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Guttapercha und der Tote aus Borneo

Kein neuer Commissario

Guttapercha

Keine Sorge, Guttapercha ist nicht noch ein neuer „Commissario“ und der Tote aus Borneo auch keine exotische Leiche. Aber eins nach dem anderen!

Auf den Fahrten der „Fürth“ treffen wir einige Waren an, die heute weitgehend in Vergessenheit geraten sind, wie zum Beispiel die Guttapercha oder auch nur kurz Gutta genannt. Wenn Sie nicht gerade in einem Dentallabor arbeiten, sind Sie wahrscheinlich noch nie in Berührung mit diesem, zur Zeit unseres Dampfschiffes „Fürth“, sehr begehrten Rohstoff gekommen. Ich auch nicht.

Und wer weiß heute schon noch, dass der weltweite Erfolg des größten deutschen Industrieunternehmens, der Firma Siemens, zu einem großen Teil auf dieser Substanz und ihrer Verarbeitung beruht?

Aber beginnen wir auf der Insel Java, wo die „Fürth“ regelmäßig Batavia, Soerabaya und auch Tjilatjap anlief (heute Djakarta, Surabaya und Cilacap) und Guttapercha nach Europa brachte.

guttapercha java

Guttapercha-Verarbeitung auf Java (ca. 1920/1930); Quelle: commons.wikimedia.org, File:COLLECTIE TROPENMUSEUM West-Java Tjipetir arbeiders bedienen de machines die de guttapercha wassen en persen TMnr 60020167.jpg

Der Guttaperchabaum

Dort, auf Sumatra, Borneo sowie auf der malaiischen Halbinsel, wächst der Guttaperchabaum (Palaquium gutta). Dieser tropische Laubbaum wird bis über 20 Meter hoch und liefert reichlich Milchsaft. Einige andere Arten der Gattung Palaquium liefern ebenfalls Guttapercha, aber nicht immer in der gewünschten Qualität.

Durch Trocknung, Reinigung und Aufkochen erhält man aus dem Milchsaft ein kautschukähnliches Produkt, die Guttapercha.

guttapercha java

Nicht erst seit Palmöl: Die Abrodung von tropischen Wäldern auf Java für Guttapercha-Plantagen
Quelle: commons.wikimedia.org, File:COLLECTIE TROPENMUSEUM Proefaanplant van guttapercha op de rubberonderneming Langsa West-Java TMnr 60020174.jpg

Eigenschaften

„Das wesentlichste Merkmal, durch welche sich Guttapercha ohne weiteres von dem mit ihr so oft identifizierten Kautschuk unterscheidet, ist zweifellos die bereits von Tradescant erwähnte, und auch von D’Almeida, sowie Montgomerie betonte Eigenschaft, beim Eintauchen in heißes Wasser weich und plastisch zu werden, dann beim Abkühlen jede ihr vorher gegebene Gestalt beizubehalten und hart, aber keineswegs spröde, wie andere Harze zu werden. Dem gegenüber wird Kautschuk in heissem Wasser nicht weich, und behält seine ursprüngliche Elastizität und Spannkraft fast unvermindert bei.“
Dr. Eugen Obach (1899): Die Guttapercha, Verlag von Steinkopff & Springer, Dresden,
abgerufen unter:
http://dfg-viewer.de/show/?tx_dlf%5Bpage%5D=1&tx_dlf%5Bid%5D=http%3A%2F%2Fdigital.ub.uni-duesseldorf.de%2Foai%2F%3Fverb%3DGetRecord%26metadataPrefix%3Dmets%26identifier%3D1259277&tx_dlf%5Bdouble%5D=0&cHash=47b26e1b8afb23734d48166b38dc3659

Ein guter Isolator

Guttapercha hat neben dieser einfachen Verformbarkeit noch eine andere, sehr begehrte Eigenschaft: sie ist ein guter, sogar sehr guter Isolator. Womit wir zur Firma Siemens & Halske kommen.

„Das Jahr 1847 wird in der Geschichte der Guttapercha-Industrie allezeit denkwürdig bleiben. Wurde doch in demselben die Pflanze, von der dieses industriell wertvolle Produkt stammt, zum ersten Male von Sir William Jackson beschrieben. Und im gleichen Jahr begann auch Dr. Ernst Werner von Siemens, damals Artillerieleutnant in der Preussischen Armee, die Verwendung von Guttapercha zur elektrischen Isolierung unterirdischer Telegraphenleitungen aufzunehmen. Er erbaute damals eine Maschine, mittels welcher Draht fortlaufend mit dem Stoffe umhüllt werden konnte. Diese Maschine ist, mit geringen Änderungen, bis auf den heutigen Tag im Gebrauch geblieben.“
Dr. Eugen Obach (1899): Die Guttapercha, Verlag von Steinkopff & Springer, Dresden.

Allegorical scene showing Neptune with a trident in foreground, and lion representing Great Britain holding one end of the Atlantic cable and eagle representing the United States holding the other end of the cable, with ocean between them and cities behind them. Includes portrait of the inventor, Cyrus Field, at top center.

Das achte Weltwunder, Originalbeschreibung: Allegorical scene showing Neptune with a trident in foreground, and lion representing Great Britain holding one end of the Atlantic cable and eagle representing the United States holding the other end of the cable, with ocean between them and cities behind them. Includes portrait of the inventor, Cyrus Field, at top center.
Quelle: Library of Congress, https://lccn.loc.gov/93510355

Das achte Weltwunder

Der Bedarf an Kabeln war in der zweiten Hälfte des neunzehnten und zu Beginn des 20. Jahrhunderts enorm. Unterirdische Telegrafenleitungen wurden über hunderte Kilometer über Land gelegt und ab 1856 begann die Geschichte einer technischen Meisterleistung, die damals als achtes Weltwunder gefeiert wurde: Die 1866 nach mehreren Fehlversuchen gelungene Installation eines über 2000 Meilen langen Unterseekabels zwischen Europa und Nordamerika. Ein Meilenstein in der Kommunikationstechnik.

Guttapercha war also sehr begehrt und wurde entsprechend teuer.

„Dazu kommt, was wesentlich mitspricht, daß der Preis der Guttapercha immer mehr steigt, und wenn dieser Punkt bei den großen Unterseekabeln nicht von entscheidender Bedeutung ist, so wird doch die Kostenfrage, wenn es sich um elektrische Anlagen, z. B. für Beleuchtungszwecke handelt, eine sehr wesentliche.“
Arthur Wilke (1893): Die Elektrizität, ihre Erzeugung und ihre Anwendung in der Industrie und Gewerbe, Springer Verlag Berlin Heidelberg (abgerufen unter books.google.fr)

Djeloetong oder „Dead Borneo“

Dies hatte zur Folge, dass auch andere Produkte als Ersatzstoffe für Guttapercha auf den Markt kamen. Einer davon war Djeloetong, mit Handelsnamen auch „Dead Borneo“, das ebenfalls auf der „Fürth“ nach Europa transportiert wurde.

Der ungewöhnliche Handelsname „Dead Borneo“ soll darauf zurückgehen, dass das Holz des Djeloetong-Baumes ein bevorzugtes Material für die Herstellung von Särgen war. Deswegen also in der Überschrift „der Tote aus Borneo“. Sie mögen mir diese etwas freie Übersetzung nachsehen.

djeloetong

Djeloetong (Handelsname Dead Borneo) ist ein Ersatzstoff für Guttapercha,
Quelle: Hubert Winkler (1912), Botanisches Hilfsbuch: für Pflanzer, Kolonialbeamte, Tropenkaufleute und Forschungsreisende, Hinstorffsche Verlagsbuchhandlung, Wismar (abgerufen unter books.google.fr)

Golfbälle

Falls Sie Golf spielen: Golfbälle wurde um die Jahrhundertwende (also um 1900) ebenfalls aus Guttapercha hergestellt.

„The Gutta Percha ball was the ball that opened Golf to the masses, the first major development in the evolution of the golf ball.

Gutta Percha revolutionised the game of golf,… „
(https://www.standrewsgolfco.com/shop/products/heritage-collection/clubs-and-balls/historic-balls/the-bramble-guttie/)

So ein Golfball hieß je nach Oberflächenbeschaffenheit „Guttie“ oder „Bramble“. Diese Bälle finden Sie antiquarisch oder auch als Replik. Das ist vielleicht mal ein ungewöhnliches Geschenk für einen Golfer und Sie können jetzt ja auch noch eine Geschichte dazu erzählen! Lassen Sie mich bitte wissen, wenn Sie als Golfer einen Guttapercha-Ball ausprobieren, wie er sich im Spiel von modernen Bällen unterscheidet.

Im Plastozän

Heute, im Zeitalter des „Plastozän“, ist Guttapercha weitgehend in Vergessenheit geraten. Verwendet wird es nach wie vor in der Zahntechnik:

„In der Zahnmedizin wird es als provisorisches Füllmaterial und zur Herstellung von Abdrücken sowie zum Verfüllen der Wurzelkanäle bei Wurzelkanalbehandlungen verwendet.“
(http://www.chemie.de/lexikon/Guttapercha.html)

Falls Sie im Sommer an den Atlantik fahren und am Strand spazieren gehen, achten Sie mal auf gummiartige Substanzen im Strandgut, vielleicht fällt Ihnen ja echtes Guttapercha in die Hände! Mehr dazu in einem Artikel der Zeit:
https://www.zeit.de/2015/06/strandgut-cornwall-fundstueck-tjipetir

Das Titelbild des Beitrags ist eine Werbung der Firma Continental aus dem Jahr 1903, die damals noch Continental Caoutchouc & Guttapercha Co. hieß. Auch das haben wir im Plastikzeitalter längst vergessen.

Anmerkung: Der Beitrag erschien in einer ersten Fassung am 8. September 2018.

advertisement, continental, guttapercha, 1903

Werbung der Continental Caooutchouc & Guttapercha Co. Hannover aus dem Jahr 1903
Quelle: commons.wikimedia.org (File:1903 Werbung Continental Pneumatic Continental Caoutchouc & Guttapercha Co. hannover.JPG)

Beauty Point Tamar River 1913

Handel mit dem anderen Ende der Welt

Titelbild: Der Beautypoint in der Trichtermündung des Tamar auf Tasmanien, Postkarte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, veröffentlicht 1913, Fotograf unbekannt; eigene Sammlung

Von Hamburg nach Tasmanien

Das Postkartenidyll zeigt einen beschaulichen Anleger mit einem kleinen Schuppen am sogenannten Beautypoint im Norden Tasmaniens.

Die Auswahl dieses Ansichtskartenmotivs durch die die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) im Jahr 1913 überrascht, denn die Reederei unterhielt vor dem Ersten Weltkrieg keine Linienverbindung zu dieser, südlich des australischen Kontinents gelegenen Insel, die bis 1856 Van-Diemens-Land hieß.

In der Regel wurden Güter, die für die tasmanischen Städte Hobart, Lanceston oder Burnie bestimmt waren, in Melbourne umgeladen und dann mit Schiffen anderer Reedereien nach Tasmanien transportiert.

Tasmanien vor 1911
Tasmanien, Karte aus Encyclopedia Britannica, 11. Ausgabe 1911; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:EB1911_Tasmania.jpg; die Lage der Städte Burnie, Launceston und Hobart sind vom Autor gelb markiert

Nur bei großen Lademengen wurde Tasmanien direkt angelaufen, meist für ausgehende Fracht.

So wurden saisonal in Hobart nach der Ernte Äpfel für den direkten Transport nach Europa geladen. Die neuen, 1912 in Dienst gestellten Schiffe der DADG, „Adelaide“ und „Melbourne“, die beide über Kühlräume verfügten, machten dies noch besser möglich. Gelegentlich wurde auch Wolle befrachtet und im Huon River südwestlich von Hobart Holzladungen aufgenommen.

Piesse & Co.

Als Agent der DADG vor Ort agierte das Unternehmen Messrs. C. Piesse and Company mit Sitz in Hobart.

Messrs. C. Piesse and Company arbeiteten als Händler und Schiffsmakler. Die Firma war Ende des 19. Jahrhunderts von Charles August James Piesse gegründet worden. Sein Sohn Leslie Fraser Piesse führte das Geschäft nach dem Tod des Vaters im Jahr 1909 fort.

Der Tätigkeitsbereich war Import/Export von und nach Großbritannien und Festlandseuropa sowie der Handel mit der australischen Hauptinsel. Die Exportprodukte waren mannigfaltig: Wolle, Hopfen, Obst, Häute von Schaf und Kaninchen, Pelze, Silber, Bleierze und Getreide.

Hobart, Ocean Pier about 1900
Hobart, Ocean Pier (Länge ca. 370 M, Breite 58 M, Wassertiefe 18,9 M), kurz nach 1900, Foto H.H. Baily; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ocean_Pier,_Hobart,_Tasmania_-_very_early_1900s.jpg; Lizenz: CC BY-SA 4.0

In einem Artikel der Tageszeitung The Mercury (Hobart) vom 18. Juni 1912 brachte Piesse zum Ausdruck, dass eine regelmäßige Verbindung der DADG nach Tasmanien in Planung wäre.

Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges kam dies jedoch nicht zustande, dafür dürften die Lademengen der Hamburger Reederei für Tasmanien zu klein und nicht regelmäßig genug gewesen sein.

