Theater – Kassensturz – Tragischer Tod des Arno Friedrich – Der „Problemwal“ – Maschinistenschule – Unerwarteter Aufbruch
Titelbild: Bunter Abend, Programmankündigung (Ausschnitt), Trial Bay Concentration Camp; Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1504047 (siehe Copyright-Hinweis am Ende des Beitrags)
Im Dezember 1915 war der in Melbourne gefangen genommene deutsche Schiffsoffizier Friedrich Meier in das Lager Trail Bay an die australische Ostküste verlegt worden. Etwa 500 Personen teilten dort sein Schicksal der Kriegsgefangenschaft. Über seine erste Zeit in Trial Bay hatte ich bereits berichtet: Trial Bay Camp – Gefängnis am Strand (Teil 1 von 2)
Dieser Blogartikel erzählt nun die wenig bekannte Geschichte deutscher Kriegsgefangenschaft in Australien während des Ersten Weltkrieges anhand seiner Tagebucheinträge weiter. Die Bilder des Artikels stammen aus der State Library of New South Wales (Mitchell Library) in Sydney, wo auch das Tagebuch inventarisiert ist.
Bühne frei: Das deutsche Theater in Trial Bay
Am Sonnabend den 12. August wurde unser neuerbautes Theater eingeweiht. Es wurde ein Liederabend veranstaltet, welcher sehr schön verlief.
Das Theatergebäude ist aus Holz erbaut und wurde von der Regierung bezahlt (Kantinenüberschuß). Bühneneinrichtung und Kostüme mußten wir jedoch selbst anschaffen. Das Theater ist 40 m lang und 8 m breit und faßt über 250 Personen. Eintrittspreise sind 1s, 6d, 8d und 1d.
Jede Aufführung wird zweimal gegeben, damit alle Lagerinsassen es sehen. Es wird abwechselnd ein „bunter Abend“ oder ein Lustspiel aufgeführt, zwei Vorstellungen pro Woche. Bis jetzt wurden folgende Lustspiele aufgeführt: „Der Herr Senator“, „Most“ und „Das Stiftungsfest“.

Bunter Abend, Programmankündigung, Trial Bay Concentration Camp; Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1504047
Der Herr Senator ist ein Lustspiel von Franz von Schönthan und Gustav Kadelburg aus dem Jahr 1895. Von Franz von Schönthan ist heute das Stück „Der Raub der Sabinerinnen“ das einzige, das einem breiten Publikum bekannt ist.
Most ist ein Lustspiel von Gustav von Moser und Otto Girndt. Gustav von Moser ist auch der Autor des Lustspiels „Das Stiftungsfest“. Beide Autoren sind heute mehr oder weniger vergessen.
Das Theater von Trial Bay war ein kultureller Mittelpunkt für die Gefangenen. Zahlreiche Aufnahmen von Szenenbildern und Programmankündigungen belegen das.
Friedrich Meier scheint jedoch kein großer Fan des Theaters gewesen sein. Darauf weist zumindest die Tatsache hin, dass dieser Tagebucheintrag der einzige ist, in dem das Theater des Lagers erwähnt wird.

Theaterstück “The King’s Order” mit Friedrich dem Großen (sitzend); Trial Bay Concentration Camp, Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1504040
Die Versorgung der Gefangenen mit Lebensmitteln
Anschließend widmet sich Meier wieder den praktischen Dingen zu: dem Essen.
Trial Bay, den 15. September 1916.
Seit dem 2. d. M. wird die Kantine von uns verwaltet, deren Verdienst von jetzt ab dem Lager zu Gute kommt. Zwar mußten wir alle Schulden mit übernehmen, die, wie es sich seit einiger Zeit herausstellte, sich auf 193 £ beliefen ( ̴3860 M). Aber die sind bald abbezahlt und dann können wir alle Überschüsse für das Lager verwenden.
