Wichtigstes Exportgut
Auf der elften und zwölften Fahrt der „Fürth“, die von Australien direkt nach zurück nach Europa gingen, hatten wir als Fracht Wolle. Außerdem war Wolle das wichtigste Exportprodukt Australiens überhaupt: Australische Exporte nach Deutschland.
Heute gebe ich daher einen kurzen Überblick über den australischen Wollhandel zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Wolle als Wirtschaftsfaktor
Zunächst ein paar Eckdaten:
Das Wollsaison in Australien beginnt grundsätzlich mit dem 1. Juli und endet mit dem 30. Juni. Das Wolljahr 1911-1912 ist folglich der Zeitraum von Juli 1911 bis Juni 1912. In dieser Zeit wurden von „Australasia“, also Australien und Neuseeland, 2,5 Millionen Wollballen exportiert, wobei davon auf Australien allein 80 % oder 2 Mio. Ballen entfielen.
Der Durchschnittspreis pro Ballen betrug in diesem Geschäftsjahr £ 11/5/5, das heißt 11 Pfund, 5 Shillings und 5 Pennies. Zur Erinnerung: 1 Pfund hatte 20 Shillings und 1 Shilling 12 Pennies. Die deutsche Mark entsprach zu dieser Zeit etwa einem Schilling.
Der Exportwert der Wolle belief sich in dem oben genannten Zeitraum auf insgesamt £ 30,9 Millionen Pfund.
Die Wolle wurde in Jute-Ballen exportiert, die im betrachteten Jahr ein durchschnittliches Gewicht von 331,21 lb., also rund 150 Kg hatten.
Lieferant der Wolle waren in Australien und Neuseeland zusammen ca. 117 Millionen Schafe, wobei die wichtigste Region der Südosten war, also New South Wales.
Angaben nach: THE WOOL SEASON., The Argus, Melbourne, Do. 4. Jul 1912, S. 7
![Wool barges on the Murray River]](https://frachtdampferfuerth.files.wordpress.com/2018/11/wolle_statelibvict_h96_160_384.jpg?w=625)
Lastkahn mit Wollballen auf dem Murray-River, südöstliches Australien, Aufnahmedatum unbekannt, ev. 1900-1910, Quelle: Libraries Australia, Referenz 50973283
Der Wollhandel
Am Anfang steht natürlich das Schaf, in Australien vorwiegend das Merinoschaf. Nach der Schur werden die Ballen eines Produzenten von Verkaufsagenten (“wool sales broker“) in Lagerhäusern (“wool receival warehouses“) zu Verkaufslosen ähnlicher Qualität zusammengefasst.
Aus allen Ballen eines Loses entnimmt der Agent Muster, die auf Merkmale getestet werden, die für die Verarbeitung wichtig sind (Faserdurchmsser, Gehalt an pflanzlichem Material, Reißfestigkeit von Wollbüscheln (“staple strenght“), Faserlänge der Wollbüschel (“staple lenght“), potentielle Ausbeute und Farbe. Ein detaillierter Testbericht verbleibt bei den Ballen.
Die Wolle wurde damals und auch noch heute überwiegend auf Auktionen (“open-cry auction system“) verkauft, heute sind das etwa 90% der australischen Wolle.
Bei einer Wollauktion werden die Testbericht zusammen mit Stichproben (“grab samples“) ausgelegt, so dass die Käufer vor dem Bieten die Wolle begutachten können. Die einzelnen Verkaufslose werden dann an den Meistbietenden versteigert.
Je nach Qualität können dabei einzelne Verkaufslose sehr unterschiedliche Preise erzielen, was auch einleuchtet: Ein Ballen, aus dem beispielsweise ein hochwertiger, maßgeschneiderter italienischer Herrenanzug entstehen soll, wird deutlich mehr kosten, als ein Ballen, aus dem ein grober Wollfaden gesponnen werden soll.
Heute werden diese Auktionen von der Australian Woll Exchange Ltd. (AWEX) in Sydney, Melbourne und Fremantle organisiert. Wer sich für diesen sehr spannenden Markt näher interessiert, dem sei zur Einführung ein (25-seitiges) PDF der AWEX empfohlen: http://www.awex.com.au/media/1693/wool-buying-in-australia-2014.pdf (in Englisch).

Verladung von Wollballen auf ein Schiff, Queensland, ca. 1910
Quelle: State Library of Queensland, Referenz: 147203
Transport von Wollballen
Für die anschließende Verschiffung der Ballen bedeutet der Verkauf auf Versteigerungen aber auch, dass jeder einzelne Ballen identifizierbar sein muss: „Bei Wolle muß jeder einzelne Ballen nach Marke und Gegenmarke und Nummer ausgesucht werden.“ (Zitat: Otto Harms, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, 1933)
Bei der elften Fahrt der „Fürth“ war das noch relativ einfach, es waren 950 Wollballen von sechs Wollhändlern für die Bestimmungsorte Hamburg, Blumenthal (bei Bremen) und Antwerpen an Bord.
Bei der zwölften Fahrt mussten dann schon über 13.500 Ballen von drei Verschiffungshäfen, einer deutlich größeren Zahl von Händlern auf mehrere Bestimmungshäfen einzeln zugeordnet werden. Eine „schöne“ Aufgabe für den, für die Ladung verantwortlichen, Schiffsoffizier.
Heute ist natürlich alles ganz anders. Die Wolle ist nicht mehr in Jute verpackt, sondern in Nylon, sie wird vor dem Transport zusätzlich verdichtet (“dumped“) und dann in Container verpackt (“containerised“), so dass pro Container etwa 100 bis 115 Ballen roher Schafwolle (“farm bales“) transportiert werden können. Diese rohe Schafwolle wird auch als auch Schweißwolle (“greasy wool“) bezeichnet. Sie macht den Hauptanteil des Wollexports aus. Daneben wird auch noch Wolle als Halbfertigprodukt verschifft (zum Beispiel als gewaschene Wolle, “scoured wool“).

