Kein neuer Commissario
– Guttapercha –
Keine Sorge, Guttapercha ist nicht noch ein neuer „Commissario“ und der Tote aus Borneo auch keine exotische Leiche. Aber eins nach dem anderen!
Auf den Fahrten der „Fürth“ treffen wir einige Waren an, die heute weitgehend in Vergessenheit geraten sind, wie zum Beispiel die Guttapercha oder auch nur kurz Gutta genannt. Wenn Sie nicht gerade in einem Dentallabor arbeiten, sind Sie wahrscheinlich noch nie in Berührung mit diesem, zur Zeit unseres Dampfschiffes „Fürth“, sehr begehrten Rohstoff gekommen. Ich auch nicht.
Und wer weiß heute schon noch, dass der weltweite Erfolg des größten deutschen Industrieunternehmens, der Firma Siemens, zu einem großen Teil auf dieser Substanz und ihrer Verarbeitung beruht?
Aber beginnen wir auf der Insel Java, wo die „Fürth“ regelmäßig Batavia, Soerabaya und auch Tjilatjap anlief (heute Djakarta, Surabaya und Cilacap) und Guttapercha nach Europa brachte.

Guttapercha-Verarbeitung auf Java (ca. 1920/1930); Quelle: commons.wikimedia.org, File:COLLECTIE TROPENMUSEUM West-Java Tjipetir arbeiders bedienen de machines die de guttapercha wassen en persen TMnr 60020167.jpg
Der Guttaperchabaum
Dort, auf Sumatra, Borneo sowie auf der malaiischen Halbinsel, wächst der Guttaperchabaum (Palaquium gutta). Dieser tropische Laubbaum wird bis über 20 Meter hoch und liefert reichlich Milchsaft. Einige andere Arten der Gattung Palaquium liefern ebenfalls Guttapercha, aber nicht immer in der gewünschten Qualität.
Durch Trocknung, Reinigung und Aufkochen erhält man aus dem Milchsaft ein kautschukähnliches Produkt, die Guttapercha.

Nicht erst seit Palmöl: Die Abrodung von tropischen Wäldern auf Java für Guttapercha-Plantagen
Quelle: commons.wikimedia.org, File:COLLECTIE TROPENMUSEUM Proefaanplant van guttapercha op de rubberonderneming Langsa West-Java TMnr 60020174.jpg
Eigenschaften
„Das wesentlichste Merkmal, durch welche sich Guttapercha ohne weiteres von dem mit ihr so oft identifizierten Kautschuk unterscheidet, ist zweifellos die bereits von Tradescant erwähnte, und auch von D’Almeida, sowie Montgomerie betonte Eigenschaft, beim Eintauchen in heißes Wasser weich und plastisch zu werden, dann beim Abkühlen jede ihr vorher gegebene Gestalt beizubehalten und hart, aber keineswegs spröde, wie andere Harze zu werden. Dem gegenüber wird Kautschuk in heissem Wasser nicht weich, und behält seine ursprüngliche Elastizität und Spannkraft fast unvermindert bei.“
Dr. Eugen Obach (1899): Die Guttapercha, Verlag von Steinkopff & Springer, Dresden,
abgerufen unter:
http://dfg-viewer.de/show/?tx_dlf%5Bpage%5D=1&tx_dlf%5Bid%5D=http%3A%2F%2Fdigital.ub.uni-duesseldorf.de%2Foai%2F%3Fverb%3DGetRecord%26metadataPrefix%3Dmets%26identifier%3D1259277&tx_dlf%5Bdouble%5D=0&cHash=47b26e1b8afb23734d48166b38dc3659
Ein guter Isolator
Guttapercha hat neben dieser einfachen Verformbarkeit noch eine andere, sehr begehrte Eigenschaft: sie ist ein guter, sogar sehr guter Isolator. Womit wir zur Firma Siemens & Halske kommen.
„Das Jahr 1847 wird in der Geschichte der Guttapercha-Industrie allezeit denkwürdig bleiben. Wurde doch in demselben die Pflanze, von der dieses industriell wertvolle Produkt stammt, zum ersten Male von Sir William Jackson beschrieben. Und im gleichen Jahr begann auch Dr. Ernst Werner von Siemens, damals Artillerieleutnant in der Preussischen Armee, die Verwendung von Guttapercha zur elektrischen Isolierung unterirdischer Telegraphenleitungen aufzunehmen. Er erbaute damals eine Maschine, mittels welcher Draht fortlaufend mit dem Stoffe umhüllt werden konnte. Diese Maschine ist, mit geringen Änderungen, bis auf den heutigen Tag im Gebrauch geblieben.“
Dr. Eugen Obach (1899): Die Guttapercha, Verlag von Steinkopff & Springer, Dresden.

