Momentaufnahme in Sydney
Titelbild: Mannschaftsliste Dampfschiff „Fürth“, 6. Juli 1911, © State Records Authority of New South Wales, Shipping Master’s Office; Quelle: http://marinersandships.com.au/
Heute kann ich Ihnen nach langer Zeit mal wieder eine neue Mannschaftsliste des Dampfschiffes „Fürth“ präsentieren. Sie ist aus dem Jahr 1911.
Zu verdanken ist das Mary-Anne Warner und ihren freiwilligen, ehrenamtlichen Helfern und Helferinnen in Sydney, die Mannschaftslisten einlaufender Schiffe in Sydney von 1845 – 1922 einscannen und dazu noch eine Transkriptionsliste erstellen (siehe Abbildung am Ende des Beitrags) und diese im Internet allgemein verfügbar machen. Das Projekt ist schon sehr weit fortgeschritten und bis 1910 und auch für das Jahr 1922 schon abgeschlossen. Die Jahren 1911 bis 1921 sind noch nicht vollständig, werden aber weiter regelmäßig ergänzt.
Ohne dieses Projekt wären viele der hier im Blog veröffentlichten Artikel schlicht und einfach nicht möglich gewesen. Die Listen geben nicht nur Auskunft über die Mannschaften, sondern auch über die Ankunft der Schiffe im Allgemeinen, zumindest für den Hafen Sydney. An dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank für diese fantastische Arbeit.
Die Original-Mannschaftslisten befinden sich bei der State Records Authority of New South Wales, sie mussten von den ankommenden Schiffen bei der Hafenbehörde (Shipping Master’s Office) abgegeben werden.

Darling Harbour, Sydney, im Vordergrund Hafenanlagen von Pyrmont, rechts die Pyrmont Bridge, um 1900; Quelle: Powerhouse Museum from Sydney über https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Darling_Harbour,_1900.jpg
Ortsangaben
Die hier vorgestellte Liste ist aus einem bestimmten Grund besonders interessant. Sie enthält nämlich in der Spalte der Einträge des Geburtslandes bzw. der Geburtsstadt nicht nur den, in der damaligen Zeit üblichen Eintrag „Germany“. Der Ersteller der Liste hat sich vielmehr die Mühe gemacht, für jedes Mannschaftsmitglied auch die Geburtsstadt anzugeben.
Das war nur noch selten der Fall und für das Dampfschiff „Fürth“ ist es nur die Liste der Jungfernfahrt, die bislang diese Angaben enthalten hat. Alle späteren Listen enthalten nur noch die Nationalitäten, nicht aber die Geburts- bzw. Wohnorte.
Für die Ersteller der Listen war das natürlich eine willkommene Vereinfachung, aber aus heutiger Sicht ist die Angabe des Ortes eine wunderbare Gelegenheit, mehr über die Herkunft und Identität der Seeleute zu erfahren.
Die Liste selbst ist bunt durcheinander gewürfelt, eine Ordnung ist nicht zu erkennen. Im Folgenden ordne ich die Einträge der Übersichtlichkeit halber in Deck- und Maschinenmannschaft, wobei ich jeweils mit den Offizieren beginne.

Woolloomooloo Bay, Sydney, Postkarte, teilweise koloriert, gelaufen 1910; Quelle: National Museum of Australia, Ref.: 1986.0117.6471
Von Frederikstadt über Geelong
In der Titelzeile ist der Heimathafen des Schiffes (Hamburg) und der Name des Kapitäns, C B. Saegert angegeben. Saegert war von August 1907 bis Ende August 1912 verantwortlicher Schiffsführer der „Fürth“.
Die Tonnage der „Fürth“ ist ebenfalls im Eintrag vermerkt: 4229/2640 Tonnen (brutto und netto).
Als Abfahrtshafen ist Frederikstadt via Geelong eingetragen.
Es war die neunte Australienfahrt der „Fürth“ und die einzige, auf der das Schiff auf der Skandinavien -Linie der Reederei eingesetzt war. In Gothenburg/Schweden, Christiania (Oslo) oder Frederikstadt/Norwegen wurden große Holzmengen aufgenommen und nach Australien verschifft. Das war zum einen Bauholz und zum anderen Rohstoff für Papiermühlen (wood pulp). SIEHE Die „Fürth“ in Skandinavien UND Die Barwon-Papiermühle in Fyansford, Geelong