So blieben die Schiffe der DADG in Tasmanien eine Ausnahmeerscheinung. Dokumentiert ist zum Beispiel die Ankunft der „Altona“, die im Juli 1912 immerhin 400 Tonnen allgemeine Ladung nach Hobart brachte. Im April 1913 erreichte die „Reichenbach“ Burnie im Nordwesten Tasmaniens mit einer großen Menge Zement für den Bau einer Hafenmole.

Die Reichenbach in Burnie
© Maritime Museum of Tasmania, Cyril Smith Collection vol. 11., https://ehive.com/collections/3906/objects/842355/reichenbach

Besuch der Geschäftsführung

Im Oktober 1912 besuchte Marius Böger als Mitglied der Geschäftsführung der DADG Burnie und Lanceston.

Ein wichtiges Thema war der geplante Ausbau des Flusses Tamar und seiner Trichtermündung, so dass Schiffe der DADG die Stadt Launceston erreichen konnten, was bis dahin nicht der Fall war.

Burnie hatte hingegen nach Böger den Vorteil, direkt am Meer zu liegen und über geschützte Liegeplätze zu verfügen.

Böger machte bei seinem Besuch jedoch klar, dass Tasmanien nur dann regelmäßig angelaufen werden könne, wenn die Ladungsmengen interessant genug wären.
Quelle: The Mercury, Hobart, 23. Oktober 1912.

Burnie Tasmania 1919
Panoramaansicht von Burnie, Tasmanien, 1919; https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/85/Burnie%2C_Tasmania_%281919%29_%2813415397133%29.jpg (Ausschnitt)

Das Dampfschiff „Oberhausen“ – beschlagnahmt im Huon River

Ein Schiff der DADG, der Frachtdampfer „Oberhausen“, lag bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges im tasmanischen Huon River.

Kapitän Johann Meier und seine Mannschaft waren dabei, eine große Menge Eisenbahnschwellen für Südafrika zu laden, als australische Reservisten das deutsche Schiff beschlagnahmten.

Nach einer ersten Zeit der Gefangenschaft auf dem Schiff, kam die Mannschaft der „Oberhausen“ im Februar 1915 in die Quarantänestation auf Bruny Island, wo insgesamt etwa 70 Internierte untergebracht waren.

Die „Oberhausen“ hatte 33 Mann Besatzung, die anderen Lagerinsassen waren Deutsche und Österreicher, die auf Tasmanien lebten.

Nach Auflösung der regionalen Lager in Australien und damit auch des Camps auf Bruny Island, kam die Mannschaft der „Oberhausen“ in das große Lager nach Holsworthy bei Sydney. Kapitän und Offiziere wurden nach Berrima bzw. nach Trial Bay überstellt.

Der Frachtdampfer „Oberhausen“ wurde unter dem neuen Namen „Booral“ von der australischen Regierung als Transportschiff eingesetzt.

Zur Geschichte der „Oberhausen“ auf Tasmanien gibt es drei schöne informative Artikel in GeschiMag, dem Online-Geschichtsmagazin:

Der Fall des Dampfschiffes Oberhausen

Zur falschen Zeit am falschen Ort

Die Mannschaft der Oberhausen im Ersten Weltkrieg

Hobart Tasmania
Hobart, Tasmanien, Stadtpanorama mit Mt. Wellington (1271 m), undatierte Aufnahme (um 1900-1920?); Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hobart,_Tasmania_(4749707971).jpg

Das Tagebuch des vierten Offiziers Fritz Stegherr

Im Jahr 2016 wurde bekannt, dass der 4. Offizier der „Oberhausen“, Fritz Stegherr, in Hobart und auf Bruny Island Tagebuch geführt hatte. Insgesamt hat er fünf Hefte mit fast 600 Seiten verfasst. Bestimmt war das Tagebuch des Offiziers der Handelsmarine für seine Mutter.

Veröffentlicht wurde 2021 der erste Teil in einer Übersetzung in die englische Sprache mit dem Titel „Dear Mama“ – The Diary of a German P.O.W. in Tasmania 1914-1915.

Mehr Informationen dazu gibt es ebenfalls beim GeschiMag:

Interniert in Australien

Neuerscheinung Dear Mama

Tamar River about 1900
River Tamar, Tasmanien, Aufnahme undatiert, Quelle: Tasmanian Archive and Heritage Office Commons, no restrictions, via Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:View_of_River_Tamar,_Launceston_(36298934486).jpg

Andere Tagebücher hier im Blog

Hier im Blog hatte ich in mehreren Artikeln die Tagebücher des Offiziers Friedrich Meier vorgestellt, der den Ersten Weltkrieg in den australischen Lagern Langwarrin, Holswothy und Trial Bay verbringen musste. Hier der erste Teil: In australischer Gefangenschaft

Ein weiteres Tagebuch berichtet von der Gefangenschaft des Matrosen Paul Thomas in Portugiesisch-Indien (Goa): Kriegsgefangenschaft in Goa (Teil 1 von 2)

Fort Verdala Malta 1915

Internierung auf Malta

Prominente und weniger prominente Gefangene

Titelbild: Blick vom St. Clement’s Camp (Cospicua, Malta) in Richtung Fort Verdala, Fotografie von Theodor Kofler, ca. 1915; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:St._Clement%27s_camp_for_prisoners_of_war,_Fort_Verdala,_Cospicua,_Malta_(1).jpg

Die Seeleute der Schiffe „Rostock“ „Goslar“ und „Annaberg“

Vor wenigen Wochen hatte ich über das Dampfschiff „Albany“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) berichtet, dem es nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges als letztem Frachter der Reederei gelungen war, den Suezkanal zu passieren und anschließend Messina auf Sizilien als Schutzhafen anzulaufen. SIEHE: Fluchtpunkt Messina

Weniger Glück war den Seeleuten der Schiffe „Rostock“ „Goslar“ und „Annaberg“ beschieden:

„Die beiden in Suez liegenden D. [Dampfer] „Annaberg“ und „Goslar“ wurden nach See hinausgetrieben, dort gekapert und als Beute durch den Kanal geführt“ (Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft Hamburg, Otto Harms, 1933, Schröder und Jeve).

Harms beschreibt hier das Vorgehen der Briten, die die deutschen Kapitäne gezwungen hatten, aus der neutralen Kanalzone in offene Gewässer zu fahren, um ihre Schiffe anschließend dort zu beschlagnahmen. Damit war der Plan der DADG, die beiden Schiffe im Bittersee  ankern zu lassen, gescheitert. Zum Suezkanal siehe den Artikel: Dampfschiff „Fürth“: durch den Suezkanal

„Von Port Said sind sie im Verein mit „Rostock“ und anderen deutschen Schiffen zwangsmäßig nach See vertrieben und dann durch englische Kreuzer nach Alexandrien verbracht.“ (gleiche Quelle)

Die Seeleute der drei DADG-Schiffe wurden in Malta interniert:

„Hinzugefügt sei noch, dass die Besatzungen der D. „Rostock“, „Goslar“ und „Annaberg“ (aus dem Suezkanal) soweit wehrdienstpflichtige Leute nicht vorher die Heimreise versucht hatten, zu Kriegsgefangenen gemacht, und nach Malta gebracht worden sind.“ (gleiche Quelle)

Die Festung Malta

Auf der an Verteidigungsanlagen reichen Insel Malta existierten während des Ersten Weltkrieges mehrere Gefängnisse für Kriegsgefangene und internierte Zivilisten:

Fort Verdala (Verdala Barracks) für die Offiziere

St. Clement Camp (auch St. Clement Retrenchment) und angeschlossene Lager in Zejtun sowie

Fort Salvatore für Unteroffiziere, Soldaten, Seeleute, männliche Zivilgefangene

Schließlich die Polverista Barracks, in denen Frauen und Kinder untergebracht werden sollten.

Fort Verdala Cospicua Malta
Die Verdala Barracks und St. Clement’s Retrenchment/St. Clement’s Camp in Cospicua auf Malta in direkter Nachbarschaft, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Fort_Verdala_map.png

Die Seeleute der drei DADG-Dampfer erreichten Malta im November oder Dezember 1914. Am 4. November 1914 waren 597 deutsche und österreichische Zivilgefangenen aus Ägypten auf Malta angekommen und weitere 564 am 1. Dezember 1914.

Insgesamt sollen bis 17. Dezember 1914 1651 Kriegsgefangene aus Ägypten nach Malta transportiert worden sein.

Bis Ende des Krieges im November 1918 waren auf Malta etwa 2650 Personen interniert.

Neben Deutschen und Österreichern befanden sich auch Ungarn, Bulgaren, Türken, Griechen und Italiener unter den Gefangenen.

St. Klements Kamp Malta 1915
Zelte im Lager St. Clement’s in Cospicua auf Malta, Aufnahme vom 1. Januar 1915; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:St._Clement%27s_POW_camp,_Fort_Verdala,_Cospicua,_Malta.jpg

Schlechte Haftbedingungen

In den maltesischen Gefängnissen herrschten beengte Verhältnisse. So war Fort Verdala in Friedenszeiten eigentlich für 350 Offiziere ausgelegt, inhaftiert waren dort jedoch rund 650 Gefangene.

Auch das St. Clement Camp war mit 850 Internierten überbevölkert. Die Gefangenen waren in kleinen Zelten mit vier Metern Durchmesser untergebracht, die weder dicht waren noch starken Winden standhielten. Die sanitären Einrichtungen waren ungenügend, ebenso die medizinische Versorgung. Wasser war auf der kargen Mittelmeerinsel ein knappes Gut.

Auch die Verpflegung ließ zu Wünschen übrig und in der eingerichteten Lagerkantine waren die Preise so hoch, dass sich nur wenige diesen Luxus leisten konnten.

Gab es zu Beginn des Krieges für die Gefangenen noch einige Freiheiten, wurden die Haftbedingungen nach der erfolgreichen Flucht zweier Inhaftierter am 10. April 1916 deutlich verschärft.

Während der Internierung kam es von 1914 bis 1919 zu 32 Todesfällen im Lager. Einige Gefangene versuchten durch Suizid der Gefangenschaft zu entkommen. Lagerinterne Spannungen gipfelten in einem Mord.

Malta 1915
Große Gruppe Gefangener im St. Clement’s Camp, Fotografie von Theodor Kofler, 1915; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:St._Clement%27s_camp_for_prisoners_of_war,_Fort_Verdala,_Cospicua,_Malta_(3).png

Anmerkung: Theodor Kofler, geboren in Innsbruck, hatte vor dem Ersten Weltkrieg ein Fotostudio in Kairo. Von ihm stammen die ersten Luftaufnahmen der Pyramiden und anderer archäologischer Stätten in Ägypten.

Prominente Gefangene

Unter den Gefangenen auf Malta waren einige bekannte Namen:

Karl von Müller und Prinz von Hohenzollern-Sigmaringen

Die Kaperfahrt von SMS „Emden“ hatte am 9. November 1914 ihr Ende gefunden. SIEHE dazu den Blogartikel: SMS „Emden“ versenkt die „Diplomat“

Anschließend wurden die unverletzten überlebenden Seeleute über Colombo und Suez nach Malta gebracht, wo sie am 6. Dezember 1914 eintrafen.

Unter ihnen befand sich auch der Kapitän von SMS „Emden“, Karl von Müller und der Leutnant zur See Franz Josef Prinz von Hohenzollern-Sigmaringen. Der junge Prinz war Sohn des Fürsten Wilhelm von Hohenzollern und Fürstin Maria Theresia Magdalena von Bourbon-Sizilien.

SMS Emden Mannschaft Malta 1914
Die Mannschaft der „Emden“ als Kriegsgefangene auf Malta, mit Kapitän von Müller und Prinz Hohenzollern von Sigmaringen, Fotografie von Heinz Leichter, Dezember 1914; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:SMS_Emden_POWs_in_Malta_(Photo_Lechter).jpg

Anmerkung: Die unverletzten Kriegsgefangenen von SMS „Emden“ kamen nach Malta. Die Verletzten wurden auf Ceylon behandelt und anschließend in das Lager Trial Bay nach Australien überstellt.

Karl Dönitz

Ein anderer bekannter Kriegsgefangener auf Malta war der spätere Großadmiral Karl Dönitz.

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges war er als Leutnant zu See auf SMS „Breslau“. Zusammen mit SMS „Goeben“ gelang es dem Kleinen Kreuzer am 6. August 1914 Messina zu verlassen, den Briten zu entkommen und Konstantinopel zu erreichen. SIEHE: Fluchtpunkt Messina

Im späteren Kriegsverlauf kam er als Kommandant von UB 68 am 4. Oktober 1918 in Kriegsgefangenschaft, nachdem er sein U-Boot nach schweren Artillerietreffern selbst versenken ließ. Es folgte die Internierung auf Malta.

Karl von Müller war zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr auf der Mittelmeerinsel. Er war aus gesundheitlichen Gründen im Oktober 1916 nach England gebracht und dann im Januar 1918 auf Betreiben des Roten Kreuzes in den neutralen Niederlanden interniert worden.

Andere bekannte Gefangene waren der preußische General Liman von Sanders, der italienische Dirigent Aurelio Doncich und der türkische General Esref Kuscubasi.

Kaum bekannt: Der Nürnberger Geo Fürst

An dieser Stelle möchte ich, da es sich um den Blog des Dampfschiffes „Fürth“ handelt, noch einen anderen Gefangenen erwähnen: Geo Fürst aus der Nachbarstadt Fürths, aus Nürnberg.

