Archiv für den Monat Februar 2021

Hobson's Bay, September 1915

In australischer Gefangenschaft

Aus dem Tagebuch eines Offiziers der Kaiserlichen Handelsmarine

Melbourne 1914/15

Titelbild:
Hobson’s Bay (Melbourne) mit sechs beschlagnahmten deutschen Frachtschiffen im September 1914; von links nach rechts: „Lothringen“ (Norddeutscher Lloyd), „Wildenfels“ (DDG Hansa), „Pfalz“ (Norddeutscher Lloyd), „Altona“, „Hobart“ (beide Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft), „Hessen“ (Norddeutscher Lloyd); Allan C. Green (Fotograf); State Library Victoria, Id H91.325/2155

Beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges

Viele deutsche Handelsschiffe waren bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges auf den Weltmeeren unterwegs. Die Nachricht vom Krieg oder seines möglichen Ausbruches errichte die deutschen Kapitäne, wenn sie denn in einem Hafen lagen. Hier im Blog hatte ich über den überstürzten Aufbruch einiger Schiffe aus australischen Häfen berichtet: Die „Fürth“ beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges

Die zweite Möglichkeit, Nachrichten zu erhalten, war auf Schiffe beschränkt, die bereits mit Telegrafeneinrichtungen ausgestattet waren. Im Jahr 1914 war das jedoch erst eine Minderheit. So hatte zum Beispiel die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) erst ab dem Jahr 1911 ihre Schiffe regelmäßig mit der damals neuen Technologie ausgerüstet (Telegrafie per Funk ) und nur drei kurz zuvor gebaute Schiffe wurden bis zum Ausbruch des Krieges nachgerüstet („Wismar“, „Eßlingen“ und „Fremantle“). Eine Übersicht der ausgestatteten Schiffe finden Sie in der Titelabbildung dieses Beitrages: Die Flotte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft 1914

Eine dritte, eher theoretische Option war, dass ein nicht mit Telegrafie ausgestattetes Schiff unterwegs einem Schiff mit Telegrafie begegnete und von diesem informiert wurde.

Ahnungslose Annäherung

Die Folge war, dass sich im August und sogar noch im September 1914 zahlreiche deutsche Handelsschiffe den kurz zuvor feindlich gewordenen Ländern und Häfen annäherten, ohne Kenntnis von der sich geänderten weltpolitischen Lage zu haben.

Als Beispiel sei die „Fürth“ genannt, die die Insel Ceylon in Sichtweite hatte und dort von HMS „Espiègle“ gekapert wurde (Die Kaperung der „Fürth“ ) oder die „Neumünster“, die sich Westaustralien näherte und kurz vor Fremantle von dem Kriegsschiff HMAS „Pioneer“ aufgegriffen wurde (Aus dem Logbuch des Schiffes „Neumünster“ ).

Von beiden genannten Schiffen haben sich Logbücher erhalten, die uns interessante Einblicke in die Handelsschifffahrt geben. Jedoch enden sie abrupt bei Kriegsausbruch.

Der Offizier Friedrich Meier

Hier kommt eine andere Quelle ins Spiel, die die Geschichte weitererzählt. Bei dieser Quelle handelt es sich um das Tagebuch eines vierten Offiziers des Norddeutschen Lloyd, Friedrich Meier, der auf dem Schiff „Lothringen“ seinen Dienst tat.

Viele Passagen aus seinem Tagebuch stehen meiner Meinung nach stellvertretend für die Erlebnisse anderer Offiziere der Handelsflotte, die ähnliches durchmachen mussten. Den einfachen Seeleuten ist es sicher deutlich schlechter ergangen.

Die „Lothringen“ war ein Frachtdampfer der sog. „Franken-Klasse“ mit gut 130 Metern Länge, 5008 BRT und 50 Mann Besatzung, der vom Norddeutschen Lloyd im Australiendienst eingesetzt war.

Wie die „Neumünster“ näherte sich das Schiff in direkter Fahrt aus Antwerpen dem australischen Kontinent an, ohne vom Ausbruch des Krieges Kenntnis zu haben. Im Fall der „Lothringen“ war der erste Zielhafen in Australien Melbourne.

Friedrich Meier schrieb anschließend in sein Tagebuch:

Melbourne, den 18. August 1914.

Bei unserer Ankunft am Sonnab. (15. 8.) erfuhren wir, daß zwischen Deutschland-Österreich und England Frankreich-Russland-Serbien-Belgien Krieg ausgebrochen sei. Es kam eine Wache von Marinesoldaten an Bord, und unsere ‚Lothringen‘ ging in der Hobsons Bay vor Williamstown vor Anker. Wir haben keine drahtlose Telegraphie an Bord und liefen deshalb nach unserer 47 tägigen Reise von Antwerpen nach hier ahnungslos in die Kriegsgefangenschaft.

Unsere handschriftlichen Sachen wurden noch an demselben Tage beschlagnahmt und an Land gebracht. Es darf keiner von uns an Land gehen und Zeitungen bekommen wir nicht zu sehen. Damit wir nicht fort können, hat man 5 Drucklagerbügel und die Kulissenstein-Lagerschalen der Hauptmaschine lose genommen und an Land gebracht – heute wurde jedoch schon alles wiedergebracht, weil wir in den Hafen sollen und unsere Ladung löschen. Ich bekam heute eine Postkarte von Nordenham. Außer drei Donkeyleuten und dem Bedienungspersonal will keiner von der Mannschaft arbeiten.

Quelle des Zitates und auch der folgenden Zitate: © Mitchell Library, State Library of New South Wales and Courtesy copyright holder; Call No. MLMSS 261 / Box 6 / Item 54 (Friedrich Meier diary);
siehe außerdem Copyright-Hinweise am Ende des Artikels

Port Phillip 1885

Williamstown, Hobson’s Bay und Port Phillip, Karte von 1888; Quelle: Meyers Konversationslexikon über https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Karte_Melbourne_MKL1888.png

Hobson’s Bay ist eine kleine Bucht innerhalb der großen Port Phillip Bay direkt vor der Zufahrt zum Yarra River, an dem der Hafen von Melbourne einige Meilen flussaufwärts liegt.

Das Schreiben und Erhalten von Postkarten und Briefen wird für Meier und sicher auch für die Mehrzahl aller Gefangenen eine eminent wichtige Bedeutung erlangen. So hält er fest, wann er von wem Post erhalten und wem er geschrieben hat. In der Folge gehe ich nur darauf ein, wenn die Informationen allgemeine Gültigkeit haben, zum Beispiel wie viele Briefe/Karten geschrieben werden durften.

In den Victoria Docks

Melbourne, den 22. August 1914.
Am Mittwoch (19.8.) fuhren wir den Yarra-Fluß hinauf und legten in die Victoria Docks. Die für Melbourne und Hobart bestimmte Ladung wird hier gelöscht. Gestern wurde der größte Teil der Mannschaft nach den „Victoria Barracks“ am St. Kilda Road gebracht. Alle an Bord gebliebenen bekommen von der australischen Regierung nach australischer Heuer bezahlt. Ich bekam für die 7 Tage, die wir hier liegen sollen, 74 Shilling 8 d, das entspricht einer Heuer von 16 £ pro Monat (320 M).

Die Victoria-Docks hatte ich in diesem Blogartikel beschrieben: Tagebuch (12): Die „Fürth“ in Melbourne

Hobart liegt in Tasmanien. Ladung dorthin wurde in Melbourne in der Regel auf andere Schiffe umgeladen.

Die Victoria Barracks waren eine Truppenunterkunft. Später dienten die Gebäude verschiedenen Zwecken; der Komplex an der St. Kilda Road existiert bis heute (2021).

74 Shilling 8d: 1 Shilling entsprach etwa 1 Mark und die Abkürzung d steht für Penny (Mehrzahl Pence, das „d“ steht für denarius, eine römische Silbermünze). 12 Pence waren 1 Shilling („s“), 20 Shilling wiederum ergaben ein Pfund (£ oder „l“)
Anders ausgedrückt hat er £3-14-8d (auch £3/14/8d geschrieben) bekommen.

Mehr über das britische Währungssystem vor der Dezimalisierung im Jahr 1971 hier: http://projectbritain.com/moneyold.htm

Eine Monatsheuer von 320 M muss Meier als viertem Offizier die Sprache verschlagen haben.

Seine normale Monatsheuer dürfte sehr viel niedriger gelegen haben. Hier die Heuer der Offiziere der „Neumünster“ bei der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, gemäß der Musterrolle aus den Jahren 1913/14:

Erster Offizier: 220 Mark, Zweiter Offizier: 170 Mark, Dritter Offizier: 130 Mark, Vierter Offizier: 120 Mark

Die Heuer der Offiziere auf Frachtschiffen beim Norddeutschen Lloyd, Bremen dürfte in ähnlicher Höhe gelegen haben.

