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line ceremony 1905, NDL ship Zieten

Dampfschiff „Fürth“: im Mannschaftslogis

Die Unterbringung der Seeleute

Bildnachweis Titel: Seeleute bei einer Äquatortaufe an Bord der „Zieten“ (Norddeutscher Lloyd), ca. 1905, State Library of South Australia, [PRG 280/1/43/284]

Vor einiger Zeit habe ich über die Unterbringung des Kapitäns, der Deckoffiziere und der Maschinisten berichtet. SIEHE: Dampfschiff „Fürth“: In der Kapitänskajüte

Heute geht es um das andere Ende der Hierarchie: die Matrosen und Heizer/Trimmer, die unter der Back im Vorschiff untergebracht waren.

Die Lage der Mannschaftsräume ist auf dem Stauplan der „Fürth“ gut ersichtlich (in der Abbildung oben rechts).

logbook Furth

Logbuch der „Fürth“, Stauplan C (Ausschnitt), mit freundlicher Genehmigung des National Museums Liverpool (Merseyside Maritime Museum), Ref. B/HAR/11/4/1

Schwieriger sind die Mannschaftsräume auf den Fotos auszumachen:

Der Frachtdampfer « Fürth » (Ausschnitt), © R. Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, S. 30, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven 1984, Aufnahme aus der Sammlung A. Kludas.

Die kleinen Bullaugen der Mannschaftsräume im Vorschiff sind in den alten Aufnahmen nur vereinzelt und schwer zu erkennen. Gut zu sehen sind dagegen die weißen Stangen über der Back, über dem Brückenhaus und auch auf dem Bootsdeck. Zum Inventar der Schiffe gehörten Sonnensegel, die über diese Stangenkonstruktionen gespannt werden konnten.

Vor- und Nachteile der Dampfschiffe

Der Beginn des 20. Jahrhunderts war eine Zeitenwende in der Schifffahrt: die (meist) aus Holz gebauten Segelschiffe wurden von den stählernen Konstruktionen der Dampfschiffe abgelöst und die Atmosphäre an Bord änderte sich grundlegend.

Während der Geruch von fauligem Holz alter Segler auf Dampfschiffen weitgehend entfiel, hatte Holz den Vorteil, ein schlechter Wärmeleiter zu sein und das Klima in den Unterkünften war gleichmäßiger. Gerade in den tropischen und subtropischen Fahrgebieten der „Fürth“, dürfte es in den Logis sehr heiß geworden sein. Daher gab es auch die Möglichkeit zur Abschattung durch Sonnensegel. Kalt wurde es dagegen im nordeuropäischen Winter oder bei Fahrten durch die „Roaring Forties“ im südlichen Indischen Ozean. Für diese Fälle waren die Unterkünfte mit Dampföfen ausgestattet.

Ein anderes Problem von Stahlschiffen ist das Kondensieren von Schwitzwasser, das tropft oder zumindest die Luftfeuchtigkeit stark erhöht.

Neu waren auf Dampfschiffen auch die Unannehmlichkeiten, die von der Dampfmaschine ausgingen: der Lärm, der durch Stahl weit getragen wurde, ebenso wie Vibrationen. Hinzu kam der Geruch von Schmierstoffen und Rauch sowie die Anwesenheit von Kohlenstaub.

Informationen nach: Schiffahrt in Schleswig-Holstein 1864-1939; C. Spethmann, Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades an der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, 2002; https://macau.uni-kiel.de/servlets/MCRFileNodeServlet/dissertation_derivate_00000843/d843.pdf

Grundlagen der Rekonstruktion

Eine Vorstellung über die Ausstattung der Mannschaftsräume gibt uns die Inventarliste eines Schwesterschiffes der „Fürth“, der „Neumünster“. Darin sind die Ausrüstungsgegenstände für Matrosen- und Heizerlogis aufgelistet. Die Listen sind allerdings sehr kurz, da die Ausstattung der Räume auf das Allernötigste beschränkt war.

Für weitere Informationen können wir auf die gesetzlichen Mindestanforderungen zurückgreifen, die von Reedern und Schiffbauern umgesetzt werden mussten.

Diese waren im Juli 1905 in einer gesetzlichen Bekanntmachung neu geregelt worden. Sie hatte den Titel:

Bekanntmachung, betreffend die Logis-, Wasch- und Baderäume sowie die Aborte für die Schiffsmannschaft auf Kauffahrteischiffen.

