Archiv für den Monat Juli 2022

Burgermeister von Melle, steamship about 1920

„Bürgermeister von Melle“

Titelbild: Frachtdampfer „Bürgermeister von Melle“, exDuisburg, um 1920, Schornsteinmarke in den Farben der alliierten Flotte (weiß-blaue Ringe), Ansichtskarte, ungelaufen und undatiert; eigene Sammlung

Über den Reeder Siemers, den Hamburger Bürgermeister von Melle und die Stadt Alexandrette

Das Dampfschiff „Duisburg“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft

Manchmal gestaltet sich die Suche nach Aufnahmen von Schiffen der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) recht schwierig.

Der vorliegende Fall ist ein schönes Beispiel dafür.

Die Ansichtskarte der Titelabbildung zeigt das vermeintliche Schiff „Burgomester von Nelle“ mit dem Hinweis, dass dieses vormals ein deutscher Dampfer gewesen sei. Ein Schiff mit diesem seltsamen Namen hat es jedoch nie gegeben.

Schon bei dem Wort „Burgomester“ müssen Zweifel aufkommen: hier hatten sich offenbar gleich zwei Fehler beim Satz der Karte eingeschlichen. Ein dritter Fehler unterlief beim Nachnamen, so dass aus „Burgomester von Nelle“ richtigerweise „Bürgermeister von Melle“ wird.

„Bürgermeister von Melle“ war jedoch bereits der zweite Name eines Schiffes, das als Dampfer „Duisburg“ bei der Flensburger Schiffbau-Gesellschaft im Namen der DADG gebaut wurde.

Das am 16. Dezember 1898 bestellte Schiff war am 24. Februar 1900 vom Stapel gelaufen und nach 217 Tagen Bauzeit am 4. April 1900 an die DADG geliefert worden. Die vertragsmäßige Bauzeit wurde zwar um 35 Tage überschritten, dennoch war die „Duisburg“ damit das erste Schiff der Reederei im noch jungen 20. Jahrhundert.

Der charakteristische Doppelschornstein mit zwei eng beieinanderliegenden Kaminen weist die „Duisburg“ als Schiff der Meißen-Klasse aus, eine Kleinserie, die um die Jahrhundertwende neunmal hergestellt wurde.

Mehr über die Meißen-Klasse hatte ich den Artikeln über die Schiffe „Varzin“ und „Bielefeld“  geschrieben.

Heute interessiert uns die spätere Geschichte. Deswegen machen wir direkt einen Sprung in das Jahr 1914.

„Duisburg“ lag seit dem 10. Juni 1914 im Hamburger Hafen und war

„am 1. August segelfertig mit voller Ladung nach Charleston S. C., um dann von New York nach Java zu laden.“ Harms (1933)

Der Reederei war es demnach gelungen, eine Zwischenfacht in die USA zu organisieren, damit das Schiff nicht in Ballast über den Atlantik fahren musste.

Von New York wäre die Fahrt dann fahrplanmäßig nach Java gegangen, ein Linienverkehr der zusammen mit der DDG Hansa und der britischen Tyser-Line betrieben wurde. Geschäftsgrundlage für diese regelmäßigen Abfahrten war ein Liefervertrag mit Standard Oil. Siehe dazu den Blogartikel: Im Auftrag Rockefellers

Durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges verblieb das Schiff jedoch in Hamburg. Damit war es eines von gerade einmal acht Schiffen der Reederei, die bei Kriegsausbruch in Deutschland waren und dies bei einer Flottenstärke von insgesamt 55 Schraubendampfern. SIEHE dazu auch: Die deutsche Handelsmarine beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges

Verkauf

Am 27. Februar 1915 verkaufte die DADG den Dampfer „Duisburg“ an die Reederei G.J.H. Siemers in Hamburg, die dem Schiff den neuen Namen „Bürgermeister von Melle“ gab.

Edmund Siemers Hamburg

Edmund Siemers, Hamburger Senator, Kaufmann und Gründer der Universität Hamburg im Jahr 1905; Quelle: Hamburgische Männer und Frauen am Anfang des XX. Jahrhunderts, Rudolf Dührkoop, 1905, über commons.wikimedia.org, Abbildung gemeinfrei

G.J.H. Siemers

Das von Georg Johann Heinrich Siemers 1811 gegründete Unternehmen G.J.H. Siemers wurde unter seinem Enkel Edmund Siemers einer der ersten deutschen Petroleum-Importeure und besaß unter anderem drei Tankschiffe.

Dieses Petroleumgeschäft wurde 1891 von der Deutsch-Amerikanischen Petroleum-Gesellschaft (DAPG) übernommen, aus deren britischer Tochtergesellschaft später BP hervorging. Siehe dazu:
Die „Kerman“, exFürth in der Flotte der British Tanker Company und der deutsche Ursprung der Marke „British Petroleum

Siemers fand in der Salpeterfahrt ein neues Betätigungsfeld. 1904 besaß Siemers fünf Segelschiffe („Susanna“, „Edmund“, „Thekla“, „Hans“ und „Kurt“) sowie einen Schraubendampfer („Bürgermeister Hachmann“).

