… und der Manchester Ship Canal
Der Blogartikel rekonstruiert den Aufbruch zur ersten Fahrt der exFürth, die jetzt „Kerman“ hieß und von Großbritannien eine Fahrt in den Indischen Ozean durchführen sollte.
Frühere Fahrten der „Fürth“ waren durch die damalige Tagespresse außerordentlich gut belegt und sind unter der Rubrik „Australienfahrten“ im Blog dokumentiert.
Im Jahr 1915 müssen wir davon Abschied nehmen, jede Fahrt genau verfolgen zu können. Es war die Zeit des Ersten Weltkrieges und die Berichterstattung wird große Lücken aufweisen.
Dennoch lassen sich zumindest für Teile der Fahrt Nachrichten in den Archiven finden, die eine Rekonstruktion zulassen.
Bildnachweis Titelbild:
Ausbaggern des Manchester Ship Canal 1891; Gemälde von Benjamin William Leaders; Collection National Trust; Quelle: commons.wikimedia.org
Januar/Februar 1915
Die „Fürth“ war an die Anglo-Persian Oil Company verkauft worden (Paukenschlag: Das Dampfschiff „Fürth“ wird verkauft), wurde im neuen Heimathafen London registriert und war von einem Surveyor von Lloyd’s Register erneut in die Klasse A1 eingestuft worden. Zur Klassifikation siehe: Die „Fürth“ in Lloyd’s Register
Die Bereederung der „Kerman“, exFürth hatte die Frank C. Strick & Co. übernommen, die die neue Mannschaft stellte.
Zu Frank C. Strick & Co.: Die „Kerman“, exFürth bei Frank C. Strick und Co.
Das Disponieren des Schiffes übernahm jedoch die Admiralität selbst. Fast alle Handelsschiffe waren während des Ersten Weltkrieges unter ihrer Regie und wurden dafür eingesetzt, Material zu Kriegszwecken zu transportieren oder die Bevölkerung mit notwendigen Gütern zu versorgen.

Tilbury Docks, London um 1890, Aquarell von dem Marinemaler William Lionel Wyllie, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Tilbury_RMG_PW0845.jpg
Anmusterung am 2. Februar 1915
Die Anmusterung für diese erste Fahrt erfolgte am 2. Februar 1915 in London.
Das geht aus den Ship’s Articles, der Musterrolle hervor. Diese ist in den National Archives in London erhalten (Referenznr. BT 99/3176/14).
Kapitän war J. S. Edmundson, 37 Jahre alt, aus London. Sein erster Offizier war der junge A. H. M. Waterlow, der in Paris geboren und gerade einmal 32 Jahre alt war.
So viel nehme ich vorweg: Waterlow wird die „Kerman“ ab der zweiten Fahrt als Kapitän übernehmen und bis in das Jahr 1920 verantwortlicher Schiffsführer bleiben. Ihn und seine interessante Familiengeschichte stelle ich in einem eigenen Blogartikel noch vor.
Als zweiter und dritter Offizier an Bord: C. Stancliffe, 35 Jahre aus Huddersfield und J. S. Morris, 27 Jahre, aus St. Dogmaels in Pembrokeshire (Wales).
Der einzige weitere Brite der Decksmannschaft war der Zimmermann, John Tyman, ein 43 jähriger Schotte aus Glasgow.
Der Bootsmann und alle übrigen Mitglieder der Decksmannschaft waren aus China, HongKong und Singapur.
Die Verteilung der Maschinenmannschaft war gleichermaßen: Die vier Maschinisten waren Briten und die übrigen Nichtbriten.
Die vier Maschinisten in hierarchischer Reihenfolge: W. M. Meager, 49 aus London; A. E. Cunningham, 30 aus Leyton; F. E. Rees, 22 aus Pembrey (Wales) und F. A. Fouracres, 25 aus Middlesex.
Die Herkunft der übrigen Maschinenmannschaft: China, HongKong, Singapur, Penang und Jamaica. Zwei Heizer kamen aus Bushire im Iran.
Insgesamt bestand die Mannschaft aus 49 Personen, das sind neun mehr, als bis dahin bei der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (Hamburg) auf der „Fürth“ fuhren.
Es gab jetzt als neue Position auf dem Schiff: vier Quartiermeister (quartermaster), zwei Donkeymen, und zwei Schmierer (greaser).
Anmerkung: Ein Quartermaster war ein Vollmatrose, der Wachdienste auf der Brücke verrichtete und der Donkeyman kümmerte sich um die Hilfsdampfmaschine (engl. donkey).
Bei den Köchen und Stewards gab es ebenfalls Zuwachs: zwei Köche kümmerten sich um Offiziere und Ingenieure und zwei weitere um die Mannschaft. Auch die Stewards waren dementsprechend jetzt zu viert.
Ältester an Bord war der erste Ingenieur mit 49 Jahren, der jüngste ein Steward mit 20 Jahren.