Yarra River, Victoria Dock, Melbourne, about 1914

Victoria Dock am Fluss Yarra, ca. 1914; Quelle: State Library of South Australia, ID B 28518/246

Sechs deutsche Schiffe in Hobsons Bay

Melbourne, den 29. August 1914.
Am letzten Mittwoch (26.8.) fuhren wir wieder zurück nach unserem Ankerplatz in der Hobson Bay vor Williamstown. Außer uns liegen hier noch Lloydd. „Pfalz“, Deutsch-Austral-D. „Hobart“ und D. „Altona“, und Hansa D. „Wildenfels“. …

Melbourne, den 7. September 1914.
Am letzten Donnerstag (3.9.) kam der Lloydd. „Hessen“ hier an, so daß hier jetzt 6 deutsche Schiffe liegen. Am Freitag (4.9.) bekamen wir die Parole, d. h. wir sind auf Ehrenwort entlassen, dürfen jederzeit an Land gehen, müssen uns jedoch jeden Tag auf der Polizeiwache oder an Bord melden. Ich war am letzten Sonnabend in der Stadt. …

Lloydd. steht für Lloyddampfer, D. für Dampfer/Dampfschiff.

Die „Pfalz“ war ein Frachtdampfer der Rheinland-Klasse, er wurde erst 1913 fertiggestellt. Das für damalige Verhältnisse große Schiff hatte etwa 150 Meter Länge und circa 6600 BRT. Die „Hessen“ war wie die „Lothringen“ ein Schiff der Franken-Klasse.

Die „Altona“ hatte etwa die Größe des Dampfschiffes „Fürth“ (120 M Länge, 4312 BRT), war aber eines der ältesten Schiffe der DADG (Baujahr 1902). Die „Hobart“ hingegen war Baujahr 1912 und hatte neben Kühlräumen auch Telegrafie an Bord. Sie lief noch am 11. August 1914 zur großen Überraschung aller in Port Phillip Bay ein. Trotz drahtloser Telegrafie hatte die Schiffsführung nichts vom Kriegsausbruch mitbekommen (über die „Hobart“ werde ich in einem anderen Artikel noch berichten).

Die „Wildenfels“ schließlich war ein Schiff der größten deutschen Frachtschiffreederei, der DDG Hansa, Bremen; Baujahr 1901, Länge 127,74 m, 5652 BRT.

Die sogenannte Parole wurde kurz nach Kriegsbeginn noch oft angewandt. Die Kriegsgefangenen durften auf Ehrenwort in Freiheit bleiben und mussten sich regelmäßig bei den Behörden melden. Das änderte sich für Meier jedoch nur kurze Zeit später:

Melbourne, den 15. September 1914.
Am Dienstag (8.9.) wurde uns die Parole wieder abgenommen und wir müssen nun wieder alle Tage an Bord sitzen. Der Grund der Einforderung der Parole ist der, daß unser II. Off. dem im Hafen liegenden holländ. D. „Houtman“ einen Besuch abgestattet hat. Der I. Off. des D. „Houtman“ hat unseren II. Off. verhaften lassen. Seit dem 9.9. dürfen wir unsere Briefe nur noch in englischer oder französischer Sprache schreiben, deutsch geschriebene Briefe werden nicht befördert. … Am 4.9. erhielt ich Zeitungen von zuhause. D. „Wildenfels“ ist heute unter australischer Flagge nach Sydney gefahren. Wir bekommen von der Regierung pro Kopf und Tag 1 ½ Pfd. Fleisch, 1 Pfd. Kartoffeln und etwas Gemüse.

Anmerkung: Meier verwendet das alte Zeichen für die Gewichtseinheit Pfund, er hat es nicht mit Pfd. abgekürzt.

Mit der Zeit sollte nicht nur die „Wildenfels“, sondern alle sechs deutschen Schiffe beschlagnahmt werden und unter australische Flagge kommen.

Das gleiche Schicksal teilten auch die „Neumünster“ (später „Cooee“) oder die „Osnabrück“ (später „Calulu“), beides Schwesterschiffe der „Fürth“, die ich hier im Blog vorgestellt hatte: Schwesterschiffe der „Fürth“: Die „Neumünster“ und Schwesterschiffe der „Fürth“: der Frachtdampfer „Osnabrück“

Unterbringung an Land

Melbourne, den 20. September 1914.
Am Dienstag erfuhren wir, daß die hier liegenden deutschen Schiffe unter australische Flagge und mit australischer Besatzung nach Sydney und Brisbane weiterfahren sollen. Infolgedessen haben wir am Mittwoch (16.9.) unsere Arbeit eingestellt. …

Die deutschen Mannschaften blieben in Melbourne zurück:

Melbourne, den 28. September 1914.
Am 26.9. wurden Kapitän, Offiziere und Ingenieure des D. „Pfalz“ an Land gebracht, kamen jedoch abends zu uns an Bord, weil dieselben an Land keine Unterkunft finden konnten. Der D. „Pfalz“ hat jetzt australische Besatzung. …

Melbourne, den 6. Oktober 1914.
Am 29.9., morgens, kamen die Offiziere und Ingenieure des D. „Hobart“ zu uns an Bord und wurden abends nach dem D. „Altona“ hinüber gebracht. Vom 21.9. bis zum 29.9. haben wir noch wieder gearbeitet. Am 30.9. fuhren der Kapitän, die Offiziere und der I. Ingenieur des D. „Pfalz“ mit der Bahn nach Sydney. Die übrigen 3 Ingenieure bleiben bei uns an Bord. Heute Abend 5h45 fuhr die „Pfalz“ und um 6h30 die „Hobart“ ab nach Sydney. Beide Schiffe fahren mit australischer Besatzung und unter australischer Flagge.

Melbourne, den 9. Oktober 1914.
Am Mittwoch (7.10.) mußten wir plötzlich unsere Sachen packen und von Bord. Es kamen Marinesoldaten an Bord um den Betrieb zu übernehmen. Abends um 6 ½ Uhr wurden wir mit einem Schlepper abgeholt und zusammen mit den Offizieren und Ingenieuren der D. „Altona“, „Hessen“, „Hobart“ und „Pfalz“ nach den Polizei-Baracken am St. Kilda Road gebracht. Abends bekamen wir Hartbrot, Büchsenfleisch und Wasser und mußten dann im Pferdestall auf dem Fußboden schlafen. Wir bekamen ein Gummilaken, ein paar (2) Wolldecken und ein Handtuch und wohnen nun im neuen Stallgebäude mit der Mannschaft zusammen. Wir sollen im selben Speisesaal essen.
Wenn wir hinaus wollen, müssen wir uns selbst erhalten, alles selbst bezahlen. Darum bleibt nichts anderes übrig, als hier im Pferdestall zu bleiben.
Die Kapitäne, einige Offiziere und die I. Ingenieure haben die Parole genommen. Das Essen geht so einigermaßen, es ist allerdings jeden Tag dasselbe, morgens: Fleisch, Brot, Marmelade und Kaffee; mittags: Fleisch mit Pellkartoffeln und Zwiebeln, Suppe und Brod; abends: Fleisch, Brod, Marmelade und Tee. Gestern abend war in dem Speisesaal der Mannschaft ein Ball, ein Deutscher Gesangverein hielt Vorträge und die Musik stellten die Kriegsgefangenen selbst. Dieser Ball wird jeden Donnerstag abgehalten.

in kleinerer Schrift mit anderer Tinte hat Meier ergänzt:
(Bald nachher wurde der Besuch verboten und die Gefangenen nach Langwarrin gebracht).

Swanston Street, Melbourne

Melbourne, Swanston Street, undatierte Aufnahme, ev. Anf. 20. Jh.; Quelle: State Library Victoria, ID H2013.223/40

Im Hotel und bei Herrn Kandler

Melbourne, den 15. Oktober 1914.
Die Tage der Baracken sind glücklich vorüber, am Montag (12.10.) sind wir ausgezogen, nachdem wir die Gewißheit haben, daß die Regierung uns pro Woche 30 Shilling gibt. Fünf Tage waren wir in den Baracken und drei Tage wohnen wir nun im „Federal Palace Hotel“ in der Collins St., wo wir 5 Sh 6 d pro Tag bezahlen müssen. Da wir jedoch auf diese Weise mit dem uns von der Regierung ausgesetzten Gelde nicht auskommen, so ziehen wir heute nach dem „Commercial Hotel“, Ecke Spring St. und Lonsdale St., wo wir nur 5 Sh pro Woche ohne Beköstigung bezahlen müssen. Am letzten Montag (12.10.) erhielten wir die Parole und wir müssen uns jetzt jede Woche einmal auf der nächsten Polizei-Station melden.

Federal Palace Hotel Melbourne

Sieht nicht gerade günstig aus: Federal Palace Hotel, Collins Street, Melbourne, kolorierte Postkarte, um 1909; State Library Victoria, Id H33676/66

Für die kleinen Dienstgrade war allerdings auch das Commercial Hotel noch zu kostspielig. Meier ist daher mit drei Kameraden weitergezogen.

