Prisengericht in Colombo
5. Oktober 1914
Im Hafen
Seit 11. August 1914 lag die „Fürth“ im Hafen von Colombo, nachdem sie tags zuvor von dem britischen Kriegsschiff HMS Espiegle in den Hafen eskortiert worden war (Die Kaperung der Fürth).
Die Ladung der „Fürth“ war bis auf eine Teilladung Erze gelöscht worden. Kapitän Richter hatte darüber berichtet:
„Die Ladung meines Schiffes wurde bis auf eine Teilladung Erz gelöscht und das Schiff dann für Transportzwecke umgebaut.“ (In französischer Gefangenschaft, Hamburger Nachrichten, 16. Dezember 1914, S. 3).
Ein anderes Detail über das Schiff „Fürth“, nämlich zur Flaggenführung, erfahren wir aus der Zeitung De Sumatra Post vom 8. November 1914:
„Der Hafen von Colombo war voll von Schiffen, viele davon mit der deutschen Flagge halbmast und der englischen Kriegsflagge darüber. „Australia“ und „Fürth“ von der Deutsch-Australischen Linie…“
Im Original für alle, die meinen Niederländisch-Kenntnissen nicht trauen: De haven van Colombo lag vol schepen, vele met de Duitsche vlag halvermast en de Engelsche oorlogsvlag daarboven. „Australië en „Fürth“ van de Duitsch-Australische Lijn; …
Quelle: http://www.delpher.nl
Die Beflaggung eines Schiffes mit zwei Nationalitätenflaggen übereinander ist das Zeichen, dass das Schiff gekapert wurde. Dabei ist die untere Flagge, in diesem Fall also die Flagge des Deutschen Kaiserreiches, unter der Flagge der Nation angebracht, die das Schiff gekapert hat. Die obere Flagge war also die britische Seekriegsflagge, die „White Ensign“.

Die „White Ensign“ von der HMY Alberta (königliche Yacht). Quelle: Royal Museums Greenwich, https://collections.rmg.co.uk/collections/objects/801.html
Nach einem Artikel der Tageszeitung Ceylon Observer hatten die gekaperten Schiffe dagegen nur die britische Seekriegsflagge gehisst (zitiert aus einem Artikel der Tageszeitung The Singapore Free Press and Mercantile Advertiser vom 25. August 1914, Seite 3, Quelle: eresources.nlb.gov.sg).
„The Observer of Aug. 13th says: – There are seven German steamers in Colombo now, of which four are prize ships, namely the “Rappenfels” and “Moltkefels” of the Hansa Line and “Australia” and “Furth” of the D.A.D.G. Line. The last-named three, which are flying the man-of-war ensign instead of the German flag, are anchored outside the harbor.”
Der abschließende Satz des Artikels weist noch auf die Ladung des Schiffes „Australia“ hin:
“The „Australia“ is anchored further than the other two. It is said that she has on board a quantity of gunpowder and explosives, and is being kept outside the harbor as a precaution.”
Dass die “Australia” zu diesem Zeitpunkt mit explosiver Fracht beladen war, belegt auch der Artikel aus dem Memeler Dampfboot zum 90. Geburtstag des Chefmaschinisten der „Australia“, dem Ingenieur Max Waldheyer, den ich hier im Blog vorgestellt habe:
„1914, kurz vor Kriegsausbruch, fuhr Max Waldheyer als leitender Ingenieur bei der Garantiereise des Neubaus „Australia“ (12.500 t), Ladung Dynamit, Kurs Colombo.“
Siehe auch: Die Männer der „Fürth“: Ingenieur Max Waldheyer

