

Die Hitzeentwicklung war so groß, dass selbst in 100 Metern Entfernung abgestellte Bahnwagons mit Weizen sich entzündeten.

Ein Übergreifen des Brandes auf zwei benachbarte Lagerhäuser konnten die Feuerwehren verhindern.

wolle goldsbrough fire 1935

Umbau der Lagerhäuser

Neben den Lagerhäusern für Wolle war Pyrmont Standort anderer Industrien: Gießereien, Werften, Schlachthöfe und Zuckerraffinerien. Außerdem wurde in einigen Brüchen Sandstein in großer Menge gewonnen.

Ab den 1970er Jahren begann sich das Gesicht Pyrmonts grundlegend zu wandeln und einige der ehemaligen Wolllager wurden zu Apartmenthäusern und Bürokomplexen umgebaut.

Aus dem geschäftigen, aber oft gemiedenen Industriestandort wurde nach und nach eines der beliebtesten Viertel Sydneys, dass heute durch sein pulsierendes Leben bei Einheimischen und Touristen gleichermaßen beliebt ist.

Mehr über die Geschichte Pyrmonts erfahren Sie hier: https://pyrmonthistory.net.au/

Hutholmen Frederikstad, 1913, steamer "Java"

Postkarten der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft

Das Dampfschiff „Java“ in Frederikstad

Titelbild: Frederiksstad, Norwegen, Dampfschiff „Java“, Postkarte der DADG (ungelaufen), Juli 1913, eigene Sammlung.

Ansichtskartenhefte

Letztes Jahr konnte ich ein schönes Los mit Ansichtskarten der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) erwerben, die ich nach und nach hier vorstellen möchte.

Zu jeder der Ansichtskarten wird es historische Informationen sowie weiteres Bildmaterial geben, die ich rund um die Abbildung recherchiert habe.

Wie die Perforation am linken Rand verrät, sind die Karten einem Heftchen entnommen. Dieses wurde von der Reederei herausgegeben. Es muss mindestens 24 Karten enthalten haben, vielleicht auch mehr. Heute liegen mir immerhin 23 davon vor.

Anmerkung: Bis heute sind mir nur 24 Motive bekannt, weitere konnte ich auf den verschiedenen Verkaufsplattformen noch nicht entdecken.

Ansichtskarten waren das „Instagram der Kaiserzeit“ und Kartenheftchen waren damals schwer in Mode. Man findet die herausgelösten Karten häufig in Antiquariaten. Zumindest Karten, die von den großen, auch Passagiere befördernden Schifffahrtsgesellschaften publiziert wurden, wie zum Beispiel dem Norddeutschen Lloyd, aber auch von niederländischen oder französischen Linien. Für eine reine Frachtschiffreederei wie die DADG waren die Kartenhefte eher ungewöhnlich.

Der Druck der Karten erfolgte im Offsetdruck, sie haben nicht die Brillanz der damals oft noch im Lichtdruck hergestellten Ansichtskarten. SIEHE: Der Strandhöft im Jahr 1905

Frederikstad, 1920-1940, harbour and industry

Fredrikstad, Industrieanlagen und Hafen, 1920-1940; National Library of Norway, public domain; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2386._Fredrikstad_-_no-nb_digifoto_20150916_00095_bldsa_PK06315.jpg

Juli 1913

Datieren lässt ich das Kartenheft recht gut mit zwei Karten. Eine Aufnahme vom Australiakai in Hamburg ist auch im Buch von Otto Harms über die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft wiedergegeben und dort mit dem 26. Juli 1913 beschriftet (auf den Kartenrückseiten selbst befinden sich leider keine Angaben außer dem Wort „Postkarte“).
Otto Harms, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, Schröder & Jeve (1933).

Das in der Titelabbildung wiedergegebene Schiff „Java“ wurde ebenfalls im Juli 1913 für die Reederei in Dienst gestellt und bediente auf der Jungfernfahrt die Skandinavien-Linie. Laut Zeitungsmeldungen war das Schiff in der zweiten Julihälfte zum Laden in Fredrikstad. Diese Aufnahme kann also definitiv nicht vorher entstanden sein.

Die DADG feierte im September 1913 ihr 25-jähriges Bestehen. SIEHE: 25 Jahre Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft

Ich gehe heute davon aus, dass das Kartenheft zu dieser Gelegenheit in Auftrag gegeben wurde.

Frederikstad about 1920 - 1930

Fredrikstad, Stadtansicht zwischen 1920-1930; National Library of Norway; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:1344._Fredrikstad._-_no-nb_digifoto_20150807_00186_bldsa_PK06344.jpg

Hutholmen

Die Stelle, an der das Foto mit dem Dampschiff „Java“ in Frederikstad aufgenommen wurde, lässt sich genau lokalisieren.

Es ist im Fjord Vesterelva vor der Insel Hutholmen. Das kleine massive Huth Fort mit den drei bogenförmigen Öffnungen ist auf dem Foto links neben dem Schiff gut erkennbar.

Die Stadt selbst ist auf der Aufnahme (Titelbild dieses Blogartikels) nicht zu erkennen, sie liegt im Bilderhintergrund rechts. Zu sehen ist lediglich eine Industrieanlage am linken Flussufer mit einem rauchenden Kamin.

Eventuell handelt es sich um eines der Sägewerke, die sich an beiden Ufern befanden, wie zum Beispiel das Unternehmen Fredrikstad Dampsag og Høvleri.

Fort Hut, Hutholmen, Frederikstad, Norway

Fort Hut(h) auf Huth(h)olmen, Festungsanlage von 1797; Quelle: Fredrikstad Museum, Arne Stangebyes samlinger, https://lokalhistoriewiki.no/wiki/Fil:Huth.jpg

Holzexporte

Frederikstad war der wichtigste Hafen Norwegens für Holzexporte: 1913 gingen von hier 50,5 % des gesamten Exportvolumens ins Ausland.

This is no doubt the most promising sawmill center in Norway, because it is located at the mouth of the most important floating river and right in the center of a manufacturing district …
Quelle: Forest Resources, Lumber Industry and Lumber Export Trade of Norway, US Department of Commerce, Special Agents Series No. 211, A. H. Oxholm, 1922, abgerufen über books.google.de

Für gehobeltes Holz war Australien nach Großbritannien der zweitwichtigste Exportmarkt. Ich finde das auf Grund der weiten Distanz Australiens schon überraschend:

Australia is the second largest market for Norwegian planed lumber and has been a growing market for a number of years. During normal conditions Australia takes 30 to 35 per cent of the export of planed stock from Norway.
(gleiche Quelle)

Holzverarbeitung, Frederikstad, um 1880

Frederikstad, Holzindustrie, Aufnahme von Henrik Sigvard Scheel zwischen 1870-1890; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Fredrikstad,_%C3%98stfold_-_Riksantikvaren-T015_01_0194.jpg

Die Schuten zum Beladen der Schiffe, wie sie rechts und links des Dampfschiffes „Java“ zu sehen sind, hatten das Aussehen von kleinen schwimmenden Hütten, da sie mit Dach und Wänden ausgestattet waren, um das Holz vor Niederschlägen zu schützen. Sie wurden bei Bedarf zu den zu beladenden Schiffen geschleppt.

