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Heizer Zeichnung um 1921

Schicksal des verschollenen Schiffsheizers Emil Steiner aufgeklärt

Titelbild: Zeichnung „Heizer“ von Karl Wiener (Zeichner, Grafiker 1901-1949), um 1921, Wien Museum Inv.-Nr. 250533/770, Lizenz CC0 (gemeinfrei); https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/40446/

Große Freude in Utzenstorf

Im Jahr 1912 verschwand der Schiffsheizer Emil Steiner spurlos. Seine Familie hat seitdem nichts mehr von ihm gehört.

Der Lokalhistorikerin Barbara Kummer-Behrens aus Utzenstorf im Kanton Bern ist es jetzt nach über 100 Jahren gelungen, das Schicksal Emil Steiners aufzuklären – dank des Artikels über den verschollenen Frachtdampfer „Augsburg“ hier im Blog.

Ich übergebe das Wort an Barbara Kummer-Behrens, die uns die spannende Geschichte Emil Steiners selbst erzählt:

Vor mehr als 40 Jahren erzählte mir meine Nachbarin, Frau Lily Lüthi-Liechti, dass ein Vorfahre aus ihrer Familie, mit Namen Emil Steiner, sich als Heizer auf der „Titanic“ gemeldet habe, aber nicht angenommen wurde. Er habe sich kurz darauf auf einem anderen Dampfer anheuern lassen und sei vermutlich nach New York gefahren. Vielleicht sei er von Amerika so begeistert gewesen, dass er im Land blieb.

Man habe aber nie mehr etwas von ihm gehört!

Frau M. Gugger und Frau Lily Lüther-Liechti, „Landi-Jubiläum“ 1973 in Interlaken; Foto aus Privatbesitz von Barbara Kummer-Behrens

Das war die Geschichte, die ich vom Hörensagen kannte.

Ein weiteres Treffen hatte ich mit Frau Trudi Hertig-Anliker in Utzenstorf. Frau Hertig war mit der Familie Steiner verwandt und konnte mir interessante Hinweise geben.

Später habe ich versucht, diesen Emil Steiner in den Kirchenbüchern von Utzenstorf ausfindig zu machen, um einen kleinen Stammbaum zu erstellen. Das war nicht einfach, denn in Utzenstorf gibt es sehr viele Familien mit dem Familiennamen Steiner und auch die Vornamen wiederholen sich laufend.

Um diese verschiedenen Familien unterscheiden zu können, setzte der damalige Pfarrer die Berufsbezeichnung oder den Spitznamen hinter den Eintrag in den Kirchenbüchern. Die Vorfahren des Emil Steiner waren Sattler von Beruf und lebten an der Quellgasse in der Nähe der Dorfbachquelle.

Utzensdorf Bernerland
Luftaufnahme der Quellgasse in Utzenstorf mit Haus der Familie Steiner, heute Samuel Lüthi, Quellgasse 15; Foto H.U. Kummer

Stammbaum Emil Steiner

Am 26. Januar 1885 starb Johann Steiner, Ehemann der Anna Elisabeth, geb. Anderegg, Sohn des Urs Steiner, Sattlermeister und Landwirt im Oberdorf. Kinder dieses Ehepaares waren:

Elise 2.12.1860-13.7.1940 Wärterin in der Rosegg, ledig
Marianne geb. 28.8.1863, verheiratet mit Jakob Hertig
Johann Steiner geb. 18.1.1867, verheiratet mit Agnes von Arx
Jakob Steiner geb. 3.1.1871, Landwirt
Emil Steiner 31. 3. 1875, Schiffsheizer, Brandenburg, verschollen 1912
Louise Steiner 16. 11. 1878

Tatsächlich war also in einem der Kirchenbücher hinter dem Namen Emil Steiner die Bezeichnung «Schiffsheizer, Brandenburg, verschollen 1912» angebracht worden, damit hatte ich den «richtigen» Steiner gefunden!

