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Carl Schiesser, about 1912-1914

Die bemerkenswerten Fotografien von Schiffskoch Carl Schiesser aus Ochsenfurt

Titelbild:
Carl Schiesser (Karl Schießer) mit seiner Kamera, Aufnahme vermutlich zwischen 1912-1914 in Parramatta (Großraum Sydney), Fotograf unbekannt; Album Carl Schiesser, National Library of Australia, https://nla.gov.au/nla.obj-153362071/view

Eine kurze Karriere auf See

Carl Schiesser aus Ochsenfurt hatte eine kurze Karriere als Schiffskoch. Sie kann nicht länger als zwei bis drei Jahre gedauert haben.

Der 1889 in Ochsenfurt (Unterfranken) geborene Schiesser ging nach Kochlehre und Militärdienst nach Australien.

Die Kosten für seine Überfahrt hat Schiesser wahrscheinlich auf dem NDL-Dampfer „Scharnhorst“ als Schiffskoch abgearbeitet. In Parramatta, Großraum Sydney lebt er bei Verwandten (Freunden?), wie viele Aufnahmen vom ihm nahelegen. Die meiste Zeit verbrachte er jedoch auf See. Er arbeitete als erster Schiffskoch (chief cook) auf dem Dampfer „Prinz Sigismund“.

Wir finden Schiesser auf Mannschaftlisten vom Dezember 1912 und März 1913. Im August 1914 war Schiesser immer noch (oder wieder) als Schiffskoch auf der „Prinz Sigismund“. Damit war seine Seefahrerkarriere auch schon wieder beendet. Es sollten für ihn fünf lange Jahre der Gefangenschaft in Australien folgen und es gibt keine Anzeichen dafür, dass er in seinem späteren Leben noch einmal zur See gefahren ist.

Zu unserem Glück war Schiesser nicht nur Koch, sondern auch begeisterter Fotograf. Neben vielen Familienfotos aus Deutschland und Australien hat er uns wertvolle Zeitdokumente von seinen Fahrten zwischen Sydney und Yokohama sowie später von seiner Gefangenschaft hinterlassen: aus Brisbane, aus dem Enoggera Camp nordwestlich von Brisbane und später aus dem Lager Holsworthy (Liverpool im Großraum Sydney).

Insgesamt umfasst das fotografische Erbe Schiessers 822 Aufnahmen, die er in zwei Fotoalben mit dem gemeinsamen Titel „Erinnerungen aus froher und ernster Zeit“ zusammentrug. Sie enthalten überwiegend eigene Bilder, aber auch Fotos, die nicht von ihm sind.

Wir haben noch ein zweites Mal Glück: beide Alben wurden 2014 von der National Library of Australia angekauft und sind heute digital verfügbar (http://nla.gov.au/nla.obj-153347192).

Wissenschaftlich aufgearbeitet sind die Alben nur ansatzweise. Es gibt noch viel zu entdecken!

Prinz Sigismund, Norddeutscher Lloyd Bremen

Reichspostdampfer „Prinz Waldemar“, Schwesterschiff des Dampfers „Prinz Sigismund“ in Friedrich-Wilhelmshafen (Deutsch-Neuguinea); Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Prinz_Waldemar_NDL.jpg

Der Reichspostdampfer „Prinz Sigismund“

Der Reichspostdampfer „Prinz Sigismund“, auf dem Schiesser arbeitete, sicherte mit dem Schwesterschiff „Prinz Waldemar“ und dem Dampfschiff „Coblenz“ den regelmäßigen Verkehr auf der Austral-Japan-Linie des Norddeutschen Lloyd Bremen.

Diese Nebenlinie der deutschen Reichspostdampferverbindungen führte von Sydney über Brisbane nach Deutsch-Neuguinea und Hong Kong mit Verlängerung nach Kobe und Yokohama.

Damit band die Linie die „Deutsche Südsee“ (Deutsch-Neuguinea) vierwöchentlich an die Außenwelt an. Angelaufen wurden Rabaul, Friedrich-Wilhelmhafen und Jap sowie auf jeder zweiten Fahrt entweder Angaur oder die zu den Eremiteninseln gehörende Insel Maron.

In der untenstehenden Anzeige des Norddeutschen Lloyd wir die Austral-Japan-Linie im unteren Teil beworben.

NDL mail steamers 1913, sydney

Anzeige des Norddeutschen Lloyd in The Bulletin, Sydney, Vol34 Nr. 1716, vom 2. Januar 1913; Quelle: trove.nla.gov.au

An Bord der „Prinz Sigismund“ waren zwei deutsche Köche für die deutsche Mannschaft und sechs asiatische für die asiatische Mannschaft und die Passagiere.

Der Proviantmeister Friedrich Glinz

Carl Schiesser war mit einem Verwandten/Freund auf der „Prinz Sigismund“, dem Metzger Friedrich Glinz aus Neckargemünd, der als Proviantmeister auf dem Schiff angestellt war.

Ein enges Verhältnis der beiden legt eine Porträtaufnahme in Schiessers Album nahe, die vor der Abreise der beiden entstanden sein dürfte. Später gibt es einige Aufnahmen von Glinz in Australien – auf dem Schiff und in der Freizeit.

Glinz war neun Jahre älter als Schiesser und in Begleitung seiner Frau Maria. Wir kommen gleich nochmal auf das Ehepaar Glinz zurück.

Friedrich Glinz and his wife, about 1910

Friedrich Glinz mit seiner Frau, um 1910, Studioaufnahme, Fotograf unbekannt; Album Carl Schiesser, PIC Album 1198/1-2 #PIC/15798/1-822-Carl Schiesser collection, 1912-1919/Carl Schiesser album, 1912-1917; https://nla.gov.au/nla.obj-153347826/view

Brisbane, den 4. August 1914

Der Reichspostdampfer „Prinz Sigismund“ erreichte Brisbane am 4. August 1914. Er kam aus Japan zurück und sollte seine Reise in Sydney beenden, von wo aus er am 30. Mai 1914 gestartet war.

Das Schiff wollte noch im Lauf des 4. August von Brisbane nach Sydney weiterfahren, jedoch wurde Kapitän August Hurtzig das Ausklarieren von den australischen Zollbehörden verwehrt.

Dies geschah, obwohl Großbritannien zu diesem Zeitpunkt dem Deutschen Reich noch nicht den Krieg erklärt hatte. Das sollte erst – Ortszeit Brisbane – einen Tag später erfolgen.

„Prinz Sigismund“ wurde im Brisbane River am Garden Reach in unmittelbarer Nähe der Brisbane Botanic Gardens (Queen’s Park) ein Liegeplatz zugewiesen. Hier lag der Reichspostdampfer längsseits eines zweiten deutschen Schiffes, der „Cannstatt“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) Hamburg.

Brisbane, Garden Reach, 1906

Brisbane, Ansicht des Zollhauses und des Garden Reach (Abschnitt des Brisbane Rivers) um 1906; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Custom_House_and_Garden_Reach,_Brisbane,_Australia.jpg

Frachtdampfer „Cannstatt“

Kapitän Carl Madsen war mit dem Frachtdampfer „Cannstatt“ auf Australienreise und erreichte den Hafen Brisbane am 30. Juli 1914.

Auch er wollte am 4. August ausklarieren. Wie Kapitän Hurtzig wurde auch Kapitän Madsen die Weiterfahrt verwehrt. An ein eigenmächtiges Verlassen des Hafens war nicht zu denken, da das offene Meer etwa 15 Kilometer entfernt lag.

Cannstatt in Fredrikstad

Der Frachtdampfer „Cannstatt“ in Fredrikstad, Dezember 1913, Aufnahme von G.A. Geriold, Fredrikstad Norwegen; Quelle: Berrima District Historical & Family History Society, Ref. 100561

Der Dampfer „Signal“

Zu den beiden Dampfern gesellte sich fast drei Wochen später, am 23. August 1914, das Dampfschiff „Signal“ der Reederei Jebsen in Apenrade, das ohne Kenntnis vom Krieg in Brisbane einlief.

Der Frachtdampfer war auf dem Weg von Ocean Island (heute Banaba) in der Südsee nach Melbourne. In Brisbane musste Kapitän Eduard Pahren Bunkerkohlen und Wasser aufnehmen, als er dort vom Ausbruch des Krieges erfuhr und von den australischen Behörden festgesetzt wurde.

Sein Schiff lag dann längsseits an „Prinz Sigismund“ und „Cannstatt“ bei den Brisbane Botanic Gardens.

Carl Schiesser in Brisbane

Der Schiffskoch Carl Schiesser hat im August/September 1914 zahlreiche Aufnahmen auf und von den deutschen Schiffen und verschiedenen Mannschaftsmitgliedern gemacht. Darunter zahlreiche Offiziere und Seeleute der „Prinz Sigismund“ und des DADG-Dampfers „Cannstatt“.

Die Mannschaften der Schiffe konnten sich zu diesem Zeitpunkt noch frei in der Stadt bewegen. So fotografierte Schiesser die große Militärparade, die am 19. September 1914 mit über 2000 Soldaten durch Brisbane zog.

Das Enoggera Camp

Die Situation für die deutschen Seeleute änderte sich Anfang Oktober 1914. Sie mussten die Schiffe verlassen und wurden in das Enoggera Internment Camp bei Brisbane gebracht:

Darunter waren die gesamte Besatzung von der „Cannstatt“ (49 Mann), sowie die deutschen Mannschaften der „Prinz Sigismund“ (19 Mann) und der „Signal“ (6 Mann).

Die beiden letzten Dampfer hatten nur wenig deutsche Besatzung. Der größte Teil waren asiatische Seeleute, die Anfang Oktober 1914 von Australien in ihre Heimat zurückkehren konnten.

Schiesser blieb in Enoggera fotografisch sehr aktiv. Seine Aufnahmen dürften die einzigen aus diesem relativ kleinen Internierungslager bei Brisbane sein.

Die Schiffsoffiziere genossen dort eine privilegierte Behandlung. Sie konnten außerhalb des Camps Unterkünfte anmieten und mussten sich regelmäßig im Lager melden. So wohnte Kapitän Hurtzig mit seiner Frau Luise und zwei Kindern, die in Australien zu Besuch waren, in der Nähe des Camps. Hier hatte sich auch Frau Glinz eingemietet.

Das Berrima Camp

Die Kapitäne und höheren Schiffsoffiziere wurden ab August 1915 von Enoggera in das Lager Berrima gebracht. Berrima war von allen australischen Lagern im Ersten Weltkrieg das exklusivste, wenn man das Wort für ein Gefängnis verwenden darf. Die Gefangenen dort genossen zahlreiche Privilegien.