Von jetzt ab werden unsere täglichen Rationen sehr verkürzt werden und zwar bekommen wir jetzt pro Mann und Tag:
Fleisch 10 oz = 283 gr
Brot 12 oz = 340 gr
Kartoffeln u. Gemüse 8 oz = 226 gr
Milch 1/20 Pfd. = 23 gr (oder den gleichen Wert Gemüse)
Erbsen u. Bohnen 2 oz = 57 gr
Marmelade 2 oz = 57 gr
Zucker 2 oz = 57 gr
Kaffee ¾ oz = 21 gr
Thee 1/8 oz = 3,5 gr
Salz ½ oz = 14 gr
Pfeffer 1/72 oz = ¼ gr
Außerdem erhalten wir pro Tag für 500 Personen 150 Pfd. (68 kg) Mehl welches in der Genossenschaftsbäckerei verarbeitet wird, wo täglich Kuchen und Brödchen sowie 2 mal in der Woche Schwarzbrot gebacken werden.
Anschließed listet Meier die Rationen auf, die vorher verteilt wurden. Im Großen und Ganzen waren die Gefangenen auf halbe Kost gesetzt worden.
Bisher erhielten wir:
Fleisch 20 oz = 566 gr
Brot 1 Pfd. = 454 gr
Kartoffeln 1 Pfd. = 454 gr
Gemüse ½ Pfd. = 227 gr
Marmelade 3 3/8 oz = 95 gr
u.s.w.
Seit dem 3. Sept. wird nur noch einmal täglich Appell abgehalten und zwar abends um 5 ½ Uhr. Die Tore werden jetzt schon vor 7 Uhr morgens geöffnet.

Krankenstation, Trial Bay Concentration Camp; Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1504110
Kassensturz
Friedrich Meiers macht eine Auflistung seines Kassenbestandes für die ersten 18 Monate seiner Internierung in Australien. Er hat pro Monat knapp 26 Mark verbraucht.
Einnahmen in der Zeit vom 1. März 1915 bis zum 30. September 1916. (18 Mon.)
Taschengeld erhalten von d. Austral. Regierung £ 4/6/00
Lohn für geleistete Arbeit £ 13/6/00
Vorschüsse vom Nordd. Lloyd £ 21/3/6
Guthaben am 1. März 1915 30 s
Schulden bei Flocke £ 2
Schulden bei Kamenz 14s/1 ½ d
Schulden bei Bühler 2/
Gesamteinnahme £ 43/1/7 ½
Kassenbestand am 1. Sept. 1916 £ 19/15/00
Gesamtausgabe £ 23/6/7 ½
Durchschnittsausgabe pro Monat = 25s 10d
̴ 25,9 M monatl. verausgabt

Trial Bay Concentration Camp, Aufnahme 1918, viele der Gefangenen hatten sich aus eigenen Mitteln Strandhütten gebaut, in denen sie einen Teil ihrer Tage verbrachten; Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1503967
Fluchtversuch
Im Oktober 1916 kam es zu einem Fluchtversuch aus Trail Bay:
Seit dem 10. Oktober ist wieder morgens und abends Appell, weil ein Mitgefangener zu entkommen suchte. Derselbe wurde jedoch am 2. Tage kaum 30 ml von hier wieder eingefangen.
Der neue Kommandant
Trial Bay, den 1. November 1916
Vor einigen Tagen war hier der neue Kommandant der Australischen Gefangenenlager, Oberst Holman zu Besuch. Auf unser Gesuch um Grenzerweiterung und Spaziergänge unter Bewachung hat er uns mitgeteilt, daß wir in nächster Zeit Tagesparole und Bewegungsfreiheit auf 2 Meilen im Umkreis haben sollen. Auch soll eine elektrische Lichtanlage gebaut werden zur Kampbeleuchtung und zur Beleuchtung des Stacheldrahtzauns, welcher unser Kampgebiet begrenzt. Vielleicht bleiben dann die Gefängnistore nachts geöffnet und die Wache wird vermindert um 30 (?) Soldaten.
Anmerkung: Bei der Zahl 30 bin ich mir nicht sicher, deshalb das Fragezeichen.
Außerdem sollen wir 100 neue Blechteller bekommen, da die alten stark verrostet sind.