Das achte Weltwunder, Originalbeschreibung: Allegorical scene showing Neptune with a trident in foreground, and lion representing Great Britain holding one end of the Atlantic cable and eagle representing the United States holding the other end of the cable, with ocean between them and cities behind them. Includes portrait of the inventor, Cyrus Field, at top center.
Quelle: Library of Congress, https://lccn.loc.gov/93510355
Das achte Weltwunder
Der Bedarf an Kabeln war in der zweiten Hälfte des neunzehnten und zu Beginn des 20. Jahrhunderts enorm. Unterirdische Telegrafenleitungen wurden über hunderte Kilometer über Land gelegt und ab 1856 begann die Geschichte einer technischen Meisterleistung, die damals als achtes Weltwunder gefeiert wurde: Die 1866 nach mehreren Fehlversuchen gelungene Installation eines über 2000 Meilen langen Unterseekabels zwischen Europa und Nordamerika. Ein Meilenstein in der Kommunikationstechnik.
Guttapercha war also sehr begehrt und wurde entsprechend teuer.
„Dazu kommt, was wesentlich mitspricht, daß der Preis der Guttapercha immer mehr steigt, und wenn dieser Punkt bei den großen Unterseekabeln nicht von entscheidender Bedeutung ist, so wird doch die Kostenfrage, wenn es sich um elektrische Anlagen, z. B. für Beleuchtungszwecke handelt, eine sehr wesentliche.“
Arthur Wilke (1893): Die Elektrizität, ihre Erzeugung und ihre Anwendung in der Industrie und Gewerbe, Springer Verlag Berlin Heidelberg (abgerufen unter books.google.fr)
Djeloetong oder „Dead Borneo“
Dies hatte zur Folge, dass auch andere Produkte als Ersatzstoffe für Guttapercha auf den Markt kamen. Einer davon war Djeloetong, mit Handelsnamen auch „Dead Borneo“, das ebenfalls auf der „Fürth“ nach Europa transportiert wurde.
Der ungewöhnliche Handelsname „Dead Borneo“ soll darauf zurückgehen, dass das Holz des Djeloetong-Baumes ein bevorzugtes Material für die Herstellung von Särgen war. Deswegen also „der Tote aus Borneo“. Sie mögen mir diese etwas freie Übersetzung nachsehen.

Djeloetong (Handelsname Dead Borneo) ist ein Ersatzstoff für Guttapercha,
Quelle: Hubert Winkler (1912), Botanisches Hilfsbuch: für Pflanzer, Kolonialbeamte, Tropenkaufleute und Forschungsreisende, Hinstorffsche Verlagsbuchhandlung, Wismar (abgerufen unter books.google.fr)
Golfbälle
Falls Sie Golf spielen: Golfbälle wurde um die Jahrhundertwende (also um 1900) ebenfalls aus Guttapercha hergestellt.
„The Gutta Percha ball was the ball that opened Golf to the masses, the first major development in the evolution of the golf ball.
…
Gutta Percha revolutionised the game of golf,… „
(https://www.standrewsgolfco.com/shop/products/heritage-collection/clubs-and-balls/historic-balls/the-bramble-guttie/)
So ein Golfball hieß je nach Oberflächenbeschaffenheit „Guttie“ oder „Bramble“. Diese Bälle finden Sie antiquarisch oder auch als Replik. Das ist vielleicht mal ein ungewöhnliches Geschenk für einen Golfer und Sie können jetzt ja auch noch eine Geschichte dazu erzählen! Lassen Sie mich bitte wissen, wenn Sie einen Guttapercha-Ball ausprobieren, wie er sich von modernen Bällen unterscheidet.
Im Plastozän
Heute, im Zeitalter des „Plastozän“, ist Guttapercha weitgehend in Vergessenheit geraten. Verwendet wird es nach wie vor in der Zahntechnik:
„In der Zahnmedizin wird es als provisorisches Füllmaterial und zur Herstellung von Abdrücken sowie zum Verfüllen der Wurzelkanäle bei Wurzelkanalbehandlungen verwendet.“
(http://www.chemie.de/lexikon/Guttapercha.html)
Falls Sie im Sommer an den Atlantik fahren und am Strand spazieren gehen, achten Sie mal auf gummiartige Substanzen im Strandgut, vielleicht fällt Ihnen ja echtes Guttapercha in die Hände! Mehr dazu in einem Artikel der Zeit:
https://www.zeit.de/2015/06/strandgut-cornwall-fundstueck-tjipetir
Das Titelbild des Beitrags ist eine Werbung der Firma Continental aus dem Jahr 1903, die damals noch Continental Caoutchouc & Guttapercha Co. hieß. Auch das haben wir im Plastikzeitalter längst vergessen.

Werbung der Continental Caooutchouc & Guttapercha Co. Hannover aus dem Jahr 1903
Quelle: commons.wikimedia.org (File:1903 Werbung Continental Pneumatic Continental Caoutchouc & Guttapercha Co. hannover.JPG)
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