Die Ladegeschwindigkeit für das Holz wird mit 160 – 400 Tausend Fuß in zehn Stunden angegeben. Bei Regenfällen wurde der Ladevorgang allerdings unterbrochen.

The steamers may take on board from 160 to 400 thousand feet in 10 hours, according to the local conditions in each district.
(gleiche Quelle)

Die besondere Form der Schuten zeigt auch eine Aufnahme, die während des Ersten Weltkrieges entstanden sein dürfte, da das zu beladende Schiff einen Tarnanstrich („dazzle camouflage“/„razzle dazzle“) hat.

loading timber at frederikstad, WW1

Laden von Holz in Frederikstad, Quelle: Forest Resources, Lumber Industry and Lumber Export Trade of Norway, US Department of Commerce, Special Agents Series No. 211, A. H. Oxholm, 1922, abgerufen über books.google.de

Frederikstad

Frederikstad (auch Frederiksstad) liegt in Südostnorwegen (Østfold) an der Bahnstrecke von Christiana (Oslo) nach Gothenburg (Göteburg); im Jahr 1900 hatte die kleine Stadt 14.553 Einwohner (Quelle: Encyclopedia Britannica, Ausgabe 1911).

Die Holzindustrie entstand durch die geografische Lage der Stadt an der Mündung des Flusses Glomma, dem mit 600 Km längsten Fluss Norwegens. Über den Fluss konnten die Baumstämme zu den Sägewerken transportiert werden.

Neben der Holzindustrie war Frederikstad auch Zentrum für die Produktion von Ziegelsteinen sowie für den Schiffbau. Der Hafen wurde im Winter durch Eisbrecher eisfrei gehalten.

Das Dampfschiff „Java“

Auf der Jungfernfahrt des Dampfschiffes „Java“, die im Juli 1913 begann, wurde nach Gothenburg und Frederikstad nur noch ein kurzer Zwischenhalt in Emden eingelegt.

Von dort ging es unter Führung von Kapitän T. Bahr in nur 39 Tagen bis nach Melbourne, wo das Schiff am 9. September 1913 eintraf. Auf der Fahrt machte die „Java“ im Durchschnitt 13,3 Knoten; ein erstaunlicher Wert für das Frachtschiff mit einer Ladekapazität von rund 11.900 Tonnen.

Der Journalist von „The Age“, Melbourne lobte es in der Ausgabe am 10. September 1913 überschwänglich:

She is one of the most up to date cargo vessels that has visited the port …

Die “Java” war das erste Schiff, das die DADG vor dem Ersten Weltkrieg beim Bremer Vulkan bauen ließ (Bau-Nr. 565). Das ist etwas überraschend, denn der Bremer Vulkan war vor dem Ersten Weltkrieg die größte deutsche Werft für den zivilen Schiffbau.

Bei Kriegsausbruch war die „Java“ eines der wenigen Schiffe der DADG, die in Deutschland lagen. Sie musste dann 1919 nach Frankreich abgeliefert werden, wo sie für die Regierung in Fahrt war, bevor sie 1920 an die Cie. des Messageries Maritimes in Marseille verkauft und in „Min“ umbenannt wurde.

1942 wurde die „Min“, exJava in Biserta (Bizerte/Tunesien) vom Deutschen Reich beschlagnahmt und an die italienische Regierung verchartert. Unter dem neuen Namen „Conegliano“ sank die exJava am 6. Juni 1943 bei Olbia (Sardinien) nach einem Bombentreffer. Das Schiff wurde 1949 im Maddalena-Archipel versenkt. Dort liegt das Wrack heute noch in etwa 20 Meter Tiefe und ist ein Tauchziel.

Weitere Informationen: https://wrecksite.eu/wreck.aspx?151420

Frederiksstad Tilskuer

Anzeige der Firma Andersen in der Tageszeitung Frederiksstad Tilskuer vom 20. April 1911, Seite 3

Das Dampfschiff „Fürth“ in Frederikstad

Das Dampfschiff „Fürth“ war im April 1911 in Frederikstad und hatte ebenfalls Holz für Australien geladen. Siehe dazu die Blogartikel

Die „Fürth“ in Skandinavien

und

Die Barwon-Papiermühle in Fyansford, Geelong

Andersen & Co. Frederiksstad

Anzeige des Maklers Andersen & Co. in Frederiksstad (Norwegen) für die Abfahrt des Dampfschiffes „Fürth“ im April 1911 nach Australien, Zeitung Kysten, 30. März 1911, Seite 3, Quelle: National Library of Norway

Dampfschiff Varzin 1914, Maschinist Feldhusen

Die Reise des Maschinisten Feldhusen auf dem Dampfschiff „Varzin“

Titelbild: Ausschnitt aus dem Seefahrtbuch von Hans Daniel Feldhusen; in Familienbesitz, © Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Familie Feldhusen

Familienerinnerungen

Geschichte wird meiner Meinung nach immer dann am lebendigsten, wenn man sie mit persönlichen Schicksalen verbinden kann.

Umso mehr freue ich mich, dass ich Ihnen heute den jungen Maschinisten Feldhusen vorstellen kann, der im April 1914 auf dem Dampfschiff „Varzin“ anheuerte und dessen Reise, bedingt durch den Ersten Weltkrieg, erst im Jahr 1920 enden sollte.

Von Hamburg nach Australien

Der zwanzigjährige Hans Daniel Feldhusen ging am Freitag, den 3. April 1914 auf das Seemannsamt Hamburg und suchte ein Schiff, auf dem er anheuern konnte.

Elf Schiffe wurden an diesem Freitagmorgen angemustert, darunter zwei Dampfer der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft Hamburg: die Schiffe „Brisbane“ und „Varzin“.

Feldhusen hatte Glück und bekam eine Stelle als Maschinisten-Assistent auf dem Dampfschiff „Varzin“ (Unterscheidungssignal RLFJ) unter Führung von Kapitän Carl Kuhlmann.

Sein Dienstantritt hatte noch am gleichen Tag zu erfolgen und die monatliche Heuer des jungen Feldhusen betrug 60 Mark.

Diese 60 Mark waren die Heuer für einen unbefahrenen Maschinisten-Assistenten. Nach einem Jahr auf See wäre aus dem „unbefahrenen“ ein „befahrener“ Assistent geworden und seine Heuer wäre auf 75 Mark erhöht worden.

