Archiv der Kategorie: Mannschaft

Rottnest Island 1915 internment camp

Offiziere dreier Schiffe

Auf Rottnest Island (West-Australien)

Vor einigen Wochen hatte ich hier im Blog die Aufnahme von Schiffsoffizieren des Dampfers „Reichenbach“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft vorgestellt: Die Offiziere der „Reichenbach“ und Kapitän Peters‘ tragisches Ende

Heute haben wir die Offiziere von drei Schiffen zusammen in einer schönen Gruppenaufnahme, wenngleich die Herren nicht ganz vollzählig sind.

Die Männer bildeten eine Zwangsgemeinschaft: sie waren internierte Seeleute auf Rottnest Island, einer kleinen, Westaustralien vorgelagerten Insel. Siehe: Rottnest Island: Die Internierung deutscher Seeleute in Westaustralien

Ihre drei Frachtschiffe waren die „Neumünster“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG), die „Thüringen“ und die „Greifswald“, beide Norddeutscher Lloyd Bremen (NDL).

Dampfschiff Neumünster 1907
Zeichnung der „Neumünster“, einem Schwesterschiff der „Fürth“ (Ausschnitt), © mit freundlicher Genehmigung des Schifffahrtsmuseums Flensburg (Ref. BN_269).

Die Schiffe hatten im August 1914 nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges den Hafen Fremantle in Westaustralien erreicht und waren dort von den Behörden beschlagnahmt worden beziehungsweise vor der Einfahrt in den Hafen als Prisen genommen worden. Keines der drei Schiffe verfügte über Telegraphie an Bord.

Alle drei Kapitäne und Mannschaften waren erst bei ihrer Ankunft vom Kriegsausbruch persönlich unterrichtet worden. Zuletzt erreichte die Nachricht den Dampfer „Thüringen“, der am 29. August 1914 von Bremen über Antwerpen kommend Fremantle erreichte. Das waren dreieinhalb Wochen nach der Kriegserklärung Englands an das Deutsche Reich.

Thüringen Schiff
Frachtdampfer „Thüringen“, Norddeutscher Lloyd Bremen, Ansichtskarte ungelaufen und undatiert (ca. 1906-1914), eigene Sammlung

Die „Thüringen“ hatte auf ihrer Fahrt nach Australien nicht in Südafrika angelegt, sondern das Kap weiträumig und unbemerkt von den Briten umfahren. So datierte die letzte Landberührung vom Juli 1914, also noch vor Kriegsbeginn.

Die Mannschaften der drei Schiffe wurden kurz nach ihrer Ankunft in Fremantle jeweils nach Rottnest Island transportiert.

Fremantle Harbour, German Prisoners, August 1914
Die deutschen Gefangenen bei der Einschiffung in Fremantle auf dem Weg nach Rottnest Island, wo sie interniert wurden, Western Mail, Perth, 21. August 1914, Quelle: http://www.trove.nla.gov.au

Der Fotograf Karl Lehmann

Karl Lehmann war dritter Offizier auf der „Greifswald“ und Amateurfotograf. Bereits auf See machte er eindrucksvolle Bilder von der Passage seines Schiffes. Nach der Festsetzung durfte er überraschenderweise seine Kamera behalten und machte während seiner Gefangenschaft in Australien über 300 Fotos.

Lehmann ist auch Autor der oben wiedergegebenen Titelabbildung. Glücklicherweise ist das Foto als eines von wenigen beschriftet, so dass wir heute zumindest in Teilen rekonstruieren können, wer darauf abgebildet ist. Erschwert wird die Namenszuordnung jedoch dadurch, dass siebzehn Personen auf der Gruppenaufnahme zu sehen sind, der Autor uns aber nur fünfzehn Namen nennen kann:

Korf, Schörtner, Bussard, Heinzel, Spitter
Kyso, Hoffmann, Zinius, Molter, Rumbruch, Meier
Mathy, Mertens, Martens, Trojan

Die Aufnahme wurde im Mai 1915 auf Rottnest Island aufgenommen. Die Offiziere hatten das Privileg, in festen Gebäuden untergebracht zu sein, von denen eine Fassade im Hintergrund des Fotos zu sehen ist. Die Mannschaften hingegen mussten in Zelten wohnen, die bei Sturm und Regen nur ungenügenden Schutz boten.

Das Lager auf Rottnest Island bestand bis November 1915, dann wurden die Gefangenen von Westaustralien nach New South Wales überstellt: die Mannschaften nach Holsworthy (Liverpool), die Kapitäne und höheren Offiziersgrade nach Berrima, die anderen Offiziere nach Trial Bay.

Karl Lehmann, Schiff Greifswald, NDL
Aufnahme von Karl Lehmann auf hoher See; Originalzitat: Lehmann, Karl. 1914, A wave breaks over the ship during the voyage, Indian Ocean, 1914 , viewed 2 janvier 2020 http://nla.gov.au/nla.obj-151913029

Die Offiziere

Bei der Identifizierung der abgebildeten Offiziere konzentriere ich mich auf die Besatzung des Schiffes „Neumünster“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft.

Für eine sichere Ansprache der NDL-Offiziere wäre ein Abgleich der Bildunterschriften mit den Schiffsdokumenten der „Thüringen“ und der „Greifswald“ erforderlich.

Diese Dokumente existieren zwar, und dies auch außergewöhnlich vollständig, allerdings nicht in digitalisierter Form. Sie liegen gut verwahrt im State Records Office of Western Australia in Perth.

Für die „Neumünster“ hatte ich mir die Dokumente durch einen Historiker scannen und zusenden lassen, aus Kostengründen aber darauf verzichtet, dies auch für die beiden NDL-Schiffe zu tun.

Wenn ich einen Sponsor für einen Forschungsaufenthalt in Perth finde, hole ich das auch gerne selber nach!

Rottnest Island, about 1920
Rottnest Island, 20er Jahre, National Library of Australia über https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rottnest_map_nla.jpg

Nun zum Bild: von links nach rechts:

Johannes Korff

Der Herr ganz links ist Johannes Korff, 2. Decksoffizier der „Neumünster“, geboren in Rinkenis am 2.6.1885.

Rinkenis, heute Rinkenæs, liegt am Nordufer der Flensburger Förde. Der Ort gehörte bis 1920 zum Deutschen Reich, danach und bis heute zu Dänemark.

Korff sollte es in seiner späteren maritimen Laufbahn bis zum Kapitän bringen, er starb am 23. Februar 1978. Er ist zusammen mit seiner Frau Marianne (geb. Christensen, 4.5.1899-7.7.1973) auf dem Friedhof in Rinkenæs (Rinkenæs Gamle Kirkegård) begraben (Quelle: Lokalhistorisk Arkiv for Graasten, graastenarkiv.dk).

Johannes Kiesow

Rechts vor Korff steht der mit „Kyso“ beschriftete Offizier. Es ist der erste Decksoffizier der „Neumünster“, Johannes Kiesow, geboren in Wolgast am 24.6.1883. Er trägt seine Uniformjacke mit den drei Streifen am Ärmel, die ihn als ersten Offizier ausweisen.

Es ist keine Überraschung, dass die Mehrzahl der nautischen Offiziere am oder in der Nähe des Meeres aufgewachsen waren. Unter den Ingenieuren/Maschinisten waren „Landratten“ dagegen häufiger anzutreffen. Maschinisten-Assistent Hofmann beispielsweise kam aus Sachsen:

Richard Hofmann

Der etwas kleinere Herr rechts neben Kiesow mit der offenen Jacke und der Schirmmütze dürfte der Maschinisten-Assistent Richard Hofmann aus Flöha sein, geb. am 28.9.1893. Die Kleinstadt Flöha liegt östlich von Chemnitz im Erzgebirge.

Seine Schirmmütze mit dem hellen Emblem in der Mitte weist ihn als Mitglied der Deutschen-Australischen-Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) aus. Auch wenn die helle Reedereiflagge bei der Auflösung des Bildes nur schemenhaft zu erkennen ist, unterscheidet sie sich deutlich von dem dunklen Emblem vorne auf den Mützen des NDL.

Dampfschiff Neumünster (1907)
Der Matrose Czech war ein guter Zeichner. Von ihm sind zahlreiche Zeichnungen aus dem Internierungslager Rottnest überliefert und diese nachgestellte Szene von der Kaperung der „Neumünster“ durch HMAS „Pioneer; mit freundlicher Genehmigung der State Library of Western Australia, Ref. b2554592_6

Heinr. Bussert

Ganz hinten in der Mitte schräg rechts hinter Hofmann und mit der weißen Jacke steht Heinrich (?) Bussert (auf dem Foto als Bussard beschriftet), 4. Offizier der „Neumünster“, geboren in Sievertshagen am 19.5.1889. Sievertshagen liegt als Ortsteil von Papenhagen in Mecklenburg-Vorpommern südwestlich von Stralsund.

Der Familienname Bussert ist in der Gegend von Papenhagen noch heute häufig anzutreffen.

Mertens und Martens

Auch die beiden Herren in der Mitte der vorderen Reihe tragen Offiziersmützen der DADG. Ich lese die Namen auf dem Foto als Mertens und Martens. Der Herr rechts wäre dann Gustav Martens, 3. Maschinist, aus Flensburg, geboren am 8.11.1885.

Jetzt wird es problematisch, da die Musterrolle der „Neumünster“ keinen Mertens kennt. Am nächsten kommt der 4. Maschinist Jul. Meentzen, geboren in Sedan am 16.6.1883. Sedan liegt an der Maas in Nordfrankreich an der belgischen Grenze. Im Deutschen Kaiserreich war die Stadt durch die Schlacht von Sedan und den Sedantag bekannt.

Ob Mertens allerdings gleich Meentzen ist, muss offenbleiben.

Dampfschiff Neumünster 1907, DADG
Zeichnung der „Neumünster“, einem Schwesterschiff der „Fürth“, © mit freundlicher Genehmigung des Schifffahrtsmuseums Flensburg (Ref. BN_269). Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass sämtliche Bildrechte beim Schifffahrtsmuseum Flensburg liegen und jegliche Nutzung dieses Bildes der Genehmigung des Rechteinhabers bedarf.

Weitere Offiziere

Ein weiterer Offizier der „Neumünster“ war Boy Hansen (3. Decksoffizier). Er ist entweder nicht auf dem Foto oder Lehmann kannte seinen Namen nicht.

Von den Maschinisten der „Neumünster“ können wir nicht identifizieren: Adolf Cortie aus Hamburg (Chefingenieur), Heinrich Kaerkes aus Neuwark (2. Ingenieur) und Berthold Gruhl (Maschinisten-Assistent aus Goslar.

Falls Sie auf dem Foto einen Ihrer Vorfahren wiederentdecken und/oder weitere Angaben zu dem Bild machen können, freue ich mich auf Ihre Nachricht!

Heizer Zeichnung um 1921

Schicksal des verschollenen Schiffsheizers Emil Steiner aufgeklärt

Titelbild: Zeichnung „Heizer“ von Karl Wiener (Zeichner, Grafiker 1901-1949), um 1921, Wien Museum Inv.-Nr. 250533/770, Lizenz CC0 (gemeinfrei); https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/40446/

Große Freude in Utzenstorf

Im Jahr 1912 verschwand der Schiffsheizer Emil Steiner spurlos. Seine Familie hat seitdem nichts mehr von ihm gehört.

Der Lokalhistorikerin Barbara Kummer-Behrens aus Utzenstorf im Kanton Bern ist es jetzt nach über 100 Jahren gelungen, das Schicksal Emil Steiners aufzuklären – dank des Artikels über den verschollenen Frachtdampfer „Augsburg“ hier im Blog.

Ich übergebe das Wort an Barbara Kummer-Behrens, die uns die spannende Geschichte Emil Steiners selbst erzählt:

Vor mehr als 40 Jahren erzählte mir meine Nachbarin, Frau Lily Lüthi-Liechti, dass ein Vorfahre aus ihrer Familie, mit Namen Emil Steiner, sich als Heizer auf der „Titanic“ gemeldet habe, aber nicht angenommen wurde. Er habe sich kurz darauf auf einem anderen Dampfer anheuern lassen und sei vermutlich nach New York gefahren. Vielleicht sei er von Amerika so begeistert gewesen, dass er im Land blieb.

Man habe aber nie mehr etwas von ihm gehört!

Frau M. Gugger und Frau Lily Lüther-Liechti, „Landi-Jubiläum“ 1973 in Interlaken; Foto aus Privatbesitz von Barbara Kummer-Behrens

Das war die Geschichte, die ich vom Hörensagen kannte.

Ein weiteres Treffen hatte ich mit Frau Trudi Hertig-Anliker in Utzenstorf. Frau Hertig war mit der Familie Steiner verwandt und konnte mir interessante Hinweise geben.

Später habe ich versucht, diesen Emil Steiner in den Kirchenbüchern von Utzenstorf ausfindig zu machen, um einen kleinen Stammbaum zu erstellen. Das war nicht einfach, denn in Utzenstorf gibt es sehr viele Familien mit dem Familiennamen Steiner und auch die Vornamen wiederholen sich laufend.

Um diese verschiedenen Familien unterscheiden zu können, setzte der damalige Pfarrer die Berufsbezeichnung oder den Spitznamen hinter den Eintrag in den Kirchenbüchern. Die Vorfahren des Emil Steiner waren Sattler von Beruf und lebten an der Quellgasse in der Nähe der Dorfbachquelle.

Utzensdorf Bernerland
Luftaufnahme der Quellgasse in Utzenstorf mit Haus der Familie Steiner, heute Samuel Lüthi, Quellgasse 15; Foto H.U. Kummer

Stammbaum Emil Steiner

Am 26. Januar 1885 starb Johann Steiner, Ehemann der Anna Elisabeth, geb. Anderegg, Sohn des Urs Steiner, Sattlermeister und Landwirt im Oberdorf. Kinder dieses Ehepaares waren:

Elise 2.12.1860-13.7.1940 Wärterin in der Rosegg, ledig
Marianne geb. 28.8.1863, verheiratet mit Jakob Hertig
Johann Steiner geb. 18.1.1867, verheiratet mit Agnes von Arx
Jakob Steiner geb. 3.1.1871, Landwirt
Emil Steiner 31. 3. 1875, Schiffsheizer, Brandenburg, verschollen 1912
Louise Steiner 16. 11. 1878

Tatsächlich war also in einem der Kirchenbücher hinter dem Namen Emil Steiner die Bezeichnung «Schiffsheizer, Brandenburg, verschollen 1912» angebracht worden, damit hatte ich den «richtigen» Steiner gefunden!

Anmerkung: Der Eintrag deutet darauf hin, dass die letzte bekannte Station des Schiffsheizers Emil Steiner der Dampfer „Brandenburg“ des Norddeutschen Lloyd Bremen war. Ab 1910 war die „Brandenburg“ im Linienverkehr zwischen Bremen – Philadelphia im Einsatz.

Brandenburg NDL
Dampfschiff „Brandenburg“ Norddeutscher Lloyd Bremen, Postkarte, Fotograf M. Cooper, Aufnahmedatum unbekannt (1902-1914); Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales über trove.nla.gov.au

Den Eintrag im Taufregister für Emil Steiner fand ich ebenfalls:

Eintrag des Emil Steiner im Taufregister; Quelle: Gemeinde Utzenstorf

Herr Bruno Sommer vom Zivilstandsamt in Langnau übermittelte mir freundlicherweise auch den Eintrag im Burger-Rodel:

Anmerkung: Der Burger-Rodel ist ein Personenregister in Buchform, in dem alle Bürgerinnen und Bürger einer Schweizer Gemeinde eingetragen sind.

Der junge Emil Steiner

Manchmal findet man im Burger-Rodel Hinweise, die der Pfarrer zu einzelnen Familienmitgliedern auf den entsprechenden Seiten des Verzeichnisses anbringt, aber leider war das bei Emil Steiner nicht der Fall.

Es heisst nur, dass er am 6. Mai 1890 einen «Heimatschein» ausgefertigt bekam. Einen Heimatschein benötigte man als Ausweispapier, wenn man die Gemeinde verliess, um in einem anderen Kanton eine Arbeitsstelle oder eine Lehre anzutreten.

Im Mai 1890 war Emil Steiner 15 Jahre alt. Wollte er eine Lehre anfangen oder ein Jahr im Welschland die französische Sprache lernen? Man weiss es nicht.

Mehr Informationen waren nicht zu erhalten, weder Herr Dr. Benjamin Ryser vom Staatsarchiv des Kantons Bern, noch Herr Christian Boesch vom VBS, Bibliothek am Guisanplatz in Bern, konnten Hinweise auf unseren Emil Steiner aus Utzenstorf in den alten Akten finden.

