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advertisement, continental, guttapercha, 1903

Guttapercha und der Tote aus Borneo

Kein neuer Commissario

Guttapercha

Keine Sorge, Guttapercha ist nicht noch ein neuer „Commissario“ und der Tote aus Borneo auch keine exotische Leiche. Aber eins nach dem anderen!

Auf den Fahrten der „Fürth“ treffen wir einige Waren an, die heute weitgehend in Vergessenheit geraten sind, wie zum Beispiel die Guttapercha oder auch nur kurz Gutta genannt. Wenn Sie nicht gerade in einem Dentallabor arbeiten, sind Sie wahrscheinlich noch nie in Berührung mit diesem, zur Zeit unseres Dampfschiffes „Fürth“, sehr begehrten Rohstoff gekommen. Ich auch nicht.

Und wer weiß heute schon noch, dass der weltweite Erfolg des größten deutschen Industrieunternehmens, der Firma Siemens, zu einem großen Teil auf dieser Substanz und ihrer Verarbeitung beruht?

Aber beginnen wir auf der Insel Java, wo die „Fürth“ regelmäßig Batavia, Soerabaya und auch Tjilatjap anlief (heute Djakarta, Surabaya und Cilacap) und Guttapercha nach Europa brachte.

guttapercha java

Guttapercha-Verarbeitung auf Java (ca. 1920/1930); Quelle: commons.wikimedia.org, File:COLLECTIE TROPENMUSEUM West-Java Tjipetir arbeiders bedienen de machines die de guttapercha wassen en persen TMnr 60020167.jpg

Der Guttaperchabaum

Dort, auf Sumatra, Borneo sowie auf der malaiischen Halbinsel, wächst der Guttaperchabaum (Palaquium gutta). Dieser tropische Laubbaum wird bis über 20 Meter hoch und liefert reichlich Milchsaft. Einige andere Arten der Gattung Palaquium liefern ebenfalls Guttapercha, aber nicht immer in der gewünschten Qualität.

Durch Trocknung, Reinigung und Aufkochen erhält man aus dem Milchsaft ein kautschukähnliches Produkt, die Guttapercha.

guttapercha java

Nicht erst seit Palmöl: Die Abrodung von tropischen Wäldern auf Java für Guttapercha-Plantagen
Quelle: commons.wikimedia.org, File:COLLECTIE TROPENMUSEUM Proefaanplant van guttapercha op de rubberonderneming Langsa West-Java TMnr 60020174.jpg

Eigenschaften

„Das wesentlichste Merkmal, durch welche sich Guttapercha ohne weiteres von dem mit ihr so oft identifizierten Kautschuk unterscheidet, ist zweifellos die bereits von Tradescant erwähnte, und auch von D’Almeida, sowie Montgomerie betonte Eigenschaft, beim Eintauchen in heißes Wasser weich und plastisch zu werden, dann beim Abkühlen jede ihr vorher gegebene Gestalt beizubehalten und hart, aber keineswegs spröde, wie andere Harze zu werden. Dem gegenüber wird Kautschuk in heissem Wasser nicht weich, und behält seine ursprüngliche Elastizität und Spannkraft fast unvermindert bei.“
Dr. Eugen Obach (1899): Die Guttapercha, Verlag von Steinkopff & Springer, Dresden,
abgerufen unter:
http://dfg-viewer.de/show/?tx_dlf%5Bpage%5D=1&tx_dlf%5Bid%5D=http%3A%2F%2Fdigital.ub.uni-duesseldorf.de%2Foai%2F%3Fverb%3DGetRecord%26metadataPrefix%3Dmets%26identifier%3D1259277&tx_dlf%5Bdouble%5D=0&cHash=47b26e1b8afb23734d48166b38dc3659

Ein guter Isolator

Guttapercha hat neben dieser einfachen Verformbarkeit noch eine andere, sehr begehrte Eigenschaft: sie ist ein guter, sogar sehr guter Isolator. Womit wir zur Firma Siemens & Halske kommen.

„Das Jahr 1847 wird in der Geschichte der Guttapercha-Industrie allezeit denkwürdig bleiben. Wurde doch in demselben die Pflanze, von der dieses industriell wertvolle Produkt stammt, zum ersten Male von Sir William Jackson beschrieben. Und im gleichen Jahr begann auch Dr. Ernst Werner von Siemens, damals Artillerieleutnant in der Preussischen Armee, die Verwendung von Guttapercha zur elektrischen Isolierung unterirdischer Telegraphenleitungen aufzunehmen. Er erbaute damals eine Maschine, mittels welcher Draht fortlaufend mit dem Stoffe umhüllt werden konnte. Diese Maschine ist, mit geringen Änderungen, bis auf den heutigen Tag im Gebrauch geblieben.“
Dr. Eugen Obach (1899): Die Guttapercha, Verlag von Steinkopff & Springer, Dresden.

Allegorical scene showing Neptune with a trident in foreground, and lion representing Great Britain holding one end of the Atlantic cable and eagle representing the United States holding the other end of the cable, with ocean between them and cities behind them. Includes portrait of the inventor, Cyrus Field, at top center.

Das achte Weltwunder, Originalbeschreibung: Allegorical scene showing Neptune with a trident in foreground, and lion representing Great Britain holding one end of the Atlantic cable and eagle representing the United States holding the other end of the cable, with ocean between them and cities behind them. Includes portrait of the inventor, Cyrus Field, at top center.
Quelle: Library of Congress, https://lccn.loc.gov/93510355

Das achte Weltwunder

Der Bedarf an Kabeln war in der zweiten Hälfte des neunzehnten und zu Beginn des 20. Jahrhunderts enorm. Unterirdische Telegrafenleitungen wurden über hunderte Kilometer über Land gelegt und ab 1856 begann die Geschichte einer technischen Meisterleistung, die damals als achtes Weltwunder gefeiert wurde: Die 1866 nach mehreren Fehlversuchen gelungene Installation eines über 2000 Meilen langen Unterseekabels zwischen Europa und Nordamerika. Ein Meilenstein in der Kommunikationstechnik.

Guttapercha war also sehr begehrt und wurde entsprechend teuer.

„Dazu kommt, was wesentlich mitspricht, daß der Preis der Guttapercha immer mehr steigt, und wenn dieser Punkt bei den großen Unterseekabeln nicht von entscheidender Bedeutung ist, so wird doch die Kostenfrage, wenn es sich um elektrische Anlagen, z. B. für Beleuchtungszwecke handelt, eine sehr wesentliche.“
Arthur Wilke (1893): Die Elektrizität, ihre Erzeugung und ihre Anwendung in der Industrie und Gewerbe, Springer Verlag Berlin Heidelberg (abgerufen unter books.google.fr)

Djeloetong oder „Dead Borneo“

Dies hatte zur Folge, dass auch andere Produkte als Ersatzstoffe für Guttapercha auf den Markt kamen. Einer davon war Djeloetong, mit Handelsnamen auch „Dead Borneo“, das ebenfalls auf der „Fürth“ nach Europa transportiert wurde.

Der ungewöhnliche Handelsname „Dead Borneo“ soll darauf zurückgehen, dass das Holz des Djeloetong-Baumes ein bevorzugtes Material für die Herstellung von Särgen war. Deswegen also in der Überschrift „der Tote aus Borneo“. Sie mögen mir diese etwas freie Übersetzung nachsehen.

djeloetong

Djeloetong (Handelsname Dead Borneo) ist ein Ersatzstoff für Guttapercha,
Quelle: Hubert Winkler (1912), Botanisches Hilfsbuch: für Pflanzer, Kolonialbeamte, Tropenkaufleute und Forschungsreisende, Hinstorffsche Verlagsbuchhandlung, Wismar (abgerufen unter books.google.fr)

Golfbälle

Falls Sie Golf spielen: Golfbälle wurde um die Jahrhundertwende (also um 1900) ebenfalls aus Guttapercha hergestellt.

„The Gutta Percha ball was the ball that opened Golf to the masses, the first major development in the evolution of the golf ball.

Gutta Percha revolutionised the game of golf,… „
(https://www.standrewsgolfco.com/shop/products/heritage-collection/clubs-and-balls/historic-balls/the-bramble-guttie/)

So ein Golfball hieß je nach Oberflächenbeschaffenheit „Guttie“ oder „Bramble“. Diese Bälle finden Sie antiquarisch oder auch als Replik. Das ist vielleicht mal ein ungewöhnliches Geschenk für einen Golfer und Sie können jetzt ja auch noch eine Geschichte dazu erzählen! Lassen Sie mich bitte wissen, wenn Sie als Golfer einen Guttapercha-Ball ausprobieren, wie er sich im Spiel von modernen Bällen unterscheidet.

Im Plastozän

Heute, im Zeitalter des „Plastozän“, ist Guttapercha weitgehend in Vergessenheit geraten. Verwendet wird es nach wie vor in der Zahntechnik:

„In der Zahnmedizin wird es als provisorisches Füllmaterial und zur Herstellung von Abdrücken sowie zum Verfüllen der Wurzelkanäle bei Wurzelkanalbehandlungen verwendet.“
(http://www.chemie.de/lexikon/Guttapercha.html)

Falls Sie im Sommer an den Atlantik fahren und am Strand spazieren gehen, achten Sie mal auf gummiartige Substanzen im Strandgut, vielleicht fällt Ihnen ja echtes Guttapercha in die Hände! Mehr dazu in einem Artikel der Zeit:
https://www.zeit.de/2015/06/strandgut-cornwall-fundstueck-tjipetir

Das Titelbild des Beitrags ist eine Werbung der Firma Continental aus dem Jahr 1903, die damals noch Continental Caoutchouc & Guttapercha Co. hieß. Auch das haben wir im Plastikzeitalter längst vergessen.

Anmerkung: Der Beitrag erschien in einer ersten Fassung am 8. September 2018.

advertisement, continental, guttapercha, 1903

Werbung der Continental Caooutchouc & Guttapercha Co. Hannover aus dem Jahr 1903
Quelle: commons.wikimedia.org (File:1903 Werbung Continental Pneumatic Continental Caoutchouc & Guttapercha Co. hannover.JPG)

Rottnest Island 1915 internment camp

Offiziere dreier Schiffe

Auf Rottnest Island (West-Australien)

Vor einigen Wochen hatte ich hier im Blog die Aufnahme von Schiffsoffizieren des Dampfers „Reichenbach“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft vorgestellt: Die Offiziere der „Reichenbach“ und Kapitän Peters‘ tragisches Ende

Heute haben wir die Offiziere von drei Schiffen zusammen in einer schönen Gruppenaufnahme, wenngleich die Herren nicht ganz vollzählig sind.

Die Männer bildeten eine Zwangsgemeinschaft: sie waren internierte Seeleute auf Rottnest Island, einer kleinen, Westaustralien vorgelagerten Insel. Siehe: Rottnest Island: Die Internierung deutscher Seeleute in Westaustralien

Ihre drei Frachtschiffe waren die „Neumünster“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG), die „Thüringen“ und die „Greifswald“, beide Norddeutscher Lloyd Bremen (NDL).

Dampfschiff Neumünster 1907
Zeichnung der „Neumünster“, einem Schwesterschiff der „Fürth“ (Ausschnitt), © mit freundlicher Genehmigung des Schifffahrtsmuseums Flensburg (Ref. BN_269).

Die Schiffe hatten im August 1914 nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges den Hafen Fremantle in Westaustralien erreicht und waren dort von den Behörden beschlagnahmt worden beziehungsweise vor der Einfahrt in den Hafen als Prisen genommen worden. Keines der drei Schiffe verfügte über Telegraphie an Bord.

Alle drei Kapitäne und Mannschaften waren erst bei ihrer Ankunft vom Kriegsausbruch persönlich unterrichtet worden. Zuletzt erreichte die Nachricht den Dampfer „Thüringen“, der am 29. August 1914 von Bremen über Antwerpen kommend Fremantle erreichte. Das waren dreieinhalb Wochen nach der Kriegserklärung Englands an das Deutsche Reich.

