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Paul Thomas, boy, 16 years old

Kriegsgefangenschaft in Goa (Teil 2 von 2)

Aus den Erinnerungen des Matrosen Paul Thomas (Fortsetzung)

Titelbild: Der Schiffsjunge Paul Thomas im Alter von 16 Jahren, Quelle: Die virtuelle europäische Bibliothek Europeana; https://www.europeana.eu/de/item/2020601/https___1914_1918_europeana_eu_contributions_12528; Lizenz CC BY-SA 3.0

Dieser Artikel ist die Forstsetzung der Erinnerungen des Matrosen Paul Thomas. Den ersten Teil finden Sie hier: Kriegsgefangenschaft in Goa (Teil 1 von 2)

Im ersten Teil berichtet der Vollmatrose des Schiffes „Brisbane“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) über die erste Zeit seiner Kriegsgefangenschaft in Goa: auf dem Schiff selbst, in der Kaserne in Panjim und schließlich in Fort Aguada in der Mormugao-Bucht in Portugiesisch-Indien.

Dieser Blogartikel setzt mit der Beschreibung seiner Aktivitäten während seiner Gefangenschaft fort. Die Informationen sind einem Brief Thomas‘ an seine Eltern entnommen.

Weiterbildung und Zeitvertreib

Thomas berichtet, dass sich die Gefangenen zwischen morgens 8 Uhr und abends 6 Uhr im Umkreis einer halben Stunde frei bewegen und auch am Strand baden können, was er dem Lagerkommandanten hoch anrechnet.

Anmerkung: Hundert Jahre später zählt der Sinquerim-Strand bei Fort Aguada zu einem der beliebtesten Touristenziele Goas.

Das Schweizer Konsulat hatte einige wenige Bücher organisiert und die internierten Seeleute versuchten sich bei der Jagd und dem Einfangen von Tieren.

Thomas‘ vielseitige Interessen vertreiben ihm die Langeweile.

Überraschend ist seine Schilderung, dass er vom dritten Steuermann (Petersen) in Nautik unterrichtet wird. Überraschend deshalb, weil in der Literatur übereinstimmend darüber berichtet wird, dass die deutschen Offiziere ausschließlich in Bicholim untergebracht waren und nicht in Aguada. Zumindest für Petersen kann das aber nicht zutreffen:

… drum nutze ich die Zeit und lerne Navigation, ich kann schon eine ganz große Portion,
der dritte Steuermann von unserem Schiff, er bringt mir vieles bei mit großem Schliff,
mit Seekarten weiß ich schon gut Bescheid, Sextant, Kompass und Logge sind mir keine Neuigkeit,
ich kann die Sonnenhöhe messen, zeige für den Sternenhimmel viel Interessen,
beherrsche schon die Grundzüge der ebenen Trigonometrie, und komme mir vor wie ein Genie,
wenn nach dem Krieg ich dann auf Seefahrtschule geh´ , tut mir der Kopf gewiss nicht gar so weh,
drum halt ich mich an meinen dritten Steuermann, weil vieles er mich jetzt schon lehren kann.

Die Frage, warum Petersen in Fort Aguada war, muss unbeantwortet bleiben. Aber offene Fragen machen Geschichte ja so spannend!

Ich spekuliere: Bicholim liegt etwa 50 Kilometer landeinwärts. Petersen hatte dort gesundheitliche Probleme und ist nach Aguada ans Meer verlegt worden.

Fort Aguada, Goa, 1794

Fort Aguada in drei Ansichten vom Meer aus gesehen, 1794, Laurie & Whittle, London; Quelle: National Library of Australia; trove.nla.gov.au

Der blinde Passagier der „Brisbane“

Neben seinem Unterricht in Navigation lernt Thomas auch Stenografie. Interessanterweise ist sein Lehrer ein Kaufmann mit Vornamen Karl, der sich in Semarang auf Java als blinder Passagier an Bord der „Brisbane“ geschlichen hatte, um wieder in die Heimat zu kommen, weil er das Klima Javas nicht vertrug.

Außerdem schreibt Thomas Gedichte und Theaterstücke, sammelt Schmetterlinge, Käfer und Briefmarken aus den portugiesischen Kolonien, wobei er über 500 Marken stolz sein Eigen nennt. Er hatte sie alle unter der Hand, teils auch von den Wachen, erworben.

Sonntags geht er mit wenigen anderen in den nahegelegenen Ort Sinquerim zum Gottesdienst, wobei Thomas offen zugibt, es nicht aus Gläubigkeit, sondern der Abwechslung wegen zu tun.

Mit Einheimischen spielt Thomas Dame und Mühle und entwickelt als einer von wenigen Seeleuten freundschaftliche Beziehungen zu ihnen. Zusammen mit seinem Freund Fritz Ahlers „aus dem Lande Detmold-Lippe“ repariert er alte Nähmaschinen, was sich schnell herumspricht und beiden einige Arbeit verschafft und auch einen kleinen Verdienst einbringt.

mormugao map 1881

Seekarte der Buchten von Aguada und Mormugao aus dem Jahr 1881 in einer Neuauflage von 1942; Fort Aguada befindet sich auf der Landzunge oben links; Quelle:https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Admiralty_Chart_No_492_Enseada_da_Agoada_and_Baia_de_Mormugao,_Published_1884,_New_Edition_1942.jpg)

Post und Zensur

Den Brief an seine Eltern sandte Paul Thomas am 27. Juni 1916 ab. Am 13. Juli erhielt er ihn jedoch wieder zurück, weil der Inhalt dem Zensor offenbar nicht genehm war. Mit einem Trick erreichte er dann doch noch seine Eltern in Flensburg:

Anfang September 1916 hat dann unser 3. Steuermann Hermann Petersen, auch ein Flensburger, der Angehörige in Dänemark hatte, den Brief über die dänische Vertretung in Mormugao und eine dänische Deckadresse seinen Briefen mit beigefügt. Am 11. Dezember 1916 haben meine Eltern diesen Brief dann tatsächlich erhalten!

Anschließend gibt uns Thomas einen interessanten Einblick in die Schwierigkeiten der Kommunikation aus der und in die Kriegsgefangenschaft:

Die Eltern von Hermann Petersen wohnten in Flensburg in der Apenraderstraße. Mein Vater war Briefträger, sein Zustellbezirk seit Jahren die Apenrader Straße. So kannte er die Familie Petersen und wunderte sich, dass ihr Sohn ab und zu mal einen Brief aus Goa schrieb, während von mir kaum jemals ein Brief aus dem gleichen Goa ankam. Es ging eben alles durch die Zensur verloren. So kam die Verbindung über Dänemark zustande. Petersens Eltern und Großeltern waren alle geborene Nordschleswiger und Jütländer und beherrschten die dänische Sprache und hatten auch wie so viele Flensburger noch Angehörige in Dänemark. Ich habe später noch mehrere Male Briefe über Petersen – Dänemark nach Hause gesandt, die fast alle angekommen sind. Im Laufe der 6jährigen Gefangenschaft habe ich etwa nur 15-20 Briefe aus der Heimat erhalten, obwohl meine Eltern über 100 und mehr geschrieben haben. Es ging fast alles verloren. Auf dem umgekehrten Weg war es ebenso, die meisten Briefe, die ich geschrieben habe, sind nie angekommen.

Über die Korrespondenz aus der Kriegsgefangenschaft hatte ich auch in diesem Artikel über Friedrich Meier berichtet: Der Schiffsoffizier Friedrich Meier – ein Nachtrag zu den Tagebucheinträgen

Mormugao, Goa, about 1890

Der Hafen Vasco-da-Gama in der Mormugao-Bucht in den 1890er Jahren; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Vasco-da-Gama_port_c._1890s.jpg

Todesfälle

Thomas berichtet von zwei Todesfällen während der Gefangenschaft in Goa. Über diese ist meines Wissens bis heute nichts bekannt. Ich gebe die Details deshalb hier ausführlich wieder.

Am 11. Juni 1917 starb im Lager unser Bäcker Karl Mewes im Alter von 26 Jahren. Er war ein sehr beliebter Kamerad, immer lustig und fidel. Als Todesursache wurde Hitzschlag angegeben. Es war eine sehr traurige Angelegenheit. Begraben wurde er neben der Kirche in Sinquerim, eine würdige Grabstelle. …

Beim zweiten Todesfall verzichte ich auf die Nennung des Familiennamens. Er tut nichts zur Sache, ist aber im Tagebuch genannt. Falls Sie einen Ihrer Vorfahren vermuten, helfe ich Ihnen auf Nachfrage gerne weiter:

Am 19. März 1919 mussten wir abermals einen Kameraden beerdigen. Es war der Oberheizer Alfred M., ein Bayer. Er war verheiratet und 46 Jahre alt. Ich bin der Ansicht, dass er sich regelrecht zu Tode getrunken hat. Er wusste mit der Zeit nichts anzufangen und verfiel dem Alkohol. Obwohl zunächst schwer Alkohol ins Lager zu bekommen war, gab es mit der Zeit doch Mittel und Wege genug, den billigen Reisschnaps, ein furchtbar scharfes Gesöff, zu bekommen. In dieser Tropenhitze ständig davon zu trinken, konnte nicht gut sein. Auch M. ist neben der Kirche begraben worden, ein würdiges Grab. Wird seine Ehefrau dieses Grab jemals im Leben zu Gesicht bekommen? Ich glaube es nicht.

Ob die beiden Gräber der deutschen Seeleute wohl heute noch existieren?

steam ship main (1900) NDL, new york

Der Dampfer „Main“ des Norddeutschen Lloyd Bremen in New York, ca. 1908, Quelle: Library of Congress, Washington DC, https://www.loc.gov/resource/det.4a15966/

Heimreise

Zum Zeitpunkt des zweiten Todesfalls war der Krieg bereits vier Monate vorbei, aber die Heimreise noch lange nicht in Sicht. Wie in anderen Lagern weltweit fehlte der nötige Schiffsraum für den Rücktransport. Paul Thomas und seine Mannschaftskameraden mussten schließlich bis zum 28. Dezember 1919 in Goa bleiben, bevor die Reise in die Heimat endlich beginnen konnte:

Am 28. Dezember 1919 Punkt fünf Uhr morgens legte der kleine Schlepper bei Hochwasser in Aguada ab. Der Abschied war ziemlich formlos, einige portugiesische Soldaten, sowie ein paar Soldaten aus Mozambique winkten uns noch für einige Zeit nach, dann verschwand Aguada für immer. Ich habe es nie wieder gesehen. Um 9.15 Uhr am gleichen Tag machte der Schlepper in Marmugao fest, dass wir ja gut kannten. Wir stiegen aus und gingen an Bord des Küstendampfers „Satyavati“. Dieser Dampfer legte am gleichen Tag also am 28. Dezember 1919 um 10 Uhr ab und sollte uns nach Bombay bringen. Er legte unterwegs noch in 6 kleinen Hafenplätzen an, wo jedes Mal Passagiere ein- und ausstiegen. Am 29. Dezember 1919 um 14 Uhr liefen wir in Bombay ein. Ein kleiner Stadtbummel war gestattet.

Der Dampfer „Main“

Am gleichen Tag um 19 Uhr gingen wir an Bord eines Truppentransporters, der uns in die Heimat befördern sollte. Es handelte sich um den ehemaligen „Deutschen Dampfer Main“ vom Norddeutschen Lloyd in Bremen, der jetzt unter englischer Flagge fuhr und als Truppentransporter umgebaut war. Das Schiff kam aus Australien und hatte etwa 500 englische Soldaten, 500 deutsche Gefangene aus Afrika – hauptsächlich Lettow-Vorbeck Leute – und rund 2.000 deutsche Gefangene an Bord, die alles aus Indien stammten. Vornehmlich darunter 1.000 Gefangene aus dem englischen Lager „Ahmednagar“ bei Bombay. Aber auch zahlreiche Deutsche, die in Indien ansässig gewesen waren: Hotelbesitzer, Ingenieure, Kaufleute, Professoren usw. usw. Alle Deutschen, darunter viele, die schon jahrelang vor dem Krieg in Indien lebten, mussten Indien verlassen.

Unter den Gefangenen aus Ahmednagar war auch die Besatzung des DADG-Schiffes „Varzin“: Siehe dazu den Artikel: Die Reise des Maschinisten Feldhusen auf dem Dampfschiff „Varzin“

Also rund 3.000 Menschen waren an Bord, viel zu viele für das Schiff, alle schliefen in den Unter- und Zwischendecks in Hängematten. Am 30. Dezember 1919 um 6 Uhr morgens legte die „Main“ von der Pier ab und ging auf Bombay Reede vor Anker. Um 14 Uhr am gleichen Tag lichtete das Schiff die Anker und stach gen Europa in See.

Wir Berufsseeleute machten uns sofort nützlich an Bord, wir schälten Kartoffeln, beteiligten uns an allen möglichen Schiffsarbeiten und erhielten dafür bessere Verpflegung.

Das Schiff „Main“ erreicht schließlich am 5. Februar 1920 um 17 Uhr Rotterdam. Von dort ging es für die Deutschen mit dem Zug nach Wesel:

Am 6. Februar 1920 um 10 Uhr fuhr ich dann mit der Bahn in einem Sonderzug weiter. Der Zug traf am Abend um 23.30 Uhr in Wesel ein. In Wesel wurden wir untersucht, erhielten etwas Geld, wurden ganz einfach eingekleidet usw. Am 12. Februar 1920 mittags um 14 Uhr wurden wir mit einem Sonderzug in Marsch gesetzt. In Hamburg verteilten sich viele und ich fuhr alleine nach Norden weiter und traf am 14. Februar 1920 um 23.30 Uhr in meiner Heimatstadt Flensburg ein. Meine Eltern waren beide am Bahnhof und nahmen mich in Empfang. Damit hatte die indische Gefangenschaft endgültig ihr Ende gefunden. Insgesamt war ich fast 7 Jahre nicht in Flensburg bei meinen Eltern gewesen.

Eine kleine Anekdote zum Schluss: Auf die Frage seiner Mutter, was sie denn für ihn kochen solle, hatte Thomas geantwortet:
Ach, Mutter, dann koch mir doch Reis!

Ich bin mir aber sicher, dass sie ihm etwas anderes zubereitet hat!

Flensburg about 1890

Flensburg, Blick vom Ballastberg, ca. 1890-1900, Library of Congress, Washington DC, https://www.loc.gov/resource/ppmsca.01020/

Nachwort und Dank

Insgesamt sind Thomas durch die Gefangenschaft über sechs Jahre verloren gegangen. Er schrieb dazu:

Diese 6 Jahre sind fast umsonst gewesen, ohne Inhalt, ohne Ziel.

Thomas blieb der Seefahrt treu und sollte es bis zum Kapitän des Zolldampfers „Yorck“ bringen.

Er verstarb am 20. August 1973 in Lübeck.

Ich bedanke mich sehr herzlich bei Paul Thomas‘ Enkel, der mir bereitwillig die Aufzeichnungen von seinem Großvater überlassen hat. Ohne diese Angaben hätte der vorliegende Artikel nicht entstehen können. Ich hoffe er trägt dazu bei, die Erinnerung an die Gefangenschaft deutscher Seeleute im Ersten Weltkrieg wachzuhalten.

Auf den Textauszügen besteht noch ein Copyright bis Ende 2043. Die Wiedergabe hier im Blog erfolgt mit freundlicher Genehmigung seiner Familie.

Paul Thomas able seaman about 1920

Porträtfoto von Paul Thomas im Anzug, in Familienbesitz, mit freundlicher Genehmigung seines Enkels

durban 1919 kursk

Abschiebung aus Australien – Ein Tagebuchbericht (Teil 2 von 2)

Titelbild: Landgang der Gefangenen und Gefangene an Bord der „Kursk“ in Durban, Juni 1919, Fotograf Karl Lehmann, National Library of Australia, trove.nla.gov.au

Die Fahrt Friedrich Meiers auf der „Kursk“
(Teil 2: Von Durban nach Hause)

Der Artikel stellt den zweiten Teil des Tagebuches des Schiffsingenieurs Friedrich Meier vor, in dem er seine Fahrt auf dem Dampfschiff „Kursk“ dokumentiert.

Zum ersten Teil des Tagebuches geht es hier:
Abschiebung aus Australien – Ein Tagebuchbericht

Meier schildert darin die lange Zeit des Wartens im australischen Lager Holsworthy nach Ende des Ersten Weltkrieges, bis die Transportschiffe endlich organisiert waren, die die Deustchen nach Hause bringen sollten. Weiters berichtete er über die Reisevorbereitungen und schließlich über den Transport auf der „Kursk“ von Sydney nach Durban (Südafrika).

Auf der Reise durch den stürmischen Südatlantik war an Bord unter den dicht gedrängt Reisenden die Spanische Grippe ausgebrochen und hatte 20 Todesopfer gefordert. 18 von ihnen wurden dem Meer übergeben, zwei, die kurz nach der Ankunft in Durban gestorben waren, wurden dort beerdigt.

Jetzt übergebe ich das Wort wieder an Friedrich Meier, der uns berichtet, wie der weitere Aufenthalt der „Kursk“ in Durban verlaufen ist:

Am 24.6. verholte der Dampfer an den Kohlenpier an der Südseite des Hafens (Bluff Wharf). Morgens und nachmittags wurden wir unter Bewachung an Land geführt.

Am folgenden Tage, den 25.6.19 wurde das Schiff mit Formalin ausgeräuchert. Während dieser Zeit wurden wir ½ Std. weit um die Landzunge Bluff Point herum an den Meeresstrand geführt, wo wir von 9 a.m. bis 4 ½ p.m. verblieben. Als Mittagessen erhielt jeder ein paar belegte Brötchen mit. Am 26.6. wurden wir nochmals an Land geführt. Die Verheirateten mit ihren Frauen u. Kindern wurden an beiden Tagen nach Salisbury Island, einer Insel im Hafen, gebracht. 20 Schwerkranke wurden an Land in ein Isolier-Hospital gebracht. Es waren Teschner, Arpe, Capt. Möller, Eckhoff, Brinke (Prinke?), Bähr, Elmenhorst, E. Meier, Simon, Großholz, Giese, Hartraht, Karcher, Lahrmann, Lemke, Lorentschk, Drews, Traub, Grundig, von Pavel. Von diesen starb später noch Teschner.

Es waren also 19 Deutsche und 1 Australier der Grippe zum Opfer gefallen. 20 Kranke mußten wir in Durban zurücklassen, von denen einer starb.

durban june 1919 bluff point beach

Deutsche Gefangene am Strand beim Bluff Point in Durban am 25. Juni 1919; Fotograf Karl Lehmann, National Library of Australia, trove.nla.gov.au, Referenz PIC/13631/433 LOC Album 1146

Die übrigen wurden mit dem 7 Wochen später kommenden 3. Transporter „Trasosmontes“ (Bülow) in die Heimat geschafft. Die Ärzte an Bord waren auch krank geworden und blieben in Durban zurück, ebenso eine Anzahl austral. Soldaten von der Wache.

Anmerkung: „Bülow“ war ein Schiff des Norddeutschen Lloyd Bremen, das bei Ausbruch des Krieges im noch neutralen Portugal Schutz gesucht hatte und dann nach der Kriegserklärung Deutschlands am 9. März 1916 an Portugal von diesem übernommen wurde und den neuen Namen „Tras-os-Montes“ erhielt. Zu diesem Thema siehe: Das Dampfschiff „Fürth“ in Lissabon

Wir bekamen für die weitere Reise einen Arzt aus Südafrika mit.

Am Sonnabend, den 28.6.1919, um 830 a.m. verließen wir den Hafen von Durban.

Am 30.6. passierten wir Kapstadt.

Während des weiteren Verlaufs der Reise traten keine Grippe-Erkrankungen mehr auf.

Am 15. Juli passierten wir Teneriffa (Santa Cruz 630 a.m.). Am 18.7. um 400 p.m. waren wir querab von Kap Finisterre.

Heimkehrer ohne Gepäck

Als wir einige Tage von Sydney fort waren, stellte es sich heraus, daß nicht alles Gepäck mitgekommen war. Zwei Eisenbahnwagen hatte man einfach zurückgelassen u. zwar voll mit Freigepäck (84 lbs).

