Gracia, Barcelona 1915

Gestrandet in Barcelona

Titelbild: Der deutsche Konsul verliest Kriegsnachrichten, „Casa de los Alemanes“ in Barcelona, Januar 1915; Fotografie: Alessandro Merletti (1860-1943), in: La Ilustración Artistica, 25. Januar 1915, Nr. 1.726, S. 82; © Biblioteca Nacional de España; http://hemerotecadigital.bne.es/; Lizenz: CC-BY 4.0

Über das Dampfschiff „Düsseldorf“ und die „Casa de los Alemanes“

Der Artikel berichtet über die Besatzung des Dampfschiffes „Düsseldorf“ und andere Deutsche, die ab August 1914 in Barcelona gestrandet waren und deren Rückkehr nach Deutschland auf dem See- oder Landweg durch den Ersten Weltkrieg versperrt war.

Auf Betreiben des deutschen Konsuls konnten die oft mittellosen Menschen in einem ehemaligen städtischen Schlachthof Barcelonas untergebracht werden. Zu Beginn des Jahres 1915 waren dies etwa 500 Personen.

Weizen aus Melbourne

Am 30. Mai 1914 verließ die „Düsseldorf“, ein Frachtdampfer der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft den Hafen von Melbourne mit der stattlichen Menge von 92,833 Sack Weizen.

Weizen war neben Wolle eines der wichtigsten Exportgüter Australiens und wurde nach der Erntesaison in großer Menge nach Europa transportiert.

SIEHE: 6000 t Weizen für England

Als Fahrtziel der „Düsseldorf“ war Teneriffa angegeben. Nicht, dass dort auch nur ein einziger Sack abgeladen worden wäre, aber der Weizen wurde erst während der langen Rückfahrt der Schiffe verkauft und der endgültige Bestimmungshafen später festgelegt.

Am 17. Juli 1914 berichtete die Zeitung The Advertiser in Adelaide, dass der Weizen ins Vereinigte Königreich verkauft worden wäre, dass aber Gerüchte aufgekommen seien, dass der Weizen in einen Mittelmeerhafen geliefert werden solle.

„It is, however, rumored that the cargo is intended for a Mediterranean port.”

Ob es der Hamburger Reederei Mitte Juli zu riskant schien, eines ihrer Schiffe wegen der drohenden Kriegsgefahr noch nach Großbritannien laufen zu lassen, ist nicht überliefert. Tatsache ist, dass die „Düsseldorf“ am 23. Juli 1914 mit ihrer Ladung in Barcelona eintraf und sie anschließend hier löschen sollte.

Am 3. August 1914 suchte auch der Dampfer „Brasilia“, ein Schiff der Hamburg-Amerika Linie (HAPAG) den Schutz des Hafens Barcelona im neutralen Spanien. Seit 27. Juni 1914 lag hier außerdem der deutlich kleinere Dampfer „Anna Strowig“ der Stettiner Reederei Wm. Eisenach.

Die „Brasilia“ war ein 1906 bei Palmers‘ Shipbuilding & Iron Co Ltd in Nordengland gebauter Frachtdampfer mit 6.565 Bruttoregistertonnen. Das Schiff war mit 137 Metern Länge etwas kürzer als die „Düsseldorf“ (143 Meter), hatte aber ein größeres Ladevolumen als die „Düsseldorf“ mit 5.877 BRT. Deutlich kleiner hingegen war die „Anna Strowig“ mit 2.381 BRT.

Dampfer Düsseldorf 1912

Das Dampfschiff „Düsseldorf“, © Reinhart Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft Hamburg, 1888-1926, Cuxhaven 1984 (Strandgutverlag), S. 15.

Deutscher Hilfsverein Barcelona

Die Besatzungen der Schiffe hatten Glück, denn sie waren nicht auf sich allein gestellt. Neben einem deutschen Konsulat gibt es in Barcelona seit 1868 einen Deutschen Hilfsverein. Dieser gemeinnützige Verein hilft bis heute „deutschsprachigen Menschen in Barcelona in einer gesundheitlichen, rechtlichen oder sozialen Notlage“.