Utzenstorf Kanton Bern
Luftaufnahme von Utzenstorf aus 200 m Höhe, 1920, Fotograf Walter Mitterholzer, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:ETH-BIB-Utzenstorf_aus_200_m-Inlandfl%C3%BCge-LBS_MH01-002603.tif

Emil Steiner verlässt die Heimat

Der junge Emil Steiner war mit 20 Jahren «stellungspflichtig», das heisst alle jungen Männer des Jahrganges mussten sich in Fraubrunnen zur «Aushebung» (militärische Musterung) melden.

Anmerkung: Der Amtsbezirk Fraubrunnen war eine Verwaltungseinheit im Kanton Bern.

Emil Steiner taucht in keinem dieser Verzeichnisse auf. Daher vermute ich, dass er bereits in ganz jungen Jahren die Schweiz verlassen hat.

In Jeremias Gotthelfs Roman «Leiden und Freuden eines Schulmeisters» beschreibt der Dichter, wie es dem Bendicht Wehrdi erging, der nach einem Streit in der Familie die Heimat für immer verlassen wollte:

«…von Langenbrucker Kuhhändlern hatte ich gehört, dass in Basel das Loch sei, wo man zum Land (hin)aus könne. Dahin steuerte ich also… …so kam ich endlich als Schiffsjunge auf ein holländisch(es) Schiff, das nach Batavia ging, nachdem ich mit Holzflössern den Rhein (hin)ab gefahren war…»

Anmerkung: Der Schweizer Schriftsteller Jeremias Gotthelf (1797 – 1854) verbrachte einen Teil seiner Jugend in Utzenstorf.

Utzensdorf Bernerland
Utzenstorf, Ansicht mit Pfarrhaus und Kirche aus dem Jahr 1824 von Jakob Samuel Weibel; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:CH-NB_-_Utzenstorf_-_Collection_Gugelmann_-_GS-GUGE-WEIBEL-D-143.tif

Hatte Emil Steiner ebenfalls Streit mit seiner Familie gehabt?

Es wäre möglich, denn eigentlich war er der jüngste Sohn und hätte nach dem Gesetz im Kanton Bern die Hofnachfolge antreten sollen. Aber es war sein um vier Jahre älterer Bruder Jakob, der mit seiner jungen Familie den Hof übernommen hatte.

Auf dem elterlichen Hof sind keine alten Dokumente mehr vorhanden und das machte die Suche nach dem verschollenen Utzenstorfer bedeutend schwieriger.

Das Schicksal Emil Steiners klärt sich auf

Auf gut Glück tippte ich den Suchbegriff «Emil Steiner Utzenstorf» bei Google ein und landete einen Volltreffer:

Im Blog über den Frachtdampfer „Fürth“ und in der Fülle von Informationen über Schiffe, Routen, Passagiere und Mannschaften «tauchte» unser Emil Steiner im Artikel Verschollen und vergessen: der Frachtdampfer „Augsburg“ auf.

Dort war die Mannschaftsliste der „Augsburg“ aufgeführt und unter den Schiffsheizern befand sich Emil Steiner aus Utzensdorf.

Heizer
August Zoller, Mosnang
Max Drunkenpolz – Kötzling
J. J. Richard Putz – Berlin
Rich. E. Stubbe – Birken
Emil Steiner – Utzensdorf
Henry Szameitpreugsch – Memel
Jakob Baudy – Grafenhausen
Quelle: aus einer Zeitungsmeldung des Hamburger Anzeigers vom 30. März 1912; Quelle: europeana.eu

Utzenstorf wurde früher wahlweise mit «d» oder mit «t» geschrieben!

steamer Augsburg 1896
Der Frachtdampfer „Augsburg“, Aufnahmedatum unbekannt (1896-1912); © R. Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, S. 30, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven 1984, Aufnahme aus der Sammlung A. Kludas.

Anmerkung: Der Frachtdampfer „Augsburg“ hatte den Hafen von New York am Freitag, den 2. Februar 1912 mit Petroleum in Kanistern (“cased oil“) und Stückgut in Richtung Batavia verlassen. Der nächste Hafen, der für die Aufnahme von Bunkerkohle angelaufen werden sollte, war Durban (Südafrika). Nach dem Verlassen von New York wurde die „Augsburg“ nie mehr gesehen. Der Frachtdampfer mit etwa 40 Mann Besatzung gilt bis heute (März 2023) als verschollen.
SIEHE: Verschollen und vergessen: Der Frachtdampfer „Augsburg“

Die Nachricht vom Untergang Emil Steiners mit der „Augsburg“ hat seine Familie offensichtlich nie erreicht. Denn sonst hätte man Gewissheit über das Schicksal Emils gehabt.

So hat die Familie wohl eine lange Zeit tagein tagaus auf eine Nachricht ihres Sohnes gehofft.

Man kann sich heute im digitalen Zeitalter kaum vorstellen, wie lange man damals auf Nachrichten von Freunden und Verwandten in Übersee warten musste. Oft waren es nur kleine Zeitungsinserate, die die glückliche Ankunft eines Schiffes im Bestimmungshafen meldeten. Briefe und Postkarten konnten monatelang unterwegs sein.

Nüchterne Beschreibung trauriger Schicksale

Ein Jahr nach dem Verschwinden des Dampfers „Augsburg“ wurde nachfolgender Bericht einer Verhandlung des Seeamtes Hamburg veröffentlicht. Frau Claudia Wahl vom DE GRUYTER VERLAG in Berlin, war so freundlich mir den vollständigen Bericht zu übermitteln (hier ein Auszug daraus):

Dampfer «Augsburg» von Hamburg verschollen
Seeamt Hamburg, 4 April 1913.
Spruch: Der Dampfer «Augsburg», welcher am 2. Februar 1912 den Hafen von New York mit der Bestimmung nach Java verlassen hat, hat seinen Bestimmungsort nicht erreicht und ist als verschollen anzusehen. Die Art des Unfalls, welcher das Schiff betroffen hat, war nicht mit Sicherheit zu ermitteln, es ist aber zu vermuten, dass das Schiff in dem sehr stürmischen Wetter, welches Anfang Februar in dem in Frage kommenden Gebiete geherrscht hat, mit seiner Besatzung den Untergang gefunden hat. Das Schiff war bei der Ausreise in seetüchtigem Zustand, nicht überladen und gehörig bemannt.

Tatbestand. Der Dampfer «Augsburg», Unterscheidungssignal RKLN, stand im Eigentum der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft in Hamburg und wurde auf seiner letzten Reise geführt von dem Kapitän Wilhelm Michael Max Winter, Inhaber eines Befähigungszeugnisses zum Schiffer auf grosser Fahrt von 1900…»

Vergebliches Hoffen

Emil Steiner blieb verschwunden.

Seine Mutter, Anna Elisabeth Steiner, sollte vergeblich auf ein Lebenszeichen ihres Sohnes warten.

Wie oft hat sie sich wohl seine letzte Postkarte oder seinen letzten Brief angesehen?

Passend zu dieser Situation gibt es ein schönes Volkslied in der Schweiz:

Mis Müetti het mer brichtet, chumm wieder einisch hei:
Es sig so ganz verlasse, es sig so ganz ällei…

Und druf, da hanem gschribee, i heig ja chum der Zit,
heig eister z’tue und z’schafä und s’Heicho sig so wit…

Doch einisch bini gange, bi hei cho s’Wägli us,
und s’ Müetti hani fgundä, ällei im alte Hus.

Älei im chlinä Stübli, wo s’Zit gahd a der Wand,
am Fänschterli heds gschlafe, mis Briefli i der Hand…

Quelle: Giigäbank-Liederbuch

Hier in der hochdeutschen Übersetzung:

Mein Mütterlein hat mir berichtet, komm doch wieder einmal heim,
sie sei so ganz verlassen, sie sei so ganz allein.

Darauf hab’ ich geschrieben, ich hätt’ ja kaum viel Zeit…
auch viel zu tun und schaffen und das Heimkommen sei so weit…

Doch einmal bin ich gegangen, bin heim den kleinen Weg hinaus
und mein Mütterlein hab’ ich gefunden, allein im alten Haus.

Allein im kleinen Stübchen, wo die Uhr hängt an der Wand,
am Fenster hat’s geschlafen, mein Brieflein in der Hand…

Quelle: Geigenbank-Liederbuch

Dank

Ich bedanke mich an dieser Stelle ganz herzlich bei Barbara Kummer-Behrens für die Geschichte des Emil Steiner aus Utzenstorf.

Es freut mich außerordentlich, dass die akribische Recherchearbeit von Frau Kummer-Behrens nach so vielen Jahren noch von Erfolg gekrönt wurde und das Schicksal Emil Steiners aufgeklärt werden konnte.

Meine Anerkennung und meinen Glückwunsch!

Stegelmann Steglman work certificate 1910

Der Weg des Schiffszimmermanns Stegelmann nach Australien

Titelbild: Dienstzeugnis des Schiffszimmermanns Stegelmann, Dampfschiff „Kiel“, 7. April 1911, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, Quelle: Museums Victoria Collections https://collections.museumsvictoria.com.au/items/130292; gemeinfrei.

Die Geschichte einer Auswanderung

Johannes Friedrich Wilhelm Stegelmann wurde 1884 in Wellingdorf (Schleswig-Holstein) geboren, das 1910 nach Kiel eingemeindet wurde.

1900 trat er als Lehrling in die Kaiserliche Werft in Kiel ein, um Schiffszimmermann zu werden.

Kiel Gaarden Kaiserliche Werft 1902
Kiel, Kaiserliche Werft, um 1902; Quelle: Stadtarchiv Kiel über commons.wikimedia.org

In seinem Lehrbrief heißt es:

Der Schiffszimmer-Lehrling Johannes Stegelmann, geboren am 9. November 1884, in Wellingdorf, welcher mit dem 18. April 1900 das Schiffszimmers-Handwerk erlernt hat, wird hiermit nach bestandener Prüfung zum Gesellen freigesprochen.
Die Führung desselben während der Lehrzeit war gut.
Kiel, den 19. März 1904.
Quelle: Museums Victoria Collections; https://collections.museumsvictoria.com.au/items/1303016

Stegelmann war noch minderjährig (unter 21) und so schrieb ihm sein Vater Hans eine handschriftliche Genehmigung, dass er zur See fahren dürfe. Diese wurde von der Gemeinde Ellerbeck am 9. Juni 1904 beglaubigt.

Stegelmann Ellerbek 1904
Einwilligung von Hans Stegelmann, dass sein Sohn Johannes zur See fahren kann, beglaubigt von der Gemeinde Ellerbeck am 9. Juni 1904; Quelle: https://collections.museumsvictoria.com.au/items/1302996

Erste Anstellungen und Militärzeit

Seine erste Anstellung erhielt Stegelmann im Juni 1904 auf dem Segelschiff „Parnassus“ zu einer Heuer von 60 Mark.

Weiter wissen wir von ihm, dass er am 3. Juli 1905 als Zimmermann auf dem Frachtdampfer „Kiel“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) anheuerte. Die Fahrt sollte bis zum 20. Januar 1906 dauern; seine Heuer betrug jetzt monatlich 85 Mark.

Auf dem Dampfer „Thasos“ der Deutschen Levante-Linie, auf dem er 1906 fuhr, verdiente er dann 90 Mark monatlich.

Am 18. Februar 1907 trat er seine Militärzeit in der 5. Kompagnie der 1. Werft-Division in der Kaiserlichen Marine als Ober-Zimmermannsgast an. Hier leistete er bis zum 29. September 1909 Dienst.

Noch im gleichen Jahr fuhr er ab 21. Oktober wieder als Zimmermann in der Handelsmarine: Schiff „Sarnia“ (HAPAG), Heuer 80 Mark. Außerdem trat Stegelmann in den Deutschen Transportarbeiter-Verband ein.

Am 28. Oktober 1910 führte ihn sein Berufsweg erneut auf das Dampfschiff „Kiel“ der DADG. Das Dienstzeugnis der Titelabbildung stammt von dieser Fahrt, die bis zum 6. April 1911 dauerte.

Kiel Mannschaftsliste January 3rd 1911 Sydney
Mannschaftsliste der „Kiel” beim Einlaufen in Sydney am 3. Januar 1911, an fünfter Position: J. F. W. Stegelmann, 26 Jahre, aus Wellingdorf, Zimmermann; Dokument der Hafenbehörde Sydney über die Webseite marinersandships.com.au.

Zurück in Hamburg erhielt er eine Vorladung des Seemannsamtes Hamburg. Er musste als Zeuge zu dem Tod eines Schiffsmannes auf dieser Australienfahrt aussagen, der beim Bootwaschen über Bord gefallen und ertrunken war.

Die Vorladung ist das letzte Dokument, welches ihm in Deutschland ausgestellt wurde (und erhalten geblieben ist).

Desertion in Australien

Nach Angaben seiner Tochter Margaret ist er noch im Jahr 1911 mit zwei anderen Seeleuten in Australien desertiert, weil er Angst hatte, wieder zur Kaiserlichen Marine eingezogen zu werden.

Ich vermute, dass er eine zweite Fahrt auf der „Kiel“ nach Australien gemacht hatte und die Desertion zwischen dem 3. und 10. Juli 1911 in Melbourne erfolgte, als das Schiff dort im Hafen lag.

Grund für meine Annahme ist, dass bei der Ankunft der „Kiel“ in Sydney am 14. Juli 1911 der Schiffszimmermann fehlte.

Dampfer Kiel, um 1910
Der Frachtdampfer „Kiel“, ein Schiff der „Meißen-Klasse“, Quelle: R. Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven 1984, Aufnahme aus der Sammlung Kludas.

Aus Johannes Stegelmann wird Jack Steglman

Stegelmann tauchte unter und schlug sich als Wanderarbeiter in Victoria und New South Wales durch. Auch den Ersten Weltkrieg überstand er ohne interniert zu werden.

Er hatte sich an seine australische Umgebung assimiliert und aus Johannes Stegelmann war Jack Steglman geworden.

Um 1922 nahm ihn ein gewisser Mr Bishop unter die Fittiche und Steglman konnte in Melbourne bleiben. 1924 ließ er sich als Zimmermann nieder und bekam die australische Staatsbürgerschaft.

Im Mai 1935 heiratete Steglman Gladys Muriel Leichti. Das Paar lebte in St. Kilda und Prahran (Großraum Melbourne) und hatte drei Kinder: Margaret, Helen und Bruce.

Glayds Leichti 1924
Stegelmanns Frau Gladys Leichti an Bord der S.S. Bendigo bei der Überfahrt nach Australien 1924; Bild aufgehellt; Quelle: Museums Victoria, https://collections.museumsvictoria.com.au/items/1302836

Gladys (geboren 1896) stammte aus einer armen Londoner Familie (dem Namen nach mit Schweizer Abstammung) und war 1924 mit Unterstützung der Heilsarmee auf der SS „Bendigo“ als Haushaltshilfe nach Melbourne gekommen.

Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges arbeitete Steglman auf der renommierten Blunt Werft in Williamstown. Seine Arbeit im Schiffbau wurde als kriegswichtig eingestuft, außerdem war er zu diesem Zeitpunkt bereits über 50 Jahre alt und so entging Steglman erneut einer Internierung.

Johannes Stegelmann alias Jack Steglman starb am 19. November 1957. Seine Frau Gladys überlebte ihn um fast 40 Jahre, sie starb am 15. August 1995.

Williamstown 1932
Williamstown, Victoria, 1932, Boote an einem Anleger; Quelle: Museums Victoria Collections, https://collections.museumsvictoria.com.au/items/770959

Quellen

Der vorliegende Blogartikel beruht auf Informationen und Dokumenten, die Stegelmanns Tochter Margaret 2006 den Museums Victoria in Melbourne überlassen hat, ergänzt durch eigene Recherchen.

Im Text des Museums wird sehr viel ausführlicher auf die Einwanderungsgeschichte von Stegelmanns Frau Gladys eingegangen. Siehe: https://collections.museumsvictoria.com.au/items/1302836

Insgesamt sind in den Museums Victoria Collections dreizehn Dokumente Stegelmanns erhalten, ein Teil davon unterliegt dem Copyright, andere wie die hier gezeigten Bilder sind gemeinfrei.