Melbourne, den 22. Oktober 1914.
Im „Commercial Hotel“ habe ich nur 2 Nächte geschlafen, weil uns die Verpflegung zu teuer wurde, so sind wir (3 Ing. von der Pfalz und ich) wieder verzogen am 17. Okt. 14 nach South-Melbourne, 227 Park Street. Wir wohnen bei einem deutschen Zahntechniker, Herrn Kandler und bezahlen für Wohnung und Verpflegung nebst Wäsche ein £ (20 M) pro Woche. Es gefällt uns hier sehr gut. Gestern kam die erste Zahlung für die Zeit vom 12. bis 17. d. M. also 6 Tage = 25 Sh 8 d. Es gibt jetzt alle 14 Tage Geld. Nach einem Schreiben des Nordd. Lloyd bekommen wir volle Tage bis zum 1. Nov. d. J. Dies Geld werden wir wahrscheinlich erst bekommen, wenn der Krieg vorüber ist.

Meier notierte ebenfalls die 30 Shilling, die er von der australischen Regierung bekam, sie wurden zweiwöchentlich ausgezahlt, also in Beträgen von 60 Shilling. Bereits Mitte November wurden die Zahlungen aber auf 20 Shilling pro Woche gekürzt.

Meier schreibt dazu:

Für hiesige Verhältnisse ist 20 Sh. pro Woche herzlich wenig, es ist zum Verhungern zu viel und zum Sattessen zu wenig? Ich bezahle jetzt für Kost und Logis 17 Shilling (17 M) pro Woche.

Jedoch erhielt er vom Agenten des NDL in Melbourne einen Vorschuss auf seine Heuer ausbezahlt.

Melbourne, den 11. Dezember 1914.
Heute erhielt ich von unseren Agenten Ostermeyer, VanRompaey & Co. 5 £ (~100 M) Vorschuss.

Bis Ende Januar 1915 vermerkt Meier lediglich die Zahlungseingänge durch die australische Regierung. Dann gibt er einen Einblick in die Verwendung der deutschen Schiffe:

Melbourne, den 30. Januar 1915

Die hier in Australien festgehaltenen Schiffe werden jetzt sämtlich verwendet, teilweise als Transportschiffe der Regierung und teilweise im Frachtverkehr verschiedener Firmen. Die „Lothringen“ (nachträglich ergänzt: und auch die „Hessen“) fährt als „H1“ zwischen Bombay-Kalkutta und hier für die Firma „Burns, Philp & Co.“, die „Pfalz“ fährt als Transporter A42.
Seit ein paar Tagen darf kein Deutscher mehr in irgendeine öffentliche Veranstaltung, wie z. B. Kino und Theater und in keine Wirtschaft oder Vergnügungslokale gehen.

Namen wie H1 und A42 waren vorläufige Bezeichnungen Ende 1914/Anfang 1915, bevor die Schiffe neue Namen bekamen.

Mitte Februar kündigte sich eine neue Internierung an:

Melbourne, den 18. Febr. 1915
Heute erhielten wir von der Australischen Regierung ein Schreiben, wonach wir die uns erlaubten 20 Shilling pro Woche nur noch bis zum 28. Febr. erhalten. Am 1. März sollen wir wieder interniert werden.

Demnächst im Blog

Das Langwarrin Internment Camp bei Melbourne. Aus Schiffsingenieuren werden Bauingenieure, die sich ihre Unterkünfte zum großen Teil selber bauen (müssen).

Wie von Rottnest Island werden auch die Inhaftierten dieses Lagers im Lauf des Jahres 1915 nach New South Wales transportiert, wo sie den Rest des Krieges und zum Teil fast ein Jahr darüber hinaus verbringen müssen.

Black and white image depicting sailing ships and steam ships at Victoria Dock, circa 1905

Segler und Dampfschiffe im Victoria Dock, Port Melbourne, ca. 1905. Quelle: Museums Victoria Collections https://collections.museumvictoria.com.au/items/1763876 Abgerufen am 13. März 2018

Copyright-Hinweis

Nachtrag vom 7. Mai 2022:

Friedrich Meier starb am 7. November 1974 in Bremerhaven. Auf seinem Tagebuch ist daher ein Copyright, das bis Ende des Jahres 2044 fortbesteht.

Die Veröffentlichung der Tagebuchauszüge hier im Blog erfolgt mit freundlicher Genehmigung seiner Familie. Dafür auch an dieser Stelle herzlichen Dank.

Mehr über Friedrich Meier erfahren Sie hier:
Gestatten: Meier, Friedrich Meier

Time ball Karachi 1900

Die erste Reise der „Kerman“, exFürth: in Vigo und Karatschi

Titelbild: Hafen von Karachi 1900, links Turm mit Zeitball, Fotograf unbekannt; British Library Online Collection; http://www.bl.uk/onlinegallery/onlineex/apac/photocoll/k/largeimage57504.html

Maschinenschaden vor Vigo

Anfang März 1915 brach die „Kerman“, exFürth zu ihrer ersten Reise in den Indischen Ozean auf. Nach London, waren Glasgow und Manchester in Großbritannien angelaufen worden, bevor es durch den Atlantik in Richtung Mittelmeer ging. SIEHE: Aufbruch zur ersten Reise: Die „Kerman“, exFürth in Manchester

Weit sollte die „Kerman“, exFürth aber zunächst nicht kommen. In der ersten Tageshälfte am Samstag, den 13. März 1915 lief das Dampfschiff mit Maschinenschaden in Vigo ein.

Vigo 1921

Der Nordwesten Spaniens, die strichpunktierte Linie führt nach Vigo; aus Putnam’s Handy Volume Atlas of the World, 1921; mit freundlicher Genehmigung der University of Texas Libraries, The University of Texas at Austin; https://legacy.lib.utexas.edu/maps/historical/spain_portugal_1921.jpg

Vigo

Vigo ist eine Hafenstadt in Nordwestspanien. 1915 hatte die Stadt etwa 40.000 Einwohner. Sie liegt am Südost-Ufer einer Förde, die etwa 30 Kilometer ins spanische Festland reicht. Der große und tiefe Hafen war für Warenumschlag und Fischerei gleichermaßen wichtig. Viele Linienschiffe zwischen Westeuropa und Südamerika legten in Vigo an. Außerdem war Vigo zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein wichtiger Hafen für die Auswanderung nach Amerika.

1909 wurden 2041 Schiffe im Hafen registriert. Importwaren waren Zinn und Weißblech, Kohle, Maschinen, Zement, Kupfersulfate und Lebensmittel. Dem gegenüber standen die wichtigen Ausfuhrgüter Sardinen, Mineralwasser und Eier.

Industriebetriebe in Vigo umfassten Werften, Konservenfabriken für Sardinen, Mehl- und Papiermühlen, Sägewerke, Zucker- und Ölraffinerien, Gerbereien, Brennereien und Seifenherstellung.

Außerdem war Vigo im Sommer ein gutbesuchter Badeort.

Im Hafen sollte also genug Infrastruktur vorhanden gewesen sein, um einen Maschinenschaden reparieren zu können.

Informationen nach Encyclopedia Britannica, 1911; abgerufen unter archive.org

Vigo puerto 1910

Hafen von Vigo, 1910; alle Rechte bei: © Vigoantiguo.blogspot.com; http://vigoantiguo.blogspot.com/2013/08/porto-de-vigo-1910.html?view=flipcard

Die „Kerman“, exFürth in spanischen Medien

Das unplanmäßige Einlaufen der „Kerman“, exFürth war zumindest drei spanischen Tageszeitungen eine Meldung wert.

La Correspondencia de España

Auf Seite 3 der Zeitung La Correspondencia de España (Madrid) vom 14. März 1915 erfahren wir unter anderem, dass:
– die „Kerman“ Port Said als Zielhafen hatte
– sie im Auftrag der Britischen Regierung unterwegs war
– das Schiff Kriegsmaterial nach Ägypten transportierte und zwar zwei Boote (dos lanchas con motor proprio)

Außer der Tatsache, dass die beiden Boote über einen Motor verfügten, sind sie leider nicht näher spezifiziert.

Ich gehe davon aus, dass die Boote an Deck transportiert worden sind. Im Laderaum hätte sie der Journalist nicht sehen können. Allerdings könnte er die Information eventuell auch aus den Dokumenten der Hafenbehörde erhalten haben.