Zur Höhe der Heuer aller Mannschaftsmitglieder siehe den Artikel: Die Musterrolle (Originaldokument aus den Jahren 1913/1914)

Anmusterung Varzin und Brisbane, Hamburg April 1914

Ab- und Anmusterungen beim Seemannsamt Hamburg am Freitag, den 3. April 1914; Quelle: Hamburgischer Correspondent und neue hamburgische Börsen-Halle, 3. April 1914, S. 11, http://www.europeana.eu

Hans Daniel Feldhusen kam aus Hademarschen in Schleswig-Holstein. Dort konnte er am nahegelegenen Kaiser-Wilhelm-Kanal (heute Nord-Ostseekanal) schon seit früher Kindheit große Schiffe bestaunen.

Sein Vater betrieb am Marktplatz „Feldhusens Hotel“ und unter acht Geschwistern war Feldhusen der einzige Sohn.

Sein Wille, zur See zu fahren, muss sehr stark gewesen sein, denn seine Entscheidung bedeutete den Verzicht, eines Tages das väterliche Anwesen übernehmen zu können. Abenteuerlust und Fernweh hatten gesiegt.

Da Feldhusen jedoch erst 20 Jahre alt und noch nicht volljährig war, benötigte er die Genehmigung seiner Eltern. Sein Enkel erinnert sich heute, dass er sich damals eine Unterschrift, wahrscheinlich von einer seiner älteren Schwestern, erschlichen hatte, um zur See fahren zu können.

Die Fahrt nach Australien

Feldhusen hatte gerade einen Tag Zeit, sich in seiner neuen Umgebung einzugewöhnen, bevor sich die „Varzin“ am Samstag, den 4. April in der zweiten Tageshälfte auf den Weg nach Australien machte.

Am 5. April um 11.50 Uhr passierte das Schiff Cuxhaven und ließ die Heimat endgültig hinter sich. Rotterdam und Antwerpen waren die nächsten Anlaufstationen, die am 6. bzw. 8. April erreicht wurden.

Nach dem Ablegen in Antwerpen am 12. April fuhr die „Varzin“ vermutlich auf direktem Weg um das Kap nach Australien und erreichte das westaustralische Fremantle am 25. Mai 1914.

Als Erstfahrer dürfte Feldhusen froh gewesen sein, nach 43 Tagen auf See wieder festen Boden unter den Füßen bekommen zu haben.

Es war nicht ungewöhnlich, dass die Dampfschiffe der DADG um das Kap liefen ohne dort einen Hafen anzulaufen.

Zwei Monate später war das Schiff „Neumünster“ ebenfalls von Antwerpen nonstop nach Fremantle unterwegs: SIEHE: Aus dem Logbuch des Schiffes „Neumünster“

Die „Neumünster“ hatte 40 Tage gebraucht, die „Varzin“ drei Tage länger. Vielleicht lag es am Wetter oder daran, dass bei der „Varzin“ „der große Kolben auf hoher See getauscht werden musste“, wie Maschinisten-Assistent Feldhusen sich später erinnern sollte.

Dampfschiff Varzin 1914

Das Dampfschiff „Varzin“, Ölgemälde von Hans Daniel Feldhusen, in Familienbesitz, © Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Familie Feldhusen

Spektakuläre Fracht

Bereits einen Tag nach der Ankunft in Fremantle, in der zweiten Tageshälfte des 26.5., verließ die „Varzin“ bereits wieder den Hafen und machte einen noch kürzeren Stopp in Albany, der gerade einmal sechs Stunden dauerte – am 28. Mai 1914 von 8 Uhr bis 14 Uhr.

Im nächsten Hafen, Port Adelaide, löschte die „Varzin“ 1600 Tonnen allgemeine Fracht. Zur selben Zeit wurde auf dem Schiff ein Schwerladekran (derrick) mit einer Tragfähigkeit von 50 Tonnen errichtet, der in Port Pirie zum Einsatz kommen sollte.

Die „Varzin“ hatte nämlich Schwergut für die Broken Hill Proprietor Company an Bord, darunter eine einzelne Maschine mit einem Gewicht von 27 Tonnen.

Der Schwergutladebaum der „Varzin“ dürfte lediglich eine Tragkraft von 15 Tonnen gehabt haben und war damit nicht stark genug für die Riesenmaschine.

Zum Schwergutladebaum siehe: Pläne zur Rekonstruktion des Dampfschiffes „Fürth“.

In Hamburg war das Monstrum mit einem großen Schwimmkran an Bord gehievt worden. Das hatte Kapitän Kuhlmann einem australischen Journalisten mitgeteilt (siehe Zeitungsausschnitt aus dem Port Pirie Recorder unten).

Das Abladen der außergewöhnlichen Maschine war auch der deutschsprachigen Australischen Zeitung in Adelaide eine Meldung wert:

Varzin in Port Pirie 1914

Australische Zeitung, Adelaide, Ausgabe vom 10. Juni 1914; trove.nla.gov.au

Der Ort Iron Knob war eine Bergwerkssiedlung an einem Eisenerztagebau mit bis zu 3.000 Einwohnern. Der Tagebau wurde 1998 aufgegeben, heute leben nur noch etwa 150 Menschen in Iron Knob.

Ausführlicher berichtete die Tageszeitung in Port Pirie über das Ereignis (siehe Abbildung unten).

Demzufolge handelte es sich bei der 27-Tonnen-Maschine um einen Erzbrecher. Weitere acht schwere Maschinen mit Gewichten zwischen drei und zehn Tonnen wurden ebenfalls mit der „Varzin“ angeliefert.

Als junger Techniker wird Maschinisten-Assistent Feldhusen das Abladen der Maschinen sehr aufmerksam verfolgt haben, wenn er nicht gerade Dienst hatte und im Bauch des Schiffes arbeiten musste.

Machinery for Iron Knob

Port Pirie Recorder and North Western Mail, 8. Juni 1914, Seite 1; trove.nla.gov.au

Wasserrohre und Erze

Interessant ist auch eine Meldung aus dem Barrier Miner vom 10. Juni 1914, die ebenfalls Auskunft über einen anderen Teil der Ladung der „Varzin“ gibt. Demnach waren 400 Tonnen Rohre für ein Wasserversorgungs-Projekt an Bord.

Varzin 1914 in Port Pirie

Barrier Miner, 10. Juni 1914, S. 4; trove.nla.gov.au

Im Gegenzug lud die „Varzin“, wie jedes andere Schiff der DADG, das in Port Pirie anlegte, Erze. Dokumentiert sind zwei Kontingente Zinkkonzentrate, einmal 1107 Tonnen und einmal 1200 Tonnen.

Erze aus Port Pirie

Port Pirie Recorder and North Western Mail, 17. Juni 1914, S. 2; trove.nla.gov.au

Der Fahrraddieb Joseph Hackethal

Insgesamt verbrachte die „Varzin“ acht Tage in Port Pirie, zumindest war das für einen Seemann Zeit genug, um zu desertieren. Er hieß Joseph Hackethal.

Sein Name ist überliefert, weil er am 8. Juni im nahegelegenen Ort Nelshaby ein Fahrrad im Wert von £ 12 gestohlen hatte.

