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Pixabay, rice

Urlaubsgrüße aus Java

Der Dampfschiff-„Fürth“-Blogger ist im Urlaub!

Batavia, Hotel Des Indes

Direktor Gantvoort vom Hotel Des Indes erwartet uns schon!, Aufnahme 1910, Quelle: commons.wikimedia.org, COLLECTIE_TROPENMUSEUM_Batavia_directeur_Gantvoort_van_Hotel_des_Indes_met_(mogelijk)_twee_van_zijn_medewerkers_TMnr_60009065.jpg

In Batavia wird mir ein sonderbares Reisgericht serviert:

„Das schnurrigste Gericht, mit dem ich je auf meinen Reisen Bekanntschaft machte, war das, welches mir unlängst in einem erstklassigen Hotel Batavias angeboten wurde. Um acht Uhr erklang das Gong, das uns zum Frühstück rief.  Der Mandoer oder Hauptkellner — alle dienstbaren Geister in javaischen Hotels sind Schwarze, die stets barfuß einherlaufen — meldete uns, daß das Reisgericht auf der Tafel sei. Der Kellner brachte mir zunächst einen sehr, sehr tiefen Teller. Gleich darauf kam er mit einer mächtigen Reisschüssel, wovon ich mir als leidenschaftlicher Verehrer dieses Gerichts eine gute Portion nahm. Darauf reichte er mir den Hühnercerry. Ich war eben im Begriffe, mich an das Gericht zu machen, als auch schon ein anderer Diener hinter mir stand, in seinen Händen zwei weitere Gerichte tragend. Verwundert sah ich ihn an, da ich keine weiteren Teller vor mir stehen sah. Mein Nachbar, ein alter Java-Ansässiger, erklärte mir, der Reis und Cerry seien nur die Unterlage des Reisgerichtes, ich soll nur ruhig von den angebotenen Speisen nehmen und sie auf demselben Teller unterbringen. Ich tat wie angeraten, — es war eine Art von Frikassé und gebackene Eier. Diese wurden also auf die Grundlage als erstes Stockwerk gelegt. Schon stand ein dritter Diener an meiner Seite, wiederum mit zwei weiteren Schüsseln bewaffnet — es waren gebratene Bananen und Fische. Also: zwei weitere Gerichte wurden aufgeladen — es waren nunmehr sechs im ganzen. Der vierte Diener kam und bot mir zwei neue Gerichte an, es waren diesmal Mixed Picles und Blumenkohl. Und so wurde denn das vierte „Stockwerk“ aufgebaut. Es war dies gar keine leichte Arbeit, denn die verschiedenen Speisen fingen bereits an, bedenklich über den Rand des Tellers hinaus zu gucken. Ich betrachtete diesen modernsten Turmbau zu Babel mit geheimem Schrecken. Ich beobachtete mein Gegenüber und sehe, daß dieser mit großer Gewandtheit seine acht Gerichte auf dem Teller mischt. Hierzu waren Löffel jedem Teller beigelegt. Ich folge dem Beispiel und koste. Zu meinem großen Staunen finde ich, daß dieses Batavia-Allerlei gar nicht übel schmeckt! Langsam, aber sicher wird der Haufen kleiner und kleiner. In paar Tagen hatte ich mich daran schon so gewöhnt, daß ich, als ich Batavia und Java wieder verließ, mit förmlichem Herzweh daran dachte, in Zukunft dieses schnurrige Reisgericht nicht mehr aufbauen und wieder niederreißen zu dürfen.“

Der Artikel erschien in der Neuen Hamburger Zeitung vom 24. Februar 1908 auf den Seiten 2-3 in der Rubrik „Buntes Feuilleton“ unter dem Titel „Reisgericht auf Java. Uns wird geschrieben:“

Nasi Uduk?

Nun die Frage an alle Indonesienkenner: Was hat der Mann gegessen? Vielleicht Nasi Uduk? Ich war noch nie dort, befürchte aber, dass wir das Gericht heute nicht mehr so stilvoll serviert bekommen.

Hagen, Frachtdampfer, 1909

Schwesterschiffe der „Fürth“: die „Hagen“

Namensgeber der Kleinserie

Titelbild: Dampfschiff „Hagen“, 6990 t, ausgehend auf der Elbe bei Oevelgönne in leichtem Treibeis. Aufnahme vom 13. März 1909; © Otto Harms, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg (1933)

Die „Hagen“ war das erste von sechs baugleichen Schiffen, welche die Flensburger Schiffbau-Gesellschaft (FSG) in weniger als einem Jahr an die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg (DADG) geliefert hat (November 1906 – Oktober 1907). Otto Harms, der ehemalige Geschäftsführer der DADG, spricht deshalb auch von der „Hagen-Klasse“.
Quelle: Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, Otto Harms (1933), Schröder & Jeve, Hamburg.

In dieser Kleinserie folgten nach der „Hagen“ in den darauffolgenden Monaten in chronologischer Reihenfolge: die „Reichenbach“, die „Plauen“, die „Neumünster“, die „Fürth“, die „Osnabrück“ und schließlich die „Hanau“.

Zu jedem der sechs Schwesterschiffe der „Fürth“, dem Hauptthema dieses Blogs, existiert jetzt ein Artikel, der die Geschichte des jeweiligen Schiffes zusammenfasst. Die Links finden Sie am Ende dieses Blogbeitrags.

Allen Schiffen gemein ist, dass sie vergessen wurden. Der Erste Weltkrieg hat ihrer Funktion als Botschafter der namensgebenden Städte nach wenigen Jahren ein Ende gesetzt und schon bald hat sich niemand mehr ihrer erinnert. Das ist bis heute so geblieben. Dieser Blog möchte das ein wenig ändern.

In den zwanziger Jahren brachte die DADG wieder neue Schiffe in Fahrt; von den namensgebenden Städten der sechs Schwesterschiffe wurden lediglich die beiden Städte Hagen und Hanau erneut berücksichtigt, beide im Jahr 1921.

Das Schiff „Hagen“ (1906)

Die Bestellung der „Hagen“ bei der Flensburger Schiffbau-Gesellschaft erfolgte am 21. Oktober 1905, die Kiellegung am 5. Mai 1906 und nach 190 Tagen Bauzeit wurde das Schiff am 11. November 1906 an die DADG übergeben. Der Stapellauf fand einen Monat vorher, am 6. Oktober 1906, statt.

Die Baukosten betrugen 1,158 Millionen Mark. Die „Hagen“ hatte 4210 Brutto-Registertonnen und eine Tragfähigkeit von 6990 Tonnen. (alle Angaben: Otto Harms, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, Schröder & Jeve, Hamburg 1933)

Weitere Details finden Sie in den Beiträgen der baugleichen „Fürth“: SIEHE Bau, Stapellauf und Probefahrt der „Fürth“  sowie Die „Fürth“ in Lloyd’s Register

Jungfernfahrt der „Hagen“

Über die „Jungfernfahrt“ der Hagen gibt ein Artikel in The Advertiser (Adelaide) zusammenfassend Auskunft.

The Hagen, a new steamer, belonging to the German-Australian line, arrived from Hamburg on her maiden voyage on Sunday afternoon. She is a facsimile of the Oberhausen, Solingen, and Linden, which arrived last year, and a splendid vessel of her type. She was built at Flensburg, and launched on October 9. Captain Prohn, who was formerly in charge of the Magdeburg, is in command. He reports having left Hamburg on November 15, Rotterdam on November 18, Antwerp on November 22, East London on December 19, and arrived at Fremantle on January 4. She left the western port on January 8. Throughout the trip there was just enough bad weather to justify Captain Prohn coming to the conclusion that the new vessel is a splendid seaboat. After discharging her cargo she will load for Java ports.
The Advertiser, Adelaide (Australien), 14. Jan 1907, S. 6, SHIPPING NEWS.

Anmerkungen:

Die „Oberhausen“, „Solingen” und „Linden“ war sicher ähnliche Schiffe, aber keineswegs baugleich. Nur die „Linden“ war auch in Flensburg gebaut worden, hatte aber leicht abweichende Abmessungen zur „Hagen“. Die „Oberhausen“ war ein Schiff von Swan, Hunter & Wigham Richardson in Newcastle-on-Tyne und die „Solingen“ (II) ein Frachtdampfer der Neptunwerft in Rostock.

Der Stapellauf der „Hagen“ war nach Harms (1933) der 6. Oktober 1906.

Nach der „Klingenstadt“ Solingen war bereits das zweite Schiff der DADG benannt worden. Die bereits 1889 in Dienst gestellte „Solingen” (I) ging 1904 vor Deutsch-Südwestafrika verloren.

Hagen, crew 1909

Mannschaftsliste der Hagen, Seite 1, Sydney 19. Okt 1909; © State of New South Wales through the State Archives and Records Authority of NSW

Die Überlegenheit der Dampfschifffahrt

Der Zeitungsartikel in The Advertiser berichtet im Folgenden von der Sichtung eines Seglers durch die „Hagen“:

“Captain Prohn, of the Hagen, reports having sighted the barque Loch Rannoch in lat. 35.40 deg. S., long. 126 deg. E, at noon on Friday. She was then right in the steamboat track. The Loch Rannoch, which is coming to Port Adelaide from Glasgow, wished to be reported „all well.“ She is 109 days out, and had been anxiously looked for. This well-known Loch liner should arrive early this week.”

109 Tage von Glasgow nach Adelaide bedeuteten für die Bark, einen Segelschifftyp, etwa dreieinhalb Monate auf See, das Dampfschiff „Hagen“ erreichte Adelaide von Hamburg mit Zwischenstopps in nur zwei Monaten.

Diese langen Fahrten hatten auch zwei weitere Barken hinter sich, eine von Archangelsk (Russland), die 147 Tage unterwegs war und eine ab Glasgow mit 123 Tagen Seereise:

“The strong south winds which blew during Sunday brought to the Semaphore anchorage two barques. One was the Norwegian barque which was here in 1904. She is from Archangel, which port she left on August 19, and was, therefore, 147 days out. The Woodburn, formerly a Glasgow barque, but now under the Russian flag, arrived from Bo’ness (Scotland) with a consignment of superphosphates. Her sailing date was September 12, and she accomplished the passage in 123 days. Both vessels may be expected to enter the harbor within the next day or two.”
(alle Zitate aus der gleichen Quelle)

Die Segelschifffahrt konnte sich in den Folgejahren nur noch für „zeitunkritische“ Frachten behaupten, verlor aber nach und nach endgültig an Bedeutung.

Die folgende Abbildung ist symbolisch dafür: Gestrandete Segelschiffe in Port Elizabeth. Die im Hafen liegenden Dampfschiffe waren in der Lage, den Sturm abzuwettern. SIEHE: Logbuch (10): Die „Fürth“ in Mossel Bay und Port Elizabeth (Südafrika)

Hurricane in Algoa Bay 1902

Port Elizabeth, 30 August and 1 September 1902. Aftermath of a storm in Algoa Bay; Quelle: DRISA-Archiv, Johannesburg; http://atom.drisa.co.za/collections/P_Collection_lo-res/P1143_06.jpg

Verdächtige Umladung auf See – „A Mysterious Cargo“

Im Sommer 1908 erregte eine außergewöhnliche Umladung von Dynamit im Ärmelkanal einige Aufmerksamkeit in der britischen Presse und sogar der Verdacht von Schmuggel kam auf. Der Kapitän der „Hagen“, zu diesem Zeitpunkt F. Parran, erklärt den Vorfall anschließend einem australischen Journalisten:

ARRIVAL OF THE STEAMER HAGEN.
THE GOODWIN SANDS INCIDENT.
EXPLOSIVES SHIPPED ON THE OPEN SEA.

Early yesterday morning the German steamer Hagen arrived from Hamburg, and anchored in Gage Roads. Considerable interest has been evinced in the present voyage of this vessel, owing to an unusual incident which occurred at its commencement. Towards the end of April, it will be remembered, the cables announced that the steamer Hagen had shipped a cargo of German-manufactured explosives while lying off the Goodwin Sands, in the English Channel. The goods, it was stated, were transhipped to the Hagen from a German tug-boat, and the extraordinary nature of the procedure excited much comment in commercial and shipping circles in London. All sorts of conjectures were indulged in as to the destination of the cargo, some journals going so far as to hint that it was contraband.

In view of the explanation volunteered to a representative of the „West Australian“ by Captain Paran, when the matter was brought under his notice yesterday it is surprising that such an incident should have caused so much speculation in English shipping circles.

It appears that when the vessels of the German-Australian line leave Antwerp explosives are transhipped from a lighter just outside the port. On this occasion, however, the lighter was delayed, and Captain Paran was instructed to wait off the Dutch coast for the cargo. A course which is often carried out when lighters are delayed. On arrival off the Dutch coast the weather would not permit of the work being carried out, and as a consequence the Hagen proceeded to seek a sheltered spot off the Goodwin Sands, to await the arrival of a German tug-boat, which brought out the transhipment cargo.

Captain Paran was greatly surprised and amused, that the incident should have received such world-wide attention.
The West Australian, Perth, 5. Jun 1908, S. 5

Anmerkung: Dynamit war eine häufige Fracht der DADG-Schiffe nach Südafrika und Australien. Es kam aus verschiedenen europäischen Produktionsstätten. Siehe dazu auch den Blogartikel: Plakatwerbung

Coolgardie, Strelitz

Dynamit auf einem Ausstellungsstand der Gebrüder Strelitz in der Bergbaustadt Coolgardie, Foto von Hemus and Hall, Coolgardie Pioneer, 22. April 1899, S. 18; Coolgardie war damals nach Perth und Fremantle die drittgrößte Stadt Westaustraliens, heute ist sie als „Ghosttown“ nur noch von touristischem Interesse.

Sommer 1914

Im Sommer 1914 kam die „Hagen“ auf der Linie New-York – Java nach Tjilatjap an die Südküste Javas. Die Insel gehörte das damals zur niederländischen Kolonie Niederländisch-Indien, die folgenden Quellen sind daher niederländische Tageszeitungen.

Het ss. Hagen, van de Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft vertrok op 3 Juni van Durban komende van New Vork direct naar Tjilatjap en wordt den 21sten a.s. aldaar verwacht.
Het nieuws van den dag voor Nederlandsch-Indië, 13-06-1914

(Die ss. Hagen von der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft verließ Durban am 3. Juni und kam von New Vork direkt nach Tjilitjap und wird dort am 21. erwartet.)

Zu der Linie New York – Java mehr hier: Devoe’s und Sylvan Arrow – Petroleum für Java

Aangekomen:

Duitsch ss. Hagen, gez. Wilm, van Tjilatjap, agt. Maintz & Co.
Het nieuws van den dag voor Nederlandsch-Indië, 27-06-1914

In der Folgezeit war die „Hagen“ in Niederländisch-Indien unterwegs, bis sie vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges Ende Juli/Anfang August 1914 überrascht wurde.

VERTROKKEN SCHEPEN.

Duitsch ss. Hagen, gez. Wilm, naar Pekalongan.

Bataviaasch nieuwsblad, 06-07-1914

Anmerkung: Pekalongan ist eine Hafenstadt an der Nordküste Javas.

Anfang August lag die „Hagen“ in Soerabaya (Insel Java), um eine Ladung Zucker aufzunehmen, wurde aber angewiesen, diesen wieder zu entladen.