En Vigo, Kerman

La Correspondencia de España, Madrid, 14. Mar 1915, S.3 ; hemerotecadigital.bne.es

Der Artikel läuft in den Bund, der Zeilenanfang daher schwer lesbar. Er lautet vollständig:

En provincias
En Vigo
El «Furti» (sic), alemán, convertido en el «Kerman», inglés.
VIGO. (Sábado, mañana.) Se encuentra en este puerto, reparando averías en las máquinas, el vapor alemán «Kerman», que navegaba de Liverpool á Port Said por cuenta del Gobierno británico.
Este buque era alemán y se llamaba « Furti ». En los comienzos de la guerra lo capturaron los ingleses, y considerándolo como buena presa, fué vendido en pública subasta adquiriéndolo una Casa inglesa. Todos los rótulos alemanes que tenía sobre cubierta, encima de las puertas, en las caméras, etc., han sido arrancados.
La captura se efectuó cerco de Colombo, yendo el «Furth» de Hamburgo para la Australia.
Ahora lleva material de guerra para Egipto. Lleva dos lanchas con motor proprio.”
(La Correspondencia de España, Madrid, 14. Mar 1915, S.3 ; hemerotecadigital.bne.es)

La Época

Kürzer ist der zweite Artikel in La Época, Madrid ebenfalls vom 14. März 1915. Hier hatte es die Kurzmeldung sogar auf die Titelseite geschafft.

Kerman en Vigo 1915

La Época, Madrid, 14. Mar 1915, S. 1; hemerotecadigital.bne.es

Locus Furti

Beide Zeitungen berichten übereinstimmend, dass der alte Name des Schiffes „Furti“ gewesen sei, was natürlich richtigerweise „Fürth“ heißen muss.

Auch wenn es sich hier um eine falsche Übermittlung des Namens oder einen Schreibfehler handelte, so ganz falsch ist der Name Furti nicht:

In der ersten urkundlichen Erwähnung Fürths, in einer Schenkungsurkunde Heinrich II. an die Bamberger Domprobstei aus dem Jahr 1007, ist von einem „locus Furti“, also von einem Fürth genannten Ort die Rede.

Aber zurück ins 20. Jahrhundert.

Faro de Vigo

Ein dritter Titel der über das Einlaufen der „Kerman“, exFürth in Vigo berichtet hat, war der Faro de Vigo, wieder vom 14. März 1915 auf Seite 2. Leider ist dieser Titel nur von Computern in der Spanischen Nationalbibliothek selbst abrufbar. Aus der Kurzinformation nach der Onlinerecherche geht immerhin hervor, dass der Zielhafen der „Kerman“ diesmal mit Abadan (Persien) angegeben war:

Kerman, inglés, para Abadsn (Persia), Este ultimo lleva ya reparada la averia
Quelle: hemerotecadigital.bne.es

Vigo puerto 1920

Hafen von Vigo, 1920; Quelle: commons.wikimedia.org

Die „Kerman“, exFürth in britischen Medien

Auch britische Medien haben über die Havarie der „Kerman“, exFürth berichtet: die Western Mail in Cardiff, der Belfast News-Letter und Northern Whig (beide Belfast).

Hier erfahren wir nichts über die Ladung, aber nähere Einzelheiten über den Maschinenschaden.

Am ausführlichsten ist noch die Kurzmeldung in Western Mail, Cardiff:

SHIPPING CASUALTIES.
Kerman. British steamer. Liverpool for Persian Gulf, put into Vigo, main feed pipe broken, body of winch, circulating valve on ship’s side broken
Western Mail, Sa 13 Mar 1915, S. 6

Demnach sind gleich drei Teile gebrochen:

– die Hauptspeiseleitung (main feed pipe), die Wasser von der Speisepumpe zum Dampfkessel befördert

– das Gehäuse einer Winde (?, body of winch), wobei ich mir hier nicht sicher bin, welches Bauteil gemeint ist, eventuell das Gehäuse eines Antriebes zur Dampfsteuerung.

– ein Umlaufventil (circulating valve)

Die “Kerman“, exFürth hatte Vigo offenbar aus eigener Kraft erreicht, zumindest ist den Meldungen nicht zu entnehmen, dass sie eingeschleppt wurde.

Die Wasserzufuhr zum Kessel hatte nach dem Bruch der Hauptspeiseleitung sicher die Hilfsspeiseleitung übernommen, die gesetzlich vorgeschrieben war.

Die Dampfkessel-Verordnungen aller Länder schreiben vor, daß die Speisevorrichtungen mehr Wasser in die Kessel zu fördern imstande sein müssen, als Dampf abgeführt werden kann; in der Regel wird das Doppelte vorgeschrieben. Zudem müssen die Speisevorrichtungen doppelt vorhanden sein, die eine Bereitschaft für die andere; jede muß unverzüglich in Betrieb gesetzt werden können.
Der Dampfbetrieb, E. Höhn, 1929; Springer Verlag (Berlin) über: link.springer.com

Erster Maschinenschaden

Die „Kerman“, exFürth hatte zu dem Zeitpunkt der Havarie in Vigo weit über 400.000 Seemeilen zurückgelegt, ohne dass es in der Vergangenheit zu (dokumentierten) Maschinenschäden gekommen wäre. SIEHE: Die weiten Reisen des Dampfschiffes „Fürth“

Die neue Crew schaffte gerade einmal ein paar hundert Seemeilen und musste einen Nothafen anlaufen.

Ob Materialermüdung oder eine andere Ursache zugrunde lag, wird sich heute nicht mehr rekonstruieren lassen.

Der weitere Reiseverlauf

Nach den Meldungen über das Einlaufen in Vigo am 13. März 1915 auf Grund eines Maschinenschadens tut sich eine große Lücke auf.

Wie lange die Reparatur gedauert hat, konnte ich nicht recherchieren.

Wiedergefunden habe ich die „Kerman“, exFürth erst wieder in Zeitungen vom Juni 1915, jetzt bereits auf der Rückreise nach Großbritannien.

Karatschi, Aden und Port Said

The Scotsman (Edinburgh), vom 7. Juni 1915 und The People’s Journal (Dundee) berichten übereinstimmend, dass die „Kerman“, exFürth am 3. Juni 1915 in Aden war, eintreffend aus Karatschi.

Die nächste Meldung ist die Abfahrt aus Port Said am 12. Juni 1915 (Liverpool Daily Post vom 16. Juni 1915).

Schließlich war die “Kerman”, exFürth am 24. Juni 1915 zurück in London (Lloyd Anversois, 29. Juni 1915; hetarchief.be). Als Abfahrtshafen für die Rückreise wird in der belgischen Zeitung ebenfalls Karatschi genannt.

Laut den Ship’s Articles (Musterrolle) erfolgte die Abmusterung zwei Tage später, am 26. Juni 1915.

Basra

Einen zusätzlichen Mosaikstein zur Komplettierung der Fahrtroute gibt ein Dokument in den National Archives in London (Kew); Referenz: BT 26/615/55, das allerdings nur über Ancestry abrufbar ist.

Demnach haben bei der Ankunft in London am 24. Juni 1915 drei Passagiere das Schiff verlassen, die in Basra eingeschifft wurden: David Summer, Frank Sanders und W. L. Reed.

Anmerkungen:

Das Einschiffungsdatum sollte aus dem Original hervorgehen, war mir bislang aber keine Ancestry-Mitgliedschaft wert.

Über die Häfen Basra und Abadan am Shatt-el-Arab berichte ich auf der übernächsten Fahrt der „Kerman“, exFürth in den Indischen Ozean.

Karachi 1914

Karte Britsch Indiens (Ausschnitt), Karatschi (Karachi/Kurrachee) liegt unten links am Indischen Ozean westlich der Indusmündungen; oben links die Provinz Punjab. aus: Baedeker, Handbuch für Reisende, 1914, Perry-Castañeda Library Map Collection, University of Texas Libraries; http://legacy.lib.utexas.edu/maps/historical/baedeker_indien_1914.html

Weizen aus Karatschi

Die Fracht, die die „Kerman“, exFürth von Karatschi nach Großbritannien transportiert hat, geben Zeitungsartikel in der britischen Presse preis.

BALTIC REPORT.
LONDON, Monday.

Wheat. …
Choice white Karachi, arrived per Kerman, 51s 9d; ditto, May-June, to London and Hull, 51s 9d.


Western Daily Press, Bristol, Di 29. Jun 1915, p. 8; Sheffield Daily Telegraph, Di 29.
Jun 1915, p. 11

White Karachi

White Karachi ist die Bezeichnung für eine Weizensorte aus (Britisch) Indien, der Name war auf den internationalen Weizenmärkten ein fester Begriff.

“Choice white Karachi is the name by which the wheat exported abroad through Karachi and having its origin in Sind and/or the Punjab is known in international markets.”
Quelle: Report on the Marketing of Wheat in India, 1937, Delhi, Government of India Press.

Anmerkung: Sind und Punjab sind der Name zweier Provinzen; die Baltic Exchange war und ist ein globaler Marktplatz für Schiffsmakler, Reeder und Charterer.

4 Milliarden Bushel

Weltweit wurden 1913 über 4 Milliarden Bushel Weizen produziert. Viele Länder brauchten die Menge, die sie produzierten, jedoch selbst auf. Die Länder, die große Überschüsse produzierten, waren dagegen nicht sehr zahlreich: die USA, Kanada, Argentinien, Australien, Indien und Russland.