Thüringen Schiff
Frachtdampfer „Thüringen“, Norddeutscher Lloyd Bremen, Ansichtskarte ungelaufen und undatiert (ca. 1906-1914), eigene Sammlung

Die „Thüringen“ hatte auf ihrer Fahrt nach Australien nicht in Südafrika angelegt, sondern das Kap weiträumig und unbemerkt von den Briten umfahren. So datierte die letzte Landberührung vom Juli 1914, also noch vor Kriegsbeginn.

Die Mannschaften der drei Schiffe wurden kurz nach ihrer Ankunft in Fremantle jeweils nach Rottnest Island transportiert.

Fremantle Harbour, German Prisoners, August 1914
Die deutschen Gefangenen bei der Einschiffung in Fremantle auf dem Weg nach Rottnest Island, wo sie interniert wurden, Western Mail, Perth, 21. August 1914, Quelle: http://www.trove.nla.gov.au

Der Fotograf Karl Lehmann

Karl Lehmann war dritter Offizier auf der „Greifswald“ und Amateurfotograf. Bereits auf See machte er eindrucksvolle Bilder von der Passage seines Schiffes. Nach der Festsetzung durfte er überraschenderweise seine Kamera behalten und machte während seiner Gefangenschaft in Australien über 300 Fotos.

Lehmann ist auch Autor der oben wiedergegebenen Titelabbildung. Glücklicherweise ist das Foto als eines von wenigen beschriftet, so dass wir heute zumindest in Teilen rekonstruieren können, wer darauf abgebildet ist. Erschwert wird die Namenszuordnung jedoch dadurch, dass siebzehn Personen auf der Gruppenaufnahme zu sehen sind, der Autor uns aber nur fünfzehn Namen nennen kann:

Korf, Schörtner, Bussard, Heinzel, Spitter
Kyso, Hoffmann, Zinius, Molter, Rumbruch, Meier
Mathy, Mertens, Martens, Trojan

Die Aufnahme wurde im Mai 1915 auf Rottnest Island aufgenommen. Die Offiziere hatten das Privileg, in festen Gebäuden untergebracht zu sein, von denen eine Fassade im Hintergrund des Fotos zu sehen ist. Die Mannschaften hingegen mussten in Zelten wohnen, die bei Sturm und Regen nur ungenügenden Schutz boten.

Das Lager auf Rottnest Island bestand bis November 1915, dann wurden die Gefangenen von Westaustralien nach New South Wales überstellt: die Mannschaften nach Holsworthy (Liverpool), die Kapitäne und höheren Offiziersgrade nach Berrima, die anderen Offiziere nach Trial Bay.

Karl Lehmann, Schiff Greifswald, NDL
Aufnahme von Karl Lehmann auf hoher See; Originalzitat: Lehmann, Karl. 1914, A wave breaks over the ship during the voyage, Indian Ocean, 1914 , viewed 2 janvier 2020 http://nla.gov.au/nla.obj-151913029

Die Offiziere

Bei der Identifizierung der abgebildeten Offiziere konzentriere ich mich auf die Besatzung des Schiffes „Neumünster“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft.

Für eine sichere Ansprache der NDL-Offiziere wäre ein Abgleich der Bildunterschriften mit den Schiffsdokumenten der „Thüringen“ und der „Greifswald“ erforderlich.

Diese Dokumente existieren zwar, und dies auch außergewöhnlich vollständig, allerdings nicht in digitalisierter Form. Sie liegen gut verwahrt im State Records Office of Western Australia in Perth.

Für die „Neumünster“ hatte ich mir die Dokumente durch einen Historiker scannen und zusenden lassen, aus Kostengründen aber darauf verzichtet, dies auch für die beiden NDL-Schiffe zu tun.

Wenn ich einen Sponsor für einen Forschungsaufenthalt in Perth finde, hole ich das auch gerne selber nach!

Rottnest Island, about 1920
Rottnest Island, 20er Jahre, National Library of Australia über https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rottnest_map_nla.jpg

Nun zum Bild: von links nach rechts:

Johannes Korff

Der Herr ganz links ist Johannes Korff, 2. Decksoffizier der „Neumünster“, geboren in Rinkenis am 2.6.1885.

Rinkenis, heute Rinkenæs, liegt am Nordufer der Flensburger Förde. Der Ort gehörte bis 1920 zum Deutschen Reich, danach und bis heute zu Dänemark.

Korff sollte es in seiner späteren maritimen Laufbahn bis zum Kapitän bringen, er starb am 23. Februar 1978. Er ist zusammen mit seiner Frau Marianne (geb. Christensen, 4.5.1899-7.7.1973) auf dem Friedhof in Rinkenæs (Rinkenæs Gamle Kirkegård) begraben (Quelle: Lokalhistorisk Arkiv for Graasten, graastenarkiv.dk).

Johannes Kiesow

Rechts vor Korff steht der mit „Kyso“ beschriftete Offizier. Es ist der erste Decksoffizier der „Neumünster“, Johannes Kiesow, geboren in Wolgast am 24.6.1883. Er trägt seine Uniformjacke mit den drei Streifen am Ärmel, die ihn als ersten Offizier ausweisen.

Es ist keine Überraschung, dass die Mehrzahl der nautischen Offiziere am oder in der Nähe des Meeres aufgewachsen waren. Unter den Ingenieuren/Maschinisten waren „Landratten“ dagegen häufiger anzutreffen. Maschinisten-Assistent Hofmann beispielsweise kam aus Sachsen:

Richard Hofmann

Der etwas kleinere Herr rechts neben Kiesow mit der offenen Jacke und der Schirmmütze dürfte der Maschinisten-Assistent Richard Hofmann aus Flöha sein, geb. am 28.9.1893. Die Kleinstadt Flöha liegt östlich von Chemnitz im Erzgebirge.

Seine Schirmmütze mit dem hellen Emblem in der Mitte weist ihn als Mitglied der Deutschen-Australischen-Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) aus. Auch wenn die helle Reedereiflagge bei der Auflösung des Bildes nur schemenhaft zu erkennen ist, unterscheidet sie sich deutlich von dem dunklen Emblem vorne auf den Mützen des NDL.

Dampfschiff Neumünster (1907)
Der Matrose Czech war ein guter Zeichner. Von ihm sind zahlreiche Zeichnungen aus dem Internierungslager Rottnest überliefert und diese nachgestellte Szene von der Kaperung der „Neumünster“ durch HMAS „Pioneer; mit freundlicher Genehmigung der State Library of Western Australia, Ref. b2554592_6

Heinr. Bussert

Ganz hinten in der Mitte schräg rechts hinter Hofmann und mit der weißen Jacke steht Heinrich (?) Bussert (auf dem Foto als Bussard beschriftet), 4. Offizier der „Neumünster“, geboren in Sievertshagen am 19.5.1889. Sievertshagen liegt als Ortsteil von Papenhagen in Mecklenburg-Vorpommern südwestlich von Stralsund.

Der Familienname Bussert ist in der Gegend von Papenhagen noch heute häufig anzutreffen.

Mertens und Martens

Auch die beiden Herren in der Mitte der vorderen Reihe tragen Offiziersmützen der DADG. Ich lese die Namen auf dem Foto als Mertens und Martens. Der Herr rechts wäre dann Gustav Martens, 3. Maschinist, aus Flensburg, geboren am 8.11.1885.

Jetzt wird es problematisch, da die Musterrolle der „Neumünster“ keinen Mertens kennt. Am nächsten kommt der 4. Maschinist Jul. Meentzen, geboren in Sedan am 16.6.1883. Sedan liegt an der Maas in Nordfrankreich an der belgischen Grenze. Im Deutschen Kaiserreich war die Stadt durch die Schlacht von Sedan und den Sedantag bekannt.

Ob Mertens allerdings gleich Meentzen ist, muss offenbleiben.

Dampfschiff Neumünster 1907, DADG
Zeichnung der „Neumünster“, einem Schwesterschiff der „Fürth“, © mit freundlicher Genehmigung des Schifffahrtsmuseums Flensburg (Ref. BN_269). Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass sämtliche Bildrechte beim Schifffahrtsmuseum Flensburg liegen und jegliche Nutzung dieses Bildes der Genehmigung des Rechteinhabers bedarf.

Weitere Offiziere

Ein weiterer Offizier der „Neumünster“ war Boy Hansen (3. Decksoffizier). Er ist entweder nicht auf dem Foto oder Lehmann kannte seinen Namen nicht.

Von den Maschinisten der „Neumünster“ können wir nicht identifizieren: Adolf Cortie aus Hamburg (Chefingenieur), Heinrich Kaerkes aus Neuwark (2. Ingenieur) und Berthold Gruhl (Maschinisten-Assistent aus Goslar.

Falls Sie auf dem Foto einen Ihrer Vorfahren wiederentdecken und/oder weitere Angaben zu dem Bild machen können, freue ich mich auf Ihre Nachricht!

logbook German-Australian Liner Furth 1914

Das Schiffstagebuch der „Fürth“

Ein Glücksfall

Im Fall des Dampfschiffes „Fürth“ haben wir das seltene Glück, dass sich ein Schiffstagebuch (Logbuch) bis ins einundzwanzigste Jahrhundert erhalten hat. Es befindet sich im Merseyside Maritime Museum in Liverpool. Wie es dort hingekommen ist, erfahren Sie hier: Ein Logbuch der „Fürth” in Liverpool

Bildnachweis Titelbild: Titelseite des Logbuchs der „Fürth“, Beginn 21. April 1914; mit freundlicher Genehmigung des National Museums Liverpool (Merseyside Maritime Museum), Ref. B/HAR/11/4/1

Über den Maritime & Historical Research Service Books, Boxes and Boats hatte ich Fotos vom Logbuch erhalten. Der Service bietet nicht nur Recherchedienste an, sondern hat auch eine sehr informative Webseite, die sich ausgezeichnet als Ausgangspunkt für eigene Recherchen zum Thema Schifffahrt eignet: http://www.maritimearchives.co.uk/

Mithilfe des Logbuchs können wir die letzte Australienfahrt der „Fürth“ bis ins Detail nachverfolgen. Aus anderer Perspektive, nämlich rekonstruiert aus Zeitungsmeldungen des Jahres 1914, hatte ich hier berichtet: Unvollendete Fahrt

Das Logbuch enthält sehr viel interessante Details über die Seefahrt zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die ich zum besseren Verständnis mit reichlich zusätzlichen Informationen aufbereitet habe:
Reisevorbereitungen vor der Abfahrt, das Bunkern, Laden und Löschen in den Häfen, die Anbordnahme von Hafen- und Seelotsen, Routinearbeiten an Bord, vorschriftsmäßige Überprüfungen, Navigation, Reise- und Liegezeiten, Wetterbedingungen, zurückgelegte Seemeilen, Probleme mit Mannschaftsmitgliedern, Desertionen und vieles mehr geben einen direkten Einblick in das Leben an Bord der „Fürth“ und der Handelsmarine im Allgemeinen.

Bis heute ist mir nur die Existenz eines weiteren Logbuches eines Schiffes der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft bekannt. Es ist das Logbuch des Dampfers „Neumünster“, einem Schwesterschiff der „Fürth“, ebenfalls aus dem Jahr 1914: siehe Schwesterschiffe der „Fürth“: Die „Neumünster“ und Aus dem Logbuch des Schiffes „Neumünster“

Informationen auf der Titelseite des Logbuchs (Titelabbildung)

Neben dem Schiffsnamen „Fürth“, sind der Heimathafen, das Unterscheidungssignal (siehe dazu Das Unterscheidungssignal der „Fürth“), der Kapitän W. Richter und gleich zweimal der Name der Reederei angegeben sowie deren Hausflagge abgebildet.