Er wurde jedoch erwischt und Richter Mitchell am Strafgericht ließ keine Nachsicht walten: Hackethal wurde zu vier Monaten Zuchthaus mit harter Arbeit verurteilt.
Quelle: Port Pirie Recorder and North Western Mail, 18. Juni 1914, S. 4

Nachdem noch während seiner Haft der Erste Weltkrieg ausgebrochen war, wurde er anschließend auf Torrens Island bei Adelaide interniert (Quelle: torrensislandinternmentcamp.com.au). Sein Name findet sich auf der Liste der Gefangenen wieder, auch ein Foto gibt es dort von ihm.

Zu dem Thema Desertionen in Australien SIEHE: Dampfschiff „Fürth“: Tagebuch-Spezial – Deserteure, Einschleicher und wechselndes Personal

Über Torrens Island: SIEHE Auf den Spuren der Seeleute des Dampfschiffes „Fürth“   und https://torrensislandinternmentcamp.com.au/index.html (in englischer Sprache)

Port Pirie 1910

Die Industriesilhouette von Port Pirie, Aufnahme um 1910, heute (2022) befindet sich hier die größte Bleihütte der Welt; Port Pirie Collection, Ref. B 22839, State Library of South Australia, über trove.nla.gov.au

In Niederländisch-Indien

Nach dem Ablegen von Port Pirie lag die „Varzin“ noch einmal fünf Tage in Port Adelaide (14. – 19. Juni). Über die aufgenommene Fracht habe ich keine Informationen, oft transportierten die DADG-Schiffe große Mengen Mehl nach Java. Adelaide besaß große Mühlen und Niederländisch-Indien war für sie ein wichtiger Absatzmarkt.

Am 1. Juli erreichte die „Varzin“ das erste Mal den Hafen Batavias (heute Jakarta), Tandjong Priok. Das erste Mal deshalb, weil die folgende Route der „Varzin“ nach Osten führte, bevor das Schiff noch einmal nach Batavia zurückkehrte, bevor es Niederländisch-Indien wieder verließ.

Von Batavia bediente die „Varzin“ Makassar (Sulawesi/Celebes), Soerabaya und nach niederländischen Medien auch die Häfen Indramajoe und Tegal (alle Java).

Makassar und Soerabaja waren regelmäßige Fahrtziele im Linienverkehr der DADG. Für Indramajoe und Tegal trifft dies nicht zu, hier gab es offenbar einen punktuellen Bedarf.

Die zweite Abfahrt von Batavia ist für den 24. Juli dokumentiert, die nächsten Ziele der „Varzin“ waren Singapur und Penang, beides damals britische Besitzungen („Straits Settlements“). Den Hafen von Penang verließ die „Varzin“ am 30. Juli 1914.

Batavia 1907

Ankunft eines Dampfers im Hafen Tandjong Priok (Batavia), 1907, Tropenmuseum Amsterdam, Inventarnummer TM-60060778, collective.wereldculturen.nl

Ahnungslos auf hoher See

Eine erste Warnung an ihre Kapitäne über den bevorstehenden Ersten Weltkrieg hatte die Hamburger Zentrale der Deutsch-Australischen Dampfschiff-Gesellschaft am Nachmittag des 1. August 1914 deutscher Zeit versandt. Diese erreichte jedoch nur Schiffe mit Telegrafie an Bord oder Schiffe in Häfen.

Die „Varzin“, Baujahr 1899, war wie viele andere ältere Schiffe der DADG auch, nicht mit drahtloser Telegraphie ausgestattet. Die Mannschaft war demzufolge nicht über die weltpolitischen Änderungen informiert und steuerte ahnungslos über den Indischen Ozean auf die Einfahrt des Roten Meeres und den Suezkanal zu.

Feldhusen dürfte die Fahrt durch den Indischen Ozean genossen haben. Sein Leben lang wird er sich darin erinnern, wie der Koch fliegende Fische auf Deck einsammelte und mit ihnen den Speisezettel der Mannschaft bereicherte.

Zu diesem Zeitpunkt konnte Feldhusen auch noch damit rechnen, in gut einem Monat wieder in Hamburg anzukommen. Schließlich gab es für den Erstfahrer zu Hause eine Menge zu erzählen.

Aden Perim map 1906

Die britischen Protektorate Aden und Perim auf einer Karte aus dem Jahr 1906; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:British_dependencies_of_Aden_and_Perim_(1906).jpg

In britischer Gefangenschaft

Am 13. August 1914 befand sich die „Varzin“ am Eingang des Roten Meeres und steuerte die Insel Perim an. Die Briten betrieben hier eine Kohlenstation und Kapitän Kuhlmann wollte bzw. musste hier sicherlich Kohlen bunkern.

In Perim erfuhren Kapitän und Mannschaft jedoch, dass zwischen Großbritannien und Deutschland jetzt Krieg herrschte.

Ein britischer Offizier beschlagnahmte das Schiff und verhaftete die Mannschaft.

… At that port a British officer with troops from the native garrison, came on board, put the machinery out of gear, and took possession of the ship. The Germans were landed at Aden for Bombay …
Murray Pioneer and Australian River Record, 24. Dez. 1914, S. 12; trove.nla.gov.au

In der Folge kamen sowohl Schiff und Mannschaft nach Aden und anschließend nach Bombay.

Von Bombay führte der Weg Feldhusens und seiner Mannschaftskollegen nach Ahmednagar.

Ahmednagar war das größte der Gefangenenlager Britisch Indiens und lag im Hinterland ca. 250 Kilometer von Bombay entfernt. Hier waren während des Ersten Weltkrieges etwa 2000 Prisoners of War interniert.

Anmerkung: Der Name des indischen Lagers ist der Familie Feldhusen heute nicht mehr bekannt. In einem Katalog der Schweizer Auktionsfirma Rölli konnte ich jedoch einen Brief finden, der an Kapitän Carl Kuhlmann in Ahmednagar adressiert ist. Damit ist anzunehmen, dass die ganze Mannschaft dort interniert war (https://roelliphila.ch/assets/Uploads/Katalog67-Lose0001-2039.pdf).

Die Gefangenschaft Feldhusens sollte fast sechs Jahre dauern, eine Zeit, die er immer in schlechter Erinnerung behielt. Hinzu kam eine schwere Malariaerkrankung, die sich Feldhusen während seiner Gefangenschaft in dem tropischen Klima zuzog und von der er sich sein Leben lang nicht mehr erholen sollte. Da war es ein schwacher Trost, dass er im Lager mit seinen fachlichen Kompetenzen im Maschinenbau durchaus Anerkennung gefunden hatte.

Die untenstehende Abbildung zeigt die extrem eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten der Gefangenen im Lager Ahmednagar.