Es wurde drahtlos angefragt und von Durban aus telegraphiert, schließlich erhielten wir die Nachricht daß das Gepäck sofort nachgeschickt werden solle, wenn 250 £ Sterling in Fracht an Bord eingezahlt würden, was wir natürlich nicht konnten. In Plymouth erhielten wir jedoch ein Telegramm, daß dies Gepäck am 9.7.19 mit dem „Trasosmontes“ abgeschickt worden sei.

Das Essen an Bord war ziemlich knapp, es gab engl. Rationen. Wer sich nichts aus der Kantine zukaufen konnte, mußte regelrecht hungern.

Am 19.7., 900 p.m. passierten wir Ushant und am Sonntag den 20. Juli 1919, 830 a.m. liefen wir in den Hafen von Plymouth ein.

Anmerkung: Ushant ist der englische Name der französischen Bretagne-Insel l’île d’Ouessant.

Ushant, creach lighthouse 1883

Phare de Créac’h auf der bretonischen Insel Ouessant, 1883, Quelle : commons.wikimedia, Datei : Phare du Creac’h d’Ouessant (10968814023).jpg

Nachmittags um 400 verließen wir Plymouth, am folgenden Morgen um 1030 waren wir auf der Höhe von Dover, und am Dienstag, den 22. Juli 1919 um 700 Uhr morgens waren wir in Rotterdam.

Durch Sammlungen an Bord hatten wir im Laufe der Reise folgende Gelder aufgebracht und verausgabt: für Backschaft (Essgeschirr aufwaschen, Zwischendecks, Waschhäuser und Latrinen reinigen) 265 £ Sterling. Für die Krankenpflege und -kost: 147 £ Sterling.

Die Waschgelegenheit an Bord war den Verhältnissen entsprechend knapp. Morgens war das Frischwasser von 6 1/2 – 8 und nachmittags von 4 bis 5 Uhr angestellt, sodaß sich kaum alle waschen konnten. Zeugwäsche durfte man nur Donnerstags machen.

Während der Reise wurden oft Bootsmanöver veranstaltet und in der Gefahrzone (europäische Gewässer) waren die Boote stets ausgeschwungen u. klar zum Niederlassen. Die letzten 4 Tage mußte jeder seinen Rettungsgürtel stets bei sich haben, wegen der Minengefahr.

Im engl. Kanal wurden zwei der ausgelieferten deutschen U-boote an uns vorübergeschleppt, ein Anblick, der uns sehr nahe ging (U 9 und U 79).

Wir sahen auch eine Anzahl der ausgelieferten deutschen Handelsschiffe, welche die Flagge des Völkerbundes, blau-weiß-blau, führten.

Willochra, Rotterdam, 1919

Zeitungsartikel über die Ankunft der „Willochra“ und die erwartete Ankunft der „Kursk“ in Rotterdam; De Maasbode, 18. Juli 1919, S. 3; http://www.delpher.nl

Von Rotterdam nach Hause

Am 22. Juli 1919 in Rotterdam angekommen, gingen wir um 10 Uhr morgens von Bord und erhielten in einer Auswandererhalle Mittagessen. Nachher bekamen wir noch Kaffee u. Brot für die Reise und nachmittags um 320 Uhr fuhren wir mittels Sonderzuges ab über Utrecht, Arnhem, Zevenaar und Elten nach Wesel, wo wir um 1045 anlangten. Unterwegs erhielten wir an verschiedenen Stationen Brötchen, Kaffee, Zigarren u. Zigaretten u. Blumen und die Holländer zeigten sich sehr freundlich. In Zevenaar verließ uns die holländische Bewachung und wir waren wieder frei, nachdem wir 5 Jahre in Gefangenschaft geschmachtet hatten. Was für ein Gefühl das war, läßt sich kaum beschreiben.

In Wesel wurden wir mit Musik empfangen und marschierten unter ihrem Voranschritt nach der Clevertor-Kaserne. Dort erhielten wir Essen und Schlafgelegenheit umsonst, wer Geld hatte, konnte auch in der Stadt im Hotel wohnen.

Hier in Wesel sollten wir warten, bis unser Gepäck aus Rotterdam ankommt und dann mit Extrazügen weiterfahren.

Am 24. Juli kam unser Gepäck an, wir mußten es selbst ausladen und wieder einladen in den für Bremen bestimmten Wagen.

In Wesel erhielten wir vom Nordd. Lloyd einen Vorschuß von 300 M. Das engl. und austral. Geld konnten wir einwechseln zum Kurse von 65 M für 1 £ Sterling.da

Am 24.7., abends 845 Uhr verließen wir Wesel mit dem für Bremen und Hamburg bestimmten Sonderzuge. Nachts um 2 erhielten wir in Osnabrück belegte Butterbrote und Kaffee. Am 25.7., morgens 705 kamen wir in Bremen an, wo wir festlich empfangen wurden. Wir erhielten Brot u. Wurst u. Kaffee, sowie Zigarren, Blumen usw.

Mit dem 800 Zuge fuhr ich dann weiter nach Geestemünde.

Am 25. Juli 1919 war ich wieder zuhause in Lehe, Rutenbergstr 25 I.

Anmerkung: Geestemünde und Lehe waren 1919 eigenständige Städte. Durch ihre Vereinigung im Jahr 1924 entstand Wesermünde, das spätere Bremerhaven (ab 1947).

Bremerhaven, Stadtplan, 1901

Bremerhaven um 1901, Bibliograph. Institut, Leipzig; Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Unterweserorte_um_1901.jpg

In den 1920er Jahren

Nach seiner Rückkehr kam Friedrich Meier gut durch die schwierigen Nachkriegsjahre. Sein Enkel erinnert sich. Die Abkürzung NDL steht für den Norddeutschen Lloyd in Bremen.

„In der Zeit nach der Ankunft ist es meinem Opa eigentlich relativ gut gegangen. Er wurde im August 1919 vom NDL entlassen und war dann bis Anfang Oktober 1919 arbeitslos. Da er vom NDL aber im August 1919 noch für 6 Monate Heuer ausbezahlt bekam konnte er die Zeit finanziell ganz gut überstehen. Ab Oktober konnte er dann für 6 Monate auf dem finnischen Dampfer Norge als Maschinist anheuern, der Lebensmittel von Kopenhagen nach Swinemünde bringen sollte. Dieses Schiff und seine drei Schwesterschiffe, alles ehemalige Minensuchboote, wurde aber schon nach kurzer Zeit nach Chile verkauft, so dass nach 6 Monaten wieder Schluss war.

Ab 1920 besuchte mein Großvater dann für zwei Semester die Schiffsingenieurschule in Bremerhaven, die er erfolgreich abschloss. Im Jahr 1920 stellte mein Großvater auch einen Antrag auf Entschädigung beim Bund der Auslandsdeutschen für die Kosten während der Internierung in Australien, die Anfang 1921 bewilligt wurde (1500 Mark plus Zinsen).

Direkt im Anschluss an die Schule bekam er 1921 wieder eine Anstellung beim NDL im Vorkalkulationsbüro. Ab Sommer 1922 übernahm er dann den Oelprüfraum. Diese Anstellung behielt er bis 1926, da der Oelprüfraum des NDL aufgrund von Sparmaßnahmen geschlossen wurde. Bekam aber die Möglichkeit in den fahrenden Dienst zu wechseln, was er zum 1.3.1926 tat. Von da an fuhr er bis Ende der 20iger Jahre als 4. und dann 3. Ingenieur auf den Dampfern Crefeld, Stuttgart, Derfflinger und Columbus.“

Columbus NDL um 1926

Dampfer „Columbus“, Norddeutscher Lloyd Bremen, um 1926; Quelle: Bundesarchiv_Bild_102-00912A,_Dampfer_“Columbus“.jpg über commons.wikimedia.org

Weitere Blogartikel über den Schiffsingenieur Friedrich Meier:

Gestatten: Meier, Friedrich Meier  mit seinem kompletten Lebenslauf

Friedrich Meiers Tagebücher in australischer Gefangenschaft:

1. Gefangenschaft in Melbourne, Meier konnte sich auf Ehrenwort (parole) frei in der Stadt bewegen: In australischer Gefangenschaft

2. Gefangenschaft im Langwarrin Internment Camp (Bundesstaat Victoria) von März bis August 1915: Deutsche Seeleute im Langwarrin Internment Camp

3. Überstellung in das Lager Hol(d)sworthy (Liverpool) bei Sydney (August bis Dezember 1915): Gefangen in Australien – das Liverpool Internment Camp

4. Friedrich Meier im Lager Trial Bay (Dezember 1915 bis Mai 1918):
Trial Bay Camp – Gefängnis am Strand (Teil 1 von 2)
und Das Trial Bay Internierungslager in New South Wales/Australien (Teil 2 von 2)

5. Zurück im Liverpool Internment Camp (Mai 1918 bis Mai 1919):
Im Lazarett – Tagebuch einer Operation im Jahr 1918 und
Tagebuch Friedrich Meier: Die letzten Monate im Holsworthy Internment Camp (NSW, Australien)

sowie: Der Schiffsoffizier Friedrich Meier – ein Nachtrag zu den Tagebucheinträgen

Copyright-Hinweis

Friedrich Meier starb am 7. November 1974 in Bremerhaven. Auf seinem Tagebuch ist daher ein Copyright, das bis Ende des Jahres 2044 fortbesteht.

Die Veröffentlichung der Tagebuchauszüge hier im Blog erfolgt mit freundlicher Genehmigung seiner Familie. Dafür auch an dieser Stelle herzlichen Dank.

Über die Aufnahmen Karl Lehmanns

Karl Lehmann, von dem einige Fotografien dieses Artikels stammen, war ein Kollege Friedrich Meiers. Lehmann war dritter Offizier auf dem Dampfer „Greifswald“ des NDL, der 1914 in Fremantle (Westaustralien) beschlagnahmt worden war. Von dem Hobbyfotografen stammen auch etwa 300 Aufnahmen des Gefangenenlagers auf der Insel Rottnest (Westaustralien). Siehe dazu den Artikel: https://frachtdampferfuerth.com/2021/01/30/rottnest-island-camp/

steamship steamer kursk 1919

Abschiebung aus Australien – Ein Tagebuchbericht (Teil 1 von 2)

Die Fahrt Friedrich Meiers auf der „Kursk“
(Teil 1: Von Sydney nach Durban)

Heute gibt es hier im Blog die Erstveröffentlichung des Tagesbuches eines deutschen Schiffsoffiziers aus dem Jahr 1919. Der junge Offizier ist jedoch nicht Teil der Mannschaft, sondern gehört zu den aus Australien abgeschobenen Deutschen, die ab Sommer 1919 die Heimreise antraten.

Treue Blogleser kennen den Verfasser: es ist Friedrich Meier, der bereits über seine australische Gefangenschaft sehr detailliert Tagebuch geführt hat.

Die Tagebücher aus der Internierung, die Meier bei seiner Abschiebung nach Deutschland abgenommen wurden, befinden sich heute in der Nationalbibliothek von New South Wales in Sydney.

Im Unterschied dazu ist das Tagebuch seiner Heimreise bis heute in Familienbesitz. Mein herzlicher Dank gilt dem Enkel Friedrich Meiers, der mir freundlicherweise den Inhalt zur Verfügung gestellt hat.

Den geschichtlichen Zusammenhang, in dem die Tagebucheinträge stehen, habe ich in einem Artikel über die Abschiebung Deutscher aus Australien nach dem Ersten Weltkrieg, erläutert: https://frachtdampferfuerth.com/2021/07/24/abschiebung-deutscher-australien-1919/

Damit der Artikel nicht zu lang wird, stelle ich ihn in zwei Teilen in den Blog. Der zweite Teil kommt nächste Woche.

Das Tagebuch – im folgenden in kursiver Schrift wiedergegeben – beginnt an der Jahreswende 1918/1919. Die Geduld der in Australien Internierten wurde auf eine sehr harte Probe gestellt. Der Krieg war zu Ende, aber die Heimreise noch lange nicht in Sicht.

Liverpool Camp, about 1916

Das Lager Holsworthy (Liverpool) vom Beobachtungsturm aus gesehen; G. C. C. Album 1914 – 1916 / [Bilder, Zeichnungen und Entwürfe von Stefan Pokora, Otto Hermann und Richard Kunze], Herausgegeben in Liverpool 1916 von Jacobsen, © Digitale Version: Potsdam : Universitätsbibliothek, 2015 

Langes Warten

Kurz vor u. nach Weihnachten 1918 wurden aus unserem Lager etwa 12 naturalisierte Deutsche entlassen.

Wir übrigen Deutschen warten immer vergebens auf Freilassung und Heimbeförderung. Im Januar 1919 brachten die austral. Zeitungen die Meldung, daß der erste Transport deutscher Zivilgefangener Anfang Februar Australien verlassen sollte. Darüber war denn unsere Freude groß, aber leider wurden unsere Hoffnungen immer wieder getäuscht.

Anfang Mai 1919 wurden die Nachrichten über unsere Heimbeförderung etwas bestimmter. Die ersten beiden Transporter „Willochra“ und „Kursk“ Ende Mai abfahren sollten und zwar sollte unser Lager mit dem D. „Kursk“ fahren.

Bald wurden auch die nötigen Vorbereitungen getroffen. Es wurden allerlei Verordnungen bekanntgegeben. Wer in Australien bleiben wollte, mußte ein Gesuch einreichen, für Schiffsleute war dieses jedoch von vornherein abgeschlagen. Es durften nur solche Deutsche in Australien bleiben, die australische Frauen geheiratet hatten. Die aus Ceylon, Singapur, Hong Kong, sowie aus dem ganzen fernen Osten u. der Südsee kommenden Deutschen werden deportiert. Die Leute aus Deutsch Neu-Guinea erhielten schließlich die Erlaubnis, zurückzubleiben und weitere Dinge abzuwarten.

Anmerkung: Unter den aus Ceylon nach Australien gekommenen Deutschen, waren auch Seeleute der Frachtdampfer „Fürth“ und „Australia“, sowie 46 Verletzte von SMS „Emden“, die alle im Herbst 1915 nach Australien gebracht worden waren.

An Gepäck darf jeder internierte nur 84 lbs mitnehmen alles was darüber ist, muß durch eine austral. Firma auf eigene Kosten verfrachtet werden.

Ich hatte 2 Gepäckstücke im Gewichte von zusammen 308 lbs engl. und mußte für 224 lbs Übergewicht 60 Schilling Fracht bezahlen.

Anmerkung: 84 engl. Pfund sind etwa 38,1 Kilogramm und 308 engl. Pfund entsprechen rund 139,7 Kilo.

In Australien herrschte gerade die Grippe Epidemie, deshalb wurden wir am 12. Mai und 17. Mai 1919 geimpft.

Am 24.5. und 25.5. wurde unser Gepäck auf die Bahn gebracht. Vorher wurde es durchsucht. Zeitungen, Tagebücher u. teilweise auch Photographien wurden uns abgenommen.

Anmerkung: Unter den abgenommenen Schriftstücken waren auch Meiers Tagebücher. Heute sind sie in der Nationalbibliothek in Sydney (Referenz MLMSS 261/Box 6/Item 54).

Am Montag, den 26. Mai 1919 verließ der erste Transport deutscher Zivilgefangener, etwa 800 Mann vom Hauptlager Holdsworthy und eine Anzahl Reserveoffiziere, Australien. Es war der D. „Willochra“ (7800 B.R.T.), welcher schon 400 Deutsche aus Neuseeland an Bord hatte.

Die Mehrzahl aus unserem Lager sollte mit dem zweiten Transporter, dem früheren russischen D. „Kursk“ (12,5 Kn., ca. 7900 B.R.T.) befördert werden.

Darling Harbour, German deportees, 1919

Darling Harbour, Sydney, australische Soldaten bewachen die Ankunft eines Zuges mit deutschen Gefangenen am Kai bei der Einschiffung auf die „Kursk“; Quelle: Australian War Memorial, HO4144; public domain.

Die Fahrt auf der „Kursk“

Am Gründonnerstag, den 29. Mai 1919, um 1230 p.m. verließen wir das Gefangenenlager und wurden mittels Sonderzuges nach Sydney, Darling Harbor, gebracht wo der D. „Kursk“ zur Abfahrt bereit lag. In alphabetischer Reihenfolge gingen wir an Bord und erhielten im Zwischendeck eine Koje mit 2 Wolldecken, Kissen u. Matratze angewiesen.

Anmerkung: Statt Gründonnerstag muss es hier richtig heißen: Christi Himmelfahrt. Gründonnerstag war im Jahr 1919 am 17. April.

Es kamen etwa 800 Männer u. 200 Frauen u. Kinder an Bord, aus dem Hauptlager Holdsworthy (darunter 70 Mann von der „Emden“ und 80 Tsingtausoldaten), aus dem Trial Bay Lager (124 Compound), aus Molonglo, und auch eine Anzahl Deutsche aus Sydney u. Umgegend.

Die Frauen u. Kinder waren im Hinterschiff in Kabinen III. Klasse untergebracht, etwa 30 Reserveoffiziere in Kabinen II. Klasse und die Männer vorn im Zwischendeck in 5 Räumen:
Raum A – 120 Mann, Raum B – 136 Mann, Raum C – 196 Mann, Raum D – 254 Mann, Raum E– 80 Mann.

Abends verholte der Kursk von seinem Liegeplatz u. ging in der Watsons Bay vor Anker.

Am 30. Mai 1919, um 12:00 Uhr mittags, verließen wir den Hafen von Sydney.

Am 31.5.19, abends 10:00 Uhr waren wir in der Bass-Straße. Am Sonntag, den 1.6.19 vormittags Kap Otway.

Die Spanische Grippe

Die ersten Tage auf See hatten wir verhältnismäßig gutes Wetter. Als wir 8 Tage auf See waren, traten sehr viele Krankheitsfälle, angeblich Erkältungen an Bord auf. Das Hospital war bald überfüllt und die meisten Kranken mußten im Zwischendeck liegen bleiben. Gegen Pfingsten hatten wir sehr schlechtes Wetter. In der Nacht vom 7.6. auf den 8.6. (Pfingsten) wurden durch überkommende Seen 5 Ventilatorköpfe und einige Balken für Sonnensegel auf dem Vordeck zerbrochen. In derselben Nacht starb ein deutscher (Baumhauer) angeblich an Lungenentzündung. In der folgenden Woche mehrten sich die Krankheitsfälle, sehr viele Kranke lagen mit hohem Fieber im Zwischendeck. Die 2 austral. Militärärzte weigerten sich, in den Schiffsraum zu kommen und die Kranken zu untersuchen oder ihnen Pflege zuteil werden zu lassen. Deshalb mußten wir selbst einen freiwilligen Pflegedienst einrichten. Es wurde uns nun klar, daß eine Grippeepidemie an Bord ausgebrochen war, wie sie in Sydney zur Zeit herrschte, obgleich die Ärzte es nicht recht zugeben wollten. Der engl. Schiffsarzt kümmerte sich noch um unsere Kranken im Zwischendeck.

steam ship kursk June 1919

Dampfer „Kursk“ in schwerer See, Juni 1919, Fotograf Karl Lehmann, National Library of Australia, trove.nla.gov.au, Referenz PIC/13631/428 LOC Album 1146

Am Sonnabend Nachmittag, den 14.6. 19, starben 2 Mann an der Grippe (Karl Sergel) und wurden bald darauf in Segeltuch eingenäht und über Bord gesetzt.

Am Sonntag, den 15.6. 19 wurde von uns eine allgemeine Fiebermessung vorgenommen u. die Temperatur eines jeden festgestellt. Ein Zwischendecksraum, das C-Deck wurde geräumt und als Hospital eingerichtet.

All diejenigen, welche über 37°C Temperatur hatten, wurden in dieses neue Hospital geschafft. Die Leitung und der Pflegedienst wurde von uns freiwillig übernommen. Der engl. Schiffsarzt unterstützte uns kräftig bei der Einrichtung des C-Decks als Hospital.

Am Sonntag, den 15.6. 19 starben 3 Mann.

Am Montag, den 16.6. 19 starben 3 Mann (Prütz)

Am Dienstag, den 17.6. 19 starben 2 Mann (Baals)

Am Mittwoch, den 18.6. starben 3 Mann (Duhr, Tobias, Bachmann)

Am Donnerstag, den 19.6.1919 starben 2 Mann (Schuhmacher u. 1 Tommy)

Am Freitag, den 20.6. 19 starb ein Mann.