Im unteren Teil der Seite steht der folgende Text:

Dieses Schiffstagebuch enthält 184 mit fortlaufenden Seitenzahlen versehene Seiten, von denen jede für einen bürgerlichen Tag bestimmt ist. Vorgeheftet sind: 1. Zusammenstellung der Vorschriften über die Führung und Behandlung des Schiffstagebuchs (Tagebuchverordnung vom 21. März 1904 § 6); 2. Anweisung in betreff der Beurkundung von Geburten und Sterbefällen auf Seeschiffen während der Reise nebst Musterbeispielen für solche Beurkundungen (Reichsgesetzblatt 1875 S. 23 ff.). Am Schlusse sind Formulare zum Geburtenregister und zum Sterberegister angehängt.

Das Schiffstagebuch ist begonnen am 21. April 1914
und beendet am [kein Eintrag]

Anmerkung: Heraushebungen wie im Originaldokument

Der bürgerliche Tag

Der bürgerliche Tag ist nach einem Handbuch der Seefahrtskunde wie folgt definiert:

„Der bürgerliche Tag, für die Geschäfte und Verhältnisse des gewöhnlichen Lebens und Verkehrs, beginnt um Mitternacht, und endet in der nächsten Mitternacht, und wird in zwei gleiche Hälften, jede zu 12h, eingetheilt; die erstere heißt Vormittag, gewöhnlich mit V.M. oder auch mit A.M. (ante meridiem) bezeichnet; die zweite Hälfte heißt Nachmittag, mit N.M. oder P.M. (post meridiem) bezeichnet.“
Quelle: Handbuch der praktischen Seefahrtskunde, Erster Band, Eduard Bobrik, Verlagsbureau, Leipzig, 1848 (abgerufen über books.google.fr)

Damit ist der bürgerliche Tag ein für uns heute „ganz normaler“ Tag. Eine Abgrenzung des Begriffes besteht zum astronomischen Tag und zum seemännischen Tag, die beide am Mittag beginnen.

Vormittag und Nachmittag

In den Schiffsmeldungen der Tageszeitungen wurden regelmäßig die Begriffe vm. bzw. nm. verwendet (siehe dazu die Routenpläne bei den Australienfahrten der „Fürth“). vm entspricht also 0-12 Uhr und ist nicht mit unserer heutigen Verwendung des Wortes Vormittag zu verwechseln. Entsprechendes gilt für nm. oder Nachmittag.

Kapitän Walter Richter verwendet in seinen Aufzeichnungen eine Zeitzählung von 1 bis 12 mit den Begriffen am und pm, wie wir es in der Definition oben finden oder wie wir das aus dem Englischen kennen. 0.50 pm entspricht also 12.50 Uhr nach unseren heutigen Gewohnheiten.

Zeitlicher Umfang des Logbuchs

Der erste Eintrag im Schiffstagebuch der „Fürth“ ist – wie auf dem Titelblatt angegeben – vom 21. April 1914. Der letzte Eintrag von Kapitän W. Richter ist am 11. August 1914 in Colombo gemacht worden.

Anschließend klafft (leider) eine Lücke von über 2 Monaten (12. August bis 22. Oktober 1914).

Das Logbuch wird dann am 23. Oktober 1914 von Kapitän R. J. Thomson wieder aufgenommen, sein letzter Eintrag ist vom 30. November 1914 siehe dazu: Kapitän R. J. Thomson überführt das Dampfschiff „Fürth“ von Ceylon nach England

Copyright

Auf dem Logbuch ist ein © Copyright, das nach dem Zeitpunkt des Todes des Verfassers für 70 Jahre fortbesteht. Der erste Teil des Logbuches ist von Kapitän Richter, aber in großen Teilen auch von seinem ersten Offizier.

Kapitän Richter starb am 19. Februar 1917, somit sind die 70 Jahre Urheberrecht lange abgelaufen. Jedoch ist mir für den ersten Offizier R. Hoffmann das Todesdatum nicht bekannt. Ich weise deshalb darauf pflichtgemäß darauf hin, dass deshalb noch ein © Copyright auf dem Logbuch bestehen könnte.

Über alle Hinweise zu dem 1. Offizier R. Hoffmann bedanke ich mich herzlichst im Voraus. Bislang kann ich nur als Hinweis geben, dass er für diese Fahrt neu auf die „Fürth“ gekommen und im Sommer 1914 32 Jahre alt war: siehe Drei Mannschaftslisten der „Fürth“ aus dem Jahr 1914

cover logbook Furth 1914

Einband des Logbuchs der „Fürth“, Wiedergabe in Falschfarben, um die Lesbarkeit der Schrift zu erhöhen, mit freundlicher Genehmigung des National Museums Liverpool (Merseyside Maritime Museum), Ref. B/HAR/11/4/1

Der Einband des Logbuches

Auf dem Leineneinband des Logbuches stehen handschriftlich in großen Buchstaben die folgenden Texte:

S/S Fürth
15te Reise

Das Wort ‚Reise‘ ist in Kurrentschrift wiedergegeben, das Schriftbild entspricht den Einträgen im Innenteil. Diese Beschriftung kommt also sehr wahrscheinlich von Kapitän Richter oder dem ersten Offizier.

Die Reederei hatte die Reisen der Schiffe durchnummeriert. Intuitiv habe ich das bei den Australienfahrten der „Fürth“ von Anfang an ebenfalls getan und die Fahrten 1 bis 14 genannt (siehe Australienfahrten). Die Abweichung um eine Reise ergibt sich aus der Fahrt Nummer 13, die ich als eine Fahrt gezählt habe, die von der Reederei offenbar jedoch in zwei Fahrten aufgeteilt wurde, was sehr nachvollziehbar ist, dauerte sie doch vom 15. Februar 1913 bis zum 7. April 1914, also etwa 14 Monate. Eine logische Teilung ergibt sich nach der Rückkehr der „Fürth“ nach Europa in Newcastle-on-Tyne.

Damit wäre die 13. Fahrt nach Zählung der Reederei wahrscheinlich vom 15. Februar 1913 bis 2. Juli 1913 und die 14. Fahrt vom 16. Juli 1913 bis 7. April 1914.

Spätere Ergänzungen

Zu einem offensichtlich späteren Zeitpunkt wurde in großen Zahlen 1914 auf den Titel über die bestehenden Einträge geschrieben.

Eine weitere Eintragung auf dem Titel ist die Zahl „1.“ in der oberen rechten Ecke. Darunter stehen ebenfalls in schwarzer Schreibschrift die Großbuchstaben G.H. Die Bedeutung dieses Eintrages kann ich nicht deuten, eventuell stammt sie von einem Archivar.

Einleitende Seiten im Innenteil

Das Logbuch enthält vor den eigentlichen Einträgen einige vorgedruckte Seiten. Darin werden die folgenden Punkte behandelt:

Rückseite der Titelseite

Die Seite enthält die Skala der Windstärke nach Beaufort von 0 – 12, Beauforts Bezeichung des Wetters, das heißt 17 Kleinbuchstaben, die bestimmten Wettersituationen zuordnet sind sowie eine neunstufige Skala des Seegangs.

logbook steamer Furth, 1914

Logbuch der „Fürth“, Rückseite Titelblatt; mit freundlicher Genehmigung des National Museums Liverpool (Merseyside Maritime Museum), Ref. B/HAR/11/4/1

Sicherheitsvorschriften

Die nächste Seite enthält eine Tabelle mit Eintragungen zu den Sicherheitsvorschriften. Je Zeile gibt es eine Anweisung (z. B. „Überholung der Boote“), den Verweis auf die entsprechende Vorschrift, die Häufigkeit, mit der die Sicherheitskontrollen durchzuführen sind und die vierte Spalt lässt Raum für die Eintragungen, wann die Kontrollen durchgeführt wurden und auf welchen Seiten die entsprechenden Einträge im Logbuch zu finden sind (siehe Abbildung unten).

Vorschriften zur Führung des Schiffstagebuchs

Die Folgeseiten enthalten eine „Zusammenstellung der Vorschriften über die Führung und Behandlung des Schiffstagebuchs“, das heißt welche Eintragungen vor Beginn der Reise, von Tag zu Tag und im eintretenden Fall zu machen sind mit Verweis auf die jeweiligen Gesetze und Verordnungen.

Gefolgt wird dieses Kapitel von der „Anweisung in betreff der Beurkundung von Geburten und Sterbefällen auf Seeschiffen während der Reise“ gefolgt von vier Anlagen mit Musterbeispielen für beide Fälle.

Logbuch Fürth 1914

Logbuchseite mit den Sicherheitsvorschriften; mit freundlicher Genehmigung des National Museums Liverpool (Merseyside Maritime Museum), Ref. B/HAR/11/4/1

Fortsetzung

Die „Fürth“ im Trockendock No. 3 bei Blohm & Voss in Hamburg.

Außerdem werden Sie erfahren, was es mit Rathjens Compositionen auf sich hat.

Tagebuch (2) : Die „Fürth“ im Trockendock

Auf der Startseite des Blogs sind unter der Rubrik „Logbuch“ alle weiteren Logbucheinträge des Dampfschiffes „Fürth“ abrufbar.

Dieser Artikel erschien in einer ersten Fassung am 4. Januar 2020.

Beauty Point Tamar River 1913

Handel mit dem anderen Ende der Welt

Titelbild: Der Beautypoint in der Trichtermündung des Tamar auf Tasmanien, Postkarte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, veröffentlicht 1913, Fotograf unbekannt; eigene Sammlung

Von Hamburg nach Tasmanien

Das Postkartenidyll zeigt einen beschaulichen Anleger mit einem kleinen Schuppen am sogenannten Beautypoint im Norden Tasmaniens.

Die Auswahl dieses Ansichtskartenmotivs durch die die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) im Jahr 1913 überrascht, denn die Reederei unterhielt vor dem Ersten Weltkrieg keine Linienverbindung zu dieser, südlich des australischen Kontinents gelegenen Insel, die bis 1856 Van-Diemens-Land hieß.

In der Regel wurden Güter, die für die tasmanischen Städte Hobart, Lanceston oder Burnie bestimmt waren, in Melbourne umgeladen und dann mit Schiffen anderer Reedereien nach Tasmanien transportiert.

Tasmanien vor 1911
Tasmanien, Karte aus Encyclopedia Britannica, 11. Ausgabe 1911; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:EB1911_Tasmania.jpg; die Lage der Städte Burnie, Launceston und Hobart sind vom Autor gelb markiert

Nur bei großen Lademengen wurde Tasmanien direkt angelaufen, meist für ausgehende Fracht.

So wurden saisonal in Hobart nach der Ernte Äpfel für den direkten Transport nach Europa geladen. Die neuen, 1912 in Dienst gestellten Schiffe der DADG, „Adelaide“ und „Melbourne“, die beide über Kühlräume verfügten, machten dies noch besser möglich. Gelegentlich wurde auch Wolle befrachtet und im Huon River südwestlich von Hobart Holzladungen aufgenommen.

Piesse & Co.

Als Agent der DADG vor Ort agierte das Unternehmen Messrs. C. Piesse and Company mit Sitz in Hobart.

Messrs. C. Piesse and Company arbeiteten als Händler und Schiffsmakler. Die Firma war Ende des 19. Jahrhunderts von Charles August James Piesse gegründet worden. Sein Sohn Leslie Fraser Piesse führte das Geschäft nach dem Tod des Vaters im Jahr 1909 fort.

Der Tätigkeitsbereich war Import/Export von und nach Großbritannien und Festlandseuropa sowie der Handel mit der australischen Hauptinsel. Die Exportprodukte waren mannigfaltig: Wolle, Hopfen, Obst, Häute von Schaf und Kaninchen, Pelze, Silber, Bleierze und Getreide.

Hobart, Ocean Pier about 1900
Hobart, Ocean Pier (Länge ca. 370 M, Breite 58 M, Wassertiefe 18,9 M), kurz nach 1900, Foto H.H. Baily; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ocean_Pier,_Hobart,_Tasmania_-_very_early_1900s.jpg; Lizenz: CC BY-SA 4.0

In einem Artikel der Tageszeitung The Mercury (Hobart) vom 18. Juni 1912 brachte Piesse zum Ausdruck, dass eine regelmäßige Verbindung der DADG nach Tasmanien in Planung wäre.

Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges kam dies jedoch nicht zustande, dafür dürften die Lademengen der Hamburger Reederei für Tasmanien zu klein und nicht regelmäßig genug gewesen sein.

So blieben die Schiffe der DADG in Tasmanien eine Ausnahmeerscheinung. Dokumentiert ist zum Beispiel die Ankunft der „Altona“, die im Juli 1912 immerhin 400 Tonnen allgemeine Ladung nach Hobart brachte. Im April 1913 erreichte die „Reichenbach“ Burnie im Nordwesten Tasmaniens mit einer großen Menge Zement für den Bau einer Hafenmole.

Die Reichenbach in Burnie
© Maritime Museum of Tasmania, Cyril Smith Collection vol. 11., https://ehive.com/collections/3906/objects/842355/reichenbach

Besuch der Geschäftsführung

Im Oktober 1912 besuchte Marius Böger als Mitglied der Geschäftsführung der DADG Burnie und Lanceston.

Ein wichtiges Thema war der geplante Ausbau des Flusses Tamar und seiner Trichtermündung, so dass Schiffe der DADG die Stadt Launceston erreichen konnten, was bis dahin nicht der Fall war.

Burnie hatte hingegen nach Böger den Vorteil, direkt am Meer zu liegen und über geschützte Liegeplätze zu verfügen.

Böger machte bei seinem Besuch jedoch klar, dass Tasmanien nur dann regelmäßig angelaufen werden könne, wenn die Ladungsmengen interessant genug wären.
Quelle: The Mercury, Hobart, 23. Oktober 1912.

Burnie Tasmania 1919
Panoramaansicht von Burnie, Tasmanien, 1919; https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/85/Burnie%2C_Tasmania_%281919%29_%2813415397133%29.jpg (Ausschnitt)

Das Dampfschiff „Oberhausen“ – beschlagnahmt im Huon River

Ein Schiff der DADG, der Frachtdampfer „Oberhausen“, lag bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges im tasmanischen Huon River.

Kapitän Johann Meier und seine Mannschaft waren dabei, eine große Menge Eisenbahnschwellen für Südafrika zu laden, als australische Reservisten das deutsche Schiff beschlagnahmten.

Nach einer ersten Zeit der Gefangenschaft auf dem Schiff, kam die Mannschaft der „Oberhausen“ im Februar 1915 in die Quarantänestation auf Bruny Island, wo insgesamt etwa 70 Internierte untergebracht waren.

Die „Oberhausen“ hatte 33 Mann Besatzung, die anderen Lagerinsassen waren Deutsche und Österreicher, die auf Tasmanien lebten.

Nach Auflösung der regionalen Lager in Australien und damit auch des Camps auf Bruny Island, kam die Mannschaft der „Oberhausen“ in das große Lager nach Holsworthy bei Sydney. Kapitän und Offiziere wurden nach Berrima bzw. nach Trial Bay überstellt.

Der Frachtdampfer „Oberhausen“ wurde unter dem neuen Namen „Booral“ von der australischen Regierung als Transportschiff eingesetzt.

Zur Geschichte der „Oberhausen“ auf Tasmanien gibt es drei schöne informative Artikel in GeschiMag, dem Online-Geschichtsmagazin:

Der Fall des Dampfschiffes Oberhausen

Zur falschen Zeit am falschen Ort

Die Mannschaft der Oberhausen im Ersten Weltkrieg

Hobart Tasmania
Hobart, Tasmanien, Stadtpanorama mit Mt. Wellington (1271 m), undatierte Aufnahme (um 1900-1920?); Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hobart,_Tasmania_(4749707971).jpg

Das Tagebuch des vierten Offiziers Fritz Stegherr

Im Jahr 2016 wurde bekannt, dass der 4. Offizier der „Oberhausen“, Fritz Stegherr, in Hobart und auf Bruny Island Tagebuch geführt hatte. Insgesamt hat er fünf Hefte mit fast 600 Seiten verfasst. Bestimmt war das Tagebuch des Offiziers der Handelsmarine für seine Mutter.

Veröffentlicht wurde 2021 der erste Teil in einer Übersetzung in die englische Sprache mit dem Titel „Dear Mama“ – The Diary of a German P.O.W. in Tasmania 1914-1915.

Mehr Informationen dazu gibt es ebenfalls beim GeschiMag:

Interniert in Australien

Neuerscheinung Dear Mama

Tamar River about 1900
River Tamar, Tasmanien, Aufnahme undatiert, Quelle: Tasmanian Archive and Heritage Office Commons, no restrictions, via Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:View_of_River_Tamar,_Launceston_(36298934486).jpg

Andere Tagebücher hier im Blog

Hier im Blog hatte ich in mehreren Artikeln die Tagebücher des Offiziers Friedrich Meier vorgestellt, der den Ersten Weltkrieg in den australischen Lagern Langwarrin, Holswothy und Trial Bay verbringen musste. Hier der erste Teil: In australischer Gefangenschaft

Ein weiteres Tagebuch berichtet von der Gefangenschaft des Matrosen Paul Thomas in Portugiesisch-Indien (Goa): Kriegsgefangenschaft in Goa (Teil 1 von 2)

Ostern Malta 1917

Allen Bloglesern ein frohes Osterfest!

Titelbild: Ostergruß aus Malta, 8. April 1917, Fotografie des St. Clement’s Camp im Fort Verdala von Daniel Hiesinger aus Greding, Cospicua, Malta,
Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Daniel_Hiesinger,_Oster_Gruss_aus_Malta.jpg

Der heutige Kurzbeitrag ist ein Nachtrag zu dem Artikel über die Internierung deutscher Kriegs- und Zivilgefangener zwischen 1914 und 1919 auf Malta: Internierung auf Malta

Bei den Bildrecherchen habe ich zwei Osterbilder gefunden, deren Veröffentlichung vergangene Woche thematisch noch nicht gepasst hätte.

Über den Fotografen, Maler und Zeichner Daniel Hiesinger, den Autor des Titelbildes konnte ich bislang leider noch nicht viel herausfinden. Er stammte aus Greding im Landkreis Roth, also aus Mittelfranken.

Vor dem Ersten Weltkrieg war er als Fotograf in Kairo tätig. Fotos von ihm, die anlässlich von Besuchen hochgestellter Persönlichkeiten entstanden sind, zeigen, dass er zu dieser Zeit recht erfolgreich gewesen sein muss.

Einem Selbstportrait zufolge, dass er im Andenkenbuch des Wachoffiziers George H. Salter hinterlassen hat, dürfte er zur Zeit seiner Internierung zwischen 40 und 50 Jahre alt gewesen sein.
Siehe: https://timesofmalta.com/articles/view/The-Salter-album-from-World-War-I.532336

Das ist nicht gerade viel, aber vielleicht weiß ja ein Leser mehr! Betrachten Sie es als Osterrätsel. Eine Auflösung kann ich Ihnen jedoch nicht bieten.

Friedliche Ostern!

Ein zweites Osterbild aus Malta ist ebenfalls aus dem Jahr 1917. Es wünscht friedliche Ostern – dem kann ich mich nur anschließen!

Friedliche Ostern 1917 Malta
Osterkarte 1917, Kriegsgefangenenlager St. Clement’s Camp, Cospicua, Malta; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Osterkarte_1917,_Kriegsgefangenen_Lager_Malta.jpg

Fort Verdala Malta 1915

Internierung auf Malta

Prominente und weniger prominente Gefangene

Titelbild: Blick vom St. Clement’s Camp (Cospicua, Malta) in Richtung Fort Verdala, Fotografie von Theodor Kofler, ca. 1915; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:St._Clement%27s_camp_for_prisoners_of_war,_Fort_Verdala,_Cospicua,_Malta_(1).jpg

Die Seeleute der Schiffe „Rostock“ „Goslar“ und „Annaberg“

Vor wenigen Wochen hatte ich über das Dampfschiff „Albany“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) berichtet, dem es nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges als letztem Frachter der Reederei gelungen war, den Suezkanal zu passieren und anschließend Messina auf Sizilien als Schutzhafen anzulaufen. SIEHE: Fluchtpunkt Messina

Weniger Glück war den Seeleuten der Schiffe „Rostock“ „Goslar“ und „Annaberg“ beschieden:

„Die beiden in Suez liegenden D. [Dampfer] „Annaberg“ und „Goslar“ wurden nach See hinausgetrieben, dort gekapert und als Beute durch den Kanal geführt“ (Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft Hamburg, Otto Harms, 1933, Schröder und Jeve).

Harms beschreibt hier das Vorgehen der Briten, die die deutschen Kapitäne gezwungen hatten, aus der neutralen Kanalzone in offene Gewässer zu fahren, um ihre Schiffe anschließend dort zu beschlagnahmen. Damit war der Plan der DADG, die beiden Schiffe im Bittersee  ankern zu lassen, gescheitert. Zum Suezkanal siehe den Artikel: Dampfschiff „Fürth“: durch den Suezkanal

„Von Port Said sind sie im Verein mit „Rostock“ und anderen deutschen Schiffen zwangsmäßig nach See vertrieben und dann durch englische Kreuzer nach Alexandrien verbracht.“ (gleiche Quelle)

Die Seeleute der drei DADG-Schiffe wurden in Malta interniert:

„Hinzugefügt sei noch, dass die Besatzungen der D. „Rostock“, „Goslar“ und „Annaberg“ (aus dem Suezkanal) soweit wehrdienstpflichtige Leute nicht vorher die Heimreise versucht hatten, zu Kriegsgefangenen gemacht, und nach Malta gebracht worden sind.“ (gleiche Quelle)

Die Festung Malta

Auf der an Verteidigungsanlagen reichen Insel Malta existierten während des Ersten Weltkrieges mehrere Gefängnisse für Kriegsgefangene und internierte Zivilisten:

Fort Verdala (Verdala Barracks) für die Offiziere

St. Clement Camp (auch St. Clement Retrenchment) und angeschlossene Lager in Zejtun sowie

Fort Salvatore für Unteroffiziere, Soldaten, Seeleute, männliche Zivilgefangene

Schließlich die Polverista Barracks, in denen Frauen und Kinder untergebracht werden sollten.

Fort Verdala Cospicua Malta
Die Verdala Barracks und St. Clement’s Retrenchment/St. Clement’s Camp in Cospicua auf Malta in direkter Nachbarschaft, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Fort_Verdala_map.png

Die Seeleute der drei DADG-Dampfer erreichten Malta im November oder Dezember 1914. Am 4. November 1914 waren 597 deutsche und österreichische Zivilgefangenen aus Ägypten auf Malta angekommen und weitere 564 am 1. Dezember 1914.

Insgesamt sollen bis 17. Dezember 1914 1651 Kriegsgefangene aus Ägypten nach Malta transportiert worden sein.

Bis Ende des Krieges im November 1918 waren auf Malta etwa 2650 Personen interniert.

Neben Deutschen und Österreichern befanden sich auch Ungarn, Bulgaren, Türken, Griechen und Italiener unter den Gefangenen.

St. Klements Kamp Malta 1915
Zelte im Lager St. Clement’s in Cospicua auf Malta, Aufnahme vom 1. Januar 1915; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:St._Clement%27s_POW_camp,_Fort_Verdala,_Cospicua,_Malta.jpg

Schlechte Haftbedingungen

In den maltesischen Gefängnissen herrschten beengte Verhältnisse. So war Fort Verdala in Friedenszeiten eigentlich für 350 Offiziere ausgelegt, inhaftiert waren dort jedoch rund 650 Gefangene.

Auch das St. Clement Camp war mit 850 Internierten überbevölkert. Die Gefangenen waren in kleinen Zelten mit vier Metern Durchmesser untergebracht, die weder dicht waren noch starken Winden standhielten. Die sanitären Einrichtungen waren ungenügend, ebenso die medizinische Versorgung. Wasser war auf der kargen Mittelmeerinsel ein knappes Gut.

Auch die Verpflegung ließ zu Wünschen übrig und in der eingerichteten Lagerkantine waren die Preise so hoch, dass sich nur wenige diesen Luxus leisten konnten.

