Messina, Palazzata und Hafen um 1900

Fluchtpunkt Messina

Titelbild: Messina, die „Palazzata“ (1500 Meter lange, einheitliche Palastfassade am Ufer aus dem 19. Jahrhundert), Aufnahme um 1900, die „Palazzata“ wurde bei dem katastrophalen Erdbeben am 28. Dezember 1908 zerstört;
Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Messina_vist_des_del_mar.jpg

Der Frachtdampfer „Albany“ in Sizilen

Viele Frachtschiffe der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) suchten bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs Schutz in Häfen neutraler Staaten, um nicht in die Hände der Briten zu fallen.

Hier im Blog hatte ich bereits über Dampfer der Reederei berichtet, die in Niederländisch-Indien, in Portugal und seinen Kolonien, in Spanien oder auch in den USA Schutzhäfen angelaufen waren.

Ein Schiff der DADG, der Frachtdampfer „Albany“, lief Anfang August 1914 in Messina ein und sollte dort die ersten Kriegswochen verbringen.

Der Artikel berichtet über die Zeit des Schiffes in Sizilien und seine Beschlagnahmung durch die Behörden nach dem Eintritt Italiens in den Ersten Weltkrieg am 23. Mai 1915. Im späteren Kriegsverlauf kam die „Albany“ unter dem Management der staatlichen Bahngesellschaft (Ferrovie dello Stato) als „Matteo Renato Imbriani“ wieder für kurze Zeit in Fahrt.

Am 20. Mai 1918 wurde der ehemalige Frachtdampfer der DADG bei der Île de Planier vor Marseille von einer ausgelegten Mine des deutschen U-Boot UC 67 versenkt. Dort liegt das Wrack noch heute.

Mannheim steamer German Australian Line
Der mit der „Albany“ baugleiche Frachter „Mannheim“, hier in den 1920er Jahren als französischer Frachter „Lieutenant Saint Loubert Bié“; „Albany“ und „Mannheim“ wurden beide auf der Tecklenborg-Werft in Geestemünde parallel nebeneinander hergestellt (Baunummern 243 und 244) und im Oktober bzw. November 1911 an die DADG abgeliefert; unbekannter Fotograf; Quelle: R. Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven 1984, Aufnahme aus der Sammlung Vonarb

Durch den Suezkanal

Der Frachtdampfer „Albany“ war 1911 auf der Tecklenborg-Werft in Geestemünde für die DADG gebaut worden und hatte bei einer Länge von 137 Metern 5882 Bruttoregistertonnen. Mit einer Dreifach-Expansions-Dampfmaschine mit 3600 PS ausgestattet, machte das Schiff eine Fahrt von 12,5 Knoten. Es hatte 48 Mann Besatzung.

Von Java kommend erreichte „Albany“ Suez am 2. August 1914, durchquerte den Suezkanal und verließ Port Said zwei Tage später am 4. August. Der Frachtdampfer war damit das letzte Schiff der DADG, das den Suezkanal in Richtung Mittelmeer verlassen konnte.

„Albany“ war mit einer Telefunkenanlage ausgerüstet, hatte Nachricht vom Krieg erhalten und lief daraufhin Messina an. Die Stadt an der sizilianischen Küste wurde – je nach Quelle – am 7. oder 8. August erreicht.

Messina 1906
Messina, 1906; Library of Congress, Washington DC; https://www.loc.gov/resource/stereo.1s29476/

SMS „Goeben“ und SMS „Breslau“

Kurz zuvor, nämlich am 6. August 1914 war den beiden Kriegsschiffen SMS „Goeben“ und SMS „Breslau“ eine spektakuläre Flucht aus dem Hafen von Messina gelungen.

Der Schlachtkreuzer SMS „Goeben“ und der leichte Kreuzer SMS „Breslau“ waren am Morgen des 5. August in Messina eingelaufen, nachdem sie die Städte Philippeville und Bône in Französisch-Nordafrika bombardiert hatten, um die Einschiffung von Truppen nach Kontinentalfrankreich zu verzögern.