Unsere Post soll nicht mehr über Liverpool Kamp, sondern direkt nach Sydney zum Zensor gehen.
Die übernommenen Kantinenschulden haben sich als höher herausgestellt, nämlich ̴260 £, jedoch will der neue Kommandant 100 £ zurückerstatten.

Schlechte Nachrichten
Trial Bay, den 25. Dezember 1916.
Unser Gesuch wegen Tagesparole auf 2 Meilen im Umkreis, welches der neue Kommandant befürwortet hatte, ist nunmehr in Melbourne abschlägig beschieden worden.
Die Kantinenverwaltung ist uns auch wieder genommen worden, und zwar von der „Military Garrison“. Sie wird zwar nach unserem System von unseren Leuten weitergeführt, aber der Verdienst geht an die genannte Behörde nach Sydney, welche sämtliche Kantinen der Gefangenenlager übernommen hat, und auch alle Einkäufe für dieselben macht. Der Kantinenüberschuß soll für unser Wohl verwendet werden, doch wollte die Behörde uns nichts schriftlich garantieren.
Seit heute fällt der Morgenappell wieder aus, wir brauchen daher nur noch abends 5.30 antreten.
Melbourne war während des Ersten Weltkrieges noch die Hauptstadt Australiens, Canberra wurde es erst in den zwanziger Jahren.
Weihnachten 1916
Zu Weihnachten durfte sich jeder eine Flasche Rotwein kaufen (2/6). Jeder erhielt eine kleine Bescherung im Werte von 1/6.
Die Weihnachtsfeier fand am ersten Weihnachtstage statt. Am Tage vor Weihnachten starb nämlich einer unserer Mitgefangenen an Blutvergiftung und wurde am 1. Feiertag morgens etwa 500 m vom Lager entfernt am Bergabhange beerdigt.

Daylight Saving Time
Am 1. Januar wurde in ganz Australien die Uhr eine Stunde vorgerückt um Tageslicht zu sparen. Diese Kriegsuhrzeit gilt hier in Zukunft vom 1. Oktober bis zum 1. April.
Unser Abendappell ist daher auf halb sieben verlegt worden und seit dem 11. Februar ist erst um 11h Licht aus.
Seit dem 1. Januar 1917 bekommen wir nur Mehl geliefert und backen unser Brot im Lager selbst. Es gibt jetzt statt des ewigen Weißbrotes deutsches Fein-, Grau- und Schwarzbrot.
Am 19. III. 17 wurde uns die Zeitung gestoppt und zwar, wie uns gesagt wurde, auf Befehl vom Defence-Department von Melbourne.
Vielleicht war es auch wegen der guten Nachrichten, der Revolution in Rußland, welche hier die Gemüter sehr erregten.
Am 23. III. 17 wurde uns die Zeitung auf unser Ansuchen wieder erlaubt.
Gute Aussicht
Trial Bay, den 3. April 1917.
Heute ist unser Kampgebiet erweitert worden, wir haben den Bergabhang des südöstlich vom Kamp gelegenen Berges zubekommen. Unser altes Kampgebiet hatte etwa 1,5 km Umfang, oder etwa 14 ha Fläche. Das neue Gebiet hat etwa 1 km Umfang, oder etwa 6-7 ha Fläche.
Der höchste Punkt, zu dem wir jetzt gehen können, liegt ̴65m über dem Meeresspiegel, sodaß wir jetzt eine wunderbare Aussicht auf das Meer und die Bucht haben.
Am 25. III. 17 wurde die Uhr wieder eine Stunde zurückgestellt und der Appell ist darum wieder auf 5.30 p.m. gesetzt, und das Signal „Licht-aus“ auf 10h p.m.

Über die Post der Gefangenen
ohne Datum (Mai 1917)
Vor einigen Tagen ist uns erlaubt worden, außer den zwei Briefen noch 2 Postkarten pro Woche abzusenden. Doch nach einigen Wochen kam eine neue Verordnung, daß jede Karte, die mehr als Adresse und Absender enthält, als Brief gerechnet wird. Folglich ist also der Postverkehr auf das alte Maß beschränkt worden, denn Postkarten nur mit Adresse und Absender schickt doch keiner ab.
