Auf der Suche nach den Deutschen aus Australien
Titelbild: Artikel aus den Hamburger Nachrichten; 21. Juli 1919; Quelle europeana.eu; der Name des Schiffes heißt richtig: „Willochra“ (siehe unten)
Über 6000 Deutsche wurden 1919 und 1920 aus Australien nach Deutschland abgeschoben. Davon waren etwa 5500 während des Krieges in Internierungslagern gefangen gehalten worden.
Nach Kriegsende waren die Deutschen in Australien nicht mehr willkommen und wurden mit Schiffen zurück nach Europa transportiert: Die Abschiebung Deutscher aus Australien
Unter ihnen befanden sich sowohl Deutsche, die bereits lange Jahre in Australien gelebt hatten, als auch Deutsche, die während des Ersten Weltkrieges in anderen Ländern des Commonwealth interniert worden waren und im Verlauf des Krieges nach Australien gebracht wurden. Das waren unter anderem Ceylon, HongKong oder Singapur.
Über den deutschen Geschäftsmann Jacob Jebsen, der sich bei Kriegsausbruch in HongKong befand, habe ich hier berichtet: Siehe: Der Schiffsoffizier Friedrich Meier – ein Nachtrag zu den Tagebucheinträgen
Ein anderes Schicksal, über das ich hier im Blog geschrieben hatte, war das der Familie Freudenberg, die bei Kriegsausbruch zunächst auf Ceylon gefangen gehalten wurde und später nach Australien gebracht wurde. Siehe: Freudenberg und Co. in Colombo
Auch Physikprofessor Hupka war auf Ceylon verhaftet worden und kam anschließend nach Australien. Siehe: Wie ein bekannter deutscher Physikprofessor auf die „Fürth“ kam

Artikel aus den Altonaer Nachrichten, 17. Juli 1919; Quelle europeana.eu; der Dampfer „Willoch” muss richtig „Willochra“ heißen
Unter den gefangen genommenen Deutschen waren auch die Besatzungen der Handelsschiffe. Die meisten von ihnen waren bei oder nach Kriegsausbruch in Australien festgesetzt worden. Über das Schicksal des Offiizers Friedrich Meier hatte ich ausführlich berichtet.
Andere Seeleute, wie die Besatzungen der Handelsschiffe „Fürth“ und „Australia“, die vor Ceylon gekapert worden waren, waren im Verlauf des Krieges nach Australien gebracht worden.
Zu den untenstehenden Abbildungen:
Die Titelseiten deutscher Tageszeitungen zwischen November 1918 und Dezember 1920 geben einen Eindruck von den Rahmenbedingungen, unter denen die australischen Rückkehrer nach Deutschland kamen: die neue Nationalversammlung, Generalstreiks und Putschversuche zeugen von der Instabilität der jungen Weimarer Republik.
Die Quelle der Zeitungstitel sind die Europeana Collections. Bei Interesse können Sie die zitierten Ausgaben dort vollständig abrufen.

Berliner Tagblatt, 9. November 1918; Quelle europeana.eu
10 Millionen Gefangene – 10 Millionen Vertriebene
Warum das Nachverfolgen der Spuren der aus Australien abgeschobenen Deutschen wie eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen ist, mögen folgende Zahlen verdeutlichen:
Im Ersten Weltkrieg gab es etwa 10 Millionen Gefangene, davon 2 Millionen Zivilpersonen und 8 Millionen Soldaten.
Quelle: Prisoners of the First World War, ICRC Historical Archives; grandeguerre.icrc.org
Auch die in Europa durch den Ersten Weltkrieg vertriebenen Personen werden auf die diese Anzahl geschätzt:
„Die politischen Veränderungen durch die Friedensverträge ließen In Europa etwa zehn Millionen Menschen unfreiwillig die Grenzen überschreiten.“
Zitat aus: J. Oltmer, Flucht- und Zwangswanderungen in der Zwischenkriegszeit, Bundeszentrale für politische Bildung, bpb.de