Quelle: Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1905, Nr. 29, Seite 563-568 über https://de.wikisource.org/wiki/Bekanntmachung,_betreffend_die_Logis-,_Wasch-_und_Bader%C3%A4ume_sowie_die_Aborte_f%C3%BCr_die_Schiffsmannschaft_auf_Kauffahrteischiffen

Weitere Informationen gibt uns der Generalplan der „Reichenbach“, einem Schwesterschiff der „Fürth“, der die Lage und Abmessungen der Unterkünfte unter der Back enthält.

Reichenbach, 1907, Generalplan, FSG Flensburg

Generalplan der „Reichenbach“ (Ausschnitt), einem Schwesterschiff der „Fürth“, © mit freundlicher Genehmigung des Schifffahrtsmuseums Flensburg (Ref. FSG_267). Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass sämtliche Bildrechte beim Schifffahrtsmuseum Flensburg liegen und jegliche Nutzung dieses Bildes der Genehmigung des Rechteinhabers bedarf.

Der Plan zeigt die Lage der Bullaugen deutlich besser, als das Foto oben. Links neben der Back ist das Welldeck mit der Luke 1 zu sehen.

Trennung von Decks- und Maschinenmannschaft

Üblich war eine getrennte Unterbringung von Deck- und Maschinenmannschaft, die eine auf der Steuerbordseite und die andere auf der Backbordseite.

Die Mannschaften eines Dampfschiffes, seien es nun Heizer oder Matrosen, waren im sogenannten „Volkslogis“ untergebracht, das sich bei Frachtschiffen normalerweise unter der Back im Vorschiff befand. Heizer- und Matrosenlogis waren dabei oft nur durch ein Längsschott voneinander getrennt.

Quelle: Die Industrialisierung der Handelsschifffahrt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das Beispiel der „Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Aktiengesellschaft“ (HAPAG), Christoph Merkel, Wissenschaftliche Hausarbeit, Helmut-Schmidt-Universität,Universität der Bundeswehr Hamburg (2004); abgerufen über edoc.sub.uni-hamburg.de/

Auf der Abbildung oben erkennt man, dass es für die „Fürth“ genauso war, allerdings lag zwischen Heizer- und Matrosenlogis ein Mittelgang.

Matrosenlogis

Die Größe des Matrosenlogis betrug laut der Verordnung pro Seemann mindestens 3,5 Kubikmeter Luftraum und 1,5 Quadratmeter Bodenfläche. Die mittlere Mindesthöhe war zwei Meter und der Raum musste Tageslicht erhalten.

Zusätzliche Anforderungen waren wie folgt beschrieben:

Die Fußböden der Logisräume müssen ein hölzernes Deck haben oder mit einem dichten, leicht rein zu haltenden, schlecht wärmeleitenden Belage versehen sein. Die Wände und Decken der Logisräume müssen mit einem hellen Ölfarbenanstriche versehen sein; freiliegende eiserne Decken müssen mit einem das Tropfen verhindernden Schutzbelage bekleidet sein. (Artikel 7).

Inventory Neumunster 1914

Inventarbuch des Schiffes „Neumünster“, nummerierte Seite 37, Ausschnitt © mit freundlicher Genehmigung des State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.19

Die Spalte direkt rechts neben den Gegenständen ist der Sollbestand, dann folgen nach rechts die Istbestände für die Reisen zehn bis vierzehn sowie eventuelle Abgänge und Neuanschaffungen für die nächste Reise.

Kurz und schmal: 1,83 Meter x 0,60 Meter

Das Logis der Matrosen verfügte über 10 Kojen. Die Bekanntmachung von 1905, Paragraph 1, Artikel 8 gibt eine bessere Vorstellung über deren Größe:

Jedem Schiffsmann ist eine eigene Koje zum alleinigen Gebrauche zu gewähren. Doppelkojen ohne Scheidewand sind unzulässig. Die Länge einer Koje darf nicht unter 1,83 Meter, die Breite nicht unter 0,6 Meter im Lichten betragen.

Der Abstand zwischen dem Fußboden und der unteren Koje muß mindestens 25 Zentimeter betragen; er darf bis auf 15 Zentimeter herabgehen, wenn drei Kojen übereinander liegen, die aus Eisen gefertigt und leicht entfernbar sind. Der Abstand zwischen je zwei übereinander befindlichen Kojen sowie derjenige zwischen dem Boden der oberen Koje und der Decke des Logisraums muß mindestens 75 Zentimeter betragen. Mehr als drei Kojen übereinander sind unzulässig. [565]

Das Kojenzeug ist tunlichst häufig gründlich zu lüften und zu reinigen und, sofern erforderlich, zu desinfizieren.

