Archiv für den Monat April 2022

marseille pont transbordeur

Die Schwebefähre in Marseille

Symbol des Fortschritts

Heute führen uns die Reisen des Dampfschiffes „Fürth“ nach Marseille. In der ersten Hälfe des 20. Jahrhunderts wurde die Silhouette des Hafens durch die beeindruckende Konstruktion der Schwebefähre (frz. pont transbordeur) geprägt.

Bei einer Schwebefähre handelt es sich im Prinzip um eine Fähre, die an einer großen Stahlkonstruktion aufgehängt ist.

Konzipiert wurde die Schwebefähre in Marseille von Ferdinand Arnodin. Der 1845 in Lyon geborene Ingenieur hatte bereits Schwebefähren in Bilbao (1889), Rouen (1897), Bizerta (1898) und bei Rochefort (1899) konstruiert und er erhielt im März 1902 die Erlaubnis, eine Schwebefähre über die Einfahrt des alten Hafens von Marseille zu errichten.

Die Schwebefähre verband die Nordseite, wo sich Fort Jean befindet mit der Südseite der Hafeneinfahrt, die von Fort Nicolas dominiert wird. In diesem Fort verbrachte der Kapitän der „Fürth“, Friedrich Walt(h)er Richter, einen Teil seiner Gefangenschaft während des Ersten Weltkrieges. SIEHE: Der Kapitän der „Fürth“ in Gefangenschaft in Marseille

Die Bauarbeiten an der Schwebefähre begannen im Jahr 1903 und im Dezember 1905 konnte die Fähre bereits eingeweiht werden. Für eine Überfahrt wurden 1 ½ Minuten benötigt, bei starkem Wind konnte sich die Fahrt um eine Minute verlängern.

marseilles transporter bridge

Marseille, Schwebefähre, Aufnahme ca. 1905-1914 ; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pont_Transbordeur-03.jpg

Wahrzeichen von Marseille

Für viele Einwohner Marseilles war die Schwebefähre ein Symbol des Fortschritts und der Identifikation, ähnlich wie es der Eiffelturm für die Pariser geworden war.

Jedoch fand die Schwebefähre nicht jedermanns Zustimmung. Besonders muss dies für die Fährleute (bateliers) gegolten haben, die Passagiere mit kleinen Booten über die Hafeneinfahrt ruderten. Auch größere motorbetriebene Barkassen stellten die Überfahrt sicher. Die drei Dienstleistungen sollten parallel zueinander weiterexistieren.

Die Kapazität der Schwebefähre betrug bis zu 300 Personen, beim Transport von Karren oder Fahrzeugen entsprechend weniger.

Die Pfeiler der Schwebefähre hatte eine Höhe von 86,60 Metern und standen 165 Meter auseinander. Auf 50 Metern Höhe waren sie durch einen 240 Meter langen horizontalen Brückenträger verbunden auf dem sich die Tragevorrichtung für die Fährplattform befand, die mit 30 Stahlseilen daran befestigt war.

Eine Besonderheit der Schwebefähre in Marseille war, dass die Hafeneinfahrt über sie auch zu Fuß überquert werden konnte. Dazu gab es seit 1907 in beiden Pfeilern Treppen, die nach oben auf den Brückenträger führten. Im Nordpfeiler wurde später auch ein Aufzug eingebaut. Auf 74 Metern Höhe befand sich außerdem eine Aussichtplattform, die über eine Wendeltreppe erreicht werden konnte.

Eine Attraktion waren auch vier Pavillons, die sich auf oben auf dem horizontalen Brückenträger befanden: ein Souvenirshop, eine Bar und sogar ein Restaurant. Der vierte Pavillon diente als Maschinenhaus.

Das auf Fische und Meeresfrüchte spezialisierte kleine Restaurant von Honoré Raybaud erfreute sich großer Beliebtheit, was auch auf die einmalige Aussicht zurückzuführen war, die die Gäste hier genießen konnten.

Spätere Geschichte

In den 1930er Jahren wurde der Betrieb der Schwebefähre zunehmend unrentabel.

Im Juni 1939 wurde schließlich der Abbau beschlossen. Letztlich waren es aber deutsche Besatzungstruppen, die am 22. August 1944 die Konstruktion der Schwebefähre sprengten, um die Hafeneinfahrt zu blockieren. Allerdings fiel dabei nur der nördliche Pfeiler. Der stehen gebliebene Teil wurde dann im September 1945 gesprengt und abgetragen.

Neuere Pläne für den Wiederaufbau einer Schwebefähre wurden nie realisiert, zuletzt war ein Projekt des Architekten Paul Poirier im Jahr 2017 von der Stadt Marseille abgelehnt worden.

Die einzig verbliebene Schwebefähre in Frankreich ist heute die Schwebefähre bei Rochefort (Pont transbordeur du Martrou).

Eine Überfahrt ist für jeden Technikfan (aber nicht nur) ein ganz besonderes Erlebnis.
(https://www.pont-transbordeur.fr/ ; Seite in französischer und englischer Sprache).

Sehr viel ausführlicher und mit vielen Fotos ist die Geschichte der Marseiller Schwebefähre hier dokumentiert: http://ponttransbmarseil.free.fr/sommaire.php (in französischer Sprache).

Warenverkehr nach Marseille

Regelmäßige Frachten der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) und damit auch des Frachtdampfers „Fürth“ nach Marseille waren Kopra und Häute (Marseille wurde nur auf der Heimreise von Niederländisch-Indien und Australien nach Hamburg angelaufen).

Aus Kopra wurde Kokosfett gewonnen, das zur Herstellung der bekannten Marseiller Seife verwendet wird. SIEHE: Die Fracht der „Fürth“ – Kopra

Auch Häute wurden regelmäßig in Marseille angeliefert. Die im Umland der Stadt gelegene Gemeinde Barjols (Departement Var) war mit knapp dreißig Gerbereien ein Zentrum der französischen Lederproduktion.