Der Abendappell findet wegen der früher eintretenden Dunkelheit jetzt um 5.15 statt.
Trial Bay, den 11. Juni 1917.
Von gestern ab ist der Briefwechsel mit den Gefangenen in anderen Kamps in Australien verboten. Für Ausnahmefälle muß die besondere Erlaubnis des Kommandanten eingeholt werden.
Heute erhielt unser hier internierter Inspektor des N.D. Lloyd Herr Plate von der Agentur des N.D.L. in Shanghai einen Brief, wonach verheiratete Schiffsoffiziere noch 60% ihrer Heuer erhalten, während die ledigen Schiffsoffiziere nur noch 25% ihrer Heuer bekommen.
Am 6. Juni 17 wurden sämtliche Internierte auf Anordnung der Austr. Regierung photographiert. Jeder bekam eine Nummer, welche er vor der Brust halten mußte bei der Aufnahme.
Viele Fotos der Gefangenen mit der vierstelligen Nummer sind heute noch erhalten und auf den Seiten der National Archives of Australia verfügbar.
Der Tod des Arno Friedrich
Den 22. Juni 1917.
Heute ereignete sich ein höchst trauriger Vorfall. Unser Kompanieführer Arno Friedrich wurde beim Baden von einer zurücktretenden Welle mitgerissen und von der Strömung ins Meer hinausgetragen. Der Vorfall wurde sofort bemerkt, aber bei dem hohen Seegang und dem starken Sturm erwiesen sich alle Rettungsmaßnahmen als erfolglos. Mehrere Kameraden versuchten mit einer langen Rettungsleine herauszuschwimmen, wurden aber von den hereinbrechenden Wogen stets zurückgeworfen. Innerhalb 20 Minuten war Friedrich soweit herausgetrieben, daß man ihn nicht mehr sehen konnte. Inzwischen erboten sich einige Kameraden, mit einem Fischerboot herauszufahren und erhielten nach längerem Zögern auch die Erlaubnis unseres Kommandanten. Der Fischer wohnte 1 km von der Unfallstelle entfernt, und als das Boot endlich auf der Unfallstelle erschien und das Meer absuchte waren 1 ½ Std. vergangen und vom Verunglückten nichts mehr zu entdecken. Das Boot fuhr noch nach einem in der Bucht ankernden Dampfer, doch die Besatzung hatte auch nichts gesehen, den Unfall und die Menschenansammlung überhaupt nicht bemerkt. Bei der bewegten See hat Friedrich, der kein guter Schwimmer war, sich nicht sehr lange über Wasser halten können und ist ertrunken. Seine Leiche hat das Meer nicht wieder herausgegeben, vielleicht ist sie den Haifischen zum Opfer gefallen.

Anschließend beschreibt Meier wieder den Alltag im Lager:
Unsere Kantine hat einen monatlichen Umsatz von 1500 £ bis 1800 £ und hat sicher einen ansehnlichen Überschuß bei den gepfefferten Preisen.
Alle Waren, die man nicht durch die Kantine bezieht, müßen 5% Aufschlag an dieselbe bezahlen.
Die Preise für frei verkäufliche Waren in den Lagern waren sehr hoch. Auch Seeleute der „Fürth“, die in Ragama auf Ceylon interniert waren, hatten sich darüber beschwert:
Von der Kantine, die auf unsere Beschwerden eingerichtet wurde, konnten wir keinen Gebrauch machen, da die Preise lächerlich hoch waren.
(Hamburgischer Correspondent und neue hamburgische Börsen-Halle, 31. Oktober 1914, S. 3)
Zurück zu Friedrich Meier:
Unsere Küche, welche für annähernd 500 Mann kocht, erhält einen Zuschuß von 100 £ bis 200 £ monatlich aus der Lagerkasse für Fleisch und Gemüse usw. Diese 100 £ kommen zum Teil aus dem Kantinenüberschuß, zum Teil aus der Genossenschaft und der Rest aus monatlichen Beiträgen von 1s pro Mann.