General-Anzeiger für Hamburg-Altona, 16. März 1920; Quelle europeana.eu
Für das, was von Deutschland noch übrig war, das „Rest-Reich“, bedeutete dies eine Zuwanderung von 120.000-150.000 Menschen aus Elsass-Lothringen und von 16.000 Zuwanderern aus den Deutschen Kolonien. Die größte Anzahl kam jedoch aus Osteuropa:
„bis Mitte 1925 zählte das Statistische Reichsamt 850.000 deutsche ‚Grenzlandvertriebene‘ aus den polnischen Westgebieten. Hinzu kamen die etwa 120.000 ‚Deutschstämmigen‘, die in den Kriegs- und Nachkriegswirren zwischen 1917 und 1921/22 aus dem ehemaligen Zarenreich ins Reich gekommen waren.“
(Zitat aus der gleichen Quelle)
Da fällt es auch wenig ins Gewicht, wenn von den letztgenannten 120.000 Deutschstämmigen etwa die Hälfte wieder ausgewandert ist (nach Übersee oder Rückwanderung nach Polen/UdSSR).

Berliner Börsen-Zeitung, 5. März 1919; Quelle europeana.eu
Die Auslandsdeutschen
Lange Zeit blieb das Schicksal der abgeschobenen Deutschen aus Ländern der Alliierten unerforscht.
Ein Historiker, der sich dieses Themas angenommen hat, ist Metthew Stibbe, Professor für moderne europäische Geschichte an der Sheffield Hallam University.
Im Folgenden greife ich auf Informationen aus seinem Aufsatz zurück:
Stibbe, Matthew (2020). A forgotten minority: the return of the Auslandsdeutsche to Germany in 1919-20. Studies on National Movements, 5, 144-183; Quelle http://shura.shu.ac.uk/
Als Auslandsdeutsche bezeichnet Stibbe Deutsche, die in westlichen Ländern der Allierten und deren Überseebesitzungen gelebt hatten und nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu „enemy aliens“ geworden waren.
Damit gibt es eine klare Abgrenzung gegenüber den Zuwanderern aus ehemaligen Reichsgebieten und den Kolonien (Kolonialdeutsche). Allerdings schließt Stibbe die große Gruppe der Bewohner Elsass-Lothringens in die Kategorie der Auslandsdeutschen mit ein:
„Also included here are the more than 200,000 German victims of the French épuration (‘purification’) measures in Alsace-Lorraine in 1918-20.

Berliner Börsen-Zeitung, 26. November 1918; Quelle europeana.eu
Ankunft in Rotterdam
Die aus Übersee abgeschobenen Deutschen kamen im Jahr 1919/1920 in der Regel mit Schiffen in Rotterdam an (siehe Titelbild), da die britische Seeblockade in der Nordsee bis zum Sommer 1919 andauerte. Auch nach dem Ende der Blockade wurde Rotterdam weiter angelaufen, erst zu Beginn des Jahres 1920 wurde Rotterdam von Hamburg als wichtigster Hafen für die Rückwanderer aus Übersee abgelöst.
Stibbe zitiert für Rotterdam folgende Zahlen:
Über 11,807 Deutsche kamen hier zwischen dem 7. April und dem 1. August 1919 aus Übersee an, 3014 von ihnen ohne Papiere.
Unter ihnen auch Deutsche aus Australien. Allerdings waren bis zum 1. August 1919 erst zwei Schiffe in Rotterdam angekommen, die „Willochra“ und die „Kursk“ mit insgesamt etwa 1.700 Deutschen. Die anderen Dampfer erreichten Rotterdam erst nach dem 1. August 1919.

Berliner Tagblatt, 6. Februar 1919; Quelle europeana.eu
Kühler Empfang
Im Gegensatz zu den heimkehrenden Soldaten, die in der Öffentlichkeit als Helden gefeiert wurden, war der Empfang der Auslandsdeutschen weitaus weniger euphorisch:
The reception that the expellees received upon crossing the border into Germany in 1919 or 1920 was often cold and bureaucratic.
Von offiziellen Stellen würden die Rückkehrer oft als unwillkommene Last auf die vorhandenen Wohlfahrtseinrichtungen angesehen. Eine Beschwerde, die der Vorsitzende der Reichsstelle für deutsche Rückwanderung und Auswanderung an verschiedene Regierungsvertreter formuliert hatte.
Interessengruppen, die sich für die Auslandsdeutschen einsetzten waren der 1919 in Düsseldorf gegründete Hilfsbund für Auslandsdeutsche, der Schutzbund der im Feindesland durch Kriegshandlung geschädigten Zivilpersonen, der Volksbund zum Schutze der deutschen Kriegs- und Zivilgefangenen (Berlin) oder der Bund der Auslandsdeutschen.
Die Identifizierung der Auslandsdeutschen bereitete große Schwierigkeiten, da diese Gruppe sehr verschiedenartig zusammengesetzt war:
“Civilian prisoners, however, had diverse interests and a more complicated legal status, which meant that repatriation was often involuntary and combined with loss of property, family separation and destitution.”