Seltener wurde auch in Marseille Fracht geladen: Ölkuchen, der als Tierfutter in Deutschland Verwendung fand.

Die typische Würfelform der Marseiller Seife

Savon de Marseille, Marseiller Seife besteht aus 72 % pflanzlichen Fetten; Kokosnussfett ist immer enthalten (Bild: Pixabay)

Antwerp about 1912, steamship Elmshorn

„Elmshorn“ lädt in Antwerpen

Titelbild:
Die Schelde in Antwerpen und der Dampfer „Elmshorn“ beim Laden für Australien; Ansichtskarte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, 1913, ungelaufen, eigene Sammlung

Heute zeige ich Ihnen eine weitere Ansichtskarte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, die die Reederei sehr wahrscheinlich zu ihrem 25jährigen Jubiläum im September 1913 veröffentlicht hat.

Da die Reederei eine reine Frachtschiffreederei war und keine Passagiere beförderte, hat die Karte einen gewissen Seltenheitswert. Zumindest ist sie nicht oft zu finden.

Leider wurde die Kartenserie „nur“ im Offsetdruck hergestellt und die Karten haben nicht die Brillanz von Karten, die im Lichtdruck produziert wurden. Über diese überlegene Technik hatte ich hier berichtet: Der Strandhöft im Jahr 1905

Die Stadtsilhouette von Antwerpen

Die Stadtsilhouette von Antwerpen wird dominiert von der Liebfrauenkathedrale (Onze-Lieve-Vrouwekathedraal). Der 123 Meter hohe Turm ist eine weithin sichtbare Landmarke und die Kirche der größte gotische Dom in den Beneluxländern.

Rechts neben dem hohen Turm sieht man den kleinen Vierungsturm, der ebenfalls zur Kathedrale gehört, jedoch nie fertiggestellt und im 17. Jahrhundert mit einer Holzkonstruktion abdeckt wurde.

Über dem Vorschiff der „Elmshorn“ sieht man Burg Steen, die Stadtburg von Antwerpen. Sie geht auf des 12. Jahrhundert zurück. Zur Zeit dieser Aufnahme war hier ein Museum untergebracht, heute ist es die Touristeninformation von Antwerpen.

Der „Stammplatz“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) war eigentlich etwas weiter südlich am Quai St. Michel. An der Stelle, an der die „Elmshorn“ auf der Ansichtskarte zu sehen ist, legten normalerweise Schiffe des Norddeutschen Lloyd an.

Aber dort hätte der Fotograf das Dampfschiff nicht so schön mit Dom und Schloss in Szene setzen können.

Antwerp, Schelde, Steen, about 1910

Antwerpen, Partie an der Schelde mit Burg Steen, Postkarte, gelaufen Juli 1917, Aufnahme vermutlich vor dem Ersten Weltkrieg; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Antwerpen_-_Schelde.jpg

Das Dampfschiff „Elmshorn“

Das knapp 125 Meter lange Schiff wurde am 19. November 1910 für die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) in Dienst gestellt. Gebaut worden war der Frachtdampfer auf der „Hauswerft“ der DADG, der Flensburger Schiffbau-Gesellschaft.

Das Titelfoto mit der Ansicht von querab backbord zeigt schön den typischen Aufbau der DADG-Dampfschiffe (von links nach rechts): die Back mit den Mannschaftsunterkünften, das sog. Versaufloch, das die Position des tieferen Welldecks mit Ladeluke 1 kennzeichnet, den vorderen Mast, die zweite Ladeluke dahinter und dann das Steuerhaus, das vom Maschinenhaus getrennt war. Zwischen beiden liegt Laderaum drei, der auf den langen Fahrten als Reservebunker für zusätzliche Kohlen genutzt wurde. Hinter dem Maschinenhaus lagen die Räume 4 und 5, mit einer Luke vor und der anderen hinter dem zweiten Mast. Schließlich das Heck mit der Handrudereinrichtung und verschiedenen kleineres ‚Stores‘, also Lagerräumen für Betriebsmittel, Post, Pakete oder Nahrungsmittel.

Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges suchte die „Elmshorn“ in Manila Zuflucht. Kapitän Peter Kiel und andere Mannschaftsmitglieder müssten 1917 dann nach Hot Springs in North-Carolina gekommen sein, denn die Philippinen waren zu diesem Zeitpunkt amerikanische Kolonie.
SIEHE dazu den Artikel: Angelpartie in Hot Springs

Elmshorn, Capetown, Table Mountain, about 1912

Der Frachtdampfer „Elmshorn“ im Hafen von Kapstadt vor dem Tafelberg; © R. Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven 1984, Aufnahme aus der Sammlung A. Kludas

Das Schiff „Elmshorn“ wurde im Januar 1918 als USS „Casco“ wieder in Fahrt gebracht.

Interessanterweise kaufte die DADG das Schiff 1922 zurück, benannte es zunächst aber „Mannheim“ bevor es 1925 den alten Namen „Elmshorn“ zurückerhielt. Vielleicht hatten die Elmshorner bei der Reederei protestiert. Der Grund für die nachträgliche Namensänderung ist meiner Kenntnis nach jedoch nicht dokumentiert.

Weitere Details zu dem Frachtdampfer „Elmshorn“ gibt es bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Elmshorn_(Schiff,_1910)

Von Interesse ist auch immer die Frage, warum ein Schiff den Namen einer bestimmten Stadt erhielt. Naheliegend ist, dass die Reederei die Schiffe nach Städten benannte, in denen wichtige Geschäftspartner ansässig waren, die regelmäßig Waren über die Reederei aus- oder einführten.