Ahmednagar 1914

Postkarte des Gefangenen Ludwig Zietz vom 7.12.1914 aus dem Gefangenenlager Ahmednagar, Indien; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:POW_postcard_WW_I_Ahmednagar_1914.jpg

Rückkehr

Es sollte bis in das Jahr 1920 dauern, bis Feldhusen wieder nach Deutschland zurückkehren konnte. Wie in vielen anderen Lagern verzögerte sich die Rückkehr immer und immer wieder. Das größte Problem war die Bereitstellung von Schiffen, die die Gefangenen wieder in ihre Heimat transportieren konnte.

Dort traf die Rückkehrer dann der nächste Schock. Deutschland war ein anderes geworden. Nichts war mehr so wie es war.

Über die politischen Rahmenbedingungen hatte ich hier berichtet: SIEHE Rückkehr in ein fremdes Deutschland

Feldhusen erging es nicht anders: Bei seiner Rückkehr nach Hademarschen waren die Eltern nicht mehr am Leben und das väterliche Anwesen in andere Hände gefallen.

Kurze Zeit später lernte Feldhusen eine junge Frau aus dem Nachbarort kennen und heiratete sie. Das junge Paar kaufte sich ein Haus in Hademarschen und betrieb einen Fahrradhandel und eine kleine Schlosserei.

Zur See fuhr Hans Daniel Feldhusen nicht mehr. Seine Dienstzeit auf See hatte damit nur vier Monate und elf Tage gedauert (siehe den Eintrag in seinem Seefahrtbuch auf der Titelabbildung). Er starb im Jahr 1966.

Hademarschen 1923

Hans Feldhusen mit seiner Frau in Hademarschen, Foto aus Familienbesitz, © Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Familie Feldhusen

Nachtrag: Die „Varzin“ ab August 1914

Die „Varzin“ kam wie die Mannschaft zunächst nach Bombay.

Später im Jahr wurde die Ladung oder zumindest ein Teil davon nach London gebracht, wo das Schiff am 19. Dezember ankam.

Varzin in London, 19 December 1914

Ankunft der „Varzin“ in London; Ausschnitt aus De Maasbode, 22. Dez. 1914; http://www.delpher.nl

Während des Krieges blieb das Schiff in britischer Hand, die Bereederung übernahm die Reederei Grahams & Co. in London.

1919 wurde die „Varzin“ dem Secretary of State of India in Bombay unterstellt, bevor sie 1922 nach Griechenland verkauft und in „Electra Stavroudi“ umbenannt wurde. Reeder war E. F. Stavroudis in Chania (Insel Kreta).

1929 wurde die exVarzin an A. S. Vlassoupoulos in Ithaka verkauft. Das Dampfschiff erhielt den neuen Namen „Ioannis Th. Vlassoupoulos“; es wurde allerdings noch im gleichen Jahr abgebrochen.

Quelle für die Angaben der „Varzin“ ab 1915: Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888-1926, R. Schmelzkopf (Eigenverlag: Strandgut), Cuxhaven 1984.

Dampfschiff Varzin

Frachtdampfer „Varzin“, Aufnahmeort und -datum unbekannt; schönes Detail: Wäsche hängt zum Trocknen auf der Back, Foto aus der Sammlung Kludas, © R. Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft 1888-1926, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven (1984); Foto ursprünglich aus der Ernest G. Best postcard collection of merchant vessels (4961 Objekte!), State Library of New South Wales; ref. 861946

Dank

Ich danke der Familie Feldhusen vielmals für die ausführlichen Informationen, die sie bereitwillig einem Unbekannten über ihren (Ur-)Großvater und ihre Familie mitgeteilt hat. Ebenso für das Einverständnis, das Schifffahrtsbuch, das Gemälde des Schiffes und das Foto von Hans Feldhusen und seiner Frau hier im Blog abbilden zu dürfen. Nochmals vielen Dank dafür.

Wenn auch Sie Vorfahren haben, die auf Schiffen der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft vor dem Ersten Weltkrieg gefahren sind, würde ich mich über Ihre Nachricht sehr freuen.

Das gleiche gilt auch, wenn Sie Vorfahren haben, die während des Ersten Weltkrieges in Australien, Britisch Indien, Südafrika oder in den portugiesischen Besitzungen gefangen gehalten wurden. Auch Schicksale deutscher Seeleute, die 1914 – 1918/19 im neutralen Niederländisch-Indien verbringen mussten, würden mich sehr interessieren.

All dies wurde bislang wenig thematisiert und droht, in Vergessenheit zu geraten. Ich möchte mit diesem Blog ein wenig dazu beitragen, dass dieser Teil der Geschichte wieder lebendig wird.

Sultania, Hamburg 1925

Dampfschiff „Fürth“: Rückkehr nach Hamburg im Jahr 1925

Titelbild: Anzeige des Deutschen Seefrachtenkontors in den Hamburger Nachrichten vom 21. Oktober 1925; Quelle: Europeana Collections, europeana.eu

Nach elf Jahren

Am Abend des 25. April 1914 verließ der Frachtdampfer „Fürth“, ein Schiff der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft den Hamburger Hafen.

Weniger als vier Monate später war der Erste Weltkrieg ausgebrochen und das Dampfschiff vor Ceylon von der Royal Navy gekapert worden und durch die Entscheidung des Prisengerichts Colombo an die Britische Krone übereignet worden.

Seitdem war aus der „Fürth“ die „Kerman“ und später die „Sultania“ geworden und der Heimathafen war jetzt nicht mehr Hamburg, auch nicht mehr London, sondern Bombay.

Kaispeicher A, Hamburg

Hamburger Hafen, Kaispeicher A (Kaiserspeicher) mit Zeitball, 1910, Ölgemälde von John Gleich; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:John_Gleich_-_Hamburger_Hafen.jpg

Anmerkung: Zur Funktion des Zeitballs siehe: Tagebuch der „Fürth“ (3): Bunkern und Laden im Hamburger Hafen

Umso überraschender ist es, dass das Schiff, das nach dem Jahr 1920 den Indischen Ozean vermutlich nicht mehr verlassen hatte, im Herbst 1925 zu einer Fahrt nach Europa aufbrach und dabei auch im Hamburger Hafen anlegte.

Über London, Cardiff und Port Sudan sollte die „Sultania“, exFürth anschließend nach Bombay zurückkehren.

Hamburger Hafen 1910

Hamburger Hafen, 1910; Ölgemälde von Friedrich Kallmorgen; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hamburger_Hafen_1910_by_Friedrich_Kallmorgen.jpg

Reise nach Genua, Rotterdam und Hamburg

Im Frühjahr/Sommer 1925 war die „Sultania“ zunächst wieder für den Transport indischer Pilger nach Mekka eingesetzt worden.
Quelle: The Singapore Free Press and Mercantile Advertiser, 3. Juni 1925, S. 14; Digitales Zeitungsarchiv Singapur, eresources.nlb.gov.sg

Am 5. September 1925 verließ die „Sultania“ dann Bombay und lief zunächst nach Aden und anschließend durch den Suezkanal nach Genua, wo das Schiff am 3. Oktober anlegte.

Die Abfahrt von Genua ist für den 6. Oktober dokumentiert, nächster Hafen war Rotterdam mit Ankunft am 19. Oktober.