Anmerkung: Der Eintrag deutet darauf hin, dass die letzte bekannte Station des Schiffsheizers Emil Steiner der Dampfer „Brandenburg“ des Norddeutschen Lloyd Bremen war. Ab 1910 war die „Brandenburg“ im Linienverkehr zwischen Bremen – Philadelphia im Einsatz.

Brandenburg NDL
Dampfschiff „Brandenburg“ Norddeutscher Lloyd Bremen, Postkarte, Fotograf M. Cooper, Aufnahmedatum unbekannt (1902-1914); Quelle: Mitchell Library, State Library of New South Wales über trove.nla.gov.au

Den Eintrag im Taufregister für Emil Steiner fand ich ebenfalls:

Eintrag des Emil Steiner im Taufregister; Quelle: Gemeinde Utzenstorf

Herr Bruno Sommer vom Zivilstandsamt in Langnau übermittelte mir freundlicherweise auch den Eintrag im Burger-Rodel:

Anmerkung: Der Burger-Rodel ist ein Personenregister in Buchform, in dem alle Bürgerinnen und Bürger einer Schweizer Gemeinde eingetragen sind.

Der junge Emil Steiner

Manchmal findet man im Burger-Rodel Hinweise, die der Pfarrer zu einzelnen Familienmitgliedern auf den entsprechenden Seiten des Verzeichnisses anbringt, aber leider war das bei Emil Steiner nicht der Fall.

Es heisst nur, dass er am 6. Mai 1890 einen «Heimatschein» ausgefertigt bekam. Einen Heimatschein benötigte man als Ausweispapier, wenn man die Gemeinde verliess, um in einem anderen Kanton eine Arbeitsstelle oder eine Lehre anzutreten.

Im Mai 1890 war Emil Steiner 15 Jahre alt. Wollte er eine Lehre anfangen oder ein Jahr im Welschland die französische Sprache lernen? Man weiss es nicht.

Mehr Informationen waren nicht zu erhalten, weder Herr Dr. Benjamin Ryser vom Staatsarchiv des Kantons Bern, noch Herr Christian Boesch vom VBS, Bibliothek am Guisanplatz in Bern, konnten Hinweise auf unseren Emil Steiner aus Utzenstorf in den alten Akten finden.

Utzenstorf Kanton Bern
Luftaufnahme von Utzenstorf aus 200 m Höhe, 1920, Fotograf Walter Mitterholzer, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:ETH-BIB-Utzenstorf_aus_200_m-Inlandfl%C3%BCge-LBS_MH01-002603.tif

Emil Steiner verlässt die Heimat

Der junge Emil Steiner war mit 20 Jahren «stellungspflichtig», das heisst alle jungen Männer des Jahrganges mussten sich in Fraubrunnen zur «Aushebung» (militärische Musterung) melden.

Anmerkung: Der Amtsbezirk Fraubrunnen war eine Verwaltungseinheit im Kanton Bern.

Emil Steiner taucht in keinem dieser Verzeichnisse auf. Daher vermute ich, dass er bereits in ganz jungen Jahren die Schweiz verlassen hat.

In Jeremias Gotthelfs Roman «Leiden und Freuden eines Schulmeisters» beschreibt der Dichter, wie es dem Bendicht Wehrdi erging, der nach einem Streit in der Familie die Heimat für immer verlassen wollte:

«…von Langenbrucker Kuhhändlern hatte ich gehört, dass in Basel das Loch sei, wo man zum Land (hin)aus könne. Dahin steuerte ich also… …so kam ich endlich als Schiffsjunge auf ein holländisch(es) Schiff, das nach Batavia ging, nachdem ich mit Holzflössern den Rhein (hin)ab gefahren war…»

Anmerkung: Der Schweizer Schriftsteller Jeremias Gotthelf (1797 – 1854) verbrachte einen Teil seiner Jugend in Utzenstorf.

Utzensdorf Bernerland
Utzenstorf, Ansicht mit Pfarrhaus und Kirche aus dem Jahr 1824 von Jakob Samuel Weibel; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:CH-NB_-_Utzenstorf_-_Collection_Gugelmann_-_GS-GUGE-WEIBEL-D-143.tif

Hatte Emil Steiner ebenfalls Streit mit seiner Familie gehabt?