Anmerkung: Meier kannte nicht die Namen alle Verstorbenen. Er hat nur die ihm bekannten Namen notiert. Unter den Toten, die an Bord starben, war auch der Physikprofessor Dr. Erich Hupka: Siehe dazu den Blogartikel: 
Wie ein bekannter deutscher Physikprofessor auf die „Fürth“ kam

Am Sonnabend, den 21. Juni 1919, um 8 Uhr morgens kamen wir im Hafen von Durban, Südafrika, an und gingen in der Mitte des Hafens vor Anker.

An demselben Tage starb noch ein Deutscher (Boysen) und am folgenden Tage noch einer (Petersen), beide wurden an Land gebracht und beerdigt.

Anmerkung: Der Torpedomatrose Johann Petersen von SMS „Gneisenau“ starb am 23. Juni 1919. Das belegt ein Foto seines Grabes von Paul Dubotzki:
https://historischer-kreis.de/erinnerungen-an-die-spanische-grippe-vor-101-jahren/

Petersen war einer von 187 Seeleuten, die den Untergang von SMS „Gneisenau“ (Besatzung etwa 860 Mann) im Seegefecht bei den Falklandinseln am 8. Dezember 1914 überlebt hatten. Viereinhalb Jahre später wurde er nun ein Opfer der Spanischen Grippe.

Kursk 1919, Durban, Johann Petersen, Gneisenau

Trauerfeier für den an Bord der „Kursk“ gestorbenen Torpedomatrosen von SMS „Gneisenau“ Johann Petersen in Durban; Quelle: Australian War Memorial, HO4149, public domain.

Nächste Woche im Blog

Wie geht die Reise der „Kursk“ weiter?

Wie viele Todesopfer wird die Spanische Grippe auf der „Kursk“ noch fordern?

Wie werden die Rückkehrer nach ihrer Ankunft in Europa empfangen.

Lesen Sie Teil 2 des Tagebuchs von Friedrich Meier exklusiv hier im Blog:
Die Fahrt der „Kursk“ von Durban nach Rotterdam.

Copyright-Hinweis

Friedrich Meier starb am 7. November 1974 in Bremerhaven. Auf seinem Tagebuch ist daher ein Copyright, das bis Ende des Jahres 2044 fortbesteht.

Die Veröffentlichung der Tagebuchauszüge hier im Blog erfolgt mit freundlicher Genehmigung seiner Familie. Dafür auch an dieser Stelle herzlichen Dank.

Den vollständigen Lebenslauf Fridrich Meiers finden Sie hier:
Gestatten: Meier, Friedrich Meier

Über die Aufnahmen Karl Lehmanns

Karl Lehmann, von dem zwei Fotografien dieses Artikels stammen, war ein Kollege Friedrich Meiers.

Lehmann war dritter Offizier auf dem Dampfer „Greifswald“ des NDL, der 1914 in Fremantle (Westaustralien) beschlagnahmt worden war. Von dem Hobbyfotografen stammen auch etwa 300 Aufnahmen des Gefangenenlagers auf der Insel Rottnest (Westaustralien). Siehe dazu den Artikel: 
Rottnest Island: Die Internierung deutscher Seeleute in Westaustralien

Mehr über Karl Lehmann erfahren Sie hier (in englischer Sprache):
https://fremantlestuff.info/fhs/fs/8/Ludewig.html

Friedrich Meier Chefingenieur TS Arosa Star, ca. 1955

Gestatten: Meier, Friedrich Meier

Titelbild: Friedrich Meier in den 1950er Jahren als Chefingenieur auf dem Schiff TS „Arosa Star“; Foto aus Privatbesitz; Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Familie

Chefingenieur und Tagebuchautor

Heute habe ich die große Freude und ganz besondere Ehre, Ihnen den Chefingenieur Friedrich Meier vorstellen zu können.

Als vierter Maschinist geriet Meier im Ersten Weltkrieg in australische Gefangenschaft und dank seiner ausführlichen und präzisen Tagebucheinträge wissen wir heute über die Bedingungen in den Internierungslagers Langwarrin, Holsworthy und Trial Bay mehr, als aus den spärlichen anderen Quellen.

Insgesamt waren während des Ersten Weltkrieges etwa 5500 Deutsche in Australien interniert, darunter eine große Zahl an Seeleuten der Deutschen Handelsmarine, wie dem Norddeutschen Lloyd Bremen (NDL) oder der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg (DADG).

Die Tagebücher Meiers hatte ich hier im Blog ausführlich vorgestellt, die Links zu den einzelnen Artikeln finden Sie am Ende dieses Beitrags.

Mein herzlicher Dank geht an die Familie Friedrich Meiers, die auf meinen Blog gestoßen, mich freundlicherweise kontaktiert und mit Informationen und Bildmaterial versorgt hat.

Friedrich Meier Maschinisten-Assistent 1912

Friedrich Meier als Maschinisten-Assistent auf dem Dampfschiff „Kaiser Wilhelm II.“ im Jahr 1912, Foto aus Privatbesitz; Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Familie

In jungen Jahren

Friedrich Meier wurde am 22. April 1891 in Wesermünde (heute Bremerhaven) geboren. Er hatte drei Brüder: Willi, Hermann und Adolf.

Nach dem Besuch der Maschinistenschule in Bremerhaven kam er als Ingenieurassistent zum Norddeutschen Lloyd. Die Abbildung oben zeigt ihn als Maschinisten-Assistent auf dem großen NDL-Dampfer „Kaiser Wilhelm II.“.

Im Juni 1914 beorderte die Reederei Meier als vierten Maschinisten auf den Frachtdampfer „Lothringen“.

NDL Lothringen, 1906

Der Frachtdampfer „Lothringen“, Norddeutscher Lloyd Bremen, Ansichtskarte, ungelaufen, eigene Sammlung.

Dampfschiff Lothringen

Der Frachtdampfer „Lothringen“, Norddeutscher Lloyd Bremen, Technische Daten zum Schiff nach Angaben auf der Rückseite der oben abgebildeten Ansichtskarte

Von Hamburg nach Australien

Die „Lothringen“ legte am 24. Juni 1914 in Bremerhaven ab. Nach einem Zwischenstopp in Emden am 25. Juni wurde vom 26. bis 29. Juni in Antwerpen weitere Ladung aufgenommen.

Kapitän des Schiffes war I. Köhler, die Decksoffiziere A. Büsing (1. Off.), R. Peytsch (2. Off.), G. Gramberg (3. Off.) und M. Heinke (4. Off.).

Als Chefingenieur an Bord war R. Bühler. Zweiter Ingenieur war O. Kretschmann und dritter Maschinist W. Kamenz.

Anmerkung: Reinhold Bühler starb am 10. Oktober 1918 in australischer Gefangenschaft. Ein Gedenkstein auf dem Tatura German Military Cemetery (Victoria, Australien) erinnert an ihn (Quelle: http://www.cwgc.org).

Die Maschinenmannschaft komplettierten ein Maschinenwärter, neun Heizer und zwei Kohlenzieher (Trimmer).

Als Heuer erhielt der vierte Ingenieur Meier 140 Mark pro Monat. Das deckt sich mit Angaben, die aus der Musterrolle des Schiffes „Neumünster“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft überliefert ist. Hier hatte der vierte Maschinist Meentzen auf der dreizehnten Fahrt 125 Mark verdient und auf der vierzehnten Fahrt dann 150 Mark.

SIEHE DAZU: Die Musterrolle (Originaldokument aus den Jahren 1913/1914)

Zu seiner monatlichen Heuer hat Meier noch ein Biergeld von 0,75 Mark pro Tag erhalten.

Quelle: Unveröffentlichte Tagebucheinträge Friedrich Meiers, in Familienbesitz.

Von Antwerpen lief die „Lothringen“ nonstop nach Melbourne und kam dort am 15. August 1914 an. Der Erste Weltkrieg war bereits ausgebrochen, die „Lothringen“ war noch ohne Telegrafie per Funk unterwegs und so gerieten Meier und alle seine Mannschaftskollegen in australische Gefangenschaft.

Zunächst konnte sich Meier in Melbourne auf Ehrenwort (parole) frei bewegen. Er musste sich lediglich regelmäßig bei den Behörden melden. Am 1. März 1915 erfolgte die Internierung im Lager Langwarrin bei Melbourne. Im August 1915 wurde er dann in das Lager Holsworthy überführt und im Dezember des gleichen Jahres nach Trial Bay (beide in New South Wales).

Dort entstand die folgende Aufnahme:

Friedrich Meier 1917

Schiffsoffizier Friedrich Meier, Foto vom 6. Juni 1917; Copyright © National Archives of Australia, Kontrollnummer D3597, 5150.

Die Aufnahme Meiers ist am 6. Juni 1917 entstanden. Auch dies hat Friedrich Meier in seinem Tagebuch festgehalten:

Am 6. Juni 17 wurden sämtliche Internierte auf Anordnung der Austr. Regierung photographiert. Jeder bekam eine Nummer, welche er vor der Brust halten mußte bei der Aufnahme.

Meier war zu diesem Zeitpunkt 26 Jahre alt.

Anmerkung: Im australischen Nationalarchiv befinden sich zwei Personen mit dem Namen Friedrich Meier. Erst mit Hilfe seiner Familie konnte ich das richtige Foto zuordnen.

Zurück nach Deutschland

Bei seiner Abschiebung aus Australien hatten die australischen Behörden Meiers Tagebücher, die er in Gefangenschaft verfasst hatte, beschlagnahmt. So fanden sie ihren Weg in die Mitchell Library nach Sydney, wo sie heute noch liegen und in digitalisierter Form online eingesehen werden können. Andere Tagebücher und Fotos bleiben glücklicherweise unentdeckt und sind heute noch in Familienbesitz.

Hier die Quelle der Tagebücher in Sydney: Mitchell Library, State Library of New South Wales and Courtesy copyright holder; Call No. MLMSS 261 / Box 6 / Item 54 (Friedrich Meier diary)

Nach seiner Rückkehr aus Australien besuchte Friedrich Meier ab 1920 die Schiffsingenieurschule. Bis Anfang/Mitte der 1930er Jahre ist er auf Fracht- und Passagierschiffen des Norddeutschen Lloyd weiter zur See gefahren:

Zunächst auf Frachtschiffen der Ostasienlinie und später auf der Nordatlantikroute zwischen Bremerhaven und New York. Auf den renommierten NDL-Schiffen „Europa“, „Bremen“ und „Columbus“ fuhr er als leitender Ingenieur.

Nach seiner Karriere auf See arbeitete Meier als Ingenieur in der Kältetechnik (Kühlhäuser). In den 1950er Jahren fuhr er von 1955 – 1958 vertretungsweise noch fünf Mal als leitender Ingenieur im Nordatlantikverkehr auf der TS „Arosa Star“ (TS stehe für Turbine Steamer, Turbinendampfschiff) in die USA und nach Kanada. Die Titelabbildung zeigt Meier zu dieser Zeit.

Friedrich Meier verstarb am 7. November 1974 in Bremerhaven.

Johann Cölln Hamburg

Anzeige von Cöllns Austernstuben in den Hamburger Nachrichten vom 26. August 1934; Quelle: europeana.eu

Regelmäßige Treffen

Die ehemaligen Gefangenen des australischen Lagers Trial Bay trafen sich in der Folgezeit regelmäßig zu einem „Trial Bay Curry Essen“ in verschiedenen Restaurants.

Zu den Lokalen gehörten zum Beispiel die bekannten Austernstuben von Johann Cölln in Hamburg (siehe die Anzeige aus den 1930er Jahren), das Essighaus in Bremen (1961) und Raths Weinstuben in Hamburg (1964).

Diese Treffen in den 1960er Jahren waren die letzten ihrer Art; es gab zum Schluss nur noch zwei Überlebende.

Dank

Ich bedanke mich sehr herzlich bei der Familie Friedrich Meiers und vor allem bei seinem Enkel, der mir bereitwillig Fotos und Informationen zu seinem Großvater überlassen hat. Ohne diese Angaben hätte der vorliegende Artikel nicht entstehen können. Mein Dank gilt ebenfalls der freundlichen Erlaubnis, die Tagebucheinträge Friedrich Meiers auf meinen Blogseiten belassen zu dürfen. Das Copyright erlischt schließlich erst am Ende des Jahres 2044.

Anhang

Hier zusammenfassend noch einmal die Stationen Friedrich Meiers in australischer Gefangenschaft:

1. Gefangenschaft in Melbourne, Meier konnte sich auf Ehrenwort (parole) frei in der Stadt bewegen: In australischer Gefangenschaft

2. Gefangenschaft im Langwarrin Internment Camp (Bundesstaat Victoria) von März bis August 1915: Deutsche Seeleute im Langwarrin Internment Camp

3. Überstellung in das Lager Hol(d)sworthy (Liverpool) bei Sydney (August bis Dezember 1915): Gefangen in Australien – das Liverpool Internment Camp

4. Friedrich Meier im Lager Trial Bay (Dezember 1915 bis Mai 1918):
Trial Bay Camp – Gefängnis am Strand (Teil 1 von 2)
und Das Trial Bay Internierungslager in New South Wales/Australien (Teil 2 von 2)

5. Zurück im Liverpool Internment Camp (Mai 1918 bis Mai 1919):
Im Lazarett – Tagebuch einer Operation im Jahr 1918 und
Tagebuch Friedrich Meier: Die letzten Monate im Holsworthy Internment Camp (NSW, Australien)

Im Mai 1919 enden die in der Mitchell Library in Sydney erhaltenen Tagebücher Friedrich Meiers.

Liverpool NSW 1916

Tagebuch Friedrich Meier: Die letzten Monate im Holsworthy Internment Camp (NSW, Australien)

Ausbruch der Spanischen Grippe in Australien

Titelbild:
Holsworthy Internment Camp, 1916, Modelle einer Drehbank und zweier Dreifach-Expansions-Dampfmaschinen, die von den drei Gefangenen im Lagerbereich 1 hergestellt wurden; Quelle: Australian War Memorial Collection, H17387, public domain

Die Vorgeschichte

Im August 1914 war der Schiffsoffizier Friedrich Meier mit seinem Schiff „Lothringen“ vom Norddeutschen Lloyd Bremen in Melbourne festgesetzt worden.

Vier Jahre dauerte nun bereits seine Gefangenschaft in Australien.

Die Links zu den bisherigen Beiträgen über unseren fleißigen Tagebuchschreiber Meier finden Sie am Ende des Beitrags.

Zuletzt hatte er sich am 13. August 1918 bei einem Sportunfall die Speiche gebrochen und wurde im Garrison Hospital in Sydney operiert. SIEHE: Im Lazarett – Tagebuch einer Operation im Jahr 1918

Anschließend wurde der Gefangene zurück in das Internment Camp Holsworthy gebracht, in dem etwa 5600 Deutsche, Österreicher, Ungarn, Bulgaren und Türken auf das Ende des Krieges warteten und ihrem ungewissen Schicksal entgegensahen.

Zusätzliche Verunsicherung unter den Lagerinsassen verbreitete die „Spanische Grippe“, die Anfang 1919 ihren Weg nach Australien gefunden hatte.

Zurück in Holsworthy

Von August bis November 1918 notierte Meier seine monatlichen Zahlungseingang vom Norddeutschen Lloyd: viermal je zwei Pfund.

Anschließend schrieb er weiter in sein Tagebuch:

Anfang November erhielt ich von der Austral. Regierung Jacke, Hose und Handtuch.

Der Krieg neigt sich dem Ende

Seit Mitte August 1918 haben wir ein Kino im Lager. Der Apparat ist in der oberen Esshalle eingebaut und es werden an 3 bis 4 Abenden in der Woche Aufführungen gegeben.
Der Bau eines Theaters wurde auch noch begonnen, doch da der Krieg scheinbar seinem Ende zu geht, wurde der Bau aufgegeben. Nur der Zuschauer-Raum wurde fertiggestellt und der Kinematograph aus der Eßhalle hierher gebracht.

Anfang Oktober schloß Bulgarien mit den Entente Mächten Waffenstillstand. Ende Oktober folgten die Türkei und Oesterreich-Ungarn. Da blieb auch für Deutschland nichts anderes übrig, es war der Übermacht nicht gewachsen.

Am 11. November begann der Waffenstillstand zwischen Deutschland und den Ententemächten, und die Bedingungen waren sehr hart für uns: Übergabe der Flotte, Räumung des linksrheinischen Gebietes, Herausgabe der Gefangenen (ohne Gegenseitigkeit) u.s.w. Der Deutsche Kaiser mußte abdanken und nach Holland flüchten – alles niederdrückende Nachrichten, man konnte es nicht begreifen wie sich unsere Lage in wenigen Monaten so verändern konnte.

Doch eine Hoffnung haben wir jetzt, daß unsere Gefangenschaft nun bald ein Ende haben wird. Wenn es auch noch einige Monate dauern wird, so muß doch endlich die Stunde der Freiheit auch für uns schlagen.

Am 10.12.18 erhielt ich von der Austral. Reg. ein paar Schuhe (getragene) u. 1 Mütze.

Am 13.12.18 erhielt ich vom Lloyd £ 3/10 (£ 2/10 für Dezember u. 1 £ zu Weihnachten).

Eben vor Weihnachten wurden 8 Deutsche (naturalisierte Australier) aus diesem Lager und eine Anzahl aus dem Hauptlager entlassen.

Liverpool camp 1917, WW1

Essenszeit im Lager Holsworthy, 1917; Quelle: Australian War Memorial Collection, H18944, public domain

Langes Warten

Die Mehrzahl von uns wird wohl noch bis März oder April 1919 hierbleiben müssen, bisher hat sich unsere Lage durch den Waffenstillstand noch in keiner Weise gebessert.

Die hier fast jeden zweiten oder dritten Tag auftretenden Staubwinde sind es, die einem das Leben zur Hölle machen. Man kann nirgends davor flüchten, und abends ist man dann dreckig wie ein Mohr, man wäscht sich, doch am andern Tage ist’s wieder dasselbe. Man muß sich nur wundern, daß man bei dem vielen Staubschlucken so gesund bleibt. Der Staub ist unvermeidlich, weil so viele Menschen auf einem kleinen Platze eingesperrt sind, wird die Erde stets von neuem los getreten zu feinem Mehl, und der hier so häufige, heftige Tageswind wirbelt dann ungeheure Staubmassen durch das Lager. Die Barracken bieten keinen Schutz, der Staub dringt überall ein.

Weihnachten 1918 ist nun auch vorüber, ohne Sang und Klang, am Heiligen Abend und auch Sylvester saßen wir im Kino, man hörte kaum einen Glückwunsch zum Neuen Jahre, und doch erhofft man soviel vom Jahre 1919, soll es uns doch die heißersehnte Freiheit bringen.

Mein rechter Arm wird jetzt wieder kräftiger, ich kann nun ein wenig anfangen zu Turnen. Es hat aber auch sehr lange gedauert, bis es soweit war. Lange Zeit konnte ich ein Knacken an der Bruchstelle deutlich fühlen.

Am 3.1.1919 betrug mein Gewicht (mit Hemd u. Hose bekl.) 139 Pfund englisch.
(gleich 63 kg oder 126 Pfd. metrisch)

Das ist ein erster Hinweis, den Meier zu seiner eigenen Person gibt.

Liverpool camp WW1, kitchen buildings

Holsworthy Internment Camp, 1916, Fässer und Säcke mit Vorräten werden bei der Kantine von einem Pferdefuhrwerk abgeladen; Quelle: Australian War Memorial Collection, H17372, public domain

Kein Ende

Am 10.1.1919 erhielt ich vom Lloyd für Monat Januar £ 2/10/-

Am 23.1.19 erhielt ich von der Regierung 2 Paar Strümpfe u. 1 Hemd.

Mitte Januar erfuhren wir aus der Zeitung, daß die englische Regierung es nicht länger nötig erachte, die deutschen Zivilgefangenen festzuhalten und daß die Heimbeförderung derselben von England am 6. Januar 1919 beginnen sollte; dienstuntaugliche u. ältere Zivilisten seien schon im Dezember heimbefördert worden.

Hier sind erst wenige naturalisierte Deutsche freigelassen worden. In den australischen Zeitungen wird Propaganda gemacht, daß alle Deutschen, ob naturalisiert oder nicht, zwangsweise nach Deutschland befördert werden sollen und gegen die Freilassung der Deutschen wird heftig protestiert.

