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Clan Line, house flag

Die „Kerman“, ex Fürth bei Cayzer, Irvine und Co. (Clan Line)

Nach Chittagong (Bengalen, Britisch Indien)

Titelbild:
Clan Line (Cayzer, Irvine und Co.), Hausflagge, Royal Museums Greenwich Collections, https://collections.rmg.co.uk/collections/objects/195.html

Torpedotreffer im Mittelmeer und Reparatur in Birkenhead

Am 27. Februar 1918 war das Dampfschiff „Kerman“, exFürth im Mittelmeer vor der spanischen Küste von SM U 35 torpediert worden. SIEHE: Die „Kerman“, exFürth wird torpediert

Ein zweites Torpedo von SM U 35 traf den Dampfer „Marconi“.

Beide Schiffe erreichten aus eigener Kraft den nächsten Hafen. Für die „Marconi“ war dies Malaga, über die „Kerman“, exFürth habe ich bislang keine Quellenangabe über einen Nothafen gefunden.

Einträge in Lloyd’s Register weisen auf einen Special Survey der „Kerman“ in Birkenhead (Kürzel Bkn) im Zeitraum von März bis November 1918 hin. Das würde bedeuten, dass das Schiff trotz Beschädigung durch den Torpedotreffer noch nach Birkenhead (Hafenstadt am Mersey gegenüber von Liverpool) laufen konnte und erst dort umfassend repariert und überholt worden ist.

Eine Abfahrt aus Birkenhead/Liverpool wäre demnach erst im November 1918 erfolgt.

Die erste Quelle, in der ich die „Kerman“, exFürth wieder in Fahrt lokalisieren konnte, datiert vom Februar 1919, allerdings bereits auf der Rückfahrt aus dem Indischen Ozean.

Am 21. Februar 1919 erreichte die „Kerman“, exFürth Suez am südlichen Ende des Suezkanals; sie kam zu diesem Zeitpunkt über Aden aus Chittagong in Bengalen (Britisch Indien).

Bay of Bengal map

Bucht von Bengalen, Karte von 1915 (Ausschnitt), die beiden (von mir) gelb umrandeten Städte sind Calcutta (links) und Chittagong (rechts), Survey of India; National Library of Australia, https://nla.gov.au/nla.obj-414723816/view

Am 24. Februar verließ das Schiff Port Said und erreichte Gibraltar, von aus es am 10. März nach London versegelte. Die Ankunft in London ist für den 16. März 1919 dokumentiert.

Das belegt eine Passagierliste im Britischen Nationalarchiv. Es handelt sich um Passagiere, die in Port Said an Bord gegangen waren und in London das Schiff wieder verließen.

Aus dem Dokument geht ebenfalls hervor, dass das Management der „Kerman“ zu diesem Zeitpunkt der Reederei C Irvine und Company Ltd. oblag.
Quelle: The National Archives, London (Kew), Ref. BT 26/659/147

Cayzer, Irvine & Co.

Die Geschichte der großen Reederei Cayzer, Irvine & Co. beginnt mit Charles Wiliam Cayzer, 1st Baronet of Gartmore.

Charles William Cayzer wurde 1843 in London als Sohn eines Lehrers geboren. Als Jugendlicher fuhr er zur See und mit 18 Jahren erhielt er eine Anstellung bei dem Agenten der British India Steam Navigation Company in Bombay, wo er 12 Jahre lang arbeitete und lebte.

Charles Cayzer 1904

Karikatur von Charles William Cayzer in der Zeitschrift „Vanity Fair“ (1904); Titel der Abbildung: Chief of the “Clans“; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Charles_Cayzer_Vanity_Fair_9_June_1904.jpg

Zurück in England machte er sich daran, eine Linienverbindung zwischen Glasgow und Liverpool mit Britisch Indien aufzubauen, die es bislang nicht gegeben hatte. So entstand 1878 die Firma Cayzer, Irvine & Co. in Glasgow mit einer Flotte von sechs Schiffen.

Das erste war SS „Clan Alpine“. Die Benennung der Schiffe nach schottischen Clans wurde beibehalten und sollte zum Markenzeichen der Reederei werden.