Wieviel Geld in diesem Kamp von den Internierten ausgegeben wird, kann man daraus ersehen, daß allmonatlich über 1000 £ Bankgelder abgehoben werden, von der Regierung etwa 150 £ monatlich an Löhnen ausgezahlt werden, und viele bekommen ihr Geld in eingeschriebenen Briefen. …
Das Lager Trial Bay bildete eine Ausnahme: viele Internierte waren aus der australischen Oberschicht und wurden von ihren Familien oder von Freunden versorgt. Andere, wie die Schiffsoffiziere, erhielten Vorschüsse auf ihre Heuer.

Der „Walfisch“
Die folgende Episode in Meiers Tagebuch gebe ich stark verkürzt wieder:
Als wir am 3. Juli morgens früh an den Strand gingen, entdeckten wir einen großen Walfisch, welcher an unserem Badestrande auf eine Sandbank festgeraten war und bei dem fallenden Wasser nicht wieder loskommen konnte. Bald war das ganze Lager am Strand versammelt und es wurde beratschlagt wie das Tier am besten zu erlegen sei. Es kamen auch einige Soldaten unserer Wache mit einem Gewehr herbei und gaben einige Schüsse auf den Wal ab, welche aber wenig Eindruck auf ihn machten. Als das Wasser nun fiel gingen einige kräftige Kameraden mit einer Harpune an den Wal heran und bohrten ihm dieselbe in den Körper und erreichten damit, daß der Wal nach einiger Zeit unter heftigen Todeszuckungen verschied. Ringsherum war das knietiefe Wasser vom Blute ganz rot gefärbt. …
Meier schildert nun ausführlich, wie der Wal, den er als 16 Meter lang beschreibt, aus dem Wasser gezogen und zerlegt wurde. Die Gefangenen hatten den Plan, Tran und Barten (Fischbein) zu verkaufen. Allerdings war die anfängliche Euphorie bald verflogen, denn neben dem bestialischen Gestank des verwesenden Kadavers gab es auch ungebetene Gäste:
Außerdem haben das Blut und die Fleischstücke des Wals soviele Haifische angelockt, daß das Baden fast unmöglich gemacht wurde.
Der in der Nähe wohnende Fischer hat in den folgenden Wochen 8 bis 10 Haifische mit der Angel gefangen und wir fingen eines Morgens auch einen. Die Haie kamen zuweilen bis auf 1 m an das Ufer heran, aber alle Versuche, dieselben mit einer Harpune zu erlegen, mißlangen.
Zur gleichen Zeit hatten einige Gefangene die Erlaubnis bekommen, zu fischen:
Einige unserer Kameraden haben endlich die Erlaubnis bekommen, sich ein Boot zum Fischen anzuschaffen. Das Boot kam am 24. VI. hier an, also 2 Tage nach dem Ertrinken unseres Kameraden Friedrich.
Nachdem der Tran und das Fischbein des Wals trotz großer Anstrengungen und Kosten keine Abnehmer fanden, resümiert Meier:
… so ist der Walfischfang ein großes Fiasko geworden und hat dem Lager ein schönes Stück Geld gekostet.

Die Maschinistenschule
Im Oktober 1917 wurde im Lager Trial Bay eine Schule für Seeleute gegründet, an der auch Meier als Schüler eingeschrieben war.
Trial Bay, 23. Oktober 1917.
…
Heute wurde die hiesige Maschinistenschule für einen Kursus 1. Klasse mit einer kleinen Feier eingeweiht. Direktor der Schule ist Dr. Pupke (von der Deutsch-Austral. D.S.Gesell.). Lehrer sind die Herren Klock, Dr. Defregger, Dr. Jakob, Ing. Mewes, Ing. Butzmüller, Ing. Loeblein und Schiffsing. Zinnius. Es nehmen 11 Herren am Unterricht teil sowie etwa 6 Hörer in einigen Fächern. Fittig, Maskow, Macfarlane, E. Meier, Conrad H. Bade, I. Jessen, Stehl, Aden, H. Hegerhorst, I. Meentzen.