Ende Januar 1919 meldeten die Zeitungen, daß Anfang Februar der Heimtransport der in Australien internierten Deutschen beginnen soll.

Wie wir hören, sind sämtliche alliierte Gefangenen in Deutschland schon in ihre Heimat zurückbefördert, während die Auslieferung der gefangenen Deutschen noch nicht einmal begonnen hat.

Liverpool camp, cafe, WW1

Holsworthy Internment Camp, „Franz-Josef-Café” und Billardraum, Quelle: Australian War Memorial Collection, H17375, public domain

Die Spanische Grippe – Grenzschließungen, Maskenzwang und Isolierung

Den 12. Februar 1919.
Ende vorigen Monats ist nun auch in Australien die Spanische Influenza (Grippe) (epidemische Lungenentzündung) ausgebrochen, von der in der zweiten Hälfte von 1918 fast alle Länder der Erde heimgesucht worden sind und die unzählige Opfer gefordert hat. Dadurch, daß man in den australischen Häfen über alle aus infizierten Ländern kommenden Schiffe die Quarantäne verhängte, hatte man die Influenza aus Australien ferngehalten, bis sie schließlich nach Melbourne eingeschleppt wurde und dort Fuß fasste.

Die dortigen Behörden suchten die vorgekommenen Fälle zu verheimlichen, bis in Sydney Ende Januar 1919 einige Erkrankungen vorkamen von Personen, die vorher in Melbourne gewesen waren.

Die Regierung von New South Wales unternahm sofort drastische Maßnahmen um die Seuche im Keim zu ersticken. Die Grenzen wurden geschlossen und in Sydney wurde Maskenzwang eingeführt und alle Kranken isoliert.

Jedermann auf der Straße und in den Bahnen mußte eine Maske über Mund und Nase tragen zum Schutze gegen die Influenzabazillen.

Bis zum 1. März (ca. 6 Wochen) kamen in Victoria 7943 Erkrankungen vor, wovon 492 tödlich verliefen; in N.S.W. 296 Erkrankungen u. 13 Todesfälle.

Die Gefangenenlager hier in Holdsworthy sind als besonderes Quarantänegebiet isoliert worden und bis jetzt (2. März) ist hier noch keine Erkrankung an Grippe vorgekommen.

Anmerkung: Die Gefangenschaft in Holsworthy sollte noch länger dauern, als Meier ahnen konnte. Im Juli 1919 erreichte die Spanische Grippe auch das Holsworthy Internment Camp. Es waren 94 Tote zu beklagen.
Quelle: Holsworthy Internment Camp during Word War I, Beverley Donald 2014; dictionaryofsydney.org

In ganz Australien gab es zwischen 12.000 bis 15.000 Opfer.

Am 1. März ist in Sydney der Maskenzwang wieder aufgehoben worden und Theater, Vergnügungslokale, Kinos, Kirchen, Bierlokale, die während der letzte 5 Wochen geschlossen waren, sind wieder geöffnet worden (die Zahl der Erkrankungen hat sich jedoch sehr vermehrt).

Liverpool camp, internees at work, WW1

Holsworthy Internment Camp, 1916, Gefangene bei der Arbeit; Quelle: Australian War Memorial Collection, H17640, public domain

Am 14. Febr. 1919 erhielt ich vom Nordd. Lloyd (für Monat Febr.) £ 2/10/-

Letzter Kassensturz

Zum 1. März 1919 macht Meier noch einmal einen Kassensturz.

Bei seinem ersten im September 1916 war er auf einen Durchschnittsverbrauch von 25,9 Mark pro Monat gekommen. Am ersten März 1918 hatte er erneut einen Kassensturz für 18 Monate gemacht und hatte jetzt Ausgaben in Höhe von durchschnittlich 46,45 Shilling notiert, was etwa dem gleichen Betrag in Mark entsprach. Für das letzte Jahr kam er nun im Schnitt auf 51,25 Shilling pro Monat.

Viele Güter waren während des Krieges deutlich teurer geworden, was ausreichen würde, um die gestiegenen Ausgaben zu erklären.

Einnahmen u. Ausgaben vom 1. März 1918 bis zum 1. März 1919. (12 Monate)

Einnahmen £ 28/10/- (vom Lloyd)
oder 570 s
Bestand am 1.3.18: 908 s
1478 s

Best. am 1.3.19:        863 s

Gesamtausgabe   615 Shilling in 12 Mon.

oder monatlich 615/12 = 51,25 s

Während der 4 Jahre hinterm Stacheldraht (1.3.1915 bis 1.3.1919) habe ich ausgegeben
1923,1 s od.
£ 96/3/1
das ist monatlich 40 s od.
£ 2/-/-

Während derselben Zeit erhielt ich vom Nordd. Lloyd als Unterstützung
£ 91/5/- (+ 18 s 6 d von Pfaff) (Agentur Melbourne)

Vom Agenten des Nordd. Lloyd in Melbourne erhielt ich zu Anfang des Krieges £ 6/-/-.

Liverpool camp, store, WW1

Holsworthy Internment Camp, Lagerkantine (Laden), alle Gewinne kamen den Gefangenen zugute, entweder über das Lagerkomitee für Verbesserungen im Lager oder in Form einer Auszahlung; Quelle: Australian War Memorial Collection, H17374, public domain

Letzte Einträge von März bis Mai 1919

Am 6. März erhielt ich vom Nordd. Lloyd (für Monat März) £ 2/10/-

Am 14. April erhielt ich vom Nordd. Lloyd (für Monat April) £ 2/10/-

Wie wir Anfang April durch die Zeitungen erfuhren, sind von England bereits 26000 deutsche Zivilgefangene heimbefördert worden. 5000 sind noch in England und davon wollen 4000 dort bleiben.

Am 6. Mai erhielt ich vom Nordd. Lloyd (für Monat Mai) £ 2/10/-

Am 19. Mai erhielt ich vom Nordd. Lloyd (für Monat Juni) £ 2/10/-

Holdsworthy, den 20. Mai 1919.
Jetzt will man doch endlich mit unserer Heimbeförderung beginnen, es werden jetzt alle Vorbereitungen dafür getroffen. Alle von Ceylon, Singapore, Hongkong, Borneo usw. hierher geschickten Deutschen werden zwangsweise nach Deutschland zurückgebracht.
Von den hier in Australien Internierten dürfen nur die hierbleiben, die hier geboren sind und die eine austral. Frau haben. Die aus Neu Guinea u. den früheren deutschen Schutzgebieten kommenden Deutschen bleiben noch hier, bis entschieden ist, ob sie nach dort zurückkehren dürfen oder nicht.

Liverpool, internees clearing land, WW1

Gefangene beim Roden von Land, Holsworthy Internment Camp, 1916; Quelle: Australian War Memorial Collection, H17639, public domain

Rücktransport

Jeder Internierte hat 84 lbs engl. Gepäck frei, außer etwas Handgepäck. Die große Mehrzahl von uns hat jedoch bedeutend mehr Gepäck. Dieses Übergepäck müssen wir durch eine Firma verschicken lassen und es kosten 112 lbs. engl. (ca. 50 kg) 30 Shilling von hier bis Rotterdam.

Alle werden jetzt zwangsweise gegen span. Grippe geimpft. Ich wurde zweimal geimpft, am 12.5. u. 17.5.19.

Am 15.5.19 ist der D. Willochra (8500 t) von Wellington, Neu Seeland abgefahren mit ca. 400 deutschen Zivilgefangenen an Bord. Derselbe wird in den nächsten Tagen von Sydney abfahren und noch etwa 800 bis 900 Mann von hier mitnehmen.

Die Mehrzahl aus unserem Lager soll am 25. od. 26. d. M. mit dem D. „Kursk“ (8900 t), welcher augenblicklich in Sydney liegt, abfahren.

Das ist der letzte Eintrag im Tagebuch Friedrich Meiers.

Das Lager Holsworthy bestand noch bis in das Jahr 1920 fort, der letzte Gefangene verließ das Lager am 5. Mai 1920.
Quelle: Holsworthy Internment Camp during Word War I, Beverley Donald 2014; dictionaryofsydney.org

Der Krieg war zu diesem Zeitpunkt fast achtzehn Monate vorbei.

Sydney harbour, internees arrving for Liverpool camp, 1916

Hafen Sydney, 1916, ein Überseedampfer mit Gefangenen für das Lager Holsworthy beim Anlegemanöver; Quelle: Australian War Memorial Collection, H18468, public domain

Weitere Tagebuchauszüge Friedrich Meiers im Blog

In australischer Gefangenschaft

Deutsche Seeleute im Langwarrin Internment Camp

Gefangen in Australien – das Liverpool Internment Camp

Trial Bay Camp – Gefängnis am Strand (Teil 1 von 2)

Das Trial Bay Internierungslager in New South Wales/Australien (Teil 2 von 2)

Im Lazarett – Tagebuch einer Operation im Jahr 1918

Copyright-Hinweis

Nachtrag vom 7. Mai 2022:

Friedrich Meier starb am 7. November 1974 in Bremerhaven. Auf seinem Tagebuch ist daher ein Copyright, das bis Ende des Jahres 2044 fortbesteht.

Die Veröffentlichung der Tagebuchauszüge hier im Blog erfolgt mit freundlicher Genehmigung seiner Familie. Dafür auch an dieser Stelle herzlichen Dank.

Mehr über Friedrich Meier erfahren Sie hier:
Gestatten: Meier, Friedrich Meier

Demnächst im Blog

Die Abschiebung der Deutschen nach Europa: Auf den überfüllten Schiffen kommt es zu Ausbrüchen der Spanischen Grippe und einigen Todesfällen. Eindrucksvolles Bildmaterial von den Überfahrten wird den Blogartikel illustrieren.

Außerdem: Ein Nachtrag zu den Tagebucheinträgen Friedrich Meiers. Auf einigen losen Blättern verzeichnete Meier die an ihn adressierte und von ihm verschickte Post. Wenige zusätzliche Einträge geben Hinweise auf seine Identität und andere Gefangene.

Trial Bay Camp 1916

Das Trial Bay Internierungslager in New South Wales/Australien (Teil 2 von 2)

Theater – Kassensturz – Tragischer Tod des Arno Friedrich – Der „Problemwal“ – Maschinistenschule – Unerwarteter Aufbruch

Titelbild: Bunter Abend, Programmankündigung (Ausschnitt), Trial Bay Concentration Camp; Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1504047 (siehe Copyright-Hinweis am Ende des Beitrags)

Im Dezember 1915 war der in Melbourne gefangen genommene deutsche Schiffsoffizier Friedrich Meier in das Lager Trail Bay an die australische Ostküste verlegt worden. Etwa 500 Personen teilten dort sein Schicksal der Kriegsgefangenschaft. Über seine erste Zeit in Trial Bay hatte ich bereits berichtet: Trial Bay Camp – Gefängnis am Strand (Teil 1 von 2)

Dieser Blogartikel erzählt nun die wenig bekannte Geschichte deutscher Kriegsgefangenschaft in Australien während des Ersten Weltkrieges anhand seiner Tagebucheinträge weiter. Die Bilder des Artikels stammen aus der State Library of New South Wales (Mitchell Library) in Sydney, wo auch das Tagebuch inventarisiert ist. 

Bühne frei: Das deutsche Theater in Trial Bay

Am Sonnabend den 12. August wurde unser neuerbautes Theater eingeweiht. Es wurde ein Liederabend veranstaltet, welcher sehr schön verlief.
Das Theatergebäude ist aus Holz erbaut und wurde von der Regierung bezahlt (Kantinenüberschuß). Bühneneinrichtung und Kostüme mußten wir jedoch selbst anschaffen. Das Theater ist 40 m lang und 8 m breit und faßt über 250 Personen. Eintrittspreise sind 1s, 6d, 8d und 1d.
Jede Aufführung wird zweimal gegeben, damit alle Lagerinsassen es sehen. Es wird abwechselnd ein „bunter Abend“ oder ein Lustspiel aufgeführt, zwei Vorstellungen pro Woche. Bis jetzt wurden folgende Lustspiele aufgeführt: „Der Herr Senator“, „Most“ und „Das Stiftungsfest“.

Trial Bay Camp 1916

Bunter Abend, Programmankündigung, Trial Bay Concentration Camp; Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1504047

Der Herr Senator ist ein Lustspiel von Franz von Schönthan und Gustav Kadelburg aus dem Jahr 1895. Von Franz von Schönthan ist heute das Stück „Der Raub der Sabinerinnen“ das einzige, das einem breiten Publikum bekannt ist.

Most ist ein Lustspiel von Gustav von Moser und Otto Girndt. Gustav von Moser ist auch der Autor des Lustspiels „Das Stiftungsfest“. Beide Autoren sind heute mehr oder weniger vergessen.

Das Theater von Trial Bay war ein kultureller Mittelpunkt für die Gefangenen. Zahlreiche Aufnahmen von Szenenbildern und Programmankündigungen belegen das.

Friedrich Meier scheint jedoch kein großer Fan des Theaters gewesen sein. Darauf weist zumindest die Tatsache hin, dass dieser Tagebucheintrag der einzige ist, in dem das Theater des Lagers erwähnt wird.

Trial Bay Camp a7247041h

Theaterstück “The King’s Order” mit Friedrich dem Großen (sitzend); Trial Bay Concentration Camp, Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1504040

Die Versorgung der Gefangenen mit Lebensmitteln

Anschließend widmet sich Meier wieder den praktischen Dingen zu: dem Essen.

Trial Bay, den 15. September 1916.

Seit dem 2. d. M. wird die Kantine von uns verwaltet, deren Verdienst von jetzt ab dem Lager zu Gute kommt. Zwar mußten wir alle Schulden mit übernehmen, die, wie es sich seit einiger Zeit herausstellte, sich auf 193 £ beliefen ( ̴3860 M). Aber die sind bald abbezahlt und dann können wir alle Überschüsse für das Lager verwenden.
Von jetzt ab werden unsere täglichen Rationen sehr verkürzt werden und zwar bekommen wir jetzt pro Mann und Tag:
Fleisch 10 oz = 283 gr
Brot 12 oz = 340 gr
Kartoffeln u. Gemüse 8 oz = 226 gr
Milch 1/20 Pfd. = 23 gr (oder den gleichen Wert Gemüse)
Erbsen u. Bohnen 2 oz = 57 gr
Marmelade 2 oz = 57 gr
Zucker 2 oz = 57 gr
Kaffee ¾ oz = 21 gr
Thee 1/8 oz = 3,5 gr
Salz ½ oz = 14 gr
Pfeffer 1/72 oz = ¼ gr

Außerdem erhalten wir pro Tag für 500 Personen 150 Pfd. (68 kg) Mehl welches in der Genossenschaftsbäckerei verarbeitet wird, wo täglich Kuchen und Brödchen sowie 2 mal in der Woche Schwarzbrot gebacken werden.

Anschließed listet Meier die Rationen auf, die vorher verteilt wurden. Im Großen und Ganzen waren die Gefangenen auf halbe Kost gesetzt worden.

Bisher erhielten wir:
Fleisch 20 oz = 566 gr
Brot 1 Pfd. = 454 gr
Kartoffeln 1 Pfd. = 454 gr
Gemüse ½ Pfd. = 227 gr
Marmelade 3 3/8 oz = 95 gr
u.s.w.

Seit dem 3. Sept. wird nur noch einmal täglich Appell abgehalten und zwar abends um 5 ½ Uhr. Die Tore werden jetzt schon vor 7 Uhr morgens geöffnet.

Trial Bay Camp, 1914-1918

Krankenstation, Trial Bay Concentration Camp; Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1504110

Kassensturz

Friedrich Meiers macht eine Auflistung seines Kassenbestandes für die ersten 18 Monate seiner Internierung in Australien. Er hat pro Monat knapp 26 Mark verbraucht.

Einnahmen in der Zeit vom 1. März 1915 bis zum 30. September 1916. (18 Mon.)

Taschengeld erhalten von d. Austral. Regierung £ 4/6/00
Lohn für geleistete Arbeit
£ 13/6/00
Vorschüsse vom Nordd. Lloyd £ 21/3/6

Guthaben am 1. März 1915 30 s
Schulden bei Flocke
£ 2
Schulden bei Kamenz 14s/1 ½ d
Schulden bei Bühler 2/

Gesamteinnahme £ 43/1/7 ½
Kassenbestand am 1. Sept. 1916 £ 19/15/00

Gesamtausgabe £ 23/6/7 ½

Durchschnittsausgabe pro Monat = 25s 10d
̴ 25,9 M monatl. verausgabt

Trial Bay Beach

Trial Bay Concentration Camp, Aufnahme 1918, viele der Gefangenen hatten sich aus eigenen Mitteln Strandhütten gebaut, in denen sie einen Teil ihrer Tage verbrachten; Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1503967

Fluchtversuch

Im Oktober 1916 kam es zu einem Fluchtversuch aus Trail Bay:

Seit dem 10. Oktober ist wieder morgens und abends Appell, weil ein Mitgefangener zu entkommen suchte. Derselbe wurde jedoch am 2. Tage kaum 30 ml von hier wieder eingefangen.

Der neue Kommandant

Trial Bay, den 1. November 1916

Vor einigen Tagen war hier der neue Kommandant der Australischen Gefangenenlager, Oberst Holman zu Besuch. Auf unser Gesuch um Grenzerweiterung und Spaziergänge unter Bewachung hat er uns mitgeteilt, daß wir in nächster Zeit Tagesparole und Bewegungsfreiheit auf 2 Meilen im Umkreis haben sollen. Auch soll eine elektrische Lichtanlage gebaut werden zur Kampbeleuchtung und zur Beleuchtung des Stacheldrahtzauns, welcher unser Kampgebiet begrenzt. Vielleicht bleiben dann die Gefängnistore nachts geöffnet und die Wache wird vermindert um 30 (?) Soldaten.

Anmerkung: Bei der Zahl 30 bin ich mir nicht sicher, deshalb das Fragezeichen.

Außerdem sollen wir 100 neue Blechteller bekommen, da die alten stark verrostet sind.
Unsere Post soll nicht mehr über Liverpool Kamp, sondern direkt nach Sydney zum Zensor gehen.
Die übernommenen Kantinenschulden haben sich als höher herausgestellt, nämlich   ̴260 £, jedoch will der neue Kommandant 100 £ zurückerstatten.

Trial Bay beach hut
Die Hütte des Prisoners of War (POW) mit Namen Ribitsch (auf der Rückseite Ribitzch geschrieben), Aufnahme undatiert; Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1503976

Schlechte Nachrichten

Trial Bay, den 25. Dezember 1916.

Unser Gesuch wegen Tagesparole auf 2 Meilen im Umkreis, welches der neue Kommandant befürwortet hatte, ist nunmehr in Melbourne abschlägig beschieden worden.
Die Kantinenverwaltung ist uns auch wieder genommen worden, und zwar von der „Military Garrison“. Sie wird zwar nach unserem System von unseren Leuten weitergeführt, aber der Verdienst geht an die genannte Behörde nach Sydney, welche sämtliche Kantinen der Gefangenenlager übernommen hat, und auch alle Einkäufe für dieselben macht. Der Kantinenüberschuß soll für unser Wohl verwendet werden, doch wollte die Behörde uns nichts schriftlich garantieren.

Seit heute fällt der Morgenappell wieder aus, wir brauchen daher nur noch abends 5.30 antreten.

Melbourne war während des Ersten Weltkrieges noch die Hauptstadt Australiens, Canberra wurde es erst in den zwanziger Jahren.

Weihnachten 1916

Zu Weihnachten durfte sich jeder eine Flasche Rotwein kaufen (2/6). Jeder erhielt eine kleine Bescherung im Werte von 1/6.
Die Weihnachtsfeier fand am ersten Weihnachtstage statt. Am Tage vor Weihnachten starb nämlich einer unserer Mitgefangenen an Blutvergiftung und wurde am 1. Feiertag morgens etwa 500 m vom Lager entfernt am Bergabhange beerdigt.