1881 teilte Cayzer das Geschäft auf zwei Gesellschaften auf. Eigner der Schiffe war nun die neugegründete Clan Line Association Steamers, das Management aller Schiffe übernahm Cayzer, Irvine & Co.

1890 wurde aus der Clan Line Association Steamers die Clan Line Steamers Ltd., in die Cayzers ältester Sohn als Partner einstieg. Zwei weitere Söhne, Herbert und August, sollten später folgen.

Clan Macarthur 1912

SS „Clan Macarthur“ (II), 5815 BRT, Baujahr 1912, Quelle : State Library of Queensland (John Oxley Library) über commons.wikimedia.org

1894 erwarb Clan Line die Persian Gulf Steam Ship Company in Bombay mit vier Schiffen. Dieses Detail ist deshalb interessant, weil die „Kerman“, exFürth im Jahr 1920 an diese Tochtergesellschaft der Clan Line verkauft werden sollte. Dazu in einem späteren Blogartikel mehr.

ERRATUM: Hier muss ich mich korrigieren: Die Persian Gulf Steam Ship Company war eine Reederei mit Sitz in London und nicht identisch mit der Persian Gulf Steam Navigation Company in Bombay.

Das ursprüngliche Fahrtziel der Reederei, nämlich Britisch Indien war inzwischen längst erweitert worden und die Schiffe der Clan Line waren weltweit anzutreffen.

Clan Line, advertisement, 1918

Nachstellung einer Anzeige von Cayzer, Irvine & Co. vom 7. September 1918 in der Birmingham Daily Post (das Original darf ich Ihnen hier aus Copyrightgründen nicht zeigen)

Gesellschaftlich hatte sich Cayzer einen festen Platz in der schottischen Gesellschaft erarbeitet. 1897 wurde er zum Ritter geschlagen und 1914 erhielt er den Titel 1st Baronet of Gartmore.

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges hatte die Clan Line 62 Schiffe. Davon wurden 28 Schiffe während des Krieges verloren, 329 Besatzungsmitglieder fanden den Tod.

Ende der 30er Jahre war die Clan Line eines der größten Schifffahrtsunternehmen weltweit und nach eigenen Angaben die größte Frachtschiffreederei (The World’s Largest Cargo Carrying Line, Quelle: cayzer.com).

Seeleute bezeichneten ihre Reederei scherzhaft „The Scottish Navy“.

Im Jahr 1956 gab es einen Zusammenschluss mit der Union-Castle Line.

Mit der „Containerisierung“ des Schiffsverkehrs begann der Niedergang der Reederei. Das letzte Schiff wurde 1981 verkauft.

Clan Munroe 1918

SS „Clan Munroe” (III), 5919 BRT, Baujahr 1918; Quelle : State Library of Queensland (John Oxley Library) über commons.wikimedia.org

Caledonia Investments

Heute ist das Unternehmen eine Investmentgesellschaft: Caledonia Investments.

Das Firmengebäude befindet sich in der Nähe des Buckingham Palast in 30 Buckingham Gate. Das überaus sehenswerte Familienarchiv (The Cayzer Family Archive) und die im Gebäude ausgestellten Exponate können es mit einem Museum leicht aufnehmen. Es ist nach Anmeldung während der Bürostunden zu Forschungszwecken zugänglich.

Viele Informationen liefert auch die Webseite von The Cayzer Family Archive:
www. cayzer.com

Anmerkung: Im September 2019 hatte ich bei einem London Aufenthalt die Gelegenheit, das Archiv zu besuchen. Ein echtes Highlight, das mir in bester Erinnerung bleiben wird. Die Exponate sind wirklich sehr sehenswert, auch weil die verwandtschaftlichen Beziehungen der Familie bis in die britische Admiralität hineinreichten.

Leider sind im Archiv über das kurze Management der „Kerman“, exFürth keine Unterlagen vorhanden.