Dieses „Kojenzeug“ musste von den Matrosen selbst mitgebracht werden. Bei Spethmann heißt es zu den Kojen (Quelle s. o.):

Auch bei zweireihiger Anordnung waren die Kojen aber recht niedrig und verfügten nur über einen engen Zugang. Ein Problem stellte die ungenügende Zufuhr von frischer und das Aufsteigen der erwärmten Luft dar, so daß die oberste Koje von den Seeleuten nicht gerne belegt wurde. Aber auch die untere Koje war wenig beliebt, weil sie Staub und Schmutz am meisten ausgesetzt war.

Zudem waren die einzelnen Kojen auf Wunsch der Mannschaft hin oft mit Vorhängen versehen. Dies gewährleistete zwar ein Minimum an „Privatsphäre“, machte aber die Zirkulation von Luft unmöglich. Das Bettzeug mußte von den Seeleuten selbst mitgebracht werden. Einen regelmäßigen Wechsel oder neues Bettzeug konnten sich nur wenige Seeleute leisten.

 

Möbel und weitere Ausstattung

Jeder Matrose hatte für seine Sachen einen „Zeug-Schrank“, es gab davon zwei mehr, als Kojen vorhanden waren (12; wir werden allerdings sehen, dass bei den Heizern zwei weniger vorhanden waren).

Ein Tisch und zwei Bänke, eine Hängelampe und ein Ofen waren das weitere, spärliche Mobiliar.

Hinzu kamen ein Trinkeimer, ein Kaffee- und ein Teekessel, drei Blechbaggen, ein Auffüllöffel, ein Kasten für Bekanntmachungen und ein Spucknapf. Ende.

Anmerkung: Der Begriff der Bagge ist mir nicht geläufig, es dürfte es sich um einen Krug/eine Kanne handeln.

Die Ausstattung war auch in Artikel 11 der oben zitierten Bekanntmachung beschrieben:

Die Ausstattung der Logisraume mit Tischen, Bänken, Schränken und dergleichen soll billigen Anforderungen entsprechen. In jedem Logisraume müssen, sofern nicht ein besonderer Eßraum oder eine sonstige Gelegenheit zur Einnahme von Mahlzeiten an einem vom Schlafraume getrennten Platze vorhanden ist, Tische und Sitzgelegenheiten für mindestens die Hälfte der Belegschaft zur Verfügung stehen. Auch ist in jedem Logisraume mindestens ein Spucktopf aufzustellen, der täglich zu reinigen ist.

Den vollständigen Text der Bekanntmachung finden Sie hier: https://de.wikisource.org/wiki/Bekanntmachung,_betreffend_die_Logis-,_Wasch-_und_Bader%C3%A4ume_sowie_die_Aborte_f%C3%BCr_die_Schiffsmannschaft_auf_Kauffahrteischiffen

Auf dem Dampfer „Altenburg“ – eine Erinnerung

Die folgende Szene beschreibt ein Logis auf dem Postdampfer „Altenburg“ im Jahr 1905:


Unser Logis befand sich an der Steuerbordseite vorne unter der Back. Der Niedergang zum Kabelgatt und zum Kettenkasten ging von der Back durch unser Logis. Die Backluke war auf See bei schönem Wetter geöffnet, der Niedergang zum Logis aus stand durchweg offen, er war nur durch eine Sicherheitskette gegen ein Abstürzen gesichert. Durch diese nicht kleine Öffnung roch es im Logis aus dem Kabelgatt heraus kräftig nach Teer oder Teertau. Mir machte es nichts aus, ich roch es gerne. Ich kann nicht erinnern, daß die Matrosen gegen diesen strengen Geruch protestiert haben, es gehörte sich wohl so. Selten hatte der eine oder andere Matrose eine Seekiste mit, sie begnügten sich mit einem Zeugsack. Üblich war es auf Dampfern, daß für die Besatzungsmitglieder abschließbare Einzelspinde vorhanden waren. Die Mehrheit der Matrosen hatte nur das Notwendigste an Ausrüstung mit. War das Zeug auf See nass geworden, hängte man es in den Stockraum, nach sehr kurzer Zeit konnte es man schon wieder anziehen, es war trocken. Das Wenige, es war kein Problem. …
Quelle: Bürger der Ozeane und Meere, Vom Schiffsjungen zum Kapitän und Lotsen, Band 1: Vor dem Mast, Kapitän Hans Blöss, 2013; Verlag Christian Blöss; abgerufen über books.google.fr.