Trial Bay funeral 1916
Beerdigung des Gefangenen Adam (1916), Trial Bay Concentration Camp,; Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1504013

Daylight Saving Time

Am 1. Januar wurde in ganz Australien die Uhr eine Stunde vorgerückt um Tageslicht zu sparen. Diese Kriegsuhrzeit gilt hier in Zukunft vom 1. Oktober bis zum 1. April.
Unser Abendappell ist daher auf halb sieben verlegt worden und seit dem 11. Februar ist erst um 11h Licht aus.
Seit dem 1. Januar 1917 bekommen wir nur Mehl geliefert und backen unser Brot im Lager selbst. Es gibt jetzt statt des ewigen Weißbrotes deutsches Fein-, Grau- und Schwarzbrot.

Am 19. III. 17 wurde uns die Zeitung gestoppt und zwar, wie uns gesagt wurde, auf Befehl vom Defence-Department von Melbourne.
Vielleicht war es auch wegen der guten Nachrichten, der Revolution in Rußland, welche hier die Gemüter sehr erregten.
Am 23. III. 17 wurde uns die Zeitung auf unser Ansuchen wieder erlaubt.

Gute Aussicht

Trial Bay, den 3. April 1917.

Heute ist unser Kampgebiet erweitert worden, wir haben den Bergabhang des südöstlich vom Kamp gelegenen Berges zubekommen. Unser altes Kampgebiet hatte etwa 1,5 km Umfang, oder etwa 14 ha Fläche. Das neue Gebiet hat etwa 1 km Umfang, oder etwa 6-7 ha Fläche.
Der höchste Punkt, zu dem wir jetzt gehen können, liegt   
̴65m über dem Meeresspiegel, sodaß wir jetzt eine wunderbare Aussicht auf das Meer und die Bucht haben.

Am 25. III. 17 wurde die Uhr wieder eine Stunde zurückgestellt und der Appell ist darum wieder auf 5.30 p.m. gesetzt, und das Signal „Licht-aus“ auf 10h p.m.

Trial Bay 1914-1918, beach
Der Signalmast sorgte bei der Zivilbevölkerung für Spekulationen, dass die Gefangenen Kontakt mit Schiffen aufnehmen könnten; Trial Bay Concentration Camp, Aufnahme undatiert; Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1503981

Über die Post der Gefangenen

ohne Datum (Mai 1917)

Vor einigen Tagen ist uns erlaubt worden, außer den zwei Briefen noch 2 Postkarten pro Woche abzusenden. Doch nach einigen Wochen kam eine neue Verordnung, daß jede Karte, die mehr als Adresse und Absender enthält, als Brief gerechnet wird. Folglich ist also der Postverkehr auf das alte Maß beschränkt worden, denn Postkarten nur mit Adresse und Absender schickt doch keiner ab.

Der Abendappell findet wegen der früher eintretenden Dunkelheit jetzt um 5.15 statt.

Trial Bay, den 11. Juni 1917.

Von gestern ab ist der Briefwechsel mit den Gefangenen in anderen Kamps in Australien verboten. Für Ausnahmefälle muß die besondere Erlaubnis des Kommandanten eingeholt werden.

Heute erhielt unser hier internierter Inspektor des N.D. Lloyd Herr Plate von der Agentur des N.D.L. in Shanghai einen Brief, wonach verheiratete Schiffsoffiziere noch 60% ihrer Heuer erhalten, während die ledigen Schiffsoffiziere nur noch 25% ihrer Heuer bekommen.

Am 6. Juni 17 wurden sämtliche Internierte auf Anordnung der Austr. Regierung photographiert. Jeder bekam eine Nummer, welche er vor der Brust halten mußte bei der Aufnahme.

Viele Fotos der Gefangenen mit der vierstelligen Nummer sind heute noch erhalten und auf den Seiten der National Archives of Australia verfügbar.

Der Tod des Arno Friedrich

Den 22. Juni 1917.

Heute ereignete sich ein höchst trauriger Vorfall. Unser Kompanieführer Arno Friedrich wurde beim Baden von einer zurücktretenden Welle mitgerissen und von der Strömung ins Meer hinausgetragen. Der Vorfall wurde sofort bemerkt, aber bei dem hohen Seegang und dem starken Sturm erwiesen sich alle Rettungsmaßnahmen als erfolglos. Mehrere Kameraden versuchten mit einer langen Rettungsleine herauszuschwimmen, wurden aber von den hereinbrechenden Wogen stets zurückgeworfen. Innerhalb 20 Minuten war Friedrich soweit herausgetrieben, daß man ihn nicht mehr sehen konnte. Inzwischen erboten sich einige Kameraden, mit einem Fischerboot herauszufahren und erhielten nach längerem Zögern auch die Erlaubnis unseres Kommandanten. Der Fischer wohnte 1 km von der Unfallstelle entfernt, und als das Boot endlich auf der Unfallstelle erschien und das Meer absuchte waren 1 ½ Std. vergangen und vom Verunglückten nichts mehr zu entdecken. Das Boot fuhr noch nach einem in der Bucht ankernden Dampfer, doch die Besatzung hatte auch nichts gesehen, den Unfall und die Menschenansammlung überhaupt nicht bemerkt. Bei der bewegten See hat Friedrich, der kein guter Schwimmer war, sich nicht sehr lange über Wasser halten können und ist ertrunken. Seine Leiche hat das Meer nicht wieder herausgegeben, vielleicht ist sie den Haifischen zum Opfer gefallen.

Cairn Trial Bay
Gedenksäule an fünf Gestorbene während der australischen Gefangenschaft, zerstört 1919, wiederaufgebaut 1959, Trial Bay Concentration Camp; Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1504095

Anschließend beschreibt Meier wieder den Alltag im Lager:

Unsere Kantine hat einen monatlichen Umsatz von 1500 £ bis 1800 £ und hat sicher einen ansehnlichen Überschuß bei den gepfefferten Preisen.
Alle Waren, die man nicht durch die Kantine bezieht, müßen 5% Aufschlag an dieselbe bezahlen.

Die Preise für frei verkäufliche Waren in den Lagern waren sehr hoch. Auch Seeleute der „Fürth“, die in Ragama auf Ceylon interniert waren, hatten sich darüber beschwert:

Von der Kantine, die auf unsere Beschwerden eingerichtet wurde, konnten wir keinen Gebrauch machen, da die Preise lächerlich hoch waren.
(Hamburgischer Correspondent und neue hamburgische Börsen-Halle, 31. Oktober 1914, S. 3)

Zurück zu Friedrich Meier:

Unsere Küche, welche für annähernd 500 Mann kocht, erhält einen Zuschuß von 100 £ bis 200 £ monatlich aus der Lagerkasse für Fleisch und Gemüse usw. Diese 100 £ kommen zum Teil aus dem Kantinenüberschuß, zum Teil aus der Genossenschaft und der Rest aus monatlichen Beiträgen von 1s pro Mann.

Wieviel Geld in diesem Kamp von den Internierten ausgegeben wird, kann man daraus ersehen, daß allmonatlich über 1000 £ Bankgelder abgehoben werden, von der Regierung etwa 150 £ monatlich an Löhnen ausgezahlt werden, und viele bekommen ihr Geld in eingeschriebenen Briefen. …

Das Lager Trial Bay bildete eine Ausnahme: viele Internierte waren aus der australischen Oberschicht und wurden von ihren Familien oder von Freunden versorgt. Andere, wie die Schiffsoffiziere, erhielten Vorschüsse auf ihre Heuer.

Trial Bay beach, New South Wales
Wolkeneffekt am Strand der Trial Bay, Aufnahme undatiert (1914-1918); Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1503970

Der „Walfisch“

Die folgende Episode in Meiers Tagebuch gebe ich stark verkürzt wieder:

Als wir am 3. Juli morgens früh an den Strand gingen, entdeckten wir einen großen Walfisch, welcher an unserem Badestrande auf eine Sandbank festgeraten war und bei dem fallenden Wasser nicht wieder loskommen konnte. Bald war das ganze Lager am Strand versammelt und es wurde beratschlagt wie das Tier am besten zu erlegen sei. Es kamen auch einige Soldaten unserer Wache mit einem Gewehr herbei und gaben einige Schüsse auf den Wal ab, welche aber wenig Eindruck auf ihn machten. Als das Wasser nun fiel gingen einige kräftige Kameraden mit einer Harpune an den Wal heran und bohrten ihm dieselbe in den Körper und erreichten damit, daß der Wal nach einiger Zeit unter heftigen Todeszuckungen verschied. Ringsherum war das knietiefe Wasser vom Blute ganz rot gefärbt. …

Meier schildert nun ausführlich, wie der Wal, den er als 16 Meter lang beschreibt, aus dem Wasser gezogen und zerlegt wurde. Die Gefangenen hatten den Plan, Tran und Barten (Fischbein) zu verkaufen. Allerdings war die anfängliche Euphorie bald verflogen, denn neben dem bestialischen Gestank des verwesenden Kadavers gab es auch ungebetene Gäste:

Außerdem haben das Blut und die Fleischstücke des Wals soviele Haifische angelockt, daß das Baden fast unmöglich gemacht wurde.

Der in der Nähe wohnende Fischer hat in den folgenden Wochen 8 bis 10 Haifische mit der Angel gefangen und wir fingen eines Morgens auch einen. Die Haie kamen zuweilen bis auf 1 m an das Ufer heran, aber alle Versuche, dieselben mit einer Harpune zu erlegen, mißlangen.

Zur gleichen Zeit hatten einige Gefangene die Erlaubnis bekommen, zu fischen:

Einige unserer Kameraden haben endlich die Erlaubnis bekommen, sich ein Boot zum Fischen anzuschaffen. Das Boot kam am 24. VI. hier an, also 2 Tage nach dem Ertrinken unseres Kameraden Friedrich.

Nachdem der Tran und das Fischbein des Wals trotz großer Anstrengungen und Kosten keine Abnehmer fanden, resümiert Meier:

… so ist der Walfischfang ein großes Fiasko geworden und hat dem Lager ein schönes Stück Geld gekostet.

Trial Bay art and handicraft exposition 1918
Ausstellung von Werken der Gefangenen im Trial Bay Concentration Camp, 1918; Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1503996

Die Maschinistenschule

Im Oktober 1917 wurde im Lager Trial Bay eine Schule für Seeleute gegründet, an der auch Meier als Schüler eingeschrieben war.

Trial Bay, 23. Oktober 1917.

Heute wurde die hiesige Maschinistenschule für einen Kursus 1. Klasse mit einer kleinen Feier eingeweiht. Direktor der Schule ist Dr. Pupke (von der Deutsch-Austral. D.S.Gesell.). Lehrer sind die Herren Klock, Dr. Defregger, Dr. Jakob, Ing. Mewes, Ing. Butzmüller, Ing. Loeblein und Schiffsing. Zinnius. Es nehmen 11 Herren am Unterricht teil sowie etwa 6 Hörer in einigen Fächern. Fittig, Maskow, Macfarlane, E. Meier, Conrad H. Bade, I. Jessen, Stehl, Aden, H. Hegerhorst, I. Meentzen.

Hörer: C. Baur, F. Meier, Mencke, A. Schlesinger, H. Martens,

Die Kosten für das Schulgebäude haben die Schüler und Lehrer unter sich aufgebracht, das Segeltuch fürs Dach stiftete Herr Plate. Das Schulgebäude ist etwa   m lang,    m breit u. 3 m hoch, von den Schülern selbst erbaut. Die Materialkosten belaufen sich auf 500-600 M.

Anmerkung: Länge und Breite sind im Tagebuch nicht benannt.

Kleidung und Heuer

19. November 1917

Von der Regierung erhielt ich folgende Bekleidungsstücke: Hemd, Hose, Hut, Handtuch u. Schuhe.

Im Jan. 17 erhielt ich: Hemd, Handtuch, Hut. wollene Jacke, im April 1914 erhielt ich: Hose, Schuhe u. Schwitzer.

Am 16. Dezember 1917 rief Herr Plate uns Schiffsoffiziere vom Lloyd zusammen und teilte uns mit, daß verheiratete Schiffsoffiziere volle Gage für die Dauer des Krieges bekämen und ledige 25%. Wir mußten uns verpflichten, im Falle die monatl. Unterstützung die 25% Gage übersteigt, das Geld nach Friedensschluß dem Lloyd zurück zu zahlen.

Trial Bay 1918 tennis match
Tennismeisterschaft: Spitz vs Moding; laut Rückseitentext zwei bekannte Spieler im Osten Australiens; Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1503999

Weihnachten 1917

Weihnachten 1917 nahm einen ziemlich trübseligen Verlauf, wir hatten zwar einen Tannenbaum und Konzert, aber es wollte keine Feststimmung aufkommen. Diesmal wurde uns auch keine Flasche Wein oder Bier erlaubt.

Ich bekomme jetzt wieder £2 (40 M) pro Monat vom Lloyd, weil ich jetzt die Schule besuche und mir nichts verdienen kann.
Von Mitte Januar bis Ende Febr. 1918 fand der Abendappell erst um 7 Uhr abends statt. Die Tore bleiben bis 7 Uhr abends geöffnet.

Zweiter Kassensturz

Mittlerweile war Meier drei Jahre oder 36 Monate in australischer Lagerhaft. Zeit für einen zweiten Kassensturz für die zweiten 18 Monate.

Einnahmen in der Zeit vom 1. Sept. 1916 bis zum 1. März 1918. (18 Monate)

Monatl. Unterstützung vom Lloyd £ 42/10/-

Löhnung £ 25/4/6

Einnahmen 1354/6
+ Bestand am 1. IX. 16 395s
= 1749,5 s
– Bestand am 1. III. 18: 908
Ausgabe in 18 Monaten: 841,5 s

Monatliche Ausgabe = 46,45 s

Zur Erinnerung: in den ersten 18 Monaten lagen seine Ausgaben bei 25,9 Mark, jetzt bei knapp 46,5 Mark monatlich.

Viele Dinge des täglichen Lebens dürften sich während des Krieges verteuert haben. Das wäre in Übereinstimmung mit den gestiegenen Ausgaben des Schiffskochs Wilhelm Holst, der den Ersten Weltkrieg auf der Insel Ambon in Niederländisch-Indien verbringen musste. SIEHE dazu: Die „Ulm“ in Ambon (Teil 1 von 2) und Die „Ulm“ in Ambon (Teil 2 von 2)

Am 27. III. 18 erhielt ich von der austral. Reg. 1 Hemd, 1 Hose, 1 Hut, 1 Überzieher u. 1 Handtuch.

Trial Bay beach huts
Verlassene und zum Teil zerstörte Strandhütten in Trial Bay, Aufnahme undatiert (vermutl. 1918); Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1503973

Plötzlicher und unerwarteter Aufbruch

Am 18. Mai 1918, 9 Uhr morgens wurde der Befehl herausgegeben, alle Sachen zu packen, das Lager wird aufgelöst, und am folgenden Morgen um 9 Uhr hat alles marschbereit zu sein.
Reiseziel unbekannt, jeder hat eine Tagesration mitzunehmen.
Die Nachricht traf uns wie ein Blitz aus heiterem Himmel, denn keiner hatte daran gedacht, daß wir vor Friedensschluß noch in ein neues Lager kämen, wo man doch ganz von vorne anfangen und sich alle kleinen Bequemlichkeiten selbst schaffen muß. Hunderte von Strandbuden, Theater, Maschinistenschule, Einjährigenschule usw. mit einem Werte von vielen Tausenden M müssen wir zurücklassen.
In der kurzen 24stündigen Frist konnte man natürlich nicht alles einpacken u. mitnehmen, viele der Budenbesitzer steckten deshalb ihre Buden in Brand aus Wut und auch, damit den Australiern nichts davon in die Hände falle.
Der Turnverein nahm nur seine bewegliche Habe mit.

Decken u. Handgepäck werden gleich mitbefördert, während das große Gepäck in der Halle gelagert und später nachgeschickt werden soll. Für die notwendigen Arbeiten bleiben etwa 25 Mann zurück.

Der Abmarsch erfolgte am 19. Mai 1918 (1. Pfingsttag) um 9 Uhr morgens nach Jerseyville, dem Anlegeplatz am Macleay River ( ̴8 km entfernt), wo wir um 11 Uhr ankamen und sogleich auf 4 kleine Flußdampfer (2 Schraubendampfer und 2 Heckraddampfer) geführt wurden. Dann wurde unser Handgepäck u. Bettzeug, das inzwischen von Automobilen herangeschafft worden war, auf die 2 Heckraddampfer verladen, und um 12.20 Uhr fuhren wir ab von Jerseyville nach der  ̴35 km flußaufwärts gelegenen Bahnstation Kempsey.

[Bei unserem Abmarsch von Trial Bay lag der australische Kreuzer „Brisbane“ in der Bucht vor Anker]

Um 4h p.m. in Kempsey angekommen, wurden wir sofort ausgeschifft, und wir marschierten nach dem Bahnhof wo 2 Extrazüge für uns bereit standen. Das Gepäck wurde von einigen Freiwilligen verladen. Während unseres Durchmarsches durch die Straßen von Jerseyville und Kempsey ( ̴6000 Einw.) wurden wir von den Leuten nicht gerade freundlich angesehen, aber nicht im geringsten belästigt.

Wohin wird die Reise gehen?

Im Ausstellungstext von „The Enemy at Home“ (s. u.) heißt es, dass das Lager im Vorgriff auf das bevorstehende Kriegsende geschlossen wurde. Außerdem sei die Lage an der Küste mit einer möglichen Kontaktaufnahme der Gefangenen mit feindlichen Schiffen eine Gefahr für die Sicherheit des Landes. Spekulationen über eine geplante Befreiung der Inhaftierten mit Schnellbooten kamen hinzu.
http://www.migrationheritage.nsw.gov.au/exhibition/enemyathome/trial-bay-internment-camp/index.html

Demnächst im Blog: Das weitere Schicksal des Schiffsoffiziers Friedrich Meier.

Weitere Bilder und eine ausführliche Beschreibung des Lagers (in englischer Sprache) finden Sie auf der Seite The Enemy at Home vom New South Wales Migration Heritage Centre.

http://www.migrationheritage.nsw.gov.au/exhibition/enemyathome/trial-bay-internment-camp/index.html

Copyright-Hinweis

Die abgebildeten Fotos sind gemeinfrei (out of copyright). Sie sind ebenfalls aus der Sammlung der Mitchell Library, State Library of New South Wales, Sydney, Australien:
https://archival.sl.nsw.gov.au/Details/archive/110044344.

Hier die Quelle der Tagebucheinträge: © mit freundlicher Genehmigung der Mitchell Library, State Library of New South Wales and Courtesy copyright holder; Call No. MLMSS 261 / Box 6 / Item 54 (Friedrich Meier diary)

Nachtrag vom 7. Mai 2022:

Friedrich Meier starb am 7. November 1974 in Bremerhaven. Auf seinem Tagebuch ist daher ein Copyright, das bis Ende des Jahres 2044 fortbesteht.

Die Veröffentlichung der Tagebuchauszüge hier im Blog erfolgt mit freundlicher Genehmigung seiner Familie. Dafür auch an dieser Stelle herzlichen Dank.

Mehr über Friedrich Meier erfahren Sie hier:
Gestatten: Meier, Friedrich Meier

Trial Bay Gaol 1915

Trial Bay Camp – Gefängnis am Strand (Teil 1 von 2)

Das australische Gefangenlager für die Oberschicht und deutsche Schiffsoffiziere

Titelbild:
Trial Bay Concentration Camp, Aufnahme 1915;
Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1503954

Der Schiffsoffizier Meier wurde nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges mit dem Rest der Besatzung der „Lothringen“ (Norddeutscher Lloyd, Bremen) in Melbourne gefangen genommen. SIEHE: In australischer Gefangenschaft

Über seine Aufenthalte im Langwarrin Internment Camp und später im Liverpool Internment Camp habe ich anhand seiner Tagebuchaufzeichnungen ausführlich berichtet. SIEHE: Deutsche Seeleute im Langwarrin Internment Camp und Gefangen in Australien – das Liverpool Internment Camp

Anfang Dezember 1915 war es für Meier endlich so weit, und er konnte in ein privilegierteres Lager umziehen: nach Trial Bay.

Das Trial Bay Gaol war ein von 1886 bis 1902 genutztes Gefängnis an der Ostküste Australiens im Norden von New South Wales. Als Lager für deutsche Kriegsgefangene bestand es seit August 1915.