Es wäre möglich, denn eigentlich war er der jüngste Sohn und hätte nach dem Gesetz im Kanton Bern die Hofnachfolge antreten sollen. Aber es war sein um vier Jahre älterer Bruder Jakob, der mit seiner jungen Familie den Hof übernommen hatte.

Auf dem elterlichen Hof sind keine alten Dokumente mehr vorhanden und das machte die Suche nach dem verschollenen Utzenstorfer bedeutend schwieriger.

Das Schicksal Emil Steiners klärt sich auf

Auf gut Glück tippte ich den Suchbegriff «Emil Steiner Utzenstorf» bei Google ein und landete einen Volltreffer:

Im Blog über den Frachtdampfer „Fürth“ und in der Fülle von Informationen über Schiffe, Routen, Passagiere und Mannschaften «tauchte» unser Emil Steiner im Artikel Verschollen und vergessen: der Frachtdampfer „Augsburg“ auf.

Dort war die Mannschaftsliste der „Augsburg“ aufgeführt und unter den Schiffsheizern befand sich Emil Steiner aus Utzensdorf.

Heizer
August Zoller, Mosnang
Max Drunkenpolz – Kötzling
J. J. Richard Putz – Berlin
Rich. E. Stubbe – Birken
Emil Steiner – Utzensdorf
Henry Szameitpreugsch – Memel
Jakob Baudy – Grafenhausen
Quelle: aus einer Zeitungsmeldung des Hamburger Anzeigers vom 30. März 1912; Quelle: europeana.eu

Utzenstorf wurde früher wahlweise mit «d» oder mit «t» geschrieben!

steamer Augsburg 1896
Der Frachtdampfer „Augsburg“, Aufnahmedatum unbekannt (1896-1912); © R. Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, S. 30, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven 1984, Aufnahme aus der Sammlung A. Kludas.

Anmerkung: Der Frachtdampfer „Augsburg“ hatte den Hafen von New York am Freitag, den 2. Februar 1912 mit Petroleum in Kanistern (“cased oil“) und Stückgut in Richtung Batavia verlassen. Der nächste Hafen, der für die Aufnahme von Bunkerkohle angelaufen werden sollte, war Durban (Südafrika). Nach dem Verlassen von New York wurde die „Augsburg“ nie mehr gesehen. Der Frachtdampfer mit etwa 40 Mann Besatzung gilt bis heute (März 2023) als verschollen.
SIEHE: Verschollen und vergessen: Der Frachtdampfer „Augsburg“

Die Nachricht vom Untergang Emil Steiners mit der „Augsburg“ hat seine Familie offensichtlich nie erreicht. Denn sonst hätte man Gewissheit über das Schicksal Emils gehabt.

So hat die Familie wohl eine lange Zeit tagein tagaus auf eine Nachricht ihres Sohnes gehofft.

Man kann sich heute im digitalen Zeitalter kaum vorstellen, wie lange man damals auf Nachrichten von Freunden und Verwandten in Übersee warten musste. Oft waren es nur kleine Zeitungsinserate, die die glückliche Ankunft eines Schiffes im Bestimmungshafen meldeten. Briefe und Postkarten konnten monatelang unterwegs sein.

Nüchterne Beschreibung trauriger Schicksale

Ein Jahr nach dem Verschwinden des Dampfers „Augsburg“ wurde nachfolgender Bericht einer Verhandlung des Seeamtes Hamburg veröffentlicht. Frau Claudia Wahl vom DE GRUYTER VERLAG in Berlin, war so freundlich mir den vollständigen Bericht zu übermitteln (hier ein Auszug daraus):

Dampfer «Augsburg» von Hamburg verschollen
Seeamt Hamburg, 4 April 1913.
Spruch: Der Dampfer «Augsburg», welcher am 2. Februar 1912 den Hafen von New York mit der Bestimmung nach Java verlassen hat, hat seinen Bestimmungsort nicht erreicht und ist als verschollen anzusehen. Die Art des Unfalls, welcher das Schiff betroffen hat, war nicht mit Sicherheit zu ermitteln, es ist aber zu vermuten, dass das Schiff in dem sehr stürmischen Wetter, welches Anfang Februar in dem in Frage kommenden Gebiete geherrscht hat, mit seiner Besatzung den Untergang gefunden hat. Das Schiff war bei der Ausreise in seetüchtigem Zustand, nicht überladen und gehörig bemannt.