SMS Arcona, 1910, sailors

Deutsche Seeleute auf SMS „Arcona“, Bain News Service, um 1910; Library of Congress, https://www.loc.gov/item/2014696882/

Im Heizerlogis

Das Heizerlogis war größer als das Matrosenlogis und hatte 16 Kojen, allerdings nur 14 Zeug-Schränke (s. o.).

Es verfügte über zwei Tische und drei Bänke.

Neben dem Trinkeimer wurde ein Suppeneimer handschriftlich ergänzt, allerdings war er nie im Istbestand.

Die detaillierte Aufstellung können Sie der Abbildung entnehmen.

Inventory book Neumunster 1914

Inventarbuch des Schiffes „Neumünster“, nummerierte Seite 38, Ausschnitt © mit freundlicher Genehmigung des State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.19

Wasch- und Baderäume

Auf jedem Kauffahrteischiff ist der Schiffsmannschaft Gelegenheit zur körperlichen Reinigung und zum Zeugwaschen zu gewähren.

Die Inventarliste und der Plan oben geben Auskunft, dass für Matrosen und Heizer ein separater Waschraum verfügbar war. Die Liste ist kurz: eine Badewanne, eine Dusche, ein Ofen und eine Lampe. Vier Waschbecken für die Matrosen und sechs für die Heizer.

Inventory book, ship Neumunster 1914

Inventarbuch des Schiffes „Neumünster“, nummerierte Seite 42, Ausschnitt © mit freundlicher Genehmigung des State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.19

Auf dem Generalplan der „Reichenbach“ sieht man, dass die Waschräume ganz vorne im Bug lagen.

WCs

Zu den Aborten heißt es 1905:

Die Waschgelegenheit kann mit den Aborten in demselben Raume liegen, sofern dem Schicklichkeitsgefühle durch die Art der Anordnung und durch die Verwahrung der Aborte Rechnung getragen ist.

Aus dem Generalplan der „Reichenbach“ (siehe oben) geht hervor, dass beide voneinander räumlich getrennt waren. 

Die Bekanntmachung von 1905 verlangte die tägliche Reinigung von Bädern, Aborten und Pissoiren.

Condor, 1912, sailors on deck

Deutsche Seeleute an Bord SMS „Condor“ in Port Adelaide, um 1912; State Library of South Australia, [PRG 280/1/14/218]

Boots- und Zimmermann

Boots- und Zimmermann waren ebenfalls unter der Back untergebracht. Sie teilten sich eine Kammer neben dem Matrosenlogis. 

Ausstattung der Boots- und Zimmermannskammer, Schiff „Neumünster“, © mit freundlicher Genehmigung des State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.19

Die beiden Seeleute hatten im Vergleich zu den Matrosen eine deutliche reichere Ausstattung ihrer Unterkunft. Die List geht auf der nächste Seite des Inventarbuches noch weiter.

Ausstattung der Boots- und Zimmermannskammer (Fortsetzung), Schiff „Neumünster“, © mit freundlicher Genehmigung des State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.19

Umkleiden

Nicht im Inventarbuch aufgeführt, aber auf dem Generalplan der „Reichenbach“ unter der Bootsmannskammer zu sehen, sind zwei Räume. Sie sind leider nicht beschriftet, allerdings ist aus dem Plan ersichtlich, dass sie wie die Waschräume ebenfalls gefliest sind. Es dürfte sich um zwei Umkleiden handeln, eine für die Heizer und eine für die Matrosen.

Eine Einrichtung, die nicht auf allen Schiffen vorhanden war. Sie hatte den Vorteil, dass die schmutzige und/oder nasse Arbeitskleidung nicht in den Logis gewechselt werden musste.

Wilhelm Hester, crew member, about 1900

Dampfschiff „Fürth“: In der Kapitänskajüte

So lebte der Schiffsführer

… mit Bildern des Fotografen Wilhelm Hester

 

Nachweis Titelbild:
Mannschaftsmitglied an Bord eines nicht genannten Schiffes um 1900; Kissen mit der Aufschrift „Nur ein Viertelstündchen“, Aufnahme: Wilhelm Hester (in Hamburg geborener amerikanischer Fotograf, 1872-1947) Quelle: commons.wikimedia.org; Man writing at table, interior of unidentified ship, Washington, ca 1900 (HESTER 448).jpeg

Über den Fotografen Wilhelm Hester mehr unten im Text!