Het duitsche stoomschip „Hagen“, dat te Soerabaja een lading suiker kad ingenomen, heeft orde gekregen de lading weder telossen.
Sumatra-bode, 4.8.1914

(Das deutsche Dampfschiff ‚Hagen‘, das in Surabaya eine Ladung Zucker aufgenommen hat, wurde beauftragt, die Ladung wieder zu entladen.)

Die „Hagen“ lief anschließend von Soerabaya nach Tandjong Priok, dem Hafen Batavias.

AANGEKOMEN SCHEPEN.

Duitsch ss. Hagen, gez. Wilm, van Soorabaja, agt. Maintz en Co.

Bataviaasch nieuwsblad, 6. Aug 1914

Batavia 1907

Ankunft eines Dampfers im Hafen Tandjong Priok (Batavia), 1907, Stereographische Aufnahme, Tropenmuseum Amsterdam, Inventarnummer TM-60060778, collective.wereldculturen.nl

Eine zusammenfassende Beschreibung von Tandjong Priok liefert ein britisches Handbuch:

„The port of Tandjong Priok is in communication with Batavia by railway and by a canal. The outer harbour is formed by two piers 1,850 metres long; the entrance is 125 m wide, and the depth is 8 metres. The inner harbour has a quay 1,100 metres long and 175 metres wide; the water has a depth of 7.50 metres. There is extensive accommodation for coaling, and in the docks and workshops all kinds of repairs to vessels can be made. The expenses for the construction of the harbour and annexed works amounted to 26½ millions of guilders.”

The Directory & Chronicle for China, Japan, Corea, Indo-China, Straits Settlements, Malay States, Sian, Netherlands India, Borneo, the Philippines; Hongkong Daily Press Office, 1910, 48. Ausgabe

In diesem Hafen sollte die „Hagen“ während des Ersten Weltkrieges bleiben. Noch im August 1914 fand im Kaiserlich Deutschen Generalkonsulat eine Verklarung statt:

Steam ship Hagen, Batavia 1914

Bekanntmachung in der Zeitung Bataviaasch Nieuwsblad, 26. Aug 1914, Quelle: http://www.delpher.nl

Die Verklarung

Was es mit einer Verklarung auf sich hat, erklärt uns das Seerecht:

Paragraph 522
Der Schiffer hat über Unfälle, die sich während der Reise ereignen, sie mögen den Verlust oder die Beschädigung des Schiffes oder der Ladung, das Einlaufen in einen Nothafen oder einen sonstigen Nachteil zur Folge haben, mit Zuziehung aller Personen der Schiffsbesatzung oder einer genügenden Anzahl von ihnen eine Verklarung abzulegen.
Die Verklarung ist ohne Verzug zu bewirken, und zwar…

im Nothafen, sofern in diesem repariert oder gelöscht wird;

„Ihr Zweck ist nicht die Wahrung öffentlicher, sondern diejenige privater Interessen (…), nämlich neben der Entlastung (Verklarung = Reinigung) des Schiffers die Schaffung einer Unterlage für die Regelung der aus einem Seeunfall erwachsenen privatrechtlichen Verhältnisse (…). Sie dient also als eine Art Beweissicherung.“

Das deutsche Seerecht, Kommentar und Materialsammlung, 2. Bd.; Schaps, Abraham, Berlin 1962 (books.google.fr).

Die Verklarung musste im Ausland in einer diplomatischen Vertretung stattfinden (falls vorhanden), deswegen erfolgte die Anzeige vom Kaiserlichen Deutschen Generalkonsulat in Batavia.

Der Begriff der Verklarung führt uns zum nächsten seerechtlichen Fachbegriff: der großen Haverie.

Große Haverie (auch Haverie grosse oder Große Haverei)

Große Havarie liegt dann vor, wenn Schiff und Ladung in gemeinschaftlicher Gefahr sind und vom Schiffskommando vorsätzlich zur Rettung von Schiff und Ladung Maßnahmen getroffen werden, deren Kosten und außerordentliche Opfer im Interesse aller Beteiligten von diesen gemeinschaftlich getragen werden müssen.
Die Praxis des Seefrachtgeschäfts H.-J. Leue, Springer, 1958 (books.google.fr)

Zu einer Großen Haverie gehören neben den Kosten für tatsächliche Beschädigungen an Schiff und Ladung auch die zusätzlich anfallenden Gebühren in einem Nothafen (Liegegebühren, Be- und Entladungskosten), die dann auf alle Ladungseigner umgelegt werden.

Eine anschauliche Einführung in dieses versicherungsrechtlich sehr komplexe Konstrukt bekommen Sie zum Beispiel hier: https://at.kuehne-nagel.com/fileadmin/country_page_structure/EE/Austria/Documents/General_Average_ee_region_de.pdf

Wie hängen nun Verklarung und Große Haverie zusammen? Ich fand diese Darstellung hilfreich:

„Auf der Grundlage des Berichts des Kapitäns (Verklarung) erstellt ein öffentlich bestellter Sachverständiger (Dispacheur) nach Ankunft des Schiffs im Ziel- oder Nothafen ein Dokument (Dispache) über Hergang, Beitragswerte, Kosten und Kostenaufteilung. Da der Reeder den Vergütungsberechtigten gegenüber für die Einbringung der Havarie grosse-Beiträge haftet, hat er ein Pfandrecht an den Gütern. Die endgültige Abrechnung der Havarie grosse-Beiträge kann Jahre dauern; deshalb wird der Ladungsempfänger i.d.R. eine unmittelbare Herausgabe gegen Stellung von Sicherheiten (Havarie grosse-Verpflichtungsschein, Bankgarantie oder Bareinschuss) erwirken.“
Gabler Wirtschaftslexikon, https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/havarie-35792

Ich versuche, das mal in einfache Worte zu packen:

Diejenigen, die Ladung an Bord hatten und diese in Empfang nehmen wollten, mussten sich anteilig an den erhöhten Liegekosten beteiligen, da die „Hagen“ durch Ausbruch des Krieges viel länger in Batavia lag, als vorgesehen.

Über die Modalitäten informierte eine Anzeige der Fa. Maintz & Co., dem Vertreter der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) in Batavia. Sie betraf außer der „Hagen“ auch das Dampfschiff „Freiberg“ der DADG, das auf der Fahrt nach Indramajoe (heute: Indramayu, Nordküste Java) auf ein Riff aufgelaufen war:

Große Haverie, 1914, Batavia

Anzeige der Vertretung der DADG in Batavia, der Fa. Maintz & Co. in Bataviaasch nieuwsblad vom 21. August 1914; http://www.delpher.nl

Anmerkung: W. v. K. = Wetboek van Koophandel (niederländisches Handelsrecht)

International waren das Regelwerk der großen Havarie auf dem Kongress der Gesellschaft für die Reform und Kodifikation des Völkerrechts zu Liverpool im Jahr 1890 überarbeitet worden und als York-Antwerp-Rules 1890 bekannt (siehe in: Theorie und Praxis des Seehandels-Geschäfts, R. Stern, 1903, in Sammlung Kaufmännischer Lehrbücher, Handels-Akademie Leipzig; http://storage.lib.uchicago.edu/pres/2015/pres2015-0761.pdf)

Viele Schiffe der DADG waren beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges in Niederländisch-Indien „gestrandet“ und die für den Hafenbetrieb verantwortliche B.O.W. machte deutlich, dass für diese Schiffe die vollen Hafengebühren fällig seien (Quelle: Mitteilung von Maintz & Co. in De Sumatra post, 16. Nov. 1914)

Anmerkung: Die B.O.W. (Burgerlijke Openbare Werken) war in Niederländisch-Indien verantwortlich für den Bau und Unterhalt der Infrastruktur (Bewässerungsanlagen, Straßen, Schienenwege, Brücken, Trinkwasserversorgung, Hafenanlagen).

Lange Jahre in Batavia

Die „Hagen“ und ihre Besatzung mussten fünf lange Jahre in Niederländisch-Indien verbringen. Im August 1919 lag das Dampfschiff noch immer in Tandjong Priok:

Thans liggen nog in de haven van Tandjong Priok de Iselohn (sic), Hagen, Hohenfels en Marie;…
Bataviaasch nieuwsblad, 20. Aug 1919

Die „Iserlohn“ war ebenfalls ein Schiff der DADG und die „Hohenfels“ ein Frachtdampfer der DDG Hansa, Bremen.

Die „Marie“ war ein Sperrbrecher der Kaiserlichen Marine und hatte 1916 die deutschen Truppen in Ostafrika versorgt. Anschließend lief das Schiff nach Batavia und wurde dort von den Behörden interniert.

Über die Zeit der deutschen Besatzungen in Niederländisch-Indien während des Ersten Weltkrieges hatte ich am Beispiel des Schiffes „Ulm“ berichtet: Die „Ulm“ in Ambon (Teil 1 von 2) und Die „Ulm“ in Ambon (Teil 2 von 2)

Batavia Tandjong Priok, no date

Hafen von Tandjong Priok (Batavia), undatiert, Tropenmuseum Amsterdam, Inventarnummer TM-10007988, collective.wereldculturen.nl

Erst im September verließ die „Hagen“ Batavia in Richtung Singapur, jetzt unter der Flagge der Alliierten („onder geallieerde vlag“). Zuvor legte sie noch in Probolinggo/Kraksaan und Semarang an der Nordküste Javas an.

Vertrokken:

– N. I. ss. Hagen, gez. Porter, naar Probolinggo, onder geallieerde vlag.
Het nieuws van den dag voor Nederlandsch-Indië, 20. Sept. 1919

SEMARANG.
Aangekomen :

13 Oct. Geall. ss. Hagen gez. G.L. Porter, van Krakssau, agt. Mc Neill Co.
De locomotief, 13. Okt. 1919

Probolinggo: Hafenstadt an der Nordküste im Osten der Insel Java (ca. 100 Kilometer östlich von Soerabaja). Krakssau (richtig Kraksaan) gehört zu Probolinggo; es dürfte sich um den gleichen Hafen handeln.

15 Oct. Geall. ss. Hagen gez. G.L. Porter naar Singapore agt. Mac Neill en Co.
De locomotief, 16. Okt. 1919

Shipping Controller

Neuer Eigentümer der „Hagen“ war der Shipping Controller, eine Behörde die 1916 von der britischen Regierung gegründet worden war mit der Aufgabe, die Handelsmarine zu organisieren, um die Versorgung der Streitkräfte und der Bevölkerung während des Ersten Weltkriegs sicherzustellen. Die Behörde verwaltete außerdem die von den feindlichen Nationen übernommenen Schiffe.

Bereedert wurde die „Hagen“ in dieser Zeit von der British India Steam Navigation Co., zu diesem Zeitpunkt bereits Teil der Peninsular and Oriental Steam Navigation Company (P&O), eine der weltweit größten Reedereien. (Quelle: BISHIP, biship.com)

Die „Aegeon“, exHagen

Der Shipping Controller wurde im Jahr 1921 aufgelöst und alle Schiffe abgegeben.

Die „Hagen“ wurde an die griechische Regierung verkauft und in „Aegeon“ umbenannt (Schmelzkopf, 1984). Das Schiff fuhr für den griechischen Service of Maritime Transport.

Aus der Zeit als „Aegeon“ habe ich das Schiff nur einmal wiedergefunden, ansonsten bin ich bei Shakespeare gelandet: Aegeon von Syrakus ist eine der Hauptfiguren in der Komödie der Irrungen.

Griechische Quellen würden hier sicher weiterhelfen, genauso wie bei der weiteren Geschichte der ex-Hagen bis zum Abbruch. Die Suche dort überlasse ich jedoch anderen.

Deshalb an dieser Stelle nur ein Schiffsunfall der „Aegeon“ aus dem Jahr 1924 in Portugal:

GEMENGD.

AEGEON. Oporto, 26 Nov. Het Grieksche stoomschip Aegeon is inkomend te Leixoes in aanvaring geweest met het Duitsche stoomschip Steigerwald, van Hamburg naar Buenos Ayres. De Aegeon bekwam schade aan stuurboordsboeg; of de Steigerwald beschadigd werd, is niet bekend.
Nieuwe Rotterdamsche Courant, 29. Nov 1924, http://www.delpher.nl

Übersetzt: Das griechische Dampfschiff „Aegeon“ ist bei seiner Ankunft in Leixoes mit dem deutschen Dampfschiff „Steigerwald“ von Hamburg nach Buenos Aires zusammengestoßen. Die „Aegeon“ wurde am Steuerbordbug beschädigt. Es ist nicht bekannt, ob die „Steigerwald“ beschädigt wurde.

Anmerkungen:

Leixões ist der Seehafen von Porto, er liegt wenige Kilometer nördlich der Stadt am Atlantik.

Die „Steigerwald“ (1921) war ein Schiff der Hamburg-Amerika-Linie im Dienst nach Nord- und Südamerika. Gebaut wurde die „Steigerwald“ auf der Deutschen Werft in Hamburg, sie hatte 4535 BRT bei einer Länge von 119,0 Metern (Quelle: schiffe-maxim.de)

„Michael N.“

Die Geschichte der exHagen bleibt griechisch. Im Jahr 1931 ist die „Aegeon“ an eine Reederei in Piräus übergegangen. Die Ausgabe 1931-32 von Lloyd’s Register nennt als neuen Eigentümer Mrs. I. M. Nicolaou. Als Manager der Reederei ist M. N. Nicolaou eingetragen:

exHagen in Lloyd's Register 1931

Lloyd’s Register, Ausgabe 1931-32; Quelle: Southampton City Library, https://plimsoll.southampton.gov.uk/shipdata/pdfs/31/31b1425.pdf

„Petrakis Nomikos“

Bereits im Jahr darauf erfolgt ein weiterer Verkauf. Die ex-Hagen bleibt in Piräus, neuer Eigentümer ist P. M. Nomikos, der neue Name des Schiffes wird „Petrakis Nomikos“.

ex-Hagen, Lloyds, 1932

Lloyd’s Register, Ausgabe 1932-33; Quelle: Southampton City Library, https://plimsoll.southampton.gov.uk/shipdata/pdfs/32/32b1063.pdf

Im Dezember 1932 taucht die „Petrakis Nomikos“ wieder in Westeuropa auf:

BUITENLANDSCHE SCHEPEN.
Van en naar Nederlandsche havens.

STRATONI V. 3/12 Petrakis Nomikos, Vlaardingen.

Algemeen Handelsblad, 11. Dez 1932

Anmerkung: V. = vertrokken (abgefahren); Stratoni liegt im Nordosten der Halbinsel Chalkidiki (Griechenland).

Am 21. Dezember 1932 ist die „Petrakis Nomikos“ mit Rohphosphat in Vlaardingen bei dem Unternehmen ENCK (Eerste Nederlandse Coöperatieve Kunstmestfabriek) angekommen:

VLAARDINGEN. Aangekomen,

21 December

Grieksch stoomschip Petrakis Nomikos, met ruwe phosphaat, van Stratoni, aan de E.N.C.K.µ

Nieuwe Vlaardingsche courant, 23. Dez 1932

Eine Woche später lief die „Petrakis Nomikos“ nach Rendsburg (Quelle: Algemeen Handelsblad, 30. Dez. 1932) und im März 1933 erreichte die „Petrakis Nomikos“ erneut die Niederlande, diesmal vom Schwarzen Meer (Noworossijsk, Scheepvart, 20. März 1933) bevor sie anschließend nach Narvik versegelte (De Standaard, 20. März 1933).

