Archiv für den Monat September 2018

Danish steamer Cambodia in Geelong

Die Barwon-Papiermühle in Fyansford, Geelong

Holz aus Skandinavien für die australische Papierindustrie

Auf der neunten Australienfahrt der „Fürth“ haben wir gesehen, dass die Ladung des Dampfschiffes fast ausschließlich aus Holz (und Dynamit) bestand. Neben Dielen und Planken, war der Großteil für die Papiermühlen im Raum Melbourne/Geelong bestimmt (Die „Fürth“ in Skandinavien).

Eine der Papiermühlen, die über den Hafen Geelong beliefert wurden, war die Barwon-Papiermühle. Sie wurde 1878 an den Buckley Falls am Barwon River gegründet und seinerzeit mit einer Papiermaschine aus schottischer Produktion ausgestattet. Sie war die dritte Papiermühle in der Region.

Barwon paper mill, Fyansford

Die Barwon-Papiermühle in Fyansford, Geelong, Außenansicht, Jahresangabe sehr vage (ca. 1875 – ca. 1930)   Quelle: State Library of Victoria, J. H. Harvey Collection, Referenznummer H90.161/83

Wie andernorts auch, begann die Papierproduktion aus Hadern, die im „Rag House“, das bis zu hundert Arbeiterinnen Platz gab, nach Grundstoffen in Wolle, Leinen und Baumwolle getrennt wurden.

Nachdem die Hadern oftmals mit Knöpfen versehen waren, wurden diese abgetrennt und weggeworfen. So entstand neben der Papiermühle nach und nach eine Erhebung, der sogenannte „Button Hill“.

Das so vorsortierte Material wurde dann von messerscharfen Walzen zerkleinert und bei diesem Prozess auch gereinigt und von Staub befreit. Anschließend wurde die Masse aufgekocht, wobei das Fassungsvermögen im „Boiler-Haus“ zwei Tonnen betrug.

Erst später wurde der Rohstoff Hadern durch Holz ersetzt.

The Australian Paper Mills Co Ltd.

Als die „Fürth“ 1911 eine große Ladung für die Papiermühlen dieser Region anlieferte, waren die vormals eigenständigen Papiermühlen bereits zu einem einzigen Unternehmen zusammengeschlossen: „The Australian Paper Mills Co Ltd.“

Die Barwon-Mühle war bis 1923 in Betrieb. Noch vor wenigen Jahren verfiel die Mühle nach und nach und wie viele andere Industriebauten war sie vom Verschwinden bedroht.

Paper making machine, Barwon Paper Mill, Fyansford

Papiermaschine, Fyansford Paper Mills, Aufnahmedatum unbekannt (ca. 1875 – ca. 1930)   Quelle: State Library of Victoria, J. H. Harvey Collection, Referenznummer H90.161/370

Ab 2015 wurden umfangreiche Renovierungsarbeiten durchgeführt und die Mühle ist jetzt als Industriedenkmal wieder geöffnet. Nach einer Galerie und einem Café ist im Frühjahr 2018 auch ein Weinerzeuger mit Restaurant in die Mühle eingezogen.

Zwei schöne Artikel mit vielen Bildern gibt’s beim „Barwon Blogger“:
http://barwonblogger.blogspot.com/2011/07/from-rags-to-riches-or-just-milling.html
http://barwonblogger.blogspot.com/2015/06/from-paper-to-paint-putting-art-through.html

Wer mal in der Gegend ist: Vorbeischauen lohnt sich bestimmt! Und der Dampfschiff-Fürth-Blogger freut sich hinterher über ein kleines Souvenir aus der Barwon Paper Mill in Fyansford und wenn‘s nur ein alter Knopf ist!

buttons

Bild: Pixabay

Die „Cambodia“

Das Beitragsbild zeigt den dänischen Dampfer „Cambodia“ (East Asiatic Company, Kopenhagen), der vom 28. März bis Anfang April 1908 im Hafen Geelong eine große Ladung Holz aus Skandinavien löschte. Bildquelle: Geelong Heritage Centre Main Photographic Collection

Die „Cambodia“ war in der kurzen Zeit ihrer Existenz nur einmal in Geelong (bis 1906 war sie ein norwegisches Schiff unter dem Namen „Eidsvold“). Sie kam dort am 28. März 1908 mit 375 Standards Holz aus Skandinavien an (Geelong Advertiser vom 30. März 1908). Die Aufnahme dürfte daher von Anfang April 1908 sein, als das Schiff die Ladung oder einen großen Teil davon bereits gelöscht hatte. Ein weiteres Anlaufen des Hafens Geelong ist nicht dokumentiert. Im Februar 1910 strandete das Schiff in einem Schneesturm an der norwegischen Küste und war verloren (Hamburgischer Correspondent und neue hamburgische Börsen-Halle vom 17. Februar 1910, S. 42).