 

Zwei Kapitäne

Die „Fürth“ hatte in den sieben Jahren, in denen sie in Fahrt für die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft war (1907-1914), zwei Kapitäne, C. B. Saegert und W. Richter.

In diesem Artikel versuche ich zu rekonstruieren, wie sie an Bord untergebracht waren. Dazu greife ich auf zwei Dokumente zurück, die von anderen Schiffen der Reederei erhalten geblieben sind. Zum einen handelt es sich um den Generalplan des Schiffes „Lübeck“, den ich hier im Blog vorgestellt hatte: SIEHE Das Projekt DigiPEER

Aus diesem Plan sind die Größen der Kabinen und ihre großen Einrichtungsgegenstände ersichtlich, wie Kojen, Schränke, Tische, Schreibtische usw.

Zum anderen ist es das Inventarbuch des Schiffes „Neumünster“, welches für das Schwesterschiff der „Fürth“ alle beweglichen Gegenstände auflistet, die sich an Bord befunden haben und somit auch alle Objekte in der Kapitänskajüte. Warum sollte das Inventarbuch für die Schwesterschiffe abweichend gewesen sein? Es gibt keinen Grund dafür.

Dieses hier vorgestellte Inventarbuch können Sie im State Records Office of Western Australia in Perth einsehen; es hat die Archivnummer: Cons. 4230/1.19, Inventory List. Oder Sie lesen regelmäßig diesen Blog. Hier werde ich Ihnen die (meiner Meinung nach) interessantesten Teile des Schiffsinventars nach und nach vorstellen.

inventory book, Neumünster, 1911 - 1914

Inventarbuch des Schiffes „Neumünster“, Einband, Ausschnitt © mit freundlicher Genehmigung des State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.19

 

Das Inventarbuch der DADG

 

Die Führung des Inventarbuchs

Dem Inventarbuch vorgeschaltet ist eine „Anweisung zur Führung des Inventarbuches“, in der die Reederei genaue Instruktionen gab, wie damit zu verfahren war. Wir sehen, dass der 1. Offizier des jeweiligen Schiffes damit betraut war und das nicht wenig Arbeit mit der Führung des Buchs verbunden war. Lesen Sie selbst:

„Die Führung des Inventarbuches hat von dem 1. Offiizer zu geschehen; das Buch ist für mehrere Reisen berechnet und wird in zwei Exemplaren an Bord gegeben, wovon eines als „Kladde“ ständig in Händen des 1. Offiziers verbleibt, während das zweite Exemplar als „Reinschrift A“ bei Ankunft in Hamburg der Rhederei einzureichen ist; dieses Buch wird dann für die neue Reise gegen ein drittes Exemplar „Reinschrift B“ ausgewechselt. In Reinschrift B hat dann eine nochmalige Eintragung des vorigen Berichts zu geschehen, was nach der an Bord befindlichen Kladde leicht bewerkstelligt werden kann. Zugleich ist jedoch auch der Bericht für die neue Reise aufzunehmen und ist bei Rückkehr nach Hamburg dann wieder Reinschrift B gegen Reinschrift A einzutauschen und so fort, sodass sich immer eine vollständige Aufzeichnung über die Vorkommnisse und Veränderungen bzgl. Inventar etc. in Händen der Rhederei befindet.
Wir machen darauf aufmerksam, dass alle Eintragungen genau, aber möglichst kurz zu halten sind.
Etwaige nachträgliche Zusätze oder Änderungen dürfen nur mit roter Tinte vorgenommen werden.
Etwa nicht vorgedruckte, aber an Bord vorhandene Inventarstücke sind an gehöriger Stelle im Buche mit allen wissenswerten Einzelheiten einzuschalten.“

Ich kann mir vorstellen, dass die Führung des Inventarbuches nicht zu den Lieblingsaufgaben eines 1. Offiziers gehörte.

Das Inhaltsverzeichnis des Inventarbuches umfasst 56 Positionen, einige davon sehr kurz, andere aber mehrere Seiten lang.

Nicht alle Positionen waren auch auf allen Schiffen vorhanden. Eine, die es logischerweise immer gab, war die Kajüte des Kapitäns. Fangen wir damit an.