Gab es zu Beginn des Krieges für die Gefangenen noch einige Freiheiten, wurden die Haftbedingungen nach der erfolgreichen Flucht zweier Inhaftierter am 10. April 1916 deutlich verschärft.

Während der Internierung kam es von 1914 bis 1919 zu 32 Todesfällen im Lager. Einige Gefangene versuchten durch Suizid der Gefangenschaft zu entkommen. Lagerinterne Spannungen gipfelten in einem Mord.

Malta 1915
Große Gruppe Gefangener im St. Clement’s Camp, Fotografie von Theodor Kofler, 1915; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:St._Clement%27s_camp_for_prisoners_of_war,_Fort_Verdala,_Cospicua,_Malta_(3).png

Anmerkung: Theodor Kofler, geboren in Innsbruck, hatte vor dem Ersten Weltkrieg ein Fotostudio in Kairo. Von ihm stammen die ersten Luftaufnahmen der Pyramiden und anderer archäologischer Stätten in Ägypten.

Prominente Gefangene

Unter den Gefangenen auf Malta waren einige bekannte Namen:

Karl von Müller und Prinz von Hohenzollern-Sigmaringen

Die Kaperfahrt von SMS „Emden“ hatte am 9. November 1914 ihr Ende gefunden. SIEHE dazu den Blogartikel: SMS „Emden“ versenkt die „Diplomat“

Anschließend wurden die unverletzten überlebenden Seeleute über Colombo und Suez nach Malta gebracht, wo sie am 6. Dezember 1914 eintrafen.

Unter ihnen befand sich auch der Kapitän von SMS „Emden“, Karl von Müller und der Leutnant zur See Franz Josef Prinz von Hohenzollern-Sigmaringen. Der junge Prinz war Sohn des Fürsten Wilhelm von Hohenzollern und Fürstin Maria Theresia Magdalena von Bourbon-Sizilien.

SMS Emden Mannschaft Malta 1914
Die Mannschaft der „Emden“ als Kriegsgefangene auf Malta, mit Kapitän von Müller und Prinz Hohenzollern von Sigmaringen, Fotografie von Heinz Leichter, Dezember 1914; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:SMS_Emden_POWs_in_Malta_(Photo_Lechter).jpg

Anmerkung: Die unverletzten Kriegsgefangenen von SMS „Emden“ kamen nach Malta. Die Verletzten wurden auf Ceylon behandelt und anschließend in das Lager Trial Bay nach Australien überstellt.

Karl Dönitz

Ein anderer bekannter Kriegsgefangener auf Malta war der spätere Großadmiral Karl Dönitz.

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges war er als Leutnant zu See auf SMS „Breslau“. Zusammen mit SMS „Goeben“ gelang es dem Kleinen Kreuzer am 6. August 1914 Messina zu verlassen, den Briten zu entkommen und Konstantinopel zu erreichen. SIEHE: Fluchtpunkt Messina

Im späteren Kriegsverlauf kam er als Kommandant von UB 68 am 4. Oktober 1918 in Kriegsgefangenschaft, nachdem er sein U-Boot nach schweren Artillerietreffern selbst versenken ließ. Es folgte die Internierung auf Malta.

Karl von Müller war zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr auf der Mittelmeerinsel. Er war aus gesundheitlichen Gründen im Oktober 1916 nach England gebracht und dann im Januar 1918 auf Betreiben des Roten Kreuzes in den neutralen Niederlanden interniert worden.

Andere bekannte Gefangene waren der preußische General Liman von Sanders, der italienische Dirigent Aurelio Doncich und der türkische General Esref Kuscubasi.

Kaum bekannt: Der Nürnberger Geo Fürst

An dieser Stelle möchte ich, da es sich um den Blog des Dampfschiffes „Fürth“ handelt, noch einen anderen Gefangenen erwähnen: Geo Fürst aus der Nachbarstadt Fürths, aus Nürnberg.

Fürst, mit Vornamen eigentlich Johann, kam vor dem Ersten Weltkrieg nach Malta, wo er als Botschaftssekretär tätig war. Deutscher Botschafter zu dieser Zeit war Baron Maximilan Tucher von Simmelsdorf. Also gut möglich, dass Baron Tucher und Fürst beziehungsweise ihre Familien sich bereits aus der bayerischen bzw. fränkischen Heimat kannten.

1912 hatte Fürst die Malteserin Helen „Lily“ Debono geheiratet. 1914 wurde er nach Kriegsausbruch auf Anweisung Londons direkt interniert, was vermuten lässt, dass er nicht nur als Sekretär arbeitete, sondern auch als Spion tätig war.

Es war wahrscheinlich während seiner Gefangenschaft von 1914-1919, als Fürst die Malerei für sich entdeckte.

Nach dem Krieg musste er zurück nach Deutschland, kehrte aber bald wieder zurück nach Malta, wo er sich als Landschafts- und Marinemaler und später als Fotograf einen Namen machte. Er hinterließ rund 1000 Fotografien, meist aus den 1930er Jahren. Der maltesische Richter und Historiker Giovanni Bonello hat zahlreiche davon in einem Buch öffentlich zugänglich gemacht:
Nostalgias of Malta, Images by Geo Fürst from the 1930s, Giovanni Bonello, 2006, FPM, Valetta, Malta.

Fürst starb 1964 in München.

St. Clements Internment Camp POW Malta 1915
Aufführung des Chors im Lager St. Clement, Aufnahme des Gefangenen Daniel Hiesinger aus Greding, 1916, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:St.Clement_Cospicua_choral_society_meeting_in_the_club_room.jpg

Lagerleben

Die Aktivitäten der Internierten auf Malta waren denen anderer Gefangenenlager ähnlich.

Ein wichtiger Ausgleich war Sport. Dokumentiert sind Fußball (mit dem Fußballclub „Gemütlichkeit“), Tennis, Billard, Schach und Kegeln auf einer eigens gebauten Bahn. Ab Sommer 1917 war den Gefangenen das Schwimmen in der Maraskala Bay erlaubt, allerdings nur im Sommer und nur eine halbe Stunde täglich.

Bei Wettkämpfen war auch das Wetten auf Mannschaften oder Sportler ein beliebter Zeitvertreib.

Ein großer Chor, ein Blas- sowie ein Streichorchester und eine Theatergruppe standen kulturell Interessierten offen.

Andere betätigten sich handwerklich, in jährlichen Ausstellungen präsentierten sie ihre Werke.

Ausstellung Franz Josef Kaiser Malta 1915
Plakat der Ausstellung der Erzeugnisse des Lagers zu Ehren des 85. Geburtstages S.M. Franz Josef I. am 18. August 1915, Fotografie von Theodor Kofler, 1915; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Exhibition_for_the_85th_birthday_of_Emperor_Franz_Jozeph,_by_prisoners_of_war_in_Malta,_18_August_1915_(a).jpg

Über das Lagerleben sowie über die politische Lage informierten die „Camp Nachrichten“, soweit die Zensur dies zuließ.

Außerdem boten mehrere Fotografen einen Portraitservice an und ein beliebter Treffpunkt war das türkische Café.

An Weiterbildungsmöglichkeiten gab es Fremdsprachenkurse und sicher noch einiges andere. Geo Fürst besuchte Kurse für Malerei.

Daniel Hiesinger Malta 1915
Belustigungs-Wettspiele am 11. Juli 1915, St. Clement’s Camp, handgezeichnete Postkarte von Daniel Hiesinger aus Greding, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Daniel_Hiesinger,_Belustigungs_-_Wettspiele_11_July_1915.jpg

Heimkehr

Wie in anderen Lagern bedeutete auch auf Malta das Kriegsende nicht das Ende der Gefangenschaft.

Erste Gefangene konnten erst ab November 1919 das Lager verlassen und auf eigene Kosten heimkehren.

Danach schien es schnell gegangen zu sein, denn es wird berichtet, dass an Weihnachten 1919 alle Internierten wieder in ihren Heimatländern angekommen waren.

Fort Verdala WW1 Malta
Fort Verdala, Ansammlung von Gefangenen, wahrscheinlich für ein Festkonzert, Foto von Heinz Leichter, um 1915; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:St._Clement%27s_camp_for_prisoners_of_war,_Fort_Verdala,_Cospicua,_Malta_(4).jpg

Quellen

Die Gefangenschaft Deutscher auf Malta ist vergleichsweise gut dokumentiert.

Die folgenden drei Artikel (in englischer Sprache) bieten einen guten Einstieg in das Thema.

German prisoners of war in Malta, Anthony Zarb Dimech, Malta Independent vom 1. April 2012; https://www.independent.com.mt/articles/2012-04-01/news/prisoners-of-war-in-malta-in-the-first-world-war-307997/

The Prisoner Experience at Verdala and St. Clement’s Retrenchment during World War One, Dylan Agius, in Futouristic, Institute of Tourism Studies, Malta, 1. Ausgabe, Januar 2022, S. 50-55; abgerufen über: https://issuu.com/instituteoftourismstudies/docs/futouristic_1st_issue

The Salter Album from Word War I, Giovanni Bonelli, 17. August 1914 in Times of Malta; https://timesofmalta.com/articles/view/The-Salter-album-from-World-War-I.532336

Was jedoch fehlt, sind Spuren der Seeleute der eingangs erwähnten DADG-Schiffe „Rostock“ „Goslar“ und „Annaberg“. Für jeden Hinweis zu deren Schicksalen im Voraus herzlichen Dank.

Stegelmann Steglman work certificate 1910

Der Weg des Schiffszimmermanns Stegelmann nach Australien

Titelbild: Dienstzeugnis des Schiffszimmermanns Stegelmann, Dampfschiff „Kiel“, 7. April 1911, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, Quelle: Museums Victoria Collections https://collections.museumsvictoria.com.au/items/130292; gemeinfrei.

Die Geschichte einer Auswanderung

Johannes Friedrich Wilhelm Stegelmann wurde 1884 in Wellingdorf (Schleswig-Holstein) geboren, das 1910 nach Kiel eingemeindet wurde.

1900 trat er als Lehrling in die Kaiserliche Werft in Kiel ein, um Schiffszimmermann zu werden.

Kiel Gaarden Kaiserliche Werft 1902
Kiel, Kaiserliche Werft, um 1902; Quelle: Stadtarchiv Kiel über commons.wikimedia.org

In seinem Lehrbrief heißt es:

Der Schiffszimmer-Lehrling Johannes Stegelmann, geboren am 9. November 1884, in Wellingdorf, welcher mit dem 18. April 1900 das Schiffszimmers-Handwerk erlernt hat, wird hiermit nach bestandener Prüfung zum Gesellen freigesprochen.
Die Führung desselben während der Lehrzeit war gut.
Kiel, den 19. März 1904.
Quelle: Museums Victoria Collections; https://collections.museumsvictoria.com.au/items/1303016

Stegelmann war noch minderjährig (unter 21) und so schrieb ihm sein Vater Hans eine handschriftliche Genehmigung, dass er zur See fahren dürfe. Diese wurde von der Gemeinde Ellerbeck am 9. Juni 1904 beglaubigt.

Stegelmann Ellerbek 1904
Einwilligung von Hans Stegelmann, dass sein Sohn Johannes zur See fahren kann, beglaubigt von der Gemeinde Ellerbeck am 9. Juni 1904; Quelle: https://collections.museumsvictoria.com.au/items/1302996

Erste Anstellungen und Militärzeit

Seine erste Anstellung erhielt Stegelmann im Juni 1904 auf dem Segelschiff „Parnassus“ zu einer Heuer von 60 Mark.

Weiter wissen wir von ihm, dass er am 3. Juli 1905 als Zimmermann auf dem Frachtdampfer „Kiel“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) anheuerte. Die Fahrt sollte bis zum 20. Januar 1906 dauern; seine Heuer betrug jetzt monatlich 85 Mark.

Auf dem Dampfer „Thasos“ der Deutschen Levante-Linie, auf dem er 1906 fuhr, verdiente er dann 90 Mark monatlich.

