ship's articles Neumunster 1913/1914

Dampfschiff „Fürth“: Bordverpflegung nach Musterrolle

Heute gibts Labskaus!

 

Bildnachweis Titelbild: Musterrolle des Dampfschiffes „Neumünster“, Seite 2, Ausschnitt,
mit freundlicher Genehmigung des © State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.03

 

Die Musterrolle

Von einem Schwesterschiff der „Fürth“, dem Dampfschiff „Neumünster“, ist in Westaustralien eine Musterrolle erhalten, die nach der Beschlagnahmung des Schiffes in Fremantle zu den Gerichtsakten kam und bis heute vom Nationalarchiv aufbewahrt wird (© State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.03)

Darin finden sich auch Informationen über die Verpflegung der Seeleute, denn diese musste laut Seemannsordnung in der Musterrolle des jeweiligen Schiffes eingetragen sein.

So schön, wie es die Seemannsordnung von 1902 in der Sprache der damaligen Zeit formuliert, könnte ich das nicht ausdrücken, deshalb hier der Text im Original:

„Insbesondere muß aus der Musterrolle erhellen, was dem Schiffsmanne für den Tag an Speise und Trank gebührt.“
Zitat aus § 14 der Seemannsordnung vom 2. Juni 1902; abgerufen unter de.m.wiksource.org

Über die Musterrolle selbst mehr demnächst hier im Blog.

 

Mehr als Mahlzeiten

Der Verpflegung an Bord kam eine sehr wichtige Rolle zu:

„Eine zentrale Rolle spielt an Bord das Essen, dessen Bedeutung über die bloße Ernährungsfunktion hinausging. Vielfach stellte es die einzige Auflockerung eines ansonsten eintönigen Arbeitsalltags dar.“
Quelle: Schiffahrt in Schleswig-Holstein 1864-1939, C. Spethmann (2002): Dissertation, Universität Kiel; https://macau.uni-kiel.de/servlets/MCRFileNodeServlet/dissertation_derivate_00000843/d843.pdf

 

Weniger akademisch drücken das bereits zwei Artikel in der Zeitschrift HANSA aus dem Jahr 1908 aus:

„Die körperliche Leistungsfähigkeit der Schiffsleute, die immer auf der Höhe gehalten werden muß, ist von der Verpflegung in hohem Maße abhängig. Ja, man kann sagen, daß auch die Disziplin auf einem Schiffe, namentlich bei längeren Reisen, von guter und schlechter Kost stark beeinflußt wird.“

aus: HANSA, 45. Jahrgang, 1908, S. 462; Die Ausbildung von Schiffsköchen auf Kauffahrteischiffen; Landesversicherungsrat Hansen, Kiel.

Und noch etwas bildlicher im zweiten Beitrag:

„Welchen großen Einfluß der Koch auf die Stimmung der Mannschaft hat, weiß zu schätzen, wer gesehen hat, wie an sich gute, friedliche Leute auf einem feinen Seeschiff unter einem wohlwollenden Kapitän bei miserabel zubereiteter Kost schließlich rabiat bis zur Auflehnung werden und umgekehrt, wie Leute trotz wochenlangen schweren Wetters, ohne von den Pumpen freizukommen, heiter und guter Dinge blieben, weil ihrer nach getaner Arbeit ein Topf schmackhaft zubereiteten Essens harrte. Das war auf Segelschiffen. „Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen“, das trifft ebenso auf Dampfern wie auf Seglern zu.“
Zitat aus: HANSA, 45. Jahrgang (1908), 190, S. 379; Die Ausbildung der Schiffsköche

 

Schiffsproviant

Übernahme von frischem Obst und Gemüse, Port Said, Ägypten, Januar 1919 / Terry, Michael, 1899-1981, (Fotograf) Quelle: National Library of Australia, trove.nla.gov.au

 

Die Schlüsselstellung des Schiffskochs

Nachdem die Rahmenbedingungen, also die Rationen auf allen Schiffen gleich waren, kam dem Schiffskoch eine extrem wichtige Funktion zu. Allerdings waren ausgebildete Köche die große Ausnahme. Oft übernahmen in die Jahre gekommene Seeleute diese Aufgabe, die keinerlei Ausbildung in der Küche genossen hatten. Nur wenige hatten sich im Lauf der Zeit zu guten Köchen entwickelt.