Bei dem Schiff „Elmshorn“ führt die Spur zur Elmshorner Lederindustrie.

Die Stadt Elmshorn

Elmshorn war der bedeutendste Industriestandort in Südwestholstein. Der größte Industriezweig wiederum war die Lederindustrie.

„1890 existierten 31 Gerbereien. … Der Aufstieg Elmshorns zu einer bedeutenden Lederstadt Norddeutschlands beruhte auf der günstigen Lage zu Hamburg. Der Hamburger Hafen war der größte Häute-Einfuhrhafen Europas. Importiert wurden überwiegend Rinderhäute, die vor allem zu Leder für Schuhsohlen verarbeitet wurden.“
Quelle: www.industriemuseum-elmshorn.de

Eine dieser Gerbereien war die 1873 gegründete Lederfabrik Johann Knecht & Söhne. Mit bis zu 500 Arbeitnehmern entwickelte sie sich zum größten Arbeitgeber Elmshorns. Die Fabrik in den sogenannten Knechtschen Hallen existierte bis zum Jahr 1953.
Quelle: https://www.knechtschehallen-elmshorn.de/knechtsche-hallen/lederfabrik-knecht/

Heute (April 2022) ist das Schicksal der Fabrik ungewiss. Ein Freundeskreis bemüht sich um deren Erhaltung.

Regelmäßige Fracht

Häute waren an Bord der Schiffe der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft eine regelmäßige Fracht.

Man unterscheidet zwischen Häuten von Rindern oder Büffeln (hides) und Häuten kleinerer Tiere, vor allem Schafen oder auch Ziegen (skins).

Der lange Transportweg der Häute war nicht unproblematisch, da die Zersetzung nach dem Töten der Tiere einsetzt und erst durch den Gerbprozess gestoppt wird. Um den Zerfall möglichst lange hinauszuzögern wurden und werden die Häute nass/trocken gesalzen oder getrocknet.

In den australischen Exportlisten liest sich das dann zum Beispiel wie folgt:

FUERTH, G.A., s.
For Antwerp and Hamburg.
Sailed Brisbane July 10, 1914.
Brabant and Co., agents. –
ANTWERP.

Denham Bros (R’p’ton) Ltd., 500 wet salted hides
Mofflin and Co. Ltd., 500 wet 250 dry salted hides
Geo. Wilcox and Co., 1500 wet salted hides
and C. Kreglinger, 500 dry salted hides
HAMBURG.
Denham Bros. (R’p’ton) Ltd., 2988 wet salted hides
W. H. Turner and Co., 345 wet salted hides
and C. Kerglinger, 500 wet hides

Quelle: Daily Commercial News and Shipping List, Sydney, 14. Jul 1914, S. 17, Export Manifests.
Queensland

A/S Hertz' Garveri & Skotojsfabrik, Köbenhavn, Danmark

A/S Hertz‘ Garveri & Skotojsfabrik in Kopenhagen, Bearbeitung der Häute, Quelle: http://www.heilesen.dk/ahertz/ahfabrik.html

Je nach Konservierung wurden die Häute zu Dampfschiffzeiten in Ballen, Bündeln, Tonnen, Fässern oder Säcken transportiert.

Hier im Blog hatte ich über eine Lieferung von Häuten an die Schuhfabrik Hertz in Kopenhagen berichtet. Diese Lieferung war Gegenstand eines umfangreichen Schriftverkehrs, da die Häute durch den Ausbruch des ersten Weltkrieges nie in Kopenhagen angekommen und durch langen Transport und Lagerung schließlich auch unbrauchbar geworden waren.

SIEHE: Die Fracht der „Fürth“: Häute aus Australien für Schuhe aus Dänemark

Andere Lieferungen aus Australien landeten sicher in Elmshorn und wurden dort zu Schuhwerk und anderen Lederartikeln verarbeitet.

Die erste Globalisierung war in vollem Gange. Die Konsumenten dürften sich jedoch keine Gedanken gemacht haben, woher das Material für ihre Schuhe stammte.

Hertz Garveri Skarvhuset Köbenhavn

A/S Hertz‘ Garveri & Skotojsfabrik, Reinigung der Häute, Quelle: http://www.heilesen.dk/ahertz/ahfabrik.html

Anmerkung:

Auch Gerbstoffe für die Lederindustrie wurden von der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft nach Deutschland importiert.

Siehe dazu den Beitrag: Gambir und Eucalyptusrinde

New Farm Wharf Brisbane 1912 - 1913

Grüße aus Brisbane

Titelbild: Frachtdampfer „Düsseldorf“ an der New-Farm-Wharf in Brisbane, Postkarte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, undatiert und ungelaufen, Aufnahme aus den Jahren 1912/1913; eigene Sammlung

Im Zeitalter Eduards VII.

Heute gibt es im Blog ein paar schöne historische Aufnahmen aus Brisbane, der drittgrößten Stadt Australiens.

Den Anfang macht eine Fotografie des Frachtdampfers „Düsseldorf“ an der New-Farm-Wharf.

Die „Düsseldorf“ war 1912 in Dienst gestellt worden. Über das Schiff hatte ich im Zusammenhang mit dem Aufnahmelager für gestrandete Deutsche in Barcelona berichtet. Hier war es kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges am 23. Juli 1914 angekommen und verblieb bis Kriegsende dort.

Hier geht es zum Artikel: Gestrandet in Barcelona

Die New Farm Wharf in Brisbane war 1912 ausgebaut worden und bot dem Überseeverkehr eine bessere Infrastruktur mit direktem Bahnanschluss.

NEW FARM WHARF.
ADDITIONAL IMPROVEMENTS.

