Großer Andrang in den Tilbury Docks
Am 26. November 1914 war das Dampfschiff „Fürth“ in London angekommen. SIEHE: Kapitän R. J. Thomson überführt das Dampfschiff „Fürth“ von Ceylon nach England
Der genaue Ankunftsort dürften die Tilbury Docks gewesen sein. Darauf weist das Dokument mit der Referenz BT 99/3082 im Britischen Nationalarchiv hin, welches eine Liste von „unnummerierten Schiffen“ mit provisorischer Zulassung mit den Buchstaben D bis I enthält.
Darin findet sich folgender, kurzer Eintrag:
Furth [at Tilbury] prize ship
Der Hafen von Tilbury befindet sich etwa 25 Kilometer flussabwärts vom Zentrum Londons am Nordufer der Themse. Er wurde in den 80-er Jahren des 19. Jahrhunderts gebaut, um die weiter flussaufwärts gelegenen älteren Häfen Londons zu entlasten und den Zugang größerer Schiffe nach London zu ermöglichen. Heute ist Tilbury der wichtigste Hafen Londons.
Mehr Informationen und Bilder zu den Tilbury Docks unter https://www.gracesguide.co.uk/Tilbury_Docks
Im Winter 1914/1915 war der Hafen durch die vielen ankommenden Schiffe völlig überlastet. Auch die Union-Castle Line hatte ihre Dampfer von Southampton in den besser geschützten Hafen von Tilbury verlegt.
Dazu heißt es:
„5th Dec, 1914 – The Star says that the Tilbury Docks are full, and steamers are lying in the river waiting for berths. Owing to the war numbers of vessels were held up for various reasons and arrived together. The Union Castle Company has removed its boats from Southampton to Tilbury.“
Quelle: http://tott.org.uk/port-of-tilbury-military-links-a-time-line-prepared-by-jonathan-catton/
Auch ein Artikel in der Zeitung Essex Newsman spricht von großem Andrang in Tilbury:
CROWDED TILBURY.
Tilbury Docks were never so full of vessels as at present. An Atlantic transport liner has just arrived, with nearly 14,000 tons of American fruit and other cargo; and ships are continuing to come from all over the world.
Essex Newsman, Sa 5. Dez 1914, S.1; The British Newspaper Archive
Ausführlicher ist ein Artikel im Liverpool Echo vom 4. November 1914:
CONTRAST TO HAMBURG. THAMES FULL OF BUSY SHIPPING. The Tilbury correspondent of the “ Star“ states that the docks wore so full of vessels as at present. The berths are all fully occupied, and there are several steamers lying in the river waiting for berths until the ships in the docks have finished discharging. This is due to the war, because numbers vessels have been held up for various reasons and have arrived together. Then the Union- Castle Line have had to remove their boats from Southampton to Tilbury, and there are two of them discharging there now. One the Atlantic Transport liners has just arrived with nearly 14,000 tons American fruit, and other cargo, and ships are continuing to arrive from all over the world. It is also impossible to hire barge, and the Sheds are crammed with goods. Men have come from London to work as dock labourers, and agricultural labourers from rural Essex have found their way to the docks to work cargoes.
Liverpool Echo, Fr 4. Dez 1914, S. 6; The British Newspaper Archive
Dieser Artikel reist auch eine Problematik an, mit der die Handelsschifffahrt im Ersten Weltkrieg generell konfrontiert war: dem Mangel an qualifiziertem Personal. Viele Seeleute waren in die British Navy oder andere Flotten eingetreten und fehlten nun an Bord der Handelsschiffe.
In den Häfen war die Situation nicht besser: viele zur Marine oder Armee gegangene Stauer fehlten auch hier. Eingespielte „Gangs“ von Stauern wurden zerrissen und das Be- und Entladen der Schiffe übernahmen oft fachfremde Arbeitskräfte, mit Konsequenzen für die Liegezeiten sowie für die Sicherheit von Schiff und Ladung.