„Für unsere Kauffahrteischiffe gibt es im Interesse der Besatzung eingehende Vorschriften über Art, Menge und Güte gewisser Lebensmittel, aber was nützen alle diese Vorschriften, wenn die Zubereitung zu wünschen übrig läßt? Und das gilt leider für viele Fahrzeuge. Die Köche sind in den meisten Fällen Leute ohne jede weitere Ausbildung in ihrem Berufe; sie haben als Schiffsjungen, Stewards, Matrosen in der Schiffsküche einige Handgriffe abgesehen und mit dieser Schulung übernehmen sie einen Posten als Koch auf einem gewöhnlichen Frachtdampfer.“

Und weiter heißt es im gleichen Bericht:

„Erst bei Gelegenheit der letzten Jahresversammlung des Deutschen Nautischen Vereins hat mir ein Lübecker Kapitän gesagt, daß ein guter Schiffskoch nachgerade eine Seltenheit geworden sei.“

aus:
HANSA, 45. Jahrgang, 1908, S. 462; Die Ausbildung von Schiffsköchen auf Kauffahrteischiffen; Landesversicherungsrat Hansen, Kiel.

 

Von der Segel- zur Dampfschifffahrt

Man kann sagen, dass sich die Verpflegung der Seeleute beim Übergang von der Segel- zur Dampfschifffahrt im Allgemeinen verbessert hatte:

„Auf Dampfern hingegen gestaltete sich die Ernährungssituation der Mannschaften günstiger. Die typischen Mangelkrankheiten konnten vermieden werden, da die durchschnittliche Reisedauer kürzer war als auf Segelschiffen und öfter Häfen angelaufen wurden, in denen die Vorräte durch frische Nahrung ergänzt werden konnten.“
Schiffahrt in Schleswig-Holstein 1864-1939, C. Spethmann (2002): Dissertation, Universität Kiel; https://macau.uni-kiel.de/servlets/MCRFileNodeServlet/dissertation_derivate_00000843/d843.pdf

Der untenstehende Originaltext aus der Musterrolle enthielt beispielsweise den Passus

„nach sechswöchigem alleinigen Genuss von Salzfleisch“

Eine so lange Zeit ohne die Versorgung mit frischen Lebensmitteln kam auf Dampfschiffen praktisch kaum noch vor.

In den sieben Jahren Fahrtzeit der „Fürth“ für die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft gab es lediglich eine Reise, bei der die Besatzung länger als sechs Wochen ohne Landberührung war, und dies auch nur einen einzigen Tag länger, also sechs Wochen und einen Tag. Dies war auf der neunten Fahrt, als die „Fürth“ mit einer großen Holzlieferung von Skandinavien über Cuxhaven direkt nach Australien versegelte. Von Cuxhaven bis nach Fremantle war die „Fürth“ im Frühjahr 1911 sechs Wochen und einen Tag auf See (23. April – 5. Juni 1911).

In diesem Fall könnte die Verpflegung zum Ende hin auch recht eintönig geworden sein.

 

galley Kombüse

Werbung für einen Herd für die Kombüse aus dem Jahr 1891( Patterson’s Illustrated Nautical Dictionary); https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Caboose_(ship_stove)

 

Die Rationen

In der mir vorliegenden Musterrolle des Schiffes „Neumünster“ ist ein Vordruck eingeklebt, der vom Seemannsamt Hamburg in der unteren linken Ecke abgestempelt wurde, um einen nachträglichen Austausch unmöglich zu machen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sich die Zusammensetzung der Verpflegung von Schiff zu Schiff unterschieden hätte. Sie ist auf allen Schiffen der Reederei gleich gewesen.

Über die Qualität der Speisen an Bord sagt das natürlich nichts aus.