Berliner Tagblatt, 15. April 1919; Quelle europeana.eu
Für die Rückkehrer waren im Deutschen Reich Lager errichtet worden. Für Ankommende aus Übersee über Rotterdam dürften die Lager Essen und Münster in Nordrhein-Westfalen die zentralen Anlaufstationen gewesen sein. Die Rückkehrer verblieben dort im Schnitt ein bis zwei Monate. Diese Lager wurden Ende 1920 wieder geschlossen, während die Lager an den deutschen Ostgrenzen bis 1923, teilweise bis 1925 weiterexistierten.
Die Wahrnehmung der Auslandsdeutschen verschwand bereits nach 1920 wieder aus der Öffentlichkeit. Die Gruppe war zu klein und auch zu heterogen im Vergleich zu heimkehrenden Soldaten oder Deutschen aus Polen. Außerdem machte die Anwesenheit der Auslandsdeutschen dem Deutschland der Weimarer Republik schmerzlich seine neue Situation in Europa bewusst:
„But the emotional response to the loss of extra-territorial networks and transnational relationships represented by the Auslandsdeutsche – whether of the religious, associational, linguistic or commercial kind – was far more muted, reflecting Weimar Germany’s uncomfortable and ambiguous position as a ‘postcolonial nation in a still-colonial world’ ”.

Berliner Tageblatt, 20. Februar 1919; Quelle europeana.eu
Suche nach Einzelschicksalen
Haben Sie Vorfahren, die aus Australien oder anderen Überseegebieten des Commonwealth nach Beendigung des Ersten Weltkrieges ausgewiesen wurden?
Ich freue mich über jede Information, die Auskunft über das Schicksal dieser Heimkehrer gibt, die nach dem Krieg nach Deutschland zurückmussten. Auch über die Besatzungen deutscher Seeleute, die nach dem Krieg wieder nach Deutschland zurückdurften.
Beide Gruppen dürften die Rückkehr nach Deutschland komplett unterschiedlich empfunden haben.
Aber selbst bei dieser Einteilung in zwei Gruppen muss man sehr vorsichtig sein: Ich hatte darüber berichtet, dass bei den Schiffsbesatzungen die Zahl derer, die in Australien desertierten, mit 20 bis 25 Prozent sehr hoch lag.
Daher dürfte auch für diese Deserteure und ehemaligen Seeleute, die sich in Australien ein besseres Leben erhofft hatten, die Rückkehr nach Deutschland wenig erfreulich gewesen sein. Siehe dazu: Dampfschiff „Fürth“: Tagebuch-Spezial – Deserteure, Einschleicher und wechselndes Personal

Berliner Volks-Zeitung, 24. März 1920; Quelle europeana.eu
Es gibt in einem Archiv in Herford Briefe eines Internierten auf den Azoren. Darin wird vor allem über die finanziellen Verluste des Internierten berichtet er war für die Firma Woermann in Cabinda.
Haben sie mehr Quellen zu dieser Gruppe?
Herzlichst
Bernd Overwien
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Hallo Herr Overwien,
vielen Dank für Ihr Interesse an meinem Blog und Ihren wertvollen Hinweis.
Ich werde nach meinem kurzen Pfingsturlaub die Spur nach Herford aufnehmen und sehen, ob und wie ich an die Briefe gelangen kann. Andere Schriftquellen aus dem Lager auf den Azoren sind mir bislang leider nicht bekannt.
Beste Grüße
Jürgen Pfeiffer
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Ok, der Name ist Gustav Kötter. Er hat für die Firma Woermann in Cabinda/ Angola gearbeitet.
Gruß
Bernd Overwien
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