Fürst, mit Vornamen eigentlich Johann, kam vor dem Ersten Weltkrieg nach Malta, wo er als Botschaftssekretär tätig war. Deutscher Botschafter zu dieser Zeit war Baron Maximilan Tucher von Simmelsdorf. Also gut möglich, dass Baron Tucher und Fürst beziehungsweise ihre Familien sich bereits aus der bayerischen bzw. fränkischen Heimat kannten.

1912 hatte Fürst die Malteserin Helen „Lily“ Debono geheiratet. 1914 wurde er nach Kriegsausbruch auf Anweisung Londons direkt interniert, was vermuten lässt, dass er nicht nur als Sekretär arbeitete, sondern auch als Spion tätig war.

Es war wahrscheinlich während seiner Gefangenschaft von 1914-1919, als Fürst die Malerei für sich entdeckte.

Nach dem Krieg musste er zurück nach Deutschland, kehrte aber bald wieder zurück nach Malta, wo er sich als Landschafts- und Marinemaler und später als Fotograf einen Namen machte. Er hinterließ rund 1000 Fotografien, meist aus den 1930er Jahren. Der maltesische Richter und Historiker Giovanni Bonello hat zahlreiche davon in einem Buch öffentlich zugänglich gemacht:
Nostalgias of Malta, Images by Geo Fürst from the 1930s, Giovanni Bonello, 2006, FPM, Valetta, Malta.

Fürst starb 1964 in München.

St. Clements Internment Camp POW Malta 1915
Aufführung des Chors im Lager St. Clement, Aufnahme des Gefangenen Daniel Hiesinger aus Greding, 1916, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:St.Clement_Cospicua_choral_society_meeting_in_the_club_room.jpg

Lagerleben

Die Aktivitäten der Internierten auf Malta waren denen anderer Gefangenenlager ähnlich.

Ein wichtiger Ausgleich war Sport. Dokumentiert sind Fußball (mit dem Fußballclub „Gemütlichkeit“), Tennis, Billard, Schach und Kegeln auf einer eigens gebauten Bahn. Ab Sommer 1917 war den Gefangenen das Schwimmen in der Maraskala Bay erlaubt, allerdings nur im Sommer und nur eine halbe Stunde täglich.

Bei Wettkämpfen war auch das Wetten auf Mannschaften oder Sportler ein beliebter Zeitvertreib.

Ein großer Chor, ein Blas- sowie ein Streichorchester und eine Theatergruppe standen kulturell Interessierten offen.

Andere betätigten sich handwerklich, in jährlichen Ausstellungen präsentierten sie ihre Werke.

Ausstellung Franz Josef Kaiser Malta 1915
Plakat der Ausstellung der Erzeugnisse des Lagers zu Ehren des 85. Geburtstages S.M. Franz Josef I. am 18. August 1915, Fotografie von Theodor Kofler, 1915; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Exhibition_for_the_85th_birthday_of_Emperor_Franz_Jozeph,_by_prisoners_of_war_in_Malta,_18_August_1915_(a).jpg

Über das Lagerleben sowie über die politische Lage informierten die „Camp Nachrichten“, soweit die Zensur dies zuließ.

Außerdem boten mehrere Fotografen einen Portraitservice an und ein beliebter Treffpunkt war das türkische Café.

An Weiterbildungsmöglichkeiten gab es Fremdsprachenkurse und sicher noch einiges andere. Geo Fürst besuchte Kurse für Malerei.

Daniel Hiesinger Malta 1915
Belustigungs-Wettspiele am 11. Juli 1915, St. Clement’s Camp, handgezeichnete Postkarte von Daniel Hiesinger aus Greding, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Daniel_Hiesinger,_Belustigungs_-_Wettspiele_11_July_1915.jpg

Heimkehr

Wie in anderen Lagern bedeutete auch auf Malta das Kriegsende nicht das Ende der Gefangenschaft.

Erste Gefangene konnten erst ab November 1919 das Lager verlassen und auf eigene Kosten heimkehren.

Danach schien es schnell gegangen zu sein, denn es wird berichtet, dass an Weihnachten 1919 alle Internierten wieder in ihren Heimatländern angekommen waren.

Fort Verdala WW1 Malta
Fort Verdala, Ansammlung von Gefangenen, wahrscheinlich für ein Festkonzert, Foto von Heinz Leichter, um 1915; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:St._Clement%27s_camp_for_prisoners_of_war,_Fort_Verdala,_Cospicua,_Malta_(4).jpg

Quellen

Die Gefangenschaft Deutscher auf Malta ist vergleichsweise gut dokumentiert.

Die folgenden drei Artikel (in englischer Sprache) bieten einen guten Einstieg in das Thema.

German prisoners of war in Malta, Anthony Zarb Dimech, Malta Independent vom 1. April 2012; https://www.independent.com.mt/articles/2012-04-01/news/prisoners-of-war-in-malta-in-the-first-world-war-307997/

The Prisoner Experience at Verdala and St. Clement’s Retrenchment during World War One, Dylan Agius, in Futouristic, Institute of Tourism Studies, Malta, 1. Ausgabe, Januar 2022, S. 50-55; abgerufen über: https://issuu.com/instituteoftourismstudies/docs/futouristic_1st_issue

The Salter Album from Word War I, Giovanni Bonelli, 17. August 1914 in Times of Malta; https://timesofmalta.com/articles/view/The-Salter-album-from-World-War-I.532336

Was jedoch fehlt, sind Spuren der Seeleute der eingangs erwähnten DADG-Schiffe „Rostock“ „Goslar“ und „Annaberg“. Für jeden Hinweis zu deren Schicksalen im Voraus herzlichen Dank.

Stegelmann Steglman work certificate 1910

Der Weg des Schiffszimmermanns Stegelmann nach Australien

Titelbild: Dienstzeugnis des Schiffszimmermanns Stegelmann, Dampfschiff „Kiel“, 7. April 1911, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, Quelle: Museums Victoria Collections https://collections.museumsvictoria.com.au/items/130292; gemeinfrei.

Die Geschichte einer Auswanderung

Johannes Friedrich Wilhelm Stegelmann wurde 1884 in Wellingdorf (Schleswig-Holstein) geboren, das 1910 nach Kiel eingemeindet wurde.

1900 trat er als Lehrling in die Kaiserliche Werft in Kiel ein, um Schiffszimmermann zu werden.

Kiel Gaarden Kaiserliche Werft 1902
Kiel, Kaiserliche Werft, um 1902; Quelle: Stadtarchiv Kiel über commons.wikimedia.org

In seinem Lehrbrief heißt es:

Der Schiffszimmer-Lehrling Johannes Stegelmann, geboren am 9. November 1884, in Wellingdorf, welcher mit dem 18. April 1900 das Schiffszimmers-Handwerk erlernt hat, wird hiermit nach bestandener Prüfung zum Gesellen freigesprochen.
Die Führung desselben während der Lehrzeit war gut.
Kiel, den 19. März 1904.
Quelle: Museums Victoria Collections; https://collections.museumsvictoria.com.au/items/1303016

Stegelmann war noch minderjährig (unter 21) und so schrieb ihm sein Vater Hans eine handschriftliche Genehmigung, dass er zur See fahren dürfe. Diese wurde von der Gemeinde Ellerbeck am 9. Juni 1904 beglaubigt.

Stegelmann Ellerbek 1904
Einwilligung von Hans Stegelmann, dass sein Sohn Johannes zur See fahren kann, beglaubigt von der Gemeinde Ellerbeck am 9. Juni 1904; Quelle: https://collections.museumsvictoria.com.au/items/1302996

Erste Anstellungen und Militärzeit

Seine erste Anstellung erhielt Stegelmann im Juni 1904 auf dem Segelschiff „Parnassus“ zu einer Heuer von 60 Mark.

Weiter wissen wir von ihm, dass er am 3. Juli 1905 als Zimmermann auf dem Frachtdampfer „Kiel“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) anheuerte. Die Fahrt sollte bis zum 20. Januar 1906 dauern; seine Heuer betrug jetzt monatlich 85 Mark.

Auf dem Dampfer „Thasos“ der Deutschen Levante-Linie, auf dem er 1906 fuhr, verdiente er dann 90 Mark monatlich.

Am 18. Februar 1907 trat er seine Militärzeit in der 5. Kompagnie der 1. Werft-Division in der Kaiserlichen Marine als Ober-Zimmermannsgast an. Hier leistete er bis zum 29. September 1909 Dienst.

Noch im gleichen Jahr fuhr er ab 21. Oktober wieder als Zimmermann in der Handelsmarine: Schiff „Sarnia“ (HAPAG), Heuer 80 Mark. Außerdem trat Stegelmann in den Deutschen Transportarbeiter-Verband ein.

Am 28. Oktober 1910 führte ihn sein Berufsweg erneut auf das Dampfschiff „Kiel“ der DADG. Das Dienstzeugnis der Titelabbildung stammt von dieser Fahrt, die bis zum 6. April 1911 dauerte.

Kiel Mannschaftsliste January 3rd 1911 Sydney
Mannschaftsliste der „Kiel” beim Einlaufen in Sydney am 3. Januar 1911, an fünfter Position: J. F. W. Stegelmann, 26 Jahre, aus Wellingdorf, Zimmermann; Dokument der Hafenbehörde Sydney über die Webseite marinersandships.com.au.

Zurück in Hamburg erhielt er eine Vorladung des Seemannsamtes Hamburg. Er musste als Zeuge zu dem Tod eines Schiffsmannes auf dieser Australienfahrt aussagen, der beim Bootwaschen über Bord gefallen und ertrunken war.

Die Vorladung ist das letzte Dokument, welches ihm in Deutschland ausgestellt wurde (und erhalten geblieben ist).

Desertion in Australien

Nach Angaben seiner Tochter Margaret ist er noch im Jahr 1911 mit zwei anderen Seeleuten in Australien desertiert, weil er Angst hatte, wieder zur Kaiserlichen Marine eingezogen zu werden.

Ich vermute, dass er eine zweite Fahrt auf der „Kiel“ nach Australien gemacht hatte und die Desertion zwischen dem 3. und 10. Juli 1911 in Melbourne erfolgte, als das Schiff dort im Hafen lag.

Grund für meine Annahme ist, dass bei der Ankunft der „Kiel“ in Sydney am 14. Juli 1911 der Schiffszimmermann fehlte.

Dampfer Kiel, um 1910
Der Frachtdampfer „Kiel“, ein Schiff der „Meißen-Klasse“, Quelle: R. Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven 1984, Aufnahme aus der Sammlung Kludas.

Aus Johannes Stegelmann wird Jack Steglman

Stegelmann tauchte unter und schlug sich als Wanderarbeiter in Victoria und New South Wales durch. Auch den Ersten Weltkrieg überstand er ohne interniert zu werden.

Er hatte sich an seine australische Umgebung assimiliert und aus Johannes Stegelmann war Jack Steglman geworden.

Um 1922 nahm ihn ein gewisser Mr Bishop unter die Fittiche und Steglman konnte in Melbourne bleiben. 1924 ließ er sich als Zimmermann nieder und bekam die australische Staatsbürgerschaft.

Im Mai 1935 heiratete Steglman Gladys Muriel Leichti. Das Paar lebte in St. Kilda und Prahran (Großraum Melbourne) und hatte drei Kinder: Margaret, Helen und Bruce.

Glayds Leichti 1924
Stegelmanns Frau Gladys Leichti an Bord der S.S. Bendigo bei der Überfahrt nach Australien 1924; Bild aufgehellt; Quelle: Museums Victoria, https://collections.museumsvictoria.com.au/items/1302836

Gladys (geboren 1896) stammte aus einer armen Londoner Familie (dem Namen nach mit Schweizer Abstammung) und war 1924 mit Unterstützung der Heilsarmee auf der SS „Bendigo“ als Haushaltshilfe nach Melbourne gekommen.

Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges arbeitete Steglman auf der renommierten Blunt Werft in Williamstown. Seine Arbeit im Schiffbau wurde als kriegswichtig eingestuft, außerdem war er zu diesem Zeitpunkt bereits über 50 Jahre alt und so entging Steglman erneut einer Internierung.

Johannes Stegelmann alias Jack Steglman starb am 19. November 1957. Seine Frau Gladys überlebte ihn um fast 40 Jahre, sie starb am 15. August 1995.

Williamstown 1932
Williamstown, Victoria, 1932, Boote an einem Anleger; Quelle: Museums Victoria Collections, https://collections.museumsvictoria.com.au/items/770959

Quellen

Der vorliegende Blogartikel beruht auf Informationen und Dokumenten, die Stegelmanns Tochter Margaret 2006 den Museums Victoria in Melbourne überlassen hat, ergänzt durch eigene Recherchen.

Im Text des Museums wird sehr viel ausführlicher auf die Einwanderungsgeschichte von Stegelmanns Frau Gladys eingegangen. Siehe: https://collections.museumsvictoria.com.au/items/1302836

Insgesamt sind in den Museums Victoria Collections dreizehn Dokumente Stegelmanns erhalten, ein Teil davon unterliegt dem Copyright, andere wie die hier gezeigten Bilder sind gemeinfrei.

Messina, Palazzata und Hafen um 1900

Fluchtpunkt Messina

Titelbild: Messina, die „Palazzata“ (1500 Meter lange, einheitliche Palastfassade am Ufer aus dem 19. Jahrhundert), Aufnahme um 1900, die „Palazzata“ wurde bei dem katastrophalen Erdbeben am 28. Dezember 1908 zerstört;
Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Messina_vist_des_del_mar.jpg

Der Frachtdampfer „Albany“ in Sizilen

Viele Frachtschiffe der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) suchten bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs Schutz in Häfen neutraler Staaten, um nicht in die Hände der Briten zu fallen.