Die Beköstigung der Seeleute unterscheidet zwischen täglichen und wöchentlichen Rationen. Schauen wir uns zunächst die täglichen Rationen, nämlich Fleisch/Fisch und Wasser an:

Fleisch und Fisch

500 g Rindfleisch
oder
375 g Schweinefleisch
oder
250 g Speck
oder
375 g Fisch, jedoch nur an 2 Tagen der Woche
oder
375 g in Dosen präserviertes Fleisch, dasselbe ist nach sechswöchentlichem alleinigen Genuss von Salzfleisch an Stelle des gesalzenen Rindfleischs wöchentlich zweimal zu geben.
Ist die Mannschaft über 10 Köpfe stark, so erhält sie zusammen noch eine Extra-Ration an Fleisch oder Fisch.

German meat store room, about 1915

Fleischlagerraum in Deutschland, ca. 1915-1920; Quelle: Bain News Service, Library of Congress, https://www.loc.gov/item/2014705584/)

Wenn Sie beim Lesen von „500 g Rindfleisch“ an ein schönes, saftiges Stück Ribeye aus dem Reifekühlschrank Ihres Lieblingsrestaurants oder Lieblingsfleischers gedacht haben sollten, muss ich jetzt auf den Boden der Tatsachen zurückholen:

Fleisch war natürlich Salzfleisch, nur so war es lange genug haltbar. Vor dem Verzehr musste es entsprechend lange gewässert werden. Aus der heutigen Zeit kennen Sie dieses Prinzip vielleicht vom Stockfisch (bacalao/baccalà), der in der südeuropäischen Küche weit verbreitet ist.

Im damals viel verwendeten Schiffskochbuch von Brodmeyer ist der Gebrauch von Salzfleisch genauer beschrieben:

„Wenn das Fleisch nur kurze Zeit in der Lake gelegen hat, so genügt Abwaschen mit lauwarmem Wasser. Wenn es längere Zeit in der Lake gelegen hat, so muß es 12-24 Stunden gewässert werden, nachdem es gehörig mit lauwarmem Wasser abgewaschen und durch Abschaben von dem anhaftenden Salze befreit worden ist. Das Wasser muß möglichst von 4 zu 4 Stunden erneuert werden. Bevor das Fleisch in das im Kessel bereits kochende Wasser gelegt wird, wird es nochmals abgewaschen. Wenn das Fleisch ¼ Stunde gekocht hat, wird das Wasser abgelassen und neues, kochendes zugefüllt, worin es noch 2 ½ – 3 Stunden kochen muß.“

Aus einem Rezept für „Salzrindfleisch, Rinderpökelfleisch zu Hülsenfrüchten und Gemüsen sowie Meerrettich- oder Mostrichsoße.“ in Schiffskochbuch, Karl J. H. Brodmeyer, 2. Auflage, ca. 1913, Eckardt & Messtorff, Hamburg.

Für das präservierte Fleisch (Konservenfleisch), dass sich bei den Seeleuten zunächst nicht sehr großer Beliebtheit erfreute, hatte sich Ende des 19. Jahrhunderte der Name „Tote Franzosen“ etabliert. Ob diese wenig schmeichelhafte Bezeichnung noch 1914 in Gebrauch war, entzieht sich meiner Kenntnis.

 

Geflügelstall

Auf dem Generalplan des Schiffes „Lübeck“, einem für die DADG im Jahr 1914 in Dienst gestelltem Schiff, ist auf dem Bootsdeck hinter dem Maschinenhaus ein Geflügelstall eingezeichnet. SIEHE: Das Projekt DigiPEER

Dieser könnte für etwas Abwechslung im Speiseplan mit frischen Eiern oder auch dem ein oder anderem Frischgeflügel gesorgt haben. Ob ein solcher Stall auch auf den älteren Schiffen der Reederei und damit auch auf der „Fürth“ an Bord war, kann ich nicht beantworten.

ship's articles Neumunster 1913/1914

Musterrolle des Dampfschiffes Neumünster, Seite 2, Ausschnitt, mit freundlicher Genehmigung des © State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.03

 

Wasser

Wasser wurde ebenfalls als tägliche Ration angegeben. In der Musterrolle klingt die Menge reichlich bemessen:

6 l Wasser
(eine über 10 Köpfe starke Mannschaft erhält noch eine Extra-Ration).