Am 18. Februar 1907 trat er seine Militärzeit in der 5. Kompagnie der 1. Werft-Division in der Kaiserlichen Marine als Ober-Zimmermannsgast an. Hier leistete er bis zum 29. September 1909 Dienst.

Noch im gleichen Jahr fuhr er ab 21. Oktober wieder als Zimmermann in der Handelsmarine: Schiff „Sarnia“ (HAPAG), Heuer 80 Mark. Außerdem trat Stegelmann in den Deutschen Transportarbeiter-Verband ein.

Am 28. Oktober 1910 führte ihn sein Berufsweg erneut auf das Dampfschiff „Kiel“ der DADG. Das Dienstzeugnis der Titelabbildung stammt von dieser Fahrt, die bis zum 6. April 1911 dauerte.

Kiel Mannschaftsliste January 3rd 1911 Sydney
Mannschaftsliste der „Kiel” beim Einlaufen in Sydney am 3. Januar 1911, an fünfter Position: J. F. W. Stegelmann, 26 Jahre, aus Wellingdorf, Zimmermann; Dokument der Hafenbehörde Sydney über die Webseite marinersandships.com.au.

Zurück in Hamburg erhielt er eine Vorladung des Seemannsamtes Hamburg. Er musste als Zeuge zu dem Tod eines Schiffsmannes auf dieser Australienfahrt aussagen, der beim Bootwaschen über Bord gefallen und ertrunken war.

Die Vorladung ist das letzte Dokument, welches ihm in Deutschland ausgestellt wurde (und erhalten geblieben ist).

Desertion in Australien

Nach Angaben seiner Tochter Margaret ist er noch im Jahr 1911 mit zwei anderen Seeleuten in Australien desertiert, weil er Angst hatte, wieder zur Kaiserlichen Marine eingezogen zu werden.

Ich vermute, dass er eine zweite Fahrt auf der „Kiel“ nach Australien gemacht hatte und die Desertion zwischen dem 3. und 10. Juli 1911 in Melbourne erfolgte, als das Schiff dort im Hafen lag.

Grund für meine Annahme ist, dass bei der Ankunft der „Kiel“ in Sydney am 14. Juli 1911 der Schiffszimmermann fehlte.

Dampfer Kiel, um 1910
Der Frachtdampfer „Kiel“, ein Schiff der „Meißen-Klasse“, Quelle: R. Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven 1984, Aufnahme aus der Sammlung Kludas.

Aus Johannes Stegelmann wird Jack Steglman

Stegelmann tauchte unter und schlug sich als Wanderarbeiter in Victoria und New South Wales durch. Auch den Ersten Weltkrieg überstand er ohne interniert zu werden.

Er hatte sich an seine australische Umgebung assimiliert und aus Johannes Stegelmann war Jack Steglman geworden.

Um 1922 nahm ihn ein gewisser Mr Bishop unter die Fittiche und Steglman konnte in Melbourne bleiben. 1924 ließ er sich als Zimmermann nieder und bekam die australische Staatsbürgerschaft.

Im Mai 1935 heiratete Steglman Gladys Muriel Leichti. Das Paar lebte in St. Kilda und Prahran (Großraum Melbourne) und hatte drei Kinder: Margaret, Helen und Bruce.

Glayds Leichti 1924
Stegelmanns Frau Gladys Leichti an Bord der S.S. Bendigo bei der Überfahrt nach Australien 1924; Bild aufgehellt; Quelle: Museums Victoria, https://collections.museumsvictoria.com.au/items/1302836

Gladys (geboren 1896) stammte aus einer armen Londoner Familie (dem Namen nach mit Schweizer Abstammung) und war 1924 mit Unterstützung der Heilsarmee auf der SS „Bendigo“ als Haushaltshilfe nach Melbourne gekommen.

Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges arbeitete Steglman auf der renommierten Blunt Werft in Williamstown. Seine Arbeit im Schiffbau wurde als kriegswichtig eingestuft, außerdem war er zu diesem Zeitpunkt bereits über 50 Jahre alt und so entging Steglman erneut einer Internierung.

Johannes Stegelmann alias Jack Steglman starb am 19. November 1957. Seine Frau Gladys überlebte ihn um fast 40 Jahre, sie starb am 15. August 1995.

Williamstown 1932
Williamstown, Victoria, 1932, Boote an einem Anleger; Quelle: Museums Victoria Collections, https://collections.museumsvictoria.com.au/items/770959

Quellen

Der vorliegende Blogartikel beruht auf Informationen und Dokumenten, die Stegelmanns Tochter Margaret 2006 den Museums Victoria in Melbourne überlassen hat, ergänzt durch eigene Recherchen.

Im Text des Museums wird sehr viel ausführlicher auf die Einwanderungsgeschichte von Stegelmanns Frau Gladys eingegangen. Siehe: https://collections.museumsvictoria.com.au/items/1302836

Insgesamt sind in den Museums Victoria Collections dreizehn Dokumente Stegelmanns erhalten, ein Teil davon unterliegt dem Copyright, andere wie die hier gezeigten Bilder sind gemeinfrei.

Messina, Palazzata und Hafen um 1900

Fluchtpunkt Messina

Titelbild: Messina, die „Palazzata“ (1500 Meter lange, einheitliche Palastfassade am Ufer aus dem 19. Jahrhundert), Aufnahme um 1900, die „Palazzata“ wurde bei dem katastrophalen Erdbeben am 28. Dezember 1908 zerstört;
Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Messina_vist_des_del_mar.jpg

Der Frachtdampfer „Albany“ in Sizilen

Viele Frachtschiffe der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) suchten bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs Schutz in Häfen neutraler Staaten, um nicht in die Hände der Briten zu fallen.

Hier im Blog hatte ich bereits über Dampfer der Reederei berichtet, die in Niederländisch-Indien, in Portugal und seinen Kolonien, in Spanien oder auch in den USA Schutzhäfen angelaufen waren.

Ein Schiff der DADG, der Frachtdampfer „Albany“, lief Anfang August 1914 in Messina ein und sollte dort die ersten Kriegswochen verbringen.

Der Artikel berichtet über die Zeit des Schiffes in Sizilien und seine Beschlagnahmung durch die Behörden nach dem Eintritt Italiens in den Ersten Weltkrieg am 23. Mai 1915. Im späteren Kriegsverlauf kam die „Albany“ unter dem Management der staatlichen Bahngesellschaft (Ferrovie dello Stato) als „Matteo Renato Imbriani“ wieder für kurze Zeit in Fahrt.

Am 20. Mai 1918 wurde der ehemalige Frachtdampfer der DADG bei der Île de Planier vor Marseille von einer ausgelegten Mine des deutschen U-Boot UC 67 versenkt. Dort liegt das Wrack noch heute.

Mannheim steamer German Australian Line
Der mit der „Albany“ baugleiche Frachter „Mannheim“, hier in den 1920er Jahren als französischer Frachter „Lieutenant Saint Loubert Bié“; „Albany“ und „Mannheim“ wurden beide auf der Tecklenborg-Werft in Geestemünde parallel nebeneinander hergestellt (Baunummern 243 und 244) und im Oktober bzw. November 1911 an die DADG abgeliefert; unbekannter Fotograf; Quelle: R. Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven 1984, Aufnahme aus der Sammlung Vonarb

Durch den Suezkanal

Der Frachtdampfer „Albany“ war 1911 auf der Tecklenborg-Werft in Geestemünde für die DADG gebaut worden und hatte bei einer Länge von 137 Metern 5882 Bruttoregistertonnen. Mit einer Dreifach-Expansions-Dampfmaschine mit 3600 PS ausgestattet, machte das Schiff eine Fahrt von 12,5 Knoten. Es hatte 48 Mann Besatzung.

Von Java kommend erreichte „Albany“ Suez am 2. August 1914, durchquerte den Suezkanal und verließ Port Said zwei Tage später am 4. August. Der Frachtdampfer war damit das letzte Schiff der DADG, das den Suezkanal in Richtung Mittelmeer verlassen konnte.

„Albany“ war mit einer Telefunkenanlage ausgerüstet, hatte Nachricht vom Krieg erhalten und lief daraufhin Messina an. Die Stadt an der sizilianischen Küste wurde – je nach Quelle – am 7. oder 8. August erreicht.

Messina 1906
Messina, 1906; Library of Congress, Washington DC; https://www.loc.gov/resource/stereo.1s29476/

SMS „Goeben“ und SMS „Breslau“

Kurz zuvor, nämlich am 6. August 1914 war den beiden Kriegsschiffen SMS „Goeben“ und SMS „Breslau“ eine spektakuläre Flucht aus dem Hafen von Messina gelungen.

Der Schlachtkreuzer SMS „Goeben“ und der leichte Kreuzer SMS „Breslau“ waren am Morgen des 5. August in Messina eingelaufen, nachdem sie die Städte Philippeville und Bône in Französisch-Nordafrika bombardiert hatten, um die Einschiffung von Truppen nach Kontinentalfrankreich zu verzögern.

Anmerkung: Philippeville und Bône heißen heute Skikda und Annaba (Algerien).

Auf dem Rückweg nach Sizilien trafen die beiden Kreuzer am 4. August auf britische Schiffe, wurden von diesen jedoch nicht behelligt, da zu diesem Zeitpunkt Großbritannien Deutschland noch nicht den Krieg erklärt hatte.

Zurück in Messina (5. August) nahmen SMS „Goeben“ und SMS „Breslau“ von den deutschen Schiffen „General“ (Deutsche Ostafrikalinie) und „Barcelona“ (HAPAG) Kohlen und Proviant auf.

Da die Liegezeit eines Kriegsschiffes in einem neutralen Staat zeitlich begrenzt war, mussten die beiden Kreuzer Messina am 6. August wieder verlassen.

Die Briten hatten mit einer Fahrt der beiden Schiffe nach Westen in Richtung Gibraltar oder in die Adria gerechnet. SMS „Goeben“ und SMS „Breslau“ legten zunächst zum Schein Adriakurs an, der jedoch dann Richtung Peloponnes/Konstantinopel geändert wurde. Auf Grund ihrer Schnelligkeit konnten Sie den einzigen Verfolger HMS Glouchester abschütteln und nach Konstantinopel flüchten.

Die spektakuläre Fahrt der beiden Kreuzer nach Konstantinopel, der letztlich zum Kriegseintritt des Osmanischen Reiches in den Ersten Weltkrieg führte, ist in der Vergangenheit detailliert beschrieben worden.

Eine reich bebilderte Zusammenfassung finden Sie zum Beispiel hier: https://deutsche-schutzgebiete.de/wordpress/projekte/kaiserliche-marine/seiner-majestaet-schiffe/s-m-s-goeben-1911/

Wir bleiben heute bei dem Frachtdampfer „Albany“ in Sizilien.

Messina Porto circa 1900
Porto di Messina, um 1900 (vor dem schweren Erdbeben im Jahr 1908); Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Porto_di_Messina_(1900_ca).jpg

Von Messina nach Syrakus

Anfang September 1914 wurde die „Albany“ nach Syrakus (Siracusa) verlegt. Der Grund dafür wird nicht genannt, für mich gibt es dafür zwei Erklärungen.

Erstens war Messina der italienische Hafen mit dem größten Passagieraufkommen, was natürlich an den zahlreichen Fährverbindungen der sizilianischen Hafenstadt zum italienischen Festland liegt. Man brauchte also einfach Platz im Hafen.

Zweitens war Messina immer noch stark von dem verheerenden Erdbeben am 28. Dezember 1908 gezeichnet. Dabei war die Stadt nahezu vollständig zerstört worden. Syrakus bot hingegen eine unbeschädigte Infrastruktur zur Versorgung der Schiffe.

Messina Palazzata distrutto 1909
Messina, Via Vittorio Emmanuele an der Meerenge im Jahr 1909 nach dem Erdbeben vom 28. Dezember 1908; Library of Congress, Washington DC; https://www.loc.gov/resource/stereo.1s29491/

Brand an Bord

Am 28. November 1914 brach gegen 22 Uhr auf „Albany“ Feuer aus. Es wurde durch Ladungsüberhitzung verursacht. Laut der Tageszeitung La Stampa vom 3. November 1914 war Ladung mit einem kleinen heißen Druckkessel in Kontakt gekommen und in Brand geraten.