Hier im Blog hatte ich bereits über Dampfer der Reederei berichtet, die in Niederländisch-Indien, in Portugal und seinen Kolonien, in Spanien oder auch in den USA Schutzhäfen angelaufen waren.

Ein Schiff der DADG, der Frachtdampfer „Albany“, lief Anfang August 1914 in Messina ein und sollte dort die ersten Kriegswochen verbringen.

Der Artikel berichtet über die Zeit des Schiffes in Sizilien und seine Beschlagnahmung durch die Behörden nach dem Eintritt Italiens in den Ersten Weltkrieg am 23. Mai 1915. Im späteren Kriegsverlauf kam die „Albany“ unter dem Management der staatlichen Bahngesellschaft (Ferrovie dello Stato) als „Matteo Renato Imbriani“ wieder für kurze Zeit in Fahrt.

Am 20. Mai 1918 wurde der ehemalige Frachtdampfer der DADG bei der Île de Planier vor Marseille von einer ausgelegten Mine des deutschen U-Boot UC 67 versenkt. Dort liegt das Wrack noch heute.

Mannheim steamer German Australian Line
Der mit der „Albany“ baugleiche Frachter „Mannheim“, hier in den 1920er Jahren als französischer Frachter „Lieutenant Saint Loubert Bié“; „Albany“ und „Mannheim“ wurden beide auf der Tecklenborg-Werft in Geestemünde parallel nebeneinander hergestellt (Baunummern 243 und 244) und im Oktober bzw. November 1911 an die DADG abgeliefert; unbekannter Fotograf; Quelle: R. Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven 1984, Aufnahme aus der Sammlung Vonarb

Durch den Suezkanal

Der Frachtdampfer „Albany“ war 1911 auf der Tecklenborg-Werft in Geestemünde für die DADG gebaut worden und hatte bei einer Länge von 137 Metern 5882 Bruttoregistertonnen. Mit einer Dreifach-Expansions-Dampfmaschine mit 3600 PS ausgestattet, machte das Schiff eine Fahrt von 12,5 Knoten. Es hatte 48 Mann Besatzung.

Von Java kommend erreichte „Albany“ Suez am 2. August 1914, durchquerte den Suezkanal und verließ Port Said zwei Tage später am 4. August. Der Frachtdampfer war damit das letzte Schiff der DADG, das den Suezkanal in Richtung Mittelmeer verlassen konnte.

„Albany“ war mit einer Telefunkenanlage ausgerüstet, hatte Nachricht vom Krieg erhalten und lief daraufhin Messina an. Die Stadt an der sizilianischen Küste wurde – je nach Quelle – am 7. oder 8. August erreicht.

Messina 1906
Messina, 1906; Library of Congress, Washington DC; https://www.loc.gov/resource/stereo.1s29476/

SMS „Goeben“ und SMS „Breslau“

Kurz zuvor, nämlich am 6. August 1914 war den beiden Kriegsschiffen SMS „Goeben“ und SMS „Breslau“ eine spektakuläre Flucht aus dem Hafen von Messina gelungen.

Der Schlachtkreuzer SMS „Goeben“ und der leichte Kreuzer SMS „Breslau“ waren am Morgen des 5. August in Messina eingelaufen, nachdem sie die Städte Philippeville und Bône in Französisch-Nordafrika bombardiert hatten, um die Einschiffung von Truppen nach Kontinentalfrankreich zu verzögern.

Anmerkung: Philippeville und Bône heißen heute Skikda und Annaba (Algerien).

Auf dem Rückweg nach Sizilien trafen die beiden Kreuzer am 4. August auf britische Schiffe, wurden von diesen jedoch nicht behelligt, da zu diesem Zeitpunkt Großbritannien Deutschland noch nicht den Krieg erklärt hatte.

Zurück in Messina (5. August) nahmen SMS „Goeben“ und SMS „Breslau“ von den deutschen Schiffen „General“ (Deutsche Ostafrikalinie) und „Barcelona“ (HAPAG) Kohlen und Proviant auf.

Da die Liegezeit eines Kriegsschiffes in einem neutralen Staat zeitlich begrenzt war, mussten die beiden Kreuzer Messina am 6. August wieder verlassen.

Die Briten hatten mit einer Fahrt der beiden Schiffe nach Westen in Richtung Gibraltar oder in die Adria gerechnet. SMS „Goeben“ und SMS „Breslau“ legten zunächst zum Schein Adriakurs an, der jedoch dann Richtung Peloponnes/Konstantinopel geändert wurde. Auf Grund ihrer Schnelligkeit konnten Sie den einzigen Verfolger HMS Glouchester abschütteln und nach Konstantinopel flüchten.

Die spektakuläre Fahrt der beiden Kreuzer nach Konstantinopel, der letztlich zum Kriegseintritt des Osmanischen Reiches in den Ersten Weltkrieg führte, ist in der Vergangenheit detailliert beschrieben worden.

Eine reich bebilderte Zusammenfassung finden Sie zum Beispiel hier: https://deutsche-schutzgebiete.de/wordpress/projekte/kaiserliche-marine/seiner-majestaet-schiffe/s-m-s-goeben-1911/

Wir bleiben heute bei dem Frachtdampfer „Albany“ in Sizilien.

Messina Porto circa 1900
Porto di Messina, um 1900 (vor dem schweren Erdbeben im Jahr 1908); Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Porto_di_Messina_(1900_ca).jpg

Von Messina nach Syrakus

Anfang September 1914 wurde die „Albany“ nach Syrakus (Siracusa) verlegt. Der Grund dafür wird nicht genannt, für mich gibt es dafür zwei Erklärungen.

Erstens war Messina der italienische Hafen mit dem größten Passagieraufkommen, was natürlich an den zahlreichen Fährverbindungen der sizilianischen Hafenstadt zum italienischen Festland liegt. Man brauchte also einfach Platz im Hafen.

Zweitens war Messina immer noch stark von dem verheerenden Erdbeben am 28. Dezember 1908 gezeichnet. Dabei war die Stadt nahezu vollständig zerstört worden. Syrakus bot hingegen eine unbeschädigte Infrastruktur zur Versorgung der Schiffe.

Messina Palazzata distrutto 1909
Messina, Via Vittorio Emmanuele an der Meerenge im Jahr 1909 nach dem Erdbeben vom 28. Dezember 1908; Library of Congress, Washington DC; https://www.loc.gov/resource/stereo.1s29491/

Brand an Bord

Am 28. November 1914 brach gegen 22 Uhr auf „Albany“ Feuer aus. Es wurde durch Ladungsüberhitzung verursacht. Laut der Tageszeitung La Stampa vom 3. November 1914 war Ladung mit einem kleinen heißen Druckkessel in Kontakt gekommen und in Brand geraten.

Das Schiff war noch voll beladen: über 7000 Tonnen Zucker, Kaffee, Tee und andere Kolonialwaren waren an Bord. Zeitungsmeldungen sprechen von einem Warenwert in Höhe von £ 300.000 (6 Mio. Mark).

Versuche, den Brand zu löschen, scheiterten zunächst. Das Hilfsangebot des Kapitäns der „Iberia“, einem englischen Dampfer, hatte Kapitän Moritzen der „Albany“ abgelehnt. In Friedenszeiten unvorstellbar.

Damit der Brand nicht auf andere Schiffe im Hafen übergriff, wurde „Albany“ aus dem Hafen geschleppt.

Schließlich gelang es dem Bergungsdampfer „Audax“ am 1. Dezember den Brand zu löschen. Zu diesem Zeitpunkt waren das Schiff und seine Ladung bereits schwer beschädigt. Die Kommandobrücke, der Instrumentenraum und die Kapitänskajüte waren zerstört worden.

Anschließend wurden 550 Tonnen Copra, 129 Ballen Kapok, 58 Ballen u. 200 Bündel Garne sowie 500 Bündel Rattan gelöscht. Außerdem wurden 2000 Tonnen Zucker, die für Le Havre bestimmt waren, in das griechische Dampfschiff „Girda Ambatiellos“ umgeladen. Teakholz und Zinkerze verblieben an Bord.

Angaben nach Zeitungsmeldungen in der Berliner Volkszeitung vom 1.Dez. 1914, dem Hamburgischen Correspondent (9. Dez. 1914), Rotterdamsch nieuwsblad (3. Dez. 1914), De Maasbode (4. Jan. 1915) und De courant (17. Feb. 1915).

Siracusa Hafen 1900
Syrakus (Siracusa), Anleger im Hafen um das Jahr 1900; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Siracusa_Porto.gif

Kriegseintritt Italiens und Beschlagnahmung der „Albany“

Nach dem Brand und dem Löschen eines Teils der Ladung verschwand „Albany“ wieder aus den Schlagzeilen. Das änderte sich fünf Monate später.

Am 23. Mai 1915 trat Italien auf Seite der Entente-Mächte in den Ersten Weltkrieg ein. Das führte zur Beschlagnahmung deutscher Schiffe in italienischen Häfen. Insgesamt sollen davon 25 Schiffe betroffen gewesen sein (Hamburger Anzeiger, 29. Mai 1915).

In Syrakus waren dies neben dem Dampfer „Albany“ der DADG die Frachtdampfer „Sigmaringen“ (exLöwenburg) des Norddeutschen Lloyd Bremen und „Kattenturm“ der Deutschen Dampfschiffahrts-Gesellschaft Hansa, ebenfalls Bremen.

Hinzu kamen die Dampfer „Ambria“ und „Barcelona“ der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (HAPAG) sowie „Mudros“ der Deutschen Levante-Linie.

Allein in Syrakus also sechs stattliche Schiffe der deutschen Handelsmarine.

Weiterhin lagen zwei kleinere österreichische Schiffe in Syrakus: „Ampelea“ und „Assir“, die ebenfalls beschlagnahmt wurden.

Syrakus Hafen um 1900
Syrakus, großer Hafen, undatierte Aufnahme von Carlo Brogi (1850-1925), ca. Anfang des 20. Jh.; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Brogi,_Carlo_(1850-1925)_-_n._12032_-_Siracusa_-_Veduta_del_Porto_Grande.jpg

Ausweisung der Kapitäne

Die deutschen Schiffe in Syrakus hatten nur noch kleine Rumpfbesatzungen an Bord, die zum Betrieb und zur Bewachung unbedingt notwendig waren. Die meisten Seeleute dürften bereits 1914 die Heimreise auf dem Landweg angetreten haben.

Im September 1915 schließlich wurden die Kapitäne und Restbesatzungen wegen Spionageverdacht von den Schiffen geholt und aus Italien ausgewiesen.

Die Schiffe kamen jetzt in die Obhut der Königlichen Marine Italiens (Regia Marina).

Quelle: Il Resto del Carlino, Giornale di Bologna, 15. Sept. 1915; http://badigit.comune.bologna.it

Noch Ende 1915 kamen die ersten Schiffe wieder unter italienischer Flagge in Fahrt. Die Berliner Volkszeitung vom 23. Dez. 1915 berichtet:

Mailand, 22. Dezember. Wie „Secolo“ aus Syrakus meldet, ist auf den deutschen Dampfern „Kattenturm“, „Mudros“ und „Sigmaringen“ die italienische Flagge gehißt worden. Die Schiffe wurden festlich bewimpelt. Die drei Dampfer werden sofort nach Beendigung von Maschinenreparaturen ausfahren.
Quelle: europeana.eu

„Albany“ verließ den Hafen Syrakus im Januar 1916 in Richtung Messina. Dort dürfte die restliche Ladung gelöscht und eingelagert worden sein.

Syrakus, Abfahrt von Emigranten um 1900
Syrakus, Abfahrt von Emigranten, undatierte Aufnahme eines unbekannten Fotografen, ev. um 1900; Migranti in partenza dal porto di Siracusa, Public domain, über commons.wikimedia.org

Das Dampfschiff „Matteo Renato Imbriani“

Es dauerte bis Anfang 1918, bis die exAlbany als „Matteo Renato Imbriani“ in Genua registriert und im März von Lloyd’s zertifiziert wurde.

Bereedert, also gemanagt wurde das Schiff von der staatlichen Eisenbahngesellschaft Ferrovie dello Stato. Die Gesellschaft arbeitet auch als Reederei, sie ist seit 1896 für den Betrieb der Staatsfähren zwischen dem italienischen Festland und den Inseln Sizilien und Sardinien verantwortlich. Im Ersten Weltkrieg übernahm sie die Bereederung der beschlagnahmten Schiffe.

Dem Frachtdampfer „Matteo Renato Imbriani“, exAlbany war jedoch nur eine äußerst kurze Existenz beschieden.

Der Untergang der „Matteo Renato Imbriani“

Am 20. März 1918 verließ „Matteo Renato Imbriani“ in einem Konvoi mit vier anderen Schiffen den Hafen von Marseille und lief um 12.45 Uhr etwa sechs Seemeilen südwestlich der Insel Île de Planier auf eine Seemine, die vom deutschen U-Boot UC-67 unter Leitung von Kapitän Karl Neumann ausgebracht worden war.

Trotz sofortiger Hilfestellung und Abschleppversuchen durch das Patrouillenboot „Gabriella“, das den Konvoi begleitete, sank „Matteo Renato Imbriani“, exAlbany noch am gleichen Tag um 22.35 Uhr. Die gesamte Besatzung konnte gerettet werden.