Wasser, welches in den Häfen aufgenommen wurde und dann in den stählernen Tanks im doppelten Schiffsboden aufbewahrt wurde oder auch mittels Destillationsapparaten an Bord hergestellt wurde, hatte sicher mit frischem Leitungswasser oder gar frischem Quellwasser nur wenig gemein.

Bei Brodmeyer (Quellenangabe s. u.) heißt es zur Reinigung des Wassers:

„Nicht immer wird reines Trinkwasser zu erhalten sein. Man muß das Wasser dann vor dem Gebrauch desinfizieren.
Die beste Desinfektion ist die mittels eines guten Filtrierapparates.
Nächstdem kommt die Desinfektion durch ganz geringen Zusatz einer Lösung von übermangansaurem Kali oder durch Zusazt von 6 Gramm pulverisierten Alauns ( Teelöffel voll) auf 4 Liter Wasser.
Wenn diese Methoden aus Mangel des Filtrierapparates oder der beiden anderen Stoffe nicht angewendet werden können, so erfolgt die Desinfektion durch Abkochen des Wassers. Dadurch verliert das Wasser aber die Kohlensäure und büßt mineralische Bestandteile ein, wodurch es nach dem Abkochen einen faden Geschmack erhält.
Diesen faden Geschmack hebt man durch Zusatz von Rum, Rotwein, Zitronensäure oder von Fruchtsäften auf.“

 

 

 

Wöchentliche Rationen

Fette

Kommen wir zu den wöchentlichen Rationen, zunächst zu den Fetten. Hier heißt es im Originaltext:

500 g Butter
500 g Schmalz
0,5 Liter Baumöl
oder Margarine erster Qualität
(Siehe auch die Anmerkung).

Anmerkung: Baumöl war die damals übliche Bezeichnung für Olivenöl.

Der Text aus der Anmerkung lautet:

Butter oder Margarine ist mindestens auf 6 Monate mitzunehmen; als Ersatz für Butter können auch, wenn Schmalz u. Baumöl fehlt, für den Mann 250 g Fleisch od. 125 g Speck für den Tag mehr gegeben werden.

Die Reisen der Schiffe nach Australien dauerten in der Regel fünf bis sechs Monate, so dass die Verproviantierung der Fette sicherlich stets komplett ab Hamburg erfolgte (siehe unten).

 

Kaffee und Tee

Die beiden Genussmittel Kaffee und Tee wurden ebenfalls wöchentlich zugeteilt.

Die Mengen:

150 g bezw. 225 g roher oder 120 bezw. 180 g gebrannter Kaffee (siehe Spalte 12).

30 g Thee

Die zweitgenannte, größere Menge Kaffee galt nur, wenn kein Bier mehr ausgegeben werden konnte (siehe unten).

In Kenntnis eines anderen Dokuments kann ich vorwegnehmen, dass kein roher Kaffee mitgeführt wurde, es war laut Inventarliste dafür kein Kaffeebrenner an Bord (ein Kaffeebrenner war ein gängiges gusseisernes Haushaltsgerät, mit dem Kaffee auf dem Herd selbst geröstet werden konnte). Nachdem auch keine Kaffeemühle an Bord war, wie ein Strich in der Inventarliste belegt, muss also gerösteter, gemahlener Kaffee an Bord gewesen sein, vielleicht in Form gepresster Tafeln (siehe Anzeige).

Die Mengen für Kaffee und Tee scheinen mir für eine Woche recht schmal bemessen, recht stark können beide nicht gewesen sein …

Emil Specht, Hamburg

Kaffee und Schiffsproviant von Specht & Sohn und Anzeige DADG, Hamburger Adressbuch 1917, Quelle: agora.sub.uni-hamburg.de

Allgemeines

Weitere Informationen über die Bordverpflegung erhalten wir aus der Spalte „Allgemeines“:

Ausserdem erhält jeder Mann wöchentlich 250 g Gemüse (Kartoffeln, Sauerkraut oder sonstige Gemüse),
150 g getrocknete Früchte,
an hartem Weizen- oder Roggenbrot und Mehl zusammen 4250 g
250 g Zucker oder Syrup und
0,25 l Essig.