Hier wurden 16035 Sack Kopra und 7 Ballen Wolle gelöscht. Laut dieser Meldung kam die Ladung aus Colombo.

Ashby, master 1925

Frachtliste der Sultania, Scheepvaart, 22. Okt. 1925, delpher.nl

Der Makler N.V. Cargadoors- & Scheepvaartkantoor ‚Levant‘ forderte die Ladungsempfänger über eine Zeitungsanzeige auf, die Waren abzuholen.

Sultania 1925

Anzeige in Scheepvaart vom 19. Oktober 1925; Quelle: delpher.nl

Am 23. Oktober 1925 erreicht die „Sultania“ um 17.05 Cuxhaven, ehe das Schiff noch am gleichen Abend im Hamburger Hafen festmacht, genauer gesagt im Segelschiff-Hafen.

Schuppen 52, Hamburger Hafen, 1911

Schuppen 52 am Australiakai im India-Hafen in der Bildmitte, rechts davon der Hansa-Hafen und der Segelschiff-Hafen, Ausschnitt aus Richters Großer Plan von Hamburg, Altona-Ottensen und Wandsbek. Herausgegeben von der Verlagsanstalt und Druckerei GmbH, Hamburg, 1911. Quelle: http://www.christian-terstegge.de; dort finden Sie noch viele weitere schöne Pläne und Fotos aus der Geschichte Hamburgs

Eine große Menge Fracht für Hamburg kann es nicht gewesen sein, denn bereits zwei Tage später, am 25. Oktober 1925 verließ die „Sultania“ Hamburg in Richtung London.

Eine weitere Information, die aus den Anzeigen hervorgeht, ist der Name des Kapitäns: Ashby. Leider konnte ich aufgrund dieser knappen Angabe keinen Kapitän Ashby sicher zuordnen.

Hafen Hamburg 1939

Motiv aus dem Hamburger Hafen, 1939, Ölgemälde von Theodor Hummel; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Theodor_Hummel_Hamburger_Hafen.jpg

Die “Fürth” war also inkognito nach Hamburg zurückgekommen. Ob jemand im Hamburger Hafen das Schiff wiedererkannt hat, muss dahingestellt bleiben.

Nicht immer war ein aufmerksamer Beobachter vor Ort wie zum Beispiel im Sommer 1926 der Journalist der Zeitung The Daily News (Perth), der die ehemalige „Hanau“ im Hafen von Fremantle wiedererkannt hatte, aus der das Trampschiff „Ribera“ geworden war. SIEHE: Schwesterschiffe der „Fürth“: die „Hanau“

Hamburger Hafen, 1936

Hamburger Hafen, vor 1936, Ölgemälde von Hans Hartig; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hans_Hartig_Hamburger_Hafen.jpg

London und Cardiff

Die Ankunft in London ist anschließend für den 28. Oktober dokumentiert, wo die „Sultania“ etwa fünf Tage Liegezeit hatte, bevor sie am 6. November den Lizard Point passierte und am 7. November Cardiff erreichte.

Nach einer Woche, am 14. November 1925 verließ die „Sultania“ den Hafen Cardiff mit 5.500 Tonnen Treibstoffen (fuel) für Port Sudan.
Quelle: Western Mail, 16. Nov. 1925, Cardiff – Sailings (The British Newspaper Archive).

Bei den Treibstoffen dürfte es um Mineralölprodukte, wie Petroleum gehandelt haben (cased oil). Kohle scheidet aus, da sonst „coal“ angegeben wäre, wie bei den meisten anderen Schiffen in der gleichen Meldung.

Port Sudan 1910

Port Sudan, Laden und Bar der „Lorenzato Brothers“, zweier griechischer Brüder; Postkarte, gelaufen 1910; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:PortSudan_LorenzatoBrothers_1910s.jpg

Port Sudan

Der Zielhafen Port Sudan (heute Bur Sudan) liegt knapp 700 Kilometer von der Hauptstadt Khartum entfernt. Seit 1906 war die Hafenstadt mit einer Bahnlinie nach Khartum angeschlossen. Auch die Verladeeinrichtungen am Hafen waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts modernisiert worden.

Mit der Abfahrt aus Cardiff am 14. November 1925 verschwindet die „Sultania“ endgültig vom Radar der Schiffsmeldungen in europäischen Medien.

Über das wenige was aus den letzten Jahren über das Schiff bekannt ist, demnächst mehr hier im Blog.

Alfred Renz, Hafen Hamburg

Hamburger Hafen, Ölgemälde von Alfred Renz, vor 1930; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Alfred_Renz_Hamburger_Hafen.jpg

Hafen Hamburg

Barke im Hamburger Hafen, vor 1939, Ölgemälde von Heinrich Steinhagen; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Heinrich_Steinhagen_-_Barke_im_Hamburger_Hafen.Jpeg

Buenos Aires, docks and grain elevators 1913

Weizen aus Südamerika – die letzte Fahrt der „Kerman“, exFürth

In Port Talbot, Argentinien, Hull und Ipswich

Titelbild:
Hafen Buenos Aires mit Getreidesilos (grain elevators), Stereoskopkarte, 1913, Quelle: Library of Congress, Washington DC, https://www.loc.gov/item/2019630117/

Die Cunard Line hatte die „Kerman“, exFürth auf einer geplanten Fahrt von London nach New York nicht eingesetzt und es vermutlich an einen Schiffsmakler weitervermittelt, der Bedarf an Schiffsraum hatte. SIEHE dazu den Blogartikel: Die „Kerman“, exFürth bei einer der bekanntesten Reedereien der Welt: Cunard Line

Am 16. Januar 1920 war die „Kerman“, exFürth daher aus London in Ballast in Port Talbot (Wales) angekommen.

Von dort lief der Frachtdampfer dann mit einer Ladung Kohlen nach Gibraltar.

Anschließend ging die Fahrt über den Atlantik nach Argentinien, wo die „Kerman“, exFürth eine Ladung Weizen aufnahm und damit nach Hull und Ipswich fuhr.

Es sollte die letzte Fahrt der „Kerman“, exFürth werden …

Port Talbot, about 1900

Port Talbot, Docks in den frühen 1900er Jahren; mit freundlicher Genehmigung des Rechteinhabers (SWANSEA AND PORT TALBOT DOCKS HISTORY), http://www.swanseadocks.co.uk/

Häfen in Südwales

Südwales produzierte und exportierte Anfang des 20. Jahrhunderts eine gewaltige Menge Kohle. In der Folge waren die Häfen oft überlastet und das erklärt, dass in geringem Abstand viele Hafenanlagen errichtet und erweitert wurden: Newport, Cardiff, Penarth, Barry, Port Talbot und Swansea. Sechs Häfen, die gerade einmal 50 englische Meilen (80 Km) voneinander entfernt liegen (von Newport im Osten nach Swansea im Westen).