Die Route vom Schwarzen Meer nach West- und Nordeuropa (Niederlande, Großbritannien, Skandinavien) wurde anschließend häufiger befahren. Die Fracht vom Schwarzen Meer für Nordwesteuropa war Getreide.

Getreide (Weizen) könnte auch im Januar 1935 an Bord gewesen sein, als die „Petrakis Nomikos“ aus Rosario in Rotterdam ankam. Rosario liegt in der LaPlata-Region in Argentinien am Paraná, eine der weltweit wichtigsten Weizen produzierenden Regionen.

Petrakis Nomikos, 1935

Anzeige Scheepvart, 04. Februar 1935, http://www.delpher.nl

Die Anschlussladung waren Kohlen für Piräus (Scheepvart, 20. Feb 1935).

Abbruch

Mit dieser Fahrt verschwindet die „Petrakis Nomikos“ aus den niederländischen Medien und erst im Mai 1936 erscheint eine Meldung über den Verkauf der ex-Hagen für 7650 Britische Pfund:

ZEEVART.

The Union, recently acquired, has been sold to North-East Coast shipbreakers, and the Spilsby has been purchased by British buyers under the scheme and resold to the Hughes Bolckow Shipbreaking Company, Ltd., Blyth, for about £5500, as she lies in the Tyne. Messrs. Hughes Bolckow have also acquired from British buyers the Petrakis Nomikos for about £7650 delivered Blyth, and a British firm has purchased he Weir steamer Dunafric. …
Scheepvart 18. Mai 1936

Die „Petrakis Nomikos“, ex-Michael N., ex-Aegeon, ex-Hagen ist zuletzt in der Ausgabe 1935-36 von Lloyd’s Register verzeichnet (allerdings noch ohne den Zusatz „Broken up“).

Verwirrung um die „Petrakis Nomikos“

Es wurden sowohl unter dem Namen „Aegeon“ als auch unter „Petrakis Nomikos“ wieder Schiffe in Fahrt gebracht, die jedoch nicht mit der ex-Hagen identisch sind.

Bei dem schweren Explosionsunglück des Tankschiffes (!) „Petrakis Nomikos“ in Rotterdam im Oktober 1936 mit vielen Toten kann es sich nicht mehr um die ex-Hagen handeln, auch wenn Pressemitteilungen dies teilweise so wiedergegeben haben (z. B. in Haagsche courant vom 31. Oktober 1936). Eine Abbildung des Hecks des Schiffes in dem Artikel zeigt eindeutig, dass es nicht die ex-Hagen ist. Am auffallensten: der Schornstein ist viel weiter in Richtung Heck des Schiffes, als bei der ex-Hagen).

Andere Schwesterschiffe der „Fürth“

Schwesterschiffe der „Fürth“: Die „Reichenbach“

Schwesterschiffe der „Fürth“: die „Plauen“ und Das Schwesterschiff „Plauen“ – ein Nachtrag

Schwesterschiffe der „Fürth“: Die „Neumünster“

Schwesterschiffe der „Fürth“: der Frachtdampfer „Osnabrück“

Schwesterschiffe der „Fürth“: die „Hanau“

Dazu kommt noch ein baugleiches Schiff, welches jedoch nicht an die DADG geliefert wurde. Siehe dazu: „Elisabeth von Belgien“

menu, hotel des indes, 1910

Opulentes Abendessen in Batavia

Titelabbildung: Menu des Hotels „Des Indes“ in Batavia vom 19. März 1910; Quelle: The New York Library, Digital Collections; http://digitlcollections.nypl.org/; public domain

Ein Menu im Hôtel Des Indes (1910)

Auf unserer Reise nach Batavia sind wir in unserem Hotel, dem Hôtel Des Indes, angekommen und haben nach einem anstrengenden Tag richtig Appetit.

Den Aperitif hatten wir auf der großen überdachten Terrasse eingenommen und nun begeben wir uns in den großen Speisesaal.

Die oben abgebildete Menükarte ist vom Samstag, den 19. März 1910.

Im März 1910 könnten auch Kapitän Saegert vom Frachtdampfer „Fürth“ mit ein paar Offizierskollegen das Hotelrestaurant aufgesucht haben. Der Frachtdampfer befand sich zu dieser Zeit in Java.

Er war am 8. März aus Südaustralien kommend in Batavia angekommen. Die wichtigste Fracht für Java war Mehl, das in Adelaide geladen worden war. Bis zum 10. März wurde ein Teil der Ladung in Batavia gelöscht, bevor die „Fürth“ weitere Häfen auf Java anlief.

In der Folge umrundete die „Fürth“ die Insel Java im Uhrzeigersinn. Nach dem Anlaufen von Semarang, Soerabaya, Banjoewangi und von Tjilatjap, dem einzigen Tiefseehafen an der Südküste, kehrte die „Fürth“ anschließend nach Batavia zurück, von wo aus sie am 23. März nach Singapur aufbrach.

Das Menü vom 19. März 1910 dürfte Kapitän Saegert vermutlich verpasst haben.

Die Menüfolge

Die Küche des Hôtel Des Indes war offenbar stark geprägt von Auguste Escoffier, der 1903 seinen Guide Culinaire herausgegeben hatte. Spätestens dieses Kochbuch machte den französischen Koch in aller Welt berühmt und das Buch wurde in viele Sprachen übersetzt. Viele Speisen auf der Menükarte finden wir in seinem Werk wieder. Den Link zu der digitalisierten deutschen Ausgabe von 1910 finden Sie am Ende des Blogartikels.

Hors d’œuvres varié

Unser Menü beginnt mit einer Auswahl an Appetitanregern oder Vorgerichten, wie es Escoffier ausdrückt.

Canapés, Cremes, Duchesse-Krapfen, verschiedene Gemüse, Meeresfrüchte, Salate, salzige Törtchen: eine Auswahl davon könnte unser Menü eröffnet haben. In der französischen Menüabfolge sind die Hors d’œuvres, die vor der Suppe serviert werden, kalt.

hors d'oeuvres 1923
Hors d‘oeuvres, in Mrs. Beeton’s Cookery Book, 1923; Quelle: Cold Entrée: Chicken Médaillons, Cold Border of Salmon, Beef Galantine, Zephires of Duck, Mutton Cutlets in Aspic, Chartreuse of Pheasant, Timbale of Turbot, and Chicken Darioles from Mrs. Beeton’s Book of Household Management; Rawpixel Ltd., Lizenz CC BY 4.0

Consommé Montmorency

Eine leichtgebundene Geflügelkraftbrühe mit Spargel setzt unser Menü fort. Escoffier nennt die darin befindliche Einlage: „Kleine raupenförmige Klößchen, Spargelspitzen (Hauptbestandteil). Pochierter Reis. Kerbelblätter.“

Filet de Soles à l’Amiral

Der Admiral als einer der höchsten Dienstgrade in der Marine ist Hinweis darauf, dass das jetzt servierte Seezungenfilet reich garniert daherkommt.

Die Seezunge nach Admiralsart verlangt als Garnitur Champignons, Krebsschwänze, Trüffel(scheiben), Muscheln und Austern à la Villeroy (zu Villeroy kommen wir noch). Dazu macht Escoffier eine „gebundene Weißweinsauce, die man mit dem eingekochten Fischfond und 50 Gr. Krebsbutter mischt.“

Filet de Boeuf Garni à la Châtelaine

Nun der Fleischgang: ein Rinderfilet, das nach Art der Schlossherrin (châtelaine) garniert ist. Dazu gehören – nomen est omen – Schlosskartoffeln (pommes noisettes) sowie Artischocken, Maronenpüree mit Zwiebeln, geschmorter Salat und Kalbsfonds.

Escalopes de ris de veau à la Villeroy

Ich persönlich esse sehr gerne Kalbsbries. Leider werden diese schmackhaften Innereien immer teurer gehandelt.

Namensgeber der Zubereitungsart „à la Villeroy“ ist der französische Marschall François de Neuville de Villeroy (1644-1730). Eine weiße Grundsauce (sauce allemande) wird mit Trüffel- und Schinkenessenz verfeinert. Die Kalbsbries-Scheiben werden dann in die (recht dicke) Soße eingetaucht, paniert und anschließend frittiert.

Escoffier merkt an: „Der einzige Gebrauch dieser Sauce ist, gewisse Bestandteile einzuhüllen, um dieselben nachher „à l’anglaise“ zu panieren. Durch diese Art der Zubereitung nehmen die betreffenden Gerichte immer die Benennung „à la Villeroy“ an.“

Sorbets Sicilienne

Zeit zum Durchatmen! Bevor es weiter geht, gibt es eine kleine Erfrischung. Nach Escoffier sind Sorbets gleichzeitig appetitreizend und förderlich für die Verdauung.

Im Deutschen verwendet man für Sorbet auch den Namen Scherbett, der auf das türkische şerbet (kühler Trank) zurückgeht.

Der Zusatz sizilianisch (sicilienne) legt für unser Menü Sorbets/Scherbetts aus Zitrusfrüchten und/oder Melone nahe.

chaud froid 1923
Beispiele für Chaudfroid-Gerichte (Pute, Lachs, Schinken) in Mrs. Beeton’s Cookery Book, 1923; Quelle: https://commons.wikimedi.org/wiki/File:Chudfroid_Dished_Turkey_en_Chudfroid,_Chudfroid_of_Slmon,_nd_Chudfroid_of_Hm_from_Mrs._Beeton%27s_Book_of_Household_Mngement._Digitlly_enhnced_from_our_own_1923_edition._(50440535911).jpg, Lizenz CC BY 2.0, Rawpixel Ltd.

Chaud-Froid de Volaille „en Bellevue“

Bei einem Chaud-Froid wird grundsätzlich heiß zubereitet und kalt serviert (chaud-froid = heiß-kalt). In unserem Fall wird Geflügel (volaille) verarbeitet, das dann mit einer gelatinehaltigen gebundenen Soße oder Gelatine überzogen wird. Alternativ gibt es Chaud-Froid auch mit Fleisch oder Fisch. Zum Schluss wird das Chaud-Froid kunstvoll dekoriert, wie oben auf den Bildern zu sehen ist. Diese künstlerische Präsentation der Speise bezeichnet man als „en Bellevue“. Einfacher ausgedrückt: ein rausgeputztes Hühnchen in Gelee.

Gâteau Fantaisie

Auch beim Erstellen des Kuchens (gâteau)/der Torte wird sich die Hotelküche mächtig ins Zeug gelegt haben, um das Ergebnis möglichst repräsentabel zu gestalten.

Ein paar Beispiele phantasievoller Kuchen aus einem Buch von 1923 sind unten abgebildet.

fancy cakes 1923
Beispiele für Fantasietorten in Mrs. Beeton’s Cookery Book, 1923; Quelle: Fancy Cakes: Cakes and Gâteaux showing various styles of Icing and Decoration from Mrs. Beeton‘s Book of Household Management. Digitally enhanced from our own 1923 edition; Rawpixel Ltd., Lizenz CC BY 4.0

Glace Nesselrode

Karl Robert Graf von Nesselrode war ein deutscher Adliger und Diplomat, der während des Wiener Kongresses die russische Delegation leitete. Auf seine kulinarische Vorliebe für die Esskastanie dürfte das Dessert zurückgehen, welches jetzt 95 Jahre nach dem Wiener Kongress im Hôtel des Indes in Batavia serviert wurde.

In Meyers Konversationslexikon wird es als eine Eiscreme aus Rahm, Eidotter, Zucker, Maronenpüree, Zitronat und Rosinen beschrieben.
Meyers Konversationslexikon, 4. Auflge 1885-1892; https://www.retrobibliothek.de/retrobib/seite.html?id=111819

Bei Rezepten, die ich im Internet recherchiert habe, gehört aber immer auch Maraschino, ein Kirschlikör, in ein Glace Nesselrode.

Gerne wurde dieses Dessert aufmerksamkeitsträchtig von Hotelbediensteten in Form einer großen Eisbombe in den Speisesaal gebracht.

Bei Escoffier ist die Bombe Nesselrode schlichter: „Außen Vanille-Eis, innen Schlagsahne, der man feines Kastanienpüree unterzogen hat.“

Fruits – Dessert – Café

Sind Sie auch so satt wie ich? Unser Menü neigt sich dem Ende und klingt mit Früchten, Desserts und Café aus.

Nach Torte und Eiskrem wird sich das Dessert in Grenzen halten, vielleicht ein paar Kekse, Konfekt oder kandierte Früchte.

Das Obst war sicher eine interessante Wahl, die Auswahl javanischer Früchte sicher riesig und deren Geschmack köstlich.

dessert fruit 1923
Dessertfrüchte und ihre Präsentation in Mrs. Beeton’s Cookery Book, 1923; Dessert Fruit: Apricots, White Cherries, Black Cherries, White, Black and Red Currants, Melon, Strawberries, Raspberries, Black Diamond Plums, Greengages, and Victoria Plums from Mrs. Beeton’s Book of Household Management, Rawpixel Ltd., Lizenz CC BY 4.0

Getränke

Was leider zu unserm Menü nicht erhalten ist, ist die Getränkekarte. Aber nachdem wir schon beim Aperitif gesehen haben, dass die Hotelbar keine Wünsche offenließ (SIEHE: Im Hotel „Des Indes“), können wir davon ausgehen, dass es im Restaurant genauso war.

Bemerkenswert finde ich die Idee des Hotels, den Gästen eisgekühltes Wasser zu servieren, das aus den Bergen (Buitenzorg) nach Batavia transportiert, dann abgekocht, gekühlt und anschließend eiskalt serviert wurde. Zum Wohl!

medan deli, nederlands indië, 1914
Die Weinlisten der Importeure ließen in Niederlänisch-Indien keine Wünsche offen; Anzeige von Medan-Deli in De Sumatra Post, 4. Feb. 1914; http://www.delpher.nl

Weitere Blogartikel zum Thema Essen und Verpflegung

Über die Verpflegung von Ehrengästen bei einer Probefahrt des Schiffes „Hamm“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft berichtet dieser Artikel:

Wenn Ihnen der Sinn nach einfacher Küche steht, geht’s hier entlang:

Wie die Kombüse auf einem Frachtdampfer eingerichtet war, sehen Sie hier:

Wie die Seeleute verpflegt wurden, erfahren Sie in diesen beiden Artikeln:

Der Kochkunstführer von August Escoffier (Ausgabe 1910)

Den Kochkunstführer von A. Escoffier in der Ausgabe von 1910 finden Sie in der digitalen Sammlung der Sächsischen Landesbibliothek — Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB):

http://digital.slub-dresden.de/id392948516

Hotel des Indes, Batavia, about 1905

Im Hotel „Des Indes“

Titelbild: Das „Hôtel Des Indes“ in Weltevreden (Batavia), Aufnahme von 1902-1905; Quelle: Collectie Stichting Nationaal Museum van Wereldculturen über commons.wikimedia.org; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Collectie_NMvWereldculturen,_TM-30011729,_Foto-_Overzicht_van_Hotel_des_Indes,_1902-1905.jpg, CC BY 4.0

Fortsetzung unserer Reise nach Batavia

Im vergangenen Blogartikel haben wir eine Reise nach Batavia unternommen, uns in der Stadt umgesehen und uns über die Exportprodukte der Stadt informiert: Reise nach Batavia

Nach so einem anstrengenden Programm ist es an der Zeit, unser Hotel aufzusuchen und uns auszuruhen.