Baie de Marseille, Ile de Planier
Karte der Bucht von Marseille mit der Île de Planier (im Bild unten); Jacques-Nicolas Bellin, 1764, Bibliothèque Nationale de France über commons.wikimedia.org

„Matteo Renato Imbriani“ als Tauchziel

Das Wrack der „Matteo Renato Imbriani“, exAlbany liegt noch heute an der Stelle des Untergangs im Südwesten der Île de Planier in 110 Metern Wassertiefe.

Die Koordinaten sind: Breite 43° 07’ 788 N; Länge 5° 07’ 634 E.

Die große Tiefe, in der das Wrack liegt, macht es nur für sehr erfahrene Taucher mit Zusatzausbildung im technischen Tauchen zugänglich.

Falls Sie solch ein qualifizierter Tec-Taucher sind und die „Matteo Renato Imbriani“ einmal besucht haben, freue mich über Ihren Bericht und Ihre Fotos!

Angaben über den Untergang und das Wrack der „Matteo Renato Imbriani“ nach einem Artikel auf plongee-infos.com: Chaque jour, une épave: 20 mars 1918, le Matteo Renato Imbriani, une épave oubliée à Marseille, 20. März 2018; https://www.plongee-infos.com/chaque-jour-une-epave-20-mars-1918-le-matteo-renato-imbriani/

Dampfer Reichenbach 1910, Sydney harbour

Die Offiziere der „Reichenbach“ und Kapitän Peters‘ tragisches Ende

Seltene Fotografie der Offiziere eines Frachtdampfers

Titelbild: Kapitän, Offiziere und Offiziersanwärter des Frachtdampfers „Reichenbach“ am 10. November 1910 im Hafen von Sydney (Woolloomooloo Wharf), unbekannter Fotograf; Aufnahme aus Familienbesitz, mit freundlicher Genehmigung von Nicole Jahn und Peter Strehl

Es freut mich ganz besonders, dass ich im heutigen Beitrag Seeleuten aus der Dampfschiffsära ein Gesicht geben kann. Für Frachtschiffbesatzungen eine echte Rarität!

Die Fotografie von Offizieren eines Frachtdampfers der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) hat mir freundlicherweise eine Blogleserin zur Verfügung gestellt. Sie zeigt den Kapitän der „Reichenbach“ im Kreis seiner Offiziere. Die Aufnahme entstand, wie auf dem Foto vermerkt ist, am 20. November 1910 im Hafen von Sydney. Das Schiff hatte den Hafen von Hamburg über Melbourne kommend zwei Tage zuvor erreicht.

Das Foto lässt rein gar nichts von der Tragödie erahnen, die sich ein halbes Jahr später auf der „Reichenbach“ ereignen sollte. Doch bleiben wir zunächst bei der schönen Aufnahme.

Eine perfekte Komposition

Die Aufnahme spiegelt sehr schön die strenge Hierarchie auf den damaligen Schiffen wider. In der Bildmitte sitzt – natürlich – der Kapitän, flankiert von seinem ersten Offizier (links) und dem Chefingenieur (rechts). Den „drei Eisheiligen“, wie Kapitän, erster Offizier und leitender Ingenieur von der Mannschaft spöttisch genannt wurden, stehen als einzigen Stühle zu. Die anderen Decksoffiziere und Maschinisten müssen hinter ihnen stehen.

In der Mitte hinter dem Kapitän der zweite Decksoffizier und der zweite Ingenieur, flankiert vom dritten Decksoffizier und dem dritten und vierten Maschinisten.

Auf dem Boden schließlich sitzen die beiden jungen Maschinisten-Assistenten. Sie müssen sich erst noch bewähren, bevor sie ihre Offizierskarriere beginnen können. Immerhin hat man den beiden einen Teppich zugestanden, auf den sie sich setzen konnten.

Die Reichenbach in Burnie
„Reichenbach“ in Burnie (1913, Tasmanien) © Mit freundlicher Genehmigung des Maritime Museum of Tasmania, Cyril Smith Collection vol. 11., https://ehive.com/collections/3906/objects/842355/reichenbach

Die Gesichter bekommen Namen

Dem Umstand, dass die Fotografie in Sydney aufgenommen wurde, haben wir es zu verdanken, dass wir den beteiligten Personen Namen zuordnen können. Es existiert nämlich eine Mannschaftsliste des Schiffes bei der Ankunft vom 18. November 1910. Ein echter Glücksfall!

Hier die Namen der Personen auf dem Bild gemäß der Mannschaftsliste:

Kapitän Heinrich Peters. Zu ihm gibt es in der Mannschaftsliste keine Angaben. Aus einer anderen Quelle erfahren wir, dass er etwa 53 Jahre alt war und aus Wustrow (Fischland) stammte.

Erster Decksoffizier/Steuermann: Eric Erikson, 26 aus Odensee (?), ev. Odense, Dänemark
Zweiter Decksoffizier: F./C. (?) Heinrich, 28 aus Sonderburg (bis 1920 deutsch)
Dritter Decksoffizier: Carl Blinne, 25 aus Hörde (heute ein Stadtteil Dortmunds)

Ein vierter Steuermann fehlt. Er war auf den Schiffen der DADG eigentlich ab dem Jahr 1904 üblich.

Erster Ingenieur/Maschinist: Joh. Weidemann, 41 aus Tönning (Nordfriesland)
Zweiter Ingenieur: Heinr. Niemann, 32 aus G… (?). In einer anderen Liste ist Mecklenburg angegeben.
Dritter Ingenieur: P. The(i)lig, 27 aus Neustadt
Vierter Ingenieur: Emil Kohler, 27 aus Steppnik (?), ev. Stepenitz

Schließlich die beiden Maschinisten-Assistenten: H./A.N. Flint (19, aus Hamburg) und N. Petersen (19, aus Westerland).

Anmerkung: Die Schreibweise von Namen und Orten ist in den handgeschriebenen Listen teilweise unleserlich.

Tjilatjap, steamships Reichenbach and Thueringen, about 1908
Die Frachtdampfer „Reichenbach“ (DADG, rechts) und „Thüringen“ (NDL, links) am Anleger in Tjilatjap, von der Insel Noesa Kambangan aus gesehen, um 1908, Digital Collections Leiden University Libraries, http://hdl.handle.net/1887.1/item:915206, Creative Commons CC BY License

Aufnahmeort und Anlass

Über den Aufnahmeort informiert uns eine Zeitungsmeldung: Demnach wurde das Schiff am Tag der Ankunft an das Kai Nr. 1 in Woolloomooloo verholt.

Die Kais im Stadtteil Woolloomooloo waren der feste Liegeplatz der DADG-Flotte in Sydney.

Über den Anlass hingegen, der zu dieser Aufnahme führte, können wir nur spekulieren. Immerhin hatte man einen Fotografen engagiert, der an einem Sonntag auf das Schiff gekommen war und alle hatten sich für das Foto schön herausgeputzt. Aber warum?

Numerous vessels moored at Woolloomooloo wharf, including MANNHEIM to the left. Mai 1914
Dampfschiffe im Hafen von Woolloomooloo, Mai 1914, links im Bild die „Mannheim“, Deutsch-Australische Dampfschiff-Gesellschaft; Australian National Maritime Museum on The Commons, Object no. 00017565

Stark unterbesetzt

Mit den Namen der abgebildeten Herren weist die Mannschaftsliste insgesamt 31 Namen auf (siehe Abbildung unten).

Die Sollstärke der „Reichenbach“ lag jedoch bei 40 Mannschaftsmitgliedern, den Schiffsführer mit einbegriffen. Es fehlten also neun Leute. Sie sind wahrscheinlich in Melbourne desertiert.

Besonders die kleine Zahl an Matrosen (3) ist auffällig, normalerweise sollten das acht Seeleute sein. Und zehn Heizer/Kohlenzieher (Trimmer) sind auch nicht genug. Hier hatte man in Melbourne bestimmt auch deren vier verloren.

crew list, Reichenbach, 18. November 1910
Mannschaftsliste der „Reichenbach“ beim Eintreffen in Sydney am 18. November 1910; Hafenbehörde Sydney, Quelle: Mariners and Ships in Australian Waters; http://marinersandships.com.au/

Das tragische Ende Kapitän Peters‘

Ein halbes Jahr nach der Aufnahme, am Freitag, den 12. Mai 1911 kurz vor 14 Uhr schoss sich Kapitän Heinrich Peters in seiner Kabine mit einer Pistole in den Kopf. Er war sofort tot. Kapitän Peters wurde 53 Jahre alt.

Der erste Stewart der „Reichenbach“ hatte den ersten Offizier Erikson informiert, dass er aus der Kabine des Kapitäns einen Schuss gehört hatte. Daraufhin ging Erikson in Begleitung des zweiten und dritten Steuermanns in die Kabine des Kapitäns. Dort fanden sie den leblosen Körper des Kapitäns zusammengesackt in seinem Stuhl. Dem eilig hinzugerufenen Arzt blieb nur, den Tod zu bestätigen.

Heinrich Peters, master, Reichenbach, German Australian line,1910
Kapitän Heinrich Peters am 20. November 1910 auf der „Reichenbach“ in Sydney, Vergrößerung aus dem Titelbild, Aufnahme aus Familienbesitz, mit freundlicher Genehmigung von Nicole Jahn und Peter Strehl

Was war passiert?

Kurz vor seinem Tod, der sich gut eine Stunde vor der geplanten Abfahrt der „Reichenbach“ aus Port Adelaide in Richtung Hamburg ereignete, hatte die Reederei Kapitän Peters von seinen Aufgaben als Kapitän entbunden.

Er sollte nach Sydney zur Niederlassung der DADG reisen und von dort mit einem anderen Schiff die Heimreise antreten.

Es liegt nahe, dass Kapitän Peters diese Schmach nicht ertrug und seinem Leben ein Ende setzte.

Peters war 1906 als Kapitän zur DADG gekommen und hatte die „Reichenbach“ im Jahr 1907 übernommen.

Krank durch Alkohol

Grund für die Abberufung waren zahlreiche Alkoholexzesse des Kapitäns in der Vergangenheit, zuletzt in der Woche vor der geplanten Abfahrt aus Port Adelaide.

Sein Stellvertreter, Erikson, hatte die letzte Indisponiertheit seines Vorgesetzten den Agenten der Reederei gemeldet, was vermutlich das Fass zum Überlaufen brachte und zu seiner Absetzung führte.

Einer seiner Offiziere bezeichnete Kapitän Peters gegenüber der Tageszeitung Daily Herald als Opfer der Trunksucht, einer anderer nannte seinen Tod ebenfalls eine Folge des Alkoholismus.

Der Frachtdampfer „Reichenbach“ verließ Port Adelaide mit vier Tagen Verspätung am Dienstag, den 16. Mai 1911.

Mit Kapitän Kiel hatte die Reederei schnell einen Ersatz gefunden, der das Schiff nach Hamburg steuerte.

Das Geschäft musste weitergehen.

Gothenburg, about 1910

Das Dampfschiff „Fürth“ in Göteborg

Im April 1911

Titelbild: Gothenburg (Göteborg), Teil des Hafens, Postkarte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, herausgegeben 1913, Fotograf unbekannt, eigene Sammlung.

Am 7. April 1911 erreichte der Frachtdampfer „Fürth“ Gothenburg. So bezeichnete man damals noch im Deutschen, wie im Englischen bis heute, die schwedische Stadt Göteborg. Ein Anlass, uns in der belebten Hafenstadt zur Zeit der Jahre um 1910 einmal umzusehen.

Anmerkung: Eine Initiative der Stadtregierung aus dem Jahr 2009, Gothenburg zum alleinigen internationalen Namen der Stadt Göteborg zu machen, konnte sich nicht durchsetzen. So heißt es im Deutschen heute weiterhin Göteborg. Auf Schwedisch wird Göteborg übrigens so ausgesprochen: yörteboarie. Naja, so ähnlich jedenfalls.

Gothenburg postcard about 1900

Göteborg, Hafen, Ansichtskarte (Fotograf unbekannt), Quelle: National Maritime Museum, Schweden – Public Domain, https://www.europeana.eu/item/916109/smm_sm_photo_Fo200568

Skandinavisches Holz für Australien

Auf den ersten Blick scheint es ungewöhnlich, ein Schiff der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) in Skandinavien anzutreffen, aber die Reederei hatte eine feste Linie von Gothenburg in Schweden über Frederikstad in Norwegen nach Australien eingerichtet. SIEHE dazu auch: Die „Fürth“ in Skandinavien

DADG Advertisement in HANSA, April 1912

Anzeige der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft vom April 1911 in der Zeitschrift HANSA

Hintergrund war der sehr ungleich ausgelastete Schiffraum auf den Reisen zwischen Europa und Australien. Auf der einen Seite musste die Reederei ausreichend Schiffsraum in Australien bereitstellen, um den dortigen Erwartungen ihrer Kunden gerecht zu werden. Auf der anderen Seite wurden von Hamburg und Antwerpen in Richtung Australien weitaus weniger Güter transportiert als auf dem Rückweg.

Mehr zum Warentransport zwischen beiden Ländern finden Sie hier: Australische Exporte nach Deutschland und Deutsche Exporte nach Australien 1908

Die Lieferung nordischer Hölzer und Holzprodukte schaffte Abhilfe, auch wenn die Frachtraten für diese Waren nicht sonderlich hoch waren (um es freundlich auszudrücken). Aber immer noch besser, als halb leer oder gar in Ballast nach Australien zu reisen.