Clan Line 1917

Anzeige von Cayzer, Irvine & Co. im Year-Book of Wireless Telegraphy and Telephony, Quelle: https://www.gracesguide.co.uk/Cayzer,_Irvine_and_Co

Chittagong

Die erste Verbindung von Cayzer, Irvine & Co. führte von Glasgow und Liverpool nach Britisch Indien und dort bis nach Calcutta und später bis Chittagong (siehe Anzeige oben).

Die Informationen zu Chittagong sind im Vergleich zu anderen Städten Britisch Indiens sehr spärlich:

Im Jahr 1901 hatte Chittagong gerade einmal 22,140 Einwohner. Die Stadt liegt am Karnaphuli River etwa 12 Meilen von der Mündung entfernt. Der Fluss war für große Seeschiffe bis Chittagong schiffbar, für die Flussschifffahrt deutlich weiter flussaufwärts.

Chittagong war nicht nur Hafenstadt, sondern auch Endbahnhof der Assam-Bengal-Eisenbahn. Die Gesellschaft war 1892 gegründet worden und verband die Teeanbaugebiete in Assam mit dem Seehafen Chittagong.

Exportprodukte aus Chittagong waren vor allem Jute, daneben Tee, Rohbaumwolle, Reis und Häute. Über Jute hatte ich hier geschrieben: Die „Kerman“, exFürth in Calcutta

Der gleichnamige Distrikt Chittagong lag zwischen dem Meer und der burmesischen Grenze. Hier lebten 1901 gut 1,3 Millionen Menschen.

Gerne hätte ich Ihnen Bilder der Stadt Chittagong zu Beginn des 20. Jahrhunderts präsentiert, muss Sie aber leider enttäuschen – ich habe schlicht keine gefunden.

Map of Bengal 1880

Karte von Bengalen, 1880, G. U. Pope, Textbook of Indian History; https://en.wikipedia.org/wiki/File:Pope1880BengalPres2.jpg

Seit April 2018 heißt Chittagong offiziell Chattogram. Die Stadt liegt in Bangladesh, der Ballungsraum hat etwa 4 Mio. Einwohner (2021). Der Hafen von Chattogram ist der drittgrößte in Südasien nach Mumbai und Colombo.

International bekannt ist Chattogram vor allem durch die Textilindustrie und das Abwracken von Schiffen an der Küste. Das sogenannte Beachen bezeichnet das Auffahren der Schiffe auf den Strand und das Zerlegen ohne jegliche Sicherheitsstandards für Arbeiter und Umwelt.

Die „Kerman“, exFürth in der Liste der Britischen Handelsmarine

Ein Dokument aus dem Jahr 1918, in dem wir die „Kerman“, exFürth wiederfinden, ist die Mercantile Navy List, also eine Liste der Britischen Handelsmarine aus dem Jahr 1918.

Kerman, exFürth 1918

Mercantile Navy List, 1918, S. 302, Great Britain, Registrar General of Shipping and Seamen, Memorial University of Newfoundland, Digital Archives Initiative; https://collections.mun.ca/digital/collection/mha_mercant/id/18226/rec/42

Die beiden Sternchen vor dem Namen verweisen auf den alten Namen (foreign name) „Fürth“, der in der Fußzeile unten rechts wiedergegeben ist.

Mit der neuen Registrierung in London im Jahr 1915 hatte die „Fürth“ auch ein neues Unterscheidungssignal erhalten: J.H.T.K. Über das Unterscheidungssignal hier mehr: Das Unterscheidungssignal der „Fürth“

Anschließend folgen in der Liste Bauort (Flensburg), Baujahr (1907), Material (Steel), Maße, Registertonnen (netto und brutto) sowie die Motorisierung (290). Sc. steht für Screw, also Schraubenantrieb.

