Reisevorbereitungen
Bildnachweis Titelbild: Logbuch des Dampfschiffes „Fürth“, Seite 3 (Ausschnitt); mit freundlicher Genehmigung des National Museums Liverpool (Merseyside Maritime Museum), Ref. B/HAR/11/4/1
Dieser Artikel setzt die Reihe Schiffstagebuch der „Fürth“ fort. Die „Fürth“ hatte im Trockendock von Blohm & Voss im Hamburger Hafen einen neuen Antifouling-Anstrich bekommen, der über Nacht trocknen konnte und die Reparatur am Heck hatte begonnen: Tagebuch (2) : Die „Fürth“ im Trockendock
Für den nächsten Tag finden wir folgende Einträge:
22. April 1914
Mittwoch d. 22. April 1914. Schönes Wetter
6.45 am wurde das Dock zu Wasser gelassen, holten längsseit Dock 3 und machten an diesem das Schiff gut fest. Es assistierten 2 Schlepper von Blohm & Voss, Hafenlotse Matthees.
Mannschaft verrichtete Decksarbeit.
Bunkern von 1 h pm bis 2 h am 23. Apr. mit 1 Gang. Nahmen 622 Tons Kohlen über, hiervon 530 Tons in Seitenbunker und 92 Tons in‘s Lower Deck Luke 3.
Schmiede von Blohm u. Voss bei Heckreparatur. Tank 1, 2, 3, 9, 8 u. 10 voll
Wache IV Offz. Christiansen
Steuermann: R. Hoffmann
Anmerkungen:
Bunkern = Auffüllen der verschiedenen Kohlenbunker mit Kohle zum Eigenverbrauch des Schiffes; über den Kohlenverbrauch hatte ich hier berichtet: Die Sache mit der Kohle; für die Fahrt nach Australien wurden etwa 1500 Tonnen Kohle verbraucht
Gang (s.u.)
Tons = damals übliche Angabe für Tonnen
Tank: hier sind die Trinkwassertanks gemeint
Gang und Gänge
Eine „Gang“ war eine Gruppe von Stauern, die aus etwa sechs bis zehn Hafenarbeitern bestand und von einem Vorarbeiter („Stauerviz“) geleitet wurde. Die Stauer verstauten die Ladung seemännisch in den Laderäumen, das heißt, dass auch bei starkem Seegang die Ladung nicht verrutschte und die Sicherheit des Schiffes gefährdete. Pro Ladeluke arbeitete eine oder zwei Gangs/Gänge (Kapitän Richter verwendet im Logbuch die Mehrzahl Gänge).
Die schwarze Gang
Die Beladung der Schiffe mit Bunkerkohlen oder das Laden und Löschen von Kohle als Fracht übernahmen sogenannte „schwarze Gangs“. Der Name ist selbsterklärend. Die ständige Anwesenheit von Kohlenstaub machte diese Arbeit sehr schmutzig und auch gesundheitsgefährdend.
Der Name hat sich über die Dampfschiffära hinaus erhalten. In neuerer Zeit wurde und wird mit dem Begriff eine Durchsuchungseinheit des Zolls so genannnt, die einlaufende Schiffe nach Schmuggelware untersucht.
23. April 1914
Donnerstag d. 23. April 1914. Trockenes Wetter.
5.30 am verholten von Dock 3 B. u. V. nach Schuppen 52, Lotse Carstens
Schlepper Emil u. Caroline.
7 h am fest am Quai
Laden von 7 h am bis 9 h pm mit 5 Gängen
Mannschaft bei Decksarbeiten u. Räume aufklaren.
Zimmerleute u. Maler bei Heckreparatur.
Das Schiff wurde außenbords schwarz gestrichen.
füllten die Frischwassertanks auf.
Raumwache Luke 1 Kühl, L. 2 Stephan, L. 3 u. 4 Thomas, L. 5 Möller
Wache II. Offz. Nagel
Anmerkungen:
Raumwache: beim Laden wurde den fünf Ladeluken jeweils ein wachhabendes Mannschaftsmitglied zugeteilt
Der Schuppen 52 am Australiakai
Der Schuppen 52 im Hamburger Indiahafen wurde 1910 fertiggestellt:
„Der neue Schuppen ist am 21. Juli 1910 mit unserem Dampfer „Osnabrück“ in Betrieb genommen. Er ist 271 Meter lang, hat 13 000 Quadratmeter Bodenfläche, für unseren Bedarf gut eingerichtet, mit elektrischen Krähnen und allen neuen Verbesserungen. Man hat uns diesen Schuppen für die eingehenden Dampfer ziemlich regelmäßig überlassen, ebenso weitere Schuppen am Australia-Kai, um unseren Betrieb möglichst zusammen zu halten. Eine Annahmestelle für ausgehende Güter ist dort auch eingerichtet worden.“
Quelle: Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, Otto Harms 1933.
