Aus dem Archiv des Schifffahrtsmuseums Flensburg
Titelbild: Die „Fürth“ (Bau-Nr. 273) vor dem Stapellauf im Jahr 1907, Ausschnitt; © mit freundlicher Genehmigung des Schifffahrtsmuseums Flensburg. Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass sämtliche Bildrechte beim Schifffahrtsmuseum Flensburg liegen und jegliche Nutzung dieses Bildes der Genehmigung des Rechteinhabers bedarf.
Ein zweites Bild des Schraubendampfers „Fürth“
Heute kann ich Ihnen eine echte Fotorarität vom Bau des Dampfschiffes „Fürth“ präsentieren: die „Fürth“ auf der Helling in Flensburg.
Gebaut wurde der Dampfer 1907 bei der Flensburger Schiff(s)bau-Gesellschaft (FSG). Historische Aufnahmen der Werft befinden sich mittlerweile im Schifffahrtsmuseum Flensburg und aus dessen Fotoarchiv, das über 28.000 Aufnahmen umfasst, stammt das hier vorgestellte Bild.
Besonders schön ist, dass die Aufnahme sehr detailreich ist und wir außer der „Fürth“ im Bildvordergrund auch einen Eindruck von der Arbeit auf der Werft bekommen. Dazu weiter unten mehr. Die vollständige Abbildung ist ebenfalls weiter unten im Text zu finden.
Die zweite mir vorliegende Aufnahme der „Fürth“ finden Sie hier: Ein Foto der „Fürth“
Aufnahmedatum
Der Bildtitel heißt „vor dem Stapellauf“. Dieser erfolgte am 20. Juli 1907. Der Bau hatte am 21. Januar des gleichen Jahres begonnen, an diesem Tag wurde „der Kiel gelegt“, wie es im Schiffbau heißt.
Über den Bau der „Fürth“ hatte ich hier bereits berichtet: Bau, Stapellauf und Probefahrt der „Fürth“
Die Aufnahme dürfte daher etwa Mitte Juli 1907 entstanden sein, vielleicht sogar am 20. Juli, dem Tag des Stapellaufes. An diesem Tag wurde das Schiff auch getauft und zu diesem Anlass, der mit einer kleinen Zeremonie begangen wurde, dürfte der Fotograf sowieso auf der Werft gewesen sein.
Die „Osnabrück“
Einen Eindruck von dem Baufortschritt bekommt man, wenn man das Schiffs links neben der „Fürth“ betrachtet. Die Stapelnummer ist (bei Vergrößerung der Abbildung) unten vor dem Schiffsrumpf erkennbar, es ist die 274. Diese Nummer trug das Schiff „Osnabrück“, ein Schwesterschiff der „Fürth“, welches nur einen Monat nach der „Fürth“ und zwar am 21. August 1907 vom Stapel laufen sollte. Mitte Juni 1907 hatte die „Fürth“ also vermutlich noch genau so ausgesehen. Ein beachtlicher Baufortschritt innerhalb eines Monats also.
Über das Schwesterschiff „Osnabrück“ siehe: Schwesterschiffe der „Fürth“: der Frachtdampfer „Osnabrück“
Die Helling
Die Helling oder auch der Helgen genannt, ist ein zum Wasser hin leicht abfallender Bauplatz eines Schiffes. Von dort rutscht es am Tag des Stapellaufes ins Wasser und wird dann zu Ende gebaut.
Die Hellinge waren in den norddeutschen Hafenstädten ein gewohnter Anblick. Auf der Internetseite der Stiftung Historische Museen Hamburg heißt es dazu:
Die riesigen Helgengerüste auf den Werften waren Sinnbild der Leistungsfähigkeit und echte Wahrzeichen in der Stadtsilhouette.
Die Quelle beschreibt auch den Ablauf der Arbeiten:
Die Arbeiten auf der Helling begannen mit dem Auslegen der Pallen, auf denen das Schiff abgestützt wurde, und der Vorbereitung der Schlitten und der Bahn für den späteren Stapellauf. Der Schiffbauer auf dem Helgen arbeitet deshalb immer mit dem Lot und dem sogenannten Fallbrett.
Quelle: https://shmh.de/de/hamburgwissen/dossiers/hamburger-schiffbau
Der Stapellauf
Zwei Aufnahmen des Stapellaufs selbst sind von dem Schiff „Anneliese“ überliefert, das auf der Werft von Henry Koch in Lübeck erbaut wurde:
Die „Anneliese“ gleitet ins Wasser:
Die „Anneliese“ nach dem Stapellauf im Hafenbecken:
Der Schiffsrumpf
Am Rumpf der „Fürth“ stechen sofort die beiden großen Öffnungen rechts und links vom Bug ins Auge, die Ankerklüsen. Durch diese werden später die Ankerketten für den Steuerbord- und den Backbordanker laufen.