Gothenburg post card about 1900

Göteborg, Hafeneinfahrt, Ansichtskarte (Fotograf unbekannt), Quelle: National Maritime Museum, Schweden CC BY-SA, https://www.europeana.eu/item/916109/smm_sm_photo_Fo200569

Die Anfänge der Direktverbindung von Skandinavien nach Australien gingen auf die Jahre 1903/1904 zurück. Die erste Lieferung waren allerdings kein Holz für Australien, sondern Kantsteine für Südafrika. Die ursprüngliche Idee der Reederei, Hölzer ebenfalls nach Südafrika zu liefern, schlug fehl, und so wurde Australien das Ziel der Holzlieferungen.

1909 waren bereits zehn Dampfer auf der Skandinavien-Linie beschäftigt und vor dem Ersten Weltkrieg gab es vierwöchentliche Abfahrten.

Insgesamt war es ein Geschäft, das man gerne mitnahm, allerdings ohne damit große Gewinne einzufahren. Der Geschäftsführer Otto Harms drückte es 1933 nüchtern aus: „Die Fahrt hielt befriedigend an.“ Zitat Otto Harms, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft Hamburg, Schröder & Jeve (1933).

Gothenburg port about 1900

Göteborg, Hafen, Ansichtskarte (Fotograf unbekannt), Quelle: National Maritime Museum, Schweden – CC BY-SA, https://www.europeana.eu/item/916109/smm_sm_photo_Fo200557

Am Fluss Göta

1900 hatte Göteborg etwa 130.000 Einwohner. Die Bevölkerungszahl hatte sich damit innerhalb von hundert Jahren verzehnfacht. Eine Größenzunahme, die bei vielen anderen Industriestädten ebenfalls zu beobachten ist. Gleichzeitig entwickelte sich die Stadt zum wichtigsten Exporthafen Schwedens und auch zum bedeutendsten Zentrum schwedischer Emigration nach Amerika.

Wichtige Industriezweige waren Metallfabriken und Sägewerke, die das Holz verarbeiteten, das auf dem Fluss Göta nach Göteborg transportiert wurde.

gothenburg harbour about 1900

Göteborg, Hafen, Ansichtskarte (Fotograf unbekannt), Quelle: National Maritime Museum, Schweden – CC BY-SA, https://www.europeana.eu/item/916109/smm_sm_photo_Fo200567

In der Zeit vor der Dampfmaschine war das Holz weiter flussaufwärts an Sägemühlen gesägt worden. Mit der Ausbreitung dampfbetriebener Holzsägen verlagerten sich die Sägegatter flussabwärts nach Göteborg. Es liegt auf der Hand, dass die Qualität von frisch geschnittenem Schnittholz dem eines auf dem Fluss transportierten geschnittenen Holzes deutlich überlegen war.

Neben gesägtem Holz, waren Grubenholz für Bergwerke und Bahnschwellen für die unermüdlich expandierenden Eisenbahnen wichtige Exportprodukte. Auch die rasch wachsende Papierindustrie verlangte mehr und mehr Holz. Praktisch für die Holzproduzenten war dabei, dass Holzstoff (wood pulp) aus Abfallholz oder aus Holz minderwertigerer Qualität produziert werden konnte.

Gothenburg customs house about 1900

Göteborg, Residensbron-Brücke und Zollhaus, Ansichtskarte (Fotograf unbekannt), Quelle: National Maritime Museum, Schweden – CC BY-SA, https://www.europeana.eu/item/916109/smm_sm_photo_Fo200562

Der Hafen in Göteborg

Der Hafen Göteborgs geht auf das Jahr 1620 zurück. Er ist damit sogar ein Jahr älter als die Stadt selbst. Eine erste Blüte erlebte der Hafen nach der Gründung der Swedish East India Company im Jahr 1731, als Tee, Seide, Porzellan und andere exotische Produkte in Göteborg entladen wurden.

Mitte des 19. Jahrhunderts wurde mit dem Bau von Kaianlagen und dem Ausbaggern der Fahrrinne für größere Schiffe die Grundlage für den modernen Hafen gelegt. Mit Anlage des Masthuggskajen von 1888 bis 1902 konnten auch große Überseedampfer in Göteborg festmachen. Ein Bahnanschluss sorgte für die notwendige Infrastruktur.

Von 1908-1914 erfolgte ein weiterer Ausbau, jetzt auf der nördlich des Flusses Göta gelegenen Insel Hisingen (Sannegårdshamnen). Dieser Hafenteil wurde wichtigster Importweg für Kohle und Koks, die zu dieser Zeit rund zwei Drittel aller schwedischen Importe ausmachten.

gothenburg 1906

Gothenburg, Hafen und Zollhaus (rechts am Bildrand), stereografische Aufnahme, 1906; Quelle: Library of Congress, Washington DC, https://www.loc.gov/resource/stereo.1s38138/

Bei den schwedischen Exporten dominierten zunächst Holz und Holzprodukte mit 75 %. Bis 1910 ging deren Anteil auf 40 % zurück und Eisenerze erreichten ebenfalls etwa 40 % des Exportvolumens. Die Verschiffung der Erze erfolgte direkt von der nordschwedischen Stadt Luleå oder ab 1902 auch über das norwegische Narvik.

Wer mehr dazu lesen möchte, wird hier fündig:

Port of Gothenburg, History of the Port; https://www.portofgothenburg.com/about-the-port/history-of-the-port/

Shipping in Sweden, 1850-1913, Martin Fritz, Scandinavian Economic History Review, 1980; https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/03585522.1980.10407923

emigrants in gothenburg about 1905

Göteborg, ein Dampfer mit Emigranten verlässt den Hafen in Richtung England und Amerika, ca. 1905; rechtes Foto einer ursprünglich stereografischen Aufnahme, Quelle: Library of Congress, Washington DC; https://www.loc.gov/resource/cph.3b40508/

Schwedische Auswanderung von Göteborg

Während des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts emigrierten etwa 1,3 Millionen Schweden nach Nordamerika mit einem Höhepunkt in den 1880er Jahren.

Die Auswandererroute verlief ab den 1860er Jahren von Göteborg in der Regel über den Hafen Hull in Großbritannien. Dort nahmen die Auswanderer den Zug nach Liverpool und von dort wiederum setzten sie ihre Reise über den Atlantik fort. Eine andere Route war die über Hamburg.

Erst ab 1915 gab es dann einen direkten Linienverkehr zwischen Göteborg und New York durch die Gesellschaft Rederiaktiebolaget Sverige-Nordamerika, die ab dem Jahr 1925 unter dem bekannteren Namen Svenska Amerika Linien (SAL) firmierte.

Der nordamerikanische Staat mit dem größten Anteil an schwedischen Einwanderern war Minnesota (12 % der Einwohner im Jahr 1910). Bei den Städten übte Chicago die größte Anziehungskraft auf die Schweden aus. Nur Stockholm hatte mehr schwedische Einwohner als Chicago, wo 1910 etwa 100.000 schwedisch stämmige Einwohner lebten.

Dass Auswanderung allerdings kein Selbstläufer ist, beweist eine andere Zahl: etwa ein Fünftel der Emigranten kehrte wieder nach Schweden zurück.

Mehr Informationen und Literaturquellen gibt es im Aufsatz Swedish Immigration to North America von Dr. Dag Blanck, Svenson Swedish Immigration Research Center; https://www.augustana.edu/swenson/academic/history#:~:text=During%20the%201880s%20alone%2C%20some,persons%20in%20the%20United%20States.

gothenburg calypso 1905 emigrants

Emigranten auf dem Dampfschiff „Calypso“ (Wilson Line) auf dem Weg nach England und Amerika, stereografische Aufnahme, 1905, Quelle: Library of Congress, https://www.loc.gov/resource/stereo.1s38142/

gothenburg market 1905 saluhallen

Göteborg, Menschenmenge auf dem zentralen Markt, dem größten Markt Schwedens, stereografische Aufnahme, 1905, Quelle: Library of Congress, Washington DC, https://www.loc.gov/resource/stereo.1s38129/

Rechts im Bild sind die Saluhallen aus dem Jahr 1889. Die große Markthalle am Kungstorget existiert bis heute und wurde 2009 – 2012 umfassend renoviert.

Gothenburg hamngatan about 1890

Gothenburg, Stadtkanal mit Norra und Södra Hamngatan (Nördl. und Südl. Hafenstraße), ca. 1890, Quelle: Library of Congress, Washington DC; https://www.loc.gov/resource/ppmsca.52856/

Demnächst im Blog

Unveröffentlichte Tagebucheinträge eines Matrosen des Schiffes „Brisbane“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft sind vermutlich die einzigen überlieferten Dokumente aus der deutschen Kriegsgefangenschaft im Ersten Weltkrieg in Portugiesisch-Indien (Goa).

Ein echtes Highlight hier im Blog mit neuen Erkenntnissen zur Gefangenschaft deutscher Seeleute in Goa in den Jahren 1914 – 1919!

Bleiben Sie dran!

Tjilatjap, Java, about 1910

In Tjilatjap

Im Süden der Insel Java

Heute führen uns die Reisen des Dampfschiffes „Fürth“, einem Frachtdampfer der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft Hamburg (DADG), nach Tjilatjap.

Tjilatjap liegt im Süden der Insel Java, die vor der Unabhängigkeit Indonesiens zu Niederländisch-Indien gehörte. Die Stadt heißt heute offiziell Cilacap, in englischen Quellen wurde auch die Schreibweise Chilachap benutzt, wie auf der untenstehenden Karte aus Encyclopædia Britannica, Ausgabe 1911. Das „p“ am Wortende ist übrigens stumm, es wird nicht gesprochen.

Java map about 1910

Karte der Insel Java, aus Encyclopedia Britannica 1911, Lage der Stadt Tjilatjap farbig markiert; https://en.wikisource.org/wiki/1911_Encyclopædia_Britannica

Die Stadt erlangte für den Handel eine gewisse Bedeutung, da sie über den einzigen Hafen an der Südküste Javas verfügt, der für große Schiffe zugänglich ist. Darüber hinaus schützt die im Süden vorgelagerte langgestreckte Insel Nusa Kambangan den Hafen vor starken Winden und hohem Seegang.

Über einen Schienenanschluss war der Hafen von Tjilatjap mit dem Hinterland verbunden.

Die folgende Abbildung ist um das Jahr 1900 entstanden. Sie zeigt eine noch sehr primitive und rudimentäre Ausstattung der Anlegestelle von Tjilatjap. In der rechten Bildmitte ist gerade das Gerüst für den neuen Anleger in Bau, der die Hafeninfrastruktur maßgeblich verbessern sollte.

Tjilatjap about 1900

Tjilatjap, Anlegestelle, um 1900, Digital Collections Leiden University Libraries, http://hdl.handle.net/1887.1/item:782587, Creative Commons CC BY License

Im folgenden Bild war der Bau abgeschlossen und der neue Kai in Betrieb.

Dem Fotografen ging es offensichtlich darum, die schöne Lichtstimmung im Hafen einzufangen. Sonst hätte er vielleicht den Namen des Schiffes notiert, das am Kai lag. Es ist einer der markanten „Zweischornsteiner“ der DADG.

Siehe dazu die folgenden Artikel: Instagram der Kaiserzeit: Ansichtskarten

Zumindest lässt sich das Bild durch das abgebildete Schiff auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg datieren (1900-1914).

tjilatjap wharf with German Australian line steamer

Tjilatjap, Kai, ca. 1900-1914, Digital Collections Leiden University Libraries, http://hdl.handle.net/1887.1/item:823951, Creative Commons CC BY License

Mehr Glück haben wir mit der nachstehenden Aufnahme, bei der die Namen der beiden Schiffe mit archiviert wurden. Es sind die Frachtdampfer „Reichenbach“ der DADG und „Thüringen“ des Norddeutschen Lloyd Bremen.

„Reichenbach“ war ein Schwesterschiff der „Fürth“. Ich hatte den Dampfer hier im Blog ausführlich vorgestellt. SIEHE: Schwesterschiffe der „Fürth“: Die „Reichenbach“

Tjilatjap, steamships Reichenbach and Thueringen, about 1908

Die Frachtdampfer „Reichenbach“ (DADG, rechts) und „Thüringen“ (NDL, links) am Anleger in Tjilatjap, von der Insel Noesa Kambangan aus gesehen, um 1908, Digital Collections Leiden University Libraries, http://hdl.handle.net/1887.1/item:915206, Creative Commons CC BY License

Den Dampfer „Thüringen“ ereilte 1914 das gleiche Schicksal wie einem anderen Schwesterschiff der „Fürth“, der „Neumünster“: Im August 1914 war auch „Thüringen“ im Hafen von Fremantle konfisziert worden. Die Besatzung wurde im Anschluss auf der Insel Rottnest interniert.

Hier das Schiff noch einmal auf einer Ansichtskarte des Norddeutschen Lloyd.

Thüringen Schiff

Frachtdampfer „Thüringen“, Norddeutscher Lloyd Bremen, Ansichtskarte ungelaufen und undatiert (ca. 1906-1914), eigene Sammlung

Warenumschlag in Tjilatjap

Eine detailreiche Aufnahme zeigt den Güterbahnhof von Tjilatjap.

Neben den Gleisen und Lagerschuppen sehen wir links ein Gebäude, in dem die Büros der Reedereien untergebracht waren.

In der linken Hälfte befand sich das Büro der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, wie ein großes Schild über dem Eingang belegt. Das Büro war offensichtlich zur Zeit der Aufnahme nicht besetzt, die Tür ist geschlossen.