Die Segler wurden so befrachtet, dass am Ende ihrer jeweiligen Reise Salpeter von der südamerikanischen Westküste nach Europa transportiert werden konnte. Eine typische Reise auf diesen langen Fahrten dauerte etwa 9 Monate. Mit vielen zusätzlichen, gecharterten Schiffen importierte Siemers jährlich 2 bis 3 Mio. Tonnen Salpeter nach Europa.
Quelle: Grundlagen und Entwicklung der regelmäßigen deutschen Schiffahrt nach Südamerika, Otto Behrens, 1905 über books.google.fr

Neben seiner Geschäftstätigkeit war Edmund Siemers ein großzügiger Stifter: 1896 ermöglichte er den Bau einer der ersten Lungenheilanstalten in Deutschland. 1907 finanzierte er das Vorlesungsgebäude auf der Moorweide, das den Grundstock der Hamburger Universität darstellt. Heute (2022) führt die Edmund Siemers-Stiftung seine Stiftungsideale fort.

Durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges fiel die Salpeterfahrt plötzlich weg und Siemers musste umdisponieren. Damit kommen wir wieder zum Schiff „Bürgermeister von Melle“.

von Melle, Hamburg, Bürgermeister

Werner von Melle, 1905; Quelle: Hamburgische Männer und Frauen am Anfang des XX. Jahrhunderts, Rudolf Dührkoop, 1905, über commons.wikimedia.org, Abbildung gemeinfrei

Werner von Melle

Aus dem Dampfer „Duisburg“ wurde 1915 das Schiff „Bürgermeister von Melle“. Werner von Melle war seit 1915 Erster Bürgermeister von Hamburg. Wie Siemers setzte sich auch von Melle für die Wissenschaften ein: 1907 hatte der damalige Senator und Präses der Oberschulbehörde die Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung ins Leben gerufen, die die finanzielle Grundlage der späteren Universität legen sollte. In der Bürgerschaft setzt sich von Melle dafür ein, dass das von Siemers gestiftete Vorlesungsgebäude einen Bauplatz erhielt.

Vielleicht hat Siemers als Dank dafür sein neues Schiff nach dem Bürgermeister Werner von Melle benannt.

Auch Siemers erstes Dampfschiff hatte bereits den Namen eines Hamburger Bürgermeisters erhalten: „Bürgermeister Hachmann“.

Das Schiff „Bürgermeister von Melle“ im Ersten Weltkrieg

Schiffsbewegungen im Ersten Weltkrieg zu rekonstruieren ist aus verständlichen Gründen schwierig. Wer wollte schon dem Feind kundtun, wo man gerade Fracht über das Meer transportierte. Aber ein paar Anhaltspunkte gibt es im Nachhinein doch.

Ein interessantes Bild findet sich in der digitalen Sammlung des schwedischen Seefahrtmuseums Sjöhistoriska museet:

Rodkallen, Burgermeister von Melle 1917

„Bürgermeister von Melle“ bei Rödkallen, 1917 (Bottnischer Meerbusen, Nordschweden), Fotograf H. Tegström, Quelle: Sjöhistoriska museet, Ref. Fo57231C; public domain

Die Fotografie zeigt „Bürgermeister von Melle“ beim Leuchtfeuer Rödkallen, das sich im Luleå-Archipel in der Nähe der Stadt Luleå befindet.

Luleå war der wichtigste Exporthafen Nordschwedens, spätestens seitdem die Stadt per Bahn an die Erzvorkommen von Kiruna angeschlossen war.

Das Foto lässt also vermuten, dass Siemers während des Ersten Weltkrieges schwedische Erze nach Deutschland transportiert hat, nachdem andere Quellen, wie zum Beispiel Australien, versiegt waren.

Eine weitere Quelle belegt, dass das Schiff 1917 in Fahrt war: am Vormittag des 14. November 1917 forderte „Bürgermeister von Melle“ Hilfe an, als es südlich der Tonne B der Alten Weser-Fahrt auf einer Bank festgekommen war. Erst die steigende Flut brachte den Dampfer wieder frei, wurde erst durch „Drache“, dann durch Kriegslotsendampfer nach der Weser geleitet.
Zitate aus: Artillerieschulboot „Drache“ und die Erlebnisse des Emil Weinmann, Michael Ziefle, Auszug über google.books.fr

Nach dem Krieg

Nach dem Ersten Weltkrieg musste Deutschland seine Handelsflotte an die Siegermächte abtreten. Die ersten beiden Schiffe, die am 21. März 1919 den Hamburger Hafen in Richtung Liverpool verließen waren „Bürgermeister Schröder“ und „Bürgermeister von Melle“.
Quelle: 1919 – als alles möglich schien, Dietmar Schlecht-Nimrich, BoD 2019; Auszug abgerufen über books.google.fr

Anschließend wurde das Schiff als Entschädigung an die französische Regierung ausgeliefert, die den Namen nicht änderte.

1922 wurde die exDuisburg dann an die Société Générale de Transport Maritime à Vapeur in Marseille verkauft, die das Schiff „Mont Aigoual“ nannte, bevor es 1924 in Toulon abgewrackt wurde.

In der Fachliteratur findet man, dass das Schiff bereits unter der französischen Regierung nicht mehr in Fahrt war (Schmelzkopf 1984) und auch nie unter französischer Flagge gefahren sei (Perchoc, http://www.marine-marchande.net). Als Grund wird bei Perchoc der schlechte Zustand des Dampfers genannt.