Anmerkung: Philippeville und Bône heißen heute Skikda und Annaba (Algerien).

Auf dem Rückweg nach Sizilien trafen die beiden Kreuzer am 4. August auf britische Schiffe, wurden von diesen jedoch nicht behelligt, da zu diesem Zeitpunkt Großbritannien Deutschland noch nicht den Krieg erklärt hatte.

Zurück in Messina (5. August) nahmen SMS „Goeben“ und SMS „Breslau“ von den deutschen Schiffen „General“ (Deutsche Ostafrikalinie) und „Barcelona“ (HAPAG) Kohlen und Proviant auf.

Da die Liegezeit eines Kriegsschiffes in einem neutralen Staat zeitlich begrenzt war, mussten die beiden Kreuzer Messina am 6. August wieder verlassen.

Die Briten hatten mit einer Fahrt der beiden Schiffe nach Westen in Richtung Gibraltar oder in die Adria gerechnet. SMS „Goeben“ und SMS „Breslau“ legten zunächst zum Schein Adriakurs an, der jedoch dann Richtung Peloponnes/Konstantinopel geändert wurde. Auf Grund ihrer Schnelligkeit konnten Sie den einzigen Verfolger HMS Glouchester abschütteln und nach Konstantinopel flüchten.

Die spektakuläre Fahrt der beiden Kreuzer nach Konstantinopel, der letztlich zum Kriegseintritt des Osmanischen Reiches in den Ersten Weltkrieg führte, ist in der Vergangenheit detailliert beschrieben worden.

Eine reich bebilderte Zusammenfassung finden Sie zum Beispiel hier: https://deutsche-schutzgebiete.de/wordpress/projekte/kaiserliche-marine/seiner-majestaet-schiffe/s-m-s-goeben-1911/

Wir bleiben heute bei dem Frachtdampfer „Albany“ in Sizilien.

Messina Porto circa 1900
Porto di Messina, um 1900 (vor dem schweren Erdbeben im Jahr 1908); Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Porto_di_Messina_(1900_ca).jpg

Von Messina nach Syrakus

Anfang September 1914 wurde die „Albany“ nach Syrakus (Siracusa) verlegt. Der Grund dafür wird nicht genannt, für mich gibt es dafür zwei Erklärungen.

Erstens war Messina der italienische Hafen mit dem größten Passagieraufkommen, was natürlich an den zahlreichen Fährverbindungen der sizilianischen Hafenstadt zum italienischen Festland liegt. Man brauchte also einfach Platz im Hafen.

Zweitens war Messina immer noch stark von dem verheerenden Erdbeben am 28. Dezember 1908 gezeichnet. Dabei war die Stadt nahezu vollständig zerstört worden. Syrakus bot hingegen eine unbeschädigte Infrastruktur zur Versorgung der Schiffe.

Messina Palazzata distrutto 1909
Messina, Via Vittorio Emmanuele an der Meerenge im Jahr 1909 nach dem Erdbeben vom 28. Dezember 1908; Library of Congress, Washington DC; https://www.loc.gov/resource/stereo.1s29491/

Brand an Bord

Am 28. November 1914 brach gegen 22 Uhr auf „Albany“ Feuer aus. Es wurde durch Ladungsüberhitzung verursacht. Laut der Tageszeitung La Stampa vom 3. November 1914 war Ladung mit einem kleinen heißen Druckkessel in Kontakt gekommen und in Brand geraten.

Das Schiff war noch voll beladen: über 7000 Tonnen Zucker, Kaffee, Tee und andere Kolonialwaren waren an Bord. Zeitungsmeldungen sprechen von einem Warenwert in Höhe von £ 300.000 (6 Mio. Mark).