Tatbestand. Der Dampfer «Augsburg», Unterscheidungssignal RKLN, stand im Eigentum der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft in Hamburg und wurde auf seiner letzten Reise geführt von dem Kapitän Wilhelm Michael Max Winter, Inhaber eines Befähigungszeugnisses zum Schiffer auf grosser Fahrt von 1900…»

Vergebliches Hoffen

Emil Steiner blieb verschwunden.

Seine Mutter, Anna Elisabeth Steiner, sollte vergeblich auf ein Lebenszeichen ihres Sohnes warten.

Wie oft hat sie sich wohl seine letzte Postkarte oder seinen letzten Brief angesehen?

Passend zu dieser Situation gibt es ein schönes Volkslied in der Schweiz:

Mis Müetti het mer brichtet, chumm wieder einisch hei:
Es sig so ganz verlasse, es sig so ganz ällei…

Und druf, da hanem gschribee, i heig ja chum der Zit,
heig eister z’tue und z’schafä und s’Heicho sig so wit…

Doch einisch bini gange, bi hei cho s’Wägli us,
und s’ Müetti hani fgundä, ällei im alte Hus.

Älei im chlinä Stübli, wo s’Zit gahd a der Wand,
am Fänschterli heds gschlafe, mis Briefli i der Hand…

Quelle: Giigäbank-Liederbuch

Hier in der hochdeutschen Übersetzung:

Mein Mütterlein hat mir berichtet, komm doch wieder einmal heim,
sie sei so ganz verlassen, sie sei so ganz allein.

Darauf hab’ ich geschrieben, ich hätt’ ja kaum viel Zeit…
auch viel zu tun und schaffen und das Heimkommen sei so weit…

Doch einmal bin ich gegangen, bin heim den kleinen Weg hinaus
und mein Mütterlein hab’ ich gefunden, allein im alten Haus.

Allein im kleinen Stübchen, wo die Uhr hängt an der Wand,
am Fenster hat’s geschlafen, mein Brieflein in der Hand…

Quelle: Geigenbank-Liederbuch

Dank

Ich bedanke mich an dieser Stelle ganz herzlich bei Barbara Kummer-Behrens für die Geschichte des Emil Steiner aus Utzenstorf.

Es freut mich außerordentlich, dass die akribische Recherchearbeit von Frau Kummer-Behrens nach so vielen Jahren noch von Erfolg gekrönt wurde und das Schicksal Emil Steiners aufgeklärt werden konnte.

Meine Anerkennung und meinen Glückwunsch!

line ceremony 1905, NDL ship Zieten

Dampfschiff „Fürth“: im Mannschaftslogis

Die Unterbringung der Seeleute

Bildnachweis Titel: Seeleute bei einer Äquatortaufe an Bord der „Zieten“ (Norddeutscher Lloyd), ca. 1905, State Library of South Australia, [PRG 280/1/43/284]

Vor einiger Zeit habe ich über die Unterbringung des Kapitäns, der Deckoffiziere und der Maschinisten berichtet. SIEHE: Dampfschiff „Fürth“: In der Kapitänskajüte

Heute geht es um das andere Ende der Hierarchie: die Matrosen und Heizer/Trimmer, die unter der Back im Vorschiff untergebracht waren.

Die Lage der Mannschaftsräume ist auf dem Stauplan der „Fürth“ gut ersichtlich (in der Abbildung oben rechts).

logbook Furth

Logbuch der „Fürth“, Stauplan C (Ausschnitt), mit freundlicher Genehmigung des National Museums Liverpool (Merseyside Maritime Museum), Ref. B/HAR/11/4/1

Schwieriger sind die Mannschaftsräume auf den Fotos auszumachen:

Der Frachtdampfer « Fürth » (Ausschnitt), © R. Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, S. 30, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven 1984, Aufnahme aus der Sammlung A. Kludas.