Das Schiff war noch voll beladen: über 7000 Tonnen Zucker, Kaffee, Tee und andere Kolonialwaren waren an Bord. Zeitungsmeldungen sprechen von einem Warenwert in Höhe von £ 300.000 (6 Mio. Mark).

Versuche, den Brand zu löschen, scheiterten zunächst. Das Hilfsangebot des Kapitäns der „Iberia“, einem englischen Dampfer, hatte Kapitän Moritzen der „Albany“ abgelehnt. In Friedenszeiten unvorstellbar.

Damit der Brand nicht auf andere Schiffe im Hafen übergriff, wurde „Albany“ aus dem Hafen geschleppt.

Schließlich gelang es dem Bergungsdampfer „Audax“ am 1. Dezember den Brand zu löschen. Zu diesem Zeitpunkt waren das Schiff und seine Ladung bereits schwer beschädigt. Die Kommandobrücke, der Instrumentenraum und die Kapitänskajüte waren zerstört worden.

Anschließend wurden 550 Tonnen Copra, 129 Ballen Kapok, 58 Ballen u. 200 Bündel Garne sowie 500 Bündel Rattan gelöscht. Außerdem wurden 2000 Tonnen Zucker, die für Le Havre bestimmt waren, in das griechische Dampfschiff „Girda Ambatiellos“ umgeladen. Teakholz und Zinkerze verblieben an Bord.

Angaben nach Zeitungsmeldungen in der Berliner Volkszeitung vom 1.Dez. 1914, dem Hamburgischen Correspondent (9. Dez. 1914), Rotterdamsch nieuwsblad (3. Dez. 1914), De Maasbode (4. Jan. 1915) und De courant (17. Feb. 1915).

Siracusa Hafen 1900
Syrakus (Siracusa), Anleger im Hafen um das Jahr 1900; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Siracusa_Porto.gif

Kriegseintritt Italiens und Beschlagnahmung der „Albany“

Nach dem Brand und dem Löschen eines Teils der Ladung verschwand „Albany“ wieder aus den Schlagzeilen. Das änderte sich fünf Monate später.

Am 23. Mai 1915 trat Italien auf Seite der Entente-Mächte in den Ersten Weltkrieg ein. Das führte zur Beschlagnahmung deutscher Schiffe in italienischen Häfen. Insgesamt sollen davon 25 Schiffe betroffen gewesen sein (Hamburger Anzeiger, 29. Mai 1915).

In Syrakus waren dies neben dem Dampfer „Albany“ der DADG die Frachtdampfer „Sigmaringen“ (exLöwenburg) des Norddeutschen Lloyd Bremen und „Kattenturm“ der Deutschen Dampfschiffahrts-Gesellschaft Hansa, ebenfalls Bremen.

Hinzu kamen die Dampfer „Ambria“ und „Barcelona“ der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (HAPAG) sowie „Mudros“ der Deutschen Levante-Linie.

Allein in Syrakus also sechs stattliche Schiffe der deutschen Handelsmarine.

Weiterhin lagen zwei kleinere österreichische Schiffe in Syrakus: „Ampelea“ und „Assir“, die ebenfalls beschlagnahmt wurden.

Syrakus Hafen um 1900
Syrakus, großer Hafen, undatierte Aufnahme von Carlo Brogi (1850-1925), ca. Anfang des 20. Jh.; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Brogi,_Carlo_(1850-1925)_-_n._12032_-_Siracusa_-_Veduta_del_Porto_Grande.jpg

Ausweisung der Kapitäne

Die deutschen Schiffe in Syrakus hatten nur noch kleine Rumpfbesatzungen an Bord, die zum Betrieb und zur Bewachung unbedingt notwendig waren. Die meisten Seeleute dürften bereits 1914 die Heimreise auf dem Landweg angetreten haben.

Im September 1915 schließlich wurden die Kapitäne und Restbesatzungen wegen Spionageverdacht von den Schiffen geholt und aus Italien ausgewiesen.

Die Schiffe kamen jetzt in die Obhut der Königlichen Marine Italiens (Regia Marina).

Quelle: Il Resto del Carlino, Giornale di Bologna, 15. Sept. 1915; http://badigit.comune.bologna.it

Noch Ende 1915 kamen die ersten Schiffe wieder unter italienischer Flagge in Fahrt. Die Berliner Volkszeitung vom 23. Dez. 1915 berichtet:

Mailand, 22. Dezember. Wie „Secolo“ aus Syrakus meldet, ist auf den deutschen Dampfern „Kattenturm“, „Mudros“ und „Sigmaringen“ die italienische Flagge gehißt worden. Die Schiffe wurden festlich bewimpelt. Die drei Dampfer werden sofort nach Beendigung von Maschinenreparaturen ausfahren.
Quelle: europeana.eu

„Albany“ verließ den Hafen Syrakus im Januar 1916 in Richtung Messina. Dort dürfte die restliche Ladung gelöscht und eingelagert worden sein.

Syrakus, Abfahrt von Emigranten um 1900
Syrakus, Abfahrt von Emigranten, undatierte Aufnahme eines unbekannten Fotografen, ev. um 1900; Migranti in partenza dal porto di Siracusa, Public domain, über commons.wikimedia.org

Das Dampfschiff „Matteo Renato Imbriani“

Es dauerte bis Anfang 1918, bis die exAlbany als „Matteo Renato Imbriani“ in Genua registriert und im März von Lloyd’s zertifiziert wurde.

Bereedert, also gemanagt wurde das Schiff von der staatlichen Eisenbahngesellschaft Ferrovie dello Stato. Die Gesellschaft arbeitet auch als Reederei, sie ist seit 1896 für den Betrieb der Staatsfähren zwischen dem italienischen Festland und den Inseln Sizilien und Sardinien verantwortlich. Im Ersten Weltkrieg übernahm sie die Bereederung der beschlagnahmten Schiffe.

Dem Frachtdampfer „Matteo Renato Imbriani“, exAlbany war jedoch nur eine äußerst kurze Existenz beschieden.

Der Untergang der „Matteo Renato Imbriani“

Am 20. März 1918 verließ „Matteo Renato Imbriani“ in einem Konvoi mit vier anderen Schiffen den Hafen von Marseille und lief um 12.45 Uhr etwa sechs Seemeilen südwestlich der Insel Île de Planier auf eine Seemine, die vom deutschen U-Boot UC-67 unter Leitung von Kapitän Karl Neumann ausgebracht worden war.

Trotz sofortiger Hilfestellung und Abschleppversuchen durch das Patrouillenboot „Gabriella“, das den Konvoi begleitete, sank „Matteo Renato Imbriani“, exAlbany noch am gleichen Tag um 22.35 Uhr. Die gesamte Besatzung konnte gerettet werden.

Baie de Marseille, Ile de Planier
Karte der Bucht von Marseille mit der Île de Planier (im Bild unten); Jacques-Nicolas Bellin, 1764, Bibliothèque Nationale de France über commons.wikimedia.org

„Matteo Renato Imbriani“ als Tauchziel

Das Wrack der „Matteo Renato Imbriani“, exAlbany liegt noch heute an der Stelle des Untergangs im Südwesten der Île de Planier in 110 Metern Wassertiefe.

Die Koordinaten sind: Breite 43° 07’ 788 N; Länge 5° 07’ 634 E.

Die große Tiefe, in der das Wrack liegt, macht es nur für sehr erfahrene Taucher mit Zusatzausbildung im technischen Tauchen zugänglich.

Falls Sie solch ein qualifizierter Tec-Taucher sind und die „Matteo Renato Imbriani“ einmal besucht haben, freue mich über Ihren Bericht und Ihre Fotos!

Angaben über den Untergang und das Wrack der „Matteo Renato Imbriani“ nach einem Artikel auf plongee-infos.com: Chaque jour, une épave: 20 mars 1918, le Matteo Renato Imbriani, une épave oubliée à Marseille, 20. März 2018; https://www.plongee-infos.com/chaque-jour-une-epave-20-mars-1918-le-matteo-renato-imbriani/

Dampfer Reichenbach 1910, Sydney harbour

Die Offiziere der „Reichenbach“ und Kapitän Peters‘ tragisches Ende

Seltene Fotografie der Offiziere eines Frachtdampfers

Titelbild: Kapitän, Offiziere und Offiziersanwärter des Frachtdampfers „Reichenbach“ am 10. November 1910 im Hafen von Sydney (Woolloomooloo Wharf), unbekannter Fotograf; Aufnahme aus Familienbesitz, mit freundlicher Genehmigung von Nicole Jahn und Peter Strehl

Es freut mich ganz besonders, dass ich im heutigen Beitrag Seeleuten aus der Dampfschiffsära ein Gesicht geben kann. Für Frachtschiffbesatzungen eine echte Rarität!

Die Fotografie von Offizieren eines Frachtdampfers der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) hat mir freundlicherweise eine Blogleserin zur Verfügung gestellt. Sie zeigt den Kapitän der „Reichenbach“ im Kreis seiner Offiziere. Die Aufnahme entstand, wie auf dem Foto vermerkt ist, am 20. November 1910 im Hafen von Sydney. Das Schiff hatte den Hafen von Hamburg über Melbourne kommend zwei Tage zuvor erreicht.

Das Foto lässt rein gar nichts von der Tragödie erahnen, die sich ein halbes Jahr später auf der „Reichenbach“ ereignen sollte. Doch bleiben wir zunächst bei der schönen Aufnahme.

Eine perfekte Komposition

Die Aufnahme spiegelt sehr schön die strenge Hierarchie auf den damaligen Schiffen wider. In der Bildmitte sitzt – natürlich – der Kapitän, flankiert von seinem ersten Offizier (links) und dem Chefingenieur (rechts). Den „drei Eisheiligen“, wie Kapitän, erster Offizier und leitender Ingenieur von der Mannschaft spöttisch genannt wurden, stehen als einzigen Stühle zu. Die anderen Decksoffiziere und Maschinisten müssen hinter ihnen stehen.

In der Mitte hinter dem Kapitän der zweite Decksoffizier und der zweite Ingenieur, flankiert vom dritten Decksoffizier und dem dritten und vierten Maschinisten.

Auf dem Boden schließlich sitzen die beiden jungen Maschinisten-Assistenten. Sie müssen sich erst noch bewähren, bevor sie ihre Offizierskarriere beginnen können. Immerhin hat man den beiden einen Teppich zugestanden, auf den sie sich setzen konnten.

Die Reichenbach in Burnie
„Reichenbach“ in Burnie (1913, Tasmanien) © Mit freundlicher Genehmigung des Maritime Museum of Tasmania, Cyril Smith Collection vol. 11., https://ehive.com/collections/3906/objects/842355/reichenbach

Die Gesichter bekommen Namen

Dem Umstand, dass die Fotografie in Sydney aufgenommen wurde, haben wir es zu verdanken, dass wir den beteiligten Personen Namen zuordnen können. Es existiert nämlich eine Mannschaftsliste des Schiffes bei der Ankunft vom 18. November 1910. Ein echter Glücksfall!

Hier die Namen der Personen auf dem Bild gemäß der Mannschaftsliste:

Kapitän Heinrich Peters. Zu ihm gibt es in der Mannschaftsliste keine Angaben. Aus einer anderen Quelle erfahren wir, dass er etwa 53 Jahre alt war und aus Wustrow (Fischland) stammte.

Erster Decksoffizier/Steuermann: Eric Erikson, 26 aus Odensee (?), ev. Odense, Dänemark
Zweiter Decksoffizier: F./C. (?) Heinrich, 28 aus Sonderburg (bis 1920 deutsch)
Dritter Decksoffizier: Carl Blinne, 25 aus Hörde (heute ein Stadtteil Dortmunds)

Ein vierter Steuermann fehlt. Er war auf den Schiffen der DADG eigentlich ab dem Jahr 1904 üblich.