Frederiksstad Tilskuer

Holz aus Skandinavien

Die neunte Fahrt des Dampfschiffes „Fürth“ vom 5. April 1911 bis 24. September 1911 ist jetzt online. Es ist die einzige Fahrt der „Fürth“ auf der Skandinavien-Linie der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft.

In Schweden wurden Gothenburg (Göteburg) und in Norwegen Frederikstad angelaufen und dort große Mengen Holz geladen. Aber auch reichlich Sprengstoffe waren mit an Bord. In Australien gab es ebenfalls zwei neue Destinationen: Geelong in Victoria und Port Pirie in Südaustralien.

Leider taucht die „Fürth“ im Hafen von Geelong auch in der Kategorie „Schiffs-Unfälle“ auf.

Zum Abschluss werden wir noch erfahren, was es mit „Macassar Boengie“ auf sich hat.

Alle Details jetzt auf folgender Seite: In Skandinavien

Colombo harbour 1915

Der Untergang des Dampfers „Bergedorf“

– Schiffsunglück in Indien –

Reisen mit dem Dampfschiff waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit einem für heutige Verhältnisse relativ hohen Risiko verbunden. Schwere Stürme, Schiffskollisionen oder Navigationsfehler führten immer wieder zu Unfällen mit beschädigten Schiffen oder Totalverlusten. Die technische Ausstattung war noch rudimentär und vor dem Ersten Weltkrieg war nur ein kleiner Teil der Schiffe mit Funkanlagen ausgerüstet, von Radar ganz zu schweigen.

Insgesamt hat die DADG seit ihrer ersten Australienfahrt im Jahr 1989 bis zum Ersten Weltkrieg sechs Schiffe verloren. Das zeigt uns, dass die Seefahrt zur damaligen Zeit kein Ponyhof war und immer ein gewisses Risiko bestand, nicht wieder nach Hause in den Heimathafen zurückzukommen.

hawser - Trosse

Trosse (Bild Pixabay)

Kap Komorin

Am fünften April 1911, dem Tag, als der Dampfer „Fürth“ abends um 18.30 Uhr nach Gothenburg (Göteborg) in Schweden aufgebrochen ist, konnte man in der Neuen Hamburger Zeitung auf Seite 3 folgende Kurzmeldung lesen:

London. 4. April. Nach einer Lloydsmeldung aus Colombo ist der Dampfer Bergedorf von Sydney kommend, bei Kap Komorin gestrandet und zerschellt. Die Mannschaft wurde gerettet. Der Dampfer ist 1900 aus Stahl gebaut und gehört der Deutsch-Australischen Dampfschiffahrts-Gesellschaft. Größe 5000 Tons.
Neue Hamburger Zeitung, 05. Apr 1911, S. 3

Anm.: Kap Komorin ist die Südspitze des indischen Subkontinents.

Es ist nicht gesichert, dass die Besatzung der „Fürth“ diese Meldung noch vor der Abfahrt oder erst später erhalten hat, in jedem Fall dürfte es ein Schock gewesen sein, von den Kollegen solch schlechte Nachrichten erhalten zu haben.

Der Dampfer „Bergedorf“ war am Nachmittag des dritten April unter der Führung von Kapitän Winiker von Colombo abgefahren und befand sich auf der Heimreise nach Hamburg.
Quelle: Hamburgischer Correspondent und neue hamburgische Börsen-Halle, 04. Apr 1911, S. 44, Telegraphische Schiffsmeldungen.

sea gull

Bild: Pixabay.