Die kleinen Bullaugen der Mannschaftsräume im Vorschiff sind in den alten Aufnahmen nur vereinzelt und schwer zu erkennen. Gut zu sehen sind dagegen die weißen Stangen über der Back, über dem Brückenhaus und auch auf dem Bootsdeck. Zum Inventar der Schiffe gehörten Sonnensegel, die über diese Stangenkonstruktionen gespannt werden konnten.

Vor- und Nachteile der Dampfschiffe

Der Beginn des 20. Jahrhunderts war eine Zeitenwende in der Schifffahrt: die (meist) aus Holz gebauten Segelschiffe wurden von den stählernen Konstruktionen der Dampfschiffe abgelöst und die Atmosphäre an Bord änderte sich grundlegend.

Während der Geruch von fauligem Holz alter Segler auf Dampfschiffen weitgehend entfiel, hatte Holz den Vorteil, ein schlechter Wärmeleiter zu sein und das Klima in den Unterkünften war gleichmäßiger. Gerade in den tropischen und subtropischen Fahrgebieten der „Fürth“, dürfte es in den Logis sehr heiß geworden sein. Daher gab es auch die Möglichkeit zur Abschattung durch Sonnensegel. Kalt wurde es dagegen im nordeuropäischen Winter oder bei Fahrten durch die „Roaring Forties“ im südlichen Indischen Ozean. Für diese Fälle waren die Unterkünfte mit Dampföfen ausgestattet.

Ein anderes Problem von Stahlschiffen ist das Kondensieren von Schwitzwasser, das tropft oder zumindest die Luftfeuchtigkeit stark erhöht.

Neu waren auf Dampfschiffen auch die Unannehmlichkeiten, die von der Dampfmaschine ausgingen: der Lärm, der durch Stahl weit getragen wurde, ebenso wie Vibrationen. Hinzu kam der Geruch von Schmierstoffen und Rauch sowie die Anwesenheit von Kohlenstaub.

Informationen nach: Schiffahrt in Schleswig-Holstein 1864-1939; C. Spethmann, Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades an der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, 2002; https://macau.uni-kiel.de/servlets/MCRFileNodeServlet/dissertation_derivate_00000843/d843.pdf

Grundlagen der Rekonstruktion

Eine Vorstellung über die Ausstattung der Mannschaftsräume gibt uns die Inventarliste eines Schwesterschiffes der „Fürth“, der „Neumünster“. Darin sind die Ausrüstungsgegenstände für Matrosen- und Heizerlogis aufgelistet. Die Listen sind allerdings sehr kurz, da die Ausstattung der Räume auf das Allernötigste beschränkt war.

Für weitere Informationen können wir auf die gesetzlichen Mindestanforderungen zurückgreifen, die von Reedern und Schiffbauern umgesetzt werden mussten.

Diese waren im Juli 1905 in einer gesetzlichen Bekanntmachung neu geregelt worden. Sie hatte den Titel:

Bekanntmachung, betreffend die Logis-, Wasch- und Baderäume sowie die Aborte für die Schiffsmannschaft auf Kauffahrteischiffen.

Quelle: Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1905, Nr. 29, Seite 563-568 über https://de.wikisource.org/wiki/Bekanntmachung,_betreffend_die_Logis-,_Wasch-_und_Bader%C3%A4ume_sowie_die_Aborte_f%C3%BCr_die_Schiffsmannschaft_auf_Kauffahrteischiffen

Weitere Informationen gibt uns der Generalplan der „Reichenbach“, einem Schwesterschiff der „Fürth“, der die Lage und Abmessungen der Unterkünfte unter der Back enthält.