Le Havre

Belege, dass das Schiff doch noch in Fahrt war, habe ich aber recherchieren können, zumindest für das Jahr 1919 und 1921:

Die Zeitung Petit Havre vom 5. August 1919 berichtet, dass nach einem Arbeitskampf das Entladen der Schiffe wieder aufgenommen wurde. Unter den Schiffen an den Quais de la Gironde et de la Garonne befand sich auch „Bürgermeister von Melle“. (Quelle: Archives municipales du Havre, archives.lehavre.fr)

Le Havre, sous-marins 1913

Le Havre, Hafenbecken mit den U-Booten „Thermidor“, „Floréal“ und „Ventose“, Aufnahme vom 23. Juli 1913; Quelle: Französische Nationalbibliothek https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b6926557s

Alexandrette

Für 1921 existiert eine Ansichtskarte des Schiffes, die identisch mit der Karte der Titelabbildung ist und die ich auf einer Verkaufsplattform gefunden habe (aufgrund des hohen Preises habe ich jedoch vom Kauf abgesehen).

Die Karte trägt den Vermerk, dass sie ein Andenken an die Überfahrt von Alexandrette nach Beirut ist und dass diese Überfahrt vom 22. bis 24. Januar 1921 stattgefunden habe.

„souvenir de la traversée Alexandrette – Beyrouth 22 Janvier 24 Janvier 1921“

Alexandrette (auch Alexandretta) ist das heutige Iskenderun in der Südtürkei (Provinz Hatay) und liegt 170 Seemeilen nördlich von Beirut. Laut Encyclopedia Britannica (1911) hatte es etwa 10.000 Einwohner

Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte Alexandrette zum französischen Mandatsgebiet für Syrien und Libanon. Dieses umfasste das heutige Syrien, den Libanon und die türkische Provinz Hatay.

Alexandretta

Alexandrette (Iskenderun), Hafen, ohne Jahresangabe; Quelle: commons.wikimedia.org

Dazu passt eine Meldung in der Tageszeitung Le Sémaphore de Marseillle vom 21. Juli 1921, nach der „Bürgermeister von Melle“ in Alexandrette 23 Sack Wurzeln, 51 Ballen Wolle sowie 13 Tonnen Regierungsmaterial geladen hatte. Bereedert wurde das Schiff nach der Zeitungsmeldung zu dieser Zeit von der großen französischen Reederei Messageries Maritimes, Schiffsführer war ein Kapitän Roux. (Quelle: retronews.fr)

Eingehendere Recherchen würden sicher noch weitere Quellen ans Tageslicht bringen.

Das Schiff „Bürgermeister von Melle“ hat demnach im Jahr 1921 vermutlich Städte im Mandatsgebiet miteinander verbunden oder war im Verkehr zwischen Frankreich und dem Mandatsgebiet eingesetzt.

Gesichert ist, dass „Bürgermeister von Melle“ 1924 in Toulon abgewrackt wurde und dann endgültig von den Meeren verschwunden war.

Im Jahr 1925 brachte die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft erneut einen Dampfer mit Namen „Duisburg“ in Fahrt. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Alexandretta

Alexandrette (Iskenderun), Hauptstraße (rue du Phare), ohne Jahresangabe; Quelle: commons.wikimedia.org

durban 1919 kursk

Abschiebung aus Australien – Ein Tagebuchbericht (Teil 2 von 2)

Titelbild: Landgang der Gefangenen und Gefangene an Bord der „Kursk“ in Durban, Juni 1919, Fotograf Karl Lehmann, National Library of Australia, trove.nla.gov.au

Die Fahrt Friedrich Meiers auf der „Kursk“
(Teil 2: Von Durban nach Hause)

Der Artikel stellt den zweiten Teil des Tagebuches des Schiffsingenieurs Friedrich Meier vor, in dem er seine Fahrt auf dem Dampfschiff „Kursk“ dokumentiert.

Zum ersten Teil des Tagebuches geht es hier:
Abschiebung aus Australien – Ein Tagebuchbericht

Meier schildert darin die lange Zeit des Wartens im australischen Lager Holsworthy nach Ende des Ersten Weltkrieges, bis die Transportschiffe endlich organisiert waren, die die Deustchen nach Hause bringen sollten. Weiters berichtete er über die Reisevorbereitungen und schließlich über den Transport auf der „Kursk“ von Sydney nach Durban (Südafrika).

Auf der Reise durch den stürmischen Südatlantik war an Bord unter den dicht gedrängt Reisenden die Spanische Grippe ausgebrochen und hatte 20 Todesopfer gefordert. 18 von ihnen wurden dem Meer übergeben, zwei, die kurz nach der Ankunft in Durban gestorben waren, wurden dort beerdigt.

Jetzt übergebe ich das Wort wieder an Friedrich Meier, der uns berichtet, wie der weitere Aufenthalt der „Kursk“ in Durban verlaufen ist:

Am 24.6. verholte der Dampfer an den Kohlenpier an der Südseite des Hafens (Bluff Wharf). Morgens und nachmittags wurden wir unter Bewachung an Land geführt.