Etwas mehr erfahren wir in einer Meldung zwei Tage darauf:

Ein Hamburger Dampfer verloren gegangen.
Der am 13. März von Sydney nach Hamburg abgegangene Hamburger Australdampfer „Bergedorf“ ist, wie aus Colombo gemeldet wird, vorgestern abend bei Kap Comorin gestrandet, durchgebrochen und gilt nebst Ladung als verloren. Die aus 43 Personen bestehende Besatzung ist gerettet. Der 4500 Brutto-Registertons große Dampfer wurde 1900 in Middlesborough aus Eisen erbaut und hat eine Triple-Expansionsmaschine von 2500 indizierten Pferdekräften. Die Unfallstelle befindet sich zwischen Bahia und Colombo, Niederländisch-Indien. An Bord befindet sich Wolle, Erz, Früchte und Stückgut. Die Schiffspapiere (Manifest, Journal usw.) sind geborgen. Die schiffbrüchige Mannschaft befindet sich an Bord eines anderen Dampfers bereits auf der Reise nach Hamburg.
Hamburger Anzeiger, 6. Apr 1911, S. 2

Was wir allerdings nicht erfahren, ist dass das Unglück einen Toten und einen Schwerverletzten gefordert hat. Das wird erst später bekannt werden.

Unfallursache

Zur Unfallursache heißt es später von Seiten der Geschäftsführung:

„Bei der seeamtlichen Untersuchung des Verlustes des Dampfers „Bergedorf“ ist festgestellt, daß die Führung unaufmerksam gewesen war, trotzdem hat das Seeamt es für gut befunden, die Reederei für mitschuldig zu erklären, weil sie nicht bei Antritt der Reise neu berichtigte Karten an Bord geliefert hatte. Das war eine willkürliche Entscheidung. Eine Pflicht, wie vom Seeamt verlangt, bestand nicht und ist auch nicht zu rechtfertigen. Die Reederei lieferte stets das Nachrichtenmaterial an Bord, nach welchen Karten und Bücher berichtigt werden konnten und mußten. Dazu war auf den langen Reisen, mehrfach zwei und drei Wochen und länger ohne Unterbrechung auf See, Zeit genug. Durch solche Entscheidung werden Kapitän und Steuerleute unselbständig gemacht, was für die Fahrt unerwünscht ist; außerdem führt sie zur Verschwendung.“

Nach dieser Lesart hatte es also die Schiffsführung versäumt, die an Bord befindlichen Seekarten mit Hilfe der neuen Informationen von der Reederei über das Schifffahrtsgebiet zu aktualisieren. Und weiter:

„Dieser Vorfall hat aber mit den Anstoß gegeben, daß eine Stelle zur ständigen Berichtigung der Seekarten in Hamburg eingerichtet worden ist. Andererseits hat aber der Spruch des Seeamts die Wirkung gehabt, daß Versicherer der Ladung den Versuch gemacht haben, mit Hilfe der Gerichte die Reederei für ihren Schaden haftbar zu machen. Dieser Prozeß ist bis zum Reichsgericht durchgeführt worden und überall zugunsten der Reederei ausgelaufen. Eingeklagt waren M 520 625.67.“
Beide Zitate aus: Otto Harms (1933): Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft

Die zweite Aussage ist für uns vor allem im Hinblick auf die Schadenssumme interessant, bewertet sie doch die Fracht des Schiffes in Mark und gibt uns einen Anhaltspunkt, welche materiellen Werte auf einer Reise transportiert wurden. Die Ladekapazität der „Bergedorf“ lag mit 7100 Tonnen etwa in der Größenordnung der „Fürth“ (7010 Tonnen).

boiler detail

Das Seeamt

Zum Abschluss wollen wir den Unfallhergang noch etwas detaillierter und objektiver betrachten. Dies ermöglichen uns Berichte über Verhandlungen vor dem Seeamt in Hamburg, die regelmäßig nach Schiffunfällen stattfanden und auch in der Presse veröffentlicht wurden.