Dampfer Reichenbach 1910, Sydney harbour

Die Offiziere der „Reichenbach“ und Kapitän Peters‘ tragisches Ende

Seltene Fotografie der Offiziere eines Frachtdampfers

Titelbild: Kapitän, Offiziere und Offiziersanwärter des Frachtdampfers „Reichenbach“ am 10. November 1910 im Hafen von Sydney (Woolloomooloo Wharf), unbekannter Fotograf; Aufnahme aus Familienbesitz, mit freundlicher Genehmigung von Nicole Jahn und Peter Strehl

Es freut mich ganz besonders, dass ich im heutigen Beitrag Seeleuten aus der Dampfschiffsära ein Gesicht geben kann. Für Frachtschiffbesatzungen eine echte Rarität!

Die Fotografie von Offizieren eines Frachtdampfers der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) hat mir freundlicherweise eine Blogleserin zur Verfügung gestellt. Sie zeigt den Kapitän der „Reichenbach“ im Kreis seiner Offiziere. Die Aufnahme entstand, wie auf dem Foto vermerkt ist, am 20. November 1910 im Hafen von Sydney. Das Schiff hatte den Hafen von Hamburg über Melbourne kommend zwei Tage zuvor erreicht.

Das Foto lässt rein gar nichts von der Tragödie erahnen, die sich ein halbes Jahr später auf der „Reichenbach“ ereignen sollte. Doch bleiben wir zunächst bei der schönen Aufnahme.

Eine perfekte Komposition

Die Aufnahme spiegelt sehr schön die strenge Hierarchie auf den damaligen Schiffen wider. In der Bildmitte sitzt – natürlich – der Kapitän, flankiert von seinem ersten Offizier (links) und dem Chefingenieur (rechts). Den „drei Eisheiligen“, wie Kapitän, erster Offizier und leitender Ingenieur von der Mannschaft spöttisch genannt wurden, stehen als einzigen Stühle zu. Die anderen Decksoffiziere und Maschinisten müssen hinter ihnen stehen.

In der Mitte hinter dem Kapitän der zweite Decksoffizier und der zweite Ingenieur, flankiert vom dritten Decksoffizier und dem dritten und vierten Maschinisten.

Auf dem Boden schließlich sitzen die beiden jungen Maschinisten-Assistenten. Sie müssen sich erst noch bewähren, bevor sie ihre Offizierskarriere beginnen können. Immerhin hat man den beiden einen Teppich zugestanden, auf den sie sich setzen konnten.

Die Reichenbach in Burnie
„Reichenbach“ in Burnie (1913, Tasmanien) © Mit freundlicher Genehmigung des Maritime Museum of Tasmania, Cyril Smith Collection vol. 11., https://ehive.com/collections/3906/objects/842355/reichenbach

Die Gesichter bekommen Namen

Dem Umstand, dass die Fotografie in Sydney aufgenommen wurde, haben wir es zu verdanken, dass wir den beteiligten Personen Namen zuordnen können. Es existiert nämlich eine Mannschaftsliste des Schiffes bei der Ankunft vom 18. November 1910. Ein echter Glücksfall!

Hier die Namen der Personen auf dem Bild gemäß der Mannschaftsliste:

Kapitän Heinrich Peters. Zu ihm gibt es in der Mannschaftsliste keine Angaben. Aus einer anderen Quelle erfahren wir, dass er etwa 53 Jahre alt war und aus Wustrow (Fischland) stammte.

Erster Decksoffizier/Steuermann: Eric Erikson, 26 aus Odensee (?), ev. Odense, Dänemark
Zweiter Decksoffizier: F./C. (?) Heinrich, 28 aus Sonderburg (bis 1920 deutsch)
Dritter Decksoffizier: Carl Blinne, 25 aus Hörde (heute ein Stadtteil Dortmunds)

Ein vierter Steuermann fehlt. Er war auf den Schiffen der DADG eigentlich ab dem Jahr 1904 üblich.

Erster Ingenieur/Maschinist: Joh. Weidemann, 41 aus Tönning (Nordfriesland)
Zweiter Ingenieur: Heinr. Niemann, 32 aus G… (?). In einer anderen Liste ist Mecklenburg angegeben.
Dritter Ingenieur: P. The(i)lig, 27 aus Neustadt
Vierter Ingenieur: Emil Kohler, 27 aus Steppnik (?), ev. Stepenitz

Schließlich die beiden Maschinisten-Assistenten: H./A.N. Flint (19, aus Hamburg) und N. Petersen (19, aus Westerland).

Anmerkung: Die Schreibweise von Namen und Orten ist in den handgeschriebenen Listen teilweise unleserlich.

Tjilatjap, steamships Reichenbach and Thueringen, about 1908
Die Frachtdampfer „Reichenbach“ (DADG, rechts) und „Thüringen“ (NDL, links) am Anleger in Tjilatjap, von der Insel Noesa Kambangan aus gesehen, um 1908, Digital Collections Leiden University Libraries, http://hdl.handle.net/1887.1/item:915206, Creative Commons CC BY License

Aufnahmeort und Anlass

Über den Aufnahmeort informiert uns eine Zeitungsmeldung: Demnach wurde das Schiff am Tag der Ankunft an das Kai Nr. 1 in Woolloomooloo verholt.

Die Kais im Stadtteil Woolloomooloo waren der feste Liegeplatz der DADG-Flotte in Sydney.

Über den Anlass hingegen, der zu dieser Aufnahme führte, können wir nur spekulieren. Immerhin hatte man einen Fotografen engagiert, der an einem Sonntag auf das Schiff gekommen war und alle hatten sich für das Foto schön herausgeputzt. Aber warum?

Numerous vessels moored at Woolloomooloo wharf, including MANNHEIM to the left. Mai 1914
Dampfschiffe im Hafen von Woolloomooloo, Mai 1914, links im Bild die „Mannheim“, Deutsch-Australische Dampfschiff-Gesellschaft; Australian National Maritime Museum on The Commons, Object no. 00017565

Stark unterbesetzt

Mit den Namen der abgebildeten Herren weist die Mannschaftsliste insgesamt 31 Namen auf (siehe Abbildung unten).

Die Sollstärke der „Reichenbach“ lag jedoch bei 40 Mannschaftsmitgliedern, den Schiffsführer mit einbegriffen. Es fehlten also neun Leute. Sie sind wahrscheinlich in Melbourne desertiert.

Besonders die kleine Zahl an Matrosen (3) ist auffällig, normalerweise sollten das acht Seeleute sein. Und zehn Heizer/Kohlenzieher (Trimmer) sind auch nicht genug. Hier hatte man in Melbourne bestimmt auch deren vier verloren.

crew list, Reichenbach, 18. November 1910
Mannschaftsliste der „Reichenbach“ beim Eintreffen in Sydney am 18. November 1910; Hafenbehörde Sydney, Quelle: Mariners and Ships in Australian Waters; http://marinersandships.com.au/

Das tragische Ende Kapitän Peters‘

Ein halbes Jahr nach der Aufnahme, am Freitag, den 12. Mai 1911 kurz vor 14 Uhr schoss sich Kapitän Heinrich Peters in seiner Kabine mit einer Pistole in den Kopf. Er war sofort tot. Kapitän Peters wurde 53 Jahre alt.

Der erste Stewart der „Reichenbach“ hatte den ersten Offizier Erikson informiert, dass er aus der Kabine des Kapitäns einen Schuss gehört hatte. Daraufhin ging Erikson in Begleitung des zweiten und dritten Steuermanns in die Kabine des Kapitäns. Dort fanden sie den leblosen Körper des Kapitäns zusammengesackt in seinem Stuhl. Dem eilig hinzugerufenen Arzt blieb nur, den Tod zu bestätigen.

Heinrich Peters, master, Reichenbach, German Australian line,1910
Kapitän Heinrich Peters am 20. November 1910 auf der „Reichenbach“ in Sydney, Vergrößerung aus dem Titelbild, Aufnahme aus Familienbesitz, mit freundlicher Genehmigung von Nicole Jahn und Peter Strehl

Was war passiert?

Kurz vor seinem Tod, der sich gut eine Stunde vor der geplanten Abfahrt der „Reichenbach“ aus Port Adelaide in Richtung Hamburg ereignete, hatte die Reederei Kapitän Peters von seinen Aufgaben als Kapitän entbunden.

Er sollte nach Sydney zur Niederlassung der DADG reisen und von dort mit einem anderen Schiff die Heimreise antreten.

Es liegt nahe, dass Kapitän Peters diese Schmach nicht ertrug und seinem Leben ein Ende setzte.

Peters war 1906 als Kapitän zur DADG gekommen und hatte die „Reichenbach“ im Jahr 1907 übernommen.

Krank durch Alkohol

Grund für die Abberufung waren zahlreiche Alkoholexzesse des Kapitäns in der Vergangenheit, zuletzt in der Woche vor der geplanten Abfahrt aus Port Adelaide.

Sein Stellvertreter, Erikson, hatte die letzte Indisponiertheit seines Vorgesetzten den Agenten der Reederei gemeldet, was vermutlich das Fass zum Überlaufen brachte und zu seiner Absetzung führte.

Einer seiner Offiziere bezeichnete Kapitän Peters gegenüber der Tageszeitung Daily Herald als Opfer der Trunksucht, einer anderer nannte seinen Tod ebenfalls eine Folge des Alkoholismus.

Der Frachtdampfer „Reichenbach“ verließ Port Adelaide mit vier Tagen Verspätung am Dienstag, den 16. Mai 1911.

Mit Kapitän Kiel hatte die Reederei schnell einen Ersatz gefunden, der das Schiff nach Hamburg steuerte.

Das Geschäft musste weitergehen.

Paul Thomas, boy, 16 years old

Kriegsgefangenschaft in Goa (Teil 2 von 2)

Aus den Erinnerungen des Matrosen Paul Thomas (Fortsetzung)

Titelbild: Der Schiffsjunge Paul Thomas im Alter von 16 Jahren, Quelle: Die virtuelle europäische Bibliothek Europeana; https://www.europeana.eu/de/item/2020601/https___1914_1918_europeana_eu_contributions_12528; Lizenz CC BY-SA 3.0

Dieser Artikel ist die Forstsetzung der Erinnerungen des Matrosen Paul Thomas. Den ersten Teil finden Sie hier: Kriegsgefangenschaft in Goa (Teil 1 von 2)

Im ersten Teil berichtet der Vollmatrose des Schiffes „Brisbane“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) über die erste Zeit seiner Kriegsgefangenschaft in Goa: auf dem Schiff selbst, in der Kaserne in Panjim und schließlich in Fort Aguada in der Mormugao-Bucht in Portugiesisch-Indien.

Dieser Blogartikel setzt mit der Beschreibung seiner Aktivitäten während seiner Gefangenschaft fort. Die Informationen sind einem Brief Thomas‘ an seine Eltern entnommen.

Weiterbildung und Zeitvertreib

Thomas berichtet, dass sich die Gefangenen zwischen morgens 8 Uhr und abends 6 Uhr im Umkreis einer halben Stunde frei bewegen und auch am Strand baden können, was er dem Lagerkommandanten hoch anrechnet.

Anmerkung: Hundert Jahre später zählt der Sinquerim-Strand bei Fort Aguada zu einem der beliebtesten Touristenziele Goas.

Das Schweizer Konsulat hatte einige wenige Bücher organisiert und die internierten Seeleute versuchten sich bei der Jagd und dem Einfangen von Tieren.

Thomas‘ vielseitige Interessen vertreiben ihm die Langeweile.

Überraschend ist seine Schilderung, dass er vom dritten Steuermann (Petersen) in Nautik unterrichtet wird. Überraschend deshalb, weil in der Literatur übereinstimmend darüber berichtet wird, dass die deutschen Offiziere ausschließlich in Bicholim untergebracht waren und nicht in Aguada. Zumindest für Petersen kann das aber nicht zutreffen:

… drum nutze ich die Zeit und lerne Navigation, ich kann schon eine ganz große Portion,
der dritte Steuermann von unserem Schiff, er bringt mir vieles bei mit großem Schliff,
mit Seekarten weiß ich schon gut Bescheid, Sextant, Kompass und Logge sind mir keine Neuigkeit,
ich kann die Sonnenhöhe messen, zeige für den Sternenhimmel viel Interessen,
beherrsche schon die Grundzüge der ebenen Trigonometrie, und komme mir vor wie ein Genie,
wenn nach dem Krieg ich dann auf Seefahrtschule geh´ , tut mir der Kopf gewiss nicht gar so weh,
drum halt ich mich an meinen dritten Steuermann, weil vieles er mich jetzt schon lehren kann.

Die Frage, warum Petersen in Fort Aguada war, muss unbeantwortet bleiben. Aber offene Fragen machen Geschichte ja so spannend!

Ich spekuliere: Bicholim liegt etwa 50 Kilometer landeinwärts. Petersen hatte dort gesundheitliche Probleme und ist nach Aguada ans Meer verlegt worden.

Fort Aguada, Goa, 1794

Fort Aguada in drei Ansichten vom Meer aus gesehen, 1794, Laurie & Whittle, London; Quelle: National Library of Australia; trove.nla.gov.au

Der blinde Passagier der „Brisbane“

Neben seinem Unterricht in Navigation lernt Thomas auch Stenografie. Interessanterweise ist sein Lehrer ein Kaufmann mit Vornamen Karl, der sich in Semarang auf Java als blinder Passagier an Bord der „Brisbane“ geschlichen hatte, um wieder in die Heimat zu kommen, weil er das Klima Javas nicht vertrug.

Außerdem schreibt Thomas Gedichte und Theaterstücke, sammelt Schmetterlinge, Käfer und Briefmarken aus den portugiesischen Kolonien, wobei er über 500 Marken stolz sein Eigen nennt. Er hatte sie alle unter der Hand, teils auch von den Wachen, erworben.

Sonntags geht er mit wenigen anderen in den nahegelegenen Ort Sinquerim zum Gottesdienst, wobei Thomas offen zugibt, es nicht aus Gläubigkeit, sondern der Abwechslung wegen zu tun.

Mit Einheimischen spielt Thomas Dame und Mühle und entwickelt als einer von wenigen Seeleuten freundschaftliche Beziehungen zu ihnen. Zusammen mit seinem Freund Fritz Ahlers „aus dem Lande Detmold-Lippe“ repariert er alte Nähmaschinen, was sich schnell herumspricht und beiden einige Arbeit verschafft und auch einen kleinen Verdienst einbringt.

mormugao map 1881

Seekarte der Buchten von Aguada und Mormugao aus dem Jahr 1881 in einer Neuauflage von 1942; Fort Aguada befindet sich auf der Landzunge oben links; Quelle:https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Admiralty_Chart_No_492_Enseada_da_Agoada_and_Baia_de_Mormugao,_Published_1884,_New_Edition_1942.jpg)

Post und Zensur

Den Brief an seine Eltern sandte Paul Thomas am 27. Juni 1916 ab. Am 13. Juli erhielt er ihn jedoch wieder zurück, weil der Inhalt dem Zensor offenbar nicht genehm war. Mit einem Trick erreichte er dann doch noch seine Eltern in Flensburg:

Anfang September 1916 hat dann unser 3. Steuermann Hermann Petersen, auch ein Flensburger, der Angehörige in Dänemark hatte, den Brief über die dänische Vertretung in Mormugao und eine dänische Deckadresse seinen Briefen mit beigefügt. Am 11. Dezember 1916 haben meine Eltern diesen Brief dann tatsächlich erhalten!

Anschließend gibt uns Thomas einen interessanten Einblick in die Schwierigkeiten der Kommunikation aus der und in die Kriegsgefangenschaft:

Die Eltern von Hermann Petersen wohnten in Flensburg in der Apenraderstraße. Mein Vater war Briefträger, sein Zustellbezirk seit Jahren die Apenrader Straße. So kannte er die Familie Petersen und wunderte sich, dass ihr Sohn ab und zu mal einen Brief aus Goa schrieb, während von mir kaum jemals ein Brief aus dem gleichen Goa ankam. Es ging eben alles durch die Zensur verloren. So kam die Verbindung über Dänemark zustande. Petersens Eltern und Großeltern waren alle geborene Nordschleswiger und Jütländer und beherrschten die dänische Sprache und hatten auch wie so viele Flensburger noch Angehörige in Dänemark. Ich habe später noch mehrere Male Briefe über Petersen – Dänemark nach Hause gesandt, die fast alle angekommen sind. Im Laufe der 6jährigen Gefangenschaft habe ich etwa nur 15-20 Briefe aus der Heimat erhalten, obwohl meine Eltern über 100 und mehr geschrieben haben. Es ging fast alles verloren. Auf dem umgekehrten Weg war es ebenso, die meisten Briefe, die ich geschrieben habe, sind nie angekommen.