Tilbury Docks, London, Anf. 20. Jh., Aquarell von dem Marinemaler William Lionel Wyllie, Quelle: commons.wikimedia.org/wiki/File:Tilbury_RMG_PW0845.jpg
Das Entladen der „Fürth“
Das Entladen der „Fürth“ hatte die Admiralität dem Unternehmen T & J Harrison anvertraut. Eine Beschreibung dieser Reederei gibt es hier: Ein Logbuch der „Fürth” in Liverpool
Mr Ward von T & J Harrison informierte darüber das Colonial Office, genauer gesagt Herrn C.B.L. Tennyson, juristischer Mitarbeiter im Colonial Office.
Gemäß den Instruktionen der Ceylonesischen Kolonialregierung sollte T & J Harrison alle Waren an Bord der „Fürth“ ausliefern, bis auf 1200 Tonnen Konzentrate, die auf Anweisung des Prisengerichts in Colombo eingelagert werden mussten.
C.B.L. Tennyson Esq.
November 25th. 1914.
s.s. “FURTH”
Mr. Ward of Messrs. T. & J. Harrison informs me that the steamer is due to-day, and in accordance with instructions from the Ceylon Government he will deliver the cargo to the respective Consignees, with the exception of 1200 tons of Concentrates which are to be held to the order of the Marshal of the Ceylon Prize Court. He will pay off the officers and crew and after the discharge has been completed will render to the Crown Agents an account for the expense of the voyage.
Expense will no doubt be incurred in the storage of the Concentrates, so an early decision as to the disposal is desirable.
Quelle: Britisches Nationalarchiv, Akte CO 323/625/70
Anm.: In diesem Schreiben wird die Ankunft der „Fürth“ für den 25. November angekündigt, laut Zeitungsmeldungen erfolgte die Ankunft dann jedoch erst am 26. November 1914.
Die Abkürzung Esq. steht für Esquire und ist ein Höflichkeitstitel.

Das Greenland Dock in London, 1927, Quelle: commons.wikimedia.org/wiki/File:Greenland_dock_1927.jpg
Herr Boret bietet seine Dienste an
H. D. Boret war der Londoner Agent der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG). Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges dürfte er damit arbeitslos geworden sein, außer er vertrat noch andere Schifffahrtslinien, die nicht dem Deutschen Reich oder seinen Verbündeten zugehörig waren.
Aus einer Anzeige vom 7. Januar 1914 in der Birmingham Daily Post geht hervor, dass er Werbung für Reisen nach Windhuk machte (Quelle: The British Newspaper Archive). Leider ist nicht angegeben, welche Linie er für diese Reisen vertreten hat. Es ist jedoch nahe liegend, dass auch dies eine deutsche Reederei war, denn Windhuk lag zu diesem Zeitpunkt in Deutsch-Südwestafrika.
Am 27. November 1914 adressierte er einen Brief an Mr. Moggridge vom Board of Trade und bot seine Unterstützung beim Abladen des Dampfschiffes „Fürth“ an:
„As for getting on for 30 years, I have been representing this Company’s interests here – of which this steamer is one of its fleet – might I be permitted to act in the matter of her discharge, as naturally I am familiar with all the details and the general procedure, and further , quite apart from the business aspect, am particularly anxious to help in every way possible the many firms who have for so long been supporting the Line.”
Quelle: The National Archives, Kew (London), Referenz CO 323/632/26
Beim Board of Trade wusste man mit dem Schreiben Borets jedoch nichts anzufangen und leitete es an das Colonial Office weiter. Dort verfasste man am 2. Dezember eine freundliche Absage.
Das Schreiben von H. D. Boret kam etwas spät. Die „Fürth“ war schon am 26. November 1914, also einen Tag vor der Absendung des Briefes an den Board of Trade in London angekommen. Außerdem war Boret offensichtlich nicht darüber informiert, das von der ursprünglichen Ladung fast nichts mehr an Bord war. Aber vielleicht wollte er sich auch nur bei den Behörden ins Gespräch bringen und seine Dienste anbieten.