Reichenbach, 1907, Generalplan, FSG Flensburg

Generalplan der „Reichenbach“ (Ausschnitt), einem Schwesterschiff der „Fürth“, © mit freundlicher Genehmigung des Schifffahrtsmuseums Flensburg (Ref. FSG_267). Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass sämtliche Bildrechte beim Schifffahrtsmuseum Flensburg liegen und jegliche Nutzung dieses Bildes der Genehmigung des Rechteinhabers bedarf.

Der Plan zeigt die Lage der Bullaugen deutlich besser, als das Foto oben. Links neben der Back ist das Welldeck mit der Luke 1 zu sehen.

Trennung von Decks- und Maschinenmannschaft

Üblich war eine getrennte Unterbringung von Deck- und Maschinenmannschaft, die eine auf der Steuerbordseite und die andere auf der Backbordseite.

Die Mannschaften eines Dampfschiffes, seien es nun Heizer oder Matrosen, waren im sogenannten „Volkslogis“ untergebracht, das sich bei Frachtschiffen normalerweise unter der Back im Vorschiff befand. Heizer- und Matrosenlogis waren dabei oft nur durch ein Längsschott voneinander getrennt.

Quelle: Die Industrialisierung der Handelsschifffahrt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das Beispiel der „Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Aktiengesellschaft“ (HAPAG), Christoph Merkel, Wissenschaftliche Hausarbeit, Helmut-Schmidt-Universität,Universität der Bundeswehr Hamburg (2004); abgerufen über edoc.sub.uni-hamburg.de/

Auf der Abbildung oben erkennt man, dass es für die „Fürth“ genauso war, allerdings lag zwischen Heizer- und Matrosenlogis ein Mittelgang.

Matrosenlogis

Die Größe des Matrosenlogis betrug laut der Verordnung pro Seemann mindestens 3,5 Kubikmeter Luftraum und 1,5 Quadratmeter Bodenfläche. Die mittlere Mindesthöhe war zwei Meter und der Raum musste Tageslicht erhalten.

Zusätzliche Anforderungen waren wie folgt beschrieben:

Die Fußböden der Logisräume müssen ein hölzernes Deck haben oder mit einem dichten, leicht rein zu haltenden, schlecht wärmeleitenden Belage versehen sein. Die Wände und Decken der Logisräume müssen mit einem hellen Ölfarbenanstriche versehen sein; freiliegende eiserne Decken müssen mit einem das Tropfen verhindernden Schutzbelage bekleidet sein. (Artikel 7).

Inventory Neumunster 1914

Inventarbuch des Schiffes „Neumünster“, nummerierte Seite 37, Ausschnitt © mit freundlicher Genehmigung des State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.19

Die Spalte direkt rechts neben den Gegenständen ist der Sollbestand, dann folgen nach rechts die Istbestände für die Reisen zehn bis vierzehn sowie eventuelle Abgänge und Neuanschaffungen für die nächste Reise.

Kurz und schmal: 1,83 Meter x 0,60 Meter

Das Logis der Matrosen verfügte über 10 Kojen. Die Bekanntmachung von 1905, Paragraph 1, Artikel 8 gibt eine bessere Vorstellung über deren Größe:

Jedem Schiffsmann ist eine eigene Koje zum alleinigen Gebrauche zu gewähren. Doppelkojen ohne Scheidewand sind unzulässig. Die Länge einer Koje darf nicht unter 1,83 Meter, die Breite nicht unter 0,6 Meter im Lichten betragen.

Der Abstand zwischen dem Fußboden und der unteren Koje muß mindestens 25 Zentimeter betragen; er darf bis auf 15 Zentimeter herabgehen, wenn drei Kojen übereinander liegen, die aus Eisen gefertigt und leicht entfernbar sind. Der Abstand zwischen je zwei übereinander befindlichen Kojen sowie derjenige zwischen dem Boden der oberen Koje und der Decke des Logisraums muß mindestens 75 Zentimeter betragen. Mehr als drei Kojen übereinander sind unzulässig. [565]

Das Kojenzeug ist tunlichst häufig gründlich zu lüften und zu reinigen und, sofern erforderlich, zu desinfizieren.

