Neuer Eigentümer, neuer Name
Die Vorgeschichte: Die „Fürth“, eine rechtmäßige Prise
Am 10. August 1914 war das Dampfschiff „Fürth“ nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor Ceylon, dem heutigen Sri Lanka, von der Britischen Marine gekapert worden. Am Tag darauf wurde die „Fürth“ von HMS „Espiègle“ in den Hafen von Colombo begleitet. SIEHE: Die Kaperung der „Fürth“
Das Prisengericht Colombo erkannte am 5. Oktober 1914 die „Fürth“ als rechtmäßige Prise an. SIEHE: Das Dampfschiff „Fürth“ wird kondemniert
Im Anschluss war das Dampfschiff auf Anweisung der Britischen Admiralität nach London überführt worden. Beauftragt worden war damit die Reederei James und Thomas Harrison in Liverpool. SIEHE: Kapitän R. J. Thomson überführt das Dampfschiff „Fürth“ von Ceylon nach England
Am 26. November 1914 erreichte die „Fürth“ unter Leitung von Kapitän R. J. Thomson die Tilbury Docks in London und wurde dort bis 30. November entladen. An diesem Tag enden zumindest die Logbucheinträge von Kapitän R. J. Thomson und seinem ersten Offizier S. S. Trickey.
Eine Rekonstruktion dieser Fahrt habe ich anhand der Logbucheinträge inklusive der Kanalfahrt durch den Suezkanal dargestellt: Dampfschiff „Fürth“: durch den Suezkanal und Dampfschiff „Fürth“: Fahrt durchs Mittelmeer und den Atlantik nach London

Der Verkauf
Die Britische Regierung verkaufte die „Fürth“ an die Anglo-Persian Oil Company. Die Ölgesellschaft taufte das Schiff „Kerman“.
Die Anglo-Persian Oil Company wurde später zur Anglo-Iranian Oil Company. Sie kennen alle dieses Unternehmen unter dem Namen British Petroleum, der seit 1954 verwendet wurde. Heute nennt sich das Unternehmen offiziell bp Group oder auf Deutsch bp Gruppe.
In Kürze werde ich hier auf die Vorgeschichte und die Anfänge der Gesellschaft und ihre ersten Schiffe noch genauer eingehen.

Das Verkaufsdatum
Der Verkauf des Schiffes „Fürth“ an die Anglo-Persian Oil Company ist eindeutig dokumentiert. Verschiedene australische Tageszeitungen haben darüber berichtet, wie die abgebildeten Artikel hier im Beitrag belegen.
Interessant finde ich übrigens, dass ich Zeitungsartikel über den Verkauf der „Fürth“ nur in einigen Zeitungen Australiens gefunden habe, nicht jedoch in Deutschland oder Großbritannien.
Worüber ich bislang keine Angaben machen kann, ist das Verkaufsdatum. Allerdings ist eine Eingrenzung auf einen Zeitraum von knapp zwei Monaten möglich:
Der Verkauf muss in einem Zeitraum von Dezember 1914 bis Ende Januar 1915 stattgefunden haben.
Anfang Dezember 1914 war über das Schicksal der „Fürth“ noch nicht entschieden. Entweder sollte das Schiff von der Admiralität selbst als Frachtschiff genutzt oder aber verkauft werden.
In einem Telegramm der Admiralität vom 1. Dezember 1914 an den Gouverneur Ceylons heißt es:
„Admiralty will take over and dispose of “Furth”. I assume no order has been made by Colombo Court which will prevent ship being re-chartered or sold by Admiralty and proceeds paid into Prize Fund”
Quelle: Telegrammentwurf vom 1. Dezember 1914, British Archives, Kew, CO 323/625/70
Zwei andere Dokumente vom 2. bzw. 4. Februar 1915 tragen bereits den Namen „Kerman“, den neuen Namen der „Fürth“.
Die Anheuerung der Mannschaft für die erste Fahrt der „Kerman“, exFürth erfolgte am 2. Februar und die Vergabe der offiziellen britischen Registernummer 136777 erfolgte am 4. Februar 1915.
Auf die Mannschaftsliste komme ich in einem anderen Artikel zurück.
Die Quelle für die offizielle Registernummer ist das Crew List Index Project (CLIP – crewlist.org.uk). Auf dieser Seite können Sie das Dokument abrufen, zeigen kann ich es hier aus Copyright-Gründen leider nicht.
Eine Literaturquelle, die den Verkauf der „Fürth“ zitiert, bleibt mit der Angabe „1915“ sehr vage und ohne Quellenangabe. Folgt man den Autoren, wäre der Verkauf mit Ergänzung obenstehender Informationen im Januar 1915 erfolgt.
Quelle: A history of Frank C. Strick and his many shipping enterprises, J. E. B. Belt, H. S. Appleyard, World Ship Society, 134 S., Kendal (1996).
In der Folge verwende ich der Einfachheit halber die Angabe „Januar 1915“, auch wenn ich den Dezember 1914 nicht ausschließen kann. Falls ich noch in den Besitz genauerer Angaben komme, werde ich hier im Blog darüber berichten.
Ein Archiv, in dem das Datum zu finden sein könnte, ist das Firmenarchiv der British Petroleum (bp Group), das von der Universität Warwick verwaltet wird. Es umfasst stolze 2700 laufende Meter: https://blogs.warwick.ac.uk/bparchive/about/
Schriftliche Anfragen im Archiv in Warwick und bei der bp Group selbst blieben bislang leider unbeantwortet.