Über den Weizenmarkt hatte ich hier im Blog berichtet, da die „Fürth“ als Schiff der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg im Jahr 1913 eine große Menge Weizen nach England transportiert hatte. Siehe: 6000 t Weizen für England und Weizenernte in Australien

Der Höhepunkt des britisch-indischen Weizenexports war in den Jahren 1881-1894 und 1903-1914. Im Rekordjahr 1904/05 wurden über 80 Mio. Bushels ausgeführt. Im Mittel lag die Exportmenge in den elf Jahren vor dem Ersten Weltkrieg (1903-1914) bei 45 Mio. Bushel.
Quelle: Wheat Studies of the Food Research Institute, Vol. III, No. 8, July 1927; Stanford University California; India as a Producer of Wheat.

Über die Einheit Bushel, auf Deutsch Scheffel, hatte ich hier ausführlich berichtet: Weizenernte in Australien

Bei Weizen ist ein Bushel 27,215 Kilogramm. 45 Mio. Bushel wären demnach rund 1,225 Mio. Tonnen.

Die „Kerman“, exFürth hatte eine Tragfähigkeit von 7010 Tonnen.

Karatschi

engl. Karachi oder Kurrachee

Karatschi gehörte zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu Britisch Indien. Die Stadt liegt am westlichen Ende des Indus-Deltas, die Entfernung nach Bombay (heute Mumbai) beträgt knapp 600 Seemeilen.

Im Jahr 1915 hatte Karatschi etwa 200.000 Einwohner (heute über 15 Mio. !).

Die Stadt hat Handelskammer, Baumwollpressen, Eisenwerke, Schiffswerft mit Trockendock, Kohlenlager.
Quelle: Meyers Reisebücher, Weltreise, 2. Aufl., Bibliograph. Inst. Leipzig/Wien (1912); abgerufen über über Gutenberg.org

Weiter heißt es bei Meyer (Text aus dem Jahr 1912):

Die Eingebornenstadt nahe am Hafen ist eng gebaut und stark bevölkert; der europäische Stadtteil weiter aufwärts am Layarifluß macht einen ganz modernen Eindruck, weitläufig und regelmäßig angelegt, mit vielen schönen Gebäuden, darunter die Frere Hall mit Bibliothek, Ball-und Versammlungssälen. Sehenswürdigkeiten enthält die Stadt nicht, doch wird sie infolge ihrer Handelsbedeutung besucht.

port and city of Karachi 1911

Stadtplan von Karatschi, 1911, aus: A handbook for travellers in India, Burma, and Ceylon, J. Murray (London); University of California Libraries über https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Karachi_map_1911.jpg

Unten der Manora Point mit Fort, Leuchtturm und Gebäuden der Hafenverwaltung, in der Bildmitte Kiamari Island, mit der Stadt über Molen und Brücken verbunden;

Die Bedeutung des Hafens

Nach Calcutta und Bombay war Karatschi der drittgrößte Hafen Britisch Indiens. Hauptausfuhrprodukt war Weizen aus den Regionen Punjab und Sind, sowie Ölsamen, Baumwolle, Wolle, Häute und Knochen. Für Weizen und Baumwolle war Karatschi der wichtigste Hafen im südlichen Asien.

Karatschi
ist trotz seiner Entlegenheit zum größten Teile Indiens und trotz seines steter Versandungsgefahr durch die Sinkstoffe des Indus unterliegenden Hafens der drittgrößte Seehafen Indiens geworden (1910 liefen 525 Schiffe mit 758000 Reg.-Ton. ein), weil es unter der Herrschaft der Engländer (seit 1842) als Hauptausfuhrhafen des Punjabs dient;
Quelle: Meyers Reisebücher, s. o.

Kiamari Kai Karachi 1900

Kiamari Kai, Karachi, 1900, British Library Online Collection; http://www.bl.uk/onlinegallery/onlineex/apac/photocoll/k/019pho000000425u00005000.html

Die Hafenanlagen Karatschis

Der Hafen von Karatchi bot ideale Bedingungen. Er war sehr groß und von einem Vorgebirge geschützt (Manora Head). Die ehemalige Insel Kiamari war durch die lange Napier Mole mit dem Festland verbunden worden und bildete ebenfalls einen natürlichen Schutz des Hafens.

Der Seehafen ist durch Wellenbrecher geschützt und mit modernen Kaianlagen, Ladebrücken etc. gut versehen. Die vorgelagerte Halbinsel Manora ist durch mehrere Küstenforts verteidigt.
Quelle: Meyers Reisebücher, s. o.

Detailliertere Informationen liefert das Lexikon Encyclopedia Britannica, Ausgabe 1912:

The harbour of Karachi has an extreme length and breadth of about 5 m. It is protected by the promontory of Manora Head; and the entrance is partially closed by rocks and by the peninsula (formerly an island) of Kiamari. On Manora Head, which is fortified, are the buildings of the port establishment, cantonment, &c. Kiamari is the landing place for passengers and goods, and has three piers and railway connections. The harbour improvements were begun in 1854 with the building of the Napier mole or causeway connecting Kiamari with the mainland. The entrance has a minimum depth of 25 ft.; and a large number of improvements and extensions have been carried out by the harbour board, which was created in 1880, and transformed in 1886 into the port trust.
Encyclopedia Britannica 1911, abgerufen über archive.org

port of Karachi 1906

Hafen Karatschi, 1906, Dekoration für die Verabschiedung des späteren Königs von England, Georg V., Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Khiport1906.jpg

 

Manchester Ship Canal

Aufbruch zur ersten Reise: Die „Kerman“, exFürth in Manchester

… und der Manchester Ship Canal

Der Blogartikel rekonstruiert den Aufbruch zur ersten Fahrt der exFürth, die jetzt „Kerman“ hieß und von Großbritannien eine Fahrt in den Indischen Ozean durchführen sollte.

Frühere Fahrten der „Fürth“ waren durch die damalige Tagespresse außerordentlich gut belegt und sind unter der Rubrik „Australienfahrten“ im Blog dokumentiert.

Im Jahr 1915 müssen wir davon Abschied nehmen, jede Fahrt genau verfolgen zu können. Es war die Zeit des Ersten Weltkrieges und die Berichterstattung wird große Lücken aufweisen.

Dennoch lassen sich zumindest für Teile der Fahrt Nachrichten in den Archiven finden, die eine Rekonstruktion zulassen.

Bildnachweis Titelbild:
Ausbaggern des Manchester Ship Canal 1891; Gemälde von Benjamin William Leaders; Collection National Trust; Quelle: commons.wikimedia.org

Januar/Februar 1915

Die „Fürth“ war an die Anglo-Persian Oil Company verkauft worden (Paukenschlag: Das Dampfschiff „Fürth“ wird verkauft), wurde im neuen Heimathafen London registriert und war von einem Surveyor von Lloyd’s Register erneut in die Klasse A1 eingestuft worden. Zur Klassifikation siehe: Die „Fürth“ in Lloyd’s Register

Die Bereederung der „Kerman“, exFürth hatte die Frank C. Strick & Co. übernommen, die die neue Mannschaft stellte.

Zu Frank C. Strick & Co.: Die „Kerman“, exFürth bei Frank C. Strick und Co.

Das Disponieren des Schiffes übernahm jedoch die Admiralität selbst. Fast alle Handelsschiffe waren während des Ersten Weltkrieges unter ihrer Regie und wurden dafür eingesetzt, Material zu Kriegszwecken zu transportieren oder die Bevölkerung mit notwendigen Gütern zu versorgen.

Tilbury Docks, London

Tilbury Docks, London um 1890, Aquarell von dem Marinemaler William Lionel Wyllie, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Tilbury_RMG_PW0845.jpg

Anmusterung am 2. Februar 1915

Die Anmusterung für diese erste Fahrt erfolgte am 2. Februar 1915 in London.

Das geht aus den Ship’s Articles, der Musterrolle hervor. Diese ist in den National Archives in London erhalten (Referenznr. BT 99/3176/14).

Kapitän war J. S. Edmundson, 37 Jahre alt, aus London. Sein erster Offizier war der junge A. H. M. Waterlow, der in Paris geboren und gerade einmal 32 Jahre alt war.

So viel nehme ich vorweg: Waterlow wird die „Kerman“ ab der zweiten Fahrt als Kapitän übernehmen und bis in das Jahr 1920 verantwortlicher Schiffsführer bleiben. Ihn und seine interessante Familiengeschichte stelle ich in einem eigenen Blogartikel noch vor.

Als zweiter und dritter Offizier an Bord: C. Stancliffe, 35 Jahre aus Huddersfield und J. S. Morris, 27 Jahre, aus St. Dogmaels in Pembrokeshire (Wales).

Der einzige weitere Brite der Decksmannschaft war der Zimmermann, John Tyman, ein 43 jähriger Schotte aus Glasgow.

Der Bootsmann und alle übrigen Mitglieder der Decksmannschaft waren aus China, HongKong und Singapur.

Die Verteilung der Maschinenmannschaft war gleichermaßen: Die vier Maschinisten waren Briten und die übrigen Nichtbriten.