Anmerkung: Die Motorisierung ist hier mit 290 angegeben, das ist die nominale Pferdestärke (nominal horse power). Die Flensburger Schiffbau-Gesellschaft hatte die „Fürth“ mit 2200 PS angegeben. Zur komplexen Umrechnung der nominalen Pferdestärke in PS siehe: https://www.paxmanhistory.org.uk/nhp-defn.htm#NHPtoHP

In der rechten Spalte schließlich ist der Eigentümer vermerkt, die British Tanker Co. Lim. im Gresham House in der Old Broad Street in der Londoner City. Charles Greenway war Geschäftsführer der Anglo-Persian Oil Company und auch der Tochtergesellschaft British Tanker Co., in die die Tankerflotte 1915 ausgelagert worden war.
SIEHE: Die „Kerman“, exFürth in der Flotte der British Tanker Company…

Über das Management der Schiffe macht die Liste leider keine Angaben.

Demnächst im Blog

erfahren Sie fast alles über die Geschichte der Vaseline.

Das seinerzeit noch in New York City von der Chesebrough Manufacturing Company hergestellte Produkt wurde mit Schiffen nach Europa transportiert.

Eines dieser Schiffe war im Frühjahr 1919 die „Kerman“, exFürth, die eine große Ladung davon von New York in das walisische Swansea beförderte.

British India Steam Navigation steam ships in Calcutta

Die „Kerman“, exFürth in Calcutta

Die zweite Reise von Juli bis Dezember 1915 und eine Havarie in Liverpool

Titelbild:
Dampfer auf dem Hugli (Hooghly) in Calcutta, um 1890, Photochromdruck; Library of Congress; https://www.loc.gov/item/2017658181/
Die vier Dampfer im Vordergrund sind Schiffe der British India Steam Navigation Company. Sie sind an ihrer Schornsteinmarke, einem weißen Doppelband, leicht zu erkennen.

Die zweite Reise der „Kerman“, exFürth fand von 13. Juli – 11. Dezember 1915 statt. Das sind zumindest die Daten der An- und Abmusterung. Die Reise führte von Großbritannien auf dem Hin- und Rückweg durch den Suezkanal bis nach Calcutta.

Zuvor gab es im Hafen von Liverpool einen folgenschweren Zusammenstoß, zumindest für den beteiligten Dampfleichter „Traffic“.

Anschließend statten wir Calcutta einen Besuch ab und sehen uns das wichtigste Ausfuhrprodukt des großen Flusshafens der Stadt an: Jute.

 

Die Mannschaft

Deck

Der Kapitän der “Kerman”, exFürth war ab dieser Fahrt der gerade einmal 32-jährige A. H. M. Waterlow, der auf der vorangegangenen Fahrt in der ersten Jahreshälfte 1915 noch erster Offizier gewesen war.

Den interessanten Lebenslauf Waterlows stelle ich in einem eigenen Artikel noch vor. Er wird bis in das 1920 verantwortlicher Schiffsführer der „Kerman“, exFürth bleiben.

Die Decksoffiziere waren J. B. Hart, 43, geboren in Glasgow (erster Offizier), H. Robinson, 26, geboren in Duddington (Northamptonshire; zweiter Offizier) und David Per?, 66, geboren in Montrose (Schottland; dritter Offizier).

Nach der ersten Fahrt an Bord geblieben war der Zimmermann, John Tofman, 44 aus Glasgow. Einziger weiterer Brite der Decksmannschaft war der junge Offiziersanwärter (Cadet) S. Purves, 18 Jahre aus Gravesend bei London. Die übrigen Mannschaftsmitglieder an Deck waren aus Hong Kong oder China.

Maschine

An Bord geblieben waren die ersten drei Maschinisten:

W. M. Meager, 49, geboren in London, als erster Maschinist; A. E. Cunningham, 30, geboren in Leyton als zweiter Maschinist und D. E. Rees, 23, Pembrey als dritter Maschinist.

Als vierter Maschinist neu an Bord: Timothy Dunne, 28, aus Dublin.

Sehr international besetzt war die übrige Maschinenmannschaft. 10 Länder waren vertreten: Indien, Armenien, Iran, Sansibar, Ägypten, Oman, Sierra Leone, Hong Kong, China und Algerien.

Insgesamt waren einschließlich des Kapitäns 48 Mann an Bord.