Norwegian Steamer Cambodia at Yarra Street Pier, c. 1905, unloads Baltic Timber at Yarra Street Pier. Quelle: Geelong Heritage Centre Main Photographic Collection
Mannschaftsstärke
Die Zahl der regelmäßigen Besatzung, einschließlich des Schiffsführers, sowie des ärztlichen, Maschinen-, Verwaltungs- und Dienstpersonals betrug für das Schiff „Fürth“ vierzig Personen. Diese Angabe ist in der Anzeige der Reederei betreffend Eintragung eines Schiffes in das Register für Schiffe gemacht worden. SIEHE: Der Bielbrief der „Fürth“ und die Eintragung ins Schiffsregister
Die Liste umfasst jedoch nur 36 Mannschaftsmitglieder plus Kapitän Saegert. Es ist daher sicher, dass dem Kapitän in den zuvor angelegten australischen Häfen Fremantle, Melbourne oder Geelong ein paar Seeleute abhandengekommen sind (siehe unten). Vor allem Melbourne und Geelong mit 10 und 11 Tagen Liegezeit boten reichlich Gelegenheit dazu.
Desertion war eine übliche Praxis und ein Prozentsatz von 15-25 % desertierenden Seeleuten nichts Ungewöhnliches. SIEHE: Dampfschiff „Fürth“: Tagebuch-Spezial – Deserteure, Einschleicher und wechselndes Personal
Passagiere waren keine an Bord, der Eintrag lautet daher „NIL“.
Kapitän und Decksoffiziere
Angaben zum Kapitän gibt es in den Mannschaftslisten in der Regel nicht, er war ja nicht Teil der Mannschaft, sondern deren Arbeitgeber. SIEHE: Die Musterrolle (Originaldokument aus den Jahren 1913/1914)
Ausnahmen bestätigen die Regel und aus einer Liste vom 21. März 1909 wissen wir, dass er zu diesem Zeitpunkt 56 Jahre alt war und dann am 6. Juli 1911 folglich 58 oder 59 gewesen sein muss. In der oben erwähnten Anzeige aus dem August 1907 war sein Wohnort mit Rostock angegeben worden.

Kapitän C. B. Saegert, Unterschrift mit Altersangabe auf der Meldeliste für die Hafenpolizei in Syndey am 21. März 1909

Ausschnitt aus Seite 4 der Anzeige für die Eintragung der „Fürth“ ins Schiffsregister; © Staatsarchiv Hamburg, Schiffsregisterakte Schraubendampfer Fürth, Registernr. 3656, Ref. 231-4_3005
Zu den Offizieren:
I. Offizier K. Alfred Steinorth, 35, Sund Wiese
Steinorth war langjähriger Offizier auf der „Fürth“.
Seit spätestens März 1909 war er zweiter Offizier und ab Dezember 1910 erster Offiizer. Er blieb es mindestens bis Januar 1914, bis er dann seinem Kapitän als erster Offizier auf das Schiff „Ulm“ folgte. SIEHE: Die „Ulm“ in Ambon (Teil 1 von 2) und Die „Ulm“ in Ambon (Teil 2 von 2)
Der ungewöhnliche Eintrag des Geburtsortes „Sund Wiese“ führt uns auf die Insel Zingst, wo ein Teil der Insel östlich des Ortes Zingst als Sundische Wiese bezeichnet wird. Dort gab es einige Gehöfte mit insgesamt 140 Einwohnern. Auch der Name Steinorth war dort verbreitet.
Sobald ich mehr über den Offizier Alfred K. Steinorth herausgefunden habe, werde ich darüber im Blog berichten.

Sundische Wiese, Meyers Orts- und Verkehrslexikon des Deutschen Reichs 1912; Quelle: Meyers Gazetteer, https://www.meyersgaz.org/place/20916031
Zweiter Offizier war L. Karl Albrech, 27, aus Wardow im Landkreis Rostock, dritter Offizier C. Alfred Hockenholz, 32 aus Gardelegen im Altmarkkreis Salzwedel (Sachsen-Anhalt) und vierter Offizier Eduard Ihlefeld, 28 aus Grevesmühlen, Landkreis Nordwestmecklenburg.
Ihlefeld hatte auch die vorherige Fahrt der „Fürth“ schon als vierter Offizier mitgemacht. SIEHE: Die Mannschaft der Fuerth
In dieser Liste aus dem Jahr 1910 gibt es auch einen K. L. H. Albrecht als zweiten Offizier, so dass ich davon ausgehe, dass wir es hier mit der gleichen Person zu tun haben. Ebenso der dritte Offizier, der in der Mannschaftsliste vom Dezember 1910 als C. A. Hackenholz eingetragen ist.
Sie sehen also, dass die Schreibweise von Namen (und Orten) in den Mannschaftslisten mit Vorsicht zu genießen ist. Das sollte man im Hinterkopf haben, wenn man sich auf die genealogische Suche macht.
Decksmannschaft
Erster Bootsmann der „Fürth“ war Friedrich Tomrop, 56, aus Windau. Er war damit der älteste an Bord. Die Stadt Windau im Kurland heißt heute Ventspils und gehört zu Lettland. Zweiter Bootsmann war der 30-jährige Willy Triest aus Berlin.
Heinrich Enoch, 24, aus Ellerbeck (Landkreis Osnabrück) war der Schiffszimmermann.
Unter den Vollmatrosen finden wir Eduard Netz (25) aus Rotzog, heute Rosocha, in Westpommern (im heutigen Polen), Otto Mertens (29) und Willy Jepsen (20), beide aus Hamburg, H. Ziemendorf (25) aus Wittenberge sowie den Deutschen Alexander Utechin (23, ohne Ortsangabe) und den Niederländer Floringh (49). Bei Floringh ist als Ort Smihle angegeben, eventuell ist das die Stadt Smilde.
Als Leichtmatrosen/Jungmänner waren Ernst Deiss, 17 aus Iserlohn und Dietrich Hagenah, 16 aus Stade an Bord und als Schiffsjunge („Moses“) Friedrich Kruse, 15 aus Kiel.
Auch bei den Matrosen ist die Schreibweise nicht immer gesichert. In der Liste der achten Reise (Dezember 1910) gibt es eindeutig auch W. Jepsen, Utechin finden wir als Utechen und Hagenah als Hagenach.
Koch war Th. Wilhelm Flüchter, 46 aus Ennigerloh im Kreis Warendorf (Münsterland), sein Assistent Otto Wursbech, 27 aus Stangerode (heute Teil der Stadt Arnstein, Landkreis Mansfeld-Südharz in Sachsen-Anhalt).
Flüchter war auch schon bei der vergangenen Fahrt an Bord, Kapitän Saegert wird wohl zufrieden mit ihm gewesen sein. Einen guten Koch zu finden, war nicht einfach. SIEHE: Dampfschiff „Fürth“: Bordverpflegung nach Musterrolle
Der Service oblag Karl Inka (1. Steward, 19) aus Eckartsberga (Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt) und Johannes Fechter, (2. Steward, 20) aus Amstetten. Die deutsche Gemeinde Amstetten liegt im Alb-Donau-Kreis in Baden-Württemberg. Ich würde allerdings auch das niederösterreichische Amstetten nicht ausschließen wollen. Auch die Länderangaben sind nicht immer korrekt.