Die vier Maschinisten in hierarchischer Reihenfolge: W. M. Meager, 49 aus London; A. E. Cunningham, 30 aus Leyton; F. E. Rees, 22 aus Pembrey (Wales) und F. A. Fouracres, 25 aus Middlesex.

Die Herkunft der übrigen Maschinenmannschaft: China, HongKong, Singapur, Penang und Jamaica. Zwei Heizer kamen aus Bushire im Iran.

Insgesamt bestand die Mannschaft aus 49 Personen, das sind neun mehr, als bis dahin bei der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (Hamburg) auf der „Fürth“ fuhren.

Es gab jetzt als neue Position auf dem Schiff: vier Quartiermeister (quartermaster), zwei Donkeymen, und zwei Schmierer (greaser).

Anmerkung: Ein Quartermaster war ein Vollmatrose, der Wachdienste auf der Brücke verrichtete und der Donkeyman kümmerte sich um die Hilfsdampfmaschine (engl. donkey).

Bei den Köchen und Stewards gab es ebenfalls Zuwachs: zwei Köche kümmerten sich um Offiziere und Ingenieure und zwei weitere um die Mannschaft. Auch die Stewards waren dementsprechend jetzt zu viert.

Ältester an Bord war der erste Ingenieur mit 49 Jahren, der jüngste ein Steward mit 20 Jahren.

Firth of Clyde 1921

Schottland, Kartenausschnitt von Putnam’s Handy Volume Atlas 1921; mit freundlicher Genehmigung der University of Texas Libraries, The University of Texas, Austin; https://legacy.lib.utexas.edu/maps/historical/scotland_1921.jpg

Glasgow und Manchester

Nach dem Abfahrtshafen London (Tilbury) sind zwei weitere britische Häfen auf der Fahrt der „Kerman“, exFürth in den Indischen Ozean belegt.

Glasgow – Tail of the Banks

Der erste Hafen nach London war Glasgow.

In der Zeitung Daily Record gibt es dazu zwei Einträge: am 24. und 25. Februar 1915

Laut Eintrag vom 24. Februar 1915 verließ die „Kerman“, exFürth Glasgow mit Kohlen Richtung Rotes Meer

SHIPPING INTELLIGENCE.
GLASGOW.

SAILINGS – … Kerman (s), Red Sea ports, coal;

Daily Record – Wednesday 24 February 1915

Am Tag darauf ist die Abfahrt diesmal vom Ankerplatz Tail-of-the-Banks, angegeben und die Fracht mit general, also allgemeine Ladung.

TAIL-OF-THE-BANK.
SAILINGS – … Kerman (s), Red Sea Ports, general; …-
23

Daily Record – Thursday 25 February 1915 (Glasgow)

Quelle: British Newspaper Archive

Der River Clyde und sein langgezogener Mündungstrichter, der Firth of Clyde, war ein bedeutender Werftenstandort und Handelsplatz in Großbritannien. Der Höhepunkt des Schiffbaus wurde kurz vor dem Ersten Weltkrieg erreicht. Zum Ankerplatz Tail-of-the-Bank, der etwa 40 Kilometer westlich von Glasgow liegt, konnten die größten Schiffe fahren. Schiffe der Cunard Line von Liverpool nach New York nahmen hier regelmäßig zusätzliche Passagiere auf.

Firth of Clyde 1921

Ausschnitt der Karte von oben

Glasgow liegt oben rechts, der Ankerplatz Tail-of-the-Bank liegt bei der Stadt Greenock, danach biegt der Firth of Clyde nach Süden ab.

Manchester Cathedral 1890

Manchester Cathedral, Photochromdruck 1890; Library of Congress, Washington DC; https://www.loc.gov/item/2017659726/

Manchester

Der nächste dokumentierte Hafen ist Manchester.

Der Manchester Courier and Lancashire General Advertiser berichtet am Freitag, den 26. Februar 1915 über die Einfahrt der „Kerman“, exFürth in die Eastham Locks und über die Ankunft in Dock No. 9 in Manchester.

ENTERED EASTHAM LOCKS.

Kerman, 2,640, part out cargo (F. C. Strick and Co.) from Glasgow

VESSELS IN DOCK.

No. 9 Dock.

Kerman, 2,460 (F. C. Strick and Co.)

In darauffolgenden Ausgaben heißt es, dass die „Kerman“, exFürth beim Laden für den Persischen Golf ist “Loading for the Persian Gulf“.

Diese Meldung erscheint zuletzt am 6. März 1915.

Über die Abfahrt des Dampfschiffes wird nichts berichtet, sie dürfte meiner Meinung nach um den 8. März 1915 erfolgt sein (mehr dazu im nächsten Blogartikel).

Liverpool Manchester map 1912

Die Entfernung Manchesters zum Meer, Lage der Stadt gelb markiert; Kartenausschnitt aus: England and Wales 1649-1910, Cambridge Modern Histroy Atlas 1912; mit freundlicher Genehmigung der University of Texas Libraries, The University of Texas, Austin; https://legacy.lib.utexas.edu/maps/historical/ward_1912/england_wales_1649.jpg

Der Manchester Ship Canal

Ein Blick auf die Karte zeigt, dass Manchester (oben gelb markiert) weit entfernt von der Irischen See liegt (64 Kilometer). Eine bedeutende Hafenstadt wurde Manchester erst im Jahr 1894, als der Manchester Ship Canal eröffnet wurde.

Links die Stadt Liverpool mit der Mündung des Mersey River in die Irische See (außerhalb des Ausschnittes); unten links Eastham Locks, die Zugangsschleuse zum Kanal; Länge des Kanals 58 km.

Der Bau des Manchester Ship Canal

Eine erste Studie für die Realisierung des Kanals wurde 1877 von der Handelskammer in Manchester veranlasst. Die Gegner eines Kanals waren jedoch zahlreich: natürlich Stadt und Hafen Liverpool, aber auch Eisenbahngesellschaften und die Eigner des Bridgewater Canal, der Manchester bereits verband und der nach der Fertigstellung des neuen Kanals aller Voraussicht nach aufgegeben werden musste. Außerdem war die Finanzierung des Projektes eine große Herausforderung.

Letztlich dauerte bis in das Jahr 1887 bis es zum ersten Spatenstich kam.

Auf der größten Baustelle des viktorianischen Großbritanniens waren rund 100 Dampfbagger im Einsatz. 228 Meilen Schienen wurden zum Bau entlang der Trasse verlegt, auf denen etwa 180 Baustellen-Lokomotiven und 6000 Wagen eingesetzt wurden. Neben dem Bau des eigentlichen Kanals mussten auch bestehende Straßen und Eisenbahnlinien verlegt werden.

Die Baustelle beschäftigte bis zu 16.000 Arbeiter (sog. navvies), die teilweise mit ihren Familien in temporären Barackensiedlungen an der zukünftigen Kanalstrecke wohnten. Es gab sogar eine Schule und drei Krankenhäuser.

Während des Baus kam es mehrfach zum Wassereinbrüchen und Überschwemmungen der Baustelle, die den Baufortschritt zurückwarfen und verzögerten.

Der Bau forderte aber auch über 130 Menschenleben und hunderte Arbeiter wurden bei Arbeitsunfällen entstellt oder invalide.

Nach vielen Schwierigkeiten wurde schließlich das letzte Stück des Kanals bei Manchester am 25. November 1893 geflutet und am 1. Januar 1894 für den Verkehr freigegeben. An diesem Tag fuhr ein Konvoi von 71 Schiffen nach Manchester.

Die offizielle Eröffnung durch Königin Victoria folgte dann am 21. Mai 1894. Der Kanalbau hatte bis dahin etwa 15 Mio. Pfund verschlungen.

Manchester Ship Canal map

Übersichtsplan des Manchester Ship Canal; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ship_canal_map.png

Ein paar Fakten zum Kanal

Der auch Big Ditch genannte Kanal hat eine Länge von 35,5 Meilen und beginnt bei Eastham, wo eine erste Schleuse gebaut wurde (Eastham Locks). Der lange Parallelverlauf des Kanals neben der Trichtermündung des Mersey war notwendig, weil die breite Mündung flach und den Gezeiten ausgesetzt ist. Zudem wechseln viele Sandbänke ständig ihre Position. Eastham Locks halten bei Niedrigwasser das Wasser im Kanal.

Der Kanal kann von Schiffen bis 15.000 BRT und bis zu 600 Fuß Länge (182 Meter) befahren werden. Die Durchfahrtshöhe beträgt gute 22 Meter. Höhere Schiffe mussten Masten oder Schornsteine umlegen.

Zwischen den Eastham Locks und den Mode Wheel Locks, die den Eingang zum Hafen Manchester markieren, wurde drei weitere Schleusen gebaut.

Der Barton Swing Aqueduct

Eine große technische Herausforderung beim Bau des Manchester Ship Canal war der Bau einer Trogbrücke über den Kanal für den kreuzenden Bridgewater Canal.