Am folgenden Tage, den 25.6.19 wurde das Schiff mit Formalin ausgeräuchert. Während dieser Zeit wurden wir ½ Std. weit um die Landzunge Bluff Point herum an den Meeresstrand geführt, wo wir von 9 a.m. bis 4 ½ p.m. verblieben. Als Mittagessen erhielt jeder ein paar belegte Brötchen mit. Am 26.6. wurden wir nochmals an Land geführt. Die Verheirateten mit ihren Frauen u. Kindern wurden an beiden Tagen nach Salisbury Island, einer Insel im Hafen, gebracht. 20 Schwerkranke wurden an Land in ein Isolier-Hospital gebracht. Es waren Teschner, Arpe, Capt. Möller, Eckhoff, Brinke (Prinke?), Bähr, Elmenhorst, E. Meier, Simon, Großholz, Giese, Hartraht, Karcher, Lahrmann, Lemke, Lorentschk, Drews, Traub, Grundig, von Pavel. Von diesen starb später noch Teschner.

Es waren also 19 Deutsche und 1 Australier der Grippe zum Opfer gefallen. 20 Kranke mußten wir in Durban zurücklassen, von denen einer starb.

durban june 1919 bluff point beach

Deutsche Gefangene am Strand beim Bluff Point in Durban am 25. Juni 1919; Fotograf Karl Lehmann, National Library of Australia, trove.nla.gov.au, Referenz PIC/13631/433 LOC Album 1146

Die übrigen wurden mit dem 7 Wochen später kommenden 3. Transporter „Trasosmontes“ (Bülow) in die Heimat geschafft. Die Ärzte an Bord waren auch krank geworden und blieben in Durban zurück, ebenso eine Anzahl austral. Soldaten von der Wache.

Anmerkung: „Bülow“ war ein Schiff des Norddeutschen Lloyd Bremen, das bei Ausbruch des Krieges im noch neutralen Portugal Schutz gesucht hatte und dann nach der Kriegserklärung Deutschlands am 9. März 1916 an Portugal von diesem übernommen wurde und den neuen Namen „Tras-os-Montes“ erhielt. Zu diesem Thema siehe: Das Dampfschiff „Fürth“ in Lissabon

Wir bekamen für die weitere Reise einen Arzt aus Südafrika mit.

Am Sonnabend, den 28.6.1919, um 830 a.m. verließen wir den Hafen von Durban.

Am 30.6. passierten wir Kapstadt.

Während des weiteren Verlaufs der Reise traten keine Grippe-Erkrankungen mehr auf.

Am 15. Juli passierten wir Teneriffa (Santa Cruz 630 a.m.). Am 18.7. um 400 p.m. waren wir querab von Kap Finisterre.

Heimkehrer ohne Gepäck

Als wir einige Tage von Sydney fort waren, stellte es sich heraus, daß nicht alles Gepäck mitgekommen war. Zwei Eisenbahnwagen hatte man einfach zurückgelassen u. zwar voll mit Freigepäck (84 lbs).

Es wurde drahtlos angefragt und von Durban aus telegraphiert, schließlich erhielten wir die Nachricht daß das Gepäck sofort nachgeschickt werden solle, wenn 250 £ Sterling in Fracht an Bord eingezahlt würden, was wir natürlich nicht konnten. In Plymouth erhielten wir jedoch ein Telegramm, daß dies Gepäck am 9.7.19 mit dem „Trasosmontes“ abgeschickt worden sei.

Das Essen an Bord war ziemlich knapp, es gab engl. Rationen. Wer sich nichts aus der Kantine zukaufen konnte, mußte regelrecht hungern.

Am 19.7., 900 p.m. passierten wir Ushant und am Sonntag den 20. Juli 1919, 830 a.m. liefen wir in den Hafen von Plymouth ein.

Anmerkung: Ushant ist der englische Name der französischen Bretagne-Insel l’île d’Ouessant.

Ushant, creach lighthouse 1883

Phare de Créac’h auf der bretonischen Insel Ouessant, 1883, Quelle : commons.wikimedia, Datei : Phare du Creac’h d’Ouessant (10968814023).jpg

Nachmittags um 400 verließen wir Plymouth, am folgenden Morgen um 1030 waren wir auf der Höhe von Dover, und am Dienstag, den 22. Juli 1919 um 700 Uhr morgens waren wir in Rotterdam.

Durch Sammlungen an Bord hatten wir im Laufe der Reise folgende Gelder aufgebracht und verausgabt: für Backschaft (Essgeschirr aufwaschen, Zwischendecks, Waschhäuser und Latrinen reinigen) 265 £ Sterling. Für die Krankenpflege und -kost: 147 £ Sterling.

Die Waschgelegenheit an Bord war den Verhältnissen entsprechend knapp. Morgens war das Frischwasser von 6 1/2 – 8 und nachmittags von 4 bis 5 Uhr angestellt, sodaß sich kaum alle waschen konnten. Zeugwäsche durfte man nur Donnerstags machen.

Während der Reise wurden oft Bootsmanöver veranstaltet und in der Gefahrzone (europäische Gewässer) waren die Boote stets ausgeschwungen u. klar zum Niederlassen. Die letzten 4 Tage mußte jeder seinen Rettungsgürtel stets bei sich haben, wegen der Minengefahr.

Im engl. Kanal wurden zwei der ausgelieferten deutschen U-boote an uns vorübergeschleppt, ein Anblick, der uns sehr nahe ging (U 9 und U 79).

Wir sahen auch eine Anzahl der ausgelieferten deutschen Handelsschiffe, welche die Flagge des Völkerbundes, blau-weiß-blau, führten.