Es war ein Lager für die bessergestellten Mitglieder der Gesellschaft:

At Trial Bay the elite of the German civilian internees were confined.
Zitat: The enemy at Home, Migration Heritage Centre, http://www.migrationheritage.nsw.gov.au/exhibition/enemyathome/trial-bay-internment-camp/index.html

Trial Bay harbour project 1911

Karte der Trial Bay, 1911, mit geplanten Hafenmolen, das Projekt wurde nie realisiert; auf der Landspitze links liegt der Ort South West Rocks, unten rechts der Ort Arakoon; Quelle: National Library of Australia, https://nla.gov.au:443/tarkine/nla.obj-234153711

Im Oktober 1915 waren sehr wahrscheinlich auch Offiziere und Ingenieure vom Frachtdampfer „Fürth“ in Trial Bay eingetroffen (die anderen Mannschaftsmitglieder in Holsworthy). Rund 150 Gefangene waren im Oktober 1915 von Ceylon nach Australien verlegt worden:

It is understood, says a message from Melbourne, that the German prisoners who recently arrived in Australia from Ceylon numbered 150. These prisoners, who included the crew of the Emden, were escorted by a detachment of native and Indian infantry.
Malaya Tribune, 21. Okt. 1915, S. 7; Quelle: National Library Board, Singapore, eresources.nlb.gov.sg

Die Seeleute von SMS „Emden“ waren Verletzte, die in einem Militärhospital in Colombo behandelt worden waren. SIEHE: SMS „Emden“ versenkt die „Diplomat“

Aber zurück zum Schiffsoffizier Meier. Zunächst beschreibt er seinen „Umzug“ vom Liverpool Camp nach Trial Bay:

Von Liverpool nach Trial Bay

Sonnabend, den 4. Dezember 1915.

Nachmittags 1.20 marschierten wir 75 Mann stark vom Kamp ab und waren um 2.55 am Bahnhof Liverpool, von wo wir sofort per Extrazug nach Sydney fuhren direkt zum Hafen vor das an der Sussexstreet liegende Schiff. Wir wurden gleich an Bord gebracht und einige mußten unser Gepäck aufladen. * Um 5.30 p. m. fuhren wir dann mit dem Dampfer „Yulgilbar“ (800 t) ab. Wir waren im Zwischendeck untergebracht, das Essen war ganz gut, doch schlafen mußten wir die Nacht mit 2 Wolldecken irgendwo auf dem Fußboden, was natürlich nicht besonders angenehm war.
Am Sonntag den 5. Dez. nachmittags 2.30 kamen wir vor Macleay River Heads (Trial Bay) an und nachdem wir 2 Std. auf Hochwasser gewartet hatten fuhren wir den Fluß hinauf. Um 5 h p. m. kamen wir zur Anlegestelle und marschierten gleich ab nach dem Kamp wo wir um 6.15 ankamen.
Wir bekamen erst Abendessen und mußten uns dann selbst Zelte aufbauen, für je 6 Mann ein Zelt. Für 36 Mann war eine Barracke fertig und für die übrigen sollen noch welche gebaut werden.

*in anderer Tinte hat Meier ergänzt: Entfernung von Sydney nach South-West-Rocks = 209 sml

Die „Yulgilbar“ war ein 1907 in Schottland gebauter, 60 Meter langer Küstendampfer der für die North Coast Steam Navigation Co. Ltd. in Sydney in Fahrt war. (siehe: http://www.clydeships.co.uk/view.php?ref=244)

Trial Bay and Liverpool Camp

Die Lager der Internierungslager Liverpool/Hol(d)sworthy (unten links) und Trial Bay (oben rechts) in New South Wales (australische Ostküste); zur Orientierung sind auch Sydney und Newcastle markiert; Quelle: Commonwealth of Australia map, Bird & Co. 1916, Ausschnitt; mit freundlicher Genehmigung der Perry-Castañeda Map Collection, University of Texas Libraries.

Das Trial Bay Camp und der Tagesablauf

Im Anschluss berichtet Meier sehr ausführlich über das Camp und die Einteilung der Tage:

Trial Bay, 8. Dezember 1915

Wir wohnen hier innerhalb der Mauern einer seit 1902 leer stehenden Strafanstalt für politische Verbrecher, welche auf den South-West-Rocks an der Trial-Bay liegt.
Nach der Seeseite zu ist das Ufer felsig und es herrscht dort eine ewige Brandung, während nach der Bucht zu ein schöner flacher Badestrand vorhanden ist. Nach dem Hinterland zu sind Berge. Auf dieser Landspitze, in Mitte das Zuchthaus hoch auf Felsen liegt, dürfen nun die Internierten von morgens 9h bis nachmittags ½ 6 Uhr frei herumlaufen. Zwei Posten bewachen tagsüber die Grenze nach der Landseite zu und nachts müssen alle Internierten im Camp sein. Das uns zur Verfügung stehende Gelände hat einen Umfang von ca.
1,5 km.
Morgens um 6 ½ Uhr ist Wecken bis 7 ½ Uhr wird Frischwasser ausgegeben, und zwar erhält jeder knapp ½ l Regenwasser zum Zähneputzen und 1 ½ l Brunnenwasser zum Waschen, mehr gibt es für den ganzen Tag nicht.
Um 7 ½ Uhr gibt es die tägliche Brotration, für 4 Mann 1 Brot pro Mann etwa 1 Pfd. Alle 8 Tage erhält jeder eine Büchse Marmelade (1 ½ Pfd.). Um 8 h ist Frühstück und im 9 h Appell und Arbeitsverteilung. Die Arbeit ist freiwillig, man erhält einen Shilling (1 M) für den halben Tag. Nach dem Appell kann man an den Strand gehen, Badezeit ist morgens von 11 bis 12 h und nachmittags von 3 ½ bis 4 ½ h. Um 1 h p.m. gibt es Mittagessen und um 5.30 p.m. muß alles im Kamp sein zum Appell. Gleich darauf gibt es Abendessen, um 9.30 Schlafengehen und um 10 h Licht aus. Jede Woche kann man sich einmal einen Eimer Brunnenwasser holen zum Zeugwaschen, man ist also darauf angewiesen sich in der See zu baden.

Anmerkung: Die Rationierung des Wassers war eine Folge der Trockenzeit, ab April 1916 wurde die Wasserversorgung deutlich besser (s. u.).

Trial Bay WW1

Waschtag im Trial Bay Camp; Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1503985

Einkleidung

Auch über die Einkleidung der Inhaftierten gibt Meier Auskunft:

Trial Bay, den 20. Dezember 1915

Im Laufe der Woche erhielten wir Kleidungsstücke, nämlich 1 Hose, 1 Hemd (wollens), 1 Hut, 1 Paar Schuhe, 1 wollene Jacke und ein Handtuch. Am Ankunftstage erhielt jeder von uns 3 Wolldecken, später bekamen wir Strohsäcke, d. h. wir mußten diese selbst nähen und füllen.
Für gewöhnlich trägt man hier nur Hemd, kurze Hosen und Sandalen, denn die Witterung ist sehr beständig und es wird nachts nicht so sehr kalt, wie z. B. im Liverpool Camp, auch wird es tagsüber nicht so heiß wie dort, wegen der Seebrise.

Weihnachten 1915

Trial Bay, den 2. Januar 1916.

Am 25. Dez. [?] erhielt ich von unserem Agenten 30 Shilling (30 M) Vorschuss.
Am Heiligenabend bekam jeder Internierte einige Nüsse und Früchte und je 3 bekamen 2 Flaschen Lagerbier und am 1. Feiertag morgens ein Stück Kuchen von Regierungs (Kantine) wegen.
Außerdem gab es am Heiligenabend Kalbfleisch mit Kartoffel und grünen Bohnen, Fisch und Erbsensuppe mit Speck als Festessen. Im Speisesaal hatten wir einen Tannenbaum aufgeputzt es wurden Weihnachtslieder gesungen und musiziert. Zu Sylvester durften wir uns jeder eine halbe Fl. Bier kaufen und wir durften bis 1 h nachts feiern.

Trial Bay WW1

Essensausgabe, Trial Bay Concentration Camp, Aufnahme undatiert; Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1503988

Zwangsimpfung

Trial Bay, den 16. Januar 1916.

Am 8. I. 1916 erhielt ich von A. Flocke aus Boston 2 £ ( ̴40 M) im Einschreibebrief [der Rest des Eintrages ist durchgestrichen], wovon ich 1 £ (20 M) Herrn Kreth geliehen habe.
Heute, Sonntag, wurde ich gegen Blattern geimpft.
Vor einigen Tagen kamen nämlich mit dem Dampfer „Yulgibar“ zwei Herren von Liverpool hier an. Wie sich nachträglich herausstellte, war während der Reise auf dem Schiff ein Pockenfall vorgekommen, weshalb die Herren isoliert wurden, und alle diejenigen im Camp, die in den letzten 3 Jahren nicht geimpft wurden, zwangsweise sich impfen lassen mußten.

Trial Bay 1917

Trial Bay Concentration Camp, Aufnahme 1917; Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1503958

Streik im Lager Trial Bay

Trial Bay, 30. Januar 1916.

Am 28. I. 16 erhielt ich als Arbeitslohn 19 s (ca. 19 M).
Gestern morgen um 10 h legten alle Arbeiter (freiwilligen) die Arbeit nieder als Protest gegen die plötzliche Überführung eines Kameraden, welcher in der letzten Generalversammlung den Antrag gestellt hatte, den Amerikanischen Konsul um einen Besuch zu bitten zwecks Regelung der Kantinenpreise und sonstigen Sachen, nach Liverpool. Daraufhin ließ der Kommandant Lieutenant Eaton sofort die Tore und die Kantine schließen, sodaß wir nur noch auf dem Gefängnishof herumlaufen können.

Auch ließ er alle Lampen, Kochapparate und Petroleumkannen fortnehmen, wir bekommen keine Zeitung mehr, bekommen keine Post und dürfen nicht schreiben.
Die Ecktürme und Balkons der Gefängnismauer sind jetzt von Wachtposten besetzt und nachts ist die Mauer beleuchtet, sodaß es den Anschein hat, als ob wir meuterten. Heute hat uns der Kommandant verboten, auf den Versammlungen deutsch zu sprechen, es dürfen nicht mehr als 12 Personen zusammenstehen. Das Küchenpersonal, die Holzhacker, Feger und Sanitäter arbeiten weiter.

Trial Bay, 3. Februar 1916.

Heute kamen 94 Internierte von Hongkong hier an, welche, da wegen des Streiks keine Barracken gebaut wurden, im großen Speisesaal auf dem Steinfußboden schlafen müssen. Der Streik dauert fort, wir haben einen zweiten Brief mit sämtlichen Unterschriften an den Amer. Konsul abgeschickt. Der Kommandant will nicht eher mit uns verhandeln bis wir die Arbeit wieder aufgenommen haben, und wir wollen erst den Amerik. Konsul hierher haben. Es wurden weitere 5 Herren nach Liverpool gesandt, die Reserveoffiziere und die Geistlichen haben sich solidarisch erklärt. Jetzt werden wir jeden Tag zum Baden geführt.

Trial Bay, 13. Februar 1916.

Gottseidank, der Streik ist beendet. Heute war der Amerik. Vizekonsul im Kamp und hat unsere Beschwerden entgegen genommen und versprochen, sich für uns zu verwenden. Nachmittags wurde eine Generalversammlung abgehalten und die Wiederaufnahme der Arbeit beschlossen. Es soll alles wieder sein wie vor dem Streik, nur die Zeitungen bekommen wir vorläufig nicht wieder. Es ist zwar kein günstiges Ergebnis, doch Kriegsgefangene müssen wohl immer nachgeben obwohl die Arbeit freiwillig ist.

Trial Bay WW1

Laden im Trial Bay Concentration Camp; Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1504075

Die Post der Gefangenen

In seinem Tagebucheintrag vom 18. Februar 1916 schreibt Meier über die Post, die die Gefangenen schreiben konnten:


An Post ist uns pro Woche erlaubt: 1 Brief und 1 Karte innerhalb Australiens und 1 Brief und eine Karte nach außerhalb. Statt des Briefes und der Karte nach außerhalb dürfen wir auch 3 Ansichtskarten schreiben. Erlaubt sind 150 Worte pro Brief oder Karte, wie im Liverpool Camp.
Die Briefe nach innerhalb Australien müssen englisch geschrieben sein, die nach außerhalb können wir deutsch schreiben.

Über Seife, Personal und das Café

Hier bekommen wir keine Seife geliefert während es in Liverpool ¼ Pfd. pro Woche gab.
Das Küchenpersonal, die Geschirrreiniger (Backschafter) und Sanitäter müssen wir selbst bezahlen und zwar bezahlen wir pro Monat 2 s (2 M).
Wir müßten wohl mehr bezahlen, doch seit November letzten Jahres wird das Café in der Halle vom Kamp aus betrieben. Der Reinertrag kommt dann dem ganzen Camp zu gute. Auch wird Gemüse für die Allgemeinheit gekauft.
Am Verkaufsstand gibt es morgens zum Frühstück Hafergrütze mit Milch, 2 d (16 Pfg.) pro Teller, eine Tasse Kaffee kostet 1 d (8 Pfg.) und eine Tasse Schokolade 2 d (16 Pfg.) außerdem werden alkoholfreie Getränke, Zigarren, Zigaretten usw. verkauft.

Enterprise Café Trial Bay WW1

Enterprise Café, Trial Bay Concentration Camp; Schild links an der Theke “Baader Bretzeln Freiburg 6 Stk. 2 d)”; Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1504089

Anmerkung: Die Bretzel-Fabrik Julius Baader in Freiburg war ein großer und bekannter Hersteller kleiner Knabberbrezeln: „Baader’s Freiburger Bretzeln, Täglicher Versandt ca. 100,000 Stck“. Der Thekenaufsteller ist genau einer Reklamemarke des Herstellers nachempfunden.

500 Personen im Trail Bay Camp

Augenblicklich sind etwa 500 Menschen im Camp, etwa 30 Reserveoffiziere, welche von uns abgesondert sind und die übrigen sind Kaufleute und kaufmännische Angestellte von Colombo, Singapore, Hongkong und Australien, einige Pastoren und Pater, einige Buddhisten, einige Obermaaten von der „Emden“ und etwa 70 Schiffsoffiizere.

Unter den kaufmännischen Angestellten aus Colombo war sicherlich auch Personal der Fa. Freudenberg. SIEHE: Freudenberg und Co. in Colombo

In dem Artikel über die Familie Freudenberg gibt es zwei Abbildungen des Lagers Diyatalawa auf Ceylon. Hier sind auch einige der erwähnten Pater (Pater Vogel), Buddhisten (Bappo) und Mannschaftsmitglieder der „Emden“ zu sehen.

Für Familien gab es in Australien ein eigenes Lager: das Bourke Internment Camp.
Siehe dazu : http://www.migrationheritage.nsw.gov.au/exhibition/enemyathome/bourke-internment-camp/index.html

Die Unterkunft

In den A und B Flügeln des Hauptgebäudes wohnen 254 Mann zu je 2 in einer Zelle und haben so die beste Wohngelegenheit. Die Reserveoffiziere wohnen in zwei Nebengebäuden. Dann wohnen noch einige in einem anderen Steingebäude und für die übrigen sind Holzbarracken gebaut worden bzw. werden noch gebaut. Das Hospital ist ein kleines Steingebäude und die Kantine steht außerhalb der Gefängnismauern.

Trial Bay Gaol WW1

Korridor im Hauptgebäude, Trial Bay Concentration Camp; Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1503992

Dr. Herz und Pakete

Jetzt haben wir einen deutschen Arzt aus Sydney, der früher in Liverpool interniert war, als Kamparzt. (Dr. Herz)
Die Packetbeförderung ist in Australien sehr langweilig. 2 Weihnachtspackete, am 21. Dez. von Melbourne abgeschickt und nach Liverpool adressiert, kamen hier am 20. Februar an! Von Deutschland hierher dauert 2, 3, 4 Monate. Viele Packete werden auch unterwegs ihres Inhalts beraubt oder einige kommen überhaupt nicht an.

Anmerkung: Dr. Max Markus Herz (1876 – 1948) war ein bekannter orthopädischer Chirurg, er hatte sich 1910 in Sydney niedergelassen.
Seine Biografie finden Sie hier: https://adb.anu.edu.au/biography/herz-max-markus-6654

Zeitungen

Trial Bay, 29. Februar 1916.


Seit dem 27. II. sind uns die Zeitungen wieder erlaubt, einen Monat lang hatten wir also keine. Alle sind sehr erfreut darüber, denn man kann doch wenigstens den Fortschritt des Krieges daraus entnehmen.

Die neue Messe

Den 5. März 1916

Die australische Regierung hat uns Schiffsoffizieren in Trial Bay ein Taschengeld von 2 s (2 M) pro Woche bewilligt und so erhielt ich heute 22 sh für die Zeit vom 5. XII. 15 bis zum 19. II. 16.

In anderer Tinte hat Meier ergänzt: (Wird nicht mehr weitergezahlt.)

An Löhnung erhielt ich heute 17 s (17 M).
Gestern zogen wir aus dem Zelt in die neuerbaute Barracke [sic] ein. Dieselbe ist   m lang
[Angabe fehlt], 2,75 m breit, 2,6 m hoch und ist in 7 Messen geteilt, 6 zu je 10 Mann und eine zu 8 Mann. In der letzteren wohne ich jetzt mit den Herren E. Oppermann, E. Kreth, P. Rahn, D. Buthmann, G. Turm, W. Blesse und L. Alberding. Unsere Messe (D 3) ist 6,4 m lang, die Betten müssen übereinander angebracht werden um Platz für Tisch und Stühle zu gewinnen. Die Rückseite der Baracke bildet die Gefängnismauer, die Vorderseite besitzt pro Messe eine Tür und zwei Holzfenster, der Fußboden ist aus Holz und das Dach ist Wellblech.

Trial Bay WW1

Beach Café, Trial Bay Concentration Camp; Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1504081

Über Trial Bay

Den 12. März 1916

Heute erhielt ich von unserem Agenten £ 2/10 ( ̴50 M).
Trial Bay ist ein ziemlich entlegener Platz, die nächste Bahnstation Kempsey liegt 30 engl. Meilen entfernt im Lande. 5 Meilen von hier am Macleay River liegt Jerseyville, ein kleiner Ort welcher wöchentliche Dampferverbindung mit Sydney hat. Uns gegenüber an der Trial-Bay, etwa 3 engl. Meilen entfernt, liegt ein kleiner Badeort, genannt „South-West-Rocks“.
Unsere Post kommt per Bahn über Kempsey, von wo aus sie per Auto nach hier gebracht wird. Aller Proviant, außer Fleisch, kommt mit dem Dampfer von Sydney.

Trial Bay, den 18. III. 16.

Heute erhielt ich 16/ (16 M) als Löhnung.
Seit einer Woche werden die Tore schon um 8h morgens geöffnet. Wasserausgabe von 6 ½ h bis 7.15, Brotausgabe 7.15, Appell um 7.45; Frühstück 8.00.
Seit ein paar Tagen dürfen wir nur noch wöchentlich einen Brief nach Europa und einen nach Australien schreiben.

In einem Eintrag vom 26. April 1916, schreibt Meier, wurde diese Vorschrift wieder geändert:

Von jetzt ab dürfen wir pro Woche zwei Briefe schreiben, einerlei, wohin.

Trial Bay Gaol 1917

Trial Bay Concentration Camp, Aufnahme 1917; Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales, file number FL1503963

Wasser

Über die Wasserversorgung des Lagers Trial Bay berichtet Meier in einem Eintrag vom 4. Juni 1916:


Seit Anfang April hat unser Wassermangel ein Ende, denn nach der Regenperiode im März ist hier im Camp die Frischwasserleitung wieder in Betrieb gekommen, die von einer ½ Stunde entfernten Talsperre gespeist wird. Während des Sommers war diese Talsperre leer und wir mußten in Zisternen und anderen großen Behältern angesammeltes Regenwasser benutzen.
In dieser Gegend gibt es zwei Regenzeiten im Jahre, im Frühjahr und im Herbst, doch im allgemeinen ist das Wetter stets sehr schön.