Quelle: The National Archives, London (Kew); Ref. BT 99/3176/13

Abfahrt aus London

Die „Kerman“ dürfte am 16. Juli 1915 in London abgelegt haben. Drei Tage danach hat sie den südlichsten Punkt Großbritanniens, Lizard Point am Südende der Lizard Halbinsel, passiert und die Fahrt von London dorthin dauert etwa drei Tage.

SIGNALLED OFF THE LIZARD.
July 19.
Passed West: … Kerman
Quelle: Western Mail – Tuesday 20 July 1915, S. 6

Die nächste Meldung ist dann erst wieder vom 3. August 1915 im Manchester Courier and Lancashire General Advertiser. Das Schiff hatte die Schleuse am Eingang des Manchester Ship Canal, Eastham Locks, passiert und im Dock No. 9 in Manchester festgemacht. Die „Kerman“, exFürth kam aus Glasgow.

ENTERED EASTHAM LOCKS.

Kerman, 2,929, part out cargo (F. C. Strick and Co.), from Glasgow

VESSELS IN DOCK.
No. 9 Dock. – … Kerman, 2,929 (F. C. Strick and Co.)

Dass die “Kerman”, exFürth zwischenzeitlich nach Glasgow gelaufen war, würde sich mit dem Fahrtverlauf der ersten Reise decken. Auch da war das Dampfschiff zunächst in Glasgow, um Kohlen zu bunkern und eine Teilfracht aufzunehmen. SIEHE: Aufbruch zur ersten Reise: Die „Kerman“, exFürth in Manchester

Liverpool, George's Dock, 1897

Liverpool, George’s Dock, 1897, Postkarte, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:George%27s_Dock_1897.jpg

Schiffsunfall in Liverpool

Die „Kerman“, exFürth blieb zunächst einige Tage zum Laden in Manchester. Am Samstag, den 7. August 1915 fuhr das Schiff durch den Manchester Ship Canal nach Liverpool, sollte aber drei später wieder nach Manchester zurückkehren.

SAILINGS.
From Manchester Docks. – Saturday: …
Kerman, 2,757, light, for Liverpool and return

LIVERPOOL SHIPPING.
ARRIVED.
SUNDAY, AUGUST 8.

Kerman, s …. Manchester

Quelle: Liverpool Echo – Monday 09 August 1915, S. 5

Am 9. August kam es im Brunswick Dock zu einem Schiffsunfall mit dem Dampfleichter „Traffic“, der bei dem Zusammenstoß gesunken ist. Diese Meldung hat es trotz des Ersten Weltkriegs mit ein paar Tagen Verspätung bis nach Hamburg geschafft:

Kerman Liverpool 9. August 1915

Kollision „Traffic“/“Kerman“; Hamburgischer Correspondent und neue hamburgische Börsen-Halle, 14. August 1915, www. europeana.eu

Natürlich war die Havarie auch Thema in den Medien vor Ort:

CASUALTIES.

KERMAN. – The steamer Kerman, outward, collided with the steam flat Traffic, in the Brunswick Dock this morning. The latter sank, but the former returned to the berth with the propeller damaged.
Liverpool Daily Post – Tuesday 10 August 1915, S. 8

Liverpool 1909

Brunswick Dock und benachbarte Docks in Liverpool, 1909; https://en.wikipedia.org/wiki/File:Dkbkpl29.jpg

Ein großer Schaden an der Schraube kann es jedoch nicht gewesen sein, denn am 20. August 1915 berichtet der Manchester Courier and Lancashire General Advertiser, dass die „Kerman“ in Richtung Persischer Golf aufgebrochen sei.

MANCHESTER SHIP CANAL.
SAILINGS.
From Manchester Docks.

Kerman, 2,757, general, for Persian Gulf

 

Fahrtziel Calcutta

Die Meldung ist allerdings ohne Datum für die Abfahrt, sie dürfte mit zeitlicher Verspätung erschienen sein, da die „Kerman“, exFürth bereits am 1. September 1915 in Port Said eingetroffen ist:

Liverpool, Calcutta, Kerman 1915

„Kerman“ in Port Said; Schiffsmeldungen vom 10. September 1915, in Hamburgischer Correspondent und neue hamburgische Börsen-Halle, Seite 13; europeana.eu

Das Fahrziel wird mit Calcutta angegeben, was sich auch mit einer Meldung in Shield Daily News vom 2. September 1915 deckt.