Ferner ist (von dem Heimatshafen ausgehend) für die Mannschaft Bier mitzunehmen bis zu 50 l für den Mann; wird kein Bier mehr gegeben, so erhält jeder 225 bezw. 180 g Kaffee für die Woche statt 150 bezw. 120 g

Getrocknete Erbsen, Bohnen, Grütze oder Graupen zur Sättigung.

Im Hafen wöchentlich mindestens 2mal frischen Proviant, der nicht allein aus frischem Fleisch und frischen Fischen, sondern wenn tunlich, auch aus frischer pflanzlicher Kost und frischem Brot zu bestehen hat.

Drei Wochen nach der Ausreise sind für den Mann täglich 20 g Zitronensaft zu verabreichen, zweckmässig in Mischung mit 20 g Zucker, etwas Rum und ungefähr 4/10 l Wasser.

Anmerkung. Butter oder Margarine ist mindestens auf 6 Monate mitzunehmen; als Ersatz für Butter können auch, wenn Schmalz u. Baumöl fehlt, für den Mann 250 g Fleisch od. 125 g Speck für den Tag mehr gegeben werden.

Es ist Pflicht des Schiffers, für guten Proviant und möglichst reines Trinkwasser, sowie für einen hinlänglichen Vorrat an beiden nach Verhältnis der Reise zu sorgen.

Auf Reisen in kleiner Fahrt und bei der Küstenschiffahrt kommen die Vorschriften über Mitnahme und Verabreichung von Zitronensaft nicht zur Anwendung und kann auf diesen Schiffen auch ein geringerer Vorrat von Butter und Margarine, als für mindestens 6 Monate erforderlich ist, mitgenommen werden.

Anzeige Ludwig Bode, Schiffsproviant

Anzeige Ludwig Bode, Schiffsproviant; HANSA, Juni 1914, S. 562; Quelle: http://www.digishelf.de

 

Wo bleiben die Vitamine?

Vitamine und Ballaststoffe, die aus heutiger Sicht eine gesunde Ernährung ausmachen, sind in den Angaben der Musterrolle Mangelware. Das belegen gerade einmal 250 Gramm Gemüse pro Woche, wobei in dieser Menge auch schon die Kartoffeln enthalten sind! Im Vergleich zu den Fleischrationen eine, so finde ich, geradezu lächerliche Menge.

150 Gramm Trockenfrüchte sind auf den Tag gerechnet auch gerade einmal 21,4 Gramm, also gerade einmal eine Handvoll, wie ich in einem Praxistest mit Sultaninen erfahren konnte.

Zum Brot heißt es schon in der Musterrolle „hart“, man kann sich vorstellen, dass es nicht zu beißen war, außer man hatte es vorher lange genug in Flüssigkeit getaucht. Über Brot an Bord gibt folgende Quelle Auskunft. Allerdings bezieht sich die Quelle auf die Segelschifffahrt im 18./19. Jahrhundert. Auf Dampfschiffen könnte die Situation schon besser gewesen sein (siehe oben).

Falls Sie gerade einen Becher Kaffee in der Hand halten, stellen Sie ihn bitte zur Seite, bevor Sie weiterlesen.

„Natürlich nahmen Seeleute, sofern es möglich war, frisches Brot mit an Bord. Zumeist jedoch nur Mehl und Hartkekse, den so genannten Schiffszwieback. Dieser wurde aus „tweebacken Brodt“ hergestellt, also aus Brot, das zweimal ausgebacken wurde. Dadurch war dieses Brot extrem lange haltbar, jedoch nicht haltbar genug für viele Monate Schiffsreise. Immer wieder beschwerten sich Seeleute über Maden im Brot. Die Seemänner entwickelten ein einfaches, aber wirkungsvolles Verfahren, die Maden zu entfernen. Da der Keks sowieso im trockenen Zustand nicht essbar war wurde er erst ausgeklopft und anschließend im Kaffee aufgeweicht, bis die Maden herauskamen. Sodann wurden die Maden aus dem Kaffee geschöpft und der Keks war essbar.“