Nächste Woche im Blog: Die Schließung des Lagers Trial Bay

Meier sollte noch fast zwei Kriegsjahre im Trial Bay Camp verbringen. Über diese Zeit und die Schließung des Lagers berichtet der nächste Blogartikel:

Im August 1916 wird das Theater eingeweiht – Friedrich Meier macht zweimal Kassensturz und listet seine Einnahmen und Ausgaben auf – der tragische Tod des Kameraden Arno Friedrich – ein „Walfisch“ kostet die Gefangenen viel Geld und Arbeit – die Gründung einer Maschinistenschule – und der plötzliche und unerwartete Aufbruch im Mai 1918.

Das Trial Bay Internierungslager in New South Wales/Australien (Teil 2 von 2)

Copyright-Hinweise

Die abgebildeten Fotos sind gemeinfrei (out of copyright). Sie sind aus der Sammlung der Mitchell Library, State Library of New South Wales, Sydney, Australien:
https://archival.sl.nsw.gov.au/Details/archive/110044344.

Nachtrag vom 7. Mai 2022:

Friedrich Meier starb am 7. November 1974 in Bremerhaven. Auf seinem Tagebuch ist daher ein Copyright, das bis Ende des Jahres 2044 fortbesteht.

Die Veröffentlichung der Tagebuchauszüge hier im Blog erfolgt mit freundlicher Genehmigung seiner Familie. Dafür auch an dieser Stelle herzlichen Dank.

Mehr über Friedrich Meier erfahren Sie hier:
Gestatten: Meier, Friedrich Meier

Langwarrin Camp, gate 1915

Deutsche Seeleute im Langwarrin Internment Camp

Interniert in Australien

Titelbild: Eingang zum Langwarrin Camp, 1914-1915; Museums Victoria Collection, Item MM 140043
Anmerkung: Die in diesem Beitrag gezeigten Aufnahmen vom Lager Langwarrin stammen meist aus dem Jahr 1917. Zu diesem Zeitpunkt war Langwarrin kein Internierungslager mehr, sondern eine Krankenstation des australischen Militärs. 1914/1915 dürfte das Lager weit primitiver und weniger „aufgeräumt“ ausgesehen haben.

7000 Internierte

Im Ersten Weltkrieg gab es in Australien verschiedene Internierungslager für Deutsche, Österreicher, Ungarn und Verbündete, wie Türken oder Bulgaren.

Insgesamt waren im Ersten Weltkrieg in Australien etwa 7000 Personen interniert. Das größte dieser Lager war Holsworthy in New South Wales in der Nähe von Sydney.

Zu Beginn des Krieges hatte es noch in jedem Bundesstaat kleinere Lager gegeben, die meist bereits im Jahr 1915 aufgelöst wurden. Eines davon war in Victoria etwa 30 Meilen südöstlich von Melbourne: Das Langwarrin Internment Camp.

Friedrich Meiers Tagebuch

Die Tagebucheinträge eines Offiziers der Kaiserlichen Handelsmarine geben einen Eindruck von den Bedingungen, unter denen die deutschen Seeleute lebten.

Der vierte Offizier Friedrich Meier war zunächst auf seinem Schiff, der „Lothringen“ des Norddeutschen Lloyd verblieben, kam kurzzeitig in eine Polizeikaserne und konnte dann auf Ehrenwort (parole) relativ frei in Melbourne leben. SIEHE: In australischer Gefangenschaft

Ab März 1915 wurden die Bedingungen für die Kriegsgefangenen wieder verschärft und Meier musste zusammen mit anderen deutschen Seeleuten in das Lager Langwarrin.

Das Lager Langwarrin

In Victoria waren die ersten Kriegsgefangenen in die Polizeikaserne an der St. Kilda Road in Melbourne und in eine Artilleriekaserne nach Maribyrnong, einem Vorort von Melbourne, gebracht worden. Als klar war, dass die Kapazitäten dort ungenügend sind, entschied die Militärbehörde, das Camp Langwarrin einzurichten.

Langwarrin liegt auf der Mornington Halbinsel südöstlich von Melbourne.

Bis zu 500 Personen waren hier zu Beginn des Jahres 1915 im Wesentlichen in Zelten untergebracht. Einige Gefangene bauten sich aus eigenen Mitteln einfache Hütten.

Die Internierten hatten die Möglichkeit, zu arbeiten: Verbesserung der Infrastruktur, Zäune bauen oder Flächen roden; sie wurden für diese Arbeiten bezahlt.

Im November 1915 war die Zahl der Internierten stark angestiegen: es sollen 769 Deutsche, 104 Österreicher und 72 Türken im Camp gelebt haben.

Ankunft in Langwarrin

Der vierte Offizier Friedrich Meier kam Anfang März 1915 nach Langwarrin und berichtet von seiner Ankunft:

Langwarrin, den 9. März 1915
Seit 8 Tagen sind wir hier im German Prisoners‘ Camp interniert; wie uns gesagt wurde, aus politischen Gründen sind wir hier eingesperrt worden. Am Montag, den 1. März, um 4 Uhr p.m. mußten wir, d. h. die Kapitäne, Offiziere und Ingenieure der verschiedenen Dampfer, uns beim Military-Intelligence Department am St. Kilda Road melden und wurden von da aus unter militärischer Bedeckung zur Bahn gebracht. Um 5h9 fuhren wir ab nach Langwarrin, wo wir um 6 ½ Uhr ankamen und sogleich nach dem „German Prisoners‘ Camp“ geführt wurden, welcher etwa 20 min. von der Bahnstation liegt. Langwarrin liegt an der Bahnlinie Melbourne-Frankston-Mornington, etwa 30 sml von Melbourne und 4 sml von der See entfernt. Unser Camp liegt auf einer kleinen Anhöhe, ist mit Stacheldrahtzäunen umgeben und von dem der Mannschaft getrennt. Wir wohnen in runden Zelten, die Kapitäne zu Zweien, alle übrigen zu Dreien und Vieren in einem Zelt. Ein größeres Zelt mit Tischen und Bänken dient uns als Messe.

Melbourne, Langwarrin, map 1907

Sands & McDougall’s Melbourne, suburban & country directory map of Victoria, 1907, State Library of Victoria; BIB ID 659032, Ausschnittsvergrößerung

Zur Karte: Der Großraum Melbourne liegt oben links im Norden der großen Bucht Port Phillip. Langwarrin liegt am Ostufer der Bucht (gelb umrandet). Ganz unten rechts Wilson’s Promontory, der südlichste Punkt Victorias.


Ich hatte das Glück, ein Zelt zu Dreien zu bekommen. Jeder bekam ein wasserdichtes Gummilaken, einen Strohsack und zwei wollene Decken, und da unser Gepäck noch nicht angekommen war, mußten wir uns die erste Nacht damit behelfen. Wegen Kälte und Sturm schliefen wir sehr schlecht. Am folgenden Abend kam unser Gepäck und unsere selbst gekauften Feldbetten, sodaß wir jetzt schon etwas menschlicher hausen. Das Essen ist zwar nicht besonders reichhaltig, aber es genügt. Es gibt täglich drei Mahlzeiten, zum Frühstück gibt es Fleisch mit Sauce (zuweilen auch mit Kartoffeln), Brot, Marmelade und schwarzen Kaffee; mittags gibt es Suppe und einen Gang Fleisch, Sauce und Kartoffeln (ab und zu auch mit Gemüse) u. Brot; nachmittags um 3 ½ Uhr gibt es schwarzen Kaffee und zum Abendbrot gibt es Fleisch mit Sauce, Brot, Marmelade und Tee. Zuweilen gibt es auch zum Frühstück oder Abendbrot statt des Fleischgangs Reis, Käse oder kaltes Fleisch. Butter, Milch und Eier u.s.w. gibt es nicht, man kann es aber kaufen, – wenn man Geld hat. An Brot bekommen wir nur Weizenbrot. Gemüse bekommen wir nur einmal in der Woche.
Solange hier gutes Wetter ist kann man es ganz gut aushalten. Wenn es stürmisch und trocken ist, so ist hier ein fürchterlicher Staub der manchmal in einen Samum ausartet. Bei starkem Regen ist es nicht minder ungemütlich, da die Zelte nicht recht wasserdicht sind, besonders bei starkem Winde geht der Regen auf der Windseite in dicken Tropfen hindurch, und man kann sich freuen wenn das Zelt nicht auch noch überkopf geht, wie es uns vor ein paar Tagen passierte. Jeden Tag darf die Hälfte von uns aus der Umzäunung heraus auf das Gelände zwischen unserem Camp und dem Bahnhof. Wir spielen viel Schlagball dort und sonstige Spiele um uns die Zeit zu vertreiben und uns auszuarbeiten. Briefe können wir so viel schreiben wie wir wollen, doch müssen die deutschgeschriebenen möglichst kurz gehalten sein. Die Briefe brauchen nicht mit Briefmarken versehen werden.

Quelle dieses und der folgenden Tagebucheinträge: © mit freundlicher Genehmigung der Mitchell Library, State Library of New South Wales and Courtesy copyright holder; Call No. MLMSS 261 / Box 6 / Item 54 (Friedrich Meier diary)
Siehe auch den Copyright-Hinweis am Ende des Artikels.

Anmerkung: Der von Meyer erwähnte Samum ist ein heißer Wüstenwind, oft mit Sandverwirbelungen; der Begriff wird in Nordafrika und im Nahen Osten verwendet.

Langwarrin camp, WW1

Langwarrin Camp, Rotkreuz-Baracke und Rotunde, Aufnahme von 1917, zu dieser Zeit diente das Camp bereits als Krankenstation des australischen Militärs für Geschlechtskrankheiten; Museums Victoria Collection, Item MM 140042

Rege Bautätigkeit und ein „Unterseeboot“

Meier gehörte zu den Internierten, die sich auf eigene Rechnung eine kleine Hütte gebaut hatten. Außerdem wurde von den Gefangenen ein großer Gemeinschaftsraum in die Erde gegraben.

Langwarrin, den 6. April 1915.
Unser Camp liegt auf einer kleinen Anhöhe, ist 100 x 140 m groß und beherbergt 43 Personen sowie 8 Mann zur Bedienung. Die zwei Lloydkapitäne haben sich auf eigene Kosten ein Wellblechhaus errichten lassen und 9 von uns bauen sich zu je Dreien ein Blockhaus, wozu dieselben sich das Holz selber fällen müssen in der Umgebung. Hier herum ist viel Busch, und fast nur Eucalyptusbäume sind hier zu finden. Letzte Woche haben wir uns mit vereinten Kräften eine Höhle gebaut für die kommenden kalten Tage. Es ist eine runde Ausschachtung von 7 m Durchmesser und etwa 1,7 m Tiefe. Das Dach haben wir aus rohen Stämmen gebaut, mit Busch bedeckt und darüber Erde geworfen. In der Mitte der Höhle haben wir einen alten würfelförmigen Wassertank als Ofen aufgesetzt und mit einem Schornstein versehen. Die Höhle faßt etwa 50 Personen und bietet einen sehr schönen, warmen Aufenthaltsort. Sie wurde „Unterseeboot“ getauft. Diese Höhle scheint eine Sehenswürdigkeit zu werden, denn jeden Tag kommen der Mayor Lloyd, der das Campkommando hat, oder die Offiziere und Soldaten, auch mit Freunden, alle wollen die Höhle sehen. Letzte Woche habe ich ein Paar derbe Stiefel bekommen, wie die Soldaten sie hier tragen. Im Camp der Mannschaft, welcher neben dem unserigen liegt, sind etwa 400 Deutsche, ein paar Österreicher und ein Türke.

Anschließend listet Meier alle Personen auf, die sich zu diesem Zeitpunkt im Camp der Offiziere befanden. Nur wenige waren darunter, die nicht zu den Schiffsbesatzungen gehörten.

Die Höhle wurde später für gemeinsame Abende verwendet, die einmal die Woche veranstaltet wurden. Sie hatten die passende Bezeichnung: „Höhlenabend“.

Meier berichtet, dass es insgesamt 4 Camps gab: Mannschafts-Camp, Offiziers-Camp, Verbrecher-Camp und Trippary-Camp.

Meier schreibt, im Verbrecher-Camp hat man „einige rüpelhafte Matrosen und Feuerleute eingesperrt, die im anderen Camp stets Unfrieden stifteten.“

Mit Trippary-Camp ist die Krankenstation für geschlechtskranke australische Soldaten gemeint, dass ebenfalls auf dem Gelände war.

Langwarrin camp, about 1917

Langwarrin Camp, Soldaten und Rotkreuz-Baracke, Aufnahme vermutlich von 1917; Museums Victoria Collection, Item MM 140043

Die Stimmung kippt

Die hohen Verluste australischer Truppen bei der Schlacht um Gallipoli in der Türkei und die Versenkung der „Lusitania“ am 7. Mai 1915 vor der irischen Küste durch ein deutsches U-Boot verstärkten die antideutsche Stimmung in Australien erheblich. Meier notiert am 30. Mai 1915:

Die Australier sind Ende April auf Gallipoli gelandet zur Eroberung der Dardanellen, sie haben schon viel Verluste gehabt. Diese Verluste und vor allen Dingen das Sinken der „Lusitania“ haben die Bevölkerung sehr aufgeregt. Die deutschen Klubs und Turnvereine in Melbourne sind geschlossen worden.

Die neue Hütte

Im Mai 1915 ist auch die Hütte fertiggeworden, dessen Miteigentümer Meier war:

Langwarrin, den 30. Mai 1915

Vor 8 Tagen bin ich zusammen mit Herrn Kamenz und Kreth in unser neuerbautes Häuschen eingezogen, welches wir nach der neuesten Mode aus Buschwerk erbaut haben. Es ist 4 m lang und 4 m breit, die Wände sind aus Busch hergestellt und mit Lehm bedeckt, das Dach ist mit Wellblech gedeckt. Drei Fenster geben die nötige Helligkeit und da es hier oft sehr kalt ist, haben wir auch einen Ofen eingebaut. Dieser wurde aus einem kleinen Ölfaß hergestellt, welches mit Tür, Aschfall, Rost und Schornstein versehen einen sehr praktischen Dauerbrenner gab. Der Schornstein wurde aus ineinander gesteckten Konservenbüchsen gemacht. Einen Tisch, 4 Bänke und eine Garderobe haben wir aus Kistenholz angefertigt. So wohnen wir jetzt warm und gemütlich, nachdem wir 12 Wochen im Zelt gewohnt hatten.

Seit 1. Mai bekamen Kapitäne, Offiziere und Ingenieure ein Taschengeld: 4 Shilling/Woche so dass sie kleine Ausgaben tätigen konnten. Meier notiert im gleichen Eintrag vom 30. Mai weiter:

Da wir von der Regierung nur einen Blechteller und Becher bekamen, so hat die Mehrzahl von uns selbst Porzellanteller und Tassen angeschafft.
Ebenfalls müssen wir zwei Stewards für unser Meßzelt selbst bezahlen, die anderen beiden bezahlt der Mayor Lloyd. Die Stewards bekommen 1 S (1 M) pro Tag.

Anmerkung: Mayor Lloyd war der Lagerkommandant.

Im Mai wurde gegen die Langeweile im Camp ein Turnverein gegründet.

Am 3. Juni notiert Meier, dass das Lesen von Zeitung wieder erlaubt war. Daraus erfuhren die Camp-Bewohner im Juli auch, dass geplant war, alle Deutschen nach New South Wales zu verlegen.

Langwarrin Camp 1917

Langwarrin Camp, Rotkreuz-Baracke, Aufnahme von 1917, zu dieser Zeit diente das Camp bereits als Krankenstation des australischen Militärs für Geschlechtskrankheiten; Quelle: Australian War Memorial, AO3662

Tödlicher Zwischenfall

Am 30. Juni 1915 kam es im Matrosen-Lager Langwarrin zu einem tödlichen Zwischenfall, wörtlich schreibt Meier von einem tragischen Vorfall.

Ein Matrose kam der Aufforderung, sich von einem Frischwassertank in der Nähe des Lagereingangs zu entfernen, nicht nach, was eventuell auf Sprachproblemen beruhte. Die Lagerwache legte daraufhin mit dem Gewehr an und der Matrose erlitt einen Durchschuss des Unterleibes. Er wurde schwer verwundet, überlebte die Verletzung jedoch. Die durchgeschlagene Kugel traf aber einen Österreicher in seinem Zelt in die Brust; er starb noch am gleichen Abend im Hospitalzelt.

Lagerkommandant Mayor Lloyd bedauerte gegenüber den Gefangenen den Zwischenfall; er ließ alle Wachen ersetzen.

Verlegung nach New South Wales

Im August wurden die Pläne der Verlegung der Gefangenen konkret:

Langwarrin, den 17. August 1915.

Nachdem wir 7 Wochen in Ungewißheit waren, ob wir von hier fortkommen oder nicht, wurde und am letzten Sonntag mitgeteilt, daß wir am Donnerstag, den 19. d. M. mittels Eisenbahn nach den Concentration Camps von New-South-Wales transportiert werden sollen. Die Mannschaften sollen nach Liverpool und die Schiffsoffiziere nach Berrima.

Der vierte Offizier Meier sollte allerdings enttäuscht werden. Das Lager Berrima war zu diesem Zeitpunkt schon völlig überfüllt und so kamen nur die höheren Dienstgrade dorthin. Er selbst musste vorläufig im Mannschaftslager in Liverpool (Holsworthy) bleiben.

Im Dezember 1915 wurde Meier dann in das Lager Trial Bay überstellt. Dieses Lager war ebenfalls in New South Wales, hier waren meist höhergestellte Deutsche oder Deutschstämmige interniert, wie Geschäftsleute, Akademiker und Schiffsoffiziere.

Eine gute Übersicht über die australischen Internierungslager gibt es hier (in englischer Sprache):
http://www.migrationheritage.nsw.gov.au/exhibition/enemyathome/the-enemy-at-home/index.html

Demnächst im Blog

Das Lager Liverpool/Holsworthy bei Sydney war das größte Kriegsgefangenenlager in Australien und hatte die Einwohnerzahl einer Kleinstadt. In einem Eintrag Ende November 1915 spricht Meier von 3300 Mann.

Seine Tagebucheinträge zwischen August und Dezember 1915 geben einen Eindruck von diesem Lager, in dem auch Seeleute der „Fürth“ interniert waren, die im Herbst 1915 von Ceylon dorthin gebracht worden waren.

Copyright-Hinweis

Nachtrag vom 7. Mai 2022:

Friedrich Meier starb am 7. November 1974 in Bremerhaven. Auf seinem Tagebuch ist daher ein Copyright, das bis Ende des Jahres 2044 fortbesteht.

Die Veröffentlichung der Tagebuchauszüge hier im Blog erfolgt mit freundlicher Genehmigung seiner Familie. Dafür auch an dieser Stelle herzlichen Dank.

Mehr über Friedrich Meier erfahren Sie hier:
Gestatten: Meier, Friedrich Meier

Hobson's Bay, September 1915

In australischer Gefangenschaft

Aus dem Tagebuch eines Offiziers der Kaiserlichen Handelsmarine

Melbourne 1914/15

Titelbild:
Hobson’s Bay (Melbourne) mit sechs beschlagnahmten deutschen Frachtschiffen im September 1914; von links nach rechts: „Lothringen“ (Norddeutscher Lloyd), „Wildenfels“ (DDG Hansa), „Pfalz“ (Norddeutscher Lloyd), „Altona“, „Hobart“ (beide Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft), „Hessen“ (Norddeutscher Lloyd); Allan C. Green (Fotograf); State Library Victoria, Id H91.325/2155

Beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges

Viele deutsche Handelsschiffe waren bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges auf den Weltmeeren unterwegs. Die Nachricht vom Krieg oder seines möglichen Ausbruches errichte die deutschen Kapitäne, wenn sie denn in einem Hafen lagen. Hier im Blog hatte ich über den überstürzten Aufbruch einiger Schiffe aus australischen Häfen berichtet: Die „Fürth“ beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges

Die zweite Möglichkeit, Nachrichten zu erhalten, war auf Schiffe beschränkt, die bereits mit Telegrafeneinrichtungen ausgestattet waren. Im Jahr 1914 war das jedoch erst eine Minderheit. So hatte zum Beispiel die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) erst ab dem Jahr 1911 ihre Schiffe regelmäßig mit der damals neuen Technologie ausgerüstet (Telegrafie per Funk ) und nur drei kurz zuvor gebaute Schiffe wurden bis zum Ausbruch des Krieges nachgerüstet („Wismar“, „Eßlingen“ und „Fremantle“). Eine Übersicht der ausgestatteten Schiffe finden Sie in der Titelabbildung dieses Beitrages: Die Flotte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft 1914

Eine dritte, eher theoretische Option war, dass ein nicht mit Telegrafie ausgestattetes Schiff unterwegs einem Schiff mit Telegrafie begegnete und von diesem informiert wurde.