Situated at the terminus of one of the tram services, the New Farm Wharf, recently constructed at considerable cost, has been well alvanized by vessels of various lines calling at Brisbane. The wharf is conveniently situated for the overseas trade, railway communication being obtained by the Bulimba branch line, two sets of rails running the entire length of the wharf in front of the commodious cargo sheds, while at the rear of the wool stores there is another set of rails, which allows wool to be transferred from railway trucks direct to the stores. The whole of the work in connection with the property is not yet completed, and it is only quite recently that a 6ft alvanized iron fence with massive gates was put up. At the present time the new wharf has a quay line of 800ft., but the demands made by shipping have been so great that the owners of the property, it is understood, have decided to extend the wharf to a total length of 1000ft. A feature in connection with the distribution of cargo from the wharf is the running of big motor lorries, seven of these vehicles being at present in use.
The Brisbane Courier, 30. Aug 1912, S. 6

South Brisbane Reach, about 1906

Kohlenanleger am South Brisbane Reach am Brisbane River; Postkarte, gelaufen im September 1906 von Wooloomin, einem Vorort von Brisbane nach Manchester, eigene Sammlung.

South Brisbane Reach

Ein anderes Schiff der Deutsch-Australischen Dampfschiff-Gesellschaft findet sich auf einer Postkarte des Kohlenanlegers im Brisbane River. Es ist einer der typischen „Zweischornsteiner“ der Meißen-Klasse.

Insgesamt zwölf Schiffe liefen nach diesem Baumuster bei der Flensburger Schiffbau-Gesellschaft vom Stapel: „Meißen“, „Elbing“, „Bielefeld“, „Varzin“, „Harburg“, „Itzehoe“, „Magdeburg“, „Kiel“, „Duisburg“, „Laeisz“, „Apolda“, „Rostock“ (in der Reihenfolge ihrer Inbetriebnahme).

Die Postkarte ist im September 1906 gelaufen, das Bild also älter (nach 1900) und zu diesem Zeitpunkt waren noch alle „Zweischornsteiner“ für die DADG in Fahrt. Es bleibt daher offen, um welches der Schiffe es sich handelt.

Eine etwa fünfzehn Jahre ältere Aufnahme zeigt eine ganz ähnliche Perspektive des gleichen Anlegers. Viel verändert hatte sich seitdem nicht.

North Quay

Mit der nächsten Aufnahme begeben wir uns ins Stadtzentrum von Brisbane, Ecke North Quay und Victoria Bridge.

Brisbane Victoria Bridge and North Quay

North Quay und Milton Reach, Brisbane, am linken Bildrand ist die Victoria Bridge zu sehen; Postkarte, gelaufen (Poststempel unleserlich), ca. 1900 – 1914, eigene Sammlung.

Die Victoria Bridge aus dem Jahr 1897 war die zweite permanente Brücke an dieser Stelle. Die erste eiserne Brücke aus dem Jahr 1874 war bei der großen Überflutung Brisbanes im Jahr 1893 zerstört worden.

Die Brücke hatte zwei getrennte Fahrbahnen und auf den Seiten jeweils einen Fußweg. Sie musste erst 1969 einer leistungsfähigeren Brücke Platz machen.

Unten rechts im Bild das New Olympia Theater mit West’s Pictures. Hier konnten die Einwohner Brisbanes regelmäßig neue Filme bestaunen.

Die Zeit der elektrischen Straßenbahnen in Brisbane fällt übrigens genau mit der Lebensdauer der abgebildeten Victoria Bridge zusammen. Erste elektrische Trams fuhren 1897 und die letzten wurden im Jahr 1969 aus dem Verkehr gezogen.

Heute ist an dieser Stelle ein vielspuriger Verkehrsknotenpunkt. Den Charme, den der Platz im Zeitalter Eduards VII. innehatte, wird man vergebens suchen.

Victoria Bridge Brisbane

Brisbane, Victoria Bridge, 1906; Quelle: John Oxley Library über https://commons.wikimedia.org/wiki/File:BrisbaneCombinationTramVictoriaBridge1906.jpg

Nachtrag – Das Dampfschiff „Fürth“ in Brisbane

Der Frachtdampfer „Fürth“, ein Schiff der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft Hamburg, war auf seinen Australienreisen dreimal in Brisbane:

Das erste Mal auf der elften Australienfahrt vom 26. – 29. Mai 1912, dann direkt wieder auf der 12. Fahrt vom 22. – 24. November 1912 und ein letztes Mal auf der 15. und letzten Fahrt vom 5. bis 10. Juli 1914.

Von der letzten Fahrt ist das Logbuch erhalten. Die Einträge zu Brisbane finden Sie hier:

Die „Fürth“ in Brisbane (Tagebuch, Folge 14)

Hot Springs internment camp 1917

Angelpartie in Hot Springs

Titelbild:
Angelpartie, Hot Springs, North Carolina, Aufnahme vermutlich aus dem (Spät-)Sommer 1917, Press Illus. Service über commons.wikimedia.org
Originaltext: A beautiful river forms the western boundary of the camp affording the German fishermen to try their luck

Nur fast ein Idyll

Die letzten beiden Blogartikel über Sabotageakte in New York handelten von Explosionen, Bränden und anderen massiven Zerstörungen.

SIEHE: Sabotage in New York (Teil 1) und Sabotage in New York (Teil 2)

Zum Ausgleich dazu zeige ich Ihnen heute ein sehr friedliches Bild: Eine Angelpartie dreier Herren an einem Fluss.

Und doch steht die Aufnahme der drei Angler in direkten Zusammenhang mit den beiden Artikeln über New York.

Dazu gleich mehr.

Lassen wir uns zunächst die malerische Flusslandschaft auf uns wirken:

Der Hintergrund lässt erahnen, dass wir uns in einer Hügellandschaft oder den Bergen befinden. Auch die vielen Steine weiter hinten im Flussbett lassen darauf deuten, dass es sich um den Oberlauf eines Flusses handelt. An der Stelle, die sich die Herren zum Angeln ausgesucht haben, scheint der Fluss etwas angestaut zu sein. Ganz rechts blitzt über dem kleinen Steilufer die helle Wand eines Gebäudes durch die Bäume hindurch.