Kesseltelegraf auf der Brücke – Bild symbolisch (Quelle: Pixabay)
Maschinenmannschaft
Als Chefingenieur war Phil. Josef Hess, 42 aus Rastatt (Baden-Württemberg) an Bord.
Es ist sicher keine Überraschung festzustellen, dass die meisten Mannschaftsmitglieder aus der Nordhälfte Deutschlands kamen. Hess bildete mit wenigen anderen eine Ausnahme.
Zweiter Ingenieur war Carl Gustav Wilke, 30, aus Hamburg, dritter Ingenieur Jonny Kesten, 24, aus Hemelingen, heute ein Stadtteil von Bremen. Als vierter Ingenieur war Jürgen Hensen, 25, aus Nordburg, Landkreis Celle an Bord.
Komplettiert wurden die Maschinisten durch die beiden Assistenten Johs. (Johannes?) Hoeck, 24, aus Flensburg und G. Barkow, 21. In der Liste steht Coxeburg, das allerdings nicht existiert. Eventuell ist Coburg gemeint?
Heizer auf der „Fürth“ waren am 6. Juli 1911 Julius Lust (30) aus Wernerheide (ev. in Bochum?), Albert Juch (30) aus Hermannsacker (Landkreis Nordhausen, Thüringen), Hans Harms (33) aus Hamburg und Johann Przywarka (25) aus Groß-Borek (Oberschlesien, heute Borki Wielki). Ferner August J. Queisser (30) aus Blumberg im Schwarzwald-Baar-Kreis, J. Carl Adelmann aus Rastatt und H. Gustav Seidel (37) aus Penig im Landkreis Mittelsachsen.
Für den Kohlennachschub sorgten die Kohlenzieher (Trimmer) R. Curt Richter (22) aus Cölln bei Meißen, Leopold Schlecher (25) aus München und Wilhelm Müller (32) aus Essen.
Zusammen macht das 10 Heizer und Trimmer. Hier war die „Fürth“ definitiv unterbesetzt. Normalerweise sollten das mindestens vierzehn Personen sein. Kapitän Saegert musste also in Sydney nachmustern.

Dampfschiffe im Hafen von Wooloomooloo, Mai 1914, links im Bild die „Mannheim“, Deutsch-Australische Dampfschiff-Gesellschaft; Australian National Maritime Museum on The Commons, Object no. 00017565
Erkennen oder vermuten Sie einen Ihrer Vorfahren in der Mannschaftsliste? Alle Informationen, die Hinweise zu den auf dem Schiff gefahrenen Männern geben, sind herzlich willkommen.
Vielleicht geben noch vorhandene Aufzeichnungen oder Fotos noch weitere Details aus dem Alltag auf See bei der Kaiserlichen Handelsmarine im Allgemeinen oder sogar dem Schiff „Fürth“ im Speziellen preis.
Ich gebe die Hoffnung nach weiterem Material noch nicht auf, schließlich war auch der Fund des Schiffstagebuchs der „Fürth“ in Liverpool eine nicht vorhersehbare Entdeckung! SIEHE: Ein Logbuch der „Fürth” in Liverpool

Mannschaftsliste Dampfschiff „Fürth“, 6. Juli 1911, Transkription der Originalliste des State Records Authority of New South Wales, Shipping Master’s Office; Quelle: http://marinersandships.com.au/