Überraschenderweise war auch Friedrich Glinz unter diesen Privilegierten. Die australische Regierung hatte den gelernten Metzger und Proviantmeister der „Prinz Sigismund“ als Storemanager für den Laden vorgesehen, in dem sich die Gefangenen mit Dingen versorgen konnten, die im Lager nicht erhältlich waren.

Die meisten Kapitäne und Offiziere verfügten über gutes Geld von ihren Reedereien und machten von dem Laden reichlich Gebrauch.

Frau Glinz

So kam es, dass sich Luise Hurtzig und Maria Glinz bei der Ankunft in Berrima ein Haus teilen mussten. Frau Hurtzig beschreibt die Frau des Proviantmeisters in ihrem Tagebuch als streitsüchtig und launisch. Darunter hatte die Frau des Kapitäns während des gesamten Aufenthalts in Berrima sehr zu leiden.

Maria Glinz bekam kurz nach ihrer Ankunft in Berrima eine Tochter, Ursula.

Liverpool camp, compound 1, WW1

Blick nach SW über das Lager 1 in Holsworthy. Im Bild: Wäscherei, Waschplatz, Duschen, Küche und ein Tennisplatz sowie der westliche Freizeitbereich im Hintergrund; Quelle: Australian War Memorial Collection, H17352, public domain

Das Holsworthy Camp

Carl Schiesser hatte weniger Glück. Er wurde in das größte der australischen Lager eingewiesen: Holsworthy in der Stadt Liverpool im Großraum Sydney.

Seine Fotografien aus diesem Lager legen nahe, dass seine Interessen vor allem dem Sport, dem Theater und handwerklichen Arbeiten galten.

Zurück in Deutschland

Nach seiner Gefangenschaft wurde Schiesser 1919 wie fast alle anderen Internierten des Lagers Holsworthy nach Deutschland abgeschoben.

Wie die meisten Gefangenen aus Holsworthy dürfte Schiesser auf der „Kursk“ nach Deutschland gekommen sein.

SIEHE dazu: Abschiebung aus Australien – Ein Tagebuchbericht (Teil 1 von 2)

Schiesser lebte zunächst wieder in Ochsenfurt und arbeitete als Konditor. Am 5.9.1922 heiratete er Anna Maria Apollonia Ruckert, Tochter eines Schreiners. Sie bekamen 1923 und 1925 zwei Kinder.

Karl Schießer und Anna Ruckert 1922

Carl Schiesser mit seiner Braut, Anna Maria Apollonia Ruckert am 5. September 1922, Studioaufnahme, unbekannter Fotograf, Sammlung Carl Schiesser; Quelle: National Library of Australia; http://nla.gov.au/nla.obj-153347192

Schiesser scheint nun in der Schreinerei seines Schwiegervaters Franz Ruckert tätig gewesen zu sein.

Im Holsworthy Camp hatte er zuvor mit Holzarbeiten an den lagerinternen Ausstellungen teilgenommen und war für seine Arbeiten prämiert worden.

Überliefert ist ein Diplom, dass er bei der „4. Allgemeinen Kunst- & Gewerbeausstellung im Kriegsgefangenenlager Liverpool, N.S.W. am 8.-10. Juni 1918“ für hervorragende Holzarbeiten erhalten hat. Eine handschriftliche Ergänzung weist daraufhin, dass es bereits sein zweites Diplom war (Quelle: https://nla.gov.au/nla.obj-153401226/view).

Am 14.10.1924 verzog die Familie Schiesser nach Rothenburg und am 31.1.1928 nach Würzburg. Schiesser war nun schon seit Jahren nur noch als Schreiner tätig und wird auch im Einwohneradressbuch 1927 als Schreiner geführt.

Am 30.6.1930 verzogen die Schiessers nach Darmstadt. Karl Schiesser starb am 12. April 1966 in Darmstadt, seine Frau fünf Jahre später.

Carl Schiesser's children about 1930

Wahrscheinlich die beiden Kinder der Schiessers (die Aufnahme ist wie fast alle nicht beschriftet), Studioaufnahme, unbekannter Fotograf, Sammlung Carl Schiesser; Quelle: National Library of Australia; http://nla.gov.au/nla.obj-153347192

Dank

Die Angaben zu Karl Schiessers späterem Lebenslauf hat mir freundlicherweise das Stadtarchiv Ochsenfurt zur Verfügung gestellt. Ich bedanke mich ganz herzlich für diese Informationen und auch dafür, diese hier verwenden zu dürfen.

Schlussbemerkungen

Urheberrecht

Keine der in diesem Artikel gezeigten Aufnahmen stammt von Carl Schiesser selbst. Das hat seinen Grund: Nachdem er im Jahr 1966 verstorben ist, unterliegen seine Bilder noch dem Urheberrecht, das 70 Jahre und damit bis Ende 2036 andauert.

Ich hoffe, der Artikel trägt dazu bei, lebende Nachfahren Carl Schiessers zu finden. Gerne würde ich hier im Blog mehr über seine Bilder schreiben. Es sind teilweise sehr seltene Aufnahmen, die zwar keinen materiellen Wert, dafür aber historische Relevanz besitzen. Ich wünsche mir, dass ich damit nicht bis in das Jahr 2037 warten muss!

Carl Schiesser – Karl Schießer

Ich habe in dem Artikel durchgängig die Schreibweise mit „C“ und „ss“ verwendet. Schiesser selbst hat seine Fotoalben mit dieser Schreibweise angelegt. Es war eine Anpassung an seine englischsprachige Umgebung. Mit dieser Schreibweise sind die Aufnahmen auch in der Australischen Nationalbibliothek archiviert.

In deutschen Dokumenten findet er sich mit „K“ oder „C“ und mit „ß“, wie in untenstehenden Einträgen aus Adressbüchern der Stadt Darmstadt aus den Jahren 1942 bzw. 1962/63. Sein Beruf ist hier wieder mit Koch angegeben.

Karl Schießer Darmstadt

Karl Schießer in: Adressbuch der Haupt- und Residenzstadt Darmstadt 1942; Quelle: Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, https://tudigit.ulb.tu-darmstadt.de/show/Zs-4159-1942/0227/image, public domain

Carl Schiesser Darmstadt 1962

Carl Schießer in: Adressbuch der Stadt Darmstadt 1962-63; Quelle: https://wiki.genealogy.net/Portal:Adressbuch

Für alle Hinweise zu Carl Schiesser und seiner Familie sowie zu Friedrich Glinz, seiner Frau Maria und seiner Tochter Ursula im Voraus herzlichen Dank!

Kombüse Frachtschiff 1906

Dampfschiff „Fürth“: In der Kombüse

Die Ausstattung von Bordküche, Messen und Pantrys

Zum Titelbild:

Seltene Aufnahme einer Kombüse auf einem Frachtschiff (SS „J.H. Sheadle“), 1906; Quelle: Detroit Publishing Company photograph collection (Library of Congress); https://www.loc.gov/item/2016805748/

Die meisten Fotografien aus der Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeigen die Kombüsen von Passagier- oder Kriegsschiffen, die eine große Anzahl an Personen verpflegen mussten.

Das Dampfschiff „J.H. Sheadle“ war ein Massengutfrachter auf den Großen Seen in Nordamerika.

Die Verpflegung der Seeleute

Über die Verpflegung der Mannschaft an Bord des Dampfschiffes „Fürth“ hatte ich hier im Blog bereits berichtet.

Dokumente, die aus erster Hand darüber Auskunft geben, was an Bord gegessen und getrunken wurde, sind die Musterrolle (Dampfschiff „Fürth“: Bordverpflegung nach Musterrolle) und eine Vorratsliste für den australischen Zoll, die von dem Schwesterschiff „Neumünster“ erhalten geblieben ist: Dampfschiff „Fürth“: Weitere Einblicke in die Bordverpflegung.

Auch ein bei der Kriegs- und Handelsmarine populäres Schiffskochbuch aus den ersten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts gibt interessante Einblicke in die Art der Zubereitung von typischen Speisen, die damals auf Schiffen üblich waren, wie Salzfleisch oder Grütze: Schiffskochbuch, Karl J. H. Brodmeyer, 2. Auflage (ohne Jahresangabe), Eckhardt & Messtorff, Hamburg. Siehe dazu auch den Beitrag: Mannschaftsessen auf dem Dampfschiff „Fürth“: Rumfordsche Suppe

Im heutigen Blogartikel geht es um die Ausstattung der Bordküche, die dem Schiffskoch und seinem Kochmaat zur Verfügung standen, um den Schiffsproviant in mehr oder weniger schmackhafte Gerichte für Offiziere und Mannschaft zu verwandeln. Des Weiteren sehen wir uns den Proviantraum, die Messen und Pantrys an.

Anmerkung: Die Messe ist auf einem Schiff ein Raum zur Essensaufnahme und zur Verbringung von Freizeit, also eine Mischung aus Speise- und Aufenthaltsraum. Auf der „Fürth“ und ihren Schwesterschiffen gab es deren zwei, eine für die Mannschaft, die andere für die Offiziere. Die Pantrys lagen neben den Messen, hier wurde das Tafelgeschirr, Gläser und anderes aufbewahrt.

Die Originalquelle, die die Ausstattung dieser Räume dokumentiert ist das Inventarbuch eines Schwesterschiffes der „Fürth“, der „Neumünster“, das im State Records Office of Western Australia in Perth erhalten geblieben ist. (Archivnummer: Cons. 4230/1.19, Inventory List).

Aus dem Generalplan des Schwesterschiffes „Reichenbach“, den ich hier im Blog vorgestellt hatte, ergibt sich auch die Größe der Küche der „Fürth“. Beide Schiffe waren baugleich. SIEHE: Pläne zur Rekonstruktion des Dampfschiffes „Fürth“

Daraus ist zu ersehen, dass auf gerade einmal 11,5 Quadratmetern (ca; 4,6 m x 2,5 m) immerhin vierzig Personen an Bord verpflegt werden mussten.

Kombüse Dampfschiff Fürth

Lage der Kombüse (rechts) und der Kochkammer (Unterkunft der Köche, oben links) auf der „Reichenbach“, einem Schwesterschiff der „Fürth“ (gelb umrandet), © mit freundlicher Genehmigung des Schifffahrtsmuseums Flensburg (Ref. FSG_267).