Am 9. September 1915 schließlich passiert die „Kerman“, exFürth die Insel Perim am Eingang des Roten Meeres in östliche Richtung Danach bleibt das Schiff vom Radar der Schiffsmeldungen für über zwei Monate verschwunden, zumindest in den mir zugänglichen Quellen.

Es taucht erst wieder im November auf, es hatte Perim am 15. November, diesmal in nördliche Richtung passiert und war am 20.11.1915 in Suez eingetroffen; kommend aus Bussorah (Basra) mit Zielhafen London.

Kerman, Suez, 1915

„Kerman“ in Suez; Schiffsmeldungen vom 4. Dezember 1915, in Hamburgischer Correspondent und neue hamburgische Börsen-Halle, Seite 13; europeana.eu

Die Abmusterung erfolgte am 11. Dezember 1915, die „Kerman“, exFürth, dürfte an den Tagen zuvor in London angekommen sein.

Bis hierher geht die dürftige Faktenlage dieser zweiten Reise.

Werfen wir nun einen Blick auf das interessante Fahrziel, die Stadt Calcutta.

Über Basra und den Persischen Golf dann mehr bei der dritten Fahrt der „Kerman“, exFürth in den Indischen Ozean.

Chowrighee Road Calcutta 1903

Straßenszene in Calcutta, Chowrighee Road nach Norden, links der Maidan; 1903; Library of Congress; https://www.loc.gov/item/2020681446/

Calcutta

Die Stadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Calcutta (deutsch auch Kalkutta, ab 2001 offiziell Colcata) liegt am Ostufer des Flusses Hugli, einem Mündungsarm des Ganges, etwa 130 Kilometer vom Meer (Golf von Bengalen) entfernt. 1901 hatte die Stadt 950.000 Einwohner.

Bis 1911 war Calcutta die Hauptstadt Britisch Indiens, danach erst wurde die neue Hauptstadt New Delhi.

Die Verlegung der Hauptstadt war eine Folge der administrativen Teilung Bengalens im Jahr 1905 durch die Briten. Die Teilung führte zu massiven Unruhen, veranlasste die Briten zur Neugründung einer neuen und sichereren Hauptstadt bei Alt-Delhi sowie zur Rücknahme der Teilung Bengalens im Jahr 1912.

Calcutta stand in Konkurrenz mit Bombay, war zu Ende des 19. Jahrhunderts aber im Vorteil, weil die Pest hier weniger stark wütete:

Calcutta and Bombay have long contested the position of the premier city of India in population and trade; but during the decade 1891-1901 the prevalence of plague in Bombay gave a considerable advantage to Calcutta, which was comparatively free from that disease.
Encyclopedia Britannica 1911 über archive.org

Nach der gleichen Quelle hatte Bombay die prächtigeren öffentlichen Gebäude, Calcutta hingegen einen riesigen Park im Stadtzentrum:

Though Calcutta was called by Macaulay “ the city of palaces,“ its modern public buildings cannot compare with those of Bombay. Its chief glory is the Maidan or park, which is large enough to embrace the area of Fort William and a racecourse.

Meyers Weltreiseführer hebt als Sehenswürdigkeiten ebenfalls den zentralen Park (Maidan oder Esplanade) hervor sowie den Eden-Garten:

… ein hübscher kleiner Park, von den Misses Eden, den Schwestern Lord Aucklands, angelegt und 1856 mit einer birmanischen Pagode aus Prome geschmückt, am besten abs. (6-7 Uhr Militärmusik) zu besuchen.

Außerdem preist der Reiseführer die Government Botanical Gardens:

.. die am rechten Hooghlyufer gegenüber dem Garden Reach liegen. Es sind herrliche Parkanlagen mit tropischen Bäumen, Blumenparketts, Sträuchern, Wiesenflächen, Teichen und Bewässerungskanälen. Breite Fahrstraßen durchkreuzen den Park….