Das Appropriation Book und die offizielle Registernummer 136777
Die Registrierung britischer Schiffe wurde im Jahr 1855 neu organisiert. Jedes Schiff erhielt in der Folge eine Registernummer, die es unverwechselbar machte, auch wenn mehrere Schiffe mit dem gleichen Namen existierten. Wie eine Fahrgestellnummer beim Kraftfahrzeug wurde diese Nummer im Schiff eingraviert oder auf einer Plakette aufgeschweißt.
Die Nummern wurden zentral vergeben. Jeder der über 100 Registerhäfen in Großbritannien und seinen Kolonien erhielt einen Nummernsatz. Die Hafenverwaltungen teilten dann die Nummern den Schiffen zu.
Jeder Registerhafen schrieb Registernummern und Schiffsnamen in Appropriation Books, einen Begriff, den man vielleicht mit Zuteilungsregister übersetzen könnte.
Alle Häfen sandten wiederum ihre Einträge an das Board of Trade, der zentralen Behörde für Industrie und Handel, wo die Einträge in ein Zentralregister (engl. ledger) zusammengefasst wurden. Heute werden diese Zentralregister im Registry of Shipping and Seamen in Cardiff (Wales) aufbewahrt.
Quelle: http://www.mariners-list.com/site_pages.php?section=Ship+Registers&category=Appropriation+Books+
Die offizielle Registernummer ist auch in den Registern der Klassifikationsgesellschaften zu finden.
Die „Kerman“, exFürth, erhielt in London (Tilbury Docks) die Nummer 136777.