Anmerkung: Auf der sieben Jahre jüngeren „Lübeck“ mit zwei Besatzungsmitgliedern mehr (42), hatte die Bordküche gut 17 m2. Das scheint mir eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen gewesen zu sein! Zum Schiff „Lübeck“ siehe: Das Projekt DigiPEER

Die Ausstattung

Auf dem Plan der Kombüse lässt sich nicht viel erkennen: links in der Mitte ein großer Herd und rechts daneben wahrscheinlich eine Spüle. An der gegenüberliegenden Wand sind vier Schränke eingezeichnet, vielleicht Unterschränke mit einer Arbeitsplatte und Oberschränken darüber. Das war es auch schon.

Die Inventarliste verzeichnet alle beweglichen Gegenstände der Küche. Ich verzichte auf eine detaillierte Aufzählung und beschränke mich auf Dinge oder Bezeichnungen, die mir aufgefallen sind. Für Interessierte habe ich die lange Inventarliste der Kombüse unten abgebildet.

Pfannkuchen und Pudding

Bei den Töpfen und Pfannen waren laut Inventarliste zwei Pfannkuchen-Pfannen im Sollbestand, im Istbestand allerdings nur eine davon. Für mich ein Indiz, dass Pfannkuchen an Bord eine beliebte Speise waren. Gleiches lässt sich für Pudding sagen, denn die „Neumünster“ hatte drei Puddingformen im Istbestand (zwei im Sollbestand).

Eine Kaffeemühle taucht zwar im Sollbestand auf, war aber nie an Bord. Kaffee war demnach in bereits gemahlenem Zustand an Bord, eventuell in Form gepresster Tafeln.

Emil Specht, Hamburg

Kaffee und Schiffsproviant von Specht & Sohn und Anzeige DADG, Hamburger Adressbuch 1917, Quelle: agora.sub.uni-hamburg.de

Frischfleisch

Eine Knochensäge weist darauf hin, dass das Zerlegen von Tieren zum Arbeitsalltag der Köche gehörte. Das galt auch für das Schlachten, denn an Bord waren ein Schweine- und ein Hühnerstall.

Darin unterbracht waren etwa zwei Schweine und ein Dutzend Hühner. Diese Zahl belegt ein Zeitungsartikel über ein anderes Schiff der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG). Bei einem Unwetter wurden beide Ställe über Bord gespült:

… The pigstye with two pigs and hencoop with a dozen fowls broke adrift, and striking the back stays on the port side were broken open and all the live stock were carried overboard. …
Quelle: Evening News, Sydney, Sa 12.
Okt. 1907; Augsburg at Fremantle. A HEAVY GALE. ICEBERGS SIGHTED.

In Australien könnte der Frischfleischvorrat auf den langen Reisen auch durch Schafe oder Kängurus ergänzt worden sein.

Baggen und Muggen

Bei der in der Inventarliste aufgeführten Eierrute dürfte es sich um einen Schneebesen handeln und ein Holzschleef ist ein norddeutscher Ausdruck für einen großen hölzernen Kochlöffel.

Die beiden Kartoffelschälmesser wurden nach jeder Reise als neu anzuschaffen gelistet, von ihnen ist also reichlich Gebrauch gemacht worden.

Den Begriff Bagge konnte ich nirgends finden, ich vermute hinter dem Begriff eine Kanne oder einen Krug; Muggen sind heute besser als Mugs (Henkeltassen) bekannt.

Die anderen Gegenstände gehören meiner Ansicht nach zu einer „normalen“ Küchenausstattung. Nur Kohlenkasten und -schaufel werden heute nur noch seltenst in einer Küche zu finden sein.

Inventory book Neumunster 1907

Inventarbuch des Schiffes „Neumünster“, nummerierte Seite 17, Ausschnitt © mit freundlicher Genehmigung des State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.19

inventory book, Neumünster 1907

Inventarbuch des Schiffes „Neumünster“, nummerierte Seite 18, Ausschnitt © mit freundlicher Genehmigung des State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.19

Proviantraum

Die Nahrungsmittelvorräte wurden im Proviantraum gelagert, der sich achtern unter dem Hauptdeck befand. Die Verwaltung des Proviants war Aufgabe des Proviantoffiziers.

Reichenbach Proviantraum

Lage des Proviantraumes auf der „Reichenbach“, einem Schwesterschiff der „Fürth“, © mit freundlicher Genehmigung des Schifffahrtsmuseums Flensburg (Ref. FSG_267).

Hier gehörten Waagen und Maße, Brottanks, ein Fassöffner, Mehlschaufeln, Fleischhaken und Flaschentrichter zur Ausstattung. Die ebenfalls erwähnten Krähne sind ein anderer Begriff für das heute üblichere Wort Wasserhähne. In einigen Regionen spricht man heute noch vom Kran- oder Krahnenwasser, wenn Leitungswasser gemeint ist.

Handschriftlich ergänzt sind eine Schmutzschaufel und ein großes Messer.

Die vollständige Liste finden Sie hier:

Inventory book, steam ship 1907

Inventarbuch des Schiffes „Neumünster“, nummerierte Seite 16, Ausschnitt © mit freundlicher Genehmigung des State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.19

In der Mannschaftsmesse

Die Inventarliste unterscheidet zwischen dem Messe-Inventar und dem Messe-Pantry-Inventar.

Das Messe-Inventar

Das Messe-Inventar ist unten abgebildet, ich beschränke mich die Erklärung zweier Begriffe:

Schlingelleisten sind Leisten um einen Tisch (die Back), die das Herunterrutschen von Gegenständen bei Seegang verhindern.

Eine Butterkruke war ein rundes Gefäß zur Aufbewahrung von Butter, es war oft aus Steingut.

inventory book Neumünster 1907

Inventarbuch des Schiffes „Neumünster“, nummerierte Seite 19, Ausschnitt © mit freundlicher Genehmigung des State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.19

Das Messe-Pantry-Inventar

Teller und Besteck waren jeweils zwölf in der Pantry, mehr Personen konnten demnach auf einmal nicht verköstigt werden.

Die Inventarliste bezeichnet Gabeln als Forken und eine Plattmenage ist ein Ausdruck für einen Tafelaufsatz mit Gefäßen für Salz, Pfeffer, Essig, Öl etc.

Eine Butterkruke ist handschriftlich ergänzt.

Die Lage von Mannschaftsmesse und Pantry war am Maschinenhaus auf der Steuerbordseite.

Pantry J.H She

Seltene Aufnahme einer Pantry auf einem Frachtschiff (SS J.H. Sheadle), 1906, Detroit Publishing Company photograph collection (Library of Congress); https://www.loc.gov/item/2016805747/

Das Inventar von Kajüte (Salon) und Kajüts-Pantry

Deutlich luxuriöser als in der Mannschaftsmesse ging es in der Offiziersmesse zu, die auch als Kajüte oder Salon bezeichnet wurde. Hier war zum Beispiel ein Eisschrank vorhanden, einem Vorläufer des Kühlschranks. Viele der Gerätschaften waren aus Silber, wie zum Beispiel die Suppenterrine oder das Besteck.

Das Besteck war reichhaltiger, es gab auch kleine Forken (Gabeln), Dessertmesser und -löffel. Es herrschte eine recht vornehme Tischkultur. Dazu gehörten Servietten und Serviettenringe. Mit einem Gong (bzw. Alarmglocke) konnte man zu Tisch bitten.

Obwohl weniger Seeleute hier speisten, gab es mehr Teller oder Schüsseln als in der Pantry für die Mannschaft. Es gab darüber hinaus sogar Eierbecher und eine reiche Auswahl an Gläsern für Bier, Wasser, Weißwein, Rotwein, Sherry und Likör. Die normale Pantry verfügte lediglich über Biergläser.

Die Offiziersmesse selbst hatte einen Tisch mit Wachstuch, für den aber auch zwei Tischdecken vorrätig waren. Es gab sechs Drehstühle und zusätzlich vier Feldstühle (Klappstühle). Das Inventarbuch verzeichnet auch ein „Sopha mit Kissen“ und zwei Schlafrollen, zwei Schränke, zwei Buffets, zwei Spiegel und vier Bilder.

Zwei Borts mit je einer Wasserkaraffe und 4 Gläsern standen den Offizieren zur Verfügung.

Ein elektrischer Ventilator sorgte für Frischluft, ein Dampfofen für Wärme.

Gardinen, Portieren (Türvorhänge), Möbelbezüge sowie Woll- und Kokosläufer sorgten für eine wohnliche Atmosphäre im Salon.

In einem Leinenschrank befanden sich Tisch- und Bettwäsche.

Offiziersmesse 1906

Seltene Aufnahme einer Offiziersmesse auf einem Frachtschiff (SS J.H. Sheadle), 1906, Detroit Publishing Company photograph collection (Library of Congress); https://www.loc.gov/item/2016805742/

Fazit

Mit diesem Artikel haben wir wieder einen weiteren Baustein, um uns das Leben an Bord der „Fürth“ und ganz allgemein an Bord eines Schiffes der Deutschen Handelsmarine vor dem Ersten Weltkrieg vorstellen zu können.

Heringssalat

Zu jedem Blogartikel zum Thema Verpflegung gehört hier im Blog ein Rezept.

Rumfordsche Suppe, Labskaus und Königsberger Klopse hatte ich bereits beschrieben.

Das Rezept für Schweser-(Kalbsbries-)Pasteten war außer Konkurrenz, da es Teil eines repräsentativen Geschäftsessens bei der Probefahrt des Schiffes „Hamm“ und kein übliches Bordessen war. SIEHE: Das Menü einer Probefahrt

Heute gibt es ein kaltes Gericht, nämlich Heringssalat.

4 Teile Heringe (auf den Kopf ½ – ¾ Stück),
1 Teil Pellkartoffeln,
2 Teile rote Rüben,
2 Teile Salzgurken,
1 Teil Pfeffer- oder Senfgurken,
1 Teil Kalbsbraten
1 Teil säuerlicher, mürber Apfel.

Wenn Kalbsbraten und Äpfel fehlen, nimmt man dafür je ½ Teil Pellkartoffeln mehr. Die Heringe werden 24 Stunden gewässert, abgehäutet und entgrätet. Alle Teile werden in kleine Würfel geschnitten und gut vermengt. Es können ferner Kapern und in Würfel geschnittener Schinken und ebenso hartgekochte Eier daruntergemischt werden. Die Heringsmilch wird sehr fein gewiegt und mit Essig durch ein Sieb gerührt. Aus dieser Milch wird unter Zusatz des nötigen Essigs, Öls, feingewiegter Zwiebeln, Pfeffer und Zucker eine Soße hergestellt, mit der man den Salat 3 Stunden vor dem Servieren übergießt, damit er gut durchzieht.

