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marseille pont transbordeur

Die Schwebefähre in Marseille

Symbol des Fortschritts

Heute führen uns die Reisen des Dampfschiffes „Fürth“ nach Marseille. In der ersten Hälfe des 20. Jahrhunderts wurde die Silhouette des Hafens durch die beeindruckende Konstruktion der Schwebefähre (frz. pont transbordeur) geprägt.

Bei einer Schwebefähre handelt es sich im Prinzip um eine Fähre, die an einer großen Stahlkonstruktion aufgehängt ist.

Konzipiert wurde die Schwebefähre in Marseille von Ferdinand Arnodin. Der 1845 in Lyon geborene Ingenieur hatte bereits Schwebefähren in Bilbao (1889), Rouen (1897), Bizerta (1898) und bei Rochefort (1899) konstruiert und er erhielt im März 1902 die Erlaubnis, eine Schwebefähre über die Einfahrt des alten Hafens von Marseille zu errichten.

Die Schwebefähre verband die Nordseite, wo sich Fort Jean befindet mit der Südseite der Hafeneinfahrt, die von Fort Nicolas dominiert wird. In diesem Fort verbrachte der Kapitän der „Fürth“, Friedrich Walt(h)er Richter, einen Teil seiner Gefangenschaft während des Ersten Weltkrieges. SIEHE: Der Kapitän der „Fürth“ in Gefangenschaft in Marseille

Die Bauarbeiten an der Schwebefähre begannen im Jahr 1903 und im Dezember 1905 konnte die Fähre bereits eingeweiht werden. Für eine Überfahrt wurden 1 ½ Minuten benötigt, bei starkem Wind konnte sich die Fahrt um eine Minute verlängern.

marseilles transporter bridge

Marseille, Schwebefähre, Aufnahme ca. 1905-1914 ; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pont_Transbordeur-03.jpg

Wahrzeichen von Marseille

Für viele Einwohner Marseilles war die Schwebefähre ein Symbol des Fortschritts und der Identifikation, ähnlich wie es der Eiffelturm für die Pariser geworden war.

Jedoch fand die Schwebefähre nicht jedermanns Zustimmung. Besonders muss dies für die Fährleute (bateliers) gegolten haben, die Passagiere mit kleinen Booten über die Hafeneinfahrt ruderten. Auch größere motorbetriebene Barkassen stellten die Überfahrt sicher. Die drei Dienstleistungen sollten parallel zueinander weiterexistieren.

Die Kapazität der Schwebefähre betrug bis zu 300 Personen, beim Transport von Karren oder Fahrzeugen entsprechend weniger.

Die Pfeiler der Schwebefähre hatte eine Höhe von 86,60 Metern und standen 165 Meter auseinander. Auf 50 Metern Höhe waren sie durch einen 240 Meter langen horizontalen Brückenträger verbunden auf dem sich die Tragevorrichtung für die Fährplattform befand, die mit 30 Stahlseilen daran befestigt war.

Eine Besonderheit der Schwebefähre in Marseille war, dass die Hafeneinfahrt über sie auch zu Fuß überquert werden konnte. Dazu gab es seit 1907 in beiden Pfeilern Treppen, die nach oben auf den Brückenträger führten. Im Nordpfeiler wurde später auch ein Aufzug eingebaut. Auf 74 Metern Höhe befand sich außerdem eine Aussichtplattform, die über eine Wendeltreppe erreicht werden konnte.

Eine Attraktion waren auch vier Pavillons, die sich auf oben auf dem horizontalen Brückenträger befanden: ein Souvenirshop, eine Bar und sogar ein Restaurant. Der vierte Pavillon diente als Maschinenhaus.

Das auf Fische und Meeresfrüchte spezialisierte kleine Restaurant von Honoré Raybaud erfreute sich großer Beliebtheit, was auch auf die einmalige Aussicht zurückzuführen war, die die Gäste hier genießen konnten.

Spätere Geschichte

In den 1930er Jahren wurde der Betrieb der Schwebefähre zunehmend unrentabel.