Die „Kerman“, exFürth in Lloyd’s Register 1914 – 1915
In Lloyd’s Register, Ausgabe 1914 – 1915 ist die „Fürth“ noch unter der laufenden Nummer 789 zu finden.
Allerdings trägt der Eintrag den nachträglich ergänzten Zusatz
Now named “Kerman,“ See. No. 35 in Supplement
Außerdem ist Kapitän der „Fürth“, W. Richter, durchgestrichen.
Zu den beiden Zahlen hinter seinem Namen: die erste 12 steht für das Jahr, in dem er sein Kapitänspatent erhalten hat, also 1912. Die zweite zwölf steht für das Jahr, indem er das Schiff, also die „Fürth“, übernommen hat. Die „Fürth“ war demnach höchstwahrscheinlich sein erstes Schiff als Kapitän.
Anmerkung: Höchstwahrscheinlich deshalb, weil er die „Fürth“ im September 1912 übernommen hatte und nicht bekannt ist, in welchem Monat er das Kapitänspatent erhalten hatte. Er könnte also in der ersten Jahreshälfte theoretisch ein anderes Schiff geführt haben.
Weiterhin durchgestrichen sind das Unterscheidungssignal, das jetzt mit dem Neueintrag in Großbritannien geändert werden musste und die Überprüfung durch Lloyd’s aus dem April 1914. Ein Surveyor von Lloyd’s hatte das Schiff im Januar 1915 erneut überprüft und die Klasse 100 A1 bestätigt.
Zum Unterscheidungssignal siehe Das Unterscheidungssignal der „Fürth“ und zur regelmäßigen Überprüfung der Schiffe durch Lloyd’s Register siehe Ein Revisionsbericht von Lloyds aus dem Jahr 1912
Über Lloyd’s Register finden Sie hier mehr Informationen: Die „Fürth“ in Lloyd’s Register

Der Ergänzungsband (supplement)
Der Eintrag der „Kerman“ im Ergänzungsband liefert weitere interessante Informationen:
Das neue Unterscheidungssignal ist JHTK.
Nach der neuen (britischen) Vermessung hatte die „Kerman“, exFürth jetzt 4397 Bruttoregistertonnen (statt 4229) und 2758 Nettobruttoregistertonnen (statt 2640). Der Eintrag für den Raum unter Deck (3946) wurde nicht geändert.
Zum Thema Vermessung und die unterschiedlichen Interpretationen siehe den Blogartikel: Die Vermessung der „Fürth“
Kapitän Duncanson
Als Kapitän eingetragen ist R. McG. Duncanson. Er hatte erst 1915 Kapitänspatent erhalten und die „Kerman“, exFürth hätte sein erstes Schiff als Kapitän werden sollen.
Robert McGregor Duncanson sollte jedoch nie verantwortlicher Schiffsführer auf der „Kerman“, exFürth werden. Er wurde von der Reederei Frank C. Strick auf ein anderes Schiff beordert.
Duncanson übernahm im Februar 1915 das Schiff „Huntstrick“, exBelgia.
Quelle: https://1915crewlists.rmg.co.uk/document/193485
Über das Schiff der Hamburg-Amerika Linie (HAPAG) hatte ich hier im Blog berichtet, es war eine der ersten Prisen auf der britischen Insel. SIEHE: Das Dampfschiff „Belgia“ der HAPAG: eine der ersten Prisen in Großbritannien
Diese Entscheidung sollte für Duncanson Folgen haben: Auf einer Reise von London nach Thessaloniki wurde die „Huntstrick“, exBelgia am 8. Juni 1917 etwa 80 Meilen westnordwestlich von Kap Spartel (Marokko) am Eingang der Straße von Gibraltar von dem U-Boot U39 der Kaiserlichen Marine unter der Führung von Kapitänleutnant Walter Forstmann torpediert und versenkt. Kapitän Duncanson und 14 Mann Besatzung verloren ihr Leben. Duncanson wurde 62 Jahre alt.

Die Anglo-Persian Oil Company (APOC)
Auf der rechten Seite desselben Eintrages sieht man den neuen Eigentümer, die Anglo-Persian Oil Co. Ltd.
Die Länge des Schiffes hatte sich von 387‘8“ auf 389“ erhöht. Allerdings ist das Schiff nicht plötzlich länger geworden, die Briten haben die Länge schlicht anders berechnet.
Ganz rechts kam der Eintrag „moulded depth“ hinzu: 27“9‘.
Moulded Depth ist die Entfernung zwischen der Oberseite des Kiels bis zur Unterseite des Oberdecks auf der Seite des Schiffes.
Frank C. Strick & Co.
Die APOC als Eigentümer hat die Bereederung der „Kerman“, exFürth nicht selbst übernommen. Sie hat damit die Reederei Frank C. Strick beauftragt. Diese Reederei hatte bereits andere Schiffe zwischen Großbritannien und dem Nahen Osten für die APOC im Einsatz.
Auch den Reeder Frank C. Strick und seine verschiedenen Schifffahrtsunternehmen werde ich Kürze mit einem eigenen Artikel im Blog vorstellen.