Erster Ingenieur/Maschinist: Joh. Weidemann, 41 aus Tönning (Nordfriesland)
Zweiter Ingenieur: Heinr. Niemann, 32 aus G… (?). In einer anderen Liste ist Mecklenburg angegeben.
Dritter Ingenieur: P. The(i)lig, 27 aus Neustadt
Vierter Ingenieur: Emil Kohler, 27 aus Steppnik (?), ev. Stepenitz

Schließlich die beiden Maschinisten-Assistenten: H./A.N. Flint (19, aus Hamburg) und N. Petersen (19, aus Westerland).

Anmerkung: Die Schreibweise von Namen und Orten ist in den handgeschriebenen Listen teilweise unleserlich.

Tjilatjap, steamships Reichenbach and Thueringen, about 1908
Die Frachtdampfer „Reichenbach“ (DADG, rechts) und „Thüringen“ (NDL, links) am Anleger in Tjilatjap, von der Insel Noesa Kambangan aus gesehen, um 1908, Digital Collections Leiden University Libraries, http://hdl.handle.net/1887.1/item:915206, Creative Commons CC BY License

Aufnahmeort und Anlass

Über den Aufnahmeort informiert uns eine Zeitungsmeldung: Demnach wurde das Schiff am Tag der Ankunft an das Kai Nr. 1 in Woolloomooloo verholt.

Die Kais im Stadtteil Woolloomooloo waren der feste Liegeplatz der DADG-Flotte in Sydney.

Über den Anlass hingegen, der zu dieser Aufnahme führte, können wir nur spekulieren. Immerhin hatte man einen Fotografen engagiert, der an einem Sonntag auf das Schiff gekommen war und alle hatten sich für das Foto schön herausgeputzt. Aber warum?

Numerous vessels moored at Woolloomooloo wharf, including MANNHEIM to the left. Mai 1914
Dampfschiffe im Hafen von Woolloomooloo, Mai 1914, links im Bild die „Mannheim“, Deutsch-Australische Dampfschiff-Gesellschaft; Australian National Maritime Museum on The Commons, Object no. 00017565

Stark unterbesetzt

Mit den Namen der abgebildeten Herren weist die Mannschaftsliste insgesamt 31 Namen auf (siehe Abbildung unten).

Die Sollstärke der „Reichenbach“ lag jedoch bei 40 Mannschaftsmitgliedern, den Schiffsführer mit einbegriffen. Es fehlten also neun Leute. Sie sind wahrscheinlich in Melbourne desertiert.

Besonders die kleine Zahl an Matrosen (3) ist auffällig, normalerweise sollten das acht Seeleute sein. Und zehn Heizer/Kohlenzieher (Trimmer) sind auch nicht genug. Hier hatte man in Melbourne bestimmt auch deren vier verloren.

crew list, Reichenbach, 18. November 1910
Mannschaftsliste der „Reichenbach“ beim Eintreffen in Sydney am 18. November 1910; Hafenbehörde Sydney, Quelle: Mariners and Ships in Australian Waters; http://marinersandships.com.au/

Das tragische Ende Kapitän Peters‘

Ein halbes Jahr nach der Aufnahme, am Freitag, den 12. Mai 1911 kurz vor 14 Uhr schoss sich Kapitän Heinrich Peters in seiner Kabine mit einer Pistole in den Kopf. Er war sofort tot. Kapitän Peters wurde 53 Jahre alt.

Der erste Stewart der „Reichenbach“ hatte den ersten Offizier Erikson informiert, dass er aus der Kabine des Kapitäns einen Schuss gehört hatte. Daraufhin ging Erikson in Begleitung des zweiten und dritten Steuermanns in die Kabine des Kapitäns. Dort fanden sie den leblosen Körper des Kapitäns zusammengesackt in seinem Stuhl. Dem eilig hinzugerufenen Arzt blieb nur, den Tod zu bestätigen.

Heinrich Peters, master, Reichenbach, German Australian line,1910
Kapitän Heinrich Peters am 20. November 1910 auf der „Reichenbach“ in Sydney, Vergrößerung aus dem Titelbild, Aufnahme aus Familienbesitz, mit freundlicher Genehmigung von Nicole Jahn und Peter Strehl

Was war passiert?

Kurz vor seinem Tod, der sich gut eine Stunde vor der geplanten Abfahrt der „Reichenbach“ aus Port Adelaide in Richtung Hamburg ereignete, hatte die Reederei Kapitän Peters von seinen Aufgaben als Kapitän entbunden.

Er sollte nach Sydney zur Niederlassung der DADG reisen und von dort mit einem anderen Schiff die Heimreise antreten.

Es liegt nahe, dass Kapitän Peters diese Schmach nicht ertrug und seinem Leben ein Ende setzte.

Peters war 1906 als Kapitän zur DADG gekommen und hatte die „Reichenbach“ im Jahr 1907 übernommen.

Krank durch Alkohol

Grund für die Abberufung waren zahlreiche Alkoholexzesse des Kapitäns in der Vergangenheit, zuletzt in der Woche vor der geplanten Abfahrt aus Port Adelaide.

Sein Stellvertreter, Erikson, hatte die letzte Indisponiertheit seines Vorgesetzten den Agenten der Reederei gemeldet, was vermutlich das Fass zum Überlaufen brachte und zu seiner Absetzung führte.

Einer seiner Offiziere bezeichnete Kapitän Peters gegenüber der Tageszeitung Daily Herald als Opfer der Trunksucht, einer anderer nannte seinen Tod ebenfalls eine Folge des Alkoholismus.

Der Frachtdampfer „Reichenbach“ verließ Port Adelaide mit vier Tagen Verspätung am Dienstag, den 16. Mai 1911.

Mit Kapitän Kiel hatte die Reederei schnell einen Ersatz gefunden, der das Schiff nach Hamburg steuerte.

Das Geschäft musste weitergehen.

Melbourne Parliament about 1910

Das Parlamentsgebäude in Melbourne

Titelbild: Melbourne, Parlamentsgebäude, Postkarte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft aus dem Jahr 1913, unbekannter Fotograf, eigene Sammlung

Spiegelbild einer reichen Stadt

Heute zeige ich Ihnen eine historische Ansichtskarte des imposanten Parlamentsgebäudes in Melbourne.

Die Karte ist Teil eines Ansichtskartenheftes mit 24 (?) Karten, das die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft Hamburg im August/September 1913 herausgegeben hat. Anlass war sicherlich das 25-jährige Jubiläum der Reederei. Es wurde am 16. September 1913 in Hamburg feierlich begangen: https://frachtdampferfuerth.com/2019/02/02/25-jahre-deutsch-australische-dampfschiffahrts-gesellschaft/

Die Stadt Melbourne ist mit zwei Ansichten in dem Kartenheft vertreten. Die zweite Ansicht, die den Fluss Yarra und die belebte Flinders Street zeigt, habe ich Ihnen hier vorgestellt: https://frachtdampferfuerth.com/2022/10/29/melbourne-flinders-street-edina/

Das mächtige Gebäude spiegelt den Reichtum und den Ehrgeiz des australischen Bundesstaates Victoria im 19. Jahrhundert wider. Sein Bau begann im Jahr 1856 und bis heute unvollendet geblieben.

Die Anfänge des Parlaments

Am 1. Juli 1851 war der Bundesstaat Victoria formell gegründet worden. Im gleichen Jahr führten Goldfunde bei den Orten Ballarat und Bendigo zu einem Goldrausch, der Bevölkerung und Wohlstand sprunghaft ansteigen ließ. Ohne dieses Zusammentreffen der Ereignisse wäre das Parlamentsgebäude sicher deutlich bescheidener ausgefallen.

Die Einwohnerzahlen Melbournes zu dieser Zeit verdeutlichen diese Entwicklung: lag die Zahl im Gründungsjahr Victorias 1851 noch bei bescheidenen 29.000 Einwohnern, so waren 1854 bereits 123.000 Einwohner in Melbourne registriert.

1854 wählte der gesetzgebende Rat das Grundstück für das künftige Parlamentsgebäude am Ende der Bourke Street/Ecke Spring Street aus, ein Jahr später erhielten die Architekten John George Knight und Peter Kerr den Auftrag für Gestaltung und Bau des Gebäudes und bereits im Jahr 1856 waren die beiden gesetzgebenden Kammern als erste Gebäudeteile fertiggestellt. Ein beneidenswertes Tempo!

Auf der anderen Seite bleibt festzuhalten, dass die Besitzergreifung des Grundstückes in kolonialer Manier erfolgte. Die indigenen Wurundjeri hatte niemand gefragt.

Parliament Victoria about 1892
Melbourne, Parlament, gesetzgebende Kammer, Aufnahme von Fred Hardie, ca. 1892/93; National Library of Australia, trove.nla.gov.au

Schrittweise Erweiterung

Es war von Anfang an vorgesehen, das Gebäude schrittweise zu erweitern. Bereits 1861 wurde die Parlamentsbibliothek hinter den Kammern eröffnet.

Parliament of Victoria, library, about 1870
Melbourne, Parlamentsbibliothek, Aufnahme ca. 1861 – 1879, National Library of Australia, trove.nla.gov.au

Diese beiden ersten Gebäude waren später von der Bourke Street/Spring Street aus nicht mehr sichtbar, denn 1879 wurde eine große Halle und das Vestibül davorgesetzt und schließlich 1888 die prominente Fassade zur Straße hin, die den Anblick des Gebäudes bis heute bestimmt.

Melbourne war durch den anhaltenden Goldrausch zu einer der reichsten Städte der Welt geworden und die mächtige Fassade spiegelt dies auch wider.

1892 erhält das Parlament noch einen repräsentativen Treppenaufgang und gusseiserne Leuchter.

Drei Jahre zuvor war es jedoch zu einer Immobilienkrise und einigen Bankenpleiten gekommen, die auch die frühen 1890er Jahre noch erschüttern sollte. Das Geld in der Stadtkasse wurde plötzlich knapper und eine geplante große zentrale Kuppel auf dem Gebäude und ein ebenfalls angedachter Südflügel wurden daraufhin nicht realisiert. Beide sind bis heute nicht umgesetzt worden. Der unten abgebildete Holzschnitt zeigt den ursprünglichen Entwurf aus den 1850er Jahren:

Melbourne Parliament, original design, 1850s
Melbourne, Parlamentsgebäude mit geplanter Kuppel und ebenfalls geplantem Südflügel (im Bild rechts), handkolorierter Holzschnitt aus den 1850er Jahren von F.A. Sleap, National Library of Australia, trove.nla.gov.au

Im 20. und 21. Jahrhundert

Aus den 1920er Jahren stammt ein dreistöckiger Gebäudeteil mit Küche und Gastronomie, der die Abgeordneten an den langen Sitzungstagen versorgen kann.

Zuletzt wurde 2018 ein Anbau mit 102 Büros für Parlamentsmitglieder fertiggestellt. Für diese war in dem niemals fertiggestellten Hauptgebäude kein Platz vorhanden.

parliament victoria, invitation, 1901
Einladungskarte zu einem Empfang im Parlament aus dem Jahr 1901, Museums Victoria Collections, https://collections.museumsvictoria.com.au/items/2043035

Quelle und weitere Informationen

Parliament of Victoria, offizielle Webseite: new.parliament.vic.gov.au

Geführte Touren machen das Gebäude der Öffentlichkeit zugänglich. Einen ersten Eindruck vermittelt auch ein virtueller Rundgang, der ebenfalls auf der Seite new.parliament.vic.gov.au angeboten wird.

Mehr historische Aufnahmen sowie Informationen über Melbourne gibt es neben dem erwähnten Artikel über die Flinders Street auch in diesem Blogartikel: Tagebuch (12): Die „Fürth“ in Melbourne.

Parliament of Victoria
Melbourne, Parlament, stereographische Karte der Keystone View Co. aus dem Jahr 1921, Library of Congress, Washington DC, loc.gov