Zur Verwendung des Mehls an Bord heißt es im Anschluss in der gleichen Quelle:

„Mit an Bord gebrachtes Mehl diente eher selten zum Backen. Vielmehr wurde daraus ein Mehlkloß oder -pudding gemacht, den erstaunlicherweise die Seeleute sehr mochten, sofern er dem Smut gelang. Mehl musste aber ebenso regelmäßig vom Befall durch Schädlinge befreit werden, wie alle anderen Lebensmittel auch.“

Quelle: Das Leben an Bord im 18. und 19. Jahrhundert; https://www.shanty-chor-reinickendorf.de/ein-blick-zurueck.html

 

Schiffsproviant 1914

Englische Dampf-Cakes und Biscuit-Fabrik AG, Anzeige HANSA, Juni 1914, S. 567, Quelle: http://www.digishelf.de

 

Sättigungsmittel

Die nur vier genannten Sättigungsmittel (getrocknete Erbsen, Bohnen, Grütze oder Graupen) lassen auch nicht auf eine große Abwechslung bei Tisch, oder besser gesagt auf der Back schließen.

Grütze und Graupen sind heute weitgehend in Vergessenheit geraten und kommen kaum noch auf den Tisch. Deshalb hier die Erklärung für die Jüngeren unter Ihnen:

Grütze besteht aus zerkleinerten Getreidekörnern und wird als Brei oder als Suppeneinlage gegessen; je nach Intensität der Zerkleinerung gibt es grobe, mittlere und feine Grütze. Die Briten essen heute noch gern Hafergrütze zum Frühstück (Porridge).

Graupen (oder Rollgerste) werden ebenfalls aus Getreidekörnern hergestellt, durch Schleifen erhalten die Körner eine runde Form und können als Sättigungseinlage in Suppen oder Eintöpfen oder wie Reis als Beilage serviert werden; es gibt sie ebenfalls in verschiedenen Größen von extra grob bis extra fein.

Weitere Anmerkungen

Die Aufforderung der Musterrolle, in den Häfen wenigstens zweimal frisch zu kochen, legt die Befürchtung nahe, dass es die anderen fünf Tage wiederum nur typischen Schiffsproviant gab.

Der Zitronensaft war ein Mittel gegen den Skorbut, der gerade auf Segelschiffen auch noch Anfang des 20. Jahrhunderts vorkam.

 

Wareneinkauf

Der Einkauf des Proviants erfolgte vorrangig in Hamburg:

„Ferner ist zu erwähnen, daß die ganze Ausrüstung der Schiffe mit allem Bedarf an Lebensmitteln, Deck- und Maschinenbedarf, Farben, Oel, Tauwerk, um nur einige zu nennen; die Instandhaltung, Docken, Reinigen, Bodenanstrich und was sonst noch dazu gehört, mit wenigen Ausnahmen stets vollständig in Hamburg beschafft worden sind.“ Quelle: O. Harms, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg (1933).

Die Waren wurden also überwiegend bei deutschen Schiffsausrüstern bezogen, ob die Waren dann auch deutschen Ursprungs waren, ist mit einem großen Fragezeichen zu versehen, da Schiffsausrüster viel mit unverzollten ausländischen Waren handelten. Daran hat sich bis heute nichts geändert:

„Da seit jeher das Privileg der internationalen Seeschiffahrt besteht, unverzollte und unversteuerte Waren auf See zu gebrauchen und zu verbrauchen, handeln Schiffsausrüster zu einem erheblichen Teil mit unverzollten ausländischen und verbrauchsteuerfreien EU-Waren und stehen daher unter ständiger Kontrolle der Zollbehörden.“
Quelle: Verband Deutscher Schiffsausrüster, http://www.shipsuppliers.de

AWN Niemeyer Hamburg

A.W. Niemeyer, Schiffsausrüster in Hamburg, Neubau des Firmensitzes 1908-1910; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:AWN_Bild_013.jpg

 

Ein Klassiker aus der Kombüse – Labskaus

Falls Sie beim Lesen des Artikels Lust auf Seemannskost bekommen haben sollten, habe ich für Sie noch ein Rezept. Es ist vielleicht das bekannteste Gericht, welches mit der Seefahrt in Verbindung gebracht wird: Labkaus!