Maidan, Esplanade, Parc, Calcutta 1915

Im Zentrum von Calcutta liegt der Maidan, ein riesiger Park, der etwa 3 Kilometer lang und zwei Kilometer breit ist; er ist die „grüne Lunge“ Kalkuttas; Aufnahme von 1915; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:The_Maidan.jpg

Der Hafen Calcuttas

Die Lage Calcuttas an der Nähe der Mündung der großen Stromsysteme Ganges und Brahmaputra sowie die zentrale Lage zwischen Europa und dem Fernen Osten machte die Stadt zu einem wichtigen Handelsplatz. Encyclopedia Britannica (1911) vergleicht die Aktivität im Hafen mit denen Londons, dem damals größten Hafen Europas. Meyers (1912) spricht vom „Hamburg“ Indiens.

The port of Calcutta us one of the busiest in the world, and the banks of the Hugli rival the port of London in their show of shipping….

Hooghly 1890, BI steamers

Dampfer auf dem Hugli in Kalkutta, um 1890, Photochromdruck; Library of Congress; https://www.loc.gov/item/2017658182/

The port stretches about 10 m. along the river. It is under the control of a port trust, whose jurisdiction extends to the mouth of the Hugli and also over the floating bridge. New docks were opened in 1892, which cost upwards of two millions sterling.

Die Zufahrt über den Fluss Hugli nach Calcutta beschreibt Meyer (1912):

Die Einsteuerung ist besonders bei Nebel sehr schwierig. In der Nähe des Pilot’s Ridge Feuerschiffs kommt der Lotse an Bord. Große Dampfer können nur bei Hochwasser über die Barren im Flusse einlaufen. Das Wasser ist schmutziggelb. Die Ufer zeigen niedriges, schlammbedecktes Gebüsch, Dschungeln und Grasflächen; …

Über zahlreiche Eisenbahnverbindungen war der Hafen mit dem Hinterland bestens verbunden.

Calcutta city map 1912

Stadtplan von Calcutta, Quelle: Meyers Reisebücher, Weltreise, 2. Aufl., Bibliograph. Inst. Leipzig/Wien (1912); abgerufen über über Gutenberg.org

Der Maidan (Esplanade) liegt in der unteren Bildmitte. Er schließt Fort William am Fluss Hugli (Hooghly) ein. In der NW Ecke des Maidan ist der Eden-Garten. Die Goverment Botanical Gardens liegen unten links.

 

Die Wirtschaft Calcuttas (1910-1915)

Meyers Reisebücher (1912) beschreiben auch die Wirtschaft Calcuttas:

26 Jutefabriken (die Hauptindustrie) mit 15132 Webstühlen und 80000 Arbeitern, 8 Baumwollspinnereien mit 324038 Spindeln, Papierfabriken, Zuckerfabriken, Indigofabriken etc.

Die wichtigsten Ausfuhrartikel sind Jute und Jutesäcke, Opium, Tee, Reis, dann Häute, Baumwolle, Ölsaaten, Indigo, Rohseide, Gummi. Kohle wird aus Calcutta stark ausgeführt (1905: 7 Mill. Ton.).

Jute

Unter den genannten Produkten war Jute mit sehr großem Abstand das wichtigste Ausfuhrprodukt aus Calcutta: als Roh-Jute, in Form von Jutesäcken und als Jutegewebe.

The jute trade represented 60 per cent of Calcutta’s export trade in 1915-16 and in 1916-17 was 62 per cent of this trade.

Exportiert wurden 1915-16 über 579 Tonnen Rohjute im Wert von 48,3 Millionen Dollar, davon allein 318 Tonnen für 27,5 Millionen USD nach Großbritannien.

Hinzu kamen im gleichen Zeitraum fast 800 Millionen Jutesäcke für über 65,2 Mio. Dollar, davon wieder für Großbritannien knapp 300 Mio. Säcke im Gegenwert von 15,7 Mio. USD.

Größter Abnehmer für Jutegewebe waren die USA. Bei knapp 2 Milliarden laufenden Yards Gewebe gingen über 700 Mio. in die USA. Die Gesamtausfuhr an Jutegewebe war über 57 Mio. USD.