Der seit 1761 bestehende Kanal überquerte den Fluss Irwell mittels einer steinernen Trogbrücke (Barton Aqueduct), die jedoch nicht genug Durchfahrtshöhe für Schiffe auf dem neuen Manchester Ship Canal bot. Der Bridgewater Canal kreuzte den Fluss in einer Höhe von nur wenigen Metern.

Der Bauingenieur des Manchester Ship Canal, Sir Edward Leader Williams, erdachte eine geniale Lösung: eine drehbare Trogbrücke. Beim Passieren eines Schiffs auf dem neuen Manchester Ship Canal wurde der mit Wasser gefüllte und an beiden Enden mit Stahltoren geschlossene Wassertrog um 90° gedreht.

Größtes Problem war das enorme Gewicht der mit Wasser gefüllten Brücke: 1450 Tonnen. Eine Platte mit 8,2 Metern Durchmesser und 64 Eisenlagern lagert auf Granitblöcken. Eine hydraulische Presse verringerte den Druck auf den Drehmechanismus, der über eine Hydraulikmaschine ausgeführt wurde.

Der Barton Swing Aqueduct und die die daneben gelegene Straßendrehbrücke sind bis heute in Betrieb.

Barton Swing Aqueduct 1894

Eröffnung des Manchester Ship Canal durch die Yacht „Norseman“ im Jahr 1894; Quelle: commons.wikimedia.org

Links hinter der Yacht im Bild: der Burton Swing Aqueduct, die zweite Brücke dahinter ist die Barton Road Swing Bridge, eine Drehbrücke für den Straßenverkehr. Der steinerne Turm zwischen beiden Brücken ist das Kontrollzentrum für das Öffnen/Schließen bei der Brücken.

Manchester Ship Canal 1894

Das letzte Stück des Kanals kurz vor Manchester, John Heywood’s Illustrated Manchester Ship Canal Route Guide, 1894; Quelle: commons.wikimedia.org

Der Hafen Manchester

Manchester entwickelte sich durch den Kanalbau zeitweise zum drittwichtigsten Hafen Großbritanniens. Neun Hafenbecken, zahlreiche Lagerhäuser und zwei immense Getreidespeicher wurden über Gleise an das Bahnnetz angeschlossen. Hunderte Kräne beluden und löschten die Schiffe. Große Öllager, Fabriken und Trockendocks entstanden am Kanal.

Wichtigstes Importgut für die Textilstadt Manchester war Rohbaumwolle, aber auch Getreide und Holz hatten großen Anteil an der Gesamttonnage, die 1958 ein Allzeithoch mit 18 Mio. Tonnen erreichte.

Ab den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts ging die Bedeutung des Kanals stark zurück: die neuen und größeren Schiffe passten schlichtweg nicht mehr durch den Kanal.

Der Hafen Manchester bestand noch bis in das Jahr 1982, der Kanal existiert bis heute.

Salford Docks, Dock No. 9

Salford Docks, Dock No. 9 (oben links), Manchester; Dock No. 8 rechts im Bild, der Manchester Ship Canal ist unten; Aufnahme ca. 1900 (?); https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Manchester_Dock_No_9.jpg

Quellen

Einen sehr ausführlichen Artikel über den Manchester Ship Canal, der auch Grundlage dieses Blogartikels war, finden Sie hier (in englischer Sprache): https://www.wondersofworldengineering.com/manchester_ship_canal.html

Der Artikel enthält viele andere Bilder aus der Geschichte des Kanals.

Ebenfalls viele eindrucksvolle Bilder mit Schwerpunkt auf den Arbeitern beim Bau liefert ein Artikel in der Daily Mail:

https://www.dailymail.co.uk/news/article-6812817/The-Big-Ditch-men-spent-seven-long-years-building-Manchester-Ship-Canal.html

Salford Docks, Trafford Park 1904

Docks in Salford (rechts) und Manchester (Trafford; links unten), 1904; Quelle: British Library Online Gallery (bl.uk)

Die Schiffe kommen von links oben durch die Schleuse (Mode Wheel Locks) in die Hafenbecken; das größte Dock ist Dock No. 9 (Mitte rechts). Unten links im Bild der Stadtteil Trafford.

Die Docks sind übrigens ganz in der Nähe von Old Trafford, dem Heimstadion von Manchester United im Südwesten von Manchester.

Nächste Woche im Blog

Die „Kerman“, exFürth muss mit Maschinenschaden in Vigo (Spanien) einlaufen und wird dort repariert.

Aus der spanischen Presse erfahren wir, dass das Schiff Kriegsgerät nach Ägypten transportiert.

Außerdem: Der Hafen von Karatschi (Britisch Indien) zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die „Kerman“, exFürth lädt hier für die Rückfahrt eine große Menge Weizen für London und Hull.

Kerman, exFürth 1915 - 1920

Die „Kerman“, exFürth bei Frank C. Strick und Co.

Das Reederei-Imperium des Frank Clarke Strick

Titelbild:
Die „Kerman“, exFürth in kriegsgrauem Anstrich, Foto ohne Ortsangabe und undatiert (1915-1920); © alle Rechte bei: J. E. B. Belt, H. S. Appleyard (1996), A history of Frank C. Strick and his many shipping enterprises, World Ship Society, Kendal (UK).

Seit Januar 1915 war die Anglo-Persian Oil Company (APOC) neuer Eigentümer des Dampfschiffes „Fürth“. Das Schiff hatte den neuen Namen „Kerman“ erhalten: Paukenschlag: Das Dampfschiff „Fürth“ wird verkauft

Allerdings hat sich die APOC nicht selbst um die Bereederung des Dampfschiffes gekümmert, sondern damit ein anderes Unternehmen beauftragt, die F. C. Strick & Co. Ltd.

Dieser Blogartikel stellt den Reeder Frank Clarke Strick vor, schildert seine Aktivitäten im Nahen Osten und seine enge Beziehung zur APOC.

Strick gilt als ein Pionier für Schiffsverbindungen zwischen Europa und der Golfregion.

Ich stütze mich in diesem Artikel auf eine Biografie seines aus über 30 Schifffahrtsunternehmen bestehenden Reederei-Imperiums, die 1996 in England erschienen ist:

Strick Line
A history of Frank C. Strick and his many shipping enterprises, J. E. B. Belt, H. S. Appleyard (1996), World Ship Society, Kendal (UK)

Der Schwerpunkt des Blogbeitrags liegt auf dem Verkehr in den Persischen Golf, der in der Folge für die „Kerman“, exFürth von Bedeutung ist. Ein weiteres geografisches Tätigkeitsgebiet Stricks war der Mittelmeerraum, auf den ich hier nicht explizit eingehe.

Frank Clarke Strick

Frank Clarke Stick wurde im Oktober 1849 in Swansea (Wales) geboren.

Erste berufliche Erfahrungen sammelte er in einer Bank und bei seinem Vater, dem Schiffsmakler und Lloyds Vertreter James Strick. Als Juniorpartner stieg er dann bei Poingdestre, Mesnier und Co. ein, einem Kohlenexporteur und Schiffscharterer. Strick und sein französischer Seniorpartner Jules Mesnier sollten lebenslang Geschäftspartner bleiben und enge Freunde werden.

Anmerkung: Der andere Teilhaber, Philip Francis Poingdestre, war 1875 aus dem Unternehmen ausgeschieden. Quelle: https://www.thegazette.co.uk/London/issue/24224/page/3430/data.pdf

Nach der Tätigkeit bei Poingdestre, Mesnier und Co. gründete Strick am 20. Oktober 1885 sein eigenes Unternehmen: Frank C. Strick & Co. Ltd., Kohlenexport und Schiffsbroker, Adresse: Woolpack Buildings, Gracechurch Street, London.

Viele bedeutende Schifffahrtsunternehmen hatten hier und in den angrenzenden Straßen im Zentrum Londons Ihren Sitz. Auch Lloyd’s Register war und ist immer noch hier angesiedelt: Die „Fürth“ in Lloyd’s Register

1887 kaufte Strick sein erstes Schiff, die „Normand“, die er ein Jahr darauf gleich wieder verkaufte, um ein größeres Schiff, die „Alphonse Parran“ zu finanzieren.

Strick exportierte Kohlen nach Frankreich, später in den Mittelmeerraum. Für die Rückfahrten wurden Eisenerze in Algerien geladen.

Strick Line Ltd.
Flagge der Strick Line Ltd., Quelle: P&O Heritage; https://www.poheritage.com/our-history/company-guides/strick-line

Die Anglo-Arabian and Persian Steamship Co. Ltd.

Auf Anregung seines Freundes Mesnier unternahm Strick mit der „Alphonse Parran“ 1892 eine erste Fahrt in den Persischen Golf. Der gute Erfolg dieser Fahrt führte noch im gleichen Jahr zur Gründung der Anglo-Arabian and Persian Steamship Co. Ltd. Nach einigen Umfirmierungen und Mergern mit anderen Strick-Reedereien wurde die Reederei 1913 in die Strick Line Ltd. überführt.