Über die Korrespondenz aus der Kriegsgefangenschaft hatte ich auch in diesem Artikel über Friedrich Meier berichtet: Der Schiffsoffizier Friedrich Meier – ein Nachtrag zu den Tagebucheinträgen

Mormugao, Goa, about 1890

Der Hafen Vasco-da-Gama in der Mormugao-Bucht in den 1890er Jahren; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Vasco-da-Gama_port_c._1890s.jpg

Todesfälle

Thomas berichtet von zwei Todesfällen während der Gefangenschaft in Goa. Über diese ist meines Wissens bis heute nichts bekannt. Ich gebe die Details deshalb hier ausführlich wieder.

Am 11. Juni 1917 starb im Lager unser Bäcker Karl Mewes im Alter von 26 Jahren. Er war ein sehr beliebter Kamerad, immer lustig und fidel. Als Todesursache wurde Hitzschlag angegeben. Es war eine sehr traurige Angelegenheit. Begraben wurde er neben der Kirche in Sinquerim, eine würdige Grabstelle. …

Beim zweiten Todesfall verzichte ich auf die Nennung des Familiennamens. Er tut nichts zur Sache, ist aber im Tagebuch genannt. Falls Sie einen Ihrer Vorfahren vermuten, helfe ich Ihnen auf Nachfrage gerne weiter:

Am 19. März 1919 mussten wir abermals einen Kameraden beerdigen. Es war der Oberheizer Alfred M., ein Bayer. Er war verheiratet und 46 Jahre alt. Ich bin der Ansicht, dass er sich regelrecht zu Tode getrunken hat. Er wusste mit der Zeit nichts anzufangen und verfiel dem Alkohol. Obwohl zunächst schwer Alkohol ins Lager zu bekommen war, gab es mit der Zeit doch Mittel und Wege genug, den billigen Reisschnaps, ein furchtbar scharfes Gesöff, zu bekommen. In dieser Tropenhitze ständig davon zu trinken, konnte nicht gut sein. Auch M. ist neben der Kirche begraben worden, ein würdiges Grab. Wird seine Ehefrau dieses Grab jemals im Leben zu Gesicht bekommen? Ich glaube es nicht.

Ob die beiden Gräber der deutschen Seeleute wohl heute noch existieren?

steam ship main (1900) NDL, new york

Der Dampfer „Main“ des Norddeutschen Lloyd Bremen in New York, ca. 1908, Quelle: Library of Congress, Washington DC, https://www.loc.gov/resource/det.4a15966/

Heimreise

Zum Zeitpunkt des zweiten Todesfalls war der Krieg bereits vier Monate vorbei, aber die Heimreise noch lange nicht in Sicht. Wie in anderen Lagern weltweit fehlte der nötige Schiffsraum für den Rücktransport. Paul Thomas und seine Mannschaftskameraden mussten schließlich bis zum 28. Dezember 1919 in Goa bleiben, bevor die Reise in die Heimat endlich beginnen konnte:

Am 28. Dezember 1919 Punkt fünf Uhr morgens legte der kleine Schlepper bei Hochwasser in Aguada ab. Der Abschied war ziemlich formlos, einige portugiesische Soldaten, sowie ein paar Soldaten aus Mozambique winkten uns noch für einige Zeit nach, dann verschwand Aguada für immer. Ich habe es nie wieder gesehen. Um 9.15 Uhr am gleichen Tag machte der Schlepper in Marmugao fest, dass wir ja gut kannten. Wir stiegen aus und gingen an Bord des Küstendampfers „Satyavati“. Dieser Dampfer legte am gleichen Tag also am 28. Dezember 1919 um 10 Uhr ab und sollte uns nach Bombay bringen. Er legte unterwegs noch in 6 kleinen Hafenplätzen an, wo jedes Mal Passagiere ein- und ausstiegen. Am 29. Dezember 1919 um 14 Uhr liefen wir in Bombay ein. Ein kleiner Stadtbummel war gestattet.

Der Dampfer „Main“

Am gleichen Tag um 19 Uhr gingen wir an Bord eines Truppentransporters, der uns in die Heimat befördern sollte. Es handelte sich um den ehemaligen „Deutschen Dampfer Main“ vom Norddeutschen Lloyd in Bremen, der jetzt unter englischer Flagge fuhr und als Truppentransporter umgebaut war. Das Schiff kam aus Australien und hatte etwa 500 englische Soldaten, 500 deutsche Gefangene aus Afrika – hauptsächlich Lettow-Vorbeck Leute – und rund 2.000 deutsche Gefangene an Bord, die alles aus Indien stammten. Vornehmlich darunter 1.000 Gefangene aus dem englischen Lager „Ahmednagar“ bei Bombay. Aber auch zahlreiche Deutsche, die in Indien ansässig gewesen waren: Hotelbesitzer, Ingenieure, Kaufleute, Professoren usw. usw. Alle Deutschen, darunter viele, die schon jahrelang vor dem Krieg in Indien lebten, mussten Indien verlassen.

Unter den Gefangenen aus Ahmednagar war auch die Besatzung des DADG-Schiffes „Varzin“: Siehe dazu den Artikel: Die Reise des Maschinisten Feldhusen auf dem Dampfschiff „Varzin“

Also rund 3.000 Menschen waren an Bord, viel zu viele für das Schiff, alle schliefen in den Unter- und Zwischendecks in Hängematten. Am 30. Dezember 1919 um 6 Uhr morgens legte die „Main“ von der Pier ab und ging auf Bombay Reede vor Anker. Um 14 Uhr am gleichen Tag lichtete das Schiff die Anker und stach gen Europa in See.

Wir Berufsseeleute machten uns sofort nützlich an Bord, wir schälten Kartoffeln, beteiligten uns an allen möglichen Schiffsarbeiten und erhielten dafür bessere Verpflegung.

Das Schiff „Main“ erreicht schließlich am 5. Februar 1920 um 17 Uhr Rotterdam. Von dort ging es für die Deutschen mit dem Zug nach Wesel:

Am 6. Februar 1920 um 10 Uhr fuhr ich dann mit der Bahn in einem Sonderzug weiter. Der Zug traf am Abend um 23.30 Uhr in Wesel ein. In Wesel wurden wir untersucht, erhielten etwas Geld, wurden ganz einfach eingekleidet usw. Am 12. Februar 1920 mittags um 14 Uhr wurden wir mit einem Sonderzug in Marsch gesetzt. In Hamburg verteilten sich viele und ich fuhr alleine nach Norden weiter und traf am 14. Februar 1920 um 23.30 Uhr in meiner Heimatstadt Flensburg ein. Meine Eltern waren beide am Bahnhof und nahmen mich in Empfang. Damit hatte die indische Gefangenschaft endgültig ihr Ende gefunden. Insgesamt war ich fast 7 Jahre nicht in Flensburg bei meinen Eltern gewesen.

Eine kleine Anekdote zum Schluss: Auf die Frage seiner Mutter, was sie denn für ihn kochen solle, hatte Thomas geantwortet:
Ach, Mutter, dann koch mir doch Reis!

Ich bin mir aber sicher, dass sie ihm etwas anderes zubereitet hat!

Flensburg about 1890

Flensburg, Blick vom Ballastberg, ca. 1890-1900, Library of Congress, Washington DC, https://www.loc.gov/resource/ppmsca.01020/

Nachwort und Dank

Insgesamt sind Thomas durch die Gefangenschaft über sechs Jahre verloren gegangen. Er schrieb dazu:

Diese 6 Jahre sind fast umsonst gewesen, ohne Inhalt, ohne Ziel.

Thomas blieb der Seefahrt treu und sollte es bis zum Kapitän des Zolldampfers „Yorck“ bringen.

Er verstarb am 20. August 1973 in Lübeck.

Ich bedanke mich sehr herzlich bei Paul Thomas‘ Enkel, der mir bereitwillig die Aufzeichnungen von seinem Großvater überlassen hat. Ohne diese Angaben hätte der vorliegende Artikel nicht entstehen können. Ich hoffe er trägt dazu bei, die Erinnerung an die Gefangenschaft deutscher Seeleute im Ersten Weltkrieg wachzuhalten.

Auf den Textauszügen besteht noch ein Copyright bis Ende 2043. Die Wiedergabe hier im Blog erfolgt mit freundlicher Genehmigung seiner Familie.

Paul Thomas able seaman about 1920

Porträtfoto von Paul Thomas im Anzug, in Familienbesitz, mit freundlicher Genehmigung seines Enkels

Goa, Fort Aguada 1916, POW

Kriegsgefangenschaft in Goa (Teil 1 von 2)

Titelbild: Foto der deutschen Kriegsgefangenen in Fort Aguada (Agoada), Goa, aus dem Jahr 1916, Quelle: Die virtuelle europäische Bibliothek Europeana; https://1914-1918.europeana.eu/en/contributions/12529#prettyPhoto; Lizenz CC BY-SA 3.0

Aus den Erinnerungen des Matrosen Paul Thomas

Vor gut einem Jahr hatte ich in einem Blogartikel über den Offizier Petersen berichtet, der nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges auf dem Schiff „Brisbane“ in Portugiesisch-Indien (Goa) gestrandet war. SIEHE: Unfreiwilliges Treffen auf den Azoren

Heute erfahren wir von seinem Mannschaftskollegen Paul Thomas mehr über die Zeit in Goa. Seine Erinnerungen sind vielleicht das einzige erhaltene Dokument, das über Gefangenschaft deutscher Seeleute in Portugiesisch-Indien (Goa) während des Ersten Weltkriegs Auskunft gibt. Meines Wissens sind bis heute keine anderen Aufzeichnungen bekannt.

Mein ganz herzlicher Dank geht an dieser Stelle an seinen Enkel, der mir das Tagebuch freundlicherweise zur Verfügung gestellt und mir erlaubt hat, es hier wiederzugeben (siehe Copyright-Hinweis am Ende dieses Artikels).

Vom Schiffsjungen zum Vollmatrosen

Paul Thomas wurde am 16. Mai 1895 in Flensburg geboren. Seine Karriere auf See begann im Jahr 1910 als Schiffsjunge. Am 1. Juni 1914 ist er mit jetzt 19 Jahren bereits Vollmatrose (AB, able seaman). Das zeigt uns die Mannschaftsliste der „Brisbane“ beim Einlaufen in den Hafen von Sydney. Sein Name ist an zehnter Position zu lesen.

Brisbane crew list, June 1914, Sydney Harbour

Mannschaftsliste der „Brisbane“ beim Eintreffen in Sydney Harbour am 1. Juni 1914; Quelle: Mariners and Ships in Australian Waters; http://marinersandships.com.au, siehe auch Anhang am Ende dieses Blogartikels

Auf der „Brisbane“

Die Geschichte Thomas‘ Kriegsgefangenschaft beginnt im Indischen Ozean:

Der Dampfer „Brisbane“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) befindet sich Anfang August 1914 vollbeladen auf der Heimreise von Australien und Niederländisch-Indien nach Hamburg.

Er steuert auf das Rote Meer zu, als er Nachricht vom Kriegsausbruch erhält, woraufhin Kapitän Voss die Mormugao-Bucht im neutralen Goa (Portugiesisch-Indien) ansteuern lässt, um nicht den Briten in die Hände zu fallen. Dort kommt „Brisbane“ am 9. August 1914 an und kann nicht mehr weg.

Die erste Zeit, als die Mannschaft noch auf dem Schiff ist, wird bestimmt von eintöniger Decksarbeit, wie Rostentfernen, Streichen usw. Auch die Mahlzeiten bieten keine Abwechslung. Gerade an dem allgegenwärtigen Reis fanden die Seeleute wenig Gefallen. Thomas berichtet darüber in Reimform, ein Charakteristikum seiner Aufzeichnungen, in denen er uns viele Informationen in Versform hinterlässt:

Der Reis ist allen gut bekannt,
er wächst im fernen Indierland,
wir essen ihn täglich zwei- drei Mal
und zur Abwechslung auch zum 4. Mal.

Serviert wurde der Reis oft mit „Kabelgarn“, so bezeichneten die Seeleute ein faseriges billiges Dosenfleisch, das wie ein Ende eines Taus aussah. Unglücklicherweise (für die Mannschaft) hatte „Brisbane“ davon in Australien tausende Kisten geladen…

Für die Crew war es auch wenig hilfreich, dass sie es sich mit Kapitän Voss verscherzt hatte. Wie es dazu kam, schildert Thomas in folgender Anekdote:

Jeder Australdampfer bekam von Hamburg 2 lebende kleine Schweine mit, die vom Bordabfall großgezogen und später geschlachtet wurden. Wir schlachteten ein Schwein, als wir im Südmeer zwischen Kapstadt und Australien waren. Das geschlachtete Schwein wurde im Gang mittschiffs zum Austrocknen aufgehängt. Nachts um 0:00 Uhr bei der Wachablösung entdeckte einer der Matrosen (Ernst Kullack aus Memel) dieses Schwein und als die Luft rein war, schnitt er sich ein erhebliches Stück (natürlich ein recht gutes Bratenstück) ab und nahm es mit ins Matrosenlogis. Es sollte dann später im Heizraum auf der Kohlenschaufel gebraten werden. Seeleute waren ja nicht zimperlich. Am nächsten Tag wurde natürlich alles entdeckt. Aber der größte Teil des Fleisches war bereits gebraten und verzehrt. Die Mannschaft wurde verhört, aber niemand wußte von dem gestohlenen Fleisch. Der Kapitän und der 1. Steuermann durchsuchten daraufhin das Matrosenlogis und fanden tatsächlich noch ein kleines Stück rohes Fleisch, das später gebraten werden sollte. Der Täter war jetzt schnell entlarvt. Beim Entdecken des Fleisches rief der Kapitän spontan aus „wir sind noch lange zusammen, ich werde mich an euch rächen“.

Der Hafen von Mormugao bot dem Dampfer guten Schutz, was jedoch nicht für die Monsunzeit galt. Thomas schreibt dazu:

Während der Monsunzeit mussten wir den Hafen verlassen und auf der Reede ankern. Ein gefährliches Unternehmen, gewaltige Wellenberge rollten oftmals auf uns zu, aber die Anker haben gehalten. Während dieser Zeit – etwa 15. Mai bis 15. August – hatten wir nur ab und zu Verbindung mit dem Land durch unser Beiboot. Ich war mit zwei anderen Matrosen Bootsgast. Wir holten Post und Proviant von Land und brachten unseren Kapitän zur „Numantia“.

Anmerkung: Die „Numantia“ war ein Schiff der HAPAG und befand sich in der gleichen Situation wie der Dampfer „Brisbane“ der DADG.

Mormugao, Goa, about 1890

Der Hafen Vasco-da-Gama in der Mormugao-Bucht in den 1890er Jahren; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Vasco-da-Gama_port_c._1890s.jpg

In Pangim

In der Literatur, z. B. Bruellau (2019) und anderen Quellen, wird darüber berichtet, dass die Mannschaften der deutschen Schiffe nach der Beschlagnahme am 26. Februar 1916 ihre Schiffe verlassen mussten.

Neu ist die Informationen, dass eine Unterbringung der Seeleute an Land bereits ab September 1915 erfolgte:

Die Mannschaft der „Brisbane“ blieb demnach nur bis 11. September 1915 an Bord. Dann wurde sie in Kasernen der Hauptstadt Pangim untergebracht. Den Grund dafür nennt unser Matrose leider nicht. Diese Zeit war für die Seeleute nicht schlecht. Thomas erinnert sich:

Wir waren doch schon seit einiger Zeit in einer Kaserne in Pangim untergebracht, erhielten gutes Essen und genossen große Freiheit.

Im Februar 1916 erfolgte die Überstellung in das Fort Aguada:

Am 26. Februar 1916 änderte sich das mit einem Schlag. Die Kasernentore waren morgens geschlossen, niemand konnte raus. Noch am selben Tag wurden wir zur Festung Aguada gebracht und ab sofort als Kriegsgefangene behandelt.

Über die Umquartierung nach Fort Aguada erfahren wir zahlreiche Details:

Die Überführung dauerte etwa 7 Stunden. Erst von Pangim teils zu Fuß, teils mit LKW zur Hafenstadt Marmugao und von dort in über dreistündiger Fahrt mit einem kleinen Schlepper über See zum Dorf Singuerin am Bajofluss, wo der Schlepper anlegen konnte. Von dort zu Fuß zur Festung Aguada, wo uns fast ebenso viele Soldaten empfingen als wir Gefangene waren. Portugiesen und Angolaneger. Ein Ausbruch aus dieser Festung war so gut wie unmöglich. Hohe, dicke Mauern, dahinter tiefe Wassergräben und auf der anderen Seite der weite Indische Ozean. Das kleine Ausgangstor wurde von vielen Soldaten bewacht.