Der Schuppen 52 im Hamburger Hafen gehört zu den letzten erhaltenen Umschlagsorten aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Er ist heute ein Veranstaltungsort oder auf Neudeutsch eine „Eventlocation“.

Schuppen 52 am Australiakai im India-Hafen in der Bildmitte, Ausschnitt aus Richters Großer Plan von Hamburg, Altona-Ottensen und Wandsbek. Herausgegeben von der Verlagsanstalt und Druckerei GmbH, Hamburg, 1911. Quelle: http://www.christian-terstegge.de; dort finden Sie noch viele weitere schöne Pläne und Fotos aus der Geschichte Hamburgs
Das Laden der „Fürth“ wird fortgesetzt
Freitag d. 24. April 1914. Unbeständig mit Regenschauern.
Laden von 7 h am bis 9 h pm mit 5 Gängen
Raumwache Luke 1 Kühl, L. 2 Stephan, L. 4 Thomas, L.5 Möller
Die neue Mannschaft wurde angemustert.
Die Chronometer kamen an Bord zurück. (Logbucheintrag in roter Schrift)
Die rote Seitenlampe No. 2706 zurück an Bord mit Attest. (Logbucheintrag in roter Schrift)
Wache III. Offz. Wodarz
Steuermann R. Hoffmann
Anmerkungen:
Die Anmusterung der Mannschaft fand in der Regel einen Tag vor Abfahrt beim Seemannsamt Hamburg statt, so wie auch in diesem Fall. Die genauen An- und Abmusterungszeiten für die Schiffe wurden unter anderem in den Tageszeitungen unter der Rubrik Seemannsamt veröffentlicht.
Chronometer: siehe unten
Die rote Seitenlampe befindet sich an der Backbordseite des Schiffes (die linke Seite des Schiffes von hinten aus gesehen). Nur zugelassene Lampen nach der Seestraßenverordnung konnten und können verwendet werden:
„Die Positionslaternen (Seiten- und Toplaternen) jedes Schiffes müssen von einer Agentur der Deutschen Seewarte geprüft und der Kaiserlichen Verordnung sowie der Bekanntmachung des Reichskanzlers, betreffend die Einrichtung der Positionslaternen auf Seeschiffen, entsprechend befunden sein“
Quelle: Unfallverhütungsvorschriften der See-Berufsgenossenschaft für Dampfer und Segelschiffe, §19, zitiert nach Johows Hilfsbuch für den Schiffbau (1910), Band 2 von 2, Vol. 2; abgerufen über books.google.fr
Zur Stärke dieses Lichts heißt es, „dass es in dunkler Nacht bei klarer Luft auf eine Entfernung von mindestens zwei Seemeilen sichtbar ist“ (Sicherheitssignalwesen auf See, 1895, dingler.culture.hu-berlin.de/article/pj298/ar298023)
Steuermann: R. Hoffmann war der erste Offizier an Bord der „Fürth“

Alter Hafenkran im Hamburger Hafen, Bild: Pixabay
Die Chronometer
An Bord der „Fürth“ befanden sich zwei Chronometer. Dies ist belegt durch eine Angabe der Reederei in der sogenannten Anzeige, einem vierseitigen Formular, das die Reederei zur Eintragung der „Fürth“ in das Schiffsregister ausgefüllt hatte: Der Bielbrief der „Fürth“ und die Eintragung ins Schiffsregister
Das Hilfsbuch für die Schiffsführung schildert, wie die Chronometer an Bord zu handhaben sind:
„Das Chronometer muß in einem guten Chronometerkasten in einem zweckentsprechend gebauten Chronometerspind aufbewahrt werden. Das Chronometerspind soll in einem heizbaren (mittschiffs und möglichst tief gelegenen) Raum untergebracht werden. Es darf nicht in der Nähe von Heizkörpern, vom Maschinenraum, Mannschaftswohnraum, Luken, Niedergängen, elektrischen Anlagen und größeren vertikalen Eisenmassen aufgestellt sein. Auch ist es kein Aufbewahrungsraum für Reservemagnete, Reserverosen oder sonstige Eisenteile. Chronometer zum Beobachten nie aus dem Spind nehmen! Es empfiehlt sich, zu allen Beobachtungen eine Beobachtungsuhr (im Nachfolgenden immer mit U bezeichnet) zu verwenden, die jedesmal mit dem Chronometer verglichen wird. Chronometer jeden Morgen zur gleichen Stunde möglichst von derselben Person aufziehen lassen! Die Führung eines von der Deutschen Seewarte herausgegebenen Chronometertagebuches ist zu empfehlen. Auf jeden Fall über Stand und Gang des Chronometers Buch führen und täglich notieren: 1. Datum, 2. Schiffsort, 3. Temperatur im Chronometerspind, 4. täglicher Gang, 5. Stand im MG-Mittag, 6. Chronometervergleiche, 7. Bemerkungen über heftige Schiffsbewegungen in schwerer See usw. Jeden Tag zuerst Extremthermometer ablesen und anschreiben, dann Chronometer vergleichen, dann Chronometer aufziehen und schließlich Extremthermometer neu einstellen. Wenn ein Chronometer stehen blieb, ist mit dem Ingangsetzen zu warten, bis die auf dem Zifferblatt angezeigte Greenwicher Zeit wieder herangekommen ist, dann gebe man dem Kasten eine leise horizontale Drehung, so daß die Unruhe wieder schwingt. Wenn Zeiger ausnahmsweise gestellt werden müssen, nur Minutenzeiger (immer rechts herum!) drehen, indem man den Glasdeckel abschraubt und den Schlüssel auf das Vierkant des Minutenzeigers setzt. Bei der Einstellung aufpassen, daß der Minutenzeiger mit dem Sekundenzeiger übereinstimmt!