Willochra, Rotterdam, 1919

Zeitungsartikel über die Ankunft der „Willochra“ und die erwartete Ankunft der „Kursk“ in Rotterdam; De Maasbode, 18. Juli 1919, S. 3; http://www.delpher.nl

Von Rotterdam nach Hause

Am 22. Juli 1919 in Rotterdam angekommen, gingen wir um 10 Uhr morgens von Bord und erhielten in einer Auswandererhalle Mittagessen. Nachher bekamen wir noch Kaffee u. Brot für die Reise und nachmittags um 320 Uhr fuhren wir mittels Sonderzuges ab über Utrecht, Arnhem, Zevenaar und Elten nach Wesel, wo wir um 1045 anlangten. Unterwegs erhielten wir an verschiedenen Stationen Brötchen, Kaffee, Zigarren u. Zigaretten u. Blumen und die Holländer zeigten sich sehr freundlich. In Zevenaar verließ uns die holländische Bewachung und wir waren wieder frei, nachdem wir 5 Jahre in Gefangenschaft geschmachtet hatten. Was für ein Gefühl das war, läßt sich kaum beschreiben.

In Wesel wurden wir mit Musik empfangen und marschierten unter ihrem Voranschritt nach der Clevertor-Kaserne. Dort erhielten wir Essen und Schlafgelegenheit umsonst, wer Geld hatte, konnte auch in der Stadt im Hotel wohnen.

Hier in Wesel sollten wir warten, bis unser Gepäck aus Rotterdam ankommt und dann mit Extrazügen weiterfahren.

Am 24. Juli kam unser Gepäck an, wir mußten es selbst ausladen und wieder einladen in den für Bremen bestimmten Wagen.

In Wesel erhielten wir vom Nordd. Lloyd einen Vorschuß von 300 M. Das engl. und austral. Geld konnten wir einwechseln zum Kurse von 65 M für 1 £ Sterling.da

Am 24.7., abends 845 Uhr verließen wir Wesel mit dem für Bremen und Hamburg bestimmten Sonderzuge. Nachts um 2 erhielten wir in Osnabrück belegte Butterbrote und Kaffee. Am 25.7., morgens 705 kamen wir in Bremen an, wo wir festlich empfangen wurden. Wir erhielten Brot u. Wurst u. Kaffee, sowie Zigarren, Blumen usw.

Mit dem 800 Zuge fuhr ich dann weiter nach Geestemünde.

Am 25. Juli 1919 war ich wieder zuhause in Lehe, Rutenbergstr 25 I.

Anmerkung: Geestemünde und Lehe waren 1919 eigenständige Städte. Durch ihre Vereinigung im Jahr 1924 entstand Wesermünde, das spätere Bremerhaven (ab 1947).

Bremerhaven, Stadtplan, 1901

Bremerhaven um 1901, Bibliograph. Institut, Leipzig; Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Unterweserorte_um_1901.jpg

In den 1920er Jahren

Nach seiner Rückkehr kam Friedrich Meier gut durch die schwierigen Nachkriegsjahre. Sein Enkel erinnert sich. Die Abkürzung NDL steht für den Norddeutschen Lloyd in Bremen.

„In der Zeit nach der Ankunft ist es meinem Opa eigentlich relativ gut gegangen. Er wurde im August 1919 vom NDL entlassen und war dann bis Anfang Oktober 1919 arbeitslos. Da er vom NDL aber im August 1919 noch für 6 Monate Heuer ausbezahlt bekam konnte er die Zeit finanziell ganz gut überstehen. Ab Oktober konnte er dann für 6 Monate auf dem finnischen Dampfer Norge als Maschinist anheuern, der Lebensmittel von Kopenhagen nach Swinemünde bringen sollte. Dieses Schiff und seine drei Schwesterschiffe, alles ehemalige Minensuchboote, wurde aber schon nach kurzer Zeit nach Chile verkauft, so dass nach 6 Monaten wieder Schluss war.

Ab 1920 besuchte mein Großvater dann für zwei Semester die Schiffsingenieurschule in Bremerhaven, die er erfolgreich abschloss. Im Jahr 1920 stellte mein Großvater auch einen Antrag auf Entschädigung beim Bund der Auslandsdeutschen für die Kosten während der Internierung in Australien, die Anfang 1921 bewilligt wurde (1500 Mark plus Zinsen).

Direkt im Anschluss an die Schule bekam er 1921 wieder eine Anstellung beim NDL im Vorkalkulationsbüro. Ab Sommer 1922 übernahm er dann den Oelprüfraum. Diese Anstellung behielt er bis 1926, da der Oelprüfraum des NDL aufgrund von Sparmaßnahmen geschlossen wurde. Bekam aber die Möglichkeit in den fahrenden Dienst zu wechseln, was er zum 1.3.1926 tat. Von da an fuhr er bis Ende der 20iger Jahre als 4. und dann 3. Ingenieur auf den Dampfern Crefeld, Stuttgart, Derfflinger und Columbus.“

Columbus NDL um 1926

Dampfer „Columbus“, Norddeutscher Lloyd Bremen, um 1926; Quelle: Bundesarchiv_Bild_102-00912A,_Dampfer_“Columbus“.jpg über commons.wikimedia.org

Weitere Blogartikel über den Schiffsingenieur Friedrich Meier:

Gestatten: Meier, Friedrich Meier  mit seinem kompletten Lebenslauf

Friedrich Meiers Tagebücher in australischer Gefangenschaft:

1. Gefangenschaft in Melbourne, Meier konnte sich auf Ehrenwort (parole) frei in der Stadt bewegen: In australischer Gefangenschaft