Hörer: C. Baur, F. Meier, Mencke, A. Schlesinger, H. Martens,
Die Kosten für das Schulgebäude haben die Schüler und Lehrer unter sich aufgebracht, das Segeltuch fürs Dach stiftete Herr Plate. Das Schulgebäude ist etwa m lang, m breit u. 3 m hoch, von den Schülern selbst erbaut. Die Materialkosten belaufen sich auf 500-600 M.
Anmerkung: Länge und Breite sind im Tagebuch nicht benannt.
Kleidung und Heuer
19. November 1917
…
Von der Regierung erhielt ich folgende Bekleidungsstücke: Hemd, Hose, Hut, Handtuch u. Schuhe.
Im Jan. 17 erhielt ich: Hemd, Handtuch, Hut. wollene Jacke, im April 1914 erhielt ich: Hose, Schuhe u. Schwitzer.
Am 16. Dezember 1917 rief Herr Plate uns Schiffsoffiziere vom Lloyd zusammen und teilte uns mit, daß verheiratete Schiffsoffiziere volle Gage für die Dauer des Krieges bekämen und ledige 25%. Wir mußten uns verpflichten, im Falle die monatl. Unterstützung die 25% Gage übersteigt, das Geld nach Friedensschluß dem Lloyd zurück zu zahlen.

Weihnachten 1917
Weihnachten 1917 nahm einen ziemlich trübseligen Verlauf, wir hatten zwar einen Tannenbaum und Konzert, aber es wollte keine Feststimmung aufkommen. Diesmal wurde uns auch keine Flasche Wein oder Bier erlaubt.
Ich bekomme jetzt wieder £2 (40 M) pro Monat vom Lloyd, weil ich jetzt die Schule besuche und mir nichts verdienen kann.
Von Mitte Januar bis Ende Febr. 1918 fand der Abendappell erst um 7 Uhr abends statt. Die Tore bleiben bis 7 Uhr abends geöffnet.
Zweiter Kassensturz
Mittlerweile war Meier drei Jahre oder 36 Monate in australischer Lagerhaft. Zeit für einen zweiten Kassensturz für die zweiten 18 Monate.
Einnahmen in der Zeit vom 1. Sept. 1916 bis zum 1. März 1918. (18 Monate)
Monatl. Unterstützung vom Lloyd £ 42/10/-
Löhnung £ 25/4/6
Einnahmen 1354/6
+ Bestand am 1. IX. 16 395s
= 1749,5 s
– Bestand am 1. III. 18: 908
Ausgabe in 18 Monaten: 841,5 s
Monatliche Ausgabe = 46,45 s
Zur Erinnerung: in den ersten 18 Monaten lagen seine Ausgaben bei 25,9 Mark, jetzt bei knapp 46,5 Mark monatlich.
Viele Dinge des täglichen Lebens dürften sich während des Krieges verteuert haben. Das wäre in Übereinstimmung mit den gestiegenen Ausgaben des Schiffskochs Wilhelm Holst, der den Ersten Weltkrieg auf der Insel Ambon in Niederländisch-Indien verbringen musste. SIEHE dazu: Die „Ulm“ in Ambon (Teil 1 von 2) und Die „Ulm“ in Ambon (Teil 2 von 2)
Am 27. III. 18 erhielt ich von der austral. Reg. 1 Hemd, 1 Hose, 1 Hut, 1 Überzieher u. 1 Handtuch.

Plötzlicher und unerwarteter Aufbruch
Am 18. Mai 1918, 9 Uhr morgens wurde der Befehl herausgegeben, alle Sachen zu packen, das Lager wird aufgelöst, und am folgenden Morgen um 9 Uhr hat alles marschbereit zu sein.
Reiseziel unbekannt, jeder hat eine Tagesration mitzunehmen.
Die Nachricht traf uns wie ein Blitz aus heiterem Himmel, denn keiner hatte daran gedacht, daß wir vor Friedensschluß noch in ein neues Lager kämen, wo man doch ganz von vorne anfangen und sich alle kleinen Bequemlichkeiten selbst schaffen muß. Hunderte von Strandbuden, Theater, Maschinistenschule, Einjährigenschule usw. mit einem Werte von vielen Tausenden M müssen wir zurücklassen.