Hafen und Schiffahrt
Der Untergang des Dampfers Bergedorf
vor dem Seeamt.
lk. Das Seeamt verhandelte gestern über einen Unfall, von dem der zur Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft gehörende, 2854 britische Registertons netto große Dampfer Bergedorf, Kapitän Winiker, in der Nacht zum 4. April d. J. betroffen worden ist. Der Dampfer, der im Jahre 1900 aus Stahl erbaut ist, befand sich auf der Heimreise nach Hamburg, als er in der fraglichen Nacht bei Cap Comorin, der südlichsten Landspitze von Hindostan, strandete und total verlogen ging. Bei dem Unfall platzten die Dampfleitungsrohre, wobei durch den entströmenden Dampf ein englischer Trimmer getötet und ein Heizer schwer verletzt wurde.
Der Kapitän Winiker führt die Strandung auf eine starke nördliche Strömung zurück, durch die das Schiff in die Bucht von Comorin versetzt wurde und auf einen Felsen stieß, der in der Karte nicht verzeichnet war. Außerdem erklärte er, er sei durch das nördlich von Cap Comorin belegene Kututpulli-Feuer irregeführt worden, das er mit dem Muttum-Feuer verwechselt habe. Dieses Feuer ist im englischen Feuerbuch als ein festes Feuer bezeichnet, während es seit dem Januar 1910 in ein Blinkfeuer umgewandelt worden ist; einen Vermerk in den englischen Segelanweisungen, der diese Veränderung mitteilt, will der Kapitän nicht gelesen haben. Bei der Prüfung der gesteuerten Kurse stellt das Seeamt fest, daß der zweite Offizier sich bei der Berechnung der Deviation geirrt hat. Ferner wird festgestellt, daß der Kapitän nicht allein eine durchaus ungenügende englische Karte aus dem Jahre 1900 an Bord hatte, sondern auch ein veraltetes Feuerbuch und außerdem eine englische Segelanweisung, die nicht auf dem Laufenden gehalten worden war. Zwei Angestellte der Reederei bekunden, daß es den Kapitänen überlassen werde, sich die neuesten Karten, Feuerbücher und Segelanweisungen anzuschaffen; die Reederei könne sich nicht darum kümmern, da eine Kontrolle nicht gut möglich sei. Der Vorsitzende des Seeamts tadelt diese Unterlassung und weist darauf hin, daß es doch im eigenen Interesse der Reederei liege, wenn das neueste Material an Bord sei und gebraucht werde. Der Reichskommissar nennt das Versehen des zweiten Offiziers bei der Kursberechnung einen groben Fehler, will aber keinen Antrag auf Patententziehung stellen, da der Offizier im übrigen ein zuverlässiger Mann sei; daß sich altes englisches Material an Bord des Dampfers befunden habe, trotzdem neues, mustergültiges deutsches Material vorhanden sei, müsse als wahrer Skandal und als Hohn auf die gesetzlichen Vorschriften bezeichnet werden. Es sei wünschenswert, daß die Seeberufsgenossenschaft sich durch Stichproben regelmäßig davon überzeuge, ob das Karten- und Büchermaterial an Bord der Schiffe in Ordnung sei. Rechtsanwalt Dr. Kämmerer plädierte zugunsten des Kapitäns Winiker, und Rechtsanwalt Kumpel verteidigte den zweiten Offizier Jaede. Das Seeamt verkündet folgenden Spruch:
„Der Dampfer Bergedorf ist am 4. April 1911 östlich von Cap Comorin gestrandet und total verloren gegangen. Bei der Strandung ist der Trimmer Cleary durch ausströmenden Dampf getötet worden. Die Ursache des Unfalls liegt neben geringer nördlicher Stromversetzung in einem Fehler der in Ansatz gebrachten Deviation, die von dem zweiten Offizier Jaede falsch berechnet worden war, sowie darin, daß der Kapitän Winiker ein an Steuerbord erschienenes festes Feuer für das Feuer von Muttum hielt, während dieses Feuer seit Januar 1910 ein Blinkfeuer ist. Der Irrtum des Kapitäns erklärt sich dadurch, daß das Schiff lediglich mit englischen, zum größten Teil veralteten Hilfsmitteln der Navigation ausgerüstet war, wofür neben dem Kapitän auch die Reederei verantwortlich ist. Den Kapitän und den zweiten Offizier trifft wegen dieses Unfalls ein erheblicher Vorwurf.“
Hamburger Anzeiger, 02. Jun 1911, S. 8

Anm.: Muttom Point Lighthouse ist etwa 25 Kilometer westlich von Cape Comorin

Ich stimme mit dem Verhandlungsvorsitzenden des Seeamtes überein, dass es im Interesse der Reederei liegen müsse, die Aktualität der Karten und Bücher auf ihren Schiffen zu überprüfen, wenngleich natürlich die Verantwortung für alle Berichtigungen in Karten auf dem Schiff beim Schiffsführer, also dem Kapitän, liegt.