Dieses „Kojenzeug“ musste von den Matrosen selbst mitgebracht werden. Bei Spethmann heißt es zu den Kojen (Quelle s. o.):

Auch bei zweireihiger Anordnung waren die Kojen aber recht niedrig und verfügten nur über einen engen Zugang. Ein Problem stellte die ungenügende Zufuhr von frischer und das Aufsteigen der erwärmten Luft dar, so daß die oberste Koje von den Seeleuten nicht gerne belegt wurde. Aber auch die untere Koje war wenig beliebt, weil sie Staub und Schmutz am meisten ausgesetzt war.

Zudem waren die einzelnen Kojen auf Wunsch der Mannschaft hin oft mit Vorhängen versehen. Dies gewährleistete zwar ein Minimum an „Privatsphäre“, machte aber die Zirkulation von Luft unmöglich. Das Bettzeug mußte von den Seeleuten selbst mitgebracht werden. Einen regelmäßigen Wechsel oder neues Bettzeug konnten sich nur wenige Seeleute leisten.

 

Möbel und weitere Ausstattung

Jeder Matrose hatte für seine Sachen einen „Zeug-Schrank“, es gab davon zwei mehr, als Kojen vorhanden waren (12; wir werden allerdings sehen, dass bei den Heizern zwei weniger vorhanden waren).

Ein Tisch und zwei Bänke, eine Hängelampe und ein Ofen waren das weitere, spärliche Mobiliar.

Hinzu kamen ein Trinkeimer, ein Kaffee- und ein Teekessel, drei Blechbaggen, ein Auffüllöffel, ein Kasten für Bekanntmachungen und ein Spucknapf. Ende.

Anmerkung: Der Begriff der Bagge ist mir nicht geläufig, es dürfte es sich um einen Krug/eine Kanne handeln.

Die Ausstattung war auch in Artikel 11 der oben zitierten Bekanntmachung beschrieben:

Die Ausstattung der Logisraume mit Tischen, Bänken, Schränken und dergleichen soll billigen Anforderungen entsprechen. In jedem Logisraume müssen, sofern nicht ein besonderer Eßraum oder eine sonstige Gelegenheit zur Einnahme von Mahlzeiten an einem vom Schlafraume getrennten Platze vorhanden ist, Tische und Sitzgelegenheiten für mindestens die Hälfte der Belegschaft zur Verfügung stehen. Auch ist in jedem Logisraume mindestens ein Spucktopf aufzustellen, der täglich zu reinigen ist.

Den vollständigen Text der Bekanntmachung finden Sie hier: https://de.wikisource.org/wiki/Bekanntmachung,_betreffend_die_Logis-,_Wasch-_und_Bader%C3%A4ume_sowie_die_Aborte_f%C3%BCr_die_Schiffsmannschaft_auf_Kauffahrteischiffen

Auf dem Dampfer „Altenburg“ – eine Erinnerung

Die folgende Szene beschreibt ein Logis auf dem Postdampfer „Altenburg“ im Jahr 1905:


Unser Logis befand sich an der Steuerbordseite vorne unter der Back. Der Niedergang zum Kabelgatt und zum Kettenkasten ging von der Back durch unser Logis. Die Backluke war auf See bei schönem Wetter geöffnet, der Niedergang zum Logis aus stand durchweg offen, er war nur durch eine Sicherheitskette gegen ein Abstürzen gesichert. Durch diese nicht kleine Öffnung roch es im Logis aus dem Kabelgatt heraus kräftig nach Teer oder Teertau. Mir machte es nichts aus, ich roch es gerne. Ich kann nicht erinnern, daß die Matrosen gegen diesen strengen Geruch protestiert haben, es gehörte sich wohl so. Selten hatte der eine oder andere Matrose eine Seekiste mit, sie begnügten sich mit einem Zeugsack. Üblich war es auf Dampfern, daß für die Besatzungsmitglieder abschließbare Einzelspinde vorhanden waren. Die Mehrheit der Matrosen hatte nur das Notwendigste an Ausrüstung mit. War das Zeug auf See nass geworden, hängte man es in den Stockraum, nach sehr kurzer Zeit konnte es man schon wieder anziehen, es war trocken. Das Wenige, es war kein Problem. …
Quelle: Bürger der Ozeane und Meere, Vom Schiffsjungen zum Kapitän und Lotsen, Band 1: Vor dem Mast, Kapitän Hans Blöss, 2013; Verlag Christian Blöss; abgerufen über books.google.fr.