MAHLZEIT!

Rezept aus: Schiffskochbuch, Karl J. H. Brodmeyer, 2. Auflage, ca. 1913, Eckhardt & Messtorff, Hamburg.

ship's articles Neumunster 1913/1914

Dampfschiff „Fürth“: Bordverpflegung nach Musterrolle

Heute gibts Labskaus!

 

Bildnachweis Titelbild: Musterrolle des Dampfschiffes „Neumünster“, Seite 2, Ausschnitt,
mit freundlicher Genehmigung des © State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.03

 

Die Musterrolle

Von einem Schwesterschiff der „Fürth“, dem Dampfschiff „Neumünster“, ist in Westaustralien eine Musterrolle erhalten, die nach der Beschlagnahmung des Schiffes in Fremantle zu den Gerichtsakten kam und bis heute vom Nationalarchiv aufbewahrt wird (© State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.03)

Darin finden sich auch Informationen über die Verpflegung der Seeleute, denn diese musste laut Seemannsordnung in der Musterrolle des jeweiligen Schiffes eingetragen sein.

So schön, wie es die Seemannsordnung von 1902 in der Sprache der damaligen Zeit formuliert, könnte ich das nicht ausdrücken, deshalb hier der Text im Original:

„Insbesondere muß aus der Musterrolle erhellen, was dem Schiffsmanne für den Tag an Speise und Trank gebührt.“
Zitat aus § 14 der Seemannsordnung vom 2. Juni 1902; abgerufen unter de.m.wiksource.org

Über die Musterrolle selbst mehr demnächst hier im Blog.

 

Mehr als Mahlzeiten

Der Verpflegung an Bord kam eine sehr wichtige Rolle zu:

„Eine zentrale Rolle spielt an Bord das Essen, dessen Bedeutung über die bloße Ernährungsfunktion hinausging. Vielfach stellte es die einzige Auflockerung eines ansonsten eintönigen Arbeitsalltags dar.“
Quelle: Schiffahrt in Schleswig-Holstein 1864-1939, C. Spethmann (2002): Dissertation, Universität Kiel; https://macau.uni-kiel.de/servlets/MCRFileNodeServlet/dissertation_derivate_00000843/d843.pdf

 

Weniger akademisch drücken das bereits zwei Artikel in der Zeitschrift HANSA aus dem Jahr 1908 aus:

„Die körperliche Leistungsfähigkeit der Schiffsleute, die immer auf der Höhe gehalten werden muß, ist von der Verpflegung in hohem Maße abhängig. Ja, man kann sagen, daß auch die Disziplin auf einem Schiffe, namentlich bei längeren Reisen, von guter und schlechter Kost stark beeinflußt wird.“

aus: HANSA, 45. Jahrgang, 1908, S. 462; Die Ausbildung von Schiffsköchen auf Kauffahrteischiffen; Landesversicherungsrat Hansen, Kiel.

Und noch etwas bildlicher im zweiten Beitrag:

„Welchen großen Einfluß der Koch auf die Stimmung der Mannschaft hat, weiß zu schätzen, wer gesehen hat, wie an sich gute, friedliche Leute auf einem feinen Seeschiff unter einem wohlwollenden Kapitän bei miserabel zubereiteter Kost schließlich rabiat bis zur Auflehnung werden und umgekehrt, wie Leute trotz wochenlangen schweren Wetters, ohne von den Pumpen freizukommen, heiter und guter Dinge blieben, weil ihrer nach getaner Arbeit ein Topf schmackhaft zubereiteten Essens harrte. Das war auf Segelschiffen. „Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen“, das trifft ebenso auf Dampfern wie auf Seglern zu.“
Zitat aus: HANSA, 45. Jahrgang (1908), 190, S. 379; Die Ausbildung der Schiffsköche

 

Schiffsproviant

Übernahme von frischem Obst und Gemüse, Port Said, Ägypten, Januar 1919 / Terry, Michael, 1899-1981, (Fotograf) Quelle: National Library of Australia, trove.nla.gov.au

 

Die Schlüsselstellung des Schiffskochs

Nachdem die Rahmenbedingungen, also die Rationen auf allen Schiffen gleich waren, kam dem Schiffskoch eine extrem wichtige Funktion zu. Allerdings waren ausgebildete Köche die große Ausnahme. Oft übernahmen in die Jahre gekommene Seeleute diese Aufgabe, die keinerlei Ausbildung in der Küche genossen hatten. Nur wenige hatten sich im Lauf der Zeit zu guten Köchen entwickelt.

„Für unsere Kauffahrteischiffe gibt es im Interesse der Besatzung eingehende Vorschriften über Art, Menge und Güte gewisser Lebensmittel, aber was nützen alle diese Vorschriften, wenn die Zubereitung zu wünschen übrig läßt? Und das gilt leider für viele Fahrzeuge. Die Köche sind in den meisten Fällen Leute ohne jede weitere Ausbildung in ihrem Berufe; sie haben als Schiffsjungen, Stewards, Matrosen in der Schiffsküche einige Handgriffe abgesehen und mit dieser Schulung übernehmen sie einen Posten als Koch auf einem gewöhnlichen Frachtdampfer.“

Und weiter heißt es im gleichen Bericht:

„Erst bei Gelegenheit der letzten Jahresversammlung des Deutschen Nautischen Vereins hat mir ein Lübecker Kapitän gesagt, daß ein guter Schiffskoch nachgerade eine Seltenheit geworden sei.“

aus:
HANSA, 45. Jahrgang, 1908, S. 462; Die Ausbildung von Schiffsköchen auf Kauffahrteischiffen; Landesversicherungsrat Hansen, Kiel.

 

Von der Segel- zur Dampfschifffahrt

Man kann sagen, dass sich die Verpflegung der Seeleute beim Übergang von der Segel- zur Dampfschifffahrt im Allgemeinen verbessert hatte:

„Auf Dampfern hingegen gestaltete sich die Ernährungssituation der Mannschaften günstiger. Die typischen Mangelkrankheiten konnten vermieden werden, da die durchschnittliche Reisedauer kürzer war als auf Segelschiffen und öfter Häfen angelaufen wurden, in denen die Vorräte durch frische Nahrung ergänzt werden konnten.“
Schiffahrt in Schleswig-Holstein 1864-1939, C. Spethmann (2002): Dissertation, Universität Kiel; https://macau.uni-kiel.de/servlets/MCRFileNodeServlet/dissertation_derivate_00000843/d843.pdf

Der untenstehende Originaltext aus der Musterrolle enthielt beispielsweise den Passus

„nach sechswöchigem alleinigen Genuss von Salzfleisch“

Eine so lange Zeit ohne die Versorgung mit frischen Lebensmitteln kam auf Dampfschiffen praktisch kaum noch vor.

In den sieben Jahren Fahrtzeit der „Fürth“ für die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft gab es lediglich eine Reise, bei der die Besatzung länger als sechs Wochen ohne Landberührung war, und dies auch nur einen einzigen Tag länger, also sechs Wochen und einen Tag. Dies war auf der neunten Fahrt, als die „Fürth“ mit einer großen Holzlieferung von Skandinavien über Cuxhaven direkt nach Australien versegelte. Von Cuxhaven bis nach Fremantle war die „Fürth“ im Frühjahr 1911 sechs Wochen und einen Tag auf See (23. April – 5. Juni 1911).

In diesem Fall könnte die Verpflegung zum Ende hin auch recht eintönig geworden sein.

 

galley Kombüse

Werbung für einen Herd für die Kombüse aus dem Jahr 1891( Patterson’s Illustrated Nautical Dictionary); https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Caboose_(ship_stove)

 

Die Rationen

In der mir vorliegenden Musterrolle des Schiffes „Neumünster“ ist ein Vordruck eingeklebt, der vom Seemannsamt Hamburg in der unteren linken Ecke abgestempelt wurde, um einen nachträglichen Austausch unmöglich zu machen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sich die Zusammensetzung der Verpflegung von Schiff zu Schiff unterschieden hätte. Sie ist auf allen Schiffen der Reederei gleich gewesen.

Über die Qualität der Speisen an Bord sagt das natürlich nichts aus.

Die Beköstigung der Seeleute unterscheidet zwischen täglichen und wöchentlichen Rationen. Schauen wir uns zunächst die täglichen Rationen, nämlich Fleisch/Fisch und Wasser an:

Fleisch und Fisch

500 g Rindfleisch
oder
375 g Schweinefleisch
oder
250 g Speck
oder
375 g Fisch, jedoch nur an 2 Tagen der Woche
oder
375 g in Dosen präserviertes Fleisch, dasselbe ist nach sechswöchentlichem alleinigen Genuss von Salzfleisch an Stelle des gesalzenen Rindfleischs wöchentlich zweimal zu geben.
Ist die Mannschaft über 10 Köpfe stark, so erhält sie zusammen noch eine Extra-Ration an Fleisch oder Fisch.

German meat store room, about 1915

Fleischlagerraum in Deutschland, ca. 1915-1920; Quelle: Bain News Service, Library of Congress, https://www.loc.gov/item/2014705584/)

Wenn Sie beim Lesen von „500 g Rindfleisch“ an ein schönes, saftiges Stück Ribeye aus dem Reifekühlschrank Ihres Lieblingsrestaurants oder Lieblingsfleischers gedacht haben sollten, muss ich jetzt auf den Boden der Tatsachen zurückholen:

Fleisch war natürlich Salzfleisch, nur so war es lange genug haltbar. Vor dem Verzehr musste es entsprechend lange gewässert werden. Aus der heutigen Zeit kennen Sie dieses Prinzip vielleicht vom Stockfisch (bacalao/baccalà), der in der südeuropäischen Küche weit verbreitet ist.