Wo könnten wir dies besser tun, als im berühmten „Hôtel Des Indes“ in Batavia.

Für gutsituierte europäische Reisende gehörte das „Des Indes“ in Batavia zu den ersten Adressen in Südostasien, ähnlich wie das Raffles in Singapur oder das Grand Oriental Hotel in Colombo.

Ich persönlich bin kein anspruchsvoller Reisender und hätte auch mit einer kleinen einfachen Pension in Batavia vorliebgenommen, aber da ich diese Auswahl nicht mit Fotomaterial illustrieren kann, nächtigen wir auf unserer virtuellen Reise eben auf großem Fuß im bekannten „Hôtel Des Indes“.

Unser Reiseführer (Meyers Weltreisen 1912) bestätigt uns in unserer Wahl:

Hôtel des Indes (Pl. 2, B4), Molenvliet; 150 Z., gut, gelobt, Pens. von 6 Fl. an. (Meyers Reiseführer, 1912; https://www.gutenberg.org/files/50669/50669-h/50669-h.htm)

Anmerkungen: Mit 150 Zimmern hatte das Hotel eine stattliche Größe. Laut Eigenwerbung von 1926 war es das „größte Hotel des Fernen Ostens“.
Quelle: Hotelbroschüre Hotel Des Indes, ca. 1926, delpher.nl

Der Wechselkurs des Niederländischer Gulden lag bei etwa 1,69 M. 6 Fl. waren also gut zehn Mark. Das beinhaltete Zimmer und Verpflegung.

Aus einer Broschüre aus dem Jahr 1926 gehen folgende Preise hervor: Einzelzimmer 10 – 25 FL, die zweite Person plus 9 FL (Tagespreis mit Pension). Da Reisen früher langsamer vonstattenging, hatte das Hotel auch Monatsraten. So war ein Zimmer mit der Tagesrate von 10 FL für 270 FL pro Monat zu bekommen.

Hotel des Indes, room, Batavia, 1920th
Hôtel des Indes, Batavia, Zweibettzimmer, 1924-1932; Quelle: Collectie Stichting Nationaal Museum van Wereldculturen, Inventarnummer RV-A440-ee-79; public domain.

Hotelgeschichte

Das Hotel „Des Indes“ war 1829 von dem Franzosen Antoine Surleon Chaulan als „Hotel de Provence“ gegründet worden, bevor es 1851 in „Hotel Rotterdam“ umbenannt wurde und bereits fünf Jahre später den Namen „Des Indes“ erhielt.

Der britische Naturforscher Alfred Russel Wallace beschrieb das Hotel 1869:

Das Hôtel des Indes war sehr komfortabel, jeder Gast hat einen Aufenthaltsraum und ein Schlafzimmer, die sich auf eine Veranda öffnen, auf der seinen Morgenkaffee und seinen Nachmittagstee einnehmen kann. In der Mitte des großen Hofes gibt es ein Gebäude mit mehreren Marmorbädern, die immer zur Verfügung stehen; außerdem gibt es ein exzellentes Table d’hôte-Frühstück um zehn und Dinner um sechs, die für einen moderaten Betrag angeboten werden.
in: A. R. Wallace, The Malay Archipelago, eigene Übersetzung aus dem Englischen

Am 13. Dezember 1899 schrieb Carl Stangens Reisebureau an die Hoteldirektion:

Hierdurch theile ich Ihnen ergebenst mit, dass sich die Mitglieder der Carl Stangen’schen Reise um die Erde in Ihren Hotel äusserst wohl gefühlt haben und mit allem gebotenen in jeder Beziehung zufrieden waren.

Carl Stangen Reisebureau, Berlin
Das prächtige Titelbild des Reisekatalogs von Carl Stangen, 1895; https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Carl_Stangen_1895_VD.jpg

Anmerkung: Carl Stangen führte das erste deutsche Reisebüro in Berlin mit internationalen Zielen. Es wurde 1905 von der HAPAG übernommen und ist damit der Ursprung der heutigen Hapag-Lloyd-Reisebüros.

Desweiteren schrieben Ernst von Hesse-Wartegg und Frau, geb. Minnie Hauk, am 17. März 1900:

Gestützt auf meine Erfahrungen während eines längeren Aufenthalts im Hotel des Indes, Batavia, gebe ich hiermit gern meiner Überzeugung Ausdruck, dass sich dieses Hotel in Bezug auf Zuvorkommenheit und Dienstwilligkeit der Direction, sowie in Bezug auf Küche und Wohnbequemlichkeiten gegenüber die grosse Mehrzahl der Hotels in Niederländisch Indien in besonderer Weise auszeichnet.

Beide Testimonials sind einer Werbeanzeige des Hotels „Des Indes“ im Reisgids voor Nederlandsch-Indië aus dem Jahr 1902 entnommen. Quelle: delpher.nl

1930 wurde das Hotel „Des Indes“ komplett umgebaut und erweitert. Nach der indonesischen Unabhängigkeit bestand es unter dem neuen Namen Duta Indonesia noch bis 1971 fort. Dann musste es der Stadterneuerung Jakartas Platz machen und wurde abgerissen.

Batavia, Hotel Des Indes
Direktor Gantvoort vom Hotel Des Indes (im Bild rechts) erwartet uns schon!, Aufnahme 1910, Quelle: commons.wikimedia.org, COLLECTIE_TROPENMUSEUM_Batavia_directeur_Gantvoort_van_Hotel_des_Indes_met_(mogelijk)_twee_van_zijn_medewerkers_TMnr_60009065.jpg

Ankunft im Hotel

Ankommende Schiffspassagiere und/oder deren Gepäck wurden mit eigenen Wagen am Hafen in Tandjong Priok abgeholt.

Dazu verfügte das Hotel über eigene Fahrzeuge: wie auf der Abbildung unten zu sehen, waren dies geschlossene Kutschen oder offene Pferdewagen für das Gepäck. Spätestens ab 1907 hatte das Hotel auch eigene Motorwagen zum Transport der Gäste.

Von den mächtigen Banyan-Feigen, die vor dem Hotel standen, sind auf der Abbildung unten nur ein paar Zweige zu sehen.

Die großen Bäume sorgten auch im Hotelgarten für reichlich Schatten.

Hotel des Indes, Batavia, 1910
Hotel des Indes, Batavia, 1910; Quelle: Collectie Stichting Nationaal Museum van Wereldculturen über commons.wikimedia.org; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:COLLECTIE_TROPENMUSEUM_Hotel_des_Indes_in_Batavia_TMnr_60009042.jpg; Lizenz CC BY-SA 3.0

Check-In und Service im Hotel

Hinter der Empfangstheke des Hotels posieren zahlreiche Mitarbeiter für den Fotografen. Auch Direktor Gandvoort, ab 1903 Hotelmanager, lässt es sich nicht nehmen, auf der Aufnahme präsent zu sein. Er steht in der hinteren Ecke des Raumes und hat alle Mitarbeiter im Blick.

Hotel des Indes Batavia 1910
Personal im Hotel des Indes, Batavia 1910, im Hintergrund rechts Direktor Gandvoort, Quelle: Collectie Stichting Nationaal Museum van Wereldculturen über commons.wikimedia.org; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:COLLECTIE_TROPENMUSEUM_Kantoorpersoneel_van_Hotel_des_Indes_Batavia_rechts_op_de_achtergrond_de_heer_Gantvoort_directeur_TMnr_60009046.jpg, Lizenz CC BY-SA 3.0

Neben den geschäftigen Herren hinter der Theke ist weiteres Hotelpersonal zu unseren Diensten:

Hotel des Indes, Batavia, staff, 1910
Vier Angestellte des Hotel des Indes, Batavia 1910; Quelle: Collectie Stichting Nationaal Museum van Wereldculturen über commons.wikimedia.org; https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4c/COLLECTIE_TROPENMUSEUM_Vier_personeelsleden_of_gasten_van_Hotel_des_Indes_Batavia_TMnr_60009052.jpg, Lizenz CC BY-SA 3.0

Die Zimmer des Hotels waren über das große Hotelgelände im Bungalowstil verteilt. Die gehobene Kategorie hatte eigene Bäder.

Statt Klimaanlagen, die es damals natürlich noch nicht gab, konnte man sich elektrische Ventilatoren gegen eine tägliche Gebühr ausleihen.

Zum Service des Hôtel Des Indes gehörte auch ein hausinternes Reisebüro, das Gästen bei allen Fragen zur Weiterreise behilflich sein konnte.

Eine Dampfwäscherei, die nach Hotelangeben unter Anleitung europäischer Mitarbeiter betrieben wurde, sorgte für saubere Hotelwäsche und bot auch den Gästen einen 24-Stunden-Service.

Spätestens ab 1914 hatte das Hotel für seine Gäste eine Autovermietung.

Hotel des Indes Batavia 1910
Überdachte Terrasse im Hotel des Indes, Batavia, 1910; Quelle: Collectie Stichting Nationaal Museum van Wereldculturen über commons.wikimedia.org; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:COLLECTIE_TROPENMUSEUM_Voorgalerij_Hotel_des_Indes_Batavia_TMnr_60009044.jpg, Lizenz CC BY-SA 3.0

Zeit für einen Drink

Nach dem Check-In entspannen wir uns bei einem erfrischenden Drink oder einem Aperitiv. Welcher Ort wäre dazu besser geeignet, als die große überdachte Terrasse des Hotels.

Vielleicht ein Glas Champagner? Die Marke Irroy aus Reims wurde von Harmsen Verwey & Co. nach Niederländisch-Indien importiert und dürfte auf der Karte des Hotel „Des Indes“ gestanden haben. Ebenso die Marke Mumm.

Sehr populär waren damals gespritete Weine, wie Port oder Sherry. Importeur ebenfalls Harmsen Verwey & Co.

Exklusiv im Hôtel Des Indes waren Bordeauxweine der Kellerei A. de Luze & Fils in Batavia zu bekommen. Weine aus Australien und Südafrika dürften ebenfalls auf der Karte gewesen sein, wie vielleicht auch ein deutsches Moselblümchen. Diese Angaben stützen sich auf Zeitungsanzeigen von Importeuren in Niederländisch-Indien aus den 1910er Jahren.

Oder Lust auf ein Bier? Im Hotelprospekt aus dem Jahr 1926 machte der Importeur W. Biedermann & Co. Werbung für Pilsener Bier der Klosterbrauerei Neuburg an der Donau. Eine andere Anzeige wirbt für Becks vom Fass (Beck’s Vatbier).

Lieber alkoholfrei? Eisgekühltes Wasser stand den Gästen frei zur Verfügung. Das Wasser wurde für diesen Zweck aus den Quellen von Buitenzorg bezogen, abgekocht, dann wieder abgekühlt und eisgekühlt den Gästen serviert. Damit hatte man eine elegante Lösung für das Trinkwasser- bzw. Eiswürfelproblem gefunden.

hotel des Indes Batavia 1910
Speisesaal im Hauptgebäude des Hôtel des Indes, Batavia, 1910; Quelle: Collectie Stichting Nationaal Museum van Wereldculturen über commons.wikimedia.org; COLLECTIE TROPENMUSEUM De eetzaal in het hoofdgebouw van Hotel des Indes in Weltevreden Batavia TMnr 10021912.jpg; Lizenz CC BY-SA 3.0

Das Dinner wartet

Der Speisesaal für bis zu 500 Personen ist fertig eingedeckt, das Dinner kann um 18 Uhr beginnen! Der zentrale Deckenventilator wird für eine angenehme Belüftung sorgen.

Sie schätzen eine privatere Atmosphäre beim Dinner? Kein Problem, auf dem Grundstück gab es einen Pavillon mit privaten Speisesälen. Hier konnten auch Essen, Bälle, Feste, Empfänge oder Besprechungen organisiert werden.

Das Menu

Es ist an der Zeit, einen Blick in die Menükarte für den Abend zu werfen.

Das tun wir dann im nächsten Blogartikel!

Entdecken Sie elegante Speisen, die damals in Mode waren, heute aber weitgehend in Vergessenheit geraten sind!

Der Meisterkoch Auguste Escoffier (1846-1935) wird uns einige Gerichte der wohlklingenden Speisekarte des Hotels erklären.

In der Küche des Hotels war sicher ein Exemplar seines Guide Culinaire vorhanden. Das 1903 erschienene Kochbuch machte Escoffier in aller Welt berühmt und viele Speisen auf der Menükarte finden wir in seinem Werk.

Die Karte ist übrigens auf Französisch, wie das in internationalen Restaurants der gehobenen Klasse seinerzeit üblich war. Aber keine Angst, Sie bekommen selbstverständlich alles übersetzt.

Zu Tisch! – à table !

Tandjong Priok, Batavia, about 1910

Reise nach Batavia

Titelbild: Der Hafen von Batavia (Tandjong Priok), Postkarte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft aus dem Jahr 1913, ungelaufen, eigene Sammlung

Über die Hauptstadt Niederländisch-Indiens und ihre Exportprodukte

Schiffspassagiere, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Batavia reisten, gingen in der Regel im Hafen von Tandjong Priok an Land. Das lassen uns Meyers Reisebücher aus dem Jahr 1912 wissen.

Die meisten Dampfer laufen in den durch zwei lange Molen geschützten Hafen von Tandjong-Priok ein, der etwa 9 km östl. vom alten Hafenkanal vor der Stadt Batavia liegt. 
Quelle: Meyers Reisebücher, Weltreise, Erster Teil: Indien, China und Japan, Bibliographisches Institut Leipzig und Wien, 1912; über gutenberg.org

Tandjong Priok (auch Tandjung Priok, Tanjung Priok) hatte Ende des 19. Jahrhunderts den alten, weiter westlich gelegenen Hafen Batavias ersetzt, der die immer größer werdenden Schiffe nicht mehr aufnehmen konnte.

Schiffe mit Gefahrgütern machten weiterhin auf Reede in der großen Bucht von Batavia fest, die durch Inseln und Riffe ebenfalls einen guten Ankerplatz bot. In der untenstehenden Abbildung ist deren Lage gut erkennbar (beschriftet mit Reede von Batavia).

Batavia map 1912
Lageplan von Batavia mit dem Hafen Tandjong Priok rechts oben, Quelle: Meyers Reisebücher, Weltreise, Erster Teil: Indien, China und Japan, Bibliographisches Institut Leipzig und Wien, 1912; über gutenberg.org

Nach Erledigung der Zollformalitäten ging es für Reisende per Bahn in die Stadt. Von deren Lage gibt uns ebenfalls Meyer einen guten Eindruck:

Batavia, Hauptstadt Niederländisch-Ostindiens und der gleichnamigen Residentschaft Javas, mit (1905) 138500 Einw. (darunter über 8000 Europäer und 28000 Chinesen), liegt nahe dem Westende der Nordküste, unter 6° 7′ südl. Br., an der Südseite einer geräumigen, durch 17 kleine Koralleninseln geschützten Bai und am Flüßchen Tjiliwong, inmitten ausgedehnter Reisfelder und Kokospflanzungen.

Ich staune immer wieder, wenn ich die Einwohnerzahl Batavias (ab 1942 Djakarta, ab 1972 Jakarta) aus dem Jahr 1905 sehe: 138.500 Einwohner. Seitdem ist die Zahl exponentiell gewachsen und überstieg erstmals Ende der 1940er Jahre die Millionengrenze. Heute beherbergt das Stadtgebiet 10 Millionen Menschen. Im Ballungsraum oder schöner ausgedrückt, in der Metropolregion leben über 30 Millionen Einwohner.