Der vordere der drei Herren lässt an einen Schiffsoffizier denken, dem Alter nach sehr wahrscheinlich ein Kapitän. Das Hemd mit hochgekrempelten Armen deutet auf angenehme Temperaturen hin. In der einen Hand hält er seine Pfeife, in der anderen Hand seine Angel. Die Angel ist allerdings ein Provisorium. Ein einfacher Stock, den er sich bestimmt selbst von einem der zahlreichen Bäume und Sträucher geschnitten hat.

Bei den beiden Herren dahinter fällt die Einordnung schwer, beide sind in Zivil. Ihre Angeln sind deutlich kürzer. Auch sie bestehen nur aus einfachen Stöcken.

In den Blue Ridge Mountains

Der Ort an dem diese Angelpartie stattfindet ist Hot Springs im westlichsten Teil des amerikanischen Bundesstaat North Carolina nur wenige Meilen von der Grenze zu Tennessee.

Die Berge, in den sich der Ort auf etwa 400 Metern Meereshöhe befindet, sind die Blue Ridge Mountains.

Hot Springs hatte sich Ende des 19. Jahrhunderts zu einem beliebten Ferien- und Badeort entwickelt. Der Name Hot Springs geht auf warme Quellen zurück, die hier genutzt wurden und die einen Bade- und Ferienort entstehen ließen.

Der Fluss, an dem die drei Herren auf Fische hoffen, trägt den ungewöhnlichen Namen French Broad River, ein Hinweis, dass der Fluss früher einmal in französisches Gebiet westlich der Blue Ridge Mountains floss. Aber das war lange vor der Zeit, zu der diese Aufnahme entstand.

Hot Springs Mountain Park Hotel 1902

Mountain Park Hotel in Hot Springs, North Carolina, Aufnahme aus dem Jahr 1902; Quelle: Library of Congress, Washington D. C., https://www.loc.gov/resource/det.4a09534/

Das Mountain Park Hotel in Hot Springs

Das einst mondäne Mountain Park Hotel in Hot Springs war seit 1913 nicht mehr gut gelaufen und so entschied sich sein Besitzer es an den amerikanischen Staat zu verpachten.

Dieser nahm das Angebot per Entscheidung vom 26. Mai 1917 an und nutzte das Hotel und das großzügige Areal darum herum, um deutsche Zivilgefangene, zum großen Teil Seeleute der beschlagnahmten deutschen Handelsschiffe hier unterzubringen.

Die Schiffoffiziere wurden in dem ehemaligen Hotel einquartiert. Für die Mannschaften wurden auf dem Gelände, das früher einen der ersten Golfplätze der Region beheimatete, in Windeseile 16 Holzbaracken errichtet. Außerdem Küchen-, Sanitärgebäude, eine Speisehalle und andere Bauten.

Die ersten Gefangenen erreichten Hot Spings am 8. Juni 1917. Eine offizielle Zahl vom Folgejahr, genauer gesagt vom 29. Juni 1918, gibt für das Internierungslager Hot Springs die Zahl von 2314 Gefangenen an.

Diese waren aus amerikanischen Häfen wie New York, New Orleans, Boston, San Francisco nach Hot Springs gebracht wurden, aber auch aus Manila von den Philippinen, die damals eine amerikanische Kolonie waren.

Manila ist aus Sicht des Blogs, der sich mit der Geschichte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) befasst, besonders interessant, da nach Kriegsausbruch auch drei DADG-Schiffe in Manila Schutz gesucht hatten: „Bochum“, „Elmshorn“ und „Esslingen“ (insgesamt waren es in Manila 18 deutsche Schiffe).

450 Personen, wahrscheinlich die Seeleute der 1917 beschlagnahmten Schiffe, kamen im Dezember 1917 im Immigrationszentrum Angel Island (San Francisco) an und wurden einen Monat später weiter nach Hot Springs gebracht.
Quelle: National Archives, When the „Enemy“ landed at Angel Island, Maria Sakovich, publications 2009, Vol. 41, No. 2

Ein anderes interessantes Detail ist, dass sich im Ort Hot Springs 27 deutsche Frauen mit 19 Kindern einmieteten, die in der Nähe ihrer internierten Männer sein wollten.

Neben den vielen Seeleuten war auch das komplette kaiserliche Orchester des dritten Seebataillon aus dem chinesischen Protektorat Tsingtao im Jahr 1918 in Hot Springs angekommen. Ihre Konzerte brachten den Gefangenen einige Abwechslung, waren aber auch bei der einheimischen Bevölkerung äußerst beliebt (die den Konzerten von der Plattform des Bahnhofs außerhalb des Lagers zuhören und zusehen konnten). In dem kleinen Ort, der aus nicht einmal 500 Einwohnern bestand, dürfte es sonst nur wenig kulturelle Angebote gegeben haben.

Eine sehr ausführliche Abhandlung über das Orchester finden Sie bei dem Musikwissenschaftler Paul Banks:
http://pwb101.me.uk/mahler-in-china-1907-2/ (in englischer Sprache)

Die Gefangenen bauten in der Zeit ihrer Internierung etliche Holzhäuser, die vom Stil an die Alpen erinnerten. Eine Kirche und auch eine Kapelle, ebenfalls aus Holz komplettierten die Szenerie. Besonders stolz dürften die Deutschen auf ein selbst gebautes Karussell gewesen sein. Eine Abbildung zeigt eine Gruppe der Gefangenen, die vor dem Fahrgeschäft posieren. Darunter sind auch einige Frauen, die offenbar zeitweise Zugang zum Lager hatten.