Im damals viel verwendeten Schiffskochbuch von Brodmeyer ist der Gebrauch von Salzfleisch genauer beschrieben:

„Wenn das Fleisch nur kurze Zeit in der Lake gelegen hat, so genügt Abwaschen mit lauwarmem Wasser. Wenn es längere Zeit in der Lake gelegen hat, so muß es 12-24 Stunden gewässert werden, nachdem es gehörig mit lauwarmem Wasser abgewaschen und durch Abschaben von dem anhaftenden Salze befreit worden ist. Das Wasser muß möglichst von 4 zu 4 Stunden erneuert werden. Bevor das Fleisch in das im Kessel bereits kochende Wasser gelegt wird, wird es nochmals abgewaschen. Wenn das Fleisch ¼ Stunde gekocht hat, wird das Wasser abgelassen und neues, kochendes zugefüllt, worin es noch 2 ½ – 3 Stunden kochen muß.“

Aus einem Rezept für „Salzrindfleisch, Rinderpökelfleisch zu Hülsenfrüchten und Gemüsen sowie Meerrettich- oder Mostrichsoße.“ in Schiffskochbuch, Karl J. H. Brodmeyer, 2. Auflage, ca. 1913, Eckardt & Messtorff, Hamburg.

Für das präservierte Fleisch (Konservenfleisch), dass sich bei den Seeleuten zunächst nicht sehr großer Beliebtheit erfreute, hatte sich Ende des 19. Jahrhunderte der Name „Tote Franzosen“ etabliert. Ob diese wenig schmeichelhafte Bezeichnung noch 1914 in Gebrauch war, entzieht sich meiner Kenntnis.

 

Geflügelstall

Auf dem Generalplan des Schiffes „Lübeck“, einem für die DADG im Jahr 1914 in Dienst gestelltem Schiff, ist auf dem Bootsdeck hinter dem Maschinenhaus ein Geflügelstall eingezeichnet. SIEHE: Das Projekt DigiPEER

Dieser könnte für etwas Abwechslung im Speiseplan mit frischen Eiern oder auch dem ein oder anderem Frischgeflügel gesorgt haben. Ob ein solcher Stall auch auf den älteren Schiffen der Reederei und damit auch auf der „Fürth“ an Bord war, kann ich nicht beantworten.

ship's articles Neumunster 1913/1914

Musterrolle des Dampfschiffes Neumünster, Seite 2, Ausschnitt, mit freundlicher Genehmigung des © State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.03

 

Wasser

Wasser wurde ebenfalls als tägliche Ration angegeben. In der Musterrolle klingt die Menge reichlich bemessen:

6 l Wasser
(eine über 10 Köpfe starke Mannschaft erhält noch eine Extra-Ration).

Wasser, welches in den Häfen aufgenommen wurde und dann in den stählernen Tanks im doppelten Schiffsboden aufbewahrt wurde oder auch mittels Destillationsapparaten an Bord hergestellt wurde, hatte sicher mit frischem Leitungswasser oder gar frischem Quellwasser nur wenig gemein.

Bei Brodmeyer (Quellenangabe s. u.) heißt es zur Reinigung des Wassers:

„Nicht immer wird reines Trinkwasser zu erhalten sein. Man muß das Wasser dann vor dem Gebrauch desinfizieren.
Die beste Desinfektion ist die mittels eines guten Filtrierapparates.
Nächstdem kommt die Desinfektion durch ganz geringen Zusatz einer Lösung von übermangansaurem Kali oder durch Zusazt von 6 Gramm pulverisierten Alauns ( Teelöffel voll) auf 4 Liter Wasser.
Wenn diese Methoden aus Mangel des Filtrierapparates oder der beiden anderen Stoffe nicht angewendet werden können, so erfolgt die Desinfektion durch Abkochen des Wassers. Dadurch verliert das Wasser aber die Kohlensäure und büßt mineralische Bestandteile ein, wodurch es nach dem Abkochen einen faden Geschmack erhält.
Diesen faden Geschmack hebt man durch Zusatz von Rum, Rotwein, Zitronensäure oder von Fruchtsäften auf.“

 

 

 

Wöchentliche Rationen

Fette

Kommen wir zu den wöchentlichen Rationen, zunächst zu den Fetten. Hier heißt es im Originaltext:

500 g Butter
500 g Schmalz
0,5 Liter Baumöl
oder Margarine erster Qualität
(Siehe auch die Anmerkung).

Anmerkung: Baumöl war die damals übliche Bezeichnung für Olivenöl.

Der Text aus der Anmerkung lautet:

Butter oder Margarine ist mindestens auf 6 Monate mitzunehmen; als Ersatz für Butter können auch, wenn Schmalz u. Baumöl fehlt, für den Mann 250 g Fleisch od. 125 g Speck für den Tag mehr gegeben werden.

Die Reisen der Schiffe nach Australien dauerten in der Regel fünf bis sechs Monate, so dass die Verproviantierung der Fette sicherlich stets komplett ab Hamburg erfolgte (siehe unten).

 

Kaffee und Tee

Die beiden Genussmittel Kaffee und Tee wurden ebenfalls wöchentlich zugeteilt.

Die Mengen:

150 g bezw. 225 g roher oder 120 bezw. 180 g gebrannter Kaffee (siehe Spalte 12).

30 g Thee

Die zweitgenannte, größere Menge Kaffee galt nur, wenn kein Bier mehr ausgegeben werden konnte (siehe unten).

In Kenntnis eines anderen Dokuments kann ich vorwegnehmen, dass kein roher Kaffee mitgeführt wurde, es war laut Inventarliste dafür kein Kaffeebrenner an Bord (ein Kaffeebrenner war ein gängiges gusseisernes Haushaltsgerät, mit dem Kaffee auf dem Herd selbst geröstet werden konnte). Nachdem auch keine Kaffeemühle an Bord war, wie ein Strich in der Inventarliste belegt, muss also gerösteter, gemahlener Kaffee an Bord gewesen sein, vielleicht in Form gepresster Tafeln (siehe Anzeige).

Die Mengen für Kaffee und Tee scheinen mir für eine Woche recht schmal bemessen, recht stark können beide nicht gewesen sein …

Emil Specht, Hamburg

Kaffee und Schiffsproviant von Specht & Sohn und Anzeige DADG, Hamburger Adressbuch 1917, Quelle: agora.sub.uni-hamburg.de

Allgemeines

Weitere Informationen über die Bordverpflegung erhalten wir aus der Spalte „Allgemeines“:

Ausserdem erhält jeder Mann wöchentlich 250 g Gemüse (Kartoffeln, Sauerkraut oder sonstige Gemüse),
150 g getrocknete Früchte,
an hartem Weizen- oder Roggenbrot und Mehl zusammen 4250 g
250 g Zucker oder Syrup und
0,25 l Essig.

Ferner ist (von dem Heimatshafen ausgehend) für die Mannschaft Bier mitzunehmen bis zu 50 l für den Mann; wird kein Bier mehr gegeben, so erhält jeder 225 bezw. 180 g Kaffee für die Woche statt 150 bezw. 120 g

Getrocknete Erbsen, Bohnen, Grütze oder Graupen zur Sättigung.

Im Hafen wöchentlich mindestens 2mal frischen Proviant, der nicht allein aus frischem Fleisch und frischen Fischen, sondern wenn tunlich, auch aus frischer pflanzlicher Kost und frischem Brot zu bestehen hat.

Drei Wochen nach der Ausreise sind für den Mann täglich 20 g Zitronensaft zu verabreichen, zweckmässig in Mischung mit 20 g Zucker, etwas Rum und ungefähr 4/10 l Wasser.

Anmerkung. Butter oder Margarine ist mindestens auf 6 Monate mitzunehmen; als Ersatz für Butter können auch, wenn Schmalz u. Baumöl fehlt, für den Mann 250 g Fleisch od. 125 g Speck für den Tag mehr gegeben werden.

Es ist Pflicht des Schiffers, für guten Proviant und möglichst reines Trinkwasser, sowie für einen hinlänglichen Vorrat an beiden nach Verhältnis der Reise zu sorgen.

Auf Reisen in kleiner Fahrt und bei der Küstenschiffahrt kommen die Vorschriften über Mitnahme und Verabreichung von Zitronensaft nicht zur Anwendung und kann auf diesen Schiffen auch ein geringerer Vorrat von Butter und Margarine, als für mindestens 6 Monate erforderlich ist, mitgenommen werden.

Anzeige Ludwig Bode, Schiffsproviant

Anzeige Ludwig Bode, Schiffsproviant; HANSA, Juni 1914, S. 562; Quelle: http://www.digishelf.de

 

Wo bleiben die Vitamine?

Vitamine und Ballaststoffe, die aus heutiger Sicht eine gesunde Ernährung ausmachen, sind in den Angaben der Musterrolle Mangelware. Das belegen gerade einmal 250 Gramm Gemüse pro Woche, wobei in dieser Menge auch schon die Kartoffeln enthalten sind! Im Vergleich zu den Fleischrationen eine, so finde ich, geradezu lächerliche Menge.

150 Gramm Trockenfrüchte sind auf den Tag gerechnet auch gerade einmal 21,4 Gramm, also gerade einmal eine Handvoll, wie ich in einem Praxistest mit Sultaninen erfahren konnte.

Zum Brot heißt es schon in der Musterrolle „hart“, man kann sich vorstellen, dass es nicht zu beißen war, außer man hatte es vorher lange genug in Flüssigkeit getaucht. Über Brot an Bord gibt folgende Quelle Auskunft. Allerdings bezieht sich die Quelle auf die Segelschifffahrt im 18./19. Jahrhundert. Auf Dampfschiffen könnte die Situation schon besser gewesen sein (siehe oben).

Falls Sie gerade einen Becher Kaffee in der Hand halten, stellen Sie ihn bitte zur Seite, bevor Sie weiterlesen.

„Natürlich nahmen Seeleute, sofern es möglich war, frisches Brot mit an Bord. Zumeist jedoch nur Mehl und Hartkekse, den so genannten Schiffszwieback. Dieser wurde aus „tweebacken Brodt“ hergestellt, also aus Brot, das zweimal ausgebacken wurde. Dadurch war dieses Brot extrem lange haltbar, jedoch nicht haltbar genug für viele Monate Schiffsreise. Immer wieder beschwerten sich Seeleute über Maden im Brot. Die Seemänner entwickelten ein einfaches, aber wirkungsvolles Verfahren, die Maden zu entfernen. Da der Keks sowieso im trockenen Zustand nicht essbar war wurde er erst ausgeklopft und anschließend im Kaffee aufgeweicht, bis die Maden herauskamen. Sodann wurden die Maden aus dem Kaffee geschöpft und der Keks war essbar.“

Zur Verwendung des Mehls an Bord heißt es im Anschluss in der gleichen Quelle:

„Mit an Bord gebrachtes Mehl diente eher selten zum Backen. Vielmehr wurde daraus ein Mehlkloß oder -pudding gemacht, den erstaunlicherweise die Seeleute sehr mochten, sofern er dem Smut gelang. Mehl musste aber ebenso regelmäßig vom Befall durch Schädlinge befreit werden, wie alle anderen Lebensmittel auch.“

Quelle: Das Leben an Bord im 18. und 19. Jahrhundert; https://www.shanty-chor-reinickendorf.de/ein-blick-zurueck.html

 

Schiffsproviant 1914

Englische Dampf-Cakes und Biscuit-Fabrik AG, Anzeige HANSA, Juni 1914, S. 567, Quelle: http://www.digishelf.de

 

Sättigungsmittel

Die nur vier genannten Sättigungsmittel (getrocknete Erbsen, Bohnen, Grütze oder Graupen) lassen auch nicht auf eine große Abwechslung bei Tisch, oder besser gesagt auf der Back schließen.