Schottland, Kartenausschnitt von Putnam’s Handy Volume Atlas 1921; mit freundlicher Genehmigung der University of Texas Libraries, The University of Texas, Austin; https://legacy.lib.utexas.edu/maps/historical/scotland_1921.jpg
Glasgow und Manchester
Nach dem Abfahrtshafen London (Tilbury) sind zwei weitere britische Häfen auf der Fahrt der „Kerman“, exFürth in den Indischen Ozean belegt.
Glasgow – Tail of the Banks
Der erste Hafen nach London war Glasgow.
In der Zeitung Daily Record gibt es dazu zwei Einträge: am 24. und 25. Februar 1915
Laut Eintrag vom 24. Februar 1915 verließ die „Kerman“, exFürth Glasgow mit Kohlen Richtung Rotes Meer
SHIPPING INTELLIGENCE.
GLASGOW.
…
SAILINGS – … Kerman (s), Red Sea ports, coal;
Daily Record – Wednesday 24 February 1915
Am Tag darauf ist die Abfahrt diesmal vom Ankerplatz Tail-of-the-Banks, angegeben und die Fracht mit general, also allgemeine Ladung.
TAIL-OF-THE-BANK.
SAILINGS – … Kerman (s), Red Sea Ports, general; …- 23
Daily Record – Thursday 25 February 1915 (Glasgow)
Quelle: British Newspaper Archive
Der River Clyde und sein langgezogener Mündungstrichter, der Firth of Clyde, war ein bedeutender Werftenstandort und Handelsplatz in Großbritannien. Der Höhepunkt des Schiffbaus wurde kurz vor dem Ersten Weltkrieg erreicht. Zum Ankerplatz Tail-of-the-Bank, der etwa 40 Kilometer westlich von Glasgow liegt, konnten die größten Schiffe fahren. Schiffe der Cunard Line von Liverpool nach New York nahmen hier regelmäßig zusätzliche Passagiere auf.

Ausschnitt der Karte von oben
Glasgow liegt oben rechts, der Ankerplatz Tail-of-the-Bank liegt bei der Stadt Greenock, danach biegt der Firth of Clyde nach Süden ab.

Manchester Cathedral, Photochromdruck 1890; Library of Congress, Washington DC; https://www.loc.gov/item/2017659726/
Manchester
Der nächste dokumentierte Hafen ist Manchester.
Der Manchester Courier and Lancashire General Advertiser berichtet am Freitag, den 26. Februar 1915 über die Einfahrt der „Kerman“, exFürth in die Eastham Locks und über die Ankunft in Dock No. 9 in Manchester.
ENTERED EASTHAM LOCKS.
…
Kerman, 2,640, part out cargo (F. C. Strick and Co.) from Glasgow
…
VESSELS IN DOCK.
…
No. 9 Dock.
…
Kerman, 2,460 (F. C. Strick and Co.)
…
In darauffolgenden Ausgaben heißt es, dass die „Kerman“, exFürth beim Laden für den Persischen Golf ist “Loading for the Persian Gulf“.
Diese Meldung erscheint zuletzt am 6. März 1915.
Über die Abfahrt des Dampfschiffes wird nichts berichtet, sie dürfte meiner Meinung nach um den 8. März 1915 erfolgt sein (mehr dazu im nächsten Blogartikel).

Die Entfernung Manchesters zum Meer, Lage der Stadt gelb markiert; Kartenausschnitt aus: England and Wales 1649-1910, Cambridge Modern Histroy Atlas 1912; mit freundlicher Genehmigung der University of Texas Libraries, The University of Texas, Austin; https://legacy.lib.utexas.edu/maps/historical/ward_1912/england_wales_1649.jpg
Der Manchester Ship Canal
Ein Blick auf die Karte zeigt, dass Manchester (oben gelb markiert) weit entfernt von der Irischen See liegt (64 Kilometer). Eine bedeutende Hafenstadt wurde Manchester erst im Jahr 1894, als der Manchester Ship Canal eröffnet wurde.