Eine andere Abbildung zeigt das Lager in verschneiter Winterlandschaft, es muss hier im Winter 1917/1918 also recht kalt geworden sein.

Trotzdem muss man Hot Springs im Vergleich zu vielen anderen Internierungslagern, als absolute Ausnahme ansehen. Zumindest war es in einen sehr idyllischen Rahmen gebettet und viele Bilder lassen eher an einen Ferienaufenthalt, als an ein Lager denken.

Begrenzte Idylle

Im Frühjahr 1918 entschied sich die amerikanische Regierung jedoch, alle Zivilgefangenen dem Verteidigungsministerium zu unterstellen. Für das Lager Hot Springs, das vom Arbeitsministerium geleitet worden war, bedeutete dies die Auflösung noch vor Kriegsende.

Alle Gefangenen sollten dann im Sommer 1918 nach Fort Oglethorpe im Bundesstaat Georgia gebracht werden. Den Internierten war klar, dass sie dort nicht die angenehmen Rahmenbedingungen vorfinden würden, wie in Hot Springs.

Ein Typhusausbruch verzögerte die Verlagerung und so dauerte es bis zum 31. August 1918, als alle Internierten mit Ausnahme der Erkrankten nach Fort Oglethorpe gebracht worden waren. Insgesamt waren 26 Todesfälle durch Typhus zu beklagen, 13 weitere Gefangene starben in Hot Springs an anderen Ursachen.

Hot Springs French Broad River 1902

French Broad River bei Hot Springs, Aufnahme von 1902; Quelle: Library of Congress, Washington D. C., https://www.loc.gov/resource/det.4a09538/

Kurzporträts von Gefangenen

Adolf Thierbach

Einer der Internierten war Adolf Thierbach. Er wurde am 17. Mai 1883 in Berlin geboren. Seit etwa 1908 war er Hoboisten-Unteroffizier im Orchester des III. Seebataillons.

Anmerkung: Hoboist war der Name eines Musikers in Infanterie und Marine unabhängig vom gespielten Instrument.

Thierbach hatte eine Plattenkamera und offenbar die Rolle eines (inoffiziellen) Lagerfotografen übernommen. Er machte während seiner Gefangennahme zahlreiche Fotoaufnahmen in Hot Springs. Ihnen ist es zu verdanken, dass heute noch ein visueller Eindruck des Lagers überliefert ist.

Die Aufnahmen befinden sich im Archiv der Madison County Public Library, der Hauptstadt des Countys, in dem sich der Ort Hot Springs befindet. Über die Seite http://ibiblio.org/ww1gd/Index.html sind sie online abrufbar.

Ein Porträt des Fotografen Adolf Thierbach gibt es hier: http://ibiblio.org/ww1gd/AboutThisProject.html

Thierbach wohnte nach dem Krieg in Berlin, der Adresseintrag weist ihn als Musiker aus. Zuletzt wohnte er am Prenzlauer Berg, er starb am 18. Februar 1956.

Mehr Informationen zu Adolf Thierbach: http://www.tsingtau.info/

Charles August Polack

Stellvertretend für die vielen internierten Kapitäne deutscher Handelsschiffe stelle ich hier Charles Pollack kurz vor. Der aus Grimma stammende Kapitän der „Kronprinzessin Cecilie“ war ein angesehener Handelsschiffskapitän des Norddeutschen Lloyd in Bremen.

Polack hatte New York am 28. Juli 1914 mit Ziel Bremerhaven verlassen. An Bord des NDL-Dampfers waren 1216 Passagiere und Gold im Wert von rund 15 Millionen Dollar. Nach Kriegsausbruch ließ Polack das Schiff auf dem Atlantik wenden und fuhr in die USA zurück um den Schutz des neutralen Landes zu suchen. Um der Kaperung durch britische Schiffe zu entgehen lief die „Kronprinzessin Cecilie“ zunächst nach Bar Harbor (Maine). Vor dem Winter wurde sie dann nach Boston gebracht.

Ein ausführlicheres Porträt von ihm finden Sie bei dem allseits bekannten Online-Lexikon.

Charles August Polack 1914 Norddeutscher Lloyd

Kapitän Charles August Polack (*1860 †1934) war Nautiker und Kapitän des Norddeutschen Lloyd (NDL) und für die Führung einiger der bedeutendsten Transatlantik-Passagierdampfer vor dem Ersten Weltkrieg verantwortlich. Er gehörte in jener Zeit zu den bekanntesten und angesehensten deutschen Handelsschiffsführern, Aufnahme von 1914; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Charles_Polack_by_Bain.jpg

Die Brüder Johann Orgel und Siegfried Orgel

Insgesamt müssen die Besatzungen (oder zumindest ein Teil davon) von sechs Schiffen der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) in Hot Springs gewesen sein:

„Harburg“ und „Magdeburg“ wurden in New York beschlagnahmt, die Schiffe „Esslingen“, „Elmshorn“ und „Bochum“ in Manila. Hinzu kam noch der Frachtdampfer „Kiel“, der in Southport, North Carolina, lag.

Wie es der Zufall will, waren unter den Kapitänen dieser Schiffe zwei Brüder: Johann Orgel, Kapitän der „Bochum“ und sein Bruder, Siegfried Orgel, Kapitän der „Magdeburg“.

Die beiden Brüder waren Söhne des Kapitäns Johann Christian Orgel aus Zingst.

Johann Orgel wurde 1870 in Zingst geboren und starb 1936 in Hamburg.