Grütze und Graupen sind heute weitgehend in Vergessenheit geraten und kommen kaum noch auf den Tisch. Deshalb hier die Erklärung für die Jüngeren unter Ihnen:

Grütze besteht aus zerkleinerten Getreidekörnern und wird als Brei oder als Suppeneinlage gegessen; je nach Intensität der Zerkleinerung gibt es grobe, mittlere und feine Grütze. Die Briten essen heute noch gern Hafergrütze zum Frühstück (Porridge).

Graupen (oder Rollgerste) werden ebenfalls aus Getreidekörnern hergestellt, durch Schleifen erhalten die Körner eine runde Form und können als Sättigungseinlage in Suppen oder Eintöpfen oder wie Reis als Beilage serviert werden; es gibt sie ebenfalls in verschiedenen Größen von extra grob bis extra fein.

Weitere Anmerkungen

Die Aufforderung der Musterrolle, in den Häfen wenigstens zweimal frisch zu kochen, legt die Befürchtung nahe, dass es die anderen fünf Tage wiederum nur typischen Schiffsproviant gab.

Der Zitronensaft war ein Mittel gegen den Skorbut, der gerade auf Segelschiffen auch noch Anfang des 20. Jahrhunderts vorkam.

 

Wareneinkauf

Der Einkauf des Proviants erfolgte vorrangig in Hamburg:

„Ferner ist zu erwähnen, daß die ganze Ausrüstung der Schiffe mit allem Bedarf an Lebensmitteln, Deck- und Maschinenbedarf, Farben, Oel, Tauwerk, um nur einige zu nennen; die Instandhaltung, Docken, Reinigen, Bodenanstrich und was sonst noch dazu gehört, mit wenigen Ausnahmen stets vollständig in Hamburg beschafft worden sind.“ Quelle: O. Harms, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg (1933).

Die Waren wurden also überwiegend bei deutschen Schiffsausrüstern bezogen, ob die Waren dann auch deutschen Ursprungs waren, ist mit einem großen Fragezeichen zu versehen, da Schiffsausrüster viel mit unverzollten ausländischen Waren handelten. Daran hat sich bis heute nichts geändert:

„Da seit jeher das Privileg der internationalen Seeschiffahrt besteht, unverzollte und unversteuerte Waren auf See zu gebrauchen und zu verbrauchen, handeln Schiffsausrüster zu einem erheblichen Teil mit unverzollten ausländischen und verbrauchsteuerfreien EU-Waren und stehen daher unter ständiger Kontrolle der Zollbehörden.“
Quelle: Verband Deutscher Schiffsausrüster, http://www.shipsuppliers.de

AWN Niemeyer Hamburg

A.W. Niemeyer, Schiffsausrüster in Hamburg, Neubau des Firmensitzes 1908-1910; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:AWN_Bild_013.jpg

 

Ein Klassiker aus der Kombüse – Labskaus

Falls Sie beim Lesen des Artikels Lust auf Seemannskost bekommen haben sollten, habe ich für Sie noch ein Rezept. Es ist vielleicht das bekannteste Gericht, welches mit der Seefahrt in Verbindung gebracht wird: Labkaus!

Hier in einer Version aus der Dampfschiffszeit, zitiert aus dem Schiffskochbuch von Brodmeyer. Ein anderes Rezept aus diesem Buch hatte ich hier bereits vorgestellt. SIEHE: Mannschaftsessen auf dem Dampfschiff „Fürth“: Rumfordsche Suppe

Auf 1/3 Salzschweinefleisch kommen laut Brodmeyer 2/3 Salzrindfleisch bzw. präserviertes Rindfleisch, Corned beef oder frisches Rindfleisch (wobei die verschiedenen Rindfleischarten auch untereinander gemischt werden können).

„Das Fleisch wird, nachdem es nach Vorschrift zubereitet worden ist [siehe oben], gargekocht (mit Ausnahme des präservierten Fleisches und des Corned beefs, die ja schon gar aus den Büchsen kommen). Während nun geschälte Kartoffeln, und zwar die volle Portion, gekocht werden, wird das gekochte Fleisch von den Knochen gelöst und nebst dem präservierten Fleisch (boiled beef) und Corned beef fein gewiegt. Wenn die Kartoffeln gar sind, ward das Wasser von ihnen abgelassen und das gehackte Fleisch zugeschüttet. Diesem Gemisch werden ferner das beim Kochen des Fleisches durch Abschöpfen gewonnene Fett, gemahlener Pfeffer und in Butter braun gebratene Zwiebeln hinzugefügt. Das Ganze wird tüchtig durchgestampft, wobei die Kartoffeln sorgfältig zu zerstampfen sind, so daß keine Stücke bleiben. Alles muß in einem Brei gleichmäßig verteilt werden.

Da Labskaus sehr beliebt ist, meist aber nicht genügend Kartoffeln geschält werden, so empfiehlt sich ein Zusatz von Dörrkartoffeln, die mehrere Stunden vor dem Kochen eingeweicht und mit demselben Wasser gekocht werden. Im übrigen werden sie ebenso behandelt, wie die frischen Kartoffeln.

Als Zugabe von Labskaus eignen sich Piccalilly, Mixed Pikles, saure, Salz-, Pfeffer-, Senfgurken, saure und Salzheringe sowie Rollmöpse.“

Quelle: Schiffskochbuch, Karl J. H. Brodmeyer, 2. Auflage, ca. 1913, Eckhardt & Messtorff, Hamburg.

Laat jo nich lang nödigen!“ (Guten Appetit!)

 

Demnächst im Blog mehr zum Thema Bordverpflegung:

Eine Inventarliste des Schiffes Neumünster für den australischen Zoll, die eine detaillierte Aufstellung aller an Bord befindlichen Speisen- und Getränkevorräte enthält, gibt weitere Aufschlüsse über die Ess- und Trinkgewohnheiten an Bord der Frachtschiffe der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft und der Kaiserlichen Handelsmarine im Allgemeinen.

 

 

 

 

 

 

Wilhelm Holst, Schiffskoch

Die „Ulm“ in Ambon (Teil 2 von 2)

Über fünf Jahre (1.800 Tage) fern der Heimat

 

Der Schiffskoch Wilhelm Holst, Meutereien und ein tödliches Rennen

Teil 1 finden Sie hier: Die „Ulm“ in Ambon (Teil 1 von 2)

Bildnachweis Titel: Abrechnung der DADG für den Schiffskoch Holst, oberer Teil der ersten Seite, eigene Sammlung

 

Der Schiffskoch Wilhelm Holst

Zwei Abrechnungen der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG), die mir im Original vorliegen, dokumentieren das Schicksal des Schiffskochs der „Ulm“, Wilhelm Holst.

Die erste Abrechnung

Der Schiffskoch Wilhelm Holst ist in Ambon (auch Amboina) so erkrankt, dass er seinen Dienst auf dem Schiff nicht mehr ausüben konnte.

Ein erstes Mal war er im Hospital vom 22.5. bis zum 23.6.1916, also 32 Tage. Für jeden dieser Fehltage bekam er 4,33 Mark von seiner Heuer abgezogen, insgesamt 138,56 Mark.

Endgültig das Schiff verlassen hat er am 19.7.1914 „bis zu dem Tag an welchem er das Schiff verließ“.

Vom Tag der Anmusterung, dem 20.4.1914 bis zum 19.7.1916 belief sich die Heuer des Schiffkochs auf genau 27 Monate zu je 130 Mark, zusammen 3510 Mark. Davon abgezogen wurde die oben erwähnte Fehlzeit im Hospital, so dass Wilhelm Holst in der genannten Zeit 3371,44 Mark verdient hatte.

Von dieser Summe wurden weiter in Abzug gebracht:

– bereits ausbezahlte Vorschüsse in Gothenburg (Schweden), Melbourne, Newcastle (Australien) und Ambon in einer Gesamthöhe von 1952,88 Mark (siehe unten)

– ein Ziehschein in Höhe von 130 Mark („auf Ziehschein soweit mir bekannt ausgezahlt“)

– für Getränke und Zoll 20,10 Mark

– der halbe gesetzliche Beitrag zu Seekasse, 118 Wochen zu 0,24 Mark, gesamt 28,32 Mark

– Portoauslagen in Höhe von 1,70 Mark

Die Gesamthöhe dieser Posten belief sich auf 2133 Mark, so dass Wilhelm Holst über ein Restguthaben von 1238,44 Mark verfügte.

Ein handschriftlicher Vermerk besagt, dass

„Auf Order des K. R. Konsulats zu Makassar hat der Kapitain C. B. Saegert das Guthaben des Kochs Holst in Verwahrung zu nehmen u. periodische Zahlungen daraus an Holst zu verabfolgen.“

Anmerkung

Ein Ziehschein „ist der Verpflichtungsschein, den der Reeder auf Verlangen eines Schiffsbesatzungsmitglieds darüber zu erteilen hat, dass er Abschlagszahlungen auf die Heuer an Familienangehörige oder andere vom Besatzungsmitglied angegebene Personen leistet.“ (§ 36 SeemannsGesetz).

Die Abrechnung ist am 27.3.1917 von Kapitän Saegert unterzeichnet worden. Dabei machte er noch folgende handschriftliche Ergänzungen:

„Irrtum vorbehalten.
Sollten Kursdifferenzen vorliegen so werden
diese von der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft
später berichtigt werden.“

Wilhelm Holst, Schiffskoch

Abrechnung der DADG für den Schiffskoch Holst vom 27. März 1917, Vorderseite, eigene Sammlung

Die Rückseite der Abrechnung zeigt sehr deutlich zwei Dinge:

Der Wechselkurs der Mark zum niederländischen Gulden wird im Lauf der Kriegsjahre viel ungünstiger. Der erste Kurs im September 1914 lag bei 1,80 M und stieg auf über 2.30 M im Jahr 1917. Im ungünstigsten Fall sogar auf 2.56 M (1.3.1916). Vor dem Ersten Weltkrieg war der Wechselkurs bei 1.69 M.