Inventory, table of contents, Neumünster, 1911 to 1914

Inventarbuch des Schiffes „Neumünster“, Inhaltsverzeichnis © mit freundlicher Genehmigung des State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.19

 

Die Kajüte (Kammer) des Kapitäns

Natürlich hatte der Kapitän eine Kajüte zur Einzelbenutzung (im Inventarbuch wird das Wort Kapitänskammer gebraucht). Dieses Privileg genossen außer ihm nur noch die vier Schiffsoffiziere sowie der erste und der zweite Maschinist. Als einzigem auf dem Schiff war dem Kapitän ein eigenes Badezimmer und sogar ein eigenes WC vergönnt.

Aus dem Plan der „Lübeck“ geht hervor, dass der Kapitän über eine eigene Etage verfügte, auf der sonst nur noch der Sanitätsraum für die Offiziere untergebracht war.

Auf der sieben Jahren älteren „Fürth“ muss die Raumaufteilung jedoch anders gewesen sein, denn sie hatte im Brückenhaus ein Deck und auch ein paar Räume weniger: es gab keinen Telegrafenraum und auch keinen Sanitätsraum für die Offiziere (sondern nur einen einzigen Sanitätsraum für die ganze Besatzung).

Auf der „Lübeck“ hatte die Kapitänskammer geräumige 16,5 m2.

Die Inventarliste listet Gegenstände auf, sagt jedoch nichts über deren Qualität aus.

In dem Artikel über die Probefahrt des Schiffes „Hamm“ im Juni 1910 heißt es über die Einrichtung der Kapitänskajüte immerhin:

„Salon, Kapitäns- und Offizierswohnräume sind elegant eingerichtet.“
Quelle: Hamburgischer Korrespondent und Neue Hamburgische Börsen-Halle, 5. Juni 1910, Seite 6, http://www.europeana.eu

 

Die Einrichtung

Die Kammer verfügte über eine (Schlaf-)Koje zum Ausziehen, die mit einer Matratze „mit Keil und Vergrößerung“ ausgestattet war und außerdem mit einer Schlafrolle.

Weitere Möbelstücke waren ein Tisch (mit Wachstuch und einer Tischdecke), ein „Sopha mit Kissen“, ein Schreibtisch, ein Lehnstuhl, ein Bücher- und zwei Kleiderschränke, ein Spiegel und eine Waschkommode mit Zubehör.

Für die Beheizung der Kammer gab es einen Dampfofen.

Als Beleuchtung verfügte die Kammer über eine Hänge- und eine Stehlampe und einen Leuchter. Als Zubehör gab es einen Streichholzständer.

Vier Fenstergardinen, zwei Bettgardinen, zwei Portieren, ein Satz Wollläufer, ein Teppich und vier Möbelbezüge machten die Kammer wohnlicher.

Für seine Arbeit hatte der Kapitän eine „Copierpresse“, Schreibzeug und einen Blechkasten für Schiffspapiere.

Kopierpresse, Copierpresse, um 1900

Kopierpresse: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kopierpresse.jpg; This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International, 3.0 Unported, 2.5 Generic, 2.0 Generic and 1.0 Generic license; Wiedergabe in Sepia.

Die Kopierpresse

„(1780 von James Watt erfunden) besteht in ihrer einfachsten und gebräuchlichsten Form aus zwei eisernen Platten, die durch eine Schraube oder durch Hebel und Exzenterscheibe aneinander gepreßt werden.“

„Das zu kopierende Schriftstück legt man auf ein 
Blatt Wachspapier und bedeckt es mit einem gleich großen Blatt ungeleimten Seidenpapiers, das entweder vorher befeuchtet oder mit feuchtem Schirting bedeckt wird; schließlich legt man noch ein Blatt Wachspapier auf und setzt das Ganze dem Druck der Kopierpresse aus. Die Tinte wird durch die Feuchtigkeit etwas erweicht, und es dringt davon so viel durch das Seidenpapier, daß die Schriftzüge auf dessen oberer Seite lesbar werden.“

Auszug eines Artikel über das Kopieren aus: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 1905, der vollständige Artikel findet sich hier:
http://www.zeno.org/Meyers-1905/A/Kopieren

 

Die Ausstattung der Kapitänskammer komplettierten eine Wasserflasche und Wassergläser „mit Bort“ sowie ein Spucknapf, ein aus heutiger Sicht eher ungewöhnliches Utensil.

In der Inventarliste der „Neumünster“ sind außerdem ein elektrischer Ventilator, ein Schlüsselbrett, sowie ein Satz Kokosläufer vorgedruckt und auch handschriftlich im Sollbestand vermerkt. Die Abwesenheit dieser Gegenstände ist über die fünf im Buch vermerkten Fahrten stets vermerkt worden, allerdings hatten sie offenbar aber auch niemandem gefehlt, so dass sie nie ergänzt wurden.