Ahnungslose Annäherung

Die Folge war, dass sich im August und sogar noch im September 1914 zahlreiche deutsche Handelsschiffe den kurz zuvor feindlich gewordenen Ländern und Häfen annäherten, ohne Kenntnis von der sich geänderten weltpolitischen Lage zu haben.

Als Beispiel sei die „Fürth“ genannt, die die Insel Ceylon in Sichtweite hatte und dort von HMS „Espiègle“ gekapert wurde (Die Kaperung der „Fürth“ ) oder die „Neumünster“, die sich Westaustralien näherte und kurz vor Fremantle von dem Kriegsschiff HMAS „Pioneer“ aufgegriffen wurde (Aus dem Logbuch des Schiffes „Neumünster“ ).

Von beiden genannten Schiffen haben sich Logbücher erhalten, die uns interessante Einblicke in die Handelsschifffahrt geben. Jedoch enden sie abrupt bei Kriegsausbruch.

Der Offizier Friedrich Meier

Hier kommt eine andere Quelle ins Spiel, die die Geschichte weitererzählt. Bei dieser Quelle handelt es sich um das Tagebuch eines vierten Offiziers des Norddeutschen Lloyd, Friedrich Meier, der auf dem Schiff „Lothringen“ seinen Dienst tat.

Viele Passagen aus seinem Tagebuch stehen meiner Meinung nach stellvertretend für die Erlebnisse anderer Offiziere der Handelsflotte, die ähnliches durchmachen mussten. Den einfachen Seeleuten ist es sicher deutlich schlechter ergangen.

Die „Lothringen“ war ein Frachtdampfer der sog. „Franken-Klasse“ mit gut 130 Metern Länge, 5008 BRT und 50 Mann Besatzung, der vom Norddeutschen Lloyd im Australiendienst eingesetzt war.

Wie die „Neumünster“ näherte sich das Schiff in direkter Fahrt aus Antwerpen dem australischen Kontinent an, ohne vom Ausbruch des Krieges Kenntnis zu haben. Im Fall der „Lothringen“ war der erste Zielhafen in Australien Melbourne.

Friedrich Meier schrieb anschließend in sein Tagebuch:

Melbourne, den 18. August 1914.

Bei unserer Ankunft am Sonnab. (15. 8.) erfuhren wir, daß zwischen Deutschland-Österreich und England Frankreich-Russland-Serbien-Belgien Krieg ausgebrochen sei. Es kam eine Wache von Marinesoldaten an Bord, und unsere ‚Lothringen‘ ging in der Hobsons Bay vor Williamstown vor Anker. Wir haben keine drahtlose Telegraphie an Bord und liefen deshalb nach unserer 47 tägigen Reise von Antwerpen nach hier ahnungslos in die Kriegsgefangenschaft.

Unsere handschriftlichen Sachen wurden noch an demselben Tage beschlagnahmt und an Land gebracht. Es darf keiner von uns an Land gehen und Zeitungen bekommen wir nicht zu sehen. Damit wir nicht fort können, hat man 5 Drucklagerbügel und die Kulissenstein-Lagerschalen der Hauptmaschine lose genommen und an Land gebracht – heute wurde jedoch schon alles wiedergebracht, weil wir in den Hafen sollen und unsere Ladung löschen. Ich bekam heute eine Postkarte von Nordenham. Außer drei Donkeyleuten und dem Bedienungspersonal will keiner von der Mannschaft arbeiten.

Quelle des Zitates und auch der folgenden Zitate: © Mitchell Library, State Library of New South Wales and Courtesy copyright holder; Call No. MLMSS 261 / Box 6 / Item 54 (Friedrich Meier diary);
siehe außerdem Copyright-Hinweise am Ende des Artikels

Port Phillip 1885

Williamstown, Hobson’s Bay und Port Phillip, Karte von 1888; Quelle: Meyers Konversationslexikon über https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Karte_Melbourne_MKL1888.png

Hobson’s Bay ist eine kleine Bucht innerhalb der großen Port Phillip Bay direkt vor der Zufahrt zum Yarra River, an dem der Hafen von Melbourne einige Meilen flussaufwärts liegt.

Das Schreiben und Erhalten von Postkarten und Briefen wird für Meier und sicher auch für die Mehrzahl aller Gefangenen eine eminent wichtige Bedeutung erlangen. So hält er fest, wann er von wem Post erhalten und wem er geschrieben hat. In der Folge gehe ich nur darauf ein, wenn die Informationen allgemeine Gültigkeit haben, zum Beispiel wie viele Briefe/Karten geschrieben werden durften.

In den Victoria Docks

Melbourne, den 22. August 1914.
Am Mittwoch (19.8.) fuhren wir den Yarra-Fluß hinauf und legten in die Victoria Docks. Die für Melbourne und Hobart bestimmte Ladung wird hier gelöscht. Gestern wurde der größte Teil der Mannschaft nach den „Victoria Barracks“ am St. Kilda Road gebracht. Alle an Bord gebliebenen bekommen von der australischen Regierung nach australischer Heuer bezahlt. Ich bekam für die 7 Tage, die wir hier liegen sollen, 74 Shilling 8 d, das entspricht einer Heuer von 16 £ pro Monat (320 M).

Die Victoria-Docks hatte ich in diesem Blogartikel beschrieben: Tagebuch (12): Die „Fürth“ in Melbourne

Hobart liegt in Tasmanien. Ladung dorthin wurde in Melbourne in der Regel auf andere Schiffe umgeladen.

Die Victoria Barracks waren eine Truppenunterkunft. Später dienten die Gebäude verschiedenen Zwecken; der Komplex an der St. Kilda Road existiert bis heute (2021).

74 Shilling 8d: 1 Shilling entsprach etwa 1 Mark und die Abkürzung d steht für Penny (Mehrzahl Pence, das „d“ steht für denarius, eine römische Silbermünze). 12 Pence waren 1 Shilling („s“), 20 Shilling wiederum ergaben ein Pfund (£ oder „l“)
Anders ausgedrückt hat er £3-14-8d (auch £3/14/8d geschrieben) bekommen.

Mehr über das britische Währungssystem vor der Dezimalisierung im Jahr 1971 hier: http://projectbritain.com/moneyold.htm

Eine Monatsheuer von 320 M muss Meier als viertem Offizier die Sprache verschlagen haben.

Seine normale Monatsheuer dürfte sehr viel niedriger gelegen haben. Hier die Heuer der Offiziere der „Neumünster“ bei der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, gemäß der Musterrolle aus den Jahren 1913/14:

Erster Offizier: 220 Mark, Zweiter Offizier: 170 Mark, Dritter Offizier: 130 Mark, Vierter Offizier: 120 Mark

Die Heuer der Offiziere auf Frachtschiffen beim Norddeutschen Lloyd, Bremen dürfte in ähnlicher Höhe gelegen haben.

Yarra River, Victoria Dock, Melbourne, about 1914

Victoria Dock am Fluss Yarra, ca. 1914; Quelle: State Library of South Australia, ID B 28518/246

Sechs deutsche Schiffe in Hobsons Bay

Melbourne, den 29. August 1914.
Am letzten Mittwoch (26.8.) fuhren wir wieder zurück nach unserem Ankerplatz in der Hobson Bay vor Williamstown. Außer uns liegen hier noch Lloydd. „Pfalz“, Deutsch-Austral-D. „Hobart“ und D. „Altona“, und Hansa D. „Wildenfels“. …

Melbourne, den 7. September 1914.
Am letzten Donnerstag (3.9.) kam der Lloydd. „Hessen“ hier an, so daß hier jetzt 6 deutsche Schiffe liegen. Am Freitag (4.9.) bekamen wir die Parole, d. h. wir sind auf Ehrenwort entlassen, dürfen jederzeit an Land gehen, müssen uns jedoch jeden Tag auf der Polizeiwache oder an Bord melden. Ich war am letzten Sonnabend in der Stadt. …

Lloydd. steht für Lloyddampfer, D. für Dampfer/Dampfschiff.

Die „Pfalz“ war ein Frachtdampfer der Rheinland-Klasse, er wurde erst 1913 fertiggestellt. Das für damalige Verhältnisse große Schiff hatte etwa 150 Meter Länge und circa 6600 BRT. Die „Hessen“ war wie die „Lothringen“ ein Schiff der Franken-Klasse.

Die „Altona“ hatte etwa die Größe des Dampfschiffes „Fürth“ (120 M Länge, 4312 BRT), war aber eines der ältesten Schiffe der DADG (Baujahr 1902). Die „Hobart“ hingegen war Baujahr 1912 und hatte neben Kühlräumen auch Telegrafie an Bord. Sie lief noch am 11. August 1914 zur großen Überraschung aller in Port Phillip Bay ein. Trotz drahtloser Telegrafie hatte die Schiffsführung nichts vom Kriegsausbruch mitbekommen (über die „Hobart“ werde ich in einem anderen Artikel noch berichten).

Die „Wildenfels“ schließlich war ein Schiff der größten deutschen Frachtschiffreederei, der DDG Hansa, Bremen; Baujahr 1901, Länge 127,74 m, 5652 BRT.

Die sogenannte Parole wurde kurz nach Kriegsbeginn noch oft angewandt. Die Kriegsgefangenen durften auf Ehrenwort in Freiheit bleiben und mussten sich regelmäßig bei den Behörden melden. Das änderte sich für Meier jedoch nur kurze Zeit später:

Melbourne, den 15. September 1914.
Am Dienstag (8.9.) wurde uns die Parole wieder abgenommen und wir müssen nun wieder alle Tage an Bord sitzen. Der Grund der Einforderung der Parole ist der, daß unser II. Off. dem im Hafen liegenden holländ. D. „Houtman“ einen Besuch abgestattet hat. Der I. Off. des D. „Houtman“ hat unseren II. Off. verhaften lassen. Seit dem 9.9. dürfen wir unsere Briefe nur noch in englischer oder französischer Sprache schreiben, deutsch geschriebene Briefe werden nicht befördert. … Am 4.9. erhielt ich Zeitungen von zuhause. D. „Wildenfels“ ist heute unter australischer Flagge nach Sydney gefahren. Wir bekommen von der Regierung pro Kopf und Tag 1 ½ Pfd. Fleisch, 1 Pfd. Kartoffeln und etwas Gemüse.

Anmerkung: Meier verwendet das alte Zeichen für die Gewichtseinheit Pfund, er hat es nicht mit Pfd. abgekürzt.

Mit der Zeit sollte nicht nur die „Wildenfels“, sondern alle sechs deutschen Schiffe beschlagnahmt werden und unter australische Flagge kommen.

Das gleiche Schicksal teilten auch die „Neumünster“ (später „Cooee“) oder die „Osnabrück“ (später „Calulu“), beides Schwesterschiffe der „Fürth“, die ich hier im Blog vorgestellt hatte: Schwesterschiffe der „Fürth“: Die „Neumünster“ und Schwesterschiffe der „Fürth“: der Frachtdampfer „Osnabrück“

Unterbringung an Land

Melbourne, den 20. September 1914.
Am Dienstag erfuhren wir, daß die hier liegenden deutschen Schiffe unter australische Flagge und mit australischer Besatzung nach Sydney und Brisbane weiterfahren sollen. Infolgedessen haben wir am Mittwoch (16.9.) unsere Arbeit eingestellt. …

Die deutschen Mannschaften blieben in Melbourne zurück:

Melbourne, den 28. September 1914.
Am 26.9. wurden Kapitän, Offiziere und Ingenieure des D. „Pfalz“ an Land gebracht, kamen jedoch abends zu uns an Bord, weil dieselben an Land keine Unterkunft finden konnten. Der D. „Pfalz“ hat jetzt australische Besatzung. …

Melbourne, den 6. Oktober 1914.
Am 29.9., morgens, kamen die Offiziere und Ingenieure des D. „Hobart“ zu uns an Bord und wurden abends nach dem D. „Altona“ hinüber gebracht. Vom 21.9. bis zum 29.9. haben wir noch wieder gearbeitet. Am 30.9. fuhren der Kapitän, die Offiziere und der I. Ingenieur des D. „Pfalz“ mit der Bahn nach Sydney. Die übrigen 3 Ingenieure bleiben bei uns an Bord. Heute Abend 5h45 fuhr die „Pfalz“ und um 6h30 die „Hobart“ ab nach Sydney. Beide Schiffe fahren mit australischer Besatzung und unter australischer Flagge.

Melbourne, den 9. Oktober 1914.
Am Mittwoch (7.10.) mußten wir plötzlich unsere Sachen packen und von Bord. Es kamen Marinesoldaten an Bord um den Betrieb zu übernehmen. Abends um 6 ½ Uhr wurden wir mit einem Schlepper abgeholt und zusammen mit den Offizieren und Ingenieuren der D. „Altona“, „Hessen“, „Hobart“ und „Pfalz“ nach den Polizei-Baracken am St. Kilda Road gebracht. Abends bekamen wir Hartbrot, Büchsenfleisch und Wasser und mußten dann im Pferdestall auf dem Fußboden schlafen. Wir bekamen ein Gummilaken, ein paar (2) Wolldecken und ein Handtuch und wohnen nun im neuen Stallgebäude mit der Mannschaft zusammen. Wir sollen im selben Speisesaal essen.
Wenn wir hinaus wollen, müssen wir uns selbst erhalten, alles selbst bezahlen. Darum bleibt nichts anderes übrig, als hier im Pferdestall zu bleiben.
Die Kapitäne, einige Offiziere und die I. Ingenieure haben die Parole genommen. Das Essen geht so einigermaßen, es ist allerdings jeden Tag dasselbe, morgens: Fleisch, Brot, Marmelade und Kaffee; mittags: Fleisch mit Pellkartoffeln und Zwiebeln, Suppe und Brod; abends: Fleisch, Brod, Marmelade und Tee. Gestern abend war in dem Speisesaal der Mannschaft ein Ball, ein Deutscher Gesangverein hielt Vorträge und die Musik stellten die Kriegsgefangenen selbst. Dieser Ball wird jeden Donnerstag abgehalten.

in kleinerer Schrift mit anderer Tinte hat Meier ergänzt:
(Bald nachher wurde der Besuch verboten und die Gefangenen nach Langwarrin gebracht).

Swanston Street, Melbourne

Melbourne, Swanston Street, undatierte Aufnahme, ev. Anf. 20. Jh.; Quelle: State Library Victoria, ID H2013.223/40

Im Hotel und bei Herrn Kandler

Melbourne, den 15. Oktober 1914.
Die Tage der Baracken sind glücklich vorüber, am Montag (12.10.) sind wir ausgezogen, nachdem wir die Gewißheit haben, daß die Regierung uns pro Woche 30 Shilling gibt. Fünf Tage waren wir in den Baracken und drei Tage wohnen wir nun im „Federal Palace Hotel“ in der Collins St., wo wir 5 Sh 6 d pro Tag bezahlen müssen. Da wir jedoch auf diese Weise mit dem uns von der Regierung ausgesetzten Gelde nicht auskommen, so ziehen wir heute nach dem „Commercial Hotel“, Ecke Spring St. und Lonsdale St., wo wir nur 5 Sh pro Woche ohne Beköstigung bezahlen müssen. Am letzten Montag (12.10.) erhielten wir die Parole und wir müssen uns jetzt jede Woche einmal auf der nächsten Polizei-Station melden.

Federal Palace Hotel Melbourne

Sieht nicht gerade günstig aus: Federal Palace Hotel, Collins Street, Melbourne, kolorierte Postkarte, um 1909; State Library Victoria, Id H33676/66

Für die kleinen Dienstgrade war allerdings auch das Commercial Hotel noch zu kostspielig. Meier ist daher mit drei Kameraden weitergezogen.

Melbourne, den 22. Oktober 1914.
Im „Commercial Hotel“ habe ich nur 2 Nächte geschlafen, weil uns die Verpflegung zu teuer wurde, so sind wir (3 Ing. von der Pfalz und ich) wieder verzogen am 17. Okt. 14 nach South-Melbourne, 227 Park Street. Wir wohnen bei einem deutschen Zahntechniker, Herrn Kandler und bezahlen für Wohnung und Verpflegung nebst Wäsche ein £ (20 M) pro Woche. Es gefällt uns hier sehr gut. Gestern kam die erste Zahlung für die Zeit vom 12. bis 17. d. M. also 6 Tage = 25 Sh 8 d. Es gibt jetzt alle 14 Tage Geld. Nach einem Schreiben des Nordd. Lloyd bekommen wir volle Tage bis zum 1. Nov. d. J. Dies Geld werden wir wahrscheinlich erst bekommen, wenn der Krieg vorüber ist.

Meier notierte ebenfalls die 30 Shilling, die er von der australischen Regierung bekam, sie wurden zweiwöchentlich ausgezahlt, also in Beträgen von 60 Shilling. Bereits Mitte November wurden die Zahlungen aber auf 20 Shilling pro Woche gekürzt.

Meier schreibt dazu:

Für hiesige Verhältnisse ist 20 Sh. pro Woche herzlich wenig, es ist zum Verhungern zu viel und zum Sattessen zu wenig? Ich bezahle jetzt für Kost und Logis 17 Shilling (17 M) pro Woche.

Jedoch erhielt er vom Agenten des NDL in Melbourne einen Vorschuss auf seine Heuer ausbezahlt.

Melbourne, den 11. Dezember 1914.
Heute erhielt ich von unseren Agenten Ostermeyer, VanRompaey & Co. 5 £ (~100 M) Vorschuss.

Bis Ende Januar 1915 vermerkt Meier lediglich die Zahlungseingänge durch die australische Regierung. Dann gibt er einen Einblick in die Verwendung der deutschen Schiffe:

Melbourne, den 30. Januar 1915

Die hier in Australien festgehaltenen Schiffe werden jetzt sämtlich verwendet, teilweise als Transportschiffe der Regierung und teilweise im Frachtverkehr verschiedener Firmen. Die „Lothringen“ (nachträglich ergänzt: und auch die „Hessen“) fährt als „H1“ zwischen Bombay-Kalkutta und hier für die Firma „Burns, Philp & Co.“, die „Pfalz“ fährt als Transporter A42.
Seit ein paar Tagen darf kein Deutscher mehr in irgendeine öffentliche Veranstaltung, wie z. B. Kino und Theater und in keine Wirtschaft oder Vergnügungslokale gehen.

Namen wie H1 und A42 waren vorläufige Bezeichnungen Ende 1914/Anfang 1915, bevor die Schiffe neue Namen bekamen.

Mitte Februar kündigte sich eine neue Internierung an:

Melbourne, den 18. Febr. 1915
Heute erhielten wir von der Australischen Regierung ein Schreiben, wonach wir die uns erlaubten 20 Shilling pro Woche nur noch bis zum 28. Febr. erhalten. Am 1. März sollen wir wieder interniert werden.

Demnächst im Blog

Das Langwarrin Internment Camp bei Melbourne. Aus Schiffsingenieuren werden Bauingenieure, die sich ihre Unterkünfte zum großen Teil selber bauen (müssen).

Wie von Rottnest Island werden auch die Inhaftierten dieses Lagers im Lauf des Jahres 1915 nach New South Wales transportiert, wo sie den Rest des Krieges und zum Teil fast ein Jahr darüber hinaus verbringen müssen.

Black and white image depicting sailing ships and steam ships at Victoria Dock, circa 1905

Segler und Dampfschiffe im Victoria Dock, Port Melbourne, ca. 1905. Quelle: Museums Victoria Collections https://collections.museumvictoria.com.au/items/1763876 Abgerufen am 13. März 2018

Copyright-Hinweis

Nachtrag vom 7. Mai 2022:

Friedrich Meier starb am 7. November 1974 in Bremerhaven. Auf seinem Tagebuch ist daher ein Copyright, das bis Ende des Jahres 2044 fortbesteht.

Die Veröffentlichung der Tagebuchauszüge hier im Blog erfolgt mit freundlicher Genehmigung seiner Familie. Dafür auch an dieser Stelle herzlichen Dank.

Mehr über Friedrich Meier erfahren Sie hier:
Gestatten: Meier, Friedrich Meier