Bleiben wir jedoch in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts und bei der schönen Beschreibung Batavias in Meyers Reisebüchern:

Die Unter- oder Altstadt (Benedenstad, AB2) enthält das große Stadthaus, eine Kirche, die Javasche Bank, die Zollgebäude, ein für Chinesen und ein für Eingeborne bestimmtes Hospital sowie ein Gefängnis für letztere, die Magazine der Regierung und der Niederländischen Handelsgesellschaften, die Kontore und Speicher der großen Handelshäuser und der Schiffsagenturen, ist aber nur noch von Malaien, Javanen, Arabern und Mauren, Mischlingen und Chinesen (im chinesischen Kampong) bewohnt, während die Europäer ihre ehemaligen Wohnhäuser in der Unterstadt nur während der Geschäftsstunden aufsuchen, sonst aber in dem neuen Stadtteil Weltevreden (= Wohlzufrieden; C4/5) wohnen, wohin der fast 4 km lange, gleichfalls europäische Stadtteil Molenvliet (AB3) über die Stadtteile Noordwijk und Rijswijk (B4) hinüberführt. Die luftigen großen Häuser, mit Veranden, liegen getrennt zwischen Zierbäumen. 

Anmerkung: Die Buchstaben-/Zahlenkombinationen (AB2 usw.) im Text beziehen sich auf die Lage im unten abgebildeten Stadtplan.

batavia city map 1912
Stadtplan von Batavia, Quelle: Meyers Reisebücher, Weltreise, Erster Teil: Indien, China und Japan, Bibliographisches Institut Leipzig und Wien, 1912; über gutenberg.org

„Unerschöpfliche Giftquelle“

Batavia war bei den Europäern berüchtigt: tropische Hitze, heftige Monsunregen, unhygienische Verhältnisse sowie ausgedehnte Sümpfe und Moraste lieferten einen idealen Cocktail für eine Vielzahl an Krankheiten.

Selberg (1846) bezeichnet in seinen Reisebeschreibungen Javas das Klima Batavias als „unerschöpfliche Giftquelle“.
Dr. E. Selberg, Reise nach Java und Ausflüge nach den Inseln Madura und St. Helena, Oldenburg 1846, Verlag Stalling; über deutsche-digitale-bibliothek.org

Die niederländischen Kolonialherren errichteten deshalb im 19. Jahrhundert den zehn Kilometer südöstlich der Altstadt Batavias gelegenen Stadtteil Weltevreden (heute Sawah Besar), der über ein angenehmeres und gesünderes Klima verfügt. Erste Herrenhäuser existierten hier bereits im 18. Jahrhundert. Heute befinden sich im ehemaligen Stadtteil Weltevreden die meisten historischen Gebäude Jakartas.

Weltevreden Batavia about 1920
Batavia, Stadtteil Weltevreden, Straßenbild (vor 1929), Quelle: Nationalmuseum für Weltkulturen, COLLECTIE_TROPENMUSEUM_Straatbeeld_met_de_zaak_van_Helmig_en_Co_in_Weltevreden_TMnr_10020621.jpg über commons.wikimedia.org, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Exportartikel Batavias

Meyers Reisebücher liefern uns nicht nur wertvolle touristische Ratschläge für die Ankunft in Batavia wie „Gepäck-Kulis erhalten 10 cents für jedes Stück“, sondern geben auch jede Menge Hintergrundinformationen.

Als Dampfschiffsblog über den Frachtdampfer „Fürth“ interessieren wir uns natürlich für die Wirtschaft der Stadt und hier speziell für ihre Exportgüter, die nach Europa verschifft wurden. Dazu machen Meyers Reisebücher folgende Angaben:

Ausfuhrartikel sind Kaffee, Zucker, Tabak, Gewürze, Pfeffer von Sumatra, Zinn aus Bangka und Billiton, Damaraharz, Indigo, Reis, Rotang, Gambir, Kopra, Bambushüte, Häute, Tee, Arrak, Palm- und Kajeputöl, Teakholz, Büffelhörner und Büffelhäute, Chinarinde, Kampfer, Kassia, Sandel- und Sapanholz, Tamarinden, während die Einfuhr in europäischen Manufakturen, Eisen, Luxusartikeln, Wein, Butter, Konserven besteht. Die Hälfte des Umsatzes fällt auf das Mutterland. Der Schiffsverkehr ist lebhaft.—
Quelle: Meyers Reisebücher, Weltreise, Erster Teil: Indien, China und Japan, Bibliographisches Institut Leipzig und Wien, 1912; über gutenberg.org

Anmerkung: Mit Mutterland sind die Niederlande gemeint.

Zu einigen der zahlreichen Exportgüter gebe ich nachgehend einige Erläuterungen oder verweise auf Blogartikel, in denen ich die Waren bereits ausführlicher beschrieben habe.

tandjong priok train station about 1900
Bahnhof in Tandjong-Priok; Ansichtskarte, undatiert; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:%27Tandjong-Priok._Station.,_KITLV_1405489.tiff

Zinn aus Bangka und Billiton

Bangka und Billiton sind zwei kleine Inseln östlich von Sumatra etwa 350 Kilometer nördlich von Batavia. Die NV Billiton Maatschappij hatte hier 1860 die Schürfrechte für Erze erworben. Das Unternehmen beschäftigte vor dem Ersten Weltkrieg rund 7500 vorwiegend chinesische Arbeiter in 80 Minen, die die Zinnsande auf den Inseln ausbeuteten.

2023 ist Indonesien der weltgrößte Exporteur von Zinn. Aus der NV Billiton Maatschappij wurde inzwischen die BHP Group, einer der größten Bergbaukonzerne der Welt.

Unser ungestillter Hunger nach Zinn, das zum Beispiel auch in Smartphones oder Computern enthalten ist, hat zur weitgehenden Zerstörung der Umwelt auf beiden Inseln geführt. Nachdem die Vorräte an Land weitgehend erschöpft sind, setzt sich nun der Raubbau im vorgelagerten Meer unvermindert fort. Der durch die eingesetzten Saugbagger aufgewirbelte Sand zerstört Riffe und Fischbestände.

Damaraharz

Das auch als Dammar bezeichnete Harz wurde zur Herstellung von Lacken und als Firnis in der Malerei verwendet. Zusammen mit dem ähnlichen Kopal hatte ich es hier vorgestellt:
Kopal und Dammar

Indigo

Natürlicher Indigo war ein heißbegehrter Farbstoff zum Blaufärben von Textilien, der aus den Blättern der Indigopflanze oder dem in Europa vorkommenden Färberwaid gewonnen wird.

Der deutsche Chemiker Adolf von Baeyer schaffte ab 1878 die Grundlage für seine synthetische Herstellung. Darauf brach der Import natürlichen Indigos um die Wende des 19./20. Jahrhunderts dramatisch ein.

natural indigo
Indigo, historische Farbstoffsammlung der Technischen Universität Dresden, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Indigo-Historische_Farbstoffsammlung.jpg, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Rotang

Rotang ist Ihnen vielleicht besser bekannt unter dem Namen Rattan oder Peddigrohr. Es wird für Korbwaren oder in der Möbelindustrie verwendet. Als Wiener Geflecht dient es zum Beispiel als Bespannung für die bekannten Kaffeehausstühle der Marke Thonet.

Gambir

Gambir ist ein pflanzlicher Farb- und Gerbstoff:

Der Gambir ist ein Farb- und Gerbstoff, der – ähnlich dem Katechu – aus den Blättern des kletternden Strauches Nauclea Gambir in Hinterindien gewonnen wird. Beide, Catechu und Gambir, liefern eine schöne braune Farbe meist für Baumwolle und Catechu auch eine schwarze Farbe für Seide. http://www.chemie.de/lexikon/Gambir.html

Mehr dazu hier: https://frachtdampferfuerth.com/2018/11/24/gambir-eucalyptusrinde/

Kopra

Das getrocknete Fruchtfleisch der Kokosnuss war eines der am häufigsten anzutreffenden Transportgüter auf dem Frachtschiff „Fürth“ und anderer Dampfer der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG). Daraus wurden Seifen, Margarine oder Palmfett (Palmin).
Kopra

Kokosfett Palmin Werbung
Palmin-Werbung zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Arrak

ist eine aus Palmensaft gewonnene Spirituose, die am ehesten mit Rum vergleichbar, aber heute nur noch sehr selten im Handel zu finden ist.

Aber wer weiß, vielleicht kommt sie ja eines Tages aus der Versenkung zurück – auch für Gin hatte sich schließlich jahrelang niemand mehr richtig interessiert.

Cajeputöl

Kajeputöl (heute meist Cajeputöl) ist ein ätherisches Öl, das Erkältungskrankheiten lindert. Es ist zum Beispiel wesentlicher Bestandteil in der international bekannten Marke Tiger Balm. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.

Chinarinde

Die Rinde des Chinarindenbaums diente zur Herstellung von Chinin, das wegen seines Einsatzes gegen die Malaria berühmt wurde. Einige der eigentlich aus Südamerika stammenden Bäume wurden vom deutschen Botaniker Justus Karl Haßkarl (1811-1894) im Auftrag der niederländischen Regierung aus Peru entwendet und dann in Niederländisch-Indien eingepflanzt.

Kampfer

Die älteren unter Ihnen kennen vielleicht noch den stechenden Geruch von Kampfer, der in Mottenkugeln zum Einsatz kam. Ausgangsprodukt ist der tropische Kampferbaum.

Seit 1887 wurde in Eilenburg bei Leipzig in der Deutschen Celluloid-Fabrik aus Cellulosenitrat und Kampfer Zelluloid hergestellt. Die Jahresproduktion soll vor dem Ersten Weltkrieg zirka 12.700 Tonnen betragen haben.

Kassia

Bleiben wir bei den Bäumen. Kassien sind einerseits eine artenreiche tropische Pflanzengattung, andererseits wird der Name Kassia auch für die Zimtkassie verwendet. Als Exportgut dürfte es sich in unserem Beispiel um letztere handeln.

Die Zimtkassie oder Chinesischer Zimtbaum kommt als Zimtrinde in den Handel, wobei sie nicht an die Qualität der Rinde des Ceylon-Zimtbaumes oder Echten Zimtbaumes heranreicht.

Sandel- und Sapanholz

Mit Sandelholz kommen Sie in Räucherstäbchen, aromatischen Ölen oder Parfüms in Berührung. Dem erdig-holzig-süßlich riechenden Holz werden viele positive Wirkungen auf Körper und Geist attestiert.

Der deutsche Kolonialschriftsteller Stefan von Kotze (1869-1909) verwendete es für ein Lagerfeuer, das er in seinen Südseeerinnerungen beschriebt:

„Die schweren, süßen Rauchwolken des Sandelholzes umwogten uns wie der Weihrauch in einer Kathedrale und betäubten unsere Sinne.“
Quelle: Abdruck als Fortsetzungsroman in Neue Hamburger Zeitung, Zitat in der Ausgabe vom 28. September 1905; europeana.eu

Sap(p)anholz dient als Färbe- und Heilpflanze. Auf die Ähnlichkeit mit Sandelholz weist die englische Bezeichnung false sandalwood hin.

Tamarinden

In den Küchen tropischer Länder wird Tamarinde häufig verwendet. In Europa ist der Einsatz weitaus seltener: So wird die Fruchtpaste aus Tamarindenfrüchten zum Beispiel in Worcestersauce und anderen Soßen verwendet.

Das Pulver aus Tamarindenkernen kommt außerdem in der Papierindustrie als Zusatzstoff zum Einsatz. Es ist ebenfalls Bestandteil natürlicher Abführmittel.

Maintz and Co, Batavia
Anzeige in Isles of the East: an illustrated guide: Australia, New Guinea, Java, Sumatra; W. Lorck, Batavia, Java; distributed gratis by the Royal Packet Steam Navigation Co. (KPM), 1912, Cornell University Library, Southeast Asia Visions; https://digital.library.cornell.edu/collections/seasiavisions

Maintz und Co.

Der für den Export dieser Güter verantwortliche Schiffsmakler der DADG in Batavia war die Firma Maintz & Co.

Ursprünglich war Maintz & Co. ein privates Energieunternehmen, welches ab 1897 einen Teil des Elektrizitätsnetzes in Niederländisch-Indien aufbaute, bevor es auch im Handel aktiv wurde.

Laut oben gezeigter Anzeige unterhielt Maintz & Co. weitere Büros in Soerabaja und Semarang . In diesen beiden Städten arbeitete Maintz & Co. ebenfalls für die DADG. In den kleineren Häfen Niederländisch-Indiens kooperierte die DADG mit anderen Partnern.

Der im Jahr 1920 von den Architekten Ghijsels und Hes für Maintz & Co. in Batavia neu erbaute Firmensitz steht noch heute.

Maintz & Co. advertisement
Anzeige des Maklers Maintz & Co., Batavia, in der Zeitung Het Nieuws van den Dag voor Nederlandsch-Indië vom 11. Januar 1911
advertisement, continental, guttapercha, 1903

Guttapercha und der Tote aus Borneo

Kein neuer Commissario

Guttapercha

Keine Sorge, Guttapercha ist nicht noch ein neuer „Commissario“ und der Tote aus Borneo auch keine exotische Leiche. Aber eins nach dem anderen!

Auf den Fahrten der „Fürth“ treffen wir einige Waren an, die heute weitgehend in Vergessenheit geraten sind, wie zum Beispiel die Guttapercha oder auch nur kurz Gutta genannt. Wenn Sie nicht gerade in einem Dentallabor arbeiten, sind Sie wahrscheinlich noch nie in Berührung mit diesem, zur Zeit unseres Dampfschiffes „Fürth“, sehr begehrten Rohstoff gekommen. Ich auch nicht.

Und wer weiß heute schon noch, dass der weltweite Erfolg des größten deutschen Industrieunternehmens, der Firma Siemens, zu einem großen Teil auf dieser Substanz und ihrer Verarbeitung beruht?

Aber beginnen wir auf der Insel Java, wo die „Fürth“ regelmäßig Batavia, Soerabaya und auch Tjilatjap anlief (heute Djakarta, Surabaya und Cilacap) und Guttapercha nach Europa brachte.

guttapercha java

Guttapercha-Verarbeitung auf Java (ca. 1920/1930); Quelle: commons.wikimedia.org, File:COLLECTIE TROPENMUSEUM West-Java Tjipetir arbeiders bedienen de machines die de guttapercha wassen en persen TMnr 60020167.jpg

Der Guttaperchabaum

Dort, auf Sumatra, Borneo sowie auf der malaiischen Halbinsel, wächst der Guttaperchabaum (Palaquium gutta). Dieser tropische Laubbaum wird bis über 20 Meter hoch und liefert reichlich Milchsaft. Einige andere Arten der Gattung Palaquium liefern ebenfalls Guttapercha, aber nicht immer in der gewünschten Qualität.