Einzig hinter dem Satz Kokosläufer wurde vermerkt, dass sie neu zu beschaffen seien, anscheinend hatte sie der neue Kapitän auf der vierzehnten Fahrt vermisst (nach der dreizehnten Fahrt übernahm Kapitän Herrmann das Schiff von Kapitän Peter Kiel).

Weiter ist der Inventarliste zu entnehmen, dass nach der dreizehnten Fahrt das Wachstuch des Tisches ausgewechselt wurde.

Eine letzte handschriftliche Notiz findet sich hinter dem Spiegel, hierzu heißt es: „neu belegen“. Das würde heute auch keiner mehr tun, soviel zum Thema Nachhaltigkeit.

Wilhelm Hester, crew member, about 1900

Mannschaftsmitglied an Bord eines nicht genannten Schiffes um 1900; Aufnahme: Wilhelm Hester (in Hamburg geborener amerikanischer Fotograf, 1872-1947) Quelle: commons.wikimedia.org; Crew member sitting in interior of unidentified ship, Washington, ca 1900 (HESTER 841).jpeg

 

Das Badezimmer

Die Inventarliste gibt auch Auskunft über das Badezimmer des Kapitäns. Naturgemäß ist die Liste recht kurz. Das kleine Bad (3,25 mauf der „Lübeck“) verfügte über:

eine Badewanne, eine Dusche, eine Bank und einen Spiegel, eine Lampe und einen Waschtisch mit Zubehör sowie einen Garderobenhalter. Die Dusche dürfte über der Wanne gewesen sein, ein eigener Platz war im Schiffsplan nicht dafür vorgesehen.

Im Sollbestand waren außerdem zwei Fenstergardinen vermerkt, die allerdings laut Istbestand nie an Bord waren.

Im Vordruck ist außerdem ein Gräting vorgesehen, also ein begehbarer Gitterrost, der jedoch bereits im Soll-Bestand mit einem Strich versehen ist.

Das WC

Noch kürzer ist die Inventarliste für das „W. C. für Kapitän“: eine Lampe und ein Papierhalter. Punkt. Weder der im Vordruck eingedruckte Gräting, noch die Fenstergardine sind im Soll- und damit auch nicht im Istbestand.

 

Die Offiziere

Laut Inventarliste waren die Kammern der Offiziere ähnlich ausgestattet wie die des Kapitäns, wenn auch mit weniger Gegenständen. Die Hierarchie kann genau abgelesen werden, die Länge der Liste verkürzt sich vom 1. Offizier zum 4. Offizier deutlich.

Hatte der 1. Offizier noch eine Koje zum Ausziehen, waren die Kojen der anderen Offiziere offensichtlich schmäler, da nicht zum Ausziehen.

Die Waschkommode in der Kapitänskammer wurde bei allen Offizieren durch einfachere Waschtische ersetzt.

Hatte man dem Kapitän einen Bücherschrank zugestanden, waren es für den 1. und 2. Offiziere nur noch Bücherbords und für den 3./4. Offizier nichts dergleichen.

In wie weit sich die einzelnen Möbel oder Ausstattungsgegenstände qualitativ unterschieden, geht aus der Inventarliste natürlich nicht hervor.

Auch die Größe der Offizierskammern spiegelte die Hierarchie wieder:
9,6 m2, 8,1 m2, 6,9 m2 und 6,6 m(Schiff „Lübeck“).

Die Offiziere verfügten gemeinsam über ein eigenes Badezimmer und ein eigenes WC. Für das Badezimmer sind die gleichen Einrichtungsgegenstände vermerkt, wie für das Badezimmer des Kapitäns, bis auf den begehbaren Gitterrost (Gräting).

Für das WC der Offiziere ist eine Lampe und ein Papierhalter vermerkt.

Wilhelm Hester, three man, ship's interior, about 1900

Drei Mannschaftsmitglieder an Bord eines nicht genannten Schiffes um 1900; Aufnahme: Wilhelm Hester (in Hamburg geborener amerikanischer Fotograf, 1872-1947) Quelle: commons.wikimedia.org; Three crew members, interior of unidentified ship, Washington, ca 1900 (HESTER 446).jpeg

 

Maschinisten

Ganz ähnlich ausgestattet waren die Kammern des ersten und zweiten Maschinisten.