Im Juni 1939 wurde schließlich der Abbau beschlossen. Letztlich waren es aber deutsche Besatzungstruppen, die am 22. August 1944 die Konstruktion der Schwebefähre sprengten, um die Hafeneinfahrt zu blockieren. Allerdings fiel dabei nur der nördliche Pfeiler. Der stehen gebliebene Teil wurde dann im September 1945 gesprengt und abgetragen.

Neuere Pläne für den Wiederaufbau einer Schwebefähre wurden nie realisiert, zuletzt war ein Projekt des Architekten Paul Poirier im Jahr 2017 von der Stadt Marseille abgelehnt worden.

Die einzig verbliebene Schwebefähre in Frankreich ist heute die Schwebefähre bei Rochefort (Pont transbordeur du Martrou).

Eine Überfahrt ist für jeden Technikfan (aber nicht nur) ein ganz besonderes Erlebnis.
(https://www.pont-transbordeur.fr/ ; Seite in französischer und englischer Sprache).

Sehr viel ausführlicher und mit vielen Fotos ist die Geschichte der Marseiller Schwebefähre hier dokumentiert: http://ponttransbmarseil.free.fr/sommaire.php (in französischer Sprache).

Warenverkehr nach Marseille

Regelmäßige Frachten der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) und damit auch des Frachtdampfers „Fürth“ nach Marseille waren Kopra und Häute (Marseille wurde nur auf der Heimreise von Niederländisch-Indien und Australien nach Hamburg angelaufen).

Aus Kopra wurde Kokosfett gewonnen, das zur Herstellung der bekannten Marseiller Seife verwendet wird. SIEHE: Die Fracht der „Fürth“ – Kopra

Auch Häute wurden regelmäßig in Marseille angeliefert. Die im Umland der Stadt gelegene Gemeinde Barjols (Departement Var) war mit knapp dreißig Gerbereien ein Zentrum der französischen Lederproduktion.

Seltener wurde auch in Marseille Fracht geladen: Ölkuchen, der als Tierfutter in Deutschland Verwendung fand.

Die typische Würfelform der Marseiller Seife

Savon de Marseille, Marseiller Seife besteht aus 72 % pflanzlichen Fetten; Kokosnussfett ist immer enthalten (Bild: Pixabay)

Pontons dans le port de Marseille

Der Kapitän der „Fürth“, W. Richter, als Gefangener in Marseille – Teil 2

Ein schwimmendes Gefängnis

Fort Saint-Nicolas

Den ersten Teil der Gefangenschaft musste Kapitän W. Richter, Kapitän des Dampfschiffes „Fürth“, mit seinen vier deutschen Leidensgenossen im Fort Saint-Nicolas verbringen (Der Kapitän der „Fürth“ in Gefangenschaft in Marseille).

Die ebenfalls zunächst im Fort Nicolas festgehaltenen Zivilgefangenen waren auf die Frioul-Inseln oder nach Korsika gebracht worden. Dafür waren am 4. November 1914 deutsche Soldaten als Gefangene in Fort Nicolas eingetroffen.

Kurz darauf wurden die Soldaten und die fünf anderen Gefangenen (vier Seeleute und ein Professor) vom Fort Saint-Nicolas auf ein Ponton gebracht:

Die Zitate sind erneut aus dem Bericht von Kapitän Richter aus den Hamburger Nachrichten vom 16. Dezember 1914, S. 3; Quelle:
http://www.theeuropeanlibrary.org/tel4/newspapers/issue/Hamburger Nachrichten/1914/12/16