Durch Trocknung, Reinigung und Aufkochen erhält man aus dem Milchsaft ein kautschukähnliches Produkt, die Guttapercha.

guttapercha java

Nicht erst seit Palmöl: Die Abrodung von tropischen Wäldern auf Java für Guttapercha-Plantagen
Quelle: commons.wikimedia.org, File:COLLECTIE TROPENMUSEUM Proefaanplant van guttapercha op de rubberonderneming Langsa West-Java TMnr 60020174.jpg

Eigenschaften

„Das wesentlichste Merkmal, durch welche sich Guttapercha ohne weiteres von dem mit ihr so oft identifizierten Kautschuk unterscheidet, ist zweifellos die bereits von Tradescant erwähnte, und auch von D’Almeida, sowie Montgomerie betonte Eigenschaft, beim Eintauchen in heißes Wasser weich und plastisch zu werden, dann beim Abkühlen jede ihr vorher gegebene Gestalt beizubehalten und hart, aber keineswegs spröde, wie andere Harze zu werden. Dem gegenüber wird Kautschuk in heissem Wasser nicht weich, und behält seine ursprüngliche Elastizität und Spannkraft fast unvermindert bei.“
Dr. Eugen Obach (1899): Die Guttapercha, Verlag von Steinkopff & Springer, Dresden,
abgerufen unter:
http://dfg-viewer.de/show/?tx_dlf%5Bpage%5D=1&tx_dlf%5Bid%5D=http%3A%2F%2Fdigital.ub.uni-duesseldorf.de%2Foai%2F%3Fverb%3DGetRecord%26metadataPrefix%3Dmets%26identifier%3D1259277&tx_dlf%5Bdouble%5D=0&cHash=47b26e1b8afb23734d48166b38dc3659

Ein guter Isolator

Guttapercha hat neben dieser einfachen Verformbarkeit noch eine andere, sehr begehrte Eigenschaft: sie ist ein guter, sogar sehr guter Isolator. Womit wir zur Firma Siemens & Halske kommen.

„Das Jahr 1847 wird in der Geschichte der Guttapercha-Industrie allezeit denkwürdig bleiben. Wurde doch in demselben die Pflanze, von der dieses industriell wertvolle Produkt stammt, zum ersten Male von Sir William Jackson beschrieben. Und im gleichen Jahr begann auch Dr. Ernst Werner von Siemens, damals Artillerieleutnant in der Preussischen Armee, die Verwendung von Guttapercha zur elektrischen Isolierung unterirdischer Telegraphenleitungen aufzunehmen. Er erbaute damals eine Maschine, mittels welcher Draht fortlaufend mit dem Stoffe umhüllt werden konnte. Diese Maschine ist, mit geringen Änderungen, bis auf den heutigen Tag im Gebrauch geblieben.“
Dr. Eugen Obach (1899): Die Guttapercha, Verlag von Steinkopff & Springer, Dresden.

Allegorical scene showing Neptune with a trident in foreground, and lion representing Great Britain holding one end of the Atlantic cable and eagle representing the United States holding the other end of the cable, with ocean between them and cities behind them. Includes portrait of the inventor, Cyrus Field, at top center.

Das achte Weltwunder, Originalbeschreibung: Allegorical scene showing Neptune with a trident in foreground, and lion representing Great Britain holding one end of the Atlantic cable and eagle representing the United States holding the other end of the cable, with ocean between them and cities behind them. Includes portrait of the inventor, Cyrus Field, at top center.
Quelle: Library of Congress, https://lccn.loc.gov/93510355

Das achte Weltwunder

Der Bedarf an Kabeln war in der zweiten Hälfte des neunzehnten und zu Beginn des 20. Jahrhunderts enorm. Unterirdische Telegrafenleitungen wurden über hunderte Kilometer über Land gelegt und ab 1856 begann die Geschichte einer technischen Meisterleistung, die damals als achtes Weltwunder gefeiert wurde: Die 1866 nach mehreren Fehlversuchen gelungene Installation eines über 2000 Meilen langen Unterseekabels zwischen Europa und Nordamerika. Ein Meilenstein in der Kommunikationstechnik.

Guttapercha war also sehr begehrt und wurde entsprechend teuer.

„Dazu kommt, was wesentlich mitspricht, daß der Preis der Guttapercha immer mehr steigt, und wenn dieser Punkt bei den großen Unterseekabeln nicht von entscheidender Bedeutung ist, so wird doch die Kostenfrage, wenn es sich um elektrische Anlagen, z. B. für Beleuchtungszwecke handelt, eine sehr wesentliche.“
Arthur Wilke (1893): Die Elektrizität, ihre Erzeugung und ihre Anwendung in der Industrie und Gewerbe, Springer Verlag Berlin Heidelberg (abgerufen unter books.google.fr)

Djeloetong oder „Dead Borneo“

Dies hatte zur Folge, dass auch andere Produkte als Ersatzstoffe für Guttapercha auf den Markt kamen. Einer davon war Djeloetong, mit Handelsnamen auch „Dead Borneo“, das ebenfalls auf der „Fürth“ nach Europa transportiert wurde.

Der ungewöhnliche Handelsname „Dead Borneo“ soll darauf zurückgehen, dass das Holz des Djeloetong-Baumes ein bevorzugtes Material für die Herstellung von Särgen war. Deswegen also in der Überschrift „der Tote aus Borneo“. Sie mögen mir diese etwas freie Übersetzung nachsehen.

djeloetong

Djeloetong (Handelsname Dead Borneo) ist ein Ersatzstoff für Guttapercha,
Quelle: Hubert Winkler (1912), Botanisches Hilfsbuch: für Pflanzer, Kolonialbeamte, Tropenkaufleute und Forschungsreisende, Hinstorffsche Verlagsbuchhandlung, Wismar (abgerufen unter books.google.fr)

Golfbälle

Falls Sie Golf spielen: Golfbälle wurde um die Jahrhundertwende (also um 1900) ebenfalls aus Guttapercha hergestellt.

„The Gutta Percha ball was the ball that opened Golf to the masses, the first major development in the evolution of the golf ball.

Gutta Percha revolutionised the game of golf,… „
(https://www.standrewsgolfco.com/shop/products/heritage-collection/clubs-and-balls/historic-balls/the-bramble-guttie/)

So ein Golfball hieß je nach Oberflächenbeschaffenheit „Guttie“ oder „Bramble“. Diese Bälle finden Sie antiquarisch oder auch als Replik. Das ist vielleicht mal ein ungewöhnliches Geschenk für einen Golfer und Sie können jetzt ja auch noch eine Geschichte dazu erzählen! Lassen Sie mich bitte wissen, wenn Sie als Golfer einen Guttapercha-Ball ausprobieren, wie er sich im Spiel von modernen Bällen unterscheidet.

Im Plastozän

Heute, im Zeitalter des „Plastozän“, ist Guttapercha weitgehend in Vergessenheit geraten. Verwendet wird es nach wie vor in der Zahntechnik:

„In der Zahnmedizin wird es als provisorisches Füllmaterial und zur Herstellung von Abdrücken sowie zum Verfüllen der Wurzelkanäle bei Wurzelkanalbehandlungen verwendet.“
(http://www.chemie.de/lexikon/Guttapercha.html)

Falls Sie im Sommer an den Atlantik fahren und am Strand spazieren gehen, achten Sie mal auf gummiartige Substanzen im Strandgut, vielleicht fällt Ihnen ja echtes Guttapercha in die Hände! Mehr dazu in einem Artikel der Zeit:
https://www.zeit.de/2015/06/strandgut-cornwall-fundstueck-tjipetir

Das Titelbild des Beitrags ist eine Werbung der Firma Continental aus dem Jahr 1903, die damals noch Continental Caoutchouc & Guttapercha Co. hieß. Auch das haben wir im Plastikzeitalter längst vergessen.

Anmerkung: Der Beitrag erschien in einer ersten Fassung am 8. September 2018.

advertisement, continental, guttapercha, 1903

Werbung der Continental Caooutchouc & Guttapercha Co. Hannover aus dem Jahr 1903
Quelle: commons.wikimedia.org (File:1903 Werbung Continental Pneumatic Continental Caoutchouc & Guttapercha Co. hannover.JPG)

Kalimas Surabaya, ca. 1913

Auf Weltreise mit dem Dampfschiff „Fürth“

In Surabaya (Java)

Titelbild: Soerabaya, Neuer Krahn am Kalimas, Ansichtskarte, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Aufnahme undatiert, Karte ungelaufen, veröffentlicht 1913; eigene Sammlung

Ankunft zur See. Mit Dampfer der Koninklijke Paketvaart Mij. von Batavia dampft man, wenn im SO. der weiße Leuchtturm von Soerabaja in Sicht und der Lotse an Bord, durch das schwierige und sehr seichte Fahrwasser der Madoera-Straße, r. Java, l. die gebirgige, von den unzuverlässigen Maduresen bewohnte, mit üppigem Grün bewachsene Insel Madoera, vorbei an vielen ins Wasser hineingebauten Fischerdörfern, vor denen zahllose Fischerprauen segeln oder treiben, auf die mit Dampfern und Seglern meist dichtgefüllte Reede von Soerabaja, wo der Dampfer bei dem weißen Wachtschiff ankert, dicht beim Landungsplatz Oedjong, an der Mündung des Flusses Kalimas, beim Wilhelminatoren. Man landet im Tambangan (Ruderboot, wie Sampan) für ½ Fl. beim Zollamt (kleine Boom), wo stets, auch wenn man von Batavia kommt, Zolluntersuchung stattfindet; Einfuhr von Schußwaffen ist nur mit Erlaubnis (S. 195) gestattet. Viel Gepäck lasse man mit dem Boot zum Gasthof schaffen; sonst nehme man beim Zollamt einen Wagen.“

So beschreiben Meyers Reisebücher im Jahr 1912 die Ankunft mit dem Dampfschiff in Soerabaja.
Meyers Weltreisen, Erster Teil Indien, China und Japan; abgerufen über books.google.fr

Reede Surabaya, ca. 1900-1910

Surabaya, Blick auf die Reede vom Wilhelminaturm; ohne Jahresangabe; Quelle: Tropenmuseum, part of the National Museum of World Cultures über commons.wikimedia.org

Surabaya und Batavia

Auch die Frachtdampfer der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) liefen auf Java neben Batavia regelmäßig Surabaya (niederländisch Soerabaja) an. Das Dampfschiff „Fürth“ legte zwischen 1907-1914 insgesamt neun Mal in Surabaya an.

Während sich das Verwaltungszentrum der niederländischen Kolonie Niederländisch-Indien in Batavia befand, war Surabaya zumindest bis um das Jahr 1900 herum, das bedeutendere wirtschaftliche Zentrum und auch von beiden die größere Stadt. Dafür gab es verschiedene Gründe.

Java map railway connections 1893

Karte der Insel Java mit den 1893 bestehenden und geplanten Bahnlinien, Lage von Batavia (linker schwarzer Punkt) und Soerabaja (rechter schwarzer Punkt) von mir ergänzt; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:JavaMapRail_1893.jpg

Großer Naturhafen

Surabaya verfügt über eine großen Naturhafen, der durch die vorgelagerte Insel Madura (Madoera) gut geschützt ist.

Batavia hingegen verfügte nur über eine vorgelagerte Reede, die dem Westmonsun schutzlos ausgesetzt war. Überseedampfer konnten in Batavia nicht an einem Kai anlegen. Das änderte sich erst Ende des 19. Jahrhunderts durch die Anlage des Hafens Tandjong Priok mit seinen geschützten Kaianlagen.

Anmerkung: Neue Hafenanlagen, die 1910 fertiggestellt wurden, verbesserten die Infrastruktur in Surabaya 1910 erheblich.

Madoera map 1909

Die Hafenstadt Soerabaya an der Mündung des Kali Mas in Ostjava und die vorgelagerte Insel Madoera, aus Atlas Sekolah Hindia Belanda, 1909; Quelle: commons.wikimedia.org

Der Fluss Kalimas

Ein weiterer Vorteil Surabayas war die Lage am Fluss Kalimas, der ein ausgedehntes Hinterland mit dem Seehafen verband und mit Pirogen (Prauen/ndl. prauwen) befahren werden konnte. Batavia hingegen verfügte über keine schiffbare Verbindung zu seinem Umland.

Eisenbahnverbindungen bestanden in Soerabaya seit 1878; in den 1890er Jahren gab es dann eine Linie bis Batavia.

Surabaya um 1910

Soerabaya, Entlöschung von Prauwen, Ansichtskarte, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Aufnahme undatiert, Karte ungelaufen, veröffentlicht 1913; eigene Sammlung

Größte Stadt Javas

Infolgedessen hatte Surabaya bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts mehr Einwohner als Batavia:

Im Jahr 1890 lebten in Surabaya knapp 118.000 Menschen, in Batavia hingegen etwa 105.000. Um 1900 war die Zahl in Surabaya auf 147.000 angewachsen und in Batavia auf 116.000. Unter den Einwohnern Surabayas waren um 1900 etwa 10.000 Europäer.

Im Jahr 1920 hatte sich das Bild verändert. Jetzt bevölkerten rund 253.000 Menschen Batavia. Surabaya hingegen war „nur“ auf 192.000 Bewohner angewachsen.

Wenn wir die aktuellen Zahlen um das Jahr 2020 zum Vergleich heranziehen, wird die Bevölkerungsexplosion deutlich, die die beschaulichen Städte von damals in riesige Metropolen verwandelt hat.

Heute wird Surabaya je nach Quelle mit um die 3 Mio. Einwohnern angegeben, der Ballungsraum mit 5,6 Mio. Menschen.

In Jakarta, wie Batavia seit der Übergabe der Niederländer an die japanischen Besatzungstruppen im Jahr 1942 heißt, sind die Zahlen noch dramatischer: 9,8 Millionen Stadtbewohner und über 30. Mio. in der Metropolregion.

Wie die Bevölkerungszahl dort wohl in weiteren hundert Jahren aussehen wird?

Anmerkung: Der vollständige japanische Name war Jakarta Tokubetsu Shi (Jakarta Special Municipality). Der Name Batavia wiederum war 1621 nach der Übernahme des Gebietes durch die niederländische Ostindien-Kompanie V.O.C. (Vereenigde Oostindische Compagnie) entstanden.

Surabaya vor 1912

Plan von Soerabaja aus Meyers Weltreisen 1912, Erster Teil Indien, China und Japan; abgerufen über books.google.fr

Stadtentwicklung

Die Stadtentwicklung Surabayas verlief entlang des Süd-Nord verlaufenden Flusses Kalimas. Um das Zentrum in der Bildmitte herum sind noch Reste der Festungsanlagen erkennbar. Diese waren Ende des 19. Jahrhunderts stark zurückgebaut worden, um der Stadtentwicklung Platz zu machen.

Die Stadt war nach dem Ursprung ihrer Bewohner in Stadtviertel aufgeteilt: es gab ein niederländisches (europäisches) Viertel sowie ein chinesisches, ein malaiisches und ein arabisches Viertel (Kampongs). Durch weiteren Zustrom von Europäern und dem Entstehen einer einheimischen Oberschicht vermischten sich diese Viertel ab etwa 1900 jedoch zunehmend.

Export

Wichtige Exportgüter Surabayas waren Reis, Zucker, Kopra und Kaffee, wobei die Bedeutung des Kaffees im 19. Jahrhundert bereits zugunsten des Zuckers zurückging. 1850 sollen 24 % der Bevölkerung Ostjavas im Zuckeranbau tätig gewesen sein.

Ende des 19. Jahrhunderts gewann die Erdnuss stark an Bedeutung.