Während des Ersten Weltkrieges gab es für den Verein viel zu tun.

Nachdem absehbar war, dass die Besatzungen der Schiffe länger in Barcelona bleiben mussten, organisierte der Deutsche Hilfsverein ihre Unterbringung in der evangelischen Kirche und im dazugehörigen Pfarrhaus.

Allerdings erreichten immer mehr Menschen Barcelona, in der Hoffnung von hier über den Seeweg nach Italien nach Hause zu kommen.

Die Schiffe neutraler Staaten wie Spanien wurden jedoch von den wachsamen Alliierten aufmerksam kontrolliert. Deutsche im wehrfähigen Alter nahmen die Alliierten von den neutralen Schiffen herunter und steckten sie in Gefangenschaft.

Diese Erfahrung musste auch Kapitän Richter vom Dampfschiff „Fürth“ auf seiner Reise von Ceylon nach den Niederlanden machen. SIEHE: Die abenteuerliche Reise des Kapitäns der „Fürth“, W. Richter, auf der „Koningin Emma“

Anmerkung: Von der „Düsseldorf“ konnten einige Reservisten noch nach Deutschland gelangen. Ich gehe davon aus, dass sie Barcelona noch Ende Juli oder in den allerersten Augusttagen verlassen haben. Harms (1933) schreibt dazu:
„Die dienstpflichtigen Leute der Besatzung sind nach Deutschland geschickt. Der dritte Steuermann ist dabei in französische Gefangenschaft geraten.“
Dritter Steuermann der „Düsseldorf“ war K. Schielke (Quelle: Mariners and Ships in Australian Waters).

Die vielen in Barcelona gestrandeten Deutschen wurden notdürftig auf den deutschen Schiffen untergebracht. Laut Harms (1933) waren das auf der „Düsseldorf“ bis zu 250 Personen.
Otto Harms, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft Hamburg, Schröder & Jeve, 1933.

Für den Empfang der Menschen in Barcelona hatte der Deutsche Hilfsverein eine eigene Anlaufstelle eingerichtet:

Damals richtete man im Pfarrhaus einen kleinen Empfangsraum ein mit direktem Zugang von der Straße für die Hilfesuchenden.
Quelle: https://www.deutscher-hilfsverein-barcelona.org/

Der Deutsche Hilfsverein in Barcelona kümmerte sich aber nicht nur den Empfang der Menschen, sondern auch um ihre Unterbringung und Verpflegung.

Mehr über das ehrenamtliche Engagement des Deutschen Hilfsvereins und seine Geschichte finden Sie hier https://www.deutscher-hilfsverein-barcelona.org/

Casa de los Alemanes 1915, Barcelona

Küche in der „Casa de los Alemanes“ in Barcelona, Januar 1915; Fotografie A. Merletti (1860-1943), in: La Ilustración Artistica, 25. Januar 1915, Nr. 1.726, S. 82; © Biblioteca Nacional de España; http://hemerotecadigital.bne.es/; Lizenz: CC-BY 4.0

„La Casa de los Alemanes“

Seit Beginn des Jahres 1914 stand der ehemalige städtische Schlachthof Barcelonas im Viertel Gràcia leer. Über die weitere Verwendung der Gebäude war noch keine Entscheidung gefallen. In Gesprächen mit der Stadtverwaltung erreichte der deutsche Konsul, dass ihm die Räumlichkeiten für die Unterbringung der gestrandeten Deutschen zur Verfügung gestellt wurden.

Anmerkung: Neben den gestrandeten Deutschen in Barcelona befanden sich neben Deutschen auch Staatsangehörige Österreich-Ungarns und acht Türken.
Quelle: El Libéral, 21. Februar 1915; http://hemerotecadigital.bne.es.