2. Gefangenschaft im Langwarrin Internment Camp (Bundesstaat Victoria) von März bis August 1915: Deutsche Seeleute im Langwarrin Internment Camp

3. Überstellung in das Lager Hol(d)sworthy (Liverpool) bei Sydney (August bis Dezember 1915): Gefangen in Australien – das Liverpool Internment Camp

4. Friedrich Meier im Lager Trial Bay (Dezember 1915 bis Mai 1918):
Trial Bay Camp – Gefängnis am Strand (Teil 1 von 2)
und Das Trial Bay Internierungslager in New South Wales/Australien (Teil 2 von 2)

5. Zurück im Liverpool Internment Camp (Mai 1918 bis Mai 1919):
Im Lazarett – Tagebuch einer Operation im Jahr 1918 und
Tagebuch Friedrich Meier: Die letzten Monate im Holsworthy Internment Camp (NSW, Australien)

sowie: Der Schiffsoffizier Friedrich Meier – ein Nachtrag zu den Tagebucheinträgen

Copyright-Hinweis

Friedrich Meier starb am 7. November 1974 in Bremerhaven. Auf seinem Tagebuch ist daher ein Copyright, das bis Ende des Jahres 2044 fortbesteht.

Die Veröffentlichung der Tagebuchauszüge hier im Blog erfolgt mit freundlicher Genehmigung seiner Familie. Dafür auch an dieser Stelle herzlichen Dank.

Über die Aufnahmen Karl Lehmanns

Karl Lehmann, von dem einige Fotografien dieses Artikels stammen, war ein Kollege Friedrich Meiers. Lehmann war dritter Offizier auf dem Dampfer „Greifswald“ des NDL, der 1914 in Fremantle (Westaustralien) beschlagnahmt worden war. Von dem Hobbyfotografen stammen auch etwa 300 Aufnahmen des Gefangenenlagers auf der Insel Rottnest (Westaustralien). Siehe dazu den Artikel: https://frachtdampferfuerth.com/2021/01/30/rottnest-island-camp/

steamship steamer kursk 1919

Abschiebung aus Australien – Ein Tagebuchbericht (Teil 1 von 2)

Die Fahrt Friedrich Meiers auf der „Kursk“
(Teil 1: Von Sydney nach Durban)

Heute gibt es hier im Blog die Erstveröffentlichung des Tagesbuches eines deutschen Schiffsoffiziers aus dem Jahr 1919. Der junge Offizier ist jedoch nicht Teil der Mannschaft, sondern gehört zu den aus Australien abgeschobenen Deutschen, die ab Sommer 1919 die Heimreise antraten.

Treue Blogleser kennen den Verfasser: es ist Friedrich Meier, der bereits über seine australische Gefangenschaft sehr detailliert Tagebuch geführt hat.

Die Tagebücher aus der Internierung, die Meier bei seiner Abschiebung nach Deutschland abgenommen wurden, befinden sich heute in der Nationalbibliothek von New South Wales in Sydney.

Im Unterschied dazu ist das Tagebuch seiner Heimreise bis heute in Familienbesitz. Mein herzlicher Dank gilt dem Enkel Friedrich Meiers, der mir freundlicherweise den Inhalt zur Verfügung gestellt hat.

Den geschichtlichen Zusammenhang, in dem die Tagebucheinträge stehen, habe ich in einem Artikel über die Abschiebung Deutscher aus Australien nach dem Ersten Weltkrieg, erläutert: https://frachtdampferfuerth.com/2021/07/24/abschiebung-deutscher-australien-1919/

Damit der Artikel nicht zu lang wird, stelle ich ihn in zwei Teilen in den Blog. Der zweite Teil kommt nächste Woche.

Das Tagebuch – im folgenden in kursiver Schrift wiedergegeben – beginnt an der Jahreswende 1918/1919. Die Geduld der in Australien Internierten wurde auf eine sehr harte Probe gestellt. Der Krieg war zu Ende, aber die Heimreise noch lange nicht in Sicht.

Liverpool Camp, about 1916

Das Lager Holsworthy (Liverpool) vom Beobachtungsturm aus gesehen; G. C. C. Album 1914 – 1916 / [Bilder, Zeichnungen und Entwürfe von Stefan Pokora, Otto Hermann und Richard Kunze], Herausgegeben in Liverpool 1916 von Jacobsen, © Digitale Version: Potsdam : Universitätsbibliothek, 2015 

Langes Warten

Kurz vor u. nach Weihnachten 1918 wurden aus unserem Lager etwa 12 naturalisierte Deutsche entlassen.

Wir übrigen Deutschen warten immer vergebens auf Freilassung und Heimbeförderung. Im Januar 1919 brachten die austral. Zeitungen die Meldung, daß der erste Transport deutscher Zivilgefangener Anfang Februar Australien verlassen sollte. Darüber war denn unsere Freude groß, aber leider wurden unsere Hoffnungen immer wieder getäuscht.

Anfang Mai 1919 wurden die Nachrichten über unsere Heimbeförderung etwas bestimmter. Die ersten beiden Transporter „Willochra“ und „Kursk“ Ende Mai abfahren sollten und zwar sollte unser Lager mit dem D. „Kursk“ fahren.