Der erste Maschinist hatte als einziger neben dem Kapitän das Privileg, einen eigenen Schreibtisch in seiner Kammer zu haben, ansonsten ähnelte die Ausstattung der des ersten Offiziers. Die Kammer hatte auf der „Lübeck“ 8,2 m2. Die Koje des ersten Ingenieurs war wie die des ersten Offiziers und des Kapitäns ebenfalls zum Ausziehen.

Der Kapitän, der 1. Offizier und der 1. Maschinist wurden von der Mannschaft übrigens oft spöttisch die „drei Eisheiligen“ genannt. Warum das so war, kann mir vielleicht ein Leser erklären, der zur See gefahren ist. Danke im Voraus für die Aufklärung!

Ab dem 2. Maschinisten wurde das „Sopha“ durch eine einfachere „Sophabank“ ersetzt, seine Kammer hatte 7,4 m2.

Die 3./4. Maschinisten sowie die beiden Maschinen-Assistenten mussten sich jeweils eine Kammer zu zweit teilen, die gerade einmal 6,6 m2 hatte.

Wilhelm Hester, man, interior of ship, about 1900

Mannschaftsmitglied an Bord eines nicht genannten Schiffes um 1900; Aufnahme: Wilhelm Hester (in Hamburg geborener amerikanischer Fotograf, 1872-1947) Quelle: commons.wikimedia.org; Man writing at desk, interior of unidentified ship, Washington, ca 1900 (HESTER 447).jpeg

 

Wilhelm Hesters außergewöhnliche Fotografien

Wilhelm Hester wurde 1872 in Hamburg geboren und wanderte 1893 an die Nord-Westküste der USA aus. Er gründete in Seattle ein Fotogeschäft, machte Aufnahmen von Schiffen und deren Besatzungsmitgliedern und verkaufte diesen anschließend die Bilder.

Die Vorliebe Hesters waren Segelschiffe, die in diesem Beitrag gezeigten Innenaufnahmen dürften daher eher das Innere von Segelschiffen zeigen. Angaben zu den abgebildeten Schiffen gibt es jedoch nicht.

Über das Leben des Fotografen Wilhelm Hester ist sehr wenig bekannt. Robert A. Weinstein fasste es 1982 in seinem Buch „Four Maritime Photograph Collections: A Guide to Morrison, Hester, Morton-Waters, and Procter Collections“, National Maritime Museum (U.S.) wie folgt zusammen (eigene Übersetzung aus dem Englischen; ich kenne bis dato keine deutsche Darstellung des Lebenslaufs Wilhelm Hesters, Quelle abgerufen über books.google.fr):

Zu wenig ist über Hesters Leben bekannt. Er wurde im Oktober 1872 in Hamburg Mitte geboren. Er und sein Bruder Ernst verließen ihre norddeutsche Heimat und erreichten 1890 die Ostküste Amerikas. 1890-1893 verbrachten sie in Montana; über ihren Aufenthalt dort ist nichts bekannt. Im Herbst 1893 kamen sie in Seattle an. Kurz nach ihrer Ankunft begann Hester mit seinem Bruder Ernst zu fotografieren. Er tat dies bis 1898, als er Seattle für ein Jahr verließ, um am berühmten Klondike in Alaska nach Gold zu suchen. Es scheint, dass er die Fotografie im Jahr 1905 oder 1906 aufgegeben hat, als er 34 Jahre alt war. Vielleicht ist er nur kürzer getreten, aber es gibt wenig Hinweise unter seinen erhalten gebliebenen Fotografien, dass er über diese Zeit hinaus weiter aktiv war.
Er spekulierte in Immobilien in Kings County und machte ordentlich Geld damit. Dann kaufte er ein schönes Haus auf dem Queen Anne Hill in Seattle und lebte dort. Medizinische Hilfe ablehnend, starb er am 25. Februar 1947 im Virginia Mason Krankenhaus in Seattle an einem blutenden Geschwür. Sein Nachlassverwalter, Raymond C. Punette, erinnert sich an ihn in den letzten Lebensjahren als einen „mittelgroßen, dünnen, glattrasierten Mann, sehr starrköpfig, ein wenig sparsam und ein Sammler von Allem bis hin zu einer pathologischen Besessenheit“.

Auch wenn Hester seine Aufnahmen kommerziell vermarktete, wurde den Fotografien, zumindest posthum, künstlerischer Wert zuerkannt.

Sie finden sich heute unter anderem im Getty Museum in Los Angeles oder im San Francisco Maritime National Historical Park.