Wenig Informationen
Ansonsten ist über den Agenten Boret wenig zu erfahren. Sein Büro war am Billiter Square (No. 9). Damit war er in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem Londoner Büro von T & J Harrison und auch in Fußnähe zu Lloyd’s Register.
Nachdem er in seinem Brief 30 Jahre Geschäftstätigkeit für die DADG angibt, muss er von Anfang an (also bei Aufnahme des Australienverkehrs im Jahr 1889) für die DADG tätig gewesen sein und dürfte daher bei Kriegsausbruch mindestens Mitte Fünfzig gewesen sein.
Otto Harms (1933) schreibt über ihn:
„H. D. Boret, welcher auch die Vertretung der Firma August Blumenthal hatte, und damit die der Seglergruppe. Er hat es aber verstanden, beiden Parteien gerecht zu werden und sich als sehr tüchtig bewährt.“
Quelle: O. Harms (1933) Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg (Schröder & Jeve).
Anm.: Mit „beiden Parteien“ meint Harms die Vertreter der Segelschiffreedereien auf der einen und die Dampfschiffreedereien auf der anderen Seite.
August Blumenthal war Spediteur und Reeder in Hamburg mit Sitz am Glockengießerwall 1 (Adressbuch der Stadt Hamburg von 1914, Quelle: agora.sub.uni-hamburg.de)

Tilbury Docks, London um 1890, Aquarell von dem Marinemaler William Lionel Wyllie, Quelle: commons.wikimedia.org/wiki/File:Tilbury_RMG_PW0845.jpg
Das Dampfschiff „Fürth“ sieht seinem Schicksal entgegen
Unklar war nach der Ankunft der „Fürth“ noch, was aus dem Schiff werden sollte. Entweder sollte es von der Admiralität als Frachtschiff genutzt oder verkauft werden.
In einem Telegramm der Admiralität an den Gouverneur Ceylons heißt es:
„Admirality will take over and dispose of “Furth”. I assume no order has been made by Colombo Court which will prevent ship being re-chartered or sold by Admirality and proceeds paid into Prize Fund”
Quelle: Telegrammentwurf vom 1. Dezember 1914, British Archives, CO 323/625/70
Die Admiralität hat sich also noch einmal in Colombo rückversichert, dass über das „Schiff“ vom Prisengericht nicht schon anderweitig verfügt worden war.
In einem handschriftlichen Vermerk ist von dem Plan die Rede, die „Fürth“ im Auftrag der Admiralität als Frachtschiff nach Südafrika segeln zu lassen.
(Quelle: British Archives, CO 323/625/70)
So viel sei vorweggenommen: Es wird ganz anders kommen!

Die Ceramic in den Tilbury Docks, ohne Jahresangabe (zwischen 1913 und 1940); Quelle: Passengers in History, an initiative of the South Australian Maritime Museum, passengersinhistory.sa.gov.au/file/38822
Die SS „Ceramic“ in den Tilbury Docks
Zum Abschluss für heute noch eine der seltenen Aufnahmen aus den Tilbury Docks zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Sie zeigt den Hafen mit dem Schiff „Ceramic“.
Die „Ceramic“ war ein großes Schiff mit 18.481 Bruttoregistertonnen und einer Länge von 655,1 Fuß (ca. 200 m). Gebaut wurde sie von Harland & Wolff in Belfast. Sie bot Unterkunft für 600 Passagiere der 3. Klasse. Sie fuhr für die White Star Line im Australienverkehr. Die Jungfernfahrt startete am 24. Juli 1913 in Liverpool und führte über Kapstadt, Albany, Adelaide, Melbourne nach Sydney.
Im Ersten Weltkrieg wurde die „Ceramic“ als Truppentransporter eingesetzt. (Quelle: theshipslist.com, dort auch die weitere Geschichte des Schiffs)