Panjim Goa 1912

Panjim (Pangim), Goa, Rua Alfonso de Albuquerque, Aufnahme aus dem Jahr 1912; Quelle: commons.wikimedia.org; Lizenz CC BY-SA 4.0

Fort Aguada

Über seine Zeit im Fort Aguada liefert uns der Matrose Thomas einen wertvollen Augenzeugenbericht:

Zuerst war alles in Auguada sehr streng, aber im Laufe der Zeit wurde alles etwas gelockert. Im Allgemeinen muss ich sagen, dass die Portugiesen uns nicht schikaniert haben und wir genossen im Laufe der Jahre auch viele Erleichterungen. Am portugiesischen Nationalfeiertag gab es sogar Rotwein, extra Ration Zigaretten und besseres Essen auch für uns Gefangene.

Wie in allen anderen Internierungslagern waren die Tage eintönig und das Schicksal ungewiss. In Portugiesisch-Indien kam noch die Hitze dazu. Der Matrose Thomas hatte jedoch viele Interessen, die ihm die langen Tage erleichterten:

Das Schlechteste war für uns die Hitze, die Langeweile und die Ungewissheit über das Schicksal unserer Angehörigen. Ich selber bin mit der Langeweile schnell fertig geworden. Ich wusste mit der Zeit immer etwas anzufangen. Ich habe dort Stenografie gelernt, mich auf die Steuermannsprüfung vorbereitet, habe Briefmarken und Schmetterlinge gesammelt, habe viele Bücher gelesen, habe Nähmaschinen für die Eingeborenen repariert, habe sogar 2 kleine Theaterstücke geschrieben, die wir im Lager aufgeführt haben, habe viel, unendlich viel gebadet und mich weit mehr als alle anderen im Eingeborenendorf Singuerim aufgehalten.

Fort Aguada, Goa, 1794

Fort Aguada in drei Ansichten vom Meer aus gesehen, 1794, Laurie & Whittle, London; Quelle: National Library of Australia; trove.nla.gov.au

Brief an die Eltern

In einem Brief an seine Eltern vom Juni 1916 schreibt Thomas, dass er mit 42 Mann im Lager untergebracht ist. Diese Zahl stimmt mit der Titelabbildung überein, die 43 Seeleute (mit Thomas) zeigt (siehe oben).

Sie kamen von den Schiffen „Numantia“, „Marienfels“ und mehrheitlich von der „Brisbane“. Zu dem Dampfer „Marienfels“ notiert Thomas:

Er hatte fast nur schwarze Besatzung an Bord und befand sich auf Charterfahrt in Ostasien.

Das erklärt auch die niedrige Zahl von 43 Seeleuten im Fort Aguada.

Diese Zahl 43 ist jedoch kleiner als bislang in der Literatur angegeben, wo zum Beispiel bei Barreiros von 57 Personen die Rede ist.

Die Frage ist nun: Wo war dann der Rest?

Ich kann mir vorstellen, dass ein Teil der Mannschaft (Köche, Stewards und ev. ein paar mehr) mit den Offizieren untergebracht war und für diese dort die Hauswirtschaft erledigt hat. Die Offiziere haben das definitiv nicht selbst getan und vom Geld der Reederei konnten sie es sich leisten, die Mannschaft für sich arbeiten zu lassen.

Dass sie finanzielle Mittel erhalten haben, können wir bei Harms (1933) nachlesen:

Die Cochin-Agenten (Volkarts) wollten für die Kosten sorgen; deren Verbindung war eine englische Firma und verweigerte für den feindlichen Dampfer Zahlungen zu leisten. Wir haben dann über Lissabon Geld überweisen können.
Quelle des Zitats: Otto Harms (1933), Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg (Schröder & Jeve).

Aus dem Brief geht auch ein anderes interessantes Detail hervor: Mindestens einer der Offiziere muss in Fort Aguada gewesen sein, wie wir gleich noch sehen werden. Nach bisherigen Literaturangaben hingegen waren alle Offiziere in Bicholim unterbracht.

mormugao map 1881

Seekarte der Buchten von Aguada und Mormugao aus dem Jahr 1881 in einer Neuauflage von 1942; Fort Aguada befindet sich auf der Landzunge oben links; Quelle:https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Admiralty_Chart_No_492_Enseada_da_Agoada_and_Baia_de_Mormugao,_Published_1884,_New_Edition_1942.jpg)

In dem Brief gibt Thomas uns in Versform Einblicke in das Lagerleben. Meines Wissens ist es die einzige existierende Beschreibung des Lagers Fort Aguada zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Deswegen gebe ich die folgenden Zeilen recht ausführlich wieder:

Speisesaal und Mahlzeiten

Und nun will ich Euch mal beschreiben unser Wohnhaus, welches sehr bescheiden.
Am Burghof liegt´s ein langes niedriges Gebäude, das macht uns wahrlich keine Freude.
Das Dach, welches weit herüberragt, uns allerdings schon mehr behagt,
vor der heißen Sonne es uns schützt, auch gegen Regen es viel schützt.
Hier unter´m Dach ist unser Speisesaal, wo wir essen jeden Tag dreimal.
Über´s Essen können wir uns nicht beklagen, wenn´s auch nicht immer tut behagen.
Des Morgens um acht wir Kaffee trinken, dazu vier Brötchen ohne Schinken,
die Brötchen, die sind zu vergleichen, mit Flensburger Zwieback, von den weichen,
sie müssen reichen den ganzen Tag, obgleich man manchmal mehr noch mag.
Um 12 Uhr gibt es Mittag dann und abends 7 Uhr kommt das Abendbrot dran,
da gibt es beide mal 3 Gänge, doch ohne herrschaftliches Gepränge,
statt Kartoffeln gibt es täglich Reis, dazu ´ne scharfe Sauce, deren Namen ich nicht weiß,
wenn Fleisch dazwischen, ist es meist vom Schwein, doch sind die Stücke ganz bedenklich klein,
und ab und zu gibt es auch mal Reis mit Huhn, die Köche wissen dann kaum was sie tun,
vier Hühner teilen sie für 42 Mann, so kleine Stücke man in Deutschland gar nicht schneiden kann.

Unterkunft

Auch seine Unterkunft beschriebt uns Thomas:

Nun meine Wohnung in dem kleinen Haus, die sieht direkt wie ein Gefängnis aus,
von schönem Kalk sind all die Wände, man macht sich weiß daran die Hände,
die Fensterscheiben sind nicht aus Glas, sondern aus Muscheln, was für ein Spaß,
auch sind einige vergittert aus Eisen, das kann ich gerade nicht sehr preisen,
der Fußboden gehört zu den Seltenheiten, das lässt sich nun mal nicht bestreiten,
ich kann Euch leicht ein Beispiel geben, ein altes Straßenpflaster ist Gold dagegen.
Viel Licht kommt gerade auch nicht rein, doch abends brennt ein Lämpchen fein,
das brennt so hell, dass man in der Mitt´ beinah weit sehen kann drei Schritt.
Mit 23 Mann wohn ich in solchem Raum, aber noch mehr, Ihr glaubt es kaum,
unter´m Dach ist nämlich alles vermietet, von allerlei Tieren, über die niemand gebietet,
dort wohnen Eidechsen und Schnecken im Gehäuse, auch Frösche, Grillen und Fledermäuse,
letztere haben des Abends immer Zusammenkunft, denn sie gehören zu einer großen Fliegerzunft,
dann machen die Grillen Konzert ganz schicklich, doch ist das für uns nicht sehr erquicklich,
aber mit der Zeit wird man dies alles gewohnt, es ist immer noch besser als auf dem Mond.

An Mobiliar besitzt Tomas ein Bett, dass aus zwei Eisenböcken, drei Brettern, einem Strohsack und zwei Decken besteht. Dann hat er noch seinen in die Jahre gekommenen Seesack aus dem Jahr 1910, der ihm als Kleiderschrank und Sitzgelegenheit dient, einen Klappstuhl und einen Strohkorb. Ende.

Kleidung

Um die Kleidung der Gefangenen steht es nicht besonders gut:

Nun will von Kleidung ich noch sprechen, das ist doch weiter kein Verbrechen,
sie ist standesgemäß einfach und schlicht, jedoch die neueste Mode tragen wir nicht,
ein Hemd ohne Ärmel, mehrfach durchbrochen, hängt an unserem Leibe schon viele Wochen,
dann eine Hose, reichlich geflickt, aus vielen Stoffen zusammen gestückt,
mehr Kleider braucht man hier in Indien nicht zu tragen, warum, brauche ich Euch weiter nicht zu sagen,
doch tragen wir noch Schuhzeug, ganz delikat, als höchst eigenhändiges Fabrikat,
ein paar Holzklötzer werden zurechtgeschnitten, darüber genagelt 2 Lederstrippen,
das Leder bis jetzt haben wir gewonnen, von unseren Seestiefeln, die außer Dienst gekommen,
dann tragen wir die verschiedensten Hüte, natürlich immer von der besten Güte,
ich besitze augenblicklich keinen, meinen letzten brachte der Wind mal auf den Beinen,
doch ist für mich schon wieder gesorgt, ich hab´ mir nämlich einen geborgt,
eine Reisemütze, grad nicht zu klein, mein Kopf passt bald zweimal hinein.

Ausblick

Die Fortsetzung demnächst hier im Blog!

Thomas berichtet, wie er die Zeit im Lager verbracht hat, die Probleme mit der Zensur sowie über einen blinden Passagier und zwei Todesfälle.

Ausführlich schildert er zum Schluss seine Heimreise auf dem ehemaligen Dampfer „Main“ des Norddeutschen Lloyd Bremen, der jetzt als Truppentransporter diente.

Dank

Ich bedanke mich sehr herzlich bei Paul Thomas‘ Enkel, der mir bereitwillig die Aufzeichnungen von seinem Großvater überlassen hat. Ohne diese Angaben hätte der vorliegende Artikel nicht entstehen können. Ich hoffe er trägt dazu bei, die Erinnerung an die Gefangenschaft deutscher Seeleute im Ersten Weltkrieg wachzuhalten.

Auf den Textauszügen besteht noch ein Copyright bis Ende 2043. Die Wiedergabe hier im Blog erfolgt mit freundlicher Genehmigung seiner Familie.

Anlage

Transkription der Mannschaftsliste der „Brisbane“, eintreffend am 1. Juni 1914 im Hafen von Sydney; Quelle: Mariners and Ships in Australian Waters; http://marinersandships.com.au/

Bitte beachten Sie, dass die Liste keine Umlaute enthält und Fehler bei der Transkription auftreten können.

Brisbane 1914, German Australian Line, steamship

Mannschaftsliste der „Brisbane“ beim Eintreffen in Sydney Harbour am 1. Juni 1914, Transkription; Quelle: Mariners and Ships in Australian Waters; http://marinersandships.com.au

Fortsetzung

Kriegsgefangenschaft in Goa (Teil 2 von 2)

German vessels disabled

Sabotage in New York (Teil 2)

Titelbild: Meldung über Sabotageakte an den Maschinen deutscher Schiffe am 31. Januar 1917. Die Abbildung zeigt Schiffe an der 135th Street am Hudson; Fotograf: James W. Aide, New York Herald vom 3. Februar 1917; Quelle: Library of Congress, Washington D.C., loc.gov

Die Explosion der Munitionsfabrik in Kingsland und die Beschädigung deutscher Schiffe

Letzte Woche hatte ich hier im Blog über die deutsche Spionagetätigkeit in New York in den Jahren 1914 bis 1916 berichtet: Sabotage in New York (Teil 1)

In dieser Zeit waren unter anderem über dreißig Handelsschiffe der Alliierten sabotiert worden und der wichtigste Umschlagplatz für Munition im New Yorker Hafen, Black Tom Island, zerstört worden.

In der heutigen Fortsetzung geht es um das Jahr 1917, das Jahr in dem die USA am 6. April in den Ersten Weltkrieg eintreten sollten.

Kingsland fire 1917

Aufnahme vom Feuer in der Canadian Car and Foundry Company in Kingsland, welches auf die Explosionen vom 11. Januar 1917 folgte; Aufnahme vom 12. Januar 1917 (International Film Service Inc.); über commons.wikimedia.org

Das Kingsland-Desaster

Am 11. Januar 1917 brach in der Canadian Car and Foundry Company in Kingsland (heute Lyndhurst) ein Feuer aus. Die Fabrik produzierte Munition, die für den Export nach Großbritannien und Russland bestimmt war.

Das Feuer führte zu zahlreichen Explosionen, die die Fabrik in der Folge vollständig zerstörten. Der couragierten Telefonistin Tessie McNamara gelang es, die Arbeiter in den verschiedenen Gebäuden rechtzeitig zu warnen, so dass sich alle 1400 Arbeiter in Sicherheit bringen konnten.

Ausgebrochen war das Feuer an der Werkbank eines gewissen Theodore Wozniak. Dieser war von Curt Thummel, alias Charles Thorne in die Fabrik eingeschleust worden. Dieser wiederum war auf Anweisung des deutschen Saboteurs Friedrich Hinsch Mitarbeiter der Canadian Car and Foundry Company geworden.

Alle Indizien sprechen dafür, dass die Explosion von Kingsland ebenso wir diejenige von Black-Tom-Island auf den Sabotagering um Hinsch zurückgeht, wobei die genauen Zusammenhänge wahrscheinlich für immer im Unklaren bleiben werden.

An den Anschlägen auf Black Tom/Kingsland oder zumindest an deren Vorbereitung beteiligt war auch der deutsche Agent Fred Herrmann. Auf der Genealogieseite des Herrmann‘schen Familienverbandes ist ein detailreicher Artikel über ihn zu finden, der auch seine Verbindungen zu anderen Spionen und Saboteuren sowie weitere Sabotageakte aufzeigt.

https://genealogie-herrmann.de/im-geheimdienst-seiner-majestaet/

Der Artikel enthält auch eine kleine Literaturliste, wenn Sie sich näher mit diesem spannenden Kapitel deutscher Spionagegeschichte beschäftigen möchten.

Kingsland desaster 1917

Die Ruinen der Canadian Car and Foundry Company in Kingsland, New Jersey nach der Zerstörung vom 11. Januar 1917; Aufnahme vom 13. Januar 1917 (International Film Service Inc.); über commons.wikimedia.org

Beschädigung deutscher Schiffe

Ebenfalls im Januar 1917 hatte Deutschland die Aufnahme des uneingeschränkten U-Boot-Krieges beschlossen.

Auch das berühmte Zimmermann-Telegramm war im Januar 1917 abgeschickt worden.

Darin hieß es:

Ganz geheim. Selbst entziffern.
Wir beabsichtigen, am 1. Februar uneingeschränkten U Boot Krieg zu beginnen. Es wird versucht, Amerika trotzdem neutral zu halten. Für den Fall, daß dies nicht gelingen sollte, schlagen wir Mexiko auf folgender Grundlage Bündnis vor: Gemeinsame Kriegsführung. Gemeinsamer Friedensschluß. Reichliche finanzielle Unterstützung und Einverständnis unsererseits, daß Mexiko in Texas, Neu-Mexico, Arizona früher verlorenes Gebiet zurückerobert. …

Siehe dazu den Blogartikel: Das Geheimnis des Dampfschiffes „Hobart“

In der Folge brachen die USA am 3. Februar 1917 die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland ab.

Zum Zuschauen verurteilt

Ab Ende Januar 1917 begannen die deutschen Offiziere und Mannschaften auf Anweisung aus Berlin systematisch ihre eigenen Schiffe zu sabotieren, um sie dadurch für die erwartete Übernahme und Nutzung durch die Vereinigten Staaten unbrauchbar zu machen.

Dabei wurden vor allem Maschinenteile entfernt oder zerstört.

Das geschah nicht unbemerkt, allerdings hatten die USA als (noch) neutrales Land keine Handhabe gegen die Besatzungen und mussten den Zerstörungen tatenlos zusehen:

destruction of German vessels

Headline eines Artikels über die Beschädigung deutscher Schiffe in The Sun, New York vom 8. Februar 1917; Quelle: Library of Congress, Washington D.C., loc.gov

Eingreifen konnten die Amerikaner nur, wenn dadurch Schäden in Häfen oder bei anderen verursacht wurden.

Zu weit gegangen war die Besatzung des Dampfers „Liebenfels“ der Deutschen Dampfschifffahrtsgesellschaft „Hansa“, die ihr Schiff in der Hafenzufahrt von Charleston (South Carolina) versenkt hatten. Die beteiligten acht Offiziere wurden zu je 500 $ Strafe und einem Jahr Gefängnis verurteilt.
Quelle: verschiedene Tageszeitungen, z. B. The Bamberg Herald (South Carolina) vom 15. März 1917; loc.gov

declaration of war, German ships seized

Kriegserklärung der USA an Deutschland und Beschlagnahme aller deutschen Schiffe, Titelseite von The Washington Times, 6. April 1917; Quelle: Library of Congress, loc.gov

Kriegseintritt der USA

Der Kriegseintritt der USA erfolgte am 6. April 1917.