In kürzester Zeit wurden die verwahrlosten und heruntergekommenen Gebäude wieder hergerichtet und am 25. Januar 1915 konnte „La Casa de los Alemanes” eröffnet werden. So wurde das neue Flüchtlingslager genannt, in dem alle in Barcelona Gestrandeten zentral untergebracht werden konnten.

Das Lager verfügte über achtzehn Schlafsäle und einen großen Speisesaal, der auch für Aufführungen und Konzerte genutzt werden konnte. Darüber hinaus gab es weitere Einrichtungen wie Verwaltungsbüro, Küche, Vorratslager, Sanitärräume, Krankenstation, Werkstatt, Schuster, Friseur, Schneiderei und eine Bibliothek. Ein großer Innenhof diente für Versammlungen, Konzerte und zum Sport. Die Abbildungen dieses Artikels geben einen Eindruck davon.

Anfang 1915 waren in dem Lager etwa 400 – 500 Personen untergebracht.

Gracia Barcelona 1915

Schlafsaal in der „Casa de los Alemanes“ in Barcelona, Januar 1915; Fotografie A. Merletti (1860-1943), in: La Ilustración Artistica, 25. Januar 1915, Nr. 1.726, S. 82; © Biblioteca Nacional de España; http://hemerotecadigital.bne.es/; Lizenz: CC-BY 4.0

Die Leitung des Lagers hatte der Schiffsführer des Dampfers „Brasilia“, Kapitän Duch, übernommen, der das Lager in strenger Disziplin leitete. Er wurde von drei weiteren Herren bei der Verwaltung unterstützt, darunter ein Doktor Lemmel.

Um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, schlossen sich einige Seeleute zu einem Orchester zusammen und tingelten über die Dörfer der Region und gaben Konzerte.

Andere stellten Flaschenschiffe her oder malten Aquarelle, die sie in der Stadt verkauften oder gegen Tabak oder Wein eintauschten.

Die Unterkunft im alten Schlachthof bestand bis zum Ende des Krieges fort. Nach dem Krieg kam es zum Ausbruch der Spanischen Grippe und die Gebäude wurden zum Krankenlager umfunktioniert.

Gracia Barcelona 1915

Konzert im Innenhof der „Casa de los Alemanes“ in Barcelona, Januar 1915; Fotografie A. Merletti (1860-1943), in: La Ilustración Artistica, 25. Januar 1915, Nr. 1.726, S. 82; © Biblioteca Nacional de España; http://hemerotecadigital.bne.es/; Lizenz: CC-BY 4.0

Quellen dieses Blogartikels

Verschiedene Zeitungsartikel aus der Spanischen Nationalbibliothek aus dem Februar 1915, eine Fotoreportage aus der Zeitung La Ilustración Artistica vom 25. Januar 1915 (beide unter http://hemerotecadigital.bne.es/) sowie ein Artikel aus der Tageszeitung El Pais: Los alemanes de Gràcia vom 15. August 2015 (www.elpais.com)

Die Abbildungen des Artikels (bis auf die des Schiffes „Düsseldorf“) sind von dem spanischen Fotografen italienischer Abstammung Alessandro Merletti.  Merletti stammte aus einer Turiner Unternehmerfamilie und ließ sich 1888 in Barcelona nieder. Er gilt als ein Pionier der Fotoreportage in Katalonien, arbeitete für verschiedene Medien und hielt viele politische, soziale, kulturelle und sportliche Ereignisse in Bildern fest.

Anhang

Mannschaftsliste der „Düsseldorf“ vom 11. Mai 1914 in Sydney, Kapitän war A. Lenschow. Mit ihm waren 51 Männer an Bord.

Düsseldorf, Mannschaft, May 1914

Besatzung der „Düsseldorf“ am 11. Mai 1914 in Sydney, Quelle: Mariners and Ships in Australian Waters

2 Gedanken zu „Gestrandet in Barcelona

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