Provinz und Stadt Kerman
Benannt hat die Anglo-Persian Oil Company die „Fürth“ nach einer Stadt und gleichnamigen Provinz im Südosten des Iran: Kerman.
Iran grenzte zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Norden an das Russische Kaiserreich und im Osten an Afghanistan und Britisch Indien. Im Süden bilden der Persische Golf und das Arabische Meer (Golf von Oman) eine natürliche Grenze. Im Westen schließlich grenzte der Iran an das Osmanische Reich.
Anmerkung: Für den Iran war auf internationaler Ebene bis 1934 der Name Persien gebräuchlich, erst dann erfolgte die Bezeichnung Iran. Im Land selbst wurde der Name Iran bereits vorher verwendet.

Die Provinz Kerman
Zur Provinz Kerman heißt es in der Encyclopedia Britannica, Ausgabe 1911, dass es sich um eine gebirgige Region handelt mit Erhebungen mit bis über 4400 Metern. Viele Gebiete sind Wüsten, vor allem im Norden und Nordosten. Es gibt aber auch fruchtbares Hochland. Langanhaltender Schnee in den Hochlagen versorgt Quellen und Kanäle mit Wasser und macht Ackerbau möglich.
Wichtige Anbauprodukte waren Baumwolle, Gummi, Datteln und Wolle.
Die Einwohnerzahl der Provinz wird um 1900 mit 700.000 angegeben, davon ein Drittel Nomaden.
Hafenstadt der Provinz war Bandar Abbas (heute Provinz Hormozgan), das allerdings damals schon Bedeutung verloren hatte. Wichtiger war der weiter westlich gelegene Hafen Bushire (Buschehr, Bushehr).
„Bandar Abbas is the natural outport; but, since shipping has shown a preference for Bushire farther west, the trade of Kerman has greatly fallen off.”

Die Stadt Kerman
Die Stadt Kerman liegt auf etwa 1850 Metern Meereshöhe und hatte 1910 etwa 60.000 Einwohner.
Offensichtlich war Getreide war dort ein knappes Gut. Dazu heißt es anschaulich in der Encyclopedia Britannica von 1911:
„The neighbouring districts produce little grain and have to get their supplies for four or five months of the year from districts far away. A traveller has stated that is was easier to get a mann (6 ½ lb) of saffron at Kerman than a mann of barley for his horse, and in 1879 Sir A. Houtum-Schindler was ordered by the authorities to curtail his excursions in the province ‘because his horses and mules ate up all the stock’ “.
In der Stadt wurden Teppiche und Filze hergestellt. Die Encyclopedia Britannica schwärmt von der Qualität der Teppiche:
„…, and its carpets are almost unsurpassed for richness of texture and durability.”
Die Stadt verfügte über Post- und Telegrafenbüros, ein britisches und ein russisches Konsulat und eine Filiale der Imperial Bank of Persia.
Zitate aus Encyclopedia Britannica 1911, abgerufen über archive.org.
Anmerkung: Stadt und Provinz Kerman sind nicht zu verwechseln mit der Stadt und Provinz Kermanschah (an der Grenze zum Irak im Westen des Iran).
In zwei Wochen im Blog
Die Vorgeschichte und Anfänge der Anglo-Persian Oil Company. Wie die Gründung eines späteren Weltunternehmens fast scheiterte.
Nachweis Titelbild:
Artikel aus The Daily News, Perth (Westaustralien) vom 08. April 1915; abgerufen auf trove.nla.gov.au