Zu dieser Zeit lagen in amerikanischen Häfen fast einhundert Schiffe, die meisten davon in New York.

Das größte der deutschen Schiffe war die „Vaterland“. Die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft hatte die beiden Frachtdampfer „Harburg“ und „Magdeburg“ in New York liegen.

German steamships in American ports

Liste deutscher Schiffe in den USA (Ausschnitt), The New York Herald vom 7. April 1917; Quelle: Library of Congress, loc.gov

Im New Yorker Hafen lagen die meisten Schiffe wiederum in Hoboken. Die Stadt am Hudson River gehört bereits zu New Jersey liegt aber direkt gegenüber von Manhattan. Hoboken war der wichtigste Anleger für die Transatlantikfahrt.

Einen Eindruck von Schiffen und Anlegern gibt diese Abbildung:

German ships in Hoboken

Deutsche Schiffe in Hoboken, The New York Herald vom 7. April 1917; Quelle: Library of Congress, loc.gov

Hamburg American Line Hoboken 1910

Eine Ansicht aus besseren Tagen: Anleger der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (HAPAG) in Hoboken, Postkarte, 1910; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hamburg-American_Lines_Piers_at_Hoboken.jpg

Die Beschlagnahme der Schiffe

Über die Beschlagnahme der deutschen Schiffe berichtete beispielsweise The Evening Telegram vom 6. April 1917:

… In New York Harbor alone German tonnage valued, at present rates at $ 100,000,000, was seized in the early hours, and by this afternoon 325 German officers and 1,200 men of the crews were interned on Ellis Island as the result of the swift, sure action of the neutrality squad of this port, acting under direction of Dudley Field Malone, Collector of the port.
Thirty-one vessels in all, ranging in size from the Vaterland, largest steamship afloat, to two sailing vessels, were in custody of United States officials this afternoon, while the German crews were being recorded at the detention station of Ellis Island.
…”

Die weitgehende Beschädigung der Schiffe durch ihre deutschen Mannschaften wurde auch in diesem Artikel bestätigt:

“Reports to the Treasury Department confirm statements that virtually every ship has been disabled. The extent of the damage will be determined as speedily as possible. Only six of those in New York are in condition for early use.”
The Evening Telegram, 6. April 1917 Quelle: Library of Congress, loc.gov

Die Mannschaften wurden mit Booten der amerikanischen Regierung von ihren Schiffen nach Ellis Island gebracht. Auf Teilen der Insel war ein Internierungslager für enemy aliens eingerichtet worden. Insgesamt handelte es sich um etwa 1.300 Personen.

German ships seized

Evening World, New York, Ausgabe vom 6. April 1917; Quelle: Library of Congress, loc.gov

Die relative geringe Zahl an Besatzungsmitgliedern kommt dadurch zustande, dass nach zweieinhalb Jahren Liegezeit im Hafen nur noch kleine Rumpfmannschaften auf den Schiffen verblieben waren, die zum Betrieb der Dampfer unbedingt notwendig waren.

Reparatur

Die deutschen Seeleute waren der Meinung, ihren Schiffen irreparable Schäden zugefügt zu haben.

Die amerikanischen Ingenieure der US Navy und des US Shipping Board belehrten sie jedoch eines besseren. Ihnen gelang es, die beschlagnahmten Schiffe bis Jahresende 1917, also in gut acht Monaten wieder in Fahrt zu bringen. Somit standen über 500.000 Bruttoregistertonnen zusätzlicher Schiffsraum für den Transport von Truppen und Material zur Verfügung.

Restoring to Service of 109 badly damaged ships

Artikel aus: Official U.S. Bulletin; 31. Dez. 1917; abgerufen über books.google.fr

„Harburg“ und „Magdeburg“

Die beiden Schiffe „Harburg“ und „Magdeburg“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft wurden wie alle deutschen Schiffe vom United States Shipping Board übernommen. Sie wurden umbenannt in „Pawnee“ (exHarburg) und „Neuse“ (exMagdeburg).

„Pawnee“ wurde 1922 an die California S.S. Co. in Panama verkauft, nicht umbenannt und 1928 in HongKong abgewrackt. „Neuse“ war bereits 1923 abgewrackt worden.
(Angaben nach Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, S. 30, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven 1984)

Holsworthy riots 1916

Die Verbrechen der Schwarzen Hand

Bandenkriminalität und Selbstjustiz im Gefangenenlager Holsworthy (Liverpool/NSW Wales/Australien)

Holsworthy war während des Ersten Weltkrieges das größte Gefangenlager in Australien, in dem Angehörige feindlicher Nationen (enemy aliens) festgehalten wurden. Die große Mehrheit unter ihnen waren Deutsche.

Auch Mannschaftsmitglieder des Dampfschiffes „Fürth“ waren darunter. Sie waren nach ihrer Festsetzung in Ceylon im Herbst 1915 nach Australien transportiert worden, nachdem die Briten die Internierungslager in ihren Besitzungen in Süd- und Südostasien geschlossen hatten und die Gefangenen in Australien konzentrierten.

Von den Besatzungen der Handelsschiffe kamen die Offiziere nach Trial Bay und die Mannschaften nach Holsworthy.

Allerdings wurde das Lager Trial Bay im Jahr 1918 geschlossen und auch diese Internierten wurden dann im Lager Holsworthy untergebracht, allerdings in verschiedenen Lagerbereichen, zwischen denen jeder Kontakt bei Strafe verboten war.

Holsworthy riots 1916

Holsworthy Internment Camp, Aufnahme vor den Unruhen vom 19. April 1916; Quelle: Australian War Memorial Collection, Accession No. H11699A; awm.gov.au

„dessen Namen wir nur nannten, indem wir uns gleichzeitig innerlich bekreuzigten“

Unter allen australischen Gefangenenlagern im Ersten Weltkrieg hatte Holsworthy, das oft auch nach der nahen Stadt Liverpool (Großraum Sydney, New South Wales) einfach Liverpool genannt wurde, den schlechtesten Ruf. Hier wurden bis zu über 5000 Personen gefangen gehalten.

Das Lager war überfüllt und die sanitären Einrichtungen ungenügend. Hitze (tagsüber), Kälte (nachts), Wind, Staub, Langeweile, Ungewissheit und Meinungsverschiedenheiten führten zur sogenannten Stacheldrahtkrankheit (barbed wire disease), ein Ausdruck, den der Schweizer Mediziner Adolf Lukas Vischer prägte.

Hinzu kamen in Holsworthy Aufstände wegen mangelhafter Essensrationen und Übergriffe von Wachsoldaten.

Einen entscheidenden Anteil an der schlechten Reputation von Holsworthy hatten darüber hinaus Vorkommnisse von November 1915 bis April 1916, einer Zeit, in der die lagerinterne Verbrecherbande der Schwarzen Hand viele Gefangene drangsalierte.

Wie schlecht der Ruf des Lagers Holsworthy war, lässt sich am besten an einem Zitat des Augenzeugen Otto Wortmann verdeutlichen.

Wortmann war Pflanzer in Rabaul (Deutsch-Neuguinea) gewesen, wurde dort nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges von australischen Truppen gefangengesetzt und anschließend in das Lager Trial-Bay überstellt. Dieses Lager wurde im Mai 1918 geschlossen, eine Entscheidung, die für die Gefangenen plötzlich und unerwartet kam. Danach ging es für Wortmann und alle anderen nach Holsworthy.

Wortmann schrieb dazu in sein Tagebuch:

„… Unser schönes, idyllisch faules, langweiliges Lager in Trial-Bay wurde jäh aufgehoben, und ohne eine Ahnung zu haben sausten wir nachts im Zuge – nach 2 Jahren wiedermal Eisenbahn! – sausten wir also gerade aus nach dem Platze, den wir alle fürchteten, dessen Namen wir nur nannten, indem wir uns gleichzeitig innerlich bekreuzigten, nach dem Platze, mit dem uns unsere Gastgeber oft drohten, wie man kleinen ungezogenen Kindern mit dem „schwarzen Manne“ droht – na also nach Liverpool. …“
Quelle: Otto Wortmann internment camp papers, 28 August 1917 – 8 September 1918, State Library New South Wales, Call no. MLMSS 261/Box 6/Item 51; https://archival.sl.nsw.gov.au/Details/archive/110348980

Holsworthy riots 1916

Holsworthy Internment Camp, Aufnahme vor den Unruhen vom 19. April 1916; Quelle: Australian War Memorial Collection, Accession No. H11700A; awm.gov.au

Die Aufnahme zeigt auch, wie dicht die langen schmalen Hütten im Lager Holsworthy beieinanderstanden. Ebenfalls sieht man, dass sie auf einer Seite offen waren. An dieser offenen Seite war lediglich eine Plane befestigt.

 

Die Schwarze Hand

Der Name “Schwarze Hand” war nicht neu. Andere politisch und kriminell motivierte Gruppen trugen diesen Namen, wie zum Beispiel ein serbischer Geheimbund zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ein Zusammenhang zu der Bande in Holsworthy bestand jedoch nicht.

Als Rädelsführer der Schwarzen Hand gilt ein gewisser Hans Portman(n), zweiunddreißigjähriger Seemann deutscher Abstammung aus Melbourne, der zunächst in Langwarrin bei Melbourne interniert war und dann im Oktober 1915 nach Holsworthy überstellt wurde.

Ihm gelang es, andere Mitgefangene für seine Sache zu gewinnen, andere Gefangene um Geld, Wertgegenstände oder Dienste zu erpressen und nach und nach die Kontrolle über das Lager Holsworthy zu erhalten. Vor allem wohlhabendere Mitgefangene wurden wiederholt bedroht, geschlagen und ausgebeutet.

Das Lagerkomitee, ein aus Gefangenen zusammengesetztes Gremium, das die internen Aktivitäten des Lagers steuerte, schien nichts gegen die Machenschaften der Schwarzen Hand zu unternehmen. Eventuell war es selbst von der Schwarzen Hand unterwandert. Demzufolge sah sich auch die australische Armee nicht genötigt, einzugreifen.

So konnte die Schwarze Hand ungestört ihre kriminellen Handlungen bis in den April 1916 fortsetzen.

Holsworthy riots 1916

Holsworthy Internment Camp, Aufnahme von den Unruhen des 19. April 1916; Quelle: Australian War Memorial Collection, Accession No. P00595.059; Quelle: awm.gov.au

Der Aufstand

Am 19. April 1916 kam es dann zu einem Aufstand im Lager Holsworthy, bei dem der Anführer der Schwarzen Hand, Hans Portmann, getötet wurde. Er wurde anschließend von Lagerinsassen über das Haupttor nach außen geworfen.

In der Folge durchsuchten die Internierten das Lager nach weiteren Mitgliedern der Schwarzen Hand. Die australischen Wachsoldaten griffen nicht ein. Colonel Sands, der Kommandant begründete seine Passivität später. Der Aufstand hätte zwar gestoppt werden können, dies wäre jedoch nicht verhältnismäßig gewesen, weil dabei eine große Zahl Gefangener ums Leben gekommen wäre.

‘by shooting a great number of prisoners, which would not have been justified as the Germans intentions, although brutal, were to rid themselves of this criminal element in the camp’.
Zitat nach „The Enemy at Home” des Migration Heritage Centre;  https://www.migrationheritage.nsw.gov.au/exhibition/enemyathome/holsworthy-internment-camp/index.html

Weitere Mitglieder der Schwarzen Hand wurden bei dieser Durchsuchung des Lagers von anderen Lagerinsassen aufgegriffen, verwundet und ihre Körper wie zuvor der Portmanns über das Tor des Haupteingangs nach außen geworfen. Wachen brachten die Verletzten anschließend in das Krankenhaus des Camps.

Später wurden noch vierzehn weitere Mitglieder der Schwarzen Hand gefangen gesetzt und ins Camp-Gefängnis gesteckt.

Holsworthy riots 1916

Holsworthy Internment Camp, nach den „Schwarze Hand“-Unruhen vom 19. April 1916, Wachen und Offiziere untersuchen einen der verwundeten Gefangenen, Quelle: Australian War Memorial Collection, Accession No. P00595.086; awm.gov.au

Das Gerichtsverfahren

Eine gerichtliche Untersuchung verlief anschließend ergebnislos. Sie kam nur zu dem Schluss, dass Portmann an Verletzungen starb, die ihm von einer oder mehreren unbekannten Personen zugefügt wurden. Einen Vorsatz unterstellte der Untersuchungsrichter dieser Person/diesen Personen jedoch nicht:

„I feel no difficulty in coming to the conclusion that there was no intention on the part of the Germans to kill Portmann, and all that was intended was to give him a severe trashing.”

Zahlreiche Zeugenbefragungen waren zuvor ohne Ergebnis geblieben, was allerdings nicht weiter verwundert.

Zu Portmann selbst sagt der Untersuchungsrichter:

“The deceased was a man of no character, and was one of a secret society called “The Black Hand”, which was composed of the very worst men in the camp, who seem to have joined together in blackmailing and terrifying their fellow Germans, who were either rich or influential, or physically weak. Hans Portmann was one of them.”
Beide Zitate nach Western Mail, Perth, 9. Juni 1916, S. 16; „The Black Hand“.

Nach den Aussagen des Untersuchungsrichters hatte, wenn ich seine Worte richtig interpretiere, Portmann seine gerechte Strafe erhalten.

Das Gerichtsverfahren war damit abgeschlossen. Im Lager Holsworthy war wieder Ruhe eingekehrt.

Die letzten Gefangenen konnten Holsworthy erst im Frühsommer 1920 verlassen.

Holsworthy riots 1916

Holsworthy Internment Camp, nach den „Schwarze Hand“-Unruhen vom 19. April 1916, Quelle: Australian War Memorial Collection, Accession No. P00595.087; awm.gov.au

Mehr über das Lager Holsworthy

Mehr Informationen und Bilder über Holsworthy gibt es in diesen Blogartikeln:

Gefangen in Australien – das Liverpool Internment Camp

Im Lazarett – Tagebuch einer Operation im Jahr 1918

Tagebuch Friedrich Meier: Die letzten Monate im Holsworthy Internment Camp (NSW, Australien)

Anmerkung: In den Tagebucheinträgen Friedrich Meiers kommt die „Schwarze Hand“ nicht vor. Er hatte Holsworthy am 4. Dezember 1915 in Richtung Trial Bay verlassen können und war erst im Mai 1918 dorthin zurückgekehrt.

Dampfschiff Varzin 1914, Maschinist Feldhusen

Die Reise des Maschinisten Feldhusen auf dem Dampfschiff „Varzin“

Titelbild: Ausschnitt aus dem Seefahrtbuch von Hans Daniel Feldhusen; in Familienbesitz, © Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Familie Feldhusen

Familienerinnerungen

Geschichte wird meiner Meinung nach immer dann am lebendigsten, wenn man sie mit persönlichen Schicksalen verbinden kann.

Umso mehr freue ich mich, dass ich Ihnen heute den jungen Maschinisten Feldhusen vorstellen kann, der im April 1914 auf dem Dampfschiff „Varzin“ anheuerte und dessen Reise, bedingt durch den Ersten Weltkrieg, erst im Jahr 1920 enden sollte.

Von Hamburg nach Australien

Der zwanzigjährige Hans Daniel Feldhusen ging am Freitag, den 3. April 1914 auf das Seemannsamt Hamburg und suchte ein Schiff, auf dem er anheuern konnte.

Elf Schiffe wurden an diesem Freitagmorgen angemustert, darunter zwei Dampfer der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft Hamburg: die Schiffe „Brisbane“ und „Varzin“.

Feldhusen hatte Glück und bekam eine Stelle als Maschinisten-Assistent auf dem Dampfschiff „Varzin“ (Unterscheidungssignal RLFJ) unter Führung von Kapitän Carl Kuhlmann.

Sein Dienstantritt hatte noch am gleichen Tag zu erfolgen und die monatliche Heuer des jungen Feldhusen betrug 60 Mark.

Diese 60 Mark waren die Heuer für einen unbefahrenen Maschinisten-Assistenten. Nach einem Jahr auf See wäre aus dem „unbefahrenen“ ein „befahrener“ Assistent geworden und seine Heuer wäre auf 75 Mark erhöht worden.