Schön zu sehen sind außerdem die Bullaugen der Mannschaftsunterkünfte, die sich unter der Back im Bug befunden haben.
Das Schiff hat bereits einen Anstrich erhalten, das Unterwasserschiff in Schwarz und der obere Rumpf vermutlich in grauer Farbe. Auch der Schriftzug „Fürth“ ist bereits vorhanden. Ein Indiz, dass die Aufnahme sehr kurz vor dem Stapellauf gemacht wurde.
Das Niet
Im Vordergrund der Fotografie sehen wir Werftarbeiter an drei Nietkochern.
Zu der Zeit unseres Dampfschiffes „Fürth“ wurden die Stahlplatten eines Schiffsrumpfes genietet. Die heute übliche Schweißtechnik hat sich erst in den fünfziger Jahren durchgesetzt.
Man kann sich leicht vorstellen, dass viele zehntausende Niete notwendig waren, um ein mittleres oder großes Schiff zusammenzuhalten.
Wie das Nieten funktioniert, erklärt uns die Stiftung Historische Museen Hamburg:
Es gab das Nieten von Hand sowie wie pneumatisches Nieten. Ab 10mm Durchmesser wurde das Niet auf dem Nietenkocher erwärmt. Der Nietwärmer nahm den weiß glühenden Niet mit der Zange aus der Esse und steckte es schnell in das Nietloch. Der Vorhalter drückte mit dem Vorhalter das Niet gegen die Platte und hielt bis zur Beendigung dagegen. Der mit dem Niethammer arbeitende Nieter drückte mit einigen Schlägen zuerst die Platten zusammen, um dann den Nietschaft zu stauchen und den Schließkopf zu bilden. Alle wasserdichten Teile wurden von Hand oder mit Pressluftwerkzeugen verstemmt und durch kräftiges Abspritzen mit einem Wasserstrahl auf Dichtigkeit geprüft.
Die Nieter arbeiteten in sogenannten Nieterkolonnen:
Das Nieten war Aufgabe der Nieterkolonnen. Sie bestanden aus dem Nieter, dem Vorhalter und dem Nietwärmer, der auch die Niete zureichte. Bei größeren Entfernungen zum Nietofen wurde noch ein Zureicher eingesetzt.
Beide Zitate aus: https://shmh.de/de/hamburgwissen/dossiers/hamburger-schiffbau
Um das Nieten etwas lebhafter zu veranschaulichen, hier noch ein Auszug aus einem Erfahrungsbericht:
Ein erfahrener älterer Schiffbauer hatte die Aufgabe die Niete weißglühend zu kochen. Wenn der Mann am Nietofen erstmal den glühenden Niet mit einer langen Zange vom Feuer genommen hat, musste alles Weitere sehr, sehr schnell gehen, damit der Niet auch heiß zum Nietloch kam. Für den Transport zur Nietstelle setzte man sehr gerne super schnelle Azubis ein.
Der Schiffbauer nahm mit seiner Zange den Niet vom Feuer und warf ihn in die offene Ladeluke. Unten im Schiff wartete schon ein Lehrling mit einem kleinen Metalleimer und fing den glühenden Niet auf und rannte so schnell wie es möglich war durch das Schiff. Meist war der Weg sehr lang und ging auch noch durch Räume, die durch Schotten getrennt waren. Dann wartet hinter dem Schott ein zweiter Azubi und übernahm ganz schnell den Niet und flitzte rasend schnell zur Nietstelle. Dort angekommen übernahm der Dübbermann den Niet und steckte ihn ohne zu zögern in die Nietbohrung. Wenn alles gut gegangen war begann auf der Außenseite des Schiffes der Nieter mit seiner Arbeit. Er bearbeitete den heißen Niet bis ein richtiger Kopf geformt war. Sein Presslufthammer hämmerte in ohrenbetäubenden Lärm auf die Metallteile, Stundenlang, sage ich Euch. Hörschutz wie man es heute kennt, gab es einfach nicht. Der Döbbermann hielt während dessen seinen Döpper gegen den Niet, damit er während des Nietens nicht rausflutschen konnte.
Quelle: http://cuxpedia.de/index.php?title=Beckmannwerft_(Geschichten)
Anmerkungen:
Der Döpper (oder auch „Dolly“) hatte etwa ein Gewicht von etwa 20 Kilogramm. Der Döppermann wurde auch „Gegenhalter“ genannt.
Das Bild zeigt auch das Nichtvorhandensein persönlicher Schutzausrüstung, wie sie heute selbstverständlich wäre.
Metalleimer (Fangeimer) zum Auffangen der glühenden Niete sehen wir auf diesem Bildausschnitt:
Dieser Blogartikel erschien in einer ersten Fassung am 12. September 2020.