Laut Aussage von Otto Harms wurde dies dann auch durch die Einrichtung einer Berichtigungsstelle in Hamburg umgesetzt. Das konnte aber natürlich Navigationsfehler der Mannschaft nicht ausschließen.

steam ship Furth chain links

Ein weiterer Totalverlust

Bereits wenige Wochen später (Ende Mai 1911) sollte die DADG erneut einen Totalverlust erleiden. Der Untergang der „Itzehoe“ am Kap Recife in der Algoa Bay bei Port Elizabeth (Südafrika) war eindeutig auf einen Navigationsfehler des noch unerfahrenen Kapitäns Kirstein zurückzuführen, der erst auf seiner zweiten Reise als verantwortlicher Schiffsführer war.

Zum Glück hatte die Mannschaft das Schiff rechtzeitig „abandonniert“ und konnte komplett gerettet werden. Auch ein Teil der Ladung wurde noch geborgen.

Nähere Informationen zum Untergang der „Itzehoe“: Hamburgischer Correspondent und neue hamburgische Börsen-Halle, 20. Jul 1911, Verhandlungen des Seeamts zu Hamburg, S. 29; http://www.theeuropeanlibrary.com

Die „Augsburg“

Das letzte vor dem Ersten Weltkrieg verlorene Schiff der Reederei war die „Augsburg“. In diesem Fall war vermutlich Schlechtwetter im Nordatlantik die Unfallursache. Das Schiff war von New York am 2.2.1912 in Richtung Südafrika und Java aufgebrochen und gilt seitdem als verschollen. 37 Besatzungsmitglieder verloren ihr Leben.

advertisement, continental, guttapercha, 1903

Guttapercha und der Tote aus Borneo

Kein neuer Commissario

– Guttapercha –

Keine Sorge, Guttapercha ist nicht noch ein neuer „Commissario“ und der Tote aus Borneo auch keine exotische Leiche. Aber eins nach dem anderen!

Auf den Fahrten der „Fürth“ treffen wir einige Waren an, die heute weitgehend in Vergessenheit geraten sind, wie zum Beispiel die Guttapercha oder auch nur kurz Gutta genannt. Wenn Sie nicht gerade in einem Dentallabor arbeiten, sind Sie wahrscheinlich noch nie in Berührung mit diesem, zur Zeit unseres Dampfschiffes „Fürth“, sehr begehrten Rohstoff gekommen. Ich auch nicht.

Und wer weiß heute schon noch, dass der weltweite Erfolg des größten deutschen Industrieunternehmens, der Firma Siemens, zu einem großen Teil auf dieser Substanz und ihrer Verarbeitung beruht?

Aber beginnen wir auf der Insel Java, wo die „Fürth“ regelmäßig Batavia, Soerabaya und auch Tjilatjap anlief (heute Djakarta, Surabaya und Cilacap) und Guttapercha nach Europa brachte.

guttapercha java

Guttapercha-Verarbeitung auf Java (ca. 1920/1930); Quelle: commons.wikimedia.org, File:COLLECTIE TROPENMUSEUM West-Java Tjipetir arbeiders bedienen de machines die de guttapercha wassen en persen TMnr 60020167.jpg

Der Guttaperchabaum

Dort, auf Sumatra, Borneo sowie auf der malaiischen Halbinsel, wächst der Guttaperchabaum (Palaquium gutta). Dieser tropische Laubbaum wird bis über 20 Meter hoch und liefert reichlich Milchsaft. Einige andere Arten der Gattung Palaquium liefern ebenfalls Guttapercha, aber nicht immer in der gewünschten Qualität.

Durch Trocknung, Reinigung und Aufkochen erhält man aus dem Milchsaft ein kautschukähnliches Produkt, die Guttapercha.

guttapercha java

Nicht erst seit Palmöl: Die Abrodung von tropischen Wäldern auf Java für Guttapercha-Plantagen
Quelle: commons.wikimedia.org, File:COLLECTIE TROPENMUSEUM Proefaanplant van guttapercha op de rubberonderneming Langsa West-Java TMnr 60020174.jpg