Bis auf die Penarth Docks, die 1963 für den Frachtverkehr geschlossen wurden, sind die anderen Häfen auch heute noch aktiv, wenngleich auch in bescheidenerem Rahmen. Sie sind als South Wales Ports in den Associated British Ports zusammengeschlossen.

lock gates Port Talbot about 1890

Port Talbot, Bau der äußeren Schleusentore, 1890er Jahre; mit freundlicher Genehmigung des Rechteinhabers (SWANSEA AND PORT TALBOT DOCKS HISTORY), http://www.swanseadocks.co.uk/

Der Hafen Port Talbot

An der Mündung des Flusses Afan existierte seit dem 17. Jahrhundert ein Kohlehafen, der sich durch den Anschluss von Bahngleisen zu den Kohlebergwerken rasch vergrößerte.

Der Bau von Docks begann dann 1836 durch die Port Talbot Dock Company. Erweiterungen folgten 1874 und 1898, wobei weitere Bergwerke durch Bahnen angeschlossen wurden.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden in Port Talbot große Stahlwerke. Bis heute (2021) dominieren die Port Talbot Steelworks, eines der größten Stahlwerke Europas, das Stadtbild.

Die Stahlproduktion führte zu einem raschen Anstieg des Erzimports und zu einem weiteren Ausbau des Hafens. Heute ist Port Talbot einer der wenigen Häfens Großbritanniens, der Schiffe mit 170.000 dwt (deadweight tonnage), also wirklich große Massengutfrachter, aufnehmen kann.

Port talbot, docks in construction

Port Talbot, Bau der Docks in den 1890er Jahren; mit freundlicher Genehmigung des Rechteinhabers (SWANSEA AND PORT TALBOT DOCKS HISTORY), http://www.swanseadocks.co.uk/

Der Makler D. Jenkins und die Lysberg Ltd.

Zeitungsmeldungen der Western Mail, Cardiff nennen bei der Abfahrt der „Kerman“, exFürth aus Talbot zwei Unternehmen: den Makler D. Jenkins und die Exportgesellschaft Lysberg Ltd.

Jenkins

ENTERED OUTWARDS – Jan. 19.

Gibraltar, Kerman, B (Waterlow), D. Jenkins

Western Mail, 20. Jan. 1920; Quelle: The British Newspaper Archive

In Lloyd’s Register of Shipping, Band 2 (Ausgabe 1910) wird die Firma D. Jenkins & Sons als Abonnent aufgelistet.

PORT TALBOT, WALES
…1898 Jenkins D., & Sons, Shipbrokers and Commission Agents.

Das Abonnement des Lloyd‘s Registers bestand also seit 1898 und die Geschäftstätigkeit war die eines Schiffsmaklers und Kommissionärs.

Anderen Zeitungsmeldungen zufolge war D. Jenkins & Sons im Kohleexport auf das europäische Festland aktiv.

Mehr konnte ich leider nicht über das Unternehmen D. Jenkins & Sons herausfinden.

Port Talbot about 1900

Port Talbot, Stadt und Hafen um 1900; mit freundlicher Genehmigung des Rechteinhabers (SWANSEA AND PORT TALBOT DOCKS HISTORY), http://www.swanseadocks.co.uk/

Lysberg Ltd.

Mehr ist über Lysberg Ltd. bekannt: Die 1908 gegründete Lysberg Ltd. war ein führendes Unternehmen für den Export walisischer Kohle nach Frankreich und Spanien.

Im Gegenzug wurde aus Frankreich Grubenholz (pitwood) nach Wales geliefert. Die regelmäßige Versorgung der walisischen Bergwerke mit Holz sicherte vor allem im Ersten Weltkrieg den regelmäßigen Betrieb der Gruben.

Lysberg war Lieferant der französischen Marine und im Ersten Weltkrieg sicherte Lysberg die Versorgung von Kohlenstationen an den Atlantik- und Mittelmeerküsten der Iberischen Halbinsel.

Vorsitzender der Lysberg Ltd. war Lord Rhondda, eigentlich David Alfred Thomas, Politiker und Großindustrieller, der mehrere Kohlebergwerke in Südwales besaß. Hauptsitz des Unternehmens war Cardiff. Filialen existierten in Port Talbot, Swansea, Newport, London, Newcastle und Glasgow.

Die Exportmeldung vom 5. Februar 1920 in der Western Mail (Cardiff) weist aus, dass die „Kerman“, ex Fürth 4783 Tonnen Kohle nach Gibraltar transportierte:


PORT TALBOT.

EXPORTS.-Feb. 4

Gibraltar, Kerman, 4,783 coal, Lysberg (Ltd.)

Von Gibraltar fuhr die „Kerman“, exFürth dann nach Argentinien.

Dank

Die Angaben über die Lysberg Ltd. beruhen auf einer schriftlichen Mitteilung des Vereins SWANSEA AND PORT TALBOT DOCKS HISTORY. Bei diesem bedanke mich ebenfalls für die Genehmigung, historische Aufnahmen von Port Talbot in meinem Blog verwenden zu dürfen.

Die Seite wird ehrenamtlich von ehemaligen Angestellten der Hafenanlagen betrieben. Schauen Sie doch einmal vorbei! http://www.swanseadocks.co.uk/

Buenos Aires map 1888

Situationsplan von Buenos Ayres 1888; Meyers Konversationslexikon über commons.wikimedia.org

Buenos Aires

Buenos Aires (Buenos Ayres in der alten Schreibweise) war seit 1880 die Hauptstadt Argentiniens und Ende des 19. Jahrhunderts die größte Stadt Südamerikas. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte Buenos Aires über 1,5 Millionen Einwohner. In den zwanzig Jahren davor hatte sich die Einwohnerzahl durch die Einwanderung aus Europa, vor allem aus Italien, mehr als verdoppelt.

Als erste Stadt Südamerikas erhielt Buenos Aires bereits im Jahr 1913 eine U-Bahn.

Buenos Aires war und ist der wichtigste Hafen Argentiniens. Während der Belle Epoque erfuhren die Exporte Argentiniens ein immenses Wachstum. Auch während des Ersten Weltkriegs war die Nachfrage aus den Ländern der Alliierten äußerst hoch. Der Export in das Deutsche Kaiserreich brach dagegen ein.

Wichtigste Exportprodukte waren Weizen, Wolle, gefrorenes Rindfleisch, Mais, Häute (gesalzen und getrocknet), Leinsaat (Leinsamen), Hafer und Talk.

Quelle: Why die Argentina become a super-exporter of agricultural and food products during the Belle Epoque (1880-1929)? – European Historical Economies Society, Working Papers, no. 107 (2017); http://www.ehes.org.