Die Lebenshaltungskosten stiegen dramatisch an. Holst erhielt im Jahr 1915 insgesamt 271,19 Mark Vorschüsse, 1916 waren es 895,07 Mark und im ersten Quartal 1917 bereits 540,50 Mark. Lagen die Beträge der einzelnen Vorschüsse bis Ende 1915 meist unter 15 Gulden, ließ sich Holst 1917 stets 45 Gulden als Vorschuss auszahlen.

Anmerkung:

Ein Teil der Erhöhung ist sicher auf die Erkrankung Holsts zurückzuführen, wie hoch dieser krankheitsbedingte Anteil in Relation mit der „normalen“ Preissteigerung ist, lässt sich leider nicht nachvollziehen.

Schiffskoch Wilhelm Holst

Abrechnung der DADG für den Schiffskoch Holst vom 27. März 1917, Rückseite, eigene Sammlung

 

Die zweite Abrechnung

Die zweite Abrechnung für den Schiffskoch Wilhelm Holst wurde zweifelsohne nach seinem Tod erstellt. Holst war offensichtlich seiner Krankheit erlegen, ein Kreuz neben seinem Namen ist das eindeutige Zeichen.

Die Abrechnung trägt kein Datum und eine Unterschrift, die ich nicht zuordnen kann.

Die Abrechnung hat folgenden Inhalt:

Erneut wird die Heuer berechnet, diesmal jedoch anderes, als bei der ersten Abrechnung. Dieses Dokument ist also offensichtlich nach der ersten Abrechnung erstellt worden.

Die Heuer berechnet sich diesmal wie folgt:

vom 20.4.1914 bis zum 19.4.16 = 24 Monate zu 130 Mark = 3120 Mark

ab 20.4.1916 wird ein neuer, erhöhter Heuersatz vergütet:

20.4.1916 bis 19.7.16 = 3 Monate zu 156 Mark = 468 Mark

Neu ist die Position „Erlös aus dem Nachlaß“ zu 275,20 Mark, offenbar wurden die Habseligkeiten Holsts an andere Seeleute verkauft;

„baarer Nachlaß des Verstorbenen fl. 24,14 z. 2.44“ = 58,90 Mark

fl. ist die Abkürzung für niederländische Gulden, 2.44 der Wechselkurs an dem Ausstellungstag

Schuld des Schiffsmanns Alex Androwno f. Stiefel fl. 4 z. 2.44 = 9.76

Diese Posten ergeben ein Guthaben Holsts in Höhe von 3931,86 Mark.

Schiffskoch Wilhelm Holst

undatierte Abrechnung der DADG für den Schiffskoch Holst, eigene Sammlung

 

Davon abgezogen wurden:

– die Zeit im Hospital „Hospitalkrank 22/5. – 23/6.16 = 1 Mt. 2 Tg. z. M 156.-“ = 166,40 M

Miete, Beköstigung, Wäsche für den letzten Monat fl. 30 z. 2.44 = 73.20 M

– Vorschuss in Gothenburg, Kr 23,80 z. 1,12 M = 26,66 M

– Vorschuss in Australien, £ 1.10 z. 20,50 M = 30,75 M

– Vorschuss in Niederl. Indien fl. 843,50 z. 1,69 = 1.425,52 M

– Vorschuss in Niederl. Indien fl. 185.- z. 1.69 = 312,65 M

– Vorschuss in Niederl. Indien fl. 310.- z. 2,44 = 756,40 M

 

Die letzten vier Positionen sind unverändert zur ersten Abrechnung:

 

– auf Ziehschein 130,- M

– Getränke u. Zoll 20,10 M

– Halber gesetzlicher Beitrag zur Seekasse 118 Wochen zu 24 Pfg. = 28,32 M

– Porto-Auslagen 1,70 Mark

Insgesamt 2.971,70 Mark

 

Damit bleibt ein Rest-Guthaben in Höhe von 960.16 Mark (im Dokument ist hinter die Summe Fr. gesetzt. Warum kann ich nicht erklären.

Die Unterschrift und das Datum

Für mich sieht es so aus, dass die Unterschrift unter der Abrechnung von einer zweiten Person stammt, die die Abrechnung kontrolliert hat. Der Grauton ist etwas heller, als die Abrechnung selbst. Die Häkchen ganz rechts wurden meiner Meinung nach vom Unterzeichner gesetzt, nicht von der Person, die die Rechnung geschrieben hat.

Einen Hinweis auf das Datum der undatierten Rechnung gibt die Nummer des Formblattes unten links. Die beiden letzten Zahlen sind „XI. 19.“, demnach wäre das Formblatt im November 1919 gedruckt worden, die Rechnung kann demzufolge nicht vor November 1919 erstellt worden sein, also lange nach dem Tod des Seemanns.

Holst dürfte nur 55 Jahre alt geworden sein (die Mannschaftsliste vom 10. Juli 1914 weist sein Alter mit 53 Jahren aus). Siehe: Die „Ulm“ in Ambon (Teil 1 von 2)

 

Ein nächstes dokumentiertes Ereignis auf der „Ulm“ ist dann bereits aus dem Jahr 1918:

1918

Februar 1918

Im Februar 1918 gab es auf dem niederländischen Schiff „Valk“ in der Bucht von Ambon eine Explosion, das Schiff brannte aus und war verloren. Ein Seemann, der Maschinist Morbeck, kam dabei ums Leben.

Kritik wurde danach an den Kapitänen der vier deutschen Schiffe wegen unterlassener Hilfsleistung laut. Diese Kritik wurde jedoch von verschiedenen Personen entkräftigt, zunächst vom Hafenmeister Bruin in Ambon:

„Auf Ihr Telegramm Hafenmeister Bruin erklärt, er hat niemanden angeklagt. Dampfer Teo Pao hatte an Bord den Kapitän, einen Offizier, einen Maschinisten. Hülfeleistung war unmöglich, da Gefahr nicht ausgeschlossen.“

Auch der Resident (ähnlich einem Gouverneur) von Ambon teilte diese Ansicht:

„W.D. van Drunen Littel, Resident von Amboina, erlaubt zu veröffentlichen, dass keinerlei Anzeige erfolgt sei gegen Teo Pao noch Manilla und beide Schiffe keine Hülfe leisten konnten, da keine Mannschaft an Bord war und kein Dampf auf war.“

Weitere Unterstützung der deutschen Kapitäne kam von dem Kommandanten des niederländischen Schiffes H.M. „Koetei“:

„Kommandant Jager von H.M. Koetei erlaubt zu veröffentlichen, wenn Kapitän Luers vom Dampfer Teo Pao seine Hülfe angeboten hätte, dann hätte ich ihm gesagt, bleiben Sie auf Ihrem Schiff, das Sie klar sind, wenn Ihr Schiff fort muss von Ankerplatz. Dampfer Ulm und Linden lagen sechs Kilometer von der Unfallstelle, konnten Vorfall nicht beobachten, mittags haben Kapitän Saegert (van de Ulm; Red.) und Moritzen (van de Linden; Red.) Hulfe angeboten.
[gez.] Schmidt

Diese Nachforschungen geschahen auf Anweisung des deutschen Generalkonsuls in Batavia. Erschienen in De locomotief, 20. März 1918, www. delpher.nl; die zitierten Textauszüge sind in der, in niederländischer Sprache erschienenen Zeitung, in deutscher Sprache erschienen).

Das Dampfschiff „Valk“ wurde 1903 in Amsterdam gebaut und hatte eine Besatzung von 40 Personen („van 6 Europeanen en 34 inlanders“). Quelle: Leidsch Dagblad, 22. Feb 1918, S. 3, leiden.courant.nu)

Willem Diederik van Drunen Littel, Ambon

Visitenkarte von Willem Diederik van Drunen Littel mit Frau, Resident von Ambon, Aufnahme von 1890, Quelle: commons.wikimedia.org

 

23. September 1918

Ein bitterer Tag für die Besatzung der „Ulm“ war sicherlich der 23. September 1918.

An diesem Tag verließ die ebenfalls in der Bucht von Ambon liegende „Linden“, wie die „Ulm“ ein Schiff der DADG, die Bucht von Ambon. Sie ging als Reparationsleistung für versenkte Tonnage an die Niederlande. Unter dem neuen Namen „Eemland“ versegelte das Schiff nach Makassar. Was mit der Mannschaft der „Linden“ geschah, erfahren wir nicht.

Amboina, 23. Sept. (Aneta).
De „Eemland“
Het ss. Eemland is naar Makasser vertrokken.
De locomotief, 23. Sept. 1918, http://www.delpher.nl

 

Zuvor war eine niederländische Mannschaft in Ambon eingetroffen, die das Schiff übernahm:

Amboina, 14. Sept. (Aneta)
Het overnemen van de Duitsche schepen.
Hier zijn de kapitein, stuurlui en machinisten aangekomen ter bemanning van het overgenomen Duitsche stoomschip Linden, thans Eemland.
De locomotief, 15. Sept. 1918, http://www.delpher.nl

Das Schiff wurde dann im Dock von Soerabaya auf Java überholt, bevor es die Reise in die Niederlande antreten konnte. (Quelle: Bataviaasch nieuwsblad, 9. Nov. 1918, www. delpher.nl)

Ambon/Amboina port

Blick vom Strand auf den Hafen von Amboina, 1922, Quelle: Collectie Nationaal Museum van Wereldculturen, Amsterdam, Inventarnr. TM-33000958

1919

Neue Hoffnung keimte in der Bucht von Ambon im Januar 1919 auf. Die „Teo Pao“ und die „Manila“ sollten das Schiff klar machen, Proviant aufnehmen und auf weitere Order warten. Für die „Ulm“ hieß es, dass sie unter „englische Aufsicht kommen“ solle.