Eigenschaften

„Das wesentlichste Merkmal, durch welche sich Guttapercha ohne weiteres von dem mit ihr so oft identifizierten Kautschuk unterscheidet, ist zweifellos die bereits von Tradescant erwähnte, und auch von D’Almeida, sowie Montgomerie betonte Eigenschaft, beim Eintauchen in heißes Wasser weich und plastisch zu werden, dann beim Abkühlen jede ihr vorher gegebene Gestalt beizubehalten und hart, aber keineswegs spröde, wie andere Harze zu werden. Dem gegenüber wird Kautschuk in heissem Wasser nicht weich, und behält seine ursprüngliche Elastizität und Spannkraft fast unvermindert bei.“
Dr. Eugen Obach (1899): Die Guttapercha, Verlag von Steinkopff & Springer, Dresden,
abgerufen unter:
http://dfg-viewer.de/show/?tx_dlf%5Bpage%5D=1&tx_dlf%5Bid%5D=http%3A%2F%2Fdigital.ub.uni-duesseldorf.de%2Foai%2F%3Fverb%3DGetRecord%26metadataPrefix%3Dmets%26identifier%3D1259277&tx_dlf%5Bdouble%5D=0&cHash=47b26e1b8afb23734d48166b38dc3659

Ein guter Isolator

Guttapercha hat neben dieser einfachen Verformbarkeit noch eine andere, sehr begehrte Eigenschaft: sie ist ein guter, sogar sehr guter Isolator. Womit wir zur Firma Siemens & Halske kommen.

„Das Jahr 1847 wird in der Geschichte der Guttapercha-Industrie allezeit denkwürdig bleiben. Wurde doch in demselben die Pflanze, von der dieses industriell wertvolle Produkt stammt, zum ersten Male von Sir William Jackson beschrieben. Und im gleichen Jahr begann auch Dr. Ernst Werner von Siemens, damals Artillerieleutnant in der Preussischen Armee, die Verwendung von Guttapercha zur elektrischen Isolierung unterirdischer Telegraphenleitungen aufzunehmen. Er erbaute damals eine Maschine, mittels welcher Draht fortlaufend mit dem Stoffe umhüllt werden konnte. Diese Maschine ist, mit geringen Änderungen, bis auf den heutigen Tag im Gebrauch geblieben.“
Dr. Eugen Obach (1899): Die Guttapercha, Verlag von Steinkopff & Springer, Dresden.

Allegorical scene showing Neptune with a trident in foreground, and lion representing Great Britain holding one end of the Atlantic cable and eagle representing the United States holding the other end of the cable, with ocean between them and cities behind them. Includes portrait of the inventor, Cyrus Field, at top center.

Das achte Weltwunder, Originalbeschreibung: Allegorical scene showing Neptune with a trident in foreground, and lion representing Great Britain holding one end of the Atlantic cable and eagle representing the United States holding the other end of the cable, with ocean between them and cities behind them. Includes portrait of the inventor, Cyrus Field, at top center.
Quelle: Library of Congress, https://lccn.loc.gov/93510355

Das achte Weltwunder

Der Bedarf an Kabeln war in der zweiten Hälfte des neunzehnten und zu Beginn des 20. Jahrhunderts enorm. Unterirdische Telegrafenleitungen wurden über hunderte Kilometer über Land gelegt und ab 1856 begann die Geschichte einer technischen Meisterleistung, die damals als achtes Weltwunder gefeiert wurde: Die 1866 nach mehreren Fehlversuchen gelungene Installation eines über 2000 Meilen langen Unterseekabels zwischen Europa und Nordamerika. Ein Meilenstein in der Kommunikationstechnik.

Guttapercha war also sehr begehrt und wurde entsprechend teuer.

„Dazu kommt, was wesentlich mitspricht, daß der Preis der Guttapercha immer mehr steigt, und wenn dieser Punkt bei den großen Unterseekabeln nicht von entscheidender Bedeutung ist, so wird doch die Kostenfrage, wenn es sich um elektrische Anlagen, z. B. für Beleuchtungszwecke handelt, eine sehr wesentliche.“
Arthur Wilke (1893): Die Elektrizität, ihre Erzeugung und ihre Anwendung in der Industrie und Gewerbe, Springer Verlag Berlin Heidelberg (abgerufen unter books.google.fr)

Djeloetong oder „Dead Borneo“

Dies hatte zur Folge, dass auch andere Produkte als Ersatzstoffe für Guttapercha auf den Markt kamen. Einer davon war Djeloetong, mit Handelsnamen auch „Dead Borneo“, das ebenfalls auf der „Fürth“ nach Europa transportiert wurde.