Die Lage wird nicht besser

„Wir wurden nun sämtlich durch einen kleinen Dampfer auf einen im Außenhafen verankerten großen Schwimmponton gebracht. Der Zustand einiger Verwundeter hatte sich aber inzwischen so stark verschlimmert, daß sie durch ihre Kameraden getragen werden mußten. Unser neuer Aufenthalt war zwar geräumiger, aber nicht besser. War der alte Raum im Fort doch wenigstens noch gegen den Wind geschützt, so konnte hier die frische und naßkalte Seebrise unbehindert durch den weiten eisernen Aufbau des Pontons, der uns als Wohnraum angewiesen wurde, hindurchfegen, da die Vorderseite nur durch ein Holzgitter abgeschlossen war und die Fenster in der Hinterwand zumeist keine Scheiben mehr hatten. Kurzes Häckselstroh war auf dem Asphaltboden nur dünn aufgestreut. In der Mitte blieb es auf dem Boden nicht liegen, da der Wind es fortwehte und in dem ganzen Raume herumtrieb. Die an den Seitenwänden befindlichen Luftlöcher waren überhaupt nicht verschließbar.“

Marseille, port et pont transbordeur

Marseille. Eingang zum Alten Hafen und das Bassin de la Joliette, Bei genauem Hinsehen erkennt man die filigrane Struktur der Schwebefähre über der Hafeneinfahrt, Postkarte, undatiert, Quelle: https://www.geneanet.org/cartes-postales/view/5042753#0

Kälte, Nässe und Wind

„Am nächsten Tage nach der Überführung erschien der Kommandant, begleitet von einer etwa zwanzig Jahre alten Zivilperson, um sich von der Unterbringung der Gefangenen persönlich zu überzeugen. Ihm gegenüber beschwerten wir uns, hinweisend auf die Verwundeten, bitter über diese neue Unterkunft, die gegen Kälte und Wind auch gar keinen Schutz bot. Er jedoch gab uns zur Antwort, indem er zugleich auf die Zivilperson hinwies: „Dies ist mein Sohn. Er ist in Jena Student gewesen und dort zwei Monate gefangen gehalten worden. Er hat täglich nur zwei Liter Wasser erhalten und dabei auf einer Holzpritsche schlafen müssen. Dieser Aufenthaltsraum ist also gut genug für euch.“ Diesem Hohn setzte der junge Begleiter noch die Krone dadurch auf, daß er uns beim Fortgeben, sich umdrehend, zurief: „Ihr habt es hier ausgezeichnet.“

Marseille, port, vue panoramique

Marseille, Hafen um 1915, Postkarte, Quelle: https://www.geneanet.org/cartes-postales/view/5177212#0

Eisige Nächte

„Wir richteten uns so gut wie möglich auf dem Schwimmponton ein. Jeder, der über seine gesunden Glieder verfügte, sprang seinen kranken und verwundeten Kameraden hilfreich bei. Besonders taten sich hierbei zwei deutsche Unteroffiziere hervor, die in zivilen Verhältnissen Lehrer gewesen waren. Sie sorgten für Ordnung und besondere Pflege für die Kranken, die noch von einem zufällig mitgekommenen Sanitätsunteroffizier, einem Württemberger, auf das aufopferndste gepflegt wurden. Das Leben in den Nächten war geradezu entsetzlich. Klappernd vor Frost konnte niemand schlafen. Durch Umhergehen suchte man sich zu erwärmen, wovon die Verwundeten keinen Gebrauch machen konnten. Sie krochen dicht zusammen, um sich gegenseitig warmzuhalten. Der anbrechende Tag brachte erst die Erlösung von den Qualen der Nacht, da mit ihm die Hoffnung auf etwas wärmenden Sonnenschein kam. Aber auch er stellte sich leider nur zu häufig nicht ein.“