Übersichtskarte des Manchester Ship Canal (1890); https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Plan_of_Manchester_Ship_Canal_1890.jpg
Links die Stadt Liverpool mit der Mündung des Mersey River in die Irische See (außerhalb des Ausschnittes); unten links Eastham Locks, die Zugangsschleuse zum Kanal; Länge des Kanals 58 km.
Der Bau des Manchester Ship Canal
Eine erste Studie für die Realisierung des Kanals wurde 1877 von der Handelskammer in Manchester veranlasst. Die Gegner eines Kanals waren jedoch zahlreich: natürlich Stadt und Hafen Liverpool, aber auch Eisenbahngesellschaften und die Eigner des Bridgewater Canal, der Manchester bereits verband und der nach der Fertigstellung des neuen Kanals aller Voraussicht nach aufgegeben werden musste. Außerdem war die Finanzierung des Projektes eine große Herausforderung.
Letztlich dauerte bis in das Jahr 1887 bis es zum ersten Spatenstich kam.
Auf der größten Baustelle des viktorianischen Großbritanniens waren rund 100 Dampfbagger im Einsatz. 228 Meilen Schienen wurden zum Bau entlang der Trasse verlegt, auf denen etwa 180 Baustellen-Lokomotiven und 6000 Wagen eingesetzt wurden. Neben dem Bau des eigentlichen Kanals mussten auch bestehende Straßen und Eisenbahnlinien verlegt werden.
Die Baustelle beschäftigte bis zu 16.000 Arbeiter (sog. navvies), die teilweise mit ihren Familien in temporären Barackensiedlungen an der zukünftigen Kanalstrecke wohnten. Es gab sogar eine Schule und drei Krankenhäuser.
Während des Baus kam es mehrfach zum Wassereinbrüchen und Überschwemmungen der Baustelle, die den Baufortschritt zurückwarfen und verzögerten.
Der Bau forderte aber auch über 130 Menschenleben und hunderte Arbeiter wurden bei Arbeitsunfällen entstellt oder invalide.
Nach vielen Schwierigkeiten wurde schließlich das letzte Stück des Kanals bei Manchester am 25. November 1893 geflutet und am 1. Januar 1894 für den Verkehr freigegeben. An diesem Tag fuhr ein Konvoi von 71 Schiffen nach Manchester.
Die offizielle Eröffnung durch Königin Victoria folgte dann am 21. Mai 1894. Der Kanalbau hatte bis dahin etwa 15 Mio. Pfund verschlungen.

Übersichtsplan des Manchester Ship Canal; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ship_canal_map.png
Ein paar Fakten zum Kanal
Der auch Big Ditch genannte Kanal hat eine Länge von 35,5 Meilen und beginnt bei Eastham, wo eine erste Schleuse gebaut wurde (Eastham Locks). Der lange Parallelverlauf des Kanals neben der Trichtermündung des Mersey war notwendig, weil die breite Mündung flach und den Gezeiten ausgesetzt ist. Zudem wechseln viele Sandbänke ständig ihre Position. Eastham Locks halten bei Niedrigwasser das Wasser im Kanal.
Der Kanal kann von Schiffen bis 15.000 BRT und bis zu 600 Fuß Länge (182 Meter) befahren werden. Die Durchfahrtshöhe beträgt gute 22 Meter. Höhere Schiffe mussten Masten oder Schornsteine umlegen.
Zwischen den Eastham Locks und den Mode Wheel Locks, die den Eingang zum Hafen Manchester markieren, wurde drei weitere Schleusen gebaut.
Der Barton Swing Aqueduct
Eine große technische Herausforderung beim Bau des Manchester Ship Canal war der Bau einer Trogbrücke über den Kanal für den kreuzenden Bridgewater Canal.
Der seit 1761 bestehende Kanal überquerte den Fluss Irwell mittels einer steinernen Trogbrücke (Barton Aqueduct), die jedoch nicht genug Durchfahrtshöhe für Schiffe auf dem neuen Manchester Ship Canal bot. Der Bridgewater Canal kreuzte den Fluss in einer Höhe von nur wenigen Metern.
Der Bauingenieur des Manchester Ship Canal, Sir Edward Leader Williams, erdachte eine geniale Lösung: eine drehbare Trogbrücke. Beim Passieren eines Schiffs auf dem neuen Manchester Ship Canal wurde der mit Wasser gefüllte und an beiden Enden mit Stahltoren geschlossene Wassertrog um 90° gedreht.
Größtes Problem war das enorme Gewicht der mit Wasser gefüllten Brücke: 1450 Tonnen. Eine Platte mit 8,2 Metern Durchmesser und 64 Eisenlagern lagert auf Granitblöcken. Eine hydraulische Presse verringerte den Druck auf den Drehmechanismus, der über eine Hydraulikmaschine ausgeführt wurde.
Der Barton Swing Aqueduct und die die daneben gelegene Straßendrehbrücke sind bis heute in Betrieb.