Concordia Sociëteit Surabaya

Der Concordia Club, Soerabaya, um 1865; CollectieStichting Nationaal Museum van Wereldculturen über commons.wikimedia.org

Clubs – Treffpunkte der europäischen Oberschicht

Clubs waren für die europäische Oberschicht zunächst die einzigen Orte, die Geselligkeit und Unterhaltung boten. Dabei verfügten die jeweiligen sozialen Gesellschaftsschichten über ihren eigenen Club (sociëteit). Concordia war in Surabaya der Club der Offiziere und Modderlust das Kasino der Marine.

Seit 1850 bestand ein Club für die zivile wirtschaftliche Oberschicht, der Simpang Club. Mitglieder zahlten einen Monatsbeitrag von 100 Gulden und bei Besuch einen Eintritt von 25 Gulden.

Beliebte Veranstaltungen waren Musikdarbietungen, Theateraufführungen, Maskenbälle oder Tanzabende. Höhepunkte waren Aufführungen bekannter Künstler, die auf Tourneereisen in den Clubs auftraten. Auch die zu dieser Zeit beliebten gesellschaftlichen Picknicks durften nicht fehlen. Die Bars in den Clubs waren gut sortiert und essen konnte man in den Clubs natürlich ebenfalls.

Mit der Entwicklung der Kolonie nahm für die Clubs die Konkurrenz zu: Kinos, Hotels und Sportvereine boten später ebenfalls Unterhaltung und Abwechslung. In Surabaya war Grimm & Co. bekanntes Restaurant, Konditorei und Tanzsaal. Die Eröffnung war 1888.

Für die einige hundert Personen umfassende Gruppe von Deutschen hatte sich 1902 ein Deutscher Verein gegründet. Meyers Reiseführer schreibt dazu::

Vereine: Simpangsche Sociëteit (Club) und Concordia, beide international; Deutscher Verein (eignes Haus in Genteng, deutschen Reisenden sehr zu empfehlen).

Simpang Surabaya

Sociëteit Simpang, Soerabaja, zwischen 1900 – 1940; Collectie Stichting Nationaal Museum van Wereldculturen über commons.wikimedia.org

Kein Reiseziel

Reisenden, die nicht geschäftlich nach Surabaya kamen, macht Meyers wenig Hoffnung:

Für Vergnügungsreisende gibt es in Soerabaja nichts.

Auch sonst kann Meyers Reiseführer in Surabaya nicht viel Sehenswertes ausmachen:

Am schönsten ist das Stadtviertel Simpang mit dem *Simpang- und Scheepsmakerspark und schönen Villen, darunter das Haus des Residenten.

Anmerkung: Resident war in Niederländisch-Indien ein Verwaltungstitel, ähnlich einem Gouverneur.

Auch heute ist Surabaya weitaus mehr ein pulsierendes Wirtschaftszentrum denn ein touristisches Ziel, gleich wenn die Stadt sich als grünste und sauberste Stadt Indonesiens bezeichnet.

Seit 2009 verbindet die 5,4 Kilometer lange Suramadu-Brücke (Jembatan Suramadu) Surabaya mit der Insel Madura. Um die Entwicklung der wirtschaftlich schwachen Insel Madura zu fördern ist die Benutzung der Brücke seit 2018 mautfrei.

Falls Sie mal nach Surabaya kommen sollten: Über eine Ansichtskarte freue ich mich immer!

Wilhelminatoren Soerabaja

Surabaya, Wilhelmina-Turm am Hafen aus dem Jahr 1898, Ansichtskarte, ohne Datum, zwischen 1898-1935; Leiden University Library, Royal Netherlands Institue of Southeast Asian and Caribbean Studies über commons.wikimedia.org

Quellen/weitere Informationen:

Surabaya in the 19th Century and on to Independence; Joshua Ramon Enslin, https://www.jrenslin.de/post/47; abgerufen am 15. Juni 2022

Virtueel Indië; Stichting Pelita; http://www.virtueelindie.nl/index.php

Hagen, Frachtdampfer, 1909

Schwesterschiffe der „Fürth“: die „Hagen“

Namensgeber der Kleinserie

Titelbild: Dampfschiff „Hagen“, 6990 t, ausgehend auf der Elbe bei Oevelgönne in leichtem Treibeis. Aufnahme vom 13. März 1909; © Otto Harms, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg (1933)

Die „Hagen“ war das erste von sechs baugleichen Schiffen, welche die Flensburger Schiffbau-Gesellschaft (FSG) in weniger als einem Jahr an die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg (DADG) geliefert hat (November 1906 – Oktober 1907). Otto Harms, der ehemalige Geschäftsführer der DADG, spricht deshalb auch von der „Hagen-Klasse“.
Quelle: Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, Otto Harms (1933), Schröder & Jeve, Hamburg.

In dieser Kleinserie folgten nach der „Hagen“ in den darauffolgenden Monaten in chronologischer Reihenfolge: die „Reichenbach“, die „Plauen“, die „Neumünster“, die „Fürth“, die „Osnabrück“ und schließlich die „Hanau“.

Zu jedem der sechs Schwesterschiffe der „Fürth“, dem Hauptthema dieses Blogs, existiert jetzt ein Artikel, der die Geschichte des jeweiligen Schiffes zusammenfasst. Die Links finden Sie am Ende dieses Blogbeitrags.

Allen Schiffen gemein ist, dass sie vergessen wurden. Der Erste Weltkrieg hat ihrer Funktion als Botschafter der namensgebenden Städte nach wenigen Jahren ein Ende gesetzt und schon bald hat sich niemand mehr ihrer erinnert. Das ist bis heute so geblieben. Dieser Blog möchte das ein wenig ändern.

In den zwanziger Jahren brachte die DADG wieder neue Schiffe in Fahrt; von den namensgebenden Städten der sechs Schwesterschiffe wurden lediglich die beiden Städte Hagen und Hanau erneut berücksichtigt, beide im Jahr 1921.

Das Schiff „Hagen“ (1906)

Die Bestellung der „Hagen“ bei der Flensburger Schiffbau-Gesellschaft erfolgte am 21. Oktober 1905, die Kiellegung am 5. Mai 1906 und nach 190 Tagen Bauzeit wurde das Schiff am 11. November 1906 an die DADG übergeben. Der Stapellauf fand einen Monat vorher, am 6. Oktober 1906, statt.

Die Baukosten betrugen 1,158 Millionen Mark. Die „Hagen“ hatte 4210 Brutto-Registertonnen und eine Tragfähigkeit von 6990 Tonnen. (alle Angaben: Otto Harms, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, Schröder & Jeve, Hamburg 1933)

Weitere Details finden Sie in den Beiträgen der baugleichen „Fürth“: SIEHE Bau, Stapellauf und Probefahrt der „Fürth“  sowie Die „Fürth“ in Lloyd’s Register

Jungfernfahrt der „Hagen“

Über die „Jungfernfahrt“ der Hagen gibt ein Artikel in The Advertiser (Adelaide) zusammenfassend Auskunft.

The Hagen, a new steamer, belonging to the German-Australian line, arrived from Hamburg on her maiden voyage on Sunday afternoon. She is a facsimile of the Oberhausen, Solingen, and Linden, which arrived last year, and a splendid vessel of her type. She was built at Flensburg, and launched on October 9. Captain Prohn, who was formerly in charge of the Magdeburg, is in command. He reports having left Hamburg on November 15, Rotterdam on November 18, Antwerp on November 22, East London on December 19, and arrived at Fremantle on January 4. She left the western port on January 8. Throughout the trip there was just enough bad weather to justify Captain Prohn coming to the conclusion that the new vessel is a splendid seaboat. After discharging her cargo she will load for Java ports.
The Advertiser, Adelaide (Australien), 14. Jan 1907, S. 6, SHIPPING NEWS.

Anmerkungen:

Die „Oberhausen“, „Solingen” und „Linden“ war sicher ähnliche Schiffe, aber keineswegs baugleich. Nur die „Linden“ war auch in Flensburg gebaut worden, hatte aber leicht abweichende Abmessungen zur „Hagen“. Die „Oberhausen“ war ein Schiff von Swan, Hunter & Wigham Richardson in Newcastle-on-Tyne und die „Solingen“ (II) ein Frachtdampfer der Neptunwerft in Rostock.

Der Stapellauf der „Hagen“ war nach Harms (1933) der 6. Oktober 1906.

Nach der „Klingenstadt“ Solingen war bereits das zweite Schiff der DADG benannt worden. Die bereits 1889 in Dienst gestellte „Solingen” (I) ging 1904 vor Deutsch-Südwestafrika verloren.

Hagen, crew 1909

Mannschaftsliste der Hagen, Seite 1, Sydney 19. Okt 1909; © State of New South Wales through the State Archives and Records Authority of NSW

Die Überlegenheit der Dampfschifffahrt

Der Zeitungsartikel in The Advertiser berichtet im Folgenden von der Sichtung eines Seglers durch die „Hagen“:

“Captain Prohn, of the Hagen, reports having sighted the barque Loch Rannoch in lat. 35.40 deg. S., long. 126 deg. E, at noon on Friday. She was then right in the steamboat track. The Loch Rannoch, which is coming to Port Adelaide from Glasgow, wished to be reported „all well.“ She is 109 days out, and had been anxiously looked for. This well-known Loch liner should arrive early this week.”

109 Tage von Glasgow nach Adelaide bedeuteten für die Bark, einen Segelschifftyp, etwa dreieinhalb Monate auf See, das Dampfschiff „Hagen“ erreichte Adelaide von Hamburg mit Zwischenstopps in nur zwei Monaten.

Diese langen Fahrten hatten auch zwei weitere Barken hinter sich, eine von Archangelsk (Russland), die 147 Tage unterwegs war und eine ab Glasgow mit 123 Tagen Seereise:

“The strong south winds which blew during Sunday brought to the Semaphore anchorage two barques. One was the Norwegian barque which was here in 1904. She is from Archangel, which port she left on August 19, and was, therefore, 147 days out. The Woodburn, formerly a Glasgow barque, but now under the Russian flag, arrived from Bo’ness (Scotland) with a consignment of superphosphates. Her sailing date was September 12, and she accomplished the passage in 123 days. Both vessels may be expected to enter the harbor within the next day or two.”
(alle Zitate aus der gleichen Quelle)

Die Segelschifffahrt konnte sich in den Folgejahren nur noch für „zeitunkritische“ Frachten behaupten, verlor aber nach und nach endgültig an Bedeutung.

Die folgende Abbildung ist symbolisch dafür: Gestrandete Segelschiffe in Port Elizabeth. Die im Hafen liegenden Dampfschiffe waren in der Lage, den Sturm abzuwettern. SIEHE: Logbuch (10): Die „Fürth“ in Mossel Bay und Port Elizabeth (Südafrika)

Hurricane in Algoa Bay 1902

Port Elizabeth, 30 August and 1 September 1902. Aftermath of a storm in Algoa Bay; Quelle: DRISA-Archiv, Johannesburg; http://atom.drisa.co.za/collections/P_Collection_lo-res/P1143_06.jpg

Verdächtige Umladung auf See – „A Mysterious Cargo“

Im Sommer 1908 erregte eine außergewöhnliche Umladung von Dynamit im Ärmelkanal einige Aufmerksamkeit in der britischen Presse und sogar der Verdacht von Schmuggel kam auf. Der Kapitän der „Hagen“, zu diesem Zeitpunkt F. Parran, erklärt den Vorfall anschließend einem australischen Journalisten:

ARRIVAL OF THE STEAMER HAGEN.
THE GOODWIN SANDS INCIDENT.
EXPLOSIVES SHIPPED ON THE OPEN SEA.

Early yesterday morning the German steamer Hagen arrived from Hamburg, and anchored in Gage Roads. Considerable interest has been evinced in the present voyage of this vessel, owing to an unusual incident which occurred at its commencement. Towards the end of April, it will be remembered, the cables announced that the steamer Hagen had shipped a cargo of German-manufactured explosives while lying off the Goodwin Sands, in the English Channel. The goods, it was stated, were transhipped to the Hagen from a German tug-boat, and the extraordinary nature of the procedure excited much comment in commercial and shipping circles in London. All sorts of conjectures were indulged in as to the destination of the cargo, some journals going so far as to hint that it was contraband.

In view of the explanation volunteered to a representative of the „West Australian“ by Captain Paran, when the matter was brought under his notice yesterday it is surprising that such an incident should have caused so much speculation in English shipping circles.

It appears that when the vessels of the German-Australian line leave Antwerp explosives are transhipped from a lighter just outside the port. On this occasion, however, the lighter was delayed, and Captain Paran was instructed to wait off the Dutch coast for the cargo. A course which is often carried out when lighters are delayed. On arrival off the Dutch coast the weather would not permit of the work being carried out, and as a consequence the Hagen proceeded to seek a sheltered spot off the Goodwin Sands, to await the arrival of a German tug-boat, which brought out the transhipment cargo.

Captain Paran was greatly surprised and amused, that the incident should have received such world-wide attention.
The West Australian, Perth, 5. Jun 1908, S. 5

Anmerkung: Dynamit war eine häufige Fracht der DADG-Schiffe nach Südafrika und Australien. Es kam aus verschiedenen europäischen Produktionsstätten. Siehe dazu auch den Blogartikel: Plakatwerbung

Coolgardie, Strelitz

Dynamit auf einem Ausstellungsstand der Gebrüder Strelitz in der Bergbaustadt Coolgardie, Foto von Hemus and Hall, Coolgardie Pioneer, 22. April 1899, S. 18; Coolgardie war damals nach Perth und Fremantle die drittgrößte Stadt Westaustraliens, heute ist sie als „Ghosttown“ nur noch von touristischem Interesse.

Sommer 1914

Im Sommer 1914 kam die „Hagen“ auf der Linie New-York – Java nach Tjilatjap an die Südküste Javas. Die Insel gehörte das damals zur niederländischen Kolonie Niederländisch-Indien, die folgenden Quellen sind daher niederländische Tageszeitungen.

Het ss. Hagen, van de Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft vertrok op 3 Juni van Durban komende van New Vork direct naar Tjilatjap en wordt den 21sten a.s. aldaar verwacht.
Het nieuws van den dag voor Nederlandsch-Indië, 13-06-1914

(Die ss. Hagen von der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft verließ Durban am 3. Juni und kam von New Vork direkt nach Tjilitjap und wird dort am 21. erwartet.)

Zu der Linie New York – Java mehr hier: Devoe’s und Sylvan Arrow – Petroleum für Java

Aangekomen:

Duitsch ss. Hagen, gez. Wilm, van Tjilatjap, agt. Maintz & Co.
Het nieuws van den dag voor Nederlandsch-Indië, 27-06-1914

In der Folgezeit war die „Hagen“ in Niederländisch-Indien unterwegs, bis sie vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges Ende Juli/Anfang August 1914 überrascht wurde.

VERTROKKEN SCHEPEN.

Duitsch ss. Hagen, gez. Wilm, naar Pekalongan.

Bataviaasch nieuwsblad, 06-07-1914

Anmerkung: Pekalongan ist eine Hafenstadt an der Nordküste Javas.

Anfang August lag die „Hagen“ in Soerabaya (Insel Java), um eine Ladung Zucker aufzunehmen, wurde aber angewiesen, diesen wieder zu entladen.

Het duitsche stoomschip „Hagen“, dat te Soerabaja een lading suiker kad ingenomen, heeft orde gekregen de lading weder telossen.
Sumatra-bode, 4.8.1914

(Das deutsche Dampfschiff ‚Hagen‘, das in Surabaya eine Ladung Zucker aufgenommen hat, wurde beauftragt, die Ladung wieder zu entladen.)