Zur Höhe der Heuer aller Mannschaftsmitglieder siehe den Artikel: Die Musterrolle (Originaldokument aus den Jahren 1913/1914)

Anmusterung Varzin und Brisbane, Hamburg April 1914

Ab- und Anmusterungen beim Seemannsamt Hamburg am Freitag, den 3. April 1914; Quelle: Hamburgischer Correspondent und neue hamburgische Börsen-Halle, 3. April 1914, S. 11, http://www.europeana.eu

Hans Daniel Feldhusen kam aus Hademarschen in Schleswig-Holstein. Dort konnte er am nahegelegenen Kaiser-Wilhelm-Kanal (heute Nord-Ostseekanal) schon seit früher Kindheit große Schiffe bestaunen.

Sein Vater betrieb am Marktplatz „Feldhusens Hotel“ und unter acht Geschwistern war Feldhusen der einzige Sohn.

Sein Wille, zur See zu fahren, muss sehr stark gewesen sein, denn seine Entscheidung bedeutete den Verzicht, eines Tages das väterliche Anwesen übernehmen zu können. Abenteuerlust und Fernweh hatten gesiegt.

Da Feldhusen jedoch erst 20 Jahre alt und noch nicht volljährig war, benötigte er die Genehmigung seiner Eltern. Sein Enkel erinnert sich heute, dass er sich damals eine Unterschrift, wahrscheinlich von einer seiner älteren Schwestern, erschlichen hatte, um zur See fahren zu können.

Die Fahrt nach Australien

Feldhusen hatte gerade einen Tag Zeit, sich in seiner neuen Umgebung einzugewöhnen, bevor sich die „Varzin“ am Samstag, den 4. April in der zweiten Tageshälfte auf den Weg nach Australien machte.

Am 5. April um 11.50 Uhr passierte das Schiff Cuxhaven und ließ die Heimat endgültig hinter sich. Rotterdam und Antwerpen waren die nächsten Anlaufstationen, die am 6. bzw. 8. April erreicht wurden.

Nach dem Ablegen in Antwerpen am 12. April fuhr die „Varzin“ vermutlich auf direktem Weg um das Kap nach Australien und erreichte das westaustralische Fremantle am 25. Mai 1914.

Als Erstfahrer dürfte Feldhusen froh gewesen sein, nach 43 Tagen auf See wieder festen Boden unter den Füßen bekommen zu haben.

Es war nicht ungewöhnlich, dass die Dampfschiffe der DADG um das Kap liefen ohne dort einen Hafen anzulaufen.

Zwei Monate später war das Schiff „Neumünster“ ebenfalls von Antwerpen nonstop nach Fremantle unterwegs: SIEHE: Aus dem Logbuch des Schiffes „Neumünster“

Die „Neumünster“ hatte 40 Tage gebraucht, die „Varzin“ drei Tage länger. Vielleicht lag es am Wetter oder daran, dass bei der „Varzin“ „der große Kolben auf hoher See getauscht werden musste“, wie Maschinisten-Assistent Feldhusen sich später erinnern sollte.

Dampfschiff Varzin 1914

Das Dampfschiff „Varzin“, Ölgemälde von Hans Daniel Feldhusen, in Familienbesitz, © Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Familie Feldhusen

Spektakuläre Fracht

Bereits einen Tag nach der Ankunft in Fremantle, in der zweiten Tageshälfte des 26.5., verließ die „Varzin“ bereits wieder den Hafen und machte einen noch kürzeren Stopp in Albany, der gerade einmal sechs Stunden dauerte – am 28. Mai 1914 von 8 Uhr bis 14 Uhr.

Im nächsten Hafen, Port Adelaide, löschte die „Varzin“ 1600 Tonnen allgemeine Fracht. Zur selben Zeit wurde auf dem Schiff ein Schwerladekran (derrick) mit einer Tragfähigkeit von 50 Tonnen errichtet, der in Port Pirie zum Einsatz kommen sollte.

Die „Varzin“ hatte nämlich Schwergut für die Broken Hill Proprietor Company an Bord, darunter eine einzelne Maschine mit einem Gewicht von 27 Tonnen.

Der Schwergutladebaum der „Varzin“ dürfte lediglich eine Tragkraft von 15 Tonnen gehabt haben und war damit nicht stark genug für die Riesenmaschine.

Zum Schwergutladebaum siehe: Pläne zur Rekonstruktion des Dampfschiffes „Fürth“.

In Hamburg war das Monstrum mit einem großen Schwimmkran an Bord gehievt worden. Das hatte Kapitän Kuhlmann einem australischen Journalisten mitgeteilt (siehe Zeitungsausschnitt aus dem Port Pirie Recorder unten).

Das Abladen der außergewöhnlichen Maschine war auch der deutschsprachigen Australischen Zeitung in Adelaide eine Meldung wert:

Varzin in Port Pirie 1914

Australische Zeitung, Adelaide, Ausgabe vom 10. Juni 1914; trove.nla.gov.au

Der Ort Iron Knob war eine Bergwerkssiedlung an einem Eisenerztagebau mit bis zu 3.000 Einwohnern. Der Tagebau wurde 1998 aufgegeben, heute leben nur noch etwa 150 Menschen in Iron Knob.

Ausführlicher berichtete die Tageszeitung in Port Pirie über das Ereignis (siehe Abbildung unten).

Demzufolge handelte es sich bei der 27-Tonnen-Maschine um einen Erzbrecher. Weitere acht schwere Maschinen mit Gewichten zwischen drei und zehn Tonnen wurden ebenfalls mit der „Varzin“ angeliefert.

Als junger Techniker wird Maschinisten-Assistent Feldhusen das Abladen der Maschinen sehr aufmerksam verfolgt haben, wenn er nicht gerade Dienst hatte und im Bauch des Schiffes arbeiten musste.

Machinery for Iron Knob

Port Pirie Recorder and North Western Mail, 8. Juni 1914, Seite 1; trove.nla.gov.au

Wasserrohre und Erze

Interessant ist auch eine Meldung aus dem Barrier Miner vom 10. Juni 1914, die ebenfalls Auskunft über einen anderen Teil der Ladung der „Varzin“ gibt. Demnach waren 400 Tonnen Rohre für ein Wasserversorgungs-Projekt an Bord.

Varzin 1914 in Port Pirie

Barrier Miner, 10. Juni 1914, S. 4; trove.nla.gov.au

Im Gegenzug lud die „Varzin“, wie jedes andere Schiff der DADG, das in Port Pirie anlegte, Erze. Dokumentiert sind zwei Kontingente Zinkkonzentrate, einmal 1107 Tonnen und einmal 1200 Tonnen.

Erze aus Port Pirie

Port Pirie Recorder and North Western Mail, 17. Juni 1914, S. 2; trove.nla.gov.au

Der Fahrraddieb Joseph Hackethal

Insgesamt verbrachte die „Varzin“ acht Tage in Port Pirie, zumindest war das für einen Seemann Zeit genug, um zu desertieren. Er hieß Joseph Hackethal.

Sein Name ist überliefert, weil er am 8. Juni im nahegelegenen Ort Nelshaby ein Fahrrad im Wert von £ 12 gestohlen hatte.

Er wurde jedoch erwischt und Richter Mitchell am Strafgericht ließ keine Nachsicht walten: Hackethal wurde zu vier Monaten Zuchthaus mit harter Arbeit verurteilt.
Quelle: Port Pirie Recorder and North Western Mail, 18. Juni 1914, S. 4

Nachdem noch während seiner Haft der Erste Weltkrieg ausgebrochen war, wurde er anschließend auf Torrens Island bei Adelaide interniert (Quelle: torrensislandinternmentcamp.com.au). Sein Name findet sich auf der Liste der Gefangenen wieder, auch ein Foto gibt es dort von ihm.

Zu dem Thema Desertionen in Australien SIEHE: Dampfschiff „Fürth“: Tagebuch-Spezial – Deserteure, Einschleicher und wechselndes Personal

Über Torrens Island: SIEHE Auf den Spuren der Seeleute des Dampfschiffes „Fürth“   und https://torrensislandinternmentcamp.com.au/index.html (in englischer Sprache)

Port Pirie 1910

Die Industriesilhouette von Port Pirie, Aufnahme um 1910, heute (2022) befindet sich hier die größte Bleihütte der Welt; Port Pirie Collection, Ref. B 22839, State Library of South Australia, über trove.nla.gov.au

In Niederländisch-Indien

Nach dem Ablegen von Port Pirie lag die „Varzin“ noch einmal fünf Tage in Port Adelaide (14. – 19. Juni). Über die aufgenommene Fracht habe ich keine Informationen, oft transportierten die DADG-Schiffe große Mengen Mehl nach Java. Adelaide besaß große Mühlen und Niederländisch-Indien war für sie ein wichtiger Absatzmarkt.

Am 1. Juli erreichte die „Varzin“ das erste Mal den Hafen Batavias (heute Jakarta), Tandjong Priok. Das erste Mal deshalb, weil die folgende Route der „Varzin“ nach Osten führte, bevor das Schiff noch einmal nach Batavia zurückkehrte, bevor es Niederländisch-Indien wieder verließ.

Von Batavia bediente die „Varzin“ Makassar (Sulawesi/Celebes), Soerabaya und nach niederländischen Medien auch die Häfen Indramajoe und Tegal (alle Java).

Makassar und Soerabaja waren regelmäßige Fahrtziele im Linienverkehr der DADG. Für Indramajoe und Tegal trifft dies nicht zu, hier gab es offenbar einen punktuellen Bedarf.

Die zweite Abfahrt von Batavia ist für den 24. Juli dokumentiert, die nächsten Ziele der „Varzin“ waren Singapur und Penang, beides damals britische Besitzungen („Straits Settlements“). Den Hafen von Penang verließ die „Varzin“ am 30. Juli 1914.

Batavia 1907

Ankunft eines Dampfers im Hafen Tandjong Priok (Batavia), 1907, Tropenmuseum Amsterdam, Inventarnummer TM-60060778, collective.wereldculturen.nl

Ahnungslos auf hoher See

Eine erste Warnung an ihre Kapitäne über den bevorstehenden Ersten Weltkrieg hatte die Hamburger Zentrale der Deutsch-Australischen Dampfschiff-Gesellschaft am Nachmittag des 1. August 1914 deutscher Zeit versandt. Diese erreichte jedoch nur Schiffe mit Telegrafie an Bord oder Schiffe in Häfen.

Die „Varzin“, Baujahr 1899, war wie viele andere ältere Schiffe der DADG auch, nicht mit drahtloser Telegraphie ausgestattet. Die Mannschaft war demzufolge nicht über die weltpolitischen Änderungen informiert und steuerte ahnungslos über den Indischen Ozean auf die Einfahrt des Roten Meeres und den Suezkanal zu.

Feldhusen dürfte die Fahrt durch den Indischen Ozean genossen haben. Sein Leben lang wird er sich darin erinnern, wie der Koch fliegende Fische auf Deck einsammelte und mit ihnen den Speisezettel der Mannschaft bereicherte.

Zu diesem Zeitpunkt konnte Feldhusen auch noch damit rechnen, in gut einem Monat wieder in Hamburg anzukommen. Schließlich gab es für den Erstfahrer zu Hause eine Menge zu erzählen.

Aden Perim map 1906

Die britischen Protektorate Aden und Perim auf einer Karte aus dem Jahr 1906; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:British_dependencies_of_Aden_and_Perim_(1906).jpg

In britischer Gefangenschaft

Am 13. August 1914 befand sich die „Varzin“ am Eingang des Roten Meeres und steuerte die Insel Perim an. Die Briten betrieben hier eine Kohlenstation und Kapitän Kuhlmann wollte bzw. musste hier sicherlich Kohlen bunkern.

In Perim erfuhren Kapitän und Mannschaft jedoch, dass zwischen Großbritannien und Deutschland jetzt Krieg herrschte.

Ein britischer Offizier beschlagnahmte das Schiff und verhaftete die Mannschaft.

… At that port a British officer with troops from the native garrison, came on board, put the machinery out of gear, and took possession of the ship. The Germans were landed at Aden for Bombay …
Murray Pioneer and Australian River Record, 24. Dez. 1914, S. 12; trove.nla.gov.au

In der Folge kamen sowohl Schiff und Mannschaft nach Aden und anschließend nach Bombay.

Von Bombay führte der Weg Feldhusens und seiner Mannschaftskollegen nach Ahmednagar.

Ahmednagar war das größte der Gefangenenlager Britisch Indiens und lag im Hinterland ca. 250 Kilometer von Bombay entfernt. Hier waren während des Ersten Weltkrieges etwa 2000 Prisoners of War interniert.

Anmerkung: Der Name des indischen Lagers ist der Familie Feldhusen heute nicht mehr bekannt. In einem Katalog der Schweizer Auktionsfirma Rölli konnte ich jedoch einen Brief finden, der an Kapitän Carl Kuhlmann in Ahmednagar adressiert ist. Damit ist anzunehmen, dass die ganze Mannschaft dort interniert war (https://roelliphila.ch/assets/Uploads/Katalog67-Lose0001-2039.pdf).

Die Gefangenschaft Feldhusens sollte fast sechs Jahre dauern, eine Zeit, die er immer in schlechter Erinnerung behielt. Hinzu kam eine schwere Malariaerkrankung, die sich Feldhusen während seiner Gefangenschaft in dem tropischen Klima zuzog und von der er sich sein Leben lang nicht mehr erholen sollte. Da war es ein schwacher Trost, dass er im Lager mit seinen fachlichen Kompetenzen im Maschinenbau durchaus Anerkennung gefunden hatte.

Die untenstehende Abbildung zeigt die extrem eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten der Gefangenen im Lager Ahmednagar.

Ahmednagar 1914

Postkarte des Gefangenen Ludwig Zietz vom 7.12.1914 aus dem Gefangenenlager Ahmednagar, Indien; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:POW_postcard_WW_I_Ahmednagar_1914.jpg

Rückkehr

Es sollte bis in das Jahr 1920 dauern, bis Feldhusen wieder nach Deutschland zurückkehren konnte. Wie in vielen anderen Lagern verzögerte sich die Rückkehr immer und immer wieder. Das größte Problem war die Bereitstellung von Schiffen, die die Gefangenen wieder in ihre Heimat transportieren konnte.

Dort traf die Rückkehrer dann der nächste Schock. Deutschland war ein anderes geworden. Nichts war mehr so wie es war.

Über die politischen Rahmenbedingungen hatte ich hier berichtet: SIEHE Rückkehr in ein fremdes Deutschland

Feldhusen erging es nicht anders: Bei seiner Rückkehr nach Hademarschen waren die Eltern nicht mehr am Leben und das väterliche Anwesen in andere Hände gefallen.

Kurze Zeit später lernte Feldhusen eine junge Frau aus dem Nachbarort kennen und heiratete sie. Das junge Paar kaufte sich ein Haus in Hademarschen und betrieb einen Fahrradhandel und eine kleine Schlosserei.

Zur See fuhr Hans Daniel Feldhusen nicht mehr. Seine Dienstzeit auf See hatte damit nur vier Monate und elf Tage gedauert (siehe den Eintrag in seinem Seefahrtbuch auf der Titelabbildung). Er starb im Jahr 1966.

Hademarschen 1923

Hans Feldhusen mit seiner Frau in Hademarschen, Foto aus Familienbesitz, © Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Familie Feldhusen

Nachtrag: Die „Varzin“ ab August 1914

Die „Varzin“ kam wie die Mannschaft zunächst nach Bombay.

Später im Jahr wurde die Ladung oder zumindest ein Teil davon nach London gebracht, wo das Schiff am 19. Dezember ankam.

Varzin in London, 19 December 1914

Ankunft der „Varzin“ in London; Ausschnitt aus De Maasbode, 22. Dez. 1914; http://www.delpher.nl

Während des Krieges blieb das Schiff in britischer Hand, die Bereederung übernahm die Reederei Grahams & Co. in London.

1919 wurde die „Varzin“ dem Secretary of State of India in Bombay unterstellt, bevor sie 1922 nach Griechenland verkauft und in „Electra Stavroudi“ umbenannt wurde. Reeder war E. F. Stavroudis in Chania (Insel Kreta).

1929 wurde die exVarzin an A. S. Vlassoupoulos in Ithaka verkauft. Das Dampfschiff erhielt den neuen Namen „Ioannis Th. Vlassoupoulos“; es wurde allerdings noch im gleichen Jahr abgebrochen.

Quelle für die Angaben der „Varzin“ ab 1915: Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888-1926, R. Schmelzkopf (Eigenverlag: Strandgut), Cuxhaven 1984.