Bald wurden auch die nötigen Vorbereitungen getroffen. Es wurden allerlei Verordnungen bekanntgegeben. Wer in Australien bleiben wollte, mußte ein Gesuch einreichen, für Schiffsleute war dieses jedoch von vornherein abgeschlagen. Es durften nur solche Deutsche in Australien bleiben, die australische Frauen geheiratet hatten. Die aus Ceylon, Singapur, Hong Kong, sowie aus dem ganzen fernen Osten u. der Südsee kommenden Deutschen werden deportiert. Die Leute aus Deutsch Neu-Guinea erhielten schließlich die Erlaubnis, zurückzubleiben und weitere Dinge abzuwarten.

Anmerkung: Unter den aus Ceylon nach Australien gekommenen Deutschen, waren auch Seeleute der Frachtdampfer „Fürth“ und „Australia“, sowie 46 Verletzte von SMS „Emden“, die alle im Herbst 1915 nach Australien gebracht worden waren.

An Gepäck darf jeder internierte nur 84 lbs mitnehmen alles was darüber ist, muß durch eine austral. Firma auf eigene Kosten verfrachtet werden.

Ich hatte 2 Gepäckstücke im Gewichte von zusammen 308 lbs engl. und mußte für 224 lbs Übergewicht 60 Schilling Fracht bezahlen.

Anmerkung: 84 engl. Pfund sind etwa 38,1 Kilogramm und 308 engl. Pfund entsprechen rund 139,7 Kilo.

In Australien herrschte gerade die Grippe Epidemie, deshalb wurden wir am 12. Mai und 17. Mai 1919 geimpft.

Am 24.5. und 25.5. wurde unser Gepäck auf die Bahn gebracht. Vorher wurde es durchsucht. Zeitungen, Tagebücher u. teilweise auch Photographien wurden uns abgenommen.

Anmerkung: Unter den abgenommenen Schriftstücken waren auch Meiers Tagebücher. Heute sind sie in der Nationalbibliothek in Sydney (Referenz MLMSS 261/Box 6/Item 54).

Am Montag, den 26. Mai 1919 verließ der erste Transport deutscher Zivilgefangener, etwa 800 Mann vom Hauptlager Holdsworthy und eine Anzahl Reserveoffiziere, Australien. Es war der D. „Willochra“ (7800 B.R.T.), welcher schon 400 Deutsche aus Neuseeland an Bord hatte.

Die Mehrzahl aus unserem Lager sollte mit dem zweiten Transporter, dem früheren russischen D. „Kursk“ (12,5 Kn., ca. 7900 B.R.T.) befördert werden.

Darling Harbour, German deportees, 1919

Darling Harbour, Sydney, australische Soldaten bewachen die Ankunft eines Zuges mit deutschen Gefangenen am Kai bei der Einschiffung auf die „Kursk“; Quelle: Australian War Memorial, HO4144; public domain.

Die Fahrt auf der „Kursk“

Am Gründonnerstag, den 29. Mai 1919, um 1230 p.m. verließen wir das Gefangenenlager und wurden mittels Sonderzuges nach Sydney, Darling Harbor, gebracht wo der D. „Kursk“ zur Abfahrt bereit lag. In alphabetischer Reihenfolge gingen wir an Bord und erhielten im Zwischendeck eine Koje mit 2 Wolldecken, Kissen u. Matratze angewiesen.

Anmerkung: Statt Gründonnerstag muss es hier richtig heißen: Christi Himmelfahrt. Gründonnerstag war im Jahr 1919 am 17. April.

Es kamen etwa 800 Männer u. 200 Frauen u. Kinder an Bord, aus dem Hauptlager Holdsworthy (darunter 70 Mann von der „Emden“ und 80 Tsingtausoldaten), aus dem Trial Bay Lager (124 Compound), aus Molonglo, und auch eine Anzahl Deutsche aus Sydney u. Umgegend.

Die Frauen u. Kinder waren im Hinterschiff in Kabinen III. Klasse untergebracht, etwa 30 Reserveoffiziere in Kabinen II. Klasse und die Männer vorn im Zwischendeck in 5 Räumen:
Raum A – 120 Mann, Raum B – 136 Mann, Raum C – 196 Mann, Raum D – 254 Mann, Raum E– 80 Mann.

Abends verholte der Kursk von seinem Liegeplatz u. ging in der Watsons Bay vor Anker.

Am 30. Mai 1919, um 12:00 Uhr mittags, verließen wir den Hafen von Sydney.

Am 31.5.19, abends 10:00 Uhr waren wir in der Bass-Straße. Am Sonntag, den 1.6.19 vormittags Kap Otway.

Die Spanische Grippe

Die ersten Tage auf See hatten wir verhältnismäßig gutes Wetter. Als wir 8 Tage auf See waren, traten sehr viele Krankheitsfälle, angeblich Erkältungen an Bord auf. Das Hospital war bald überfüllt und die meisten Kranken mußten im Zwischendeck liegen bleiben. Gegen Pfingsten hatten wir sehr schlechtes Wetter. In der Nacht vom 7.6. auf den 8.6. (Pfingsten) wurden durch überkommende Seen 5 Ventilatorköpfe und einige Balken für Sonnensegel auf dem Vordeck zerbrochen. In derselben Nacht starb ein deutscher (Baumhauer) angeblich an Lungenentzündung. In der folgenden Woche mehrten sich die Krankheitsfälle, sehr viele Kranke lagen mit hohem Fieber im Zwischendeck. Die 2 austral. Militärärzte weigerten sich, in den Schiffsraum zu kommen und die Kranken zu untersuchen oder ihnen Pflege zuteil werden zu lassen. Deshalb mußten wir selbst einen freiwilligen Pflegedienst einrichten. Es wurde uns nun klar, daß eine Grippeepidemie an Bord ausgebrochen war, wie sie in Sydney zur Zeit herrschte, obgleich die Ärzte es nicht recht zugeben wollten. Der engl. Schiffsarzt kümmerte sich noch um unsere Kranken im Zwischendeck.