Colombo, Gebäude der Hafenbehörde und Hafenbecken, Blick vom Grand Oriental Hotel, 1907; Quelle: commons.wikimedia.org/wiki/File:Colombo_Harbour_and_shipping_(NYPL_Hades-2359797-4044562).jpg
Kondemniert und Prise – Zwei Definitionen
Bevor wir zum weiteren Schicksal des Dampfschiffes „Fürth“ kommen, möchte ich zwei Definitionen zu heute wenig gebräuchlichen Ausdrücken vorausschicken.
Kondemnieren
Dazu die Definition aus Brockhaus‘ Kleinem Konversations-Lexikon, Ausgabe 1911:
Kondemnation (lat.), Verurteilung; die Erlaubnis zum öffentlichen Verkauf eines Schiffs; auch die vom Prisengericht gebilligte Beschlagnahme eines Schiffs; kondemieren, verurteilen.
Quelle: Brockhaus‘ Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 995, Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001263722.
In der Presse zur Zeit des Ersten Weltkrieges wurden die Begriffe regelmäßig gebraucht. Mit anderen Worten würde man heute sagen, das Schiff wurde beschlagnahmt, konfisziert oder eingezogen.
Prise
Kommen wir zum Begriff Prise, ebenfalls nach der Definition aus dem „Kleinen Brockhaus“:
Prise (frz.), Griff, was man mit 2-3 Fingern fassen kann (z.B. Schnupftabak; Maß im Samenhandel); im Seekriege weggenommene feindliche Schiffe, auch deren Ladung; sie sind in Natur oder wenigstens ihre Papiere in einen Hafen des Nehmestaates zu bringen, wo über die Rechtmäßigkeit der Beute ein Prisengericht entscheidet; Berufungsgericht ist ein Oberprisengericht.
Quelle: Brockhaus‘ Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 2. Leipzig 1911., S. 457, Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001466445.
Die „Fürth“, eine Prise
Die „Fürth“ war seit dem 11. August 1914 im Hafen von Colombo. Sie war also eine sogenannte „Prise“, oder in einfachen Worten ausgedrückt, eine Beute der Engländer geworden.
Als Handelsschiff konnte die „Fürth“ jedoch nicht direkt beschlagnahmt und weiterverkauft werden, sondern es musste eine Verhandlung vor dem Prisengericht stattfinden. Das Prisengericht fällte dann die Entscheidung, ob ein Schiff eine rechtmäßige Prise war, auch wenn an dem Ausgang der Verhandlung sicher kein Zweifel bestand.
„During time of war private enemy ships and neutral merchantmen carrying contraband are subject to seizure. Title to such vessels and their cargoes does not immediately pass to the captor state but, under international law, must be adjucated by the captor state’s prize court, which may condemn them as lawful prizes.”
Quelle: http://www.britannica.com
Die Verhandlung über die „Fürth“ fand am 5. Oktober 1914 statt, wobei ich mich beim genauen Datum auf Sekundärliteratur verlasse, da ich noch keine Originalquelle auftun konnte:
“… and 5.10.1914 condemned as a prize.”
Quelle: Frank C. Strick & Co., A history of Frank C. Strick and his many shipping enterprises, J. E. B. Belt and H. S. Appleyard, 1996, World Ship Society, Kendal, S. 115.
Auf die Rolle des Unternehmens Frank C. Strick and Co. Ltd. für die weitere Geschichte des Dampfschiffes „Fürth“ komme ich noch zurück.
Die Datumsangabe ist mit Sicherheit korrekt. Am gleichen Tag wurde nämlich auch der Fall des Dampfschiffes „Australia“ verhandelt, dem zweiten Schiff der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft in Colombo:
„The „Australia“ was captured on August 10, 1914, and was condemned on October 5, 1914.”
Quelle ist in diesem Fall die Seite des Justizministeriums in Sri Lanka. Es handelt sich bei dem Dokument um eine Verhandlung aus dem Jahr 1915 über Ansprüche an der Ladung des Schiffes „Australia“, in dem auf das Datum der Entscheidung des Prisengerichtes verwiesen wird: https://www.lawnet.gov.lk/wp-content/uploads/2016/11/062-NLR-NLR-V-18-THE-SS.-AUSTRALIA-.pdf

Colombo, Hafen, um 1900-1910, kolorierte Postkarte, Quelle: commons.wikimedia.org/wiki/File:Colombo._The_Harbour._(NBY_441210).jpg
Interessant ist die Tatsache, dass erst mit sehr viel Verspätung, nämlich Ende November über die Kondemnation der „Fürth“ und der „Australia“ in der Hamburger Presse berichtet wurde:
Dampfer «Fürth“ und „Australia“.
Diese beiden Dampfer sind kondemniert worden. Dampfer „Fürth“ war von Australien nach Europa bestimmt und Dampfer „Australia“ befand sich auf der Reise von Europa nach den holländischen Kolonien. Die Ladung des Dampfers „Fürth“ ist gelöscht und diejenige des Dampfers „Australia“ ist fast gelöscht. Sobald die Landungsdokumente zur Hand sind, kann wegen der Reklamationen in bezug auf die Ladungen verhandelt werden.
(Hamburgischer Correspondent und neue hamburgische Börsen-Halle, 28. Nov 1914, S. 24)
Ebenfalls bemerkenswert ist, dass die Sitzung des Prisengerichtes in Colombo (allerdings ohne Datumsangabe) unter der Rubrik „Schiffsunfälle“ zu finden ist:
Schiffs-Unfälle
Fürth, D. S. „Prisengericht in Colombo“
(Hamburgischer Correspondent und neue hamburgische Börsen-Halle, 28. Nov 1914, S. 26)
Das Prisengericht
Eine internationale Regelung des Seekriegsrechts war 1909 in der Londoner Seekriegsdeklaration versucht worden, die allerdings nicht in Kraft trat. So konnte man sich nicht auf ein internationales Prisengericht einigen, weshalb im Ersten Weltkrieg die zuständigen Prisengrichte in den Ländern angesiedelt waren, die die Prise genommen hatten. Wurden also deutsche Schiffe von den Briten aufgebracht, wurden die Fälle vor Prisengerichten im Commonwealth verhandelt.
Ohne die Entscheidung eines Prisengerichtes war und ist die Beschlagnahmung völkerrechtlich schadensersatzpflichtig:
„Wird die Beschlagnahme des Schiffs oder der Waren von dem Prisengericht nicht bestätigt, oder wird sie ohne gerichtliches Verfahren im Verwaltungswege aufgehoben, so haben die Beteiligten Anspruch auf Schadensersatz, es sei denn, daß ausreichende Gründe für die Beschlagnahme vorgelegen haben (Art. 64 von 1909).“
Das Völkerrecht, Beendigung des Kriegszustandes, S. 555, Quelle: https://link.springer.com/chapter/10.1007%2F978-3-642-94282-2_72
Neuer Eigentümer der „Fürth“: die britische Krone
Durch die Entscheidung des Prisengerichtes vom 5. Oktober 1914 war das Dampfschiff „Fürth“ in das Eigentum der britischen Krone übergegangen und die Commonwealth-Behörden in Colombo unter Leitung von Gouverneur Robert Chalmers konnten nun die Vorkehrungen für die Überführung des Frachtdampfers „Fürth“ nach Großbritannien treffen.
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