Der ungewöhnliche Handelsname „Dead Borneo“ soll darauf zurückgehen, dass das Holz des Djeloetong-Baumes ein bevorzugtes Material für die Herstellung von Särgen war. Deswegen also „der Tote aus Borneo“. Sie mögen mir diese etwas freie Übersetzung nachsehen.

djeloetong

Djeloetong (Handelsname Dead Borneo) ist ein Ersatzstoff für Guttapercha,
Quelle: Hubert Winkler (1912), Botanisches Hilfsbuch: für Pflanzer, Kolonialbeamte, Tropenkaufleute und Forschungsreisende, Hinstorffsche Verlagsbuchhandlung, Wismar (abgerufen unter books.google.fr)

Golfbälle

Falls Sie Golf spielen: Golfbälle wurde um die Jahrhundertwende (also um 1900) ebenfalls aus Guttapercha hergestellt.

„The Gutta Percha ball was the ball that opened Golf to the masses, the first major development in the evolution of the golf ball.

Gutta Percha revolutionised the game of golf,… „
(https://www.standrewsgolfco.com/shop/products/heritage-collection/clubs-and-balls/historic-balls/the-bramble-guttie/)

So ein Golfball hieß je nach Oberflächenbeschaffenheit „Guttie“ oder „Bramble“. Diese Bälle finden Sie antiquarisch oder auch als Replik. Das ist vielleicht mal ein ungewöhnliches Geschenk für einen Golfer und Sie können jetzt ja auch noch eine Geschichte dazu erzählen! Lassen Sie mich bitte wissen, wenn Sie einen Guttapercha-Ball ausprobieren, wie er sich von modernen Bällen unterscheidet.

Im Plastozän

Heute, im Zeitalter des „Plastozän“, ist Guttapercha weitgehend in Vergessenheit geraten. Verwendet wird es nach wie vor in der Zahntechnik:

„In der Zahnmedizin wird es als provisorisches Füllmaterial und zur Herstellung von Abdrücken sowie zum Verfüllen der Wurzelkanäle bei Wurzelkanalbehandlungen verwendet.“
(http://www.chemie.de/lexikon/Guttapercha.html)

Falls Sie im Sommer an den Atlantik fahren und am Strand spazieren gehen, achten Sie mal auf gummiartige Substanzen im Strandgut, vielleicht fällt Ihnen ja echtes Guttapercha in die Hände! Mehr dazu in einem Artikel der Zeit:
https://www.zeit.de/2015/06/strandgut-cornwall-fundstueck-tjipetir

Das Titelbild des Beitrags ist eine Werbung der Firma Continental aus dem Jahr 1903, die damals noch Continental Caoutchouc & Guttapercha Co. hieß. Auch das haben wir im Plastikzeitalter längst vergessen.

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Werbung der Continental Caooutchouc & Guttapercha Co. Hannover aus dem Jahr 1903
Quelle: commons.wikimedia.org (File:1903 Werbung Continental Pneumatic Continental Caoutchouc & Guttapercha Co. hannover.JPG)

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Telegrafie per Funk

An der Küste

Das spurlose Verschwinden der „Waratah“ (Suche nach der Waratah) Ende Juli 1909 führte dazu, dass der Ausbau der Funktechnologie an der australischen Küste beschleunigt wurde.

Bereits im August 1909 kam das Thema auf die Tagesordnung:

In view of the Waratah’s disappearance and numerous shipping casualties, the South African Union delegates are consulting the Admiralty with a view to securing the installations of wireless telegraphy along the coast.
Coolgardie Miner, Fr 13. Aug 1909, Seite 3

Und weiter:

WIRELESS TELEGRAPHY.
The Commonwealth Government is anxious to establish wireless telegraphy stations at Sydney and Fremantle, but is in a difficulty as to the particular system that should be adopted. Vice Admiral Fawkos, when consulted by the Federal authorities, said that the Admirality would not object to any system, so long as communication with the Marconi installation on war vessels was possible. Vice-Admiral Poore makes a definite recommendation that the Marconi system should be adopted in Australia. Sir John Quick has opened up communication with the Commonwealth representatives in London as to the best system to be installed. When this question has been settled tenders for Australian stations are to be called. Mr. Deakin has, at the request of the Postmaster-General, cabled to the Commonwealth officer in London, asking him to obtain the best professional and scientific advice on the question whether Australian tenders for wireless installations should be Iimited to the Marconi system or should be made general.
The Daily Telegraph, Sydney, Sa 16. Okt 1909, S. 12.