Argentina about 1900

Karte von Argentinien (Ausschnitt), frühes 20. Jahrhundert, Project Gutenberg; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:MAP_OF_ARGENTINA_AND_ADJOINING_STATES-UK-1900s-PG-40069.jpg; wichtige Häfen zur Verdeutlichung ergänzt

Rosario

Spätere Zeitungsmeldungen von The Scotsman (7. und 17. Mai 1920) weisen darauf hin, dass die „Kerman“, exFürth den Rio Paraná von Buenos Aires bis Rosario hinaufgefahren ist. Die Stadt war und ist für Seeschiffe erreichbar und hatte 1920 um die 300.000 Einwohner.

Zur Unterscheidung anderer Ort namens Rosario, ist der Name vollständig Rosario de Santa Fe nach der argentinischen Provinz Santa Fe.

Encyclopedia Britannica 1911 beschreibt die Stadt unter anderem wie folgt:

The city is chiefly commercial, being the shipping port for a large part of northern Argentina, among its exports being wheat, flour, baled hay, linseed, Indian corn, sugar, rum, cattle, hides, meats, wool, quebracho extract, &c.

Anmerkung: Quebracho ist ein Hartholz.

Der Hafen war zu Beginn des 20. Jahrhunderts von einer französischen Firma gut ausgebaut worden:

Since 1902 work has been in progress under a contract with a French company for the construction of 12,697 ft- of quays, 23 m. of railway tracks along the quays to connect with the several railways entering the city, drawbridges, roadways, sheds, depots, elevator, offices, electric plant, fixed and movable cranes, and other appliances, &c., for the handling of produce and merchandise.
(gleiche Quelle)

Rosario erfuhr nach dem Ersten Weltkrieg einen starken Zuwachs durch europäische Einwanderer.

Rosario, Argentina, 1903

Rosario, Mercado Sud in der Straße San Martin, um 1903, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mercado_del_Sud_(postal_MA).jpg

Von Buenos Aires nach Großbritannien

Die Abfahrt der „Kerman“, exFürth von Buenos Aires war am 8. April 1920 (Shields Daily News von Montag, dem 12. April 1920). Der Zielhafen stand bereits fest, es war Ipswich.

FOREIGN SAILINGS.

Buenos Ayres, April 8

Kerman, Ipswich;

Dass der Zielhafen bei der Abfahrt feststand, war keine Selbstverständlichkeit, denn Weizen wurde oft erst während der Schiffsreise verkauft und der Zielhafen später festgelegt. Das hatten wir auf einer Fahrt der „Fürth“ von Australien gesehen. Kapitän Richter war erst auf Teneriffa informiert worden, dass er seine Ladung in Shields (Newcastle-on-Tyne) löschen sollte. SIEHE: 6000 t Weizen für England

Auch diesmal gab es einen Zwischenstopp auf den Kanarischen Inseln. Die Weiterfahrt der „Kerman“, exFürth von Las Palmas (Cran Canaria) ist für den 27. April 1920 belegt (Shields Daily News, 30. April 1920).

Hull und Ipswich

Laut Zeitungsmeldungen in The Scotsman, Edinburgh kam die Kerman, exFürth am 5. Mai 1920 in Hull an und acht Tage später, am 13. Mai in Ipswich.

Ärger in Hull (Kingston-upon-Hull)

Die Stadt liegt an der Mündung des Hull River in den großen Mündungstrichter (Ästuar) Humber. Der Hafen hatte durch den Walfang und die Emigration nach Nordamerika große Bedeutung erlangt.

Ein Seemann der „Kerman“, exFürth machte nach der Ankunft in Hull Ärger und griff einen Polizisten an. James Smith musste für seine Trunkenheit sieben Schilling und sechs Pennies bezahlen. Weitaus teurer für ihn war, dass er dem Polizisten eins auf Auge gab. Die Strafe dafür: zwei Guineen.

Eine Guinee waren ein Pfund und ein Schilling, also 21 Schilling. Das machte eine Strafe von zusammen 49 Schilling und sechs Pennies oder anders ausgedrückt von knapp zweieinhalb Pfund.

Seinen Verdienst kennen wir nicht, er dürfte so um 10-12 Pfund pro Monat gelegen haben.

Hier die Meldung im Original:

Assault on the Police.—James Smith, seaman, of the s.s. Kerman lying in the Alexandra Dock, was charged with being drunk in St. John’s-street and assaulting P.C. Bell in Alfred Gelder-street. The officer stated that Smith was violent and hit him in the eye, saying “ going to have a go for it.“ The assistance of two civilians had to be obtained while P.C. Bell put the “snaps“ on the prisoner. – For being drunk Smith was fined 7s 6d and for the assault two guineas.
Hull Daily Mail, Do 6.
Mai 1920; Quelle: British Newspaper Archive.

Hull, map

Plan von Hull von A. Fullarton & Co. (1866); Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hull1866.jpg

Löschen in Ipswich

Laut zwei Importmeldungen ist der Weizen der „Kerman“, exFürth allerdings erst in Ipswich gelöscht worden.

Ipswich liegt 220 Seemeilen südlich von Hull am Unterlauf des River Orwell etwa 19 Kilometer von der offenen See entfernt.

Vor dem Ersten Weltkrieg war der Weizen auf der „Fürth“ noch in Säcken transportiert worden. Das war jetzt bereits Geschichte und der Umschlag erfolgte als Schüttgut über Getreidesilos (grain elevators).

Die importierte Menge wird mit 4600 Tonnen angegeben, die zu einem Preis von 94 Shilling gehandelt wurden.

FLOATING GRAIN CARGOES.

London (the Baltic), Friday.
WHEAT. – Government allocations have been on a freer scale at the established rates, and business has been recorded in La Plata, per Orange River, and a part cargo of 2,000 tons, per Aylesbury, at 94 s; to Ipswich 5,000 tons per Gundomar, and 4,600 tons, per Kerman, were dealt in at the same price; …
Belfast News-Letter, 17. April 1920; Quelle: British Newspaper Archive.

Der Vollständigkeit halber sei noch eine letzte Zeitungsmeldung über die „Kerman“ erwähnt:

Verwirrend finde ich die Meldung aus der Hull Daily Mail vom 13. Mai. Demnach wäre die „Kerman“ am 13. Mai morgens in Hull angekommen. Die gleiche Zeitung hatte allerdings bereits eine Woche früher über den betrunkenen Matrosen berichtet, der mit der „Kerman“ angekommen war.

HULL SHIPPING.

ALEXANDRA DOCK.
ARRIVAL, May 13th (a.m. tide).
Kerman s, Ipswich, grain.
Hull Daily Mail, 13. Mai 1920, Quelle: British Newspaper Archive.

Demnächst im Blog

Mit dieser Fahrt von Argentinien an die englische Ostküste endet die kurze Geschichte des Schiffes „Kerman“ und die exFürth wird ein weiteres Mal verkauft und erneut umbenannt werden.

Mehr darüber in Kürze hier im Blog.

Schwebefähre Buenos Aires

Buenos Aires, Avellaneda Brücke, 1914-1920 , Library of Congress, https://www.loc.gov/item/2016821930/ Der Puente Transbordador „Nicolás Avellaneda“ ist eine Schwebefähre. Sie existiert heute noch.