Das Familiengrab befindet sich auf dem Peter-Pauls-Friedhof in Zingst. Auf der Seite der Gemeinde finden Sie auch kurze Lebensläufe der Familie Orgel.

https://www.ev-kirche-zingst.de/friedhof/lebenslaeufe_orgel_johann-christian_und_charlotte.html

https://www.ev-kirche-zingst.de/friedhof/lebenslaeufe_orgel_liesbeth_johann.html

Demnächst im Blog

Wie von den Gefangenen bereits geahnt, bot Fort Oglethorpe nicht mehr die Annehmlichkeiten des Lagers Hot Springs.

Der für deutsche Zungen schwer auszusprechende Name Oglethorpe wurde von seinen deutschen Bewohnern schnell zu Orgelsdorf verballhornt.

Zeitdokumente, die Informationen über das Lager Oglethorpe und seine Bewohner bewahrt haben, sind Ausgaben der Lagerzeitugen Die Bombe und Orgelsdorfer Eulenspiegel.

Schlussbemerkung

Ich bin dabei, eine Genehmigung der Madison County Public Library einzuholen, um hier weitere Bilder aus Hot Springs zeigen zu können. Wenn ich diese bekommen sollte, wird ein zweiter Artikel über dieses Internierungslager folgen.

German vessels disabled

Sabotage in New York (Teil 2)

Titelbild: Meldung über Sabotageakte an den Maschinen deutscher Schiffe am 31. Januar 1917. Die Abbildung zeigt Schiffe an der 135th Street am Hudson; Fotograf: James W. Aide, New York Herald vom 3. Februar 1917; Quelle: Library of Congress, Washington D.C., loc.gov

Die Explosion der Munitionsfabrik in Kingsland und die Beschädigung deutscher Schiffe

Letzte Woche hatte ich hier im Blog über die deutsche Spionagetätigkeit in New York in den Jahren 1914 bis 1916 berichtet: Sabotage in New York (Teil 1)

In dieser Zeit waren unter anderem über dreißig Handelsschiffe der Alliierten sabotiert worden und der wichtigste Umschlagplatz für Munition im New Yorker Hafen, Black Tom Island, zerstört worden.

In der heutigen Fortsetzung geht es um das Jahr 1917, das Jahr in dem die USA am 6. April in den Ersten Weltkrieg eintreten sollten.

Kingsland fire 1917

Aufnahme vom Feuer in der Canadian Car and Foundry Company in Kingsland, welches auf die Explosionen vom 11. Januar 1917 folgte; Aufnahme vom 12. Januar 1917 (International Film Service Inc.); über commons.wikimedia.org

Das Kingsland-Desaster

Am 11. Januar 1917 brach in der Canadian Car and Foundry Company in Kingsland (heute Lyndhurst) ein Feuer aus. Die Fabrik produzierte Munition, die für den Export nach Großbritannien und Russland bestimmt war.

Das Feuer führte zu zahlreichen Explosionen, die die Fabrik in der Folge vollständig zerstörten. Der couragierten Telefonistin Tessie McNamara gelang es, die Arbeiter in den verschiedenen Gebäuden rechtzeitig zu warnen, so dass sich alle 1400 Arbeiter in Sicherheit bringen konnten.

Ausgebrochen war das Feuer an der Werkbank eines gewissen Theodore Wozniak. Dieser war von Curt Thummel, alias Charles Thorne in die Fabrik eingeschleust worden. Dieser wiederum war auf Anweisung des deutschen Saboteurs Friedrich Hinsch Mitarbeiter der Canadian Car and Foundry Company geworden.

Alle Indizien sprechen dafür, dass die Explosion von Kingsland ebenso wir diejenige von Black-Tom-Island auf den Sabotagering um Hinsch zurückgeht, wobei die genauen Zusammenhänge wahrscheinlich für immer im Unklaren bleiben werden.

An den Anschlägen auf Black Tom/Kingsland oder zumindest an deren Vorbereitung beteiligt war auch der deutsche Agent Fred Herrmann. Auf der Genealogieseite des Herrmann‘schen Familienverbandes ist ein detailreicher Artikel über ihn zu finden, der auch seine Verbindungen zu anderen Spionen und Saboteuren sowie weitere Sabotageakte aufzeigt.

https://genealogie-herrmann.de/im-geheimdienst-seiner-majestaet/

Der Artikel enthält auch eine kleine Literaturliste, wenn Sie sich näher mit diesem spannenden Kapitel deutscher Spionagegeschichte beschäftigen möchten.

Kingsland desaster 1917

Die Ruinen der Canadian Car and Foundry Company in Kingsland, New Jersey nach der Zerstörung vom 11. Januar 1917; Aufnahme vom 13. Januar 1917 (International Film Service Inc.); über commons.wikimedia.org

Beschädigung deutscher Schiffe

Ebenfalls im Januar 1917 hatte Deutschland die Aufnahme des uneingeschränkten U-Boot-Krieges beschlossen.

Auch das berühmte Zimmermann-Telegramm war im Januar 1917 abgeschickt worden.

Darin hieß es:

Ganz geheim. Selbst entziffern.
Wir beabsichtigen, am 1. Februar uneingeschränkten U Boot Krieg zu beginnen. Es wird versucht, Amerika trotzdem neutral zu halten. Für den Fall, daß dies nicht gelingen sollte, schlagen wir Mexiko auf folgender Grundlage Bündnis vor: Gemeinsame Kriegsführung. Gemeinsamer Friedensschluß. Reichliche finanzielle Unterstützung und Einverständnis unsererseits, daß Mexiko in Texas, Neu-Mexico, Arizona früher verlorenes Gebiet zurückerobert. …

Siehe dazu den Blogartikel: Das Geheimnis des Dampfschiffes „Hobart“

In der Folge brachen die USA am 3. Februar 1917 die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland ab.

Zum Zuschauen verurteilt

Ab Ende Januar 1917 begannen die deutschen Offiziere und Mannschaften auf Anweisung aus Berlin systematisch ihre eigenen Schiffe zu sabotieren, um sie dadurch für die erwartete Übernahme und Nutzung durch die Vereinigten Staaten unbrauchbar zu machen.