In der kurzen 24stündigen Frist konnte man natürlich nicht alles einpacken u. mitnehmen, viele der Budenbesitzer steckten deshalb ihre Buden in Brand aus Wut und auch, damit den Australiern nichts davon in die Hände falle.
Der Turnverein nahm nur seine bewegliche Habe mit.
Decken u. Handgepäck werden gleich mitbefördert, während das große Gepäck in der Halle gelagert und später nachgeschickt werden soll. Für die notwendigen Arbeiten bleiben etwa 25 Mann zurück.
Der Abmarsch erfolgte am 19. Mai 1918 (1. Pfingsttag) um 9 Uhr morgens nach Jerseyville, dem Anlegeplatz am Macleay River ( ̴8 km entfernt), wo wir um 11 Uhr ankamen und sogleich auf 4 kleine Flußdampfer (2 Schraubendampfer und 2 Heckraddampfer) geführt wurden. Dann wurde unser Handgepäck u. Bettzeug, das inzwischen von Automobilen herangeschafft worden war, auf die 2 Heckraddampfer verladen, und um 12.20 Uhr fuhren wir ab von Jerseyville nach der ̴35 km flußaufwärts gelegenen Bahnstation Kempsey.
[Bei unserem Abmarsch von Trial Bay lag der australische Kreuzer „Brisbane“ in der Bucht vor Anker]
Um 4h p.m. in Kempsey angekommen, wurden wir sofort ausgeschifft, und wir marschierten nach dem Bahnhof wo 2 Extrazüge für uns bereit standen. Das Gepäck wurde von einigen Freiwilligen verladen. Während unseres Durchmarsches durch die Straßen von Jerseyville und Kempsey ( ̴6000 Einw.) wurden wir von den Leuten nicht gerade freundlich angesehen, aber nicht im geringsten belästigt.
Wohin wird die Reise gehen?
Im Ausstellungstext von „The Enemy at Home“ (s. u.) heißt es, dass das Lager im Vorgriff auf das bevorstehende Kriegsende geschlossen wurde. Außerdem sei die Lage an der Küste mit einer möglichen Kontaktaufnahme der Gefangenen mit feindlichen Schiffen eine Gefahr für die Sicherheit des Landes. Spekulationen über eine geplante Befreiung der Inhaftierten mit Schnellbooten kamen hinzu.
http://www.migrationheritage.nsw.gov.au/exhibition/enemyathome/trial-bay-internment-camp/index.html
Demnächst im Blog: Das weitere Schicksal des Schiffsoffiziers Friedrich Meier.
Weitere Bilder und eine ausführliche Beschreibung des Lagers (in englischer Sprache) finden Sie auf der Seite The Enemy at Home vom New South Wales Migration Heritage Centre.
http://www.migrationheritage.nsw.gov.au/exhibition/enemyathome/trial-bay-internment-camp/index.html
Copyright-Hinweis
Die abgebildeten Fotos sind gemeinfrei (out of copyright). Sie sind ebenfalls aus der Sammlung der Mitchell Library, State Library of New South Wales, Sydney, Australien:
https://archival.sl.nsw.gov.au/Details/archive/110044344.
Hier die Quelle der Tagebucheinträge: © mit freundlicher Genehmigung der Mitchell Library, State Library of New South Wales and Courtesy copyright holder; Call No. MLMSS 261 / Box 6 / Item 54 (Friedrich Meier diary)
Nachtrag vom 7. Mai 2022:
Friedrich Meier starb am 7. November 1974 in Bremerhaven. Auf seinem Tagebuch ist daher ein Copyright, das bis Ende des Jahres 2044 fortbesteht.
Die Veröffentlichung der Tagebuchauszüge hier im Blog erfolgt mit freundlicher Genehmigung seiner Familie. Dafür auch an dieser Stelle herzlichen Dank.
Mehr über Friedrich Meier erfahren Sie hier:
Gestatten: Meier, Friedrich Meier