Dampfschiff Varzin

Frachtdampfer „Varzin“, Aufnahmeort und -datum unbekannt; schönes Detail: Wäsche hängt zum Trocknen auf der Back, Foto aus der Sammlung Kludas, © R. Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft 1888-1926, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven (1984); Foto ursprünglich aus der Ernest G. Best postcard collection of merchant vessels (4961 Objekte!), State Library of New South Wales; ref. 861946

Dank

Ich danke der Familie Feldhusen vielmals für die ausführlichen Informationen, die sie bereitwillig einem Unbekannten über ihren (Ur-)Großvater und ihre Familie mitgeteilt hat. Ebenso für das Einverständnis, das Schifffahrtsbuch, das Gemälde des Schiffes und das Foto von Hans Feldhusen und seiner Frau hier im Blog abbilden zu dürfen. Nochmals vielen Dank dafür.

Wenn auch Sie Vorfahren haben, die auf Schiffen der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft vor dem Ersten Weltkrieg gefahren sind, würde ich mich über Ihre Nachricht sehr freuen.

Das gleiche gilt auch, wenn Sie Vorfahren haben, die während des Ersten Weltkrieges in Australien, Britisch Indien, Südafrika oder in den portugiesischen Besitzungen gefangen gehalten wurden. Auch Schicksale deutscher Seeleute, die 1914 – 1918/19 im neutralen Niederländisch-Indien verbringen mussten, würden mich sehr interessieren.

All dies wurde bislang wenig thematisiert und droht, in Vergessenheit zu geraten. Ich möchte mit diesem Blog ein wenig dazu beitragen, dass dieser Teil der Geschichte wieder lebendig wird.

crew list Furth 1911 in Sydney

Dampfschiff „Fürth“: Die Mannschaft am 6. Juli 1911

Momentaufnahme in Sydney

Titelbild: Mannschaftsliste Dampfschiff „Fürth“, 6. Juli 1911, © State Records Authority of New South Wales, Shipping Master’s Office; Quelle: http://marinersandships.com.au/

Heute kann ich Ihnen nach langer Zeit mal wieder eine neue Mannschaftsliste des Dampfschiffes „Fürth“ präsentieren. Sie ist aus dem Jahr 1911.

Zu verdanken ist das Mary-Anne Warner und ihren freiwilligen, ehrenamtlichen Helfern und Helferinnen in Sydney, die Mannschaftslisten einlaufender Schiffe in Sydney von 1845 – 1922 einscannen und dazu noch eine Transkriptionsliste erstellen (siehe Abbildung am Ende des Beitrags) und diese im Internet allgemein verfügbar machen. Das Projekt ist schon sehr weit fortgeschritten und bis 1910 und auch für das Jahr 1922 schon abgeschlossen. Die Jahren 1911 bis 1921 sind noch nicht vollständig, werden aber weiter regelmäßig ergänzt.

Ohne dieses Projekt wären viele der hier im Blog veröffentlichten Artikel schlicht und einfach nicht möglich gewesen. Die Listen geben nicht nur Auskunft über die Mannschaften, sondern auch über die Ankunft der Schiffe im Allgemeinen, zumindest für den Hafen Sydney. An dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank für diese fantastische Arbeit.

Die Original-Mannschaftslisten befinden sich bei der State Records Authority of New South Wales, sie mussten von den ankommenden Schiffen bei der Hafenbehörde (Shipping Master’s Office) abgegeben werden.

Darling Harbour, Pyrmont, about 1900

Darling Harbour, Sydney, im Vordergrund Hafenanlagen von Pyrmont, rechts die Pyrmont Bridge, um 1900; Quelle: Powerhouse Museum from Sydney über https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Darling_Harbour,_1900.jpg

Ortsangaben

Die hier vorgestellte Liste ist aus einem bestimmten Grund besonders interessant. Sie enthält nämlich in der Spalte der Einträge des Geburtslandes bzw. der Geburtsstadt nicht nur den, in der damaligen Zeit üblichen Eintrag „Germany“. Der Ersteller der Liste hat sich vielmehr die Mühe gemacht, für jedes Mannschaftsmitglied auch die Geburtsstadt anzugeben.

Das war nur noch selten der Fall und für das Dampfschiff „Fürth“ ist es nur die Liste der Jungfernfahrt, die bislang diese Angaben enthalten hat. Alle späteren Listen enthalten nur noch die Nationalitäten, nicht aber die Geburts- bzw. Wohnorte.

Für die Ersteller der Listen war das natürlich eine willkommene Vereinfachung, aber aus heutiger Sicht ist die Angabe des Ortes eine wunderbare Gelegenheit, mehr über die Herkunft und Identität der Seeleute zu erfahren.

Die Liste selbst ist bunt durcheinander gewürfelt, eine Ordnung ist nicht zu erkennen. Im Folgenden ordne ich die Einträge der Übersichtlichkeit halber in Deck- und Maschinenmannschaft, wobei ich jeweils mit den Offizieren beginne.

Woolloomooloo Bay, Sydney 1910

Woolloomooloo Bay, Sydney, Postkarte, teilweise koloriert, gelaufen 1910; Quelle: National Museum of Australia, Ref.: 1986.0117.6471

Von Frederikstadt über Geelong

In der Titelzeile ist der Heimathafen des Schiffes (Hamburg) und der Name des Kapitäns, C B. Saegert angegeben. Saegert war von August 1907 bis Ende August 1912 verantwortlicher Schiffsführer der „Fürth“.

Die Tonnage der „Fürth“ ist ebenfalls im Eintrag vermerkt: 4229/2640 Tonnen (brutto und netto).

Als Abfahrtshafen ist Frederikstadt via Geelong eingetragen.

Es war die neunte Australienfahrt der „Fürth“ und die einzige, auf der das Schiff auf der Skandinavien -Linie der Reederei eingesetzt war. In Gothenburg/Schweden, Christiania (Oslo) oder Frederikstadt/Norwegen wurden große Holzmengen aufgenommen und nach Australien verschifft. Das war zum einen Bauholz und zum anderen Rohstoff für Papiermühlen (wood pulp). SIEHE Die „Fürth“ in Skandinavien  UND Die Barwon-Papiermühle in Fyansford, Geelong

Danish steamer Cambodia in Geelong

Norwegian Steamer Cambodia at Yarra Street Pier, c. 1905, unloads Baltic Timber at Yarra Street Pier. Quelle: Geelong Heritage Centre Main Photographic Collection

Mannschaftsstärke

Die Zahl der regelmäßigen Besatzung, einschließlich des Schiffsführers, sowie des ärztlichen, Maschinen-, Verwaltungs- und Dienstpersonals betrug für das Schiff „Fürth“ vierzig Personen. Diese Angabe ist in der Anzeige der Reederei betreffend Eintragung eines Schiffes in das Register für Schiffe gemacht worden. SIEHE: Der Bielbrief der „Fürth“ und die Eintragung ins Schiffsregister

Die Liste umfasst jedoch nur 36 Mannschaftsmitglieder plus Kapitän Saegert. Es ist daher sicher, dass dem Kapitän in den zuvor angelegten australischen Häfen Fremantle, Melbourne oder Geelong ein paar Seeleute abhandengekommen sind (siehe unten). Vor allem Melbourne und Geelong mit 10 und 11 Tagen Liegezeit boten reichlich Gelegenheit dazu.

Desertion war eine übliche Praxis und ein Prozentsatz von 15-25 % desertierenden Seeleuten nichts Ungewöhnliches. SIEHE: Dampfschiff „Fürth“: Tagebuch-Spezial – Deserteure, Einschleicher und wechselndes Personal

Passagiere waren keine an Bord, der Eintrag lautet daher „NIL“.

Kapitän und Decksoffiziere

Angaben zum Kapitän gibt es in den Mannschaftslisten in der Regel nicht, er war ja nicht Teil der Mannschaft, sondern deren Arbeitgeber. SIEHE: Die Musterrolle (Originaldokument aus den Jahren 1913/1914)

Ausnahmen bestätigen die Regel und aus einer Liste vom 21. März 1909 wissen wir, dass er zu diesem Zeitpunkt 56 Jahre alt war und dann am 6. Juli 1911 folglich 58 oder 59 gewesen sein muss. In der oben erwähnten Anzeige aus dem August 1907 war sein Wohnort mit Rostock angegeben worden.

Master C. B. Saegert, 56 years old, March 21, 1909

Kapitän C. B. Saegert, Unterschrift mit Altersangabe auf der Meldeliste für die Hafenpolizei in Syndey am 21. März 1909

Kapitän C. B. Saegert, Rostock

Ausschnitt aus Seite 4 der Anzeige für die Eintragung der „Fürth“ ins Schiffsregister; © Staatsarchiv Hamburg, Schiffsregisterakte Schraubendampfer Fürth, Registernr. 3656, Ref. 231-4_3005

Zu den Offizieren:

I. Offizier K. Alfred Steinorth, 35, Sund Wiese

Steinorth war langjähriger Offizier auf der „Fürth“.

Seit spätestens März 1909 war er zweiter Offizier und ab Dezember 1910 erster Offiizer. Er blieb es mindestens bis Januar 1914, bis er dann seinem Kapitän als erster Offizier auf das Schiff „Ulm“ folgte. SIEHE: Die „Ulm“ in Ambon (Teil 1 von 2) und Die „Ulm“ in Ambon (Teil 2 von 2)

Der ungewöhnliche Eintrag des Geburtsortes „Sund Wiese“ führt uns auf die Insel Zingst, wo ein Teil der Insel östlich des Ortes Zingst als Sundische Wiese bezeichnet wird. Dort gab es einige Gehöfte mit insgesamt 140 Einwohnern. Auch der Name Steinorth war dort verbreitet.

Sobald ich mehr über den Offizier Alfred K. Steinorth herausgefunden habe, werde ich darüber im Blog berichten.

Sundwiese, Zingst

Sundische Wiese, Meyers Orts- und Verkehrslexikon des Deutschen Reichs 1912; Quelle: Meyers Gazetteer, https://www.meyersgaz.org/place/20916031

Zweiter Offizier war L. Karl Albrech, 27, aus Wardow im Landkreis Rostock, dritter Offizier C. Alfred Hockenholz, 32 aus Gardelegen im Altmarkkreis Salzwedel (Sachsen-Anhalt) und vierter Offizier Eduard Ihlefeld, 28 aus Grevesmühlen, Landkreis Nordwestmecklenburg.

Ihlefeld hatte auch die vorherige Fahrt der „Fürth“ schon als vierter Offizier mitgemacht. SIEHE: Die Mannschaft der Fuerth

In dieser Liste aus dem Jahr 1910 gibt es auch einen K. L. H. Albrecht als zweiten Offizier, so dass ich davon ausgehe, dass wir es hier mit der gleichen Person zu tun haben. Ebenso der dritte Offizier, der in der Mannschaftsliste vom Dezember 1910 als C. A. Hackenholz eingetragen ist.

Sie sehen also, dass die Schreibweise von Namen (und Orten) in den Mannschaftslisten mit Vorsicht zu genießen ist. Das sollte man im Hinterkopf haben, wenn man sich auf die genealogische Suche macht.

Decksmannschaft

Erster Bootsmann der „Fürth“ war Friedrich Tomrop, 56, aus Windau. Er war damit der älteste an Bord. Die Stadt Windau im Kurland heißt heute Ventspils und gehört zu Lettland. Zweiter Bootsmann war der 30-jährige Willy Triest aus Berlin.

Heinrich Enoch, 24, aus Ellerbeck (Landkreis Osnabrück) war der Schiffszimmermann.

Unter den Vollmatrosen finden wir Eduard Netz (25) aus Rotzog, heute Rosocha, in Westpommern (im heutigen Polen), Otto Mertens (29) und Willy Jepsen (20), beide aus Hamburg, H. Ziemendorf (25) aus Wittenberge sowie den Deutschen Alexander Utechin (23, ohne Ortsangabe) und den Niederländer Floringh (49). Bei Floringh ist als Ort Smihle angegeben, eventuell ist das die Stadt Smilde.

Als Leichtmatrosen/Jungmänner waren Ernst Deiss, 17 aus Iserlohn und Dietrich Hagenah, 16 aus Stade an Bord und als Schiffsjunge („Moses“) Friedrich Kruse, 15 aus Kiel.

Auch bei den Matrosen ist die Schreibweise nicht immer gesichert. In der Liste der achten Reise (Dezember 1910) gibt es eindeutig auch W. Jepsen, Utechin finden wir als Utechen und Hagenah als Hagenach.

Koch war Th. Wilhelm Flüchter, 46 aus Ennigerloh im Kreis Warendorf (Münsterland), sein Assistent Otto Wursbech, 27 aus Stangerode (heute Teil der Stadt Arnstein, Landkreis Mansfeld-Südharz in Sachsen-Anhalt).

Flüchter war auch schon bei der vergangenen Fahrt an Bord, Kapitän Saegert wird wohl zufrieden mit ihm gewesen sein. Einen guten Koch zu finden, war nicht einfach. SIEHE: Dampfschiff „Fürth“: Bordverpflegung nach Musterrolle

Der Service oblag Karl Inka (1. Steward, 19) aus Eckartsberga (Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt) und Johannes Fechter, (2. Steward, 20) aus Amstetten. Die deutsche Gemeinde Amstetten liegt im Alb-Donau-Kreis in Baden-Württemberg. Ich würde allerdings auch das niederösterreichische Amstetten nicht ausschließen wollen. Auch die Länderangaben sind nicht immer korrekt.

boiler telegraph

Kesseltelegraf auf der Brücke – Bild symbolisch (Quelle: Pixabay)

Maschinenmannschaft

Als Chefingenieur war Phil. Josef Hess, 42 aus Rastatt (Baden-Württemberg) an Bord.

Es ist sicher keine Überraschung festzustellen, dass die meisten Mannschaftsmitglieder aus der Nordhälfte Deutschlands kamen. Hess bildete mit wenigen anderen eine Ausnahme.

Zweiter Ingenieur war Carl Gustav Wilke, 30, aus Hamburg, dritter Ingenieur Jonny Kesten, 24, aus Hemelingen, heute ein Stadtteil von Bremen. Als vierter Ingenieur war Jürgen Hensen, 25, aus Nordburg, Landkreis Celle an Bord.

Komplettiert wurden die Maschinisten durch die beiden Assistenten Johs. (Johannes?) Hoeck, 24, aus Flensburg und G. Barkow, 21. In der Liste steht Coxeburg, das allerdings nicht existiert. Eventuell ist Coburg gemeint?

Heizer auf der „Fürth“ waren am 6. Juli 1911 Julius Lust (30) aus Wernerheide (ev. in Bochum?), Albert Juch (30) aus Hermannsacker (Landkreis Nordhausen, Thüringen), Hans Harms (33) aus Hamburg und Johann Przywarka (25) aus Groß-Borek (Oberschlesien, heute Borki Wielki). Ferner August J. Queisser (30) aus Blumberg im Schwarzwald-Baar-Kreis, J. Carl Adelmann aus Rastatt und H. Gustav Seidel (37) aus Penig im Landkreis Mittelsachsen.

Für den Kohlennachschub sorgten die Kohlenzieher (Trimmer) R. Curt Richter (22) aus Cölln bei Meißen, Leopold Schlecher (25) aus München und Wilhelm Müller (32) aus Essen.

Zusammen macht das 10 Heizer und Trimmer. Hier war die „Fürth“ definitiv unterbesetzt. Normalerweise sollten das mindestens vierzehn Personen sein. Kapitän Saegert musste also in Sydney nachmustern.

Numerous vessels moored at Woolloomooloo wharf, including MANNHEIM to the left. Mai 1914

Dampfschiffe im Hafen von Wooloomooloo, Mai 1914, links im Bild die „Mannheim“, Deutsch-Australische Dampfschiff-Gesellschaft; Australian National Maritime Museum on The Commons, Object no. 00017565

Erkennen oder vermuten Sie einen Ihrer Vorfahren in der Mannschaftsliste? Alle Informationen, die Hinweise zu den auf dem Schiff gefahrenen Männern geben, sind herzlich willkommen.

Vielleicht geben noch vorhandene Aufzeichnungen oder Fotos noch weitere Details aus dem Alltag auf See bei der Kaiserlichen Handelsmarine im Allgemeinen oder sogar dem Schiff „Fürth“ im Speziellen preis.

Ich gebe die Hoffnung nach weiterem Material noch nicht auf, schließlich war auch der Fund des Schiffstagebuchs der „Fürth“ in Liverpool eine nicht vorhersehbare Entdeckung! SIEHE: Ein Logbuch der „Fürth” in Liverpool

crew list Fuerth, Sydney, July 6th, 1911

Mannschaftsliste Dampfschiff „Fürth“, 6. Juli 1911, Transkription der Originalliste des State Records Authority of New South Wales, Shipping Master’s Office; Quelle: http://marinersandships.com.au/