SMS Arcona, 1910, sailors

Deutsche Seeleute auf SMS „Arcona“, Bain News Service, um 1910; Library of Congress, https://www.loc.gov/item/2014696882/

Im Heizerlogis

Das Heizerlogis war größer als das Matrosenlogis und hatte 16 Kojen, allerdings nur 14 Zeug-Schränke (s. o.).

Es verfügte über zwei Tische und drei Bänke.

Neben dem Trinkeimer wurde ein Suppeneimer handschriftlich ergänzt, allerdings war er nie im Istbestand.

Die detaillierte Aufstellung können Sie der Abbildung entnehmen.

Inventory book Neumunster 1914

Inventarbuch des Schiffes „Neumünster“, nummerierte Seite 38, Ausschnitt © mit freundlicher Genehmigung des State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.19

Wasch- und Baderäume

Auf jedem Kauffahrteischiff ist der Schiffsmannschaft Gelegenheit zur körperlichen Reinigung und zum Zeugwaschen zu gewähren.

Die Inventarliste und der Plan oben geben Auskunft, dass für Matrosen und Heizer ein separater Waschraum verfügbar war. Die Liste ist kurz: eine Badewanne, eine Dusche, ein Ofen und eine Lampe. Vier Waschbecken für die Matrosen und sechs für die Heizer.

Inventory book, ship Neumunster 1914

Inventarbuch des Schiffes „Neumünster“, nummerierte Seite 42, Ausschnitt © mit freundlicher Genehmigung des State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.19

Auf dem Generalplan der „Reichenbach“ sieht man, dass die Waschräume ganz vorne im Bug lagen.

WCs

Zu den Aborten heißt es 1905:

Die Waschgelegenheit kann mit den Aborten in demselben Raume liegen, sofern dem Schicklichkeitsgefühle durch die Art der Anordnung und durch die Verwahrung der Aborte Rechnung getragen ist.

Aus dem Generalplan der „Reichenbach“ (siehe oben) geht hervor, dass beide voneinander räumlich getrennt waren. 

Die Bekanntmachung von 1905 verlangte die tägliche Reinigung von Bädern, Aborten und Pissoiren.

Condor, 1912, sailors on deck

Deutsche Seeleute an Bord SMS „Condor“ in Port Adelaide, um 1912; State Library of South Australia, [PRG 280/1/14/218]

Boots- und Zimmermann

Boots- und Zimmermann waren ebenfalls unter der Back untergebracht. Sie teilten sich eine Kammer neben dem Matrosenlogis. 

Ausstattung der Boots- und Zimmermannskammer, Schiff „Neumünster“, © mit freundlicher Genehmigung des State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.19

Die beiden Seeleute hatten im Vergleich zu den Matrosen eine deutliche reichere Ausstattung ihrer Unterkunft. Die List geht auf der nächste Seite des Inventarbuches noch weiter.

Ausstattung der Boots- und Zimmermannskammer (Fortsetzung), Schiff „Neumünster“, © mit freundlicher Genehmigung des State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.19

Umkleiden

Nicht im Inventarbuch aufgeführt, aber auf dem Generalplan der „Reichenbach“ unter der Bootsmannskammer zu sehen, sind zwei Räume. Sie sind leider nicht beschriftet, allerdings ist aus dem Plan ersichtlich, dass sie wie die Waschräume ebenfalls gefliest sind. Es dürfte sich um zwei Umkleiden handeln, eine für die Heizer und eine für die Matrosen.

Eine Einrichtung, die nicht auf allen Schiffen vorhanden war. Sie hatte den Vorteil, dass die schmutzige und/oder nasse Arbeitskleidung nicht in den Logis gewechselt werden musste.