Das erste neue Schiff der Gesellschaft war die 1893 in Dienst gestellte „Arabistan“.

Die Endung „-stan“ sollte für Schiffe der Strick-Unternehmen eine charakteristische Bezeichnung werden, die viele Schiffe der Reedereien trugen.

-STAN bedeutet auf Farsi „Ort von“ oder „Land von“.

Strick Line, funnel mark
Schornsteinmarke der Strick Line Ltd., aus: A history of Frank C. Strick and his many shipping enterprises, J. E. B. Belt, H. S. Appleyard (1996), World Ship Society, Kendal (UK).

Häfen

Die Ladehäfen in Europa waren verschiedene Häfen in Südwales, dazu noch London, Manchester, Glasgow, Antwerpen und Marseille.

Die Entladehäfen der Gesellschaft waren Port Sudan, Djibouti, Aden, Muscat, Bushire und Basrah. Zusätzliche Entladehäfen in Arabien und dem Iran wurden nach Bedarf angelaufen.

Zur politischen Einordnung: Port Sudan lag im sogenannten Anglo-Ägyptischen Sudan, Djibouti an der Französischen Somaliküste (Côte française des Somalis) und Aden stand unter der politischen Verwaltung Britisch Indiens.

Muscat liegt im Oman, und Bushire im Iran (Persien). Basra gehörte zu Mesopotamien, Teil des Osmanischen Reichs, heute Irak. Die Stadt war ab November 1914 von den Briten besetzt.

Basra 1918
Basra 1918, Luftbild; Shatt-el-Arab mit Seeschiffen im Vordergrund; Quelle: Australian War Memorial, No. P00562.014

Fracht

Die wichtigste Fracht von Großbritannien in den Persischen Golf war walisische Bunkerkohle für die Häfen Bushire und Basra. Von diesen Häfen gab es einen regelmäßigen Verkehr von und nach Indien und dadurch einen Bedarf an Kohle.

Die Linienverbindung zwischen dem Persischen Golf und Britisch Indien bestand bereits seit 1862 und wurde von der British India Steam Navigation Co. durchgeführt.

In den Jahren 1901 – 1908 war es Strick, der große Mengen Ausrüstung, Vorräte und Personal für die Teams von William Knox D’Arcy und der Burmah Oil an den Persischen Golf transportierte. Siehe dazu auch den Blogbeitrag: Die Ursprünge der bp Gruppe (British Petroleum)

Zusammen mit seinen Vertretungsbüros im Nahen Osten war Strick wichtiger Logistikpartner bei der Suche nach Erdöl im Iran.

Wichtige Frachten vom Persischen Golf nach Europa waren Eisenoxide von der Insel Hormuz und Datteln aus Basra.

Hinzu kamen Gerste, Teppiche, Schafhäute, Perlmutt, Gummi Arabicum, Mandeln, Fassdauben, Baumwolle und Baumwollsamen.

Date palms Basra 19144
Reich tragende Dattelpalmen in Basra, 1944; Fotograf: Frank Hurley, National Library of Australia, Libraries Australia ID 23564728

Liniendienst

Bis 1909 führte Strick die Fahrten von Großbritannien in den Persischen Golf nach Bedarf durch.

Ab 1909 wurde auf Wunsch des britischen Board of Trade ein regelmäßiger Liniendienst eingerichtet mit zweiwöchigen Abfahrten aus UK und einer planmäßigen monatlichen Rückfahrt. Die Schiffe konnten bis zu 20 Passagiere aufnehmen und saisonal wurden auf dem Zwischendeck Mekkapilger in die Hafenstadt Jeddah transportiert.

Frank C. Strick 1914
Unternehmenseintrag der Frank C. Strick & Co. Ltd. aus Who’s Who in Business 1914, Quelle: https://www.gracesguide.co.uk/

Strick, Scott & Co.

Im Januar 1911 ging Strick eine Partnerschaft mit dem Unternehmen Lloyd, Scott & Co. ein, einem Repräsentanten britischer Unternehmen in der Golfregion.

Die Firma Strick, Scott & Co. wurde gegründet. Dieses Unternehmen betrieb Büros in Basra, Mohammerah, Ahwaz und Bagdad.

Noch im gleichen Jahr ernannte die Anglo-Persian Oil Company (APOC) Strick, Scott & Co. als ihren Alleinvertreter („managing agent“) im Nahen Osten und der Geschäftsführer der APOC, Charles Greenway, wurde Vorstandsmitglied bei Strick, Scott & Co.

Strick, Scott & Co. blieb Vertreter der APOC in der Golfregion bis in die frühen 20er Jahre. Zu diesem Zeitpunkt war das Geschäft der APOC so stark angewachsen, dass die APOC in Abadan ihr eigenes Büro eröffnete und die Zusammenarbeit mit den Vertretungsbüros in der Region aufkündigte.

Ein Großteil der Mitarbeiter von Strick, Scott & Co., die im Ölgeschäft tätig gewesen waren, wurden von der APOC in Abadan übernommen.

Strick Scott Co. 1914
Unternehmenseintrag der Strick, Scott & Co. Ltd. aus Who’s Who in Business 1914, Quelle: https://www.gracesguide.co.uk/

Das Dampfschiff „Kerman“, exFürth bei Frank C. Strick & Co.

Die „Kerman“, exFürth unternahm unter Frank C. Strick & Co. im Zeitraum Februar 1915 – Juli 1916 drei Fahrten in den Indischen Ozean. Das Unternehmen war in dieser Zeit mit dem operationellen Einsatz des Schiffs betraut (Bereederung).

Der überwiegende Teil der Handelsschiffe und sicherlich auch die „Kerman“ waren während des Ersten Weltkrieges jedoch von der Britischen Admiralität requisitioniert.

Das heißt, Zielhäfen und Frachten wurden in dieser Zeit von der britischen Regierung koordiniert und vorgegeben.

Die drei Fahrten stelle ich hier im Blog in den nächsten Wochen vor.

Anmerkung: Die Angabe der Bereederung der „Kerman“, exFürth durch Frank C. Strick bis in das Jahr 1916 beruht auf Belt, Appleyard (1996). Die „Kerman“ führte jedoch (mit Unterbrechung) bis 1917 Fahrten in den Nahen Osten durch. Das Management des Schiffes durch Strick könnte meiner Meinung nach durchaus länger gedauert haben. Belege dafür habe ich bislang nicht gefunden.

Basra 1919
Blick auf Basra vom Fluss Shatt-el-Arab, 1919; National Archives of Australia, A1861, Item Barcode 4746334; Lizenzhinweis: Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 International

Frank C. Strick & Co. in späteren Jahren

Im Jahr 1919 hat Strick, der in diesem Jahr 70 Jahre alt wurde, seine Flotte an die Peninsular & Oriental Steam Navigation, kurz P&O, verkauft. Der Verkauf betraf nur die Schiffe, nicht seine Tätigkeit als Schiffsmakler in der Frank C. Strick & Co. Ltd.

Strick setzte sich jedoch nicht zur Ruhe. Noch in den 1920ern gründete er einige neue Reedereien und blieb sehr aktiv. 1928 wurde er über eine Minderheitsbeteiligung an der Strick Line Ltd. (1923) auch wieder Eigentümer an zahlreichen Schiffen.

Selbst mit 90 Jahren, im Jahr 1939, heißt es, dass er einmal wöchentlich von seinem Haus in Strathly-on-Thames bei Reading, nach London gefahren sei, um Geschäftsfreunde zu treffen und um „am Ball“ zu bleiben.

Obwohl Strick fast sein gesamtes Leben gute Geschäfte im Nahen Osten gemacht hatte, war er selbst nie dort.  

Strick wurde 93 Jahre alt, er starb im Januar 1943.

Die Frank C. Strick & Co. Ltd. existierte bis in das Jahr 1972. Das Unternehmen ging dann in der 1971 gegründeten General Cargo Division der Peninsular and Oriental Steam Navigation Company (P&O) auf.

Frank Strick 1943
Nachruf auf Frank C. Strick in Daily Commercial News and Shipping List, Sydney, 10. Mai 1943; Quelle: trove.nla.gov.au

Anmerkung: Baltic Exchange ist ein globaler Marktplatz der Schifffahrtsbranche, er existiert seit 1744.

Nächste Woche im Blog

Aufbruch zur ersten Fahrt: Die Mannschaft der „Kerman“, ex-Fürth wird in London angeheuert und anschließend läuft das Dampfschiff Glasgow und Manchester zum Laden an.

Manchester war über den Manchester Ship Canal mit dem Meer verbunden und wurde zu Englands drittwichtigster Hafenstadt, obwohl die Stadt 60 Kilometer vom Meer entfernt ist.

Über 16.000 Arbeiter waren in den Jahren 1887 bis 1894 auf der größten Baustelle des viktorianischen Großbritanniens beschäftigt.

Mehr über dieses Meisterwerk britischer Ingenieurskunst nächste Woche hier im Blog.