Ein kurzes Intermezzo im Dezember 1919
Titelbild:
Cunard Line Poster “For Safety and Comfort take the old reliable Cunard Line”, 1875; Library of Congress, Washington DC, https://www.loc.gov/item/2003680949/
Heute geht es um die weltberühmte Cunard Line. Sie kennen vielleicht Schiffe wie die „Mauretania“, „Lusitania“ oder „Aquitania“. Sicher haben Sie aber schon von den Passagierschiffen „Queen Mary“ oder „Queen Elizabeth“ gehört.
Was Sie jedoch sicher nicht wussten, ist, dass auch die „Kerman“, exFürth, zumindest für einen kurzen Zeitraum ein Schiff der Cunard Line war.
Um Missverständnissen vorzubeugen: die Cunard Line war nie Eigentümer der „Kerman“, exFürth, hat sie aber für einen sehr kurzen Zeitraum gemanagt oder bereedert, um das deutsche Wort dafür zu verwenden.
Dieser Blogartikel zeigt auf, dass die „Kerman“,exFürth belegbar von der Cunard Line bereedert wurde, wenngleich vermutlich auch nur für eine einzige Fahrt im Dezember 1919.
Zunächst aber ein paar Worte über die Geschichte von Cunard.

„Mauretania“, Panoramapostkarte, 1908, Library of Congress, Washington DC, https://www.loc.gov/item/2013646025/
Cunard Line
Im Jahr 1838 gründete Samuel Cunard aus Halifax (Neuschottland, Kanada) zusammen mit Geschäftspartnern die British and North American Royal Steam Packet Company (BNARMSPC). Praktischerweise erhielt die Reederei später den kürzeren und eingängigeren Namen Cunard Steamships Co. Ltd.
Cunard gehört damit zu den ältesten noch existierenden Reedereien auf der Welt (zumindest der Name besteht bis heute fort).
Die noch junge Reederei gewann 1840 die Ausschreibung über den Transport von Post zwischen England und Amerika. Die Schiffe trugen fortan den Titel RMS (Royal Mail Ship).
Der reguläre Post- und Passagierservice wurde am 4. Juli 1840 von dem Schaufelraddampfer „Britannia“ aufgenommen, der die Reise von Liverpool nach Halifax in 12 Tagen schaffte. Weitere zwei Tage und acht Stunden war er nach Boston unterwegs. Im Jahr 1852 folgte dann das erste Dampfschiff mit einem Rumpf aus Stahl.
In der Folge traten zahlreiche Konkurrenten auf den Plan, die Cunard jedoch alle überlebte. Die Schiffe der Linie hatten sich durch ihre Zuverlässigkeit und Sicherheit einen erstklassigen Ruf erarbeitet.
Zwischen 1914 und 1918 entstand in Liverpool die europäische Zentrale der Reederei.

Cunard Building, Liverpool, Zeichnung, 1916; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cunard_Building,_Liverpool_02.jpg
Die größten Schiffe der Cunard Line sollten diesem imposanten Bauwerk nicht nachstehen.
RMS „Mauretania”, RMS „Lusitania“ und RMS „Aquitania”
Die „Mauretania“ und die „Lusitania“ waren 1907, also im gleichen Jahr wie der Frachtdampfer „Fürth“ in Betrieb gegangen. Es waren die damals größten Schiffe der Welt und die „Mauretania“ sollte über 20 Jahre lang das begehrte Blaue Band für die schnellste Atlantikquerung behalten, welches sie erst 1929 an die „Bremen“ des Norddeutschen Lloyd verlor. Mehr über das Blaue Band in diesem Artikel: Logbuch der „Fürth“ (18) – Ein plötzliches Ende der Reise
Das Schwesterschiff „Lusitania“ erlangte 1915 mit der Versenkung durch ein deutsches U-Boot traurige Bekanntheit.
Im Jahr 1914 war RMS „Aquitania“ für die Cunard Line in Fahrt gegangen. Das Schiff erreichte zwischen den beiden Weltkriegen eine enorme Popularität auf der Transatlantiklinie und sollte bis in das Jahr 1949 im Einsatz bleiben.
In zahlreichen Quellen können Sie mehr über diese berühmten Schiffe erfahren.