Selbsthilfe

„Auf uns fünf Zivilisten wirkten diese nächtlichen Szenen erschütternd. Wir sammelten kurz entschlossen unter uns, da wir genügend Geldmittel besaßen, eine bedeutende Summe, für die wir eine große Anzahl Decken, eine größere Menge Verbandsstoff und Medikamente herbeischaffen ließen. Der hilfreiche Sanitätsunteroffizier, Paul Poschart aus Reutlingen, – es sei, da er Tag und Nacht unermüdlich in der Ausübung seiner Liebestätigkeit war, sein Name hier genannt, – griff nun energisch ein und wirkte segensreich unter den Verwundeten, die mit großer Liebe an ihm hingen. Waschwasser gab es überhaupt nicht. Wer sich waschen wollte, schöpfte sich mit seinem Eßnapf aus dem Trinkwassereimer etwas Wasser und begoß sich damit Gesicht und Hände. Aus der zur Verfügung stehenden Kantine wurde nur sehr wenig gekauft, da die Preise fast unerschwinglich hoch waren, Aufenthalt im Freien war nur bei günstiger Witterung, und dann auch nur zwei Stunden am Nachmittag, auf dem oberen Deck des Pontons gestattet.“

Marseille - Le Phare Sainte Marie

Hafeneinfahrt in Marseille mit dem Leuchtturm Sainte-Marie; Postkarte (gelaufen 1906), eigene Sammlung.

Verzögerte Freilassung

„Am 18. November winkte die Erlösung aus diesem scheußlichen Gefängnis. Die Soldaten wurden eingeschifft und soviel uns bekannt wurde, nach Tunis gebracht. Wir blieben aber zurück, da am gleichen Tage die Nachricht von Paris gekommen war, das unserer Beschwerde beim englischen Gesandten Folge gegeben sei und wir nun nach einem neutralen Lande entlassen werden sollten. Am folgenden Tage wurden wir abgeholt und zur Polizeiwache gebracht. Dort wurden wir wie Verbrecher photographiert und gemessen. Frei waren wir jedoch noch nicht. Wir wurden wieder in einem Gefangenenwagen nach dem Hafen zurückgebracht und mußten unterwegs die Verhöhnungen und tätlichen Beleidigungen der Straßenpassanten ertragen. Am 21. November wurden wir wieder von dem Schwimmponton abgeholt. Unter militärischer Bewachung machten wir auf der Suche nach dem spanischen Dampfer Barzella, mit dem wir nach Genua fahren sollten, Irrfahrten im Hafen von Marseille umher und fanden den Dampfer nicht, da er überhaupt nicht im Hafen lag. Wohl oder übel mußten wir unseren elenden Wohnaufenthalt wieder aufsuchen, den wir erst am 25. November endlich für immer verlassen konnten. Auf mein Gesuch hin, uns doch zur italienischen Grenze zu bringen, wurden wir an dem Tage unter militärischer Bewachung bei Ventimiglia über die französische Grenze geschoben. Von diesem kleinen italienischen Städtchen aus begaben wir uns nach Genua, wo unser Professor, dessen Nerven gänzlich zusammengebrochen waren, vorerst zu seiner Erholung blieb. Wir drei Kapitäne und mein dritter Offizier aber dampften schleunigst in die teure Heimat hinein. Eine schwere Zeit voll böser Eindrücke, die uns wie ein übler Traum bedrückten, lag hinter uns.“

An dieser Stelle endet der Augenzeugenbericht von Kapitän W. Richter in den Hamburger Nachrichten.

Die anderen Kapitäne waren zwei Kapitäne der Bremer Dampfschiffs-Gesellschaft Hansa, deren Schiffe ebenfalls in Colombo geblieben waren:  F. H. R. Gronau, Kapitän des Dampfers „Rappenfels“ und W. Müller, Kapitän der „Moltkefels“ (Die „Fürth“ in Colombo: 11. bis 18. August 1914).

Zu Prof. Kahle siehe den Blogbeitrag: Die abenteuerliche Reise des Kapitäns der „Fürth“, W. Richter, auf der „Koningin Emma“.

Der genannte dritte Offizier der „Fürth“ war H. Wodarz.

Nächste Woche im Blog: Kapitän W. Richter – Heimkehr nach Hamburg und Tod

Pontons dans le port de Marseille

Marseille, Alter Hafen, im Bild erkennt man einige Pontons, allerdings ohne Aufbauten; Postkarte, undatiert, Quelle: https://www.geneanet.org/cartes-postales/view/5936029#0