Versuche, den Brand zu löschen, scheiterten zunächst. Das Hilfsangebot des Kapitäns der „Iberia“, einem englischen Dampfer, hatte Kapitän Moritzen der „Albany“ abgelehnt. In Friedenszeiten unvorstellbar.

Damit der Brand nicht auf andere Schiffe im Hafen übergriff, wurde „Albany“ aus dem Hafen geschleppt.

Schließlich gelang es dem Bergungsdampfer „Audax“ am 1. Dezember den Brand zu löschen. Zu diesem Zeitpunkt waren das Schiff und seine Ladung bereits schwer beschädigt. Die Kommandobrücke, der Instrumentenraum und die Kapitänskajüte waren zerstört worden.

Anschließend wurden 550 Tonnen Copra, 129 Ballen Kapok, 58 Ballen u. 200 Bündel Garne sowie 500 Bündel Rattan gelöscht. Außerdem wurden 2000 Tonnen Zucker, die für Le Havre bestimmt waren, in das griechische Dampfschiff „Girda Ambatiellos“ umgeladen. Teakholz und Zinkerze verblieben an Bord.

Angaben nach Zeitungsmeldungen in der Berliner Volkszeitung vom 1.Dez. 1914, dem Hamburgischen Correspondent (9. Dez. 1914), Rotterdamsch nieuwsblad (3. Dez. 1914), De Maasbode (4. Jan. 1915) und De courant (17. Feb. 1915).

Siracusa Hafen 1900
Syrakus (Siracusa), Anleger im Hafen um das Jahr 1900; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Siracusa_Porto.gif

Kriegseintritt Italiens und Beschlagnahmung der „Albany“

Nach dem Brand und dem Löschen eines Teils der Ladung verschwand „Albany“ wieder aus den Schlagzeilen. Das änderte sich fünf Monate später.

Am 23. Mai 1915 trat Italien auf Seite der Entente-Mächte in den Ersten Weltkrieg ein. Das führte zur Beschlagnahmung deutscher Schiffe in italienischen Häfen. Insgesamt sollen davon 25 Schiffe betroffen gewesen sein (Hamburger Anzeiger, 29. Mai 1915).

In Syrakus waren dies neben dem Dampfer „Albany“ der DADG die Frachtdampfer „Sigmaringen“ (exLöwenburg) des Norddeutschen Lloyd Bremen und „Kattenturm“ der Deutschen Dampfschiffahrts-Gesellschaft Hansa, ebenfalls Bremen.

Hinzu kamen die Dampfer „Ambria“ und „Barcelona“ der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (HAPAG) sowie „Mudros“ der Deutschen Levante-Linie.

Allein in Syrakus also sechs stattliche Schiffe der deutschen Handelsmarine.

Weiterhin lagen zwei kleinere österreichische Schiffe in Syrakus: „Ampelea“ und „Assir“, die ebenfalls beschlagnahmt wurden.

Syrakus Hafen um 1900
Syrakus, großer Hafen, undatierte Aufnahme von Carlo Brogi (1850-1925), ca. Anfang des 20. Jh.; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Brogi,_Carlo_(1850-1925)_-_n._12032_-_Siracusa_-_Veduta_del_Porto_Grande.jpg

Ausweisung der Kapitäne

Die deutschen Schiffe in Syrakus hatten nur noch kleine Rumpfbesatzungen an Bord, die zum Betrieb und zur Bewachung unbedingt notwendig waren. Die meisten Seeleute dürften bereits 1914 die Heimreise auf dem Landweg angetreten haben.

Im September 1915 schließlich wurden die Kapitäne und Restbesatzungen wegen Spionageverdacht von den Schiffen geholt und aus Italien ausgewiesen.

Die Schiffe kamen jetzt in die Obhut der Königlichen Marine Italiens (Regia Marina).