RMS „Mauretania” in Camouflage (“razzle dazzle”) während des Ersten Weltkriegs; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mauretania_in_Dazzle_Paint.jpg
Der Cunard Frachtdienst
Dass die Cunard Line neben dem Post- und Passagierverkehr auch reine Frachtschiffe betrieb, ist weitaus weniger bekannt.
Die untenstehende Anzeige aus dem Jahr 1917 zeigt, dass die Frachtschiffe der Reederei zahlreiche Destinationen anliefen.
In der Folge konzentrieren wir uns auf den Frachtverkehr zwischen London und New York.

Anzeige der Cunard Line, 1917; Quelle: Grace’s Guide to British Industrial History; https://www.gracesguide.co.uk/images/b/b9/Im1917Wire-Cunard.jpg
Die „Kerman“, exFürth bei Cunard
Am 21. Juni 1919 verließ die „Kerman“, exFürth unter Führung von Kapitän Waterlow die walisische Hafenstadt Swansea mit 900 Tonnen allgemeiner Ladung nach Abadan.
Über die Bereederung der „Kerman“, exFürth zu diesem Zeitpunkt kann ich derzeit keine Angaben machen.
Die weiteren Reisedaten sind spärlich: die Ankunft in Port Said vor der Passage durch den Suezkanal ist für den 3. Juli dokumentiert. Im gleichen Monat dürfte das Schiff dann in Abadan angekommen sein.
Anschließend fuhr die „Kerman“, exFürth nach Colombo, von wo aus sie am 9. September 1919 nach New York weitersegelte.
Die Abfahrt von New York nach London erfolgte dann am 9. oder 10. Dezember 1919 mit Ankunft in Gravesend am 23.12. und in London am 24.12.1919.
Spätestens ab New York müsste die Bereederung durch die Cunard Line erfolgt sein. Auf der Strecke zuvor von Colombo nach New York halte ich dies für unwahrscheinlich, da diese Strecke meines Wissens keine Linienverbindung von Cunard war.

Passagiere als Zuschauer bei Spielen auf dem Deck von RMS „Mauretania“, 12. Juni 1911, Library of Congress, Washington DC, https://www.loc.gov/item/97511153/
Cunard Steamers
Im Sheffield Daily Telegraph von Freitag, dem 12. Dezember 1919 wird die „Kerman“ unter der Rubrik CUNARD STEAMERS mit anderen Schiffen der Reederei, wie „Vestris“, „Ocean Monarch“, „Royal George“, „Wilaston“ [sic] und „Volumnia“ geführt.
Anmerkung: Den Ausschnitt kann ich genauso wie unten erwähnte Anzeigen aus Copyright-Gründen nicht zeigen (Quelle: British Newspaper Archive).
Die „Vestris“ war für sechs Fahrten zwischen 1919-1921 von der Lamport & Holt Line gechartert worden (Quelle: theshipslist.com). Die „Royal George“ war ein eigenes Schiff der Cunard Line. Die „Volumnia“ gehörte der Reederei Gow, Harrison & Co, Glasgow.
Die „Wilaston“ heißt richtig „Willaston“, wurde 1914 von William Dobson & Co. am Tyne River für die Wirral Transport Co., Liverpool gebaut. (Quelle: http://www.tynebuiltships.co.uk/W-Ships/willaston1914.html) und die „Ocean Monarch“ schließlich war 1904 für die Monarch Steam Ship Co. Ltd. (Raeburn & Verel), Glasgow fertiggestellt worden.

Cunard Pier, New York, Menschen warten auf die Ankunft von Soldaten auf der RMS „Mauretania“ nach dem Ersten Weltkrieg (2. Dezember 1918), Library of Congress, Washington DC, https://www.loc.gov/item/2014708127/
Eine Zeitungsmeldung ist für einen Beleg der Bereederung der „Kerman“, exFürth durch die Cunard Line natürlich etwas dünn. Es gibt aber noch verlässlichere Quellen:
Zeitungsanzeigen der Cunard Line im Dezember 1919/Januar 1920
Im Dezember 1919 schaltete die Cunard Line in zahlreichen britischen Tageszeitungen Anzeigen, in denen die Reederei ihre nächsten Fahrten ankündigte. Im British Newspaper Archive sind 15 davon dokumentiert, weitere 15 Anfang Januar 1920 (Stand Juni 2021).
Darin liest man als Auszug:
LONDON TO NEW YORK
…
Valdura (Freight only)…. Sat, Jan. 3
Kerman (Freight only) … Wed, Jan 7
…
Auf das Dampfschiff „Valdura” komme ich gleich noch zurück.
In der gleichen Anzeige ist übrigens die nächste Abfahrt der „Mauretania“ ab Southampton und Cherbourg nach New York für Samstag, den 17. Januar 1920 angekündigt.
In der Fußzeile der Anzeige sind die zahlreichen Cunard-Agenturen in England aufgelistet.