steam ship kursk June 1919

Dampfer „Kursk“ in schwerer See, Juni 1919, Fotograf Karl Lehmann, National Library of Australia, trove.nla.gov.au, Referenz PIC/13631/428 LOC Album 1146

Am Sonnabend Nachmittag, den 14.6. 19, starben 2 Mann an der Grippe (Karl Sergel) und wurden bald darauf in Segeltuch eingenäht und über Bord gesetzt.

Am Sonntag, den 15.6. 19 wurde von uns eine allgemeine Fiebermessung vorgenommen u. die Temperatur eines jeden festgestellt. Ein Zwischendecksraum, das C-Deck wurde geräumt und als Hospital eingerichtet.

All diejenigen, welche über 37°C Temperatur hatten, wurden in dieses neue Hospital geschafft. Die Leitung und der Pflegedienst wurde von uns freiwillig übernommen. Der engl. Schiffsarzt unterstützte uns kräftig bei der Einrichtung des C-Decks als Hospital.

Am Sonntag, den 15.6. 19 starben 3 Mann.

Am Montag, den 16.6. 19 starben 3 Mann (Prütz)

Am Dienstag, den 17.6. 19 starben 2 Mann (Baals)

Am Mittwoch, den 18.6. starben 3 Mann (Duhr, Tobias, Bachmann)

Am Donnerstag, den 19.6.1919 starben 2 Mann (Schuhmacher u. 1 Tommy)

Am Freitag, den 20.6. 19 starb ein Mann.

Anmerkung: Meier kannte nicht die Namen alle Verstorbenen. Er hat nur die ihm bekannten Namen notiert. Unter den Toten, die an Bord starben, war auch der Physikprofessor Dr. Erich Hupka: Siehe dazu den Blogartikel: 
Wie ein bekannter deutscher Physikprofessor auf die „Fürth“ kam

Am Sonnabend, den 21. Juni 1919, um 8 Uhr morgens kamen wir im Hafen von Durban, Südafrika, an und gingen in der Mitte des Hafens vor Anker.

An demselben Tage starb noch ein Deutscher (Boysen) und am folgenden Tage noch einer (Petersen), beide wurden an Land gebracht und beerdigt.

Anmerkung: Der Torpedomatrose Johann Petersen von SMS „Gneisenau“ starb am 23. Juni 1919. Das belegt ein Foto seines Grabes von Paul Dubotzki:
https://historischer-kreis.de/erinnerungen-an-die-spanische-grippe-vor-101-jahren/

Petersen war einer von 187 Seeleuten, die den Untergang von SMS „Gneisenau“ (Besatzung etwa 860 Mann) im Seegefecht bei den Falklandinseln am 8. Dezember 1914 überlebt hatten. Viereinhalb Jahre später wurde er nun ein Opfer der Spanischen Grippe.

Kursk 1919, Durban, Johann Petersen, Gneisenau

Trauerfeier für den an Bord der „Kursk“ gestorbenen Torpedomatrosen von SMS „Gneisenau“ Johann Petersen in Durban; Quelle: Australian War Memorial, HO4149, public domain.

Nächste Woche im Blog

Wie geht die Reise der „Kursk“ weiter?

Wie viele Todesopfer wird die Spanische Grippe auf der „Kursk“ noch fordern?

Wie werden die Rückkehrer nach ihrer Ankunft in Europa empfangen.

Lesen Sie Teil 2 des Tagebuchs von Friedrich Meier exklusiv hier im Blog:
Die Fahrt der „Kursk“ von Durban nach Rotterdam.

Copyright-Hinweis

Friedrich Meier starb am 7. November 1974 in Bremerhaven. Auf seinem Tagebuch ist daher ein Copyright, das bis Ende des Jahres 2044 fortbesteht.

Die Veröffentlichung der Tagebuchauszüge hier im Blog erfolgt mit freundlicher Genehmigung seiner Familie. Dafür auch an dieser Stelle herzlichen Dank.

Den vollständigen Lebenslauf Fridrich Meiers finden Sie hier:
Gestatten: Meier, Friedrich Meier

Über die Aufnahmen Karl Lehmanns

Karl Lehmann, von dem zwei Fotografien dieses Artikels stammen, war ein Kollege Friedrich Meiers.

Lehmann war dritter Offizier auf dem Dampfer „Greifswald“ des NDL, der 1914 in Fremantle (Westaustralien) beschlagnahmt worden war. Von dem Hobbyfotografen stammen auch etwa 300 Aufnahmen des Gefangenenlagers auf der Insel Rottnest (Westaustralien). Siehe dazu den Artikel: 
Rottnest Island: Die Internierung deutscher Seeleute in Westaustralien

Mehr über Karl Lehmann erfahren Sie hier (in englischer Sprache):
https://fremantlestuff.info/fhs/fs/8/Ludewig.html