Müller J., Krauß J. (1925) Chronometerkontrolle. In: Hilfsbuch für die Schiffsführung. Springer, Berlin, Heidelberg; abgerufen am 6.12.2019 unter: https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-662-40000-5_5
Der Stand des Chronometers/der Chronometer wurde täglich zur Mittagsstunde im Schiffstagebuch notiert.

Marinechronometer aus dem Jahr 1910 (Waltham Boxed Chronometer), Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Waltham_Boxed_Naval_Chronometer,_1910.jpg
(This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.)
Der Zeitball
Auf der Schiffsreise konnte das Chronometer in manchen Häfen wieder auf die exakte Zeit justiert werden, was für die Bestimmung der geografischen Länge auf hoher See wichtig ist. Die Einrichtung dafür hieß Zeitball oder „time ball“.
„In manchen Häfen wird der mittlere Mittag oder irgend eine bestimmte Zeit, durch das Fallenlassen eines Ballons signalisirt.“ Quelle: Nautische Astronomie, F. Schaub, E. Gelcich, 1878 (abgerufen über books.google.fr).
Ein bekanntes Beispiel dafür ist der „Time Ball“ auf dem Flamsted House in Greenwich (London), der genau um 13.00 Uhr fällt und mit dem die Zeit des Bordchronometers korrigiert werden konnte. Für eine Vorbereitung der Zeitmessung wird er bereits fünf Minuten vorher auf die halbe Höhe gebracht und zwei Minuten vorher auf die volle Höhe. Heute wird er nur noch für Touristen bewegt.
„The Time Ball was first used in 1833 and still operates today. Normally each day, at 12.55, the time ball rises half way up its mast. At 12.58 it rises all the way to the top. At 13.00 exactly, the ball falls, and so provides a signal to anyone who happens to be looking.“
Quelle: Royal Museums Greenwich, http://www.rmg.co.uk/see-do/we-recommend/attractions/see-time-ball-drop

Das Flamsted House in Greenwich (London) mit dem Timeball, eigene Aufnahme, Februar 2019
Auf der Fahrtroute der „Fürth“ gab es Zeitbälle beispielsweise in Hamburg, Cuxhaven, Kapstadt und in den australischen Hafenstädten Sydney, Newcastle (NSW), Brisbane, Williamstown (Melbourne), Semaphore (Adelaide) und Fremantle.
Der Hamburger Zeitball wurde 1876 auf dem Kaispeicher A am Kaiserkai errichtet. Er war bis 1934 in Betrieb. An dem Standort steht heute die Elb-Philharmonie (Quelle: zeitball-hamburg.de).
Neben der Chronometerkontrolle durch Zeitbälle gab es auch astronomische Verfahren (auf der „Fürth“ zu einem späteren Zeitpunkt in Südafrika durchgeführt).
Abfahrt aus Hamburg
Nächste Woche im Blog: Letzte Vorbereitungen und „Schiff los!“: Die Abfahrt der „Fürth“ aus Hamburg am 25. April 1914.
Im Blickpunkt außerdem: der Hamburger Schlepper „Emil“ und die Seezeichen an der Elbe.
Copyright-Hinweis
Auf dem Logbuch ist ein © Copyright, das nach dem Zeitpunkt des Todes des Verfassers für 70 Jahre fortbesteht. Der erste Teil des Logbuches ist von Kapitän Richter, aber in großen Teilen auch von seinem ersten Offizier.
Kapitän Richter starb am 19. Februar 1917, somit sind die 70 Jahre lange abgelaufen. Jedoch ist mir für den ersten Offizier R. Hoffmann das Todesdatum nicht bekannt. Ich weise deshalb pflichtgemäß darauf hin, dass deshalb noch ein © Copyright auf dem Logbuch bestehen könnte.
Über alle Hinweise zu dem 1. Offizier R. Hoffmann bedanke ich mich herzlichst im Voraus. Bislang kann ich nur als Hinweis geben, dass er für diese Fahrt neu auf die „Fürth“ gekommen und im Sommer 1914 32 Jahre alt war: siehe Drei Mannschaftslisten der „Fürth“ aus dem Jahr 1914
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