Anzeige eines Wollhändlers (Wool Sales Broker), Quelle: The Sydney Stock and Station Journal, Fr. 4. Okt 1912, S. 12
Die Wollhändler
Die Größe und Bedeutung des Wollmarktes in Australien spiegeln sich in der Zahl der vor Ort tätigen Händler wider. So waren allein in Sydney für die Wollauktionen der Saison 1913-14 über 190 Wollhändler zugelassen, die für eine große Zahl an Unternehmen tätig waren.
Darunter finden wir zahlreiche deutsche Firmen, wie
Frederick Betz & Co.
Dewez, Leonhard und Co., Leipzig
Norddeutsche Wollkämmerei und Kammgarnspinnerei, Delmenhorst
Ostermeyer, van Rompaey und Co., Leipzig
G. Hardt und Co., Berlin
Georg Schönbach und Co., Leipzig
Lohmann und Co., Bremen
Dohnert, Müller, Schmidt und Co., Leipzig
Kammgarnspinnerei Kaiserslautern
Sachs, Strauss und Co.
A. Weber und Co., Leipzig
Quelle: The Sydney Wool and Stock Journal, Fr. 29. Aug 1913, S. 12, Wool Buyers Operating in the Sydney Market (Auszug).
Unter diesen Firmen sind reine Wollhändler, aber auch große Verarbeiter, die ihre eigenen Einkäufer vor Ort hatten, wie zum Beispiel die Norddeutsche Wollkämmerei und Kammgarnspinnerei, Delmenhorst, kurz „Nordwolle“ genannt, damals einer der größten Wolle verarbeitenden Betriebe Europas.
Stark vertreten waren natürlich auch die Engländer, vor allem aus der Stadt Bradfod, dem britischen Wollhandelszentrum. Dort befand sich die Wollbörse (“wool exchange“) und auch das damals für die Beurteilung der Wollqualität übliche System wurde hier entwickelt: Der Bradford Count oder auch English Worsted Yarn Count System genannt.
Mit einer Vielzahl von Händlern waren ebenfalls die Franzosen präsent, hier fallen drei Städte besonders ins Auge: Reims (damals noch « Rheims » geschrieben) und die beiden Zentren der französischen Textilindustrie in Nordfrankreich: Roubaix und Tourcoing.

Anzeige für Wollpressen, Quelle: The Sydney Stock and Station Journal, Fr 8. Nov. 1912, S. 8
Masurel Fils
Einer der französischen Händler, der Wolle an Bord der „Fürth“ hatte, war das Traditionshaus Masurel Fils und zwar am 30. November 1912 ab Sydney: 503 Ballen für den Zielhafen Antwerpen und 135 Ballen für Hamburg.
Masurel Fils wurde 1846 in Roubaix gegründet und gehörte zu einem Industrieimperium der Familie Masurel, die neben dem Handel auch in der Wollverarbeitung (“topmaking“) und der Spinnerei tätig war.
So gründete einer der Gesellschafter von Masurel Fils, François Masurel-Pollet, mit seinem ältesten Sohn im Jahr 1877, die Spinnerei „François Masurel et fils“ in Tourcoing, die später in eine Aktiengesellschaft mit dem Namen „François Masurel Frères“ (F.M.F.) umgewandelt wurde, wobei die Anteile jedoch in der Familie blieben. Schon in den 90-er Jahren des 19. Jahrhunderts waren zu der Spinnerei auch eine Färberei und eine Strumpfwirkerei („bonneterie“) hinzugekommen. Vor dem Ersten Weltkrieg beschäftigte F.M.F. über 1.000 Mitarbeiter.
Quelle: Alain Lottin, Histoire de Tourcoing, 1986, abgerufen unter books.google.fr am 31.10.2018

Die Spinnerei von François Masurel Frères in Tourcoing, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Usine_Masurel.gif
Masurel Fils war als Wollhändler mit Sitz in Nordfrankreich in Australien, Neuseeland und Südafrika aktiv. Erst im Jahr 1975 wurde das Unternehmen von einem anderen großen Namen des Wollhandels übernommen, von Antoine Segard & Cie.
Heute firmiert das Unternehmen unter dem Namen SEGARD MASUREL (“wool since 1846“) und ist weltweit anerkannter Partner von Züchtern und der Textilindustrie.
Quelle: Unternehmenswebseite www.segardmasurel.com

Anzeige für ein Wurmmittel für Schafe, Quelle: The Sydney Stock and Station Journal, Di 26. Nov 1912, S. 5