Im rechten Gebäudeteil sehen wir die Kontore der Stoomvaart Maatschappij Nederland und der Koninklijke Paketvaart Maatschappij. Auch hier befindet sich ein breites Schild über den Büros.

tjilatjap, donan station, about 1910

Tjilatjap, Bahnhof im Stadtteil Donan; Digital Collections Leiden University Libraries, http://hdl.handle.net/1887.1/item:914990, Creative Commons CC BY License

Das Dampfschiff „Fürth“ in Tjilatjap

Die abgelegene Lage der relativ kleinen Stadt Tjilatjap hat zur Folge, dass die Ankunft und Abfahrt der Schiffe in den Zeitungen nicht so gut dokumentiert wurde wie in Batavia oder Soerabaya.

Dennoch sind mindestens fünf kurze Aufenthalte des Frachtdampfers „Fürth“ in der Zeit zwischen dem 6. Oktober 1907 und dem Februar 1911 in den Schiffsmeldungen der niederländischen Zeitungen überliefert.

Über aufgenommene Fracht der „Fürth“ in Tjilatjap habe ich leider keine Angaben. Wichtige Handelsgüter waren Kopra, Gummi, Tee und Maniok.

Gummi wurde auf Plantagen auf der vorgelagerten Insel Nusakambangan gewonnen, die als Gefängnisinsel genutzt wurde (und bis heute wird). Die Häftlinge mussten auf den Gummiplantagen und in der angeschlossenen Fabrik arbeiten.

Heute sind in der Stadt eine bedeutende Erdölraffinerie und ein großes Zementwerk angesiedelt. Für indonesische Verhältnisse ist die Stadt mit über 200.000 Einwohnern sehr klein geblieben.

Historische Aufnahmen aus der Kolonialzeit

Die folgenden Aufnahmen vermitteln einen Eindruck vom krassen Gegensatz des Lebens in den europäischen Kolonien. Es handelt sich um eine Aufnahme des Marktes von Tjilatjap und zwei vom europäischen Club.

tjilatjap market

Tjilatjap, Marktplatz, Digital Collections Leiden University Libraries, http://hdl.handle.net/1887.1/item:914617; Creative Commons CC BY License

tjilatjap societeit 1920

Gesellschaft im Club (Sociëteit) um 1920; Digital Collections Leiden University Libraries, http://hdl.handle.net/1887.1/item:904906, Creative Commons CC BY License

Societeit Tjilatjap about 1920

Tjilatjap, Sociëteit (Club der Europäer); Digital Collections Leiden University Libraries, http://hdl.handle.net/1887.1/item:919467; Creative Commons CC BY License

Tropenkrankheiten

Das privilegierte Leben der Europäer in Tjilatjap hatte jedoch einen gewaltigen Haken: die Stadt war berüchtigt für Tropenkrankheiten, vor allem Malaria.

In der Zeitung De Locomotief vom 4. April 1910 heißt es:

Aus Tjilatjap schreiben sie uns: Abgesehen davon, dass hier schon Pocken und akute Malaria weit verbreitet sind, sind seit 31. März sechs Cholera-Fälle mit tödlichem Ausgang vorgekommen.
De Locomotief, Samarang (Java), 4. April 1910, http://www.delpher.nl

Wären Sie damals noch dazu im Besitz von Meyers Reiseführer gewesen, wären sie bestimmt niemals auf die Idee gekommen, Tjilatjap in Ihre Java-Rundreise aufzunehmen:

„ein unbedeutender Seehafen und verrufenes Fiebernest, an der landschaftlich schönen Südküste Javas, der die lange »Blumeninsel« (Noesa Kembangan) vorgelagert ist“
(Meyers Weltreisen 1912 über Tjilatjap)

Die Besatzungen der deutschen Schiffe, die den Ersten Weltkrieg im Hafen von Tjilatjap verbrachten, mussten diese Fiebererfahrung machen. Harms (1933) schreibt dazu:

„In Tjilatjap haben die Besatzungen ziemlich stark unter Fieber zu leiden gehabt.“ (Harms, 1933).

Verantwortlich für das ungesunde Klima waren große Sumpfgebiete in der Umgebung der Stadt. In den 1920er Jahren wurden umfangreiche Wasserbaumaßnahmen durchgeführt, um den Wasserabfluss im Hinterland zu verbessern.

Tjilatjap map 1894

Karte von Tjilatjap, 1894, aus: West-Java; traveller’s guide for Batavia to the Preanger Regencies and Tjilatjap, Cornell University Library, Ithaka (New York); http://seasiavisions.library.cornell.edu/catalog/seapage:160_71

Tjilatjap im Ersten Weltkrieg

Zwei DADG-Schiffe und ein Reichspostdampfer des Norddeutschen Lloyd Bremen verbrachten den ganzen Ersten Weltkrieg im Hafen von Tjilatjap.

Der Frachtdampfer „Lübeck“ (SIEHE: Das Projekt DigiPEER) war auf dem Weg von Fredrikstad (Norwegen) nach Australien unterwegs und hatte am 25. Juli 1914 das Kap der Guten Hoffnung passiert. Am 11. August erhielt das bereits mit drahtloser Telegrafie ausgestattete Schiff vom Dampfer „Lüneburg“ Nachricht vom Kriegsausbruch und änderte seinen Kurs nach Tjilatjap, wo es am 26. August 1914 einlief.

Das Dampfschiff „Stolberg“ erreichte von Hamburg kommend, am 30. Juli Fremantle in Westaustralien. Es gelang dem Kapitän noch am 4. August den Hafen zu verlassen. Statt nach Melbourne und Sydney, nahm er Kurs auf Tjilatjap, das er am 10. August erreichte. Noch im August verließ „Stolberg“ wieder Tjilatjap, um die Kaiserliche Marine zu unterstützen. Siehe dazu den Artikel: „Stolberg“ suchte dann den Hafen Makassar als neuen Nothafen auf.

Der Dampfer „Sydney“ hatte in Sydney am 28. Juli abgelegt: Fahrtziel Adelaide. Statt in Adelaide Erze zu laden, fuhr das Schiff jedoch direkt weiter in Richtung Batavia. Nachdem die Mannschaft Nachricht von „Stolberg“ erhalten hatte, dass die Passage der Sundastraße nicht sicher wäre, ließ der Kapitän den Kurs nach Tjilatjap ändern. „Sydney“ erreichte den Hafen an der javanischen Südküste am 11. August.

Ein weiteres Schiff, das in Tjilatjap Zuflucht gesucht hatte, war der Reichspostdampfer „Roon“ des Norddeutschen Lloyd Bremen.

Frachtdampfer Sydney 1911, DADG

Frachtdampfer „Sydney“, Baujahr 1911, © Abbildung aus: Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft Hamburg 1888-1926, R. Schmelzkopf (1984), Eigenverlag (Strandgut), Foto aus der Sammlung A. Kludas

Fünf lange Jahre

Die Schiffe „Lübeck“, „Sydney“ und „Roon“ sollten fünf lange Jahre in Tjilatjap bleiben. Erst im August 1919 verließen sie den Hafen unter neuer Flagge.

Die deutschen Schiffe, die so viele Jahre ruhig im Hafen von Tjilatjap gelegen haben, werden nach und nach ausgerüstet, um ihrer neuen Bestimmung unter englischer Flagge zu folgen. Es ist ein Passagierschiff, die Sydney und zwei Frachtschiffe, die Lübeck und die Roon.
Het nieuws van den Dag voor Nederlandsch-Indië, 19. Aug. 1919; www. Delpher.nl (eigene Übersetzung)

Anmerkung: Der Artikel hat zwei Schiffe durcheinandergebracht: das Passagierschiff war der Reichspostdampfer „Roon“ des Norddeutschen Lloyd Bremen und „Sydney“ war ein Frachtschiff der DADG.

Alle vier genannten Schiffe mussten 1919 an Großbritannien abgeliefert werden. Die drei DADG-Dampfer wurden von der British India Steam Navigation Company (BI) bereedert. SIEHE dazu den Artikel: Das Schulschiff „Australia“

Über den Aufenthalt eines DADG-Dampfers in Niederländisch-Indien während des Ersten Weltkriegs hatte ich am Beispiel von Dokumenten Wilhelm Holsts berichtet. Holst war Schiffkoch auf dem Dampfer „Ulm“, der in den Kriegsjahren vor der Insel Ambon lag. Holst erkrankte während des Aufenthalts, er starb im März 1917.
Die „Ulm“ in Ambon (Teil 1 von 2) und Die „Ulm“ in Ambon (Teil 2 von 2)

Nusa Kambangan Lighthouse

Tjilatjap, Leuchtturm auf der Insel Nusa Kambangan, Ansichtskarte undatiert (ca. 1900-1930), Collectie Wereldculturen, Public Domain Anonymous 70 EU

German Australian Line 1890 advertisement

Aus der Anfangszeit der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft

Titelbild: Anzeige der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg in The Australian Handbook (incorporating New Zealand, Fiji, and New Guinea) and Shippers’ and Importers’ Directory for 1890; Gordon & Gotch London, 1890; https://nla.gov.au/nla.obj-2954237316/view?sectionId=nla.obj-2956050287&partId=nla.obj-2954262336#page/n24/mode/1up

Auf dem Zwischendeck nach Australien

Die abgebildete Anzeige der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) stammt aus der Frühzeit der Reederei. Sie erschien im Handbuch für Australien in der Ausgabe des Jahres 1890.

Im Sommer zuvor, genau am 24. Juli 1889 hatte die junge Reederei ihre Fahrten nach Australien aufgenommen. Mit sieben Dampfschiffen sollten vierwöchentliche Abfahrten von Hamburg und Antwerpen nach Adelaide, Melbourne und Sydney gewährleistet werden.

Nach einigen Anfangsschwierigkeiten, auf die wir gleich noch zurückkommen werden, gelang es der DADG eine feste Größe im Australienverkehr zu werden und ihre Flotte nach und zu ergänzen und weitere Häfen als direkt angefahrene Fahrtziele aufzunehmen.

Passagierfahrt

In den ersten Jahren hatte die DADG neben dem Frachtverkehr auch sogenannte Zwischendeckspassagiere als Zielgruppe, denen eine günstige Fahrt nach Australien angeboten wurde.

Der Personenkreis, die im Zwischendeck reisten, bestand in der Regel aus Auswanderern, die eine möglichst preiswerte Überfahrt und keinen Komfort suchten beziehungsweise diesen sich auch nicht leisten konnten.

Carrying only steerage passengers, berthed in the poop; fitted with all modern appliances, electric light, bath-rooms; also special arrangements for proper ventilation, &c.

Separate compartments for females and families.

Für die Rückreise von Australien wurde das Zwischendeck umgerüstet und für Fracht genutzt.

Fahrpreise

In der Anzeige wird die Schiffspassage von London mit einem Preis von dreizehn Pfund und dreizehn Schillingen beworben. Das war ein attraktiver und konkurrenzfähiger Tarif.

Zum Vergleich: Eine Fahrt mit der renommierten Peninsular & Oriental Line von London nach Melbourne lag bei etwa £ 55-70 in der ersten Klasse, £ 30-37 in der zweiten Klasse und im Zwischendeck bei £ 18-22.

Andere Reedereien boten die Überfahrt nach Melbourne im Zwischendeck für zirka £ 14-16 an, sowohl auf Dampf- als auch auf Segelschiffen.
Quelle: Handbook to the Colony of Victoria, Henry Heylyn Hayter, Melbourne, 1891, National Library of Australia.

steerage passengers on a steamer about 1905

Zwischendeckspassagiere an Deck eines Dampfschiffes um 1905; Quelle: Library of Congress; https://www.loc.gov/resource/cph.3b06393/

Under Contract with the Belgian Government

In der Anzeige stellt die DADG heraus, dass sie einen Vertrag mit der belgischen Regierung hatte. Die junge Reederei warb so bei ihren potentiellen Kunden um Vertrauen. Dahinter standen jedoch andere Beweggründe:

“Um in Antwerpen festen Fuß zu fassen und auch leichter einen guten Ladeplatz am Scheldekai zu erhalten, erschien es empfehlenswert, mit der belgischen Regierung zu einer Vereinbarung zu kommen, dabei möglichst auch eine Ermäßigung der hohen Antwerpener Kosten zu erreichen.“
Quelle: Harms (1933)

Sieben Schiffe

Bei einer Reisezeit von zirka fünf Monaten und einer notwendigen Liegezeit im Heimathafen Hamburg war eine Anzahl von sieben Schiffen notwendig, um vierwöchentliche Abfahrten zu garantieren.

Dazu hatte man die Schiffe, die nach deutschen Industriestädten benannt wurden, bei deutschen und britischen Werften bestellt:

„Barmen“ (Armstrong Mitchell, Newcastle upon Tyne)
„Chemnitz“ (Alexander Stephen and Sons Ltd., Glasgow)
„Elberfeld“ (Armstrong Mitchell, Newcastle upon Tyne)
„Erlangen“ (Blohm & Voss, Hamburg)
„Essen“ (Flensburger Schiffbau Gesellschaft)
„Solingen“ (Reiherstiegwerft, Hamburg)
„Sommerfeld“ (Charles Connell and Company, Glasgow)

Die Fertigstellung der Schiffe erfolgte zwischen Juni und Dezember 1889. Sie hatten alle eine Tragfähigkeit von etwa 3500 Bruttoregistertonnen und machten 10 – 10,5 Knoten maximale Fahrt. Zur Unterstützung ihrer Dampfmaschinen waren alle Schiffe noch mit Schonerbesegelung ausgestattet, die die Dampfer vor allem auf den langen Fahrten durch den Indischen Ozean unterstützen sollten.