Quelle: Il Resto del Carlino, Giornale di Bologna, 15. Sept. 1915; http://badigit.comune.bologna.it

Noch Ende 1915 kamen die ersten Schiffe wieder unter italienischer Flagge in Fahrt. Die Berliner Volkszeitung vom 23. Dez. 1915 berichtet:

Mailand, 22. Dezember. Wie „Secolo“ aus Syrakus meldet, ist auf den deutschen Dampfern „Kattenturm“, „Mudros“ und „Sigmaringen“ die italienische Flagge gehißt worden. Die Schiffe wurden festlich bewimpelt. Die drei Dampfer werden sofort nach Beendigung von Maschinenreparaturen ausfahren.
Quelle: europeana.eu

„Albany“ verließ den Hafen Syrakus im Januar 1916 in Richtung Messina. Dort dürfte die restliche Ladung gelöscht und eingelagert worden sein.

Syrakus, Abfahrt von Emigranten um 1900
Syrakus, Abfahrt von Emigranten, undatierte Aufnahme eines unbekannten Fotografen, ev. um 1900; Migranti in partenza dal porto di Siracusa, Public domain, über commons.wikimedia.org

Das Dampfschiff „Matteo Renato Imbriani“

Es dauerte bis Anfang 1918, bis die exAlbany als „Matteo Renato Imbriani“ in Genua registriert und im März von Lloyd’s zertifiziert wurde.

Bereedert, also gemanagt wurde das Schiff von der staatlichen Eisenbahngesellschaft Ferrovie dello Stato. Die Gesellschaft arbeitet auch als Reederei, sie ist seit 1896 für den Betrieb der Staatsfähren zwischen dem italienischen Festland und den Inseln Sizilien und Sardinien verantwortlich. Im Ersten Weltkrieg übernahm sie die Bereederung der beschlagnahmten Schiffe.

Dem Frachtdampfer „Matteo Renato Imbriani“, exAlbany war jedoch nur eine äußerst kurze Existenz beschieden.

Der Untergang der „Matteo Renato Imbriani“

Am 20. März 1918 verließ „Matteo Renato Imbriani“ in einem Konvoi mit vier anderen Schiffen den Hafen von Marseille und lief um 12.45 Uhr etwa sechs Seemeilen südwestlich der Insel Île de Planier auf eine Seemine, die vom deutschen U-Boot UC-67 unter Leitung von Kapitän Karl Neumann ausgebracht worden war.

Trotz sofortiger Hilfestellung und Abschleppversuchen durch das Patrouillenboot „Gabriella“, das den Konvoi begleitete, sank „Matteo Renato Imbriani“, exAlbany noch am gleichen Tag um 22.35 Uhr. Die gesamte Besatzung konnte gerettet werden.

Baie de Marseille, Ile de Planier
Karte der Bucht von Marseille mit der Île de Planier (im Bild unten); Jacques-Nicolas Bellin, 1764, Bibliothèque Nationale de France über commons.wikimedia.org

„Matteo Renato Imbriani“ als Tauchziel

Das Wrack der „Matteo Renato Imbriani“, exAlbany liegt noch heute an der Stelle des Untergangs im Südwesten der Île de Planier in 110 Metern Wassertiefe.

Die Koordinaten sind: Breite 43° 07’ 788 N; Länge 5° 07’ 634 E.

Die große Tiefe, in der das Wrack liegt, macht es nur für sehr erfahrene Taucher mit Zusatzausbildung im technischen Tauchen zugänglich.

Falls Sie solch ein qualifizierter Tec-Taucher sind und die „Matteo Renato Imbriani“ einmal besucht haben, freue mich über Ihren Bericht und Ihre Fotos!

Angaben über den Untergang und das Wrack der „Matteo Renato Imbriani“ nach einem Artikel auf plongee-infos.com: Chaque jour, une épave: 20 mars 1918, le Matteo Renato Imbriani, une épave oubliée à Marseille, 20. März 2018; https://www.plongee-infos.com/chaque-jour-une-epave-20-mars-1918-le-matteo-renato-imbriani/

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s