Bau der Anlagen

Der Bau der Anlagen wurde 1910 begonnen:

Wireless Telegraphy
The tender of the Australian Wireless Limited, of £4150 per station, has been accepted for the erection of wireless stations at Sydney and Fremantle. The range of communication of the accepted system will be 1250 miles in the day time, and probably double that distance at night.
The Inverell Times, Di 5. Apr 1910, S. 2

Der Vorstand der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG), Otto Harms, nahm an, dass Niederländisch Indien „bald folgen würde“.

capeborda_telegraphstation_B-8424

Cape Borda, Telegrafenstation, um 1910
Quelle: State Library of South Australia, Referenznummer B8424

Auf den Schiffen

In der Tat machte die neue Technologie zu dieser Zeit große Fortschritte und ein Jahr später waren im Lloyd’s Schiffsregister diejenigen Schiffe gekennzeichnet, die über Telefunken-Anlagen verfügten.

WIRELESS TELEGRAPHY.
The increasing extent to which wireless telegraphy and submarine signalling are being used in passenger steamers is shown by the fact that there are now recorded in Lloyd s Register Book 702 vessels fitted with wireless telegraphic installations and 459 with submarine signalling apparatus.The Sydney Morning Herald, Mi 16 Nov 1910, S. 10, WIRELESS TELEGRAPHY.

Die Zuverlässlichkeit der Anlagen weltweit und ihre Reichweite wurde immer besser.

WIRELESS TELEGRAPHY
The Norddeutscher Lloyd is fitting 15 of their steamers engaged in the Far Eastern trade with Telefunken wireless installations. Some of the wireless installations are now in Hongkong and will be installed on those vessles which do not make the home trip. It is expected that the Coblenz, Prinz Sigismund, and Prinz Waldemar will be equipped at Hongkong. The telefunken system is said to be one of the best wireless systems in the world, and recent installations on some of the German steamers have made record despatches.
The longest distance was covered by the German mail steamer Klist, which sent a message from the Mediterrean Sea to North Sea, across the Alps of Switzerland, 2500 kilometers distant. Another steamer, the A(?)*, of the Roland Line, of Bremen, has made another record by sending a message from Valparaiso across the Andes to Buenos Ayres.
Newcastle Morning Herald and Miners‘ Advocate, Sa 13. Aug 1910, S. 4.
*Name des Schiffes unleserlich

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Morsetaste für Funktelegrafie, ca. 1899
© Museums Victoria (Australien), https://collections.museumvictoria.com.au/items/404170

Die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG)

Auch die DADG stattete ab 1911 ihre Schiffe mit Anlagen zur „drahtlosen Telegraphie“ aus:

„Der erste unserer Dampfer, welcher sie erhalten hatte, war „Adelaide“, 13. Juli 1911. Im Mai 1912 waren es sieben. Auf den ersten Reisen waren die Schiffe auf 2400 Seemeilen Entfernung mit Südafrika in Verbindung. Das war mehr als die Hälfte des Abstandes von beiden Kontinenten und damit war die Brauchbarkeit dargetan.“

Aber nicht nur alle neuen Schiffe erhielten Funkanlagen, sondern auch ältere wurden nachgerüstet:

„Es wurden dann nicht nur alle Neubauten mit den Anlagen ausgerüstet, sondern auch nach und nach die älteren Schiffe, soweit es ohne erhebliche Mehrkosten anging.“

Nach anderen Informationen im Buch waren es aber zahlenmäßig nur wenige der älteren Schiffe, die noch eine Funkanlage erhielten, zum Beispiel „Wismar“, „Eßlingen“ oder „Fremantle“, Schiffe die im Zeitraum zwischen November 1910 und Mai 1911 an die Reederei abgeliefert wurden.

Das Dampfschiff „Fürth“

Das Dampfschiff „Fürth“ wurde von der Reederei nicht nachgerüstet. Inwieweit dies beim Kriegsausbruch 1914 Konsequenzen hatte, kann heute nicht mehr beantwortet werden. Wir werden aber noch einmal darauf zurückkommen.

Ungekennzeichnete Zitate aus dem Buch von Otto Harms: Fundstueck