Dabei wurden vor allem Maschinenteile entfernt oder zerstört.

Das geschah nicht unbemerkt, allerdings hatten die USA als (noch) neutrales Land keine Handhabe gegen die Besatzungen und mussten den Zerstörungen tatenlos zusehen:

destruction of German vessels

Headline eines Artikels über die Beschädigung deutscher Schiffe in The Sun, New York vom 8. Februar 1917; Quelle: Library of Congress, Washington D.C., loc.gov

Eingreifen konnten die Amerikaner nur, wenn dadurch Schäden in Häfen oder bei anderen verursacht wurden.

Zu weit gegangen war die Besatzung des Dampfers „Liebenfels“ der Deutschen Dampfschifffahrtsgesellschaft „Hansa“, die ihr Schiff in der Hafenzufahrt von Charleston (South Carolina) versenkt hatten. Die beteiligten acht Offiziere wurden zu je 500 $ Strafe und einem Jahr Gefängnis verurteilt.
Quelle: verschiedene Tageszeitungen, z. B. The Bamberg Herald (South Carolina) vom 15. März 1917; loc.gov

declaration of war, German ships seized

Kriegserklärung der USA an Deutschland und Beschlagnahme aller deutschen Schiffe, Titelseite von The Washington Times, 6. April 1917; Quelle: Library of Congress, loc.gov

Kriegseintritt der USA

Der Kriegseintritt der USA erfolgte am 6. April 1917.

Zu dieser Zeit lagen in amerikanischen Häfen fast einhundert Schiffe, die meisten davon in New York.

Das größte der deutschen Schiffe war die „Vaterland“. Die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft hatte die beiden Frachtdampfer „Harburg“ und „Magdeburg“ in New York liegen.

German steamships in American ports

Liste deutscher Schiffe in den USA (Ausschnitt), The New York Herald vom 7. April 1917; Quelle: Library of Congress, loc.gov

Im New Yorker Hafen lagen die meisten Schiffe wiederum in Hoboken. Die Stadt am Hudson River gehört bereits zu New Jersey liegt aber direkt gegenüber von Manhattan. Hoboken war der wichtigste Anleger für die Transatlantikfahrt.

Einen Eindruck von Schiffen und Anlegern gibt diese Abbildung:

German ships in Hoboken

Deutsche Schiffe in Hoboken, The New York Herald vom 7. April 1917; Quelle: Library of Congress, loc.gov

Hamburg American Line Hoboken 1910

Eine Ansicht aus besseren Tagen: Anleger der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (HAPAG) in Hoboken, Postkarte, 1910; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hamburg-American_Lines_Piers_at_Hoboken.jpg

Die Beschlagnahme der Schiffe

Über die Beschlagnahme der deutschen Schiffe berichtete beispielsweise The Evening Telegram vom 6. April 1917:

… In New York Harbor alone German tonnage valued, at present rates at $ 100,000,000, was seized in the early hours, and by this afternoon 325 German officers and 1,200 men of the crews were interned on Ellis Island as the result of the swift, sure action of the neutrality squad of this port, acting under direction of Dudley Field Malone, Collector of the port.
Thirty-one vessels in all, ranging in size from the Vaterland, largest steamship afloat, to two sailing vessels, were in custody of United States officials this afternoon, while the German crews were being recorded at the detention station of Ellis Island.
…”

Die weitgehende Beschädigung der Schiffe durch ihre deutschen Mannschaften wurde auch in diesem Artikel bestätigt:

“Reports to the Treasury Department confirm statements that virtually every ship has been disabled. The extent of the damage will be determined as speedily as possible. Only six of those in New York are in condition for early use.”
The Evening Telegram, 6. April 1917 Quelle: Library of Congress, loc.gov

Die Mannschaften wurden mit Booten der amerikanischen Regierung von ihren Schiffen nach Ellis Island gebracht. Auf Teilen der Insel war ein Internierungslager für enemy aliens eingerichtet worden. Insgesamt handelte es sich um etwa 1.300 Personen.

German ships seized

Evening World, New York, Ausgabe vom 6. April 1917; Quelle: Library of Congress, loc.gov

Die relative geringe Zahl an Besatzungsmitgliedern kommt dadurch zustande, dass nach zweieinhalb Jahren Liegezeit im Hafen nur noch kleine Rumpfmannschaften auf den Schiffen verblieben waren, die zum Betrieb der Dampfer unbedingt notwendig waren.

Reparatur

Die deutschen Seeleute waren der Meinung, ihren Schiffen irreparable Schäden zugefügt zu haben.

Die amerikanischen Ingenieure der US Navy und des US Shipping Board belehrten sie jedoch eines besseren. Ihnen gelang es, die beschlagnahmten Schiffe bis Jahresende 1917, also in gut acht Monaten wieder in Fahrt zu bringen. Somit standen über 500.000 Bruttoregistertonnen zusätzlicher Schiffsraum für den Transport von Truppen und Material zur Verfügung.

Restoring to Service of 109 badly damaged ships

Artikel aus: Official U.S. Bulletin; 31. Dez. 1917; abgerufen über books.google.fr

„Harburg“ und „Magdeburg“

Die beiden Schiffe „Harburg“ und „Magdeburg“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft wurden wie alle deutschen Schiffe vom United States Shipping Board übernommen. Sie wurden umbenannt in „Pawnee“ (exHarburg) und „Neuse“ (exMagdeburg).

„Pawnee“ wurde 1922 an die California S.S. Co. in Panama verkauft, nicht umbenannt und 1928 in HongKong abgewrackt. „Neuse“ war bereits 1923 abgewrackt worden.
(Angaben nach Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, S. 30, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven 1984)