Getränkekarte RMS „Lucania”, Cunard Line, Oktober 1899, Quelle: commons.wikimedia.org
Januar 1920
Die Anzeigen wurden von der Cunard Line auch Anfang Januar 1920 noch in britischen Tageszeitungen geschaltet, zum Beispiel in der Western Daily Press, Bristol von Donnerstag, dem 1. Januar 1920:
Die Abfahrtsdaten für die „Valdura“ und die „Kerman“ hatten sich jedoch geändert:
LONDON TO NEW YORK
…
VALDURA (Freight only) … Tues., Jan. 6
KERMAN (Freight only) … Tues., Jan 6
…
Die Abfahrt der “Valdura” war also nach hinten verlegt worden.
Eventuell hatte man für die Abfahrt am 3. Januar 1920 nicht genug Fracht erhalten und die Abfahrt der „Valdura“ verschoben.
Ebenfalls aus Mangel an Fracht könnte daher die Abfahrt der „Kerman“ nach New York annulliert worden sein, da die Ladekapazität der „Valdura“ für diese Route am 6. Januar 1920 ausreichend war und kein zweites Schiff nach New York benötigt wurde.
Anmerkung: Die „Valdura“ war 1910 für Gow, Harrison & Co. in Glasgow gebaut worden und mit 5507 BRT etwas größer als die „Kerman“, exFürth.
Die Anzeigen mit der Abfahrt der „Kerman“ nach New York liefen in den Zeitungen bis zum 6. Januar 1920.

Cunard Line, Canadian Service, Postkarte, ohne Datum, Sjöhistorika Museet, europeana.eu (https://www.europeana.eu/de/item/916109/smm_sm_photo_Fo195683), public domain
Port Talbot
Statt New York erreicht die „Kerman“ mit Kapitän Waterlow als nächsten Hafen überraschend Port Talbot (Südwales) am 16. Januar 1920:
Port Talbot
Arrivals
…
Kerman, s. 2,757 (Waterlow), London, water ballast.
Quelle: Western Mail, Cardiff, Montag, den 19. Januar 1920 (The British Newspaper Archive)
Port Talbot liegt wenige Meilen östlich von Swansea. Den Hafen und die Stadt Swansea hatte ich hier vorgestellt: Die “Kerman”, exFürth in Swansea (Südwales)
Für mich liegt die Erklärung nahe, dass die „Kerman“, exFürth von der Cunard Line im Januar 1920 nicht benötigt wurde, das Schiff an eine andere Reederei weitervermittelt wurde und dann in Ballast nach Port Talbot lief, um hier Ladung aufzunehmen.
So bleibt die Fahrt von New York nach London die Einzige, welche die „Kerman“, exFürth in Regie der berühmten Cunard Line unternahm.

Emigranten vor einem Büro der Cunard Line, April 1912, Göteborgs Stadsmuseum, europeana.eu; https://www.europeana.eu/de/item/91674/GSM_delobjekt_1053021, public domain
Demnächst im Blog
Die nächste Reise der „Kerman“, exFürth führt uns von Port Talbot nach Gibraltar und von dort nach Argentinien.
Über Port Talbot, walisische Kohlen und argentinischen Weizen demnächst mehr hier im Blog!
Pingback: Der zweite Verkauf des Dampfschiffes „Fürth“ | Das kurze, aber bewegte Leben des Frachtdampfers „Fürth“
Pingback: Weizen aus Südamerika – die letzte Fahrt der „Kerman“, exFürth | Das kurze, aber bewegte Leben des Frachtdampfers „Fürth“