De Duitsche schepen.
Ambon vooruit meldt, dat de s.s. Manilla en Teo Pao van het kantoor der N.D.L. te Amsterdam telegrafisch bericht hebben gekregen, de schepen zeilree te maken, proviand in te nemen en verder op orders te wachten. Denkelijk zullen de schepen te Singapore dokken en voor voedseloverbrenging naar Duitschland moeten dienen.
Het s.s. Ulm heeft bericht ontvangen, dat het onder Engelsch toezicht zal gaan varen.
De Sumatra Post, 29. Jan 1919

Anmerkung: Die Zeitung Ambon Vooruit wurde zweimal wöchentlich in niederländischer Sprache veröffentlicht.
Quelle: Netherlands East Indies and British Malaya, A Commercial and Industrial Handbook, 1923, abgerufen über https://books.google.fr/books

 

Die Ankündigung erwies sich jedoch als Strohfeuer. Im August 1919 sollten alle drei Schiffe noch immer in der Bucht von Ambon liegen.

Im März 1919 kam es zu einer ersten (dokumentierten) Meuterei, bei der die Worte fielen:

„Wenn du nicht gleich machst, dass du fortkommst, dann hau ich dir den Farbtopf um die Ohren“

Bericht über die Meuterei gibt ein Zeitungsartikel, hier in der deutschen Übersetzung:

„Bolschewismus auf Ambon
Die Seeleute, Heizer und Trimmer der in der inneren Bucht liegenden SS Ulm haben sich am Mittwoch geweigert, unter dem gegenwärtigen Regime länger an Bord zu arbeiten, schrieb Ambon Vooruit vom 22. März. Nach einem Schiffsrat, bei dem ein Heizer und ein Seemann für die Besatzung sprachen, wurde festgestellt, dass von nun an nur noch die Befehle des Kapitäns angenommen werden. Nachdem die Forderungen der Besatzung, die unter anderem die Wachen an Bord selbst regeln, erfüllt waren, nahmen sie die Arbeit wieder auf. Der Stellvertreter, der 1. Offizier Hoffmeister ist vom Dienst ausgeschieden.“

Anmerkungen: Der Mittwoch vor dem 22 . März 1919 (Sa) war der 19. März 1919.
P. Hoffmeister war der 2. Offizier der „Ulm“; 1. Offizier war A. Steinorth

Auch die Zeitung De Preanger Bode berichtete über den Vorfall:

Ulm Ambon

De Preanger Bode vom 12. April 1919, http://www.delpher.nl

 

Nach diesem, ausführlicheren Artikel über die Meuterei soll der 1. Bootsmann dem 2. Offizier Hoffmeister mit den Worten gedroht haben:

„Wenn du nicht gleich machst, dass du fortkommst, dann hau ich dir den Farbtopf um die Ohren“
Quelle : De Preanger-bode, 12. Apr 1919, http://www.delpher.nl

In dieser Quelle heißt es außerdem:

„der deutsche Konsul den Kapitänen der hier liegenden deutschen Schiffe aufgetragen hat, dafür Sorge zu tragen, dass solche Probleme nicht wieder vorkommen.“

 

Zweite Meuterei

Allerdings blieb die Stimmung an Bord explosiv und im Juli 1919 eskalierte die Lage vollends. 21 Seeleute wurden daraufhin unter bewaffnetem Geleit von Ambon abgeführt und über Makassar und Soerabaya auf die Quarantäne-Insel Onrust bei Batavia gebracht (De locomotief, 21. Juli 1919):

Makasser, 12 Juli 1919.
Dienstwsigeraars.
Een en twintig Duitsche schepelingen, afkomstig van het Duitsche ss. Ulm, zijn wegens dienstweigering afgemonsterd en onder sterk gewapend geleide te Makasser aangebracht, om naar Java te worden doorgezonden.
Het nieuws van den dag voor Nederlandsch-Indië, 12-07-1919

In der Übersetzung:
Dienstverweigerer
Einundzwanzig Deutsche der deutschen SS „Ulm“, die wegen Dienstverweigerung eingezogen werden mussten und unter starkem bewaffnetem Geleit nach Makasser gebracht wurden um nach Java weitergeleitet zu werden.

Anmerkung: Die Quarantäne-Insel Onrust wurde während des Zweiten Weltkrieges als Internierungslager genutzt, auch für deutsche Gefangene.
Laut van Dijk (2007) waren die deutschen Seeleute auf der winzigen Nachbarinsel von Onrust, Kuiper (Kuyper) Island untergebracht. Einmal pro Monat konnten sie für drei Tage nach Batavia, um sich dort Arbeit zu suchen. Wenn sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten konnten, mussten sie nicht mehr auf Kuiper Island bleiben.
Quelle: The Netherlands Indies and the Great War 1914-1918, Kees van Dijk, KITLV Press, Leiden 2007; Verhandelingen van het Koninklijk Instituut voor Taal-, Land- en Volkenkunde, 254; Seite 570)

Nach diesem Zeitpunkt war also nur noch eine deutliche verkleinerte Mannschaft an Bord der „Ulm“.

Onrust Island and Kuiper Island 1925

Onrust Island (vorne) und Kuiper Island in der Bucht von Batavia, um 1925; Collectie Tropenmuseum, Stichting Nationaal Museum van Wereldculturen; collectie.wereldculturen.nl

 

Aufbruch aus Amboina

Im August 1919 kam dann endlich Bewegung in die Angelegenheit. Britische Offiziere und Seeleute kamen über Makassar nach Ambon, um die drei deutschen Schiffe zu übernehmen.

Makassar, 23 Augustus 1919.
De Duitsche schepen.
..eerst acht Engelsche officieren aangekomen, zijn gisteren-avond per… vier officieren gearriveerd, allen van de commissie tot overname van Duitsche schepen. Hedenmorgen kwamen… van Rees nog 23 officieren aan, waar…. gedeelte voor Ambon bestemd is. In Ambon liggen nog de Ulm, de Teopao … Manilla.
Het nieuws van den dag voor Nederlandsch-Indië, 25-08-1919

Am 29. August 1919 wurden schließlich die „Teo Pao“ und die „Manila“ an die Briten übergeben und einen Tag darauf die „Ulm“:

Amboina, 29 Aug. (Aneta). De schepen-overgavs.
De heden overgegeven schepen ,Manila“ en ,Teo Pao“ voeren de Statenbondvlag met in den top de Britsche kleuren. De overgave van de ,Ulm“ heeft Zaterdag plaats.
Bataviaasch nieuwsblad, 29-08-1919

Übersetzt: Die heute übergebenen Schiffe Manila „und Teo Pao“ führen die Statenbund-Flagge mit den britischen Farben darüber. Die Übergabe der „Ulm“ findet am Samstag statt.

Anm.: Samstag war der 30. August 1919

 

Ein verrücktes Rennen und Tod nach kurzer Freiheit

Die deutschen Seeleute konnten Ambon endlich verlassen. Zuerst mussten sie mit Schiff nach Makassar, um von dort nach Java zu gelangen, von wo aus die Reise nach Europa zurückgehen konnte.

Für einen Seemann endete die Reise allerdings bereits in Makassar, er starb dort bei einem Autounfall. Drei weitere Seeleute wurden schwer verwundet:

Makasser, 2 Sept. 1919.
Een dolle race.
Zondag-nacht hielden 2 auto’s, — waarin afgemonsterde Duitsche zeelieden van de overgegeven schepen zaten, die in zeer vroolflke stemming verkeerden, —op het nieuwe haven-terrein een duizeling wekkende race. De voorste auto kwam hierbij tegen het met touw afgesloten weggedeelte en sloeg aan gruizelementen. Een persoon werd onmiddellijk gedood, drie werden ernstig gewond. De andere auto bleef ongedeerd.
De omgekomen Duitscher was vroeger machinist van den stoomer Ulm.
Het nieuws van den dag voor Nederlandsch-Indië, 03-09-1919

Ein verrücktes Rennen
Am Sonntagabend lieferten sich zwei Autos – in denen die deutschen Seeleute, die von den übergebenen Schiffen abgemustert worden waren und die in einer sehr glücklichen Stimmung waren – auf dem neuen Hafengelände, ein schwindelerregendes Rennen. Das vordere Auto kam auf den mit einem Seil verschlossenen Straßenabschnitt und schlug gegen Sandhaufen. Eine Person wurde sofort getötet, drei wurden schwer verletzt. Das andere Auto war unbeschädigt. Der verstorbene Deutsche war früher Maschinist des Dampfers Ulm.

Anmerkung: Der Name des Verstorbenen wurde in den Zeitungen nicht genannt.

Makassar harbour 1937

Laden von Rattan im Hafen von Makassar im Juni 1937, Quelle: Collectie Tropenmuseum Amsterdam, Inventarnummer TM-10011574

 

Das Schiff „Ulm“ lief hingegen mit neuer Besatzung nach Singapur:

Amboina, 19 Sept. 1919.

De „Ulm“.
Het Duitsche stoomschip Ulm vertrok gisteren via Soerabaja naar Singapore om aldaar te dokken.
Het nieuws van den dag voor Nederlandsch-Indië, 19-09-1919

 

Die Ulm nach dem Ersten Weltkrieg

Die „Ulm“, die „Manila“ und die „Teo Pao“ gingen an die Britische Krone bzw. an den Shipping Controller, die zuständige Behörde für die Verwaltung der Handelsschiffe. Bereedert wurden die drei Schiffe von der British India Steam Navigation Co.

Die „Ulm“ wurde 1921 an die Nourse Line verkauft und in „Tapti“ umbenannt. 1937 wurde das Schiff nach HongKong (Williamson & Co) abgegeben und erhielt den neuen Namen „Leana“.

Die „Leana“, exUlm, exTapti wurde am 7. Juli 1943 vom deutschen U-Boot U 198 vor Portugiesisch-Ostafrika torpediert und versenkt.

Quellen: http://www.biship.com; uboat.net

 

Schlussbemerkungen

Mehr Informationen über die „Ulm“ und die anderen deutschen Schiffe in Ambon während des Ersten Weltkrieges könnte der Zeitung Ambon Vooruit zu entnehmen sein, die zweimal wöchentlich in niederländischer Sprache erschien. Über Hinweise zu noch existierenden Ausgaben freue ich mich.

In Ambon existiert eine sogenannte PASCH-Schule (SMA NEGERI SIWALIMA AMBON), die dem Netzwerk der Goethe-Institute angeschlossen ist und Deutschkurse anbietet. Zwei Anfragen zur Geschichte der deutschen Schiffe in Ambon blieben leider unbeantwortet.

Die besten Internetquellen für historische Aufnahmen von Ambon/Amboina und generell von Niederländisch-Indien sind die digitale Sammlung der Universitätsbibliothek Leiden (digitalcollections.universiteitleiden.nl) und die Museumsseite von Stichting Nationaal Museum van Wereldculturen (collectie.wereldculturen.nl).