Im Folgejahr 1916-17 erreichte der Export von Jute mit über 184 Mio. USD ein vorläufiges Maximum, bevor es darauf wegen der Nichterneuerung von Regierungsaufträgen und der Knappheit von Schiffsraum zu einem Einbruch kam.

Quelle für Zitat und Zahlen: Supplement to Commerce Reports, Review of Industrial and Trade Conditions in Foreign Countries in 1917 by American Consular Officers, Dept. of Commerce, Washington, 1919; abgerufen über books.google.fr

Der Jutesack

Der Jutesack (engl. gunny bag) war sicher eines der meistverwendeten Verpackungsmittel der damaligen Zeit. Viele Massengüter wurden in Jutesäcken transportiert: Weizen, Kaffee, Kopra, Baumwolle und vieles mehr. Aber auch zum Beispiel die Post.

Die Abbildung gibt ein eindrucksvolles Beispiel für die große Menge benötigter Jutesäcke:

Large stacks of bagged wheat waiting for transportation from a receiving post in South Australia; exact location not known., Approximately1911.

Gestapelte Weizensäcke warten auf den Abtransport, Südaustralien, genauer Ort unbekannt, um 1911, Quelle: State Library of South Australia [PRG 280/1/44/367]

Auch Seile und Teppiche wurden/werden aus Jute hergestellt.

Im Ersten Weltkrieg kam eine andere Nutzung dazu: Sandsäcke. Milliarden von Sandsäcken wurden für die Frontlinien, zum Schutz historischer Gebäude und zu anderen Einsatzzwecken gebraucht. Das Material, in das der Sand gefüllt wurde: Jute.

gunny bags WW1

Einsatz von Sandsäcken in Schützengräben, das Bild zeigt den amerikanischen Journalisten Lucian Swift Kirtland; Quelle: Library of Congress; https://www.loc.gov/item/2012646951/

Die Wahrscheinlichkeit, dass auch die „Kerman“, exFürth den Hafen Kalkuttas mit einer großen Ladung Jute für Großbritannien und/oder den Persischen Golf verließ, ist groß. Allerdings bleibt dies eine Vermutung, einen Beleg dafür konnte ich bislang nicht finden.

Die Gewinnung von Jute

Jute ist eine Bastfaser, die aus Pflanzen der Gattung Chororus, die zu den Malvengewächsen gehören, gewonnen wird. Die einjährige Pflanze findet an den Unterläufen großer Stromsysteme mit regelmäßigen Überschwemmungen und Monsunklima ideale Bedingungen.

Die geernteten Pflanzenstängel werden geröstet, danach lassen sich die einzelnen Fasern heraustrennen. Diese werden gewaschen, getrocknet, zu Garnen gesponnen und weiterverarbeitet.

Im frühen 19. Jahrhundert kam die Ernte unverarbeitet als Rohjute nach Großbritannien und wurde dort verarbeitet.

Dundee wird „Juteopolis“

Dundee war seit Frühzeiten ein bedeutender Fischereistandort. Die Entdeckung, dass das dort im Überfluss vorhandene Walöl ein guter Weichmacher für die aus Indien eingeführten, harten Jutefasern war, verhalf Dundee zu einem neuen Wirtschaftszweig.

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Dundee zum Zentrum der europäischen Juteindustrie und erhielt den Spitznamen „Juteopolis“. Die Stadt soll bis zu 50.000 Arbeiter in 62 Mühlen beschäftigt haben.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts änderte sich jedoch die Lage. Schottische Industrielle, die sogenannten Jutebarone, hatten begonnen, juteverarbeitende Betriebe im Raum Calcutta zu errichten und die Jute direkt am Ort des Anbaus zu veredeln.

Heute sind Indien und Bangladesch, beides damals Teile Britisch Indiens, die Hauptexporteure von Jute und deren Produkten.

hooghly native boats 1905

Calcutta, Szene mit Booten am Hugli, Stereographiekarte, 1905; Library of Congress; https://www.loc.gov/item/2020681437/