Eröffnung des Manchester Ship Canal durch die Yacht „Norseman“ im Jahr 1894; Quelle: commons.wikimedia.org
Links hinter der Yacht im Bild: der Burton Swing Aqueduct, die zweite Brücke dahinter ist die Barton Road Swing Bridge, eine Drehbrücke für den Straßenverkehr. Der steinerne Turm zwischen beiden Brücken ist das Kontrollzentrum für das Öffnen/Schließen bei der Brücken.

Das letzte Stück des Kanals kurz vor Manchester, John Heywood’s Illustrated Manchester Ship Canal Route Guide, 1894; Quelle: commons.wikimedia.org
Der Hafen Manchester
Manchester entwickelte sich durch den Kanalbau zeitweise zum drittwichtigsten Hafen Großbritanniens. Neun Hafenbecken, zahlreiche Lagerhäuser und zwei immense Getreidespeicher wurden über Gleise an das Bahnnetz angeschlossen. Hunderte Kräne beluden und löschten die Schiffe. Große Öllager, Fabriken und Trockendocks entstanden am Kanal.
Wichtigstes Importgut für die Textilstadt Manchester war Rohbaumwolle, aber auch Getreide und Holz hatten großen Anteil an der Gesamttonnage, die 1958 ein Allzeithoch mit 18 Mio. Tonnen erreichte.
Ab den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts ging die Bedeutung des Kanals stark zurück: die neuen und größeren Schiffe passten schlichtweg nicht mehr durch den Kanal.
Der Hafen Manchester bestand noch bis in das Jahr 1982, der Kanal existiert bis heute.

Salford Docks, Dock No. 9 (oben links), Manchester; Dock No. 8 rechts im Bild, der Manchester Ship Canal ist unten; Aufnahme ca. 1900 (?); https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Manchester_Dock_No_9.jpg
Quellen
Einen sehr ausführlichen Artikel über den Manchester Ship Canal, der auch Grundlage dieses Blogartikels war, finden Sie hier (in englischer Sprache): https://www.wondersofworldengineering.com/manchester_ship_canal.html
Der Artikel enthält viele andere Bilder aus der Geschichte des Kanals.
Ebenfalls viele eindrucksvolle Bilder mit Schwerpunkt auf den Arbeitern beim Bau liefert ein Artikel in der Daily Mail:

Docks in Salford (rechts) und Manchester (Trafford; links unten), 1904; Quelle: British Library Online Gallery (bl.uk)
Die Schiffe kommen von links oben durch die Schleuse (Mode Wheel Locks) in die Hafenbecken; das größte Dock ist Dock No. 9 (Mitte rechts). Unten links im Bild der Stadtteil Trafford.
Die Docks sind übrigens ganz in der Nähe von Old Trafford, dem Heimstadion von Manchester United im Südwesten von Manchester.
Nächste Woche im Blog
Die „Kerman“, exFürth muss mit Maschinenschaden in Vigo (Spanien) einlaufen und wird dort repariert.
Aus der spanischen Presse erfahren wir, dass das Schiff Kriegsgerät nach Ägypten transportiert.
Außerdem: Der Hafen von Karatschi (Britisch Indien) zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die „Kerman“, exFürth lädt hier für die Rückfahrt eine große Menge Weizen für London und Hull.

Der Hafen von Manchester im Jahr 1924; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Salford_docks_1924.jpg
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