Hier in einer Version aus der Dampfschiffszeit, zitiert aus dem Schiffskochbuch von Brodmeyer. Ein anderes Rezept aus diesem Buch hatte ich hier bereits vorgestellt. SIEHE: Mannschaftsessen auf dem Dampfschiff „Fürth“: Rumfordsche Suppe

Auf 1/3 Salzschweinefleisch kommen laut Brodmeyer 2/3 Salzrindfleisch bzw. präserviertes Rindfleisch, Corned beef oder frisches Rindfleisch (wobei die verschiedenen Rindfleischarten auch untereinander gemischt werden können).

„Das Fleisch wird, nachdem es nach Vorschrift zubereitet worden ist [siehe oben], gargekocht (mit Ausnahme des präservierten Fleisches und des Corned beefs, die ja schon gar aus den Büchsen kommen). Während nun geschälte Kartoffeln, und zwar die volle Portion, gekocht werden, wird das gekochte Fleisch von den Knochen gelöst und nebst dem präservierten Fleisch (boiled beef) und Corned beef fein gewiegt. Wenn die Kartoffeln gar sind, ward das Wasser von ihnen abgelassen und das gehackte Fleisch zugeschüttet. Diesem Gemisch werden ferner das beim Kochen des Fleisches durch Abschöpfen gewonnene Fett, gemahlener Pfeffer und in Butter braun gebratene Zwiebeln hinzugefügt. Das Ganze wird tüchtig durchgestampft, wobei die Kartoffeln sorgfältig zu zerstampfen sind, so daß keine Stücke bleiben. Alles muß in einem Brei gleichmäßig verteilt werden.

Da Labskaus sehr beliebt ist, meist aber nicht genügend Kartoffeln geschält werden, so empfiehlt sich ein Zusatz von Dörrkartoffeln, die mehrere Stunden vor dem Kochen eingeweicht und mit demselben Wasser gekocht werden. Im übrigen werden sie ebenso behandelt, wie die frischen Kartoffeln.

Als Zugabe von Labskaus eignen sich Piccalilly, Mixed Pikles, saure, Salz-, Pfeffer-, Senfgurken, saure und Salzheringe sowie Rollmöpse.“

Quelle: Schiffskochbuch, Karl J. H. Brodmeyer, 2. Auflage, ca. 1913, Eckhardt & Messtorff, Hamburg.

Laat jo nich lang nödigen!“ (Guten Appetit!)

 

Demnächst im Blog mehr zum Thema Bordverpflegung:

Eine Inventarliste des Schiffes Neumünster für den australischen Zoll, die eine detaillierte Aufstellung aller an Bord befindlichen Speisen- und Getränkevorräte enthält, gibt weitere Aufschlüsse über die Ess- und Trinkgewohnheiten an Bord der Frachtschiffe der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft und der Kaiserlichen Handelsmarine im Allgemeinen.

 

 

 

 

 

 

7 Gedanken zu „Dampfschiff „Fürth“: Bordverpflegung nach Musterrolle

  1. Pingback: Dampfschiff „Fürth“: Die Mannschaft am 6. Juli 1911 | Das kurze, aber bewegte Leben des Frachtdampfers „Fürth“

  2. Pingback: Dampfschiff „Fürth“: In der Kombüse | Das kurze, aber bewegte Leben des Frachtdampfers „Fürth“

  3. Pingback: Aus dem Logbuch des Schiffes „Neumünster“ | Das kurze, aber bewegte Leben des Frachtdampfers „Fürth“

  4. Pingback: Die Musterrolle (Originaldokument aus den Jahren 1913/1914) | Das kurze, aber bewegte Leben des Frachtdampfers „Fürth“

  5. Pingback: Dampfschiff „Fürth“: Weitere Einblicke in die Bordverpflegung | Das kurze, aber bewegte Leben des Frachtdampfers „Fürth“

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s