In der Anfangszeit ging die Fahrtroute durch den Suezkanal. Ab 1891 wurde auf der Hinfahrt die Route um das Kap gewählt, um die hohen Kanalgebühren zu sparen. Siehe dazu auch: Der Suezkanal-Messbrief des Dampfschiffes „Fürth“

Dampfschiff Elberfeld 1889

Dampfschiff „Elberfeld“, das erste Schiff der DADG wurde von Armstrong Mitchell & Co. in Newcastle upon Tyne (Nordostengland) gebaut und am 24. Juni 1889 an die Reederei abgeliefert; Quelle: Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, Otto Harms, 1933

Misslungene Jungfernfahrt

Allerdings hatte die junge Reederei mit einigen ihrer Schiffe wenig Glück und die erste Fahrt ging gleich richtig daneben:

Ursprünglich war die erste fahrplanmäßige Abfahrt mit dem Dampfer „Elberfeld“ von Hamburg am 29. Mai 1889 vorgesehen und angekündigt worden. Das Datum war dann auf den 26. Juni und später nochmals auf den 24. Juli verschoben worden, da das Schiff nicht rechtzeitig fertig geworden war. Der Dampfer war nicht wirklich ausgelastet, brachte der Reederei aber eine erste gute Einnahme.

„Elberfeld“ „erhielt 1730 Tonnen Maß- und 1619 Tonnen Schwergut, 30 Auswanderer und besegelte damit rund M 114.000,- Fracht- und Fahrgelder. Etwa 11 bis 12 000 Kubikfuß Raum waren frei geblieben.“ (Harms, 1933)

Auf der Fahrt selbst gab es weitere Verzögerungen:

„Elberfeld“ verließ Antwerpen am 1. August 1889, „brach nach einigen Tagen alle Schraubenflügel und wurde in Lissabon eingeschleppt.“ (gleiche Quelle)

Der Dampfer „City of Edinburgh” der City-Line war dem unglücklichen Schiff der DADG zu Hilfe gekommen. Zudem konnte der Schaden in Lissabon nicht repariert werden, weshalb die Reederei in Liverpool den leistungsfähigen Schlepper „Blackcock“ engagierte, der „Elberfeld“ nach Cardiff brachte.

Damit nicht genug:

„Nach Ueberführung nach Cardiff, wo neue Flügel aufgesetzt worden waren, brach auf der Weiterreise wieder ein Flügel und ab Port Said mußte mit verminderter Kraft gefahren werden. Zeitverlust 40 Tage.“ (gleiche Quelle)

Statt 10 Knoten machte das Schiff durch den Indischen Ozean nur noch 8 Knoten, so dass die Ankunft in Melbourne erst am 24. Oktober 1889 um 10 Uhr vormittags erfolgte.
Quelle: The Sydney Morning Herald vom 25. Oktober 1889, trove.nla.gov.au

Damit war „Elberfeld“ lange drei Monate unterwegs gewesen.

Dampfschiff Solingen (1) 1889

Dampfschiff „Solingen“, Bleistiftzeichnung von Allan C. Green; Quelle: State Library Victoria, Melbourne, Ref. H92.299/79; gemeinfrei

Weitere Verzögerungen

Auch die zweite Abfahrt konnte nicht wie angekündigt am 21. August erfolgen. Wieder gab es beim Schiff Lieferverzögerungen, so dass die zweite Abfahrt dann erst am 18. September 1889 mit dem Schiff „Essen“ erfolgte. Diese Reise verlief gut, die Ankunft in Adelaide war am 15. November 1889.

Anschließend konnte der Fahrplan regelmäßiger bedient werden, wenngleich sich einige der geplanten Abfahrten um wenige Tage verzögerten.

Schwere Anfangszeit

In der Folgezeit entwickelte sich der Australienverkehr der DADG gut, jedoch sollten einige Rückschläge die Anfangsjahre der Reederei bestimmen.

„Erlangen“, zur Jungfernfahrt am 16. Oktober 1889 aufgebrochen, ging bereits am 20. August 1894 verloren, nachdem der Schraubendampfer auf der Rückreise von Australien in der Inselgruppe der Malediven auf ein Riff gelaufen war und verloren gegeben werden musste.

„Elberfeld“ und „Barmen“ erwiesen sich von den Betriebskosten auf den langen Fahrten so ungünstig, dass sie ebenfalls im Jahr 1894 wieder abgegeben wurden. Sie waren danach bei der HAPAG auf der vergleichsweise kurzen Atlantikfahrt als „Hercynia“ und „Bolivia“ im Einsatz.

Alle drei Schiffe wurden von der DADG durch Neubauten ersetzt.

Ende des Passagiergeschäfts

Während die DADG mit dem Frachtgeschäft gute Einnahmen erzielte, blieb das Passagiergeschäft hinter den Erwartungen zurück:

Im ersten Geschäftsjahre ging es am besten. Die 13 Schiffe erzielten einen Durchschnitt von 91 Fahrgästen, im zweiten 68, im dritten 54. Die Poop der Dampfer ist kaum je voll ausgenutzt gewesen und die Höchstzahl war 155.
Quelle: Harms (1933)

Dabei hatte man sich einen erfahrenen Partner ins Boot geholt:

„Für die Werbung von Auswanderern von England wurde die Firma Smith, Sundius & Co. in London zu General-Agenten ernannt.“
Quelle: Harms (1933)

Smith, Sundius & Co. war eine bekannte Auswandereragentur, die unter anderem auch für die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (HAPAG) tätig war. Das Unternehmen hatte Büros in London, Plymouth und Southampton.

steerage passengers about 1910

Zwischendeckspassagiere auf dem Vordeck von „Friedrich der Große“; Quelle: Library of Congress; https://www.loc.gov/resource/ggbain.27110/

1894 beschloss die DADG, die Passagierfahrt aufzugeben.

Zum einen waren die Auswandererzahlen nach Australien rückläufig, zum anderen hatte man sich durch übertriebene Sparsamkeit einen schlechten Ruf erworben, der die Auslastung der Schiffe durch Fahrgäste zusätzlich zurückgehen ließ.

Der Schiffshistoriker Schmelzkopf fand dafür klare Worte:

„Was jedoch in Hamburg einmalig war, war die miserable Verpflegung, die selbst den Passagieren geboten wurde. So wurde – man sprach auch in Hamburg noch weitgehend englisch – aus „German-Austral-Line“ schnell „German-Austerity-Line“ (Deutsche Armuts-Linie), die Schiffe als „poor mens ships“ und die Kapitäne als Geizkragen schlimmster Sorte verrufen.“
Schmelzkopf (1984), Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft Hamburg 1888-1926; Cuxhaven (Eigenverlag).

Ab 1894 konzentrierte sich die DADG auf das Frachtgeschäft. Eine erfolgreiche Strategie, die die Hamburger bis 1914 bis zur fünftgrößten deutschen Reederei machte.

Überlegen Sie, wer die größten vier Reedereien waren! Die Auflösung steht unter der Abbildung des Plakates.

German Australian Line, poster, 1891/1892

Plakat der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft aus dem Jahr 1891 oder 1892, eigene Sammlung

Der erste Platz unter den deutschen Reedereien gehörte unangefochten der HAPAG, der zweite ebenso souverän dem Norddeutschen Lloyd in Bremen. Dahinter kam die DDG Hansa in Bremen und auf Platz vier Hamburg-Süd. Die Zahlen dazu finden Sie hier:
Die Flotte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft 1914

German Australian Line 1908 advertisement

Aus dem Jahrbuch von New South Wales 1908


Anzeige der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft

Das Jahrbuch von New South Wales erschien 1908 in seiner 27. Ausgabe und enthielt unentbehrliche Informationen über das allgemeine Leben, Wirtschaft, Politik, Kultur, Transport, Kalenderinformationen, Lebenshaltungskosten, Posttarife und vieles mehr.

In dem Buch konnte man sicherlich stundenlang blättern, genauso wie Sie heute vielleicht die ein oder andere Stunde im Internet verbringen, um sich zu informieren, wie zum Beispiel auch jetzt bei der Lektüre dieses Artikels.

Das Handbuch erschien am 1. März 1908 und kostete „ten shillings and sixpence“, was 10,50 Mark entsprach und damit nicht gerade günstig war. Der „normale“ Leser dürfte das Werk in einer öffentlichen Bibliothek konsultiert haben.

Die großen Schifffahrtsunternehmen durften in so einem wichtigen Nachschlageband natürlich nicht fehlen und waren im Anzeigenteil vor dem redaktionellen Inhalt vertreten.

Die Linien der DADG

Wir erfahren, dass die DADG zu dieser Zeit drei Linien betrieb, deren Frequenz und Fahrtziele detailliert angegeben sind. In der „Outward“-Spalte finden wir alle Häfen auf dem Weg von Europa nach Australien und in der rechten „Homeward“-Spalte alle Häfen auf dem Rückweg.

Zu den Linien siehe auch das DADG-Handbuch aus dem Jahr 1914. Sechs Jahre später war der Verkehr auf sieben Linien angewachsen: Die Flotte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft 1914

advertisement of February, 14th, 1908, German-Australian Steam Ship Co.

Anzeige der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft vom 14. Februar 1908 in der Zeitung „Hamburgischer Korrespondent und neue hamburgische Börsen-Halle“, S. 8

Die Flotte der DADG

Die Flotte der DADG ist mit den Namen der Schiffe und ihrer Tonnage wiedergegeben. In der zweiten Spalte ganz oben finden wir „unser“ Dampfschiff „Fürth“ wieder. Die Tonnage ist mit 4238 Bruttoregistertonnen angegeben. Das ist der Wert aus dem ersten Schiffsmessbrief. In einem zweiten Brief wurde der Wert später auf 4229 BRT korrigiert. Zur Vermessungsproblematik siehe: Die Vermessung der „Fürth“

Die Schiffe, bei denen die Angabe about steht, waren bei Drucklegung noch nicht amtlich vermessen, die exakte Tonnage daher noch nicht bekannt.

Ebenfalls können wir ersehen, dass 1908 nur zwei Schiffe über Kühlräume verfügten: „Oberhausen“ und „Solingen“ (taking refrigerated cargo). Über die Kühlraumausstattung von DADG-Schiffen hatte ich in diesen zwei Artikeln berichtet: Obst aus Übersee und Hatte die Fürth eine Kühlanlage?

Drahtlose Telegraphie war 1908 bei der DADG noch kein Thema, das sollte erst drei Jahre später auf die Tagesordnung kommen. SIEHE: Telegrafie per Funk

Insgesamt war die Zahl mit 32 Schiffen schon recht beachtlich. Bis 1914 sollte die Flotte sogar auf über 50 Dampfschiffe anwachsen:

German Australian Line, ships 1914

Flotte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, Stand Dezember 1913, Tabelle aus: Handbuch of the Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, for Australia and New Zealand, 1914; State Library of New South Wales, Sydney

Das in der Anzeige im Titelbild dieses Artikels genannte Schiff „Laeisz“ hatte sich im Februar 1908 von Australien auf die Heimreise nach Hamburg gemacht. Es strandete nach einem Navigationsfehler am 16. März 1908 im Roten Meer auf einem Felsen und sank. Die Besatzung konnte sich in die Boote retten und wurde von einem anderen Dampfer nach Aden gebracht.

Als einziges DADG-Schiff trug es den Namen einer Person. Das im Juni 1901 in Dienst gestellte Schiff erhielt seinen Namen in Erinnerung an den im März des gleichen Jahres verstorbenen Reeder und Kaufmann Carl Laeisz (sprich Leiß). Laeisz war mit einem Aktienpaket in Höhe von 125.000 Mark an der Gründung der DADG beteiligt gewesen.

German Australian Line 1912

Anzeige der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, Generalvertretung Sydney am 21. Nov. 1912 in der Zeitung Daily Commercial News and Shipping List, Sydney

Die Agenten der DADG

Zuletzt nennt die DADG in der Anzeige ihre australischen Agenten. Die Reederei betrieb selbst eine eigene Generalagentur in Sydney, dem wichtigsten Hafen in Australien. Siehe dazu: Logbuch (13) der „Fürth”: In Sydney

Einige der aufgelisteten Agenten hatte ich in früheren Blogartikeln mehr oder weniger ausführlich vorgestellt:

Die Gebrüder Strelitz in Fremantle

George Wills & Co. in Adelaide

James Service & Co. in Melbourne sowie

Brabant & Co. in Brisbane.

Über die anderen werde ich noch recherchieren und zu gegebener Zeit hier im Blog berichten.

Generell lässt sich sagen, dass die Reederei langfristige Geschäftsbeziehungen anstrebte. Alle in der Anzeige 1908 genannten Agenten sind auch im Handbuch der Reederei aus dem Jahr 1914 noch gelistet. Als neuer Standort hinzugekommen nach 1908 der wichtige Erzhafen Port Pirie in Südaustralien, der vom Agenten George Wills & Co. in Adelaide mit übernommen wurde.

James Service, George Wills and Co., Ltd., Melbourne, Adelaide, advertisement

Anzeige der Agenten in Melbourne und Adelaide, Zeitung „Daily Commercial News and Shipping List“, Sydney, 30. Juni 1914