Die „Hagen“ lief anschließend von Soerabaya nach Tandjong Priok, dem Hafen Batavias.

AANGEKOMEN SCHEPEN.

Duitsch ss. Hagen, gez. Wilm, van Soorabaja, agt. Maintz en Co.

Bataviaasch nieuwsblad, 6. Aug 1914

Batavia 1907

Ankunft eines Dampfers im Hafen Tandjong Priok (Batavia), 1907, Stereographische Aufnahme, Tropenmuseum Amsterdam, Inventarnummer TM-60060778, collective.wereldculturen.nl

Eine zusammenfassende Beschreibung von Tandjong Priok liefert ein britisches Handbuch:

„The port of Tandjong Priok is in communication with Batavia by railway and by a canal. The outer harbour is formed by two piers 1,850 metres long; the entrance is 125 m wide, and the depth is 8 metres. The inner harbour has a quay 1,100 metres long and 175 metres wide; the water has a depth of 7.50 metres. There is extensive accommodation for coaling, and in the docks and workshops all kinds of repairs to vessels can be made. The expenses for the construction of the harbour and annexed works amounted to 26½ millions of guilders.”

The Directory & Chronicle for China, Japan, Corea, Indo-China, Straits Settlements, Malay States, Sian, Netherlands India, Borneo, the Philippines; Hongkong Daily Press Office, 1910, 48. Ausgabe

In diesem Hafen sollte die „Hagen“ während des Ersten Weltkrieges bleiben. Noch im August 1914 fand im Kaiserlich Deutschen Generalkonsulat eine Verklarung statt:

Steam ship Hagen, Batavia 1914

Bekanntmachung in der Zeitung Bataviaasch Nieuwsblad, 26. Aug 1914, Quelle: http://www.delpher.nl

Die Verklarung

Was es mit einer Verklarung auf sich hat, erklärt uns das Seerecht:

Paragraph 522
Der Schiffer hat über Unfälle, die sich während der Reise ereignen, sie mögen den Verlust oder die Beschädigung des Schiffes oder der Ladung, das Einlaufen in einen Nothafen oder einen sonstigen Nachteil zur Folge haben, mit Zuziehung aller Personen der Schiffsbesatzung oder einer genügenden Anzahl von ihnen eine Verklarung abzulegen.
Die Verklarung ist ohne Verzug zu bewirken, und zwar…

im Nothafen, sofern in diesem repariert oder gelöscht wird;

„Ihr Zweck ist nicht die Wahrung öffentlicher, sondern diejenige privater Interessen (…), nämlich neben der Entlastung (Verklarung = Reinigung) des Schiffers die Schaffung einer Unterlage für die Regelung der aus einem Seeunfall erwachsenen privatrechtlichen Verhältnisse (…). Sie dient also als eine Art Beweissicherung.“

Das deutsche Seerecht, Kommentar und Materialsammlung, 2. Bd.; Schaps, Abraham, Berlin 1962 (books.google.fr).

Die Verklarung musste im Ausland in einer diplomatischen Vertretung stattfinden (falls vorhanden), deswegen erfolgte die Anzeige vom Kaiserlichen Deutschen Generalkonsulat in Batavia.

Der Begriff der Verklarung führt uns zum nächsten seerechtlichen Fachbegriff: der großen Haverie.

Große Haverie (auch Haverie grosse oder Große Haverei)

Große Havarie liegt dann vor, wenn Schiff und Ladung in gemeinschaftlicher Gefahr sind und vom Schiffskommando vorsätzlich zur Rettung von Schiff und Ladung Maßnahmen getroffen werden, deren Kosten und außerordentliche Opfer im Interesse aller Beteiligten von diesen gemeinschaftlich getragen werden müssen.
Die Praxis des Seefrachtgeschäfts H.-J. Leue, Springer, 1958 (books.google.fr)

Zu einer Großen Haverie gehören neben den Kosten für tatsächliche Beschädigungen an Schiff und Ladung auch die zusätzlich anfallenden Gebühren in einem Nothafen (Liegegebühren, Be- und Entladungskosten), die dann auf alle Ladungseigner umgelegt werden.

Eine anschauliche Einführung in dieses versicherungsrechtlich sehr komplexe Konstrukt bekommen Sie zum Beispiel hier: https://at.kuehne-nagel.com/fileadmin/country_page_structure/EE/Austria/Documents/General_Average_ee_region_de.pdf

Wie hängen nun Verklarung und Große Haverie zusammen? Ich fand diese Darstellung hilfreich:

„Auf der Grundlage des Berichts des Kapitäns (Verklarung) erstellt ein öffentlich bestellter Sachverständiger (Dispacheur) nach Ankunft des Schiffs im Ziel- oder Nothafen ein Dokument (Dispache) über Hergang, Beitragswerte, Kosten und Kostenaufteilung. Da der Reeder den Vergütungsberechtigten gegenüber für die Einbringung der Havarie grosse-Beiträge haftet, hat er ein Pfandrecht an den Gütern. Die endgültige Abrechnung der Havarie grosse-Beiträge kann Jahre dauern; deshalb wird der Ladungsempfänger i.d.R. eine unmittelbare Herausgabe gegen Stellung von Sicherheiten (Havarie grosse-Verpflichtungsschein, Bankgarantie oder Bareinschuss) erwirken.“
Gabler Wirtschaftslexikon, https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/havarie-35792

Ich versuche, das mal in einfache Worte zu packen:

Diejenigen, die Ladung an Bord hatten und diese in Empfang nehmen wollten, mussten sich anteilig an den erhöhten Liegekosten beteiligen, da die „Hagen“ durch Ausbruch des Krieges viel länger in Batavia lag, als vorgesehen.

Über die Modalitäten informierte eine Anzeige der Fa. Maintz & Co., dem Vertreter der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) in Batavia. Sie betraf außer der „Hagen“ auch das Dampfschiff „Freiberg“ der DADG, das auf der Fahrt nach Indramajoe (heute: Indramayu, Nordküste Java) auf ein Riff aufgelaufen war:

Große Haverie, 1914, Batavia

Anzeige der Vertretung der DADG in Batavia, der Fa. Maintz & Co. in Bataviaasch nieuwsblad vom 21. August 1914; http://www.delpher.nl

Anmerkung: W. v. K. = Wetboek van Koophandel (niederländisches Handelsrecht)

International waren das Regelwerk der großen Havarie auf dem Kongress der Gesellschaft für die Reform und Kodifikation des Völkerrechts zu Liverpool im Jahr 1890 überarbeitet worden und als York-Antwerp-Rules 1890 bekannt (siehe in: Theorie und Praxis des Seehandels-Geschäfts, R. Stern, 1903, in Sammlung Kaufmännischer Lehrbücher, Handels-Akademie Leipzig; http://storage.lib.uchicago.edu/pres/2015/pres2015-0761.pdf)

Viele Schiffe der DADG waren beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges in Niederländisch-Indien „gestrandet“ und die für den Hafenbetrieb verantwortliche B.O.W. machte deutlich, dass für diese Schiffe die vollen Hafengebühren fällig seien (Quelle: Mitteilung von Maintz & Co. in De Sumatra post, 16. Nov. 1914)

Anmerkung: Die B.O.W. (Burgerlijke Openbare Werken) war in Niederländisch-Indien verantwortlich für den Bau und Unterhalt der Infrastruktur (Bewässerungsanlagen, Straßen, Schienenwege, Brücken, Trinkwasserversorgung, Hafenanlagen).

Lange Jahre in Batavia

Die „Hagen“ und ihre Besatzung mussten fünf lange Jahre in Niederländisch-Indien verbringen. Im August 1919 lag das Dampfschiff noch immer in Tandjong Priok:

Thans liggen nog in de haven van Tandjong Priok de Iselohn (sic), Hagen, Hohenfels en Marie;…
Bataviaasch nieuwsblad, 20. Aug 1919

Die „Iserlohn“ war ebenfalls ein Schiff der DADG und die „Hohenfels“ ein Frachtdampfer der DDG Hansa, Bremen.

Die „Marie“ war ein Sperrbrecher der Kaiserlichen Marine und hatte 1916 die deutschen Truppen in Ostafrika versorgt. Anschließend lief das Schiff nach Batavia und wurde dort von den Behörden interniert.

Über die Zeit der deutschen Besatzungen in Niederländisch-Indien während des Ersten Weltkrieges hatte ich am Beispiel des Schiffes „Ulm“ berichtet: Die „Ulm“ in Ambon (Teil 1 von 2) und Die „Ulm“ in Ambon (Teil 2 von 2)

Batavia Tandjong Priok, no date

Hafen von Tandjong Priok (Batavia), undatiert, Tropenmuseum Amsterdam, Inventarnummer TM-10007988, collective.wereldculturen.nl

Erst im September verließ die „Hagen“ Batavia in Richtung Singapur, jetzt unter der Flagge der Alliierten („onder geallieerde vlag“). Zuvor legte sie noch in Probolinggo/Kraksaan und Semarang an der Nordküste Javas an.

Vertrokken:

– N. I. ss. Hagen, gez. Porter, naar Probolinggo, onder geallieerde vlag.
Het nieuws van den dag voor Nederlandsch-Indië, 20. Sept. 1919

SEMARANG.
Aangekomen :

13 Oct. Geall. ss. Hagen gez. G.L. Porter, van Krakssau, agt. Mc Neill Co.
De locomotief, 13. Okt. 1919

Probolinggo: Hafenstadt an der Nordküste im Osten der Insel Java (ca. 100 Kilometer östlich von Soerabaja). Krakssau (richtig Kraksaan) gehört zu Probolinggo; es dürfte sich um den gleichen Hafen handeln.

15 Oct. Geall. ss. Hagen gez. G.L. Porter naar Singapore agt. Mac Neill en Co.
De locomotief, 16. Okt. 1919

Shipping Controller

Neuer Eigentümer der „Hagen“ war der Shipping Controller, eine Behörde die 1916 von der britischen Regierung gegründet worden war mit der Aufgabe, die Handelsmarine zu organisieren, um die Versorgung der Streitkräfte und der Bevölkerung während des Ersten Weltkriegs sicherzustellen. Die Behörde verwaltete außerdem die von den feindlichen Nationen übernommenen Schiffe.

Bereedert wurde die „Hagen“ in dieser Zeit von der British India Steam Navigation Co., zu diesem Zeitpunkt bereits Teil der Peninsular and Oriental Steam Navigation Company (P&O), eine der weltweit größten Reedereien. (Quelle: BISHIP, biship.com)

Die „Aegeon“, exHagen

Der Shipping Controller wurde im Jahr 1921 aufgelöst und alle Schiffe abgegeben.

Die „Hagen“ wurde an die griechische Regierung verkauft und in „Aegeon“ umbenannt (Schmelzkopf, 1984). Das Schiff fuhr für den griechischen Service of Maritime Transport.

Aus der Zeit als „Aegeon“ habe ich das Schiff nur einmal wiedergefunden, ansonsten bin ich bei Shakespeare gelandet: Aegeon von Syrakus ist eine der Hauptfiguren in der Komödie der Irrungen.

Griechische Quellen würden hier sicher weiterhelfen, genauso wie bei der weiteren Geschichte der ex-Hagen bis zum Abbruch. Die Suche dort überlasse ich jedoch anderen.

Deshalb an dieser Stelle nur ein Schiffsunfall der „Aegeon“ aus dem Jahr 1924 in Portugal:

GEMENGD.

AEGEON. Oporto, 26 Nov. Het Grieksche stoomschip Aegeon is inkomend te Leixoes in aanvaring geweest met het Duitsche stoomschip Steigerwald, van Hamburg naar Buenos Ayres. De Aegeon bekwam schade aan stuurboordsboeg; of de Steigerwald beschadigd werd, is niet bekend.
Nieuwe Rotterdamsche Courant, 29. Nov 1924, http://www.delpher.nl

Übersetzt: Das griechische Dampfschiff „Aegeon“ ist bei seiner Ankunft in Leixoes mit dem deutschen Dampfschiff „Steigerwald“ von Hamburg nach Buenos Aires zusammengestoßen. Die „Aegeon“ wurde am Steuerbordbug beschädigt. Es ist nicht bekannt, ob die „Steigerwald“ beschädigt wurde.

Anmerkungen:

Leixões ist der Seehafen von Porto, er liegt wenige Kilometer nördlich der Stadt am Atlantik.

Die „Steigerwald“ (1921) war ein Schiff der Hamburg-Amerika-Linie im Dienst nach Nord- und Südamerika. Gebaut wurde die „Steigerwald“ auf der Deutschen Werft in Hamburg, sie hatte 4535 BRT bei einer Länge von 119,0 Metern (Quelle: schiffe-maxim.de)

„Michael N.“

Die Geschichte der exHagen bleibt griechisch. Im Jahr 1931 ist die „Aegeon“ an eine Reederei in Piräus übergegangen. Die Ausgabe 1931-32 von Lloyd’s Register nennt als neuen Eigentümer Mrs. I. M. Nicolaou. Als Manager der Reederei ist M. N. Nicolaou eingetragen:

exHagen in Lloyd's Register 1931

Lloyd’s Register, Ausgabe 1931-32; Quelle: Southampton City Library, https://plimsoll.southampton.gov.uk/shipdata/pdfs/31/31b1425.pdf

„Petrakis Nomikos“

Bereits im Jahr darauf erfolgt ein weiterer Verkauf. Die ex-Hagen bleibt in Piräus, neuer Eigentümer ist P. M. Nomikos, der neue Name des Schiffes wird „Petrakis Nomikos“.

ex-Hagen, Lloyds, 1932

Lloyd’s Register, Ausgabe 1932-33; Quelle: Southampton City Library, https://plimsoll.southampton.gov.uk/shipdata/pdfs/32/32b1063.pdf

Im Dezember 1932 taucht die „Petrakis Nomikos“ wieder in Westeuropa auf:

BUITENLANDSCHE SCHEPEN.
Van en naar Nederlandsche havens.

STRATONI V. 3/12 Petrakis Nomikos, Vlaardingen.

Algemeen Handelsblad, 11. Dez 1932

Anmerkung: V. = vertrokken (abgefahren); Stratoni liegt im Nordosten der Halbinsel Chalkidiki (Griechenland).

Am 21. Dezember 1932 ist die „Petrakis Nomikos“ mit Rohphosphat in Vlaardingen bei dem Unternehmen ENCK (Eerste Nederlandse Coöperatieve Kunstmestfabriek) angekommen:

VLAARDINGEN. Aangekomen,

21 December

Grieksch stoomschip Petrakis Nomikos, met ruwe phosphaat, van Stratoni, aan de E.N.C.K.µ

Nieuwe Vlaardingsche courant, 23. Dez 1932

Eine Woche später lief die „Petrakis Nomikos“ nach Rendsburg (Quelle: Algemeen Handelsblad, 30. Dez. 1932) und im März 1933 erreichte die „Petrakis Nomikos“ erneut die Niederlande, diesmal vom Schwarzen Meer (Noworossijsk, Scheepvart, 20. März 1933) bevor sie anschließend nach Narvik versegelte (De Standaard, 20. März 1933).

Die Route vom Schwarzen Meer nach West- und Nordeuropa (Niederlande, Großbritannien, Skandinavien) wurde anschließend häufiger befahren. Die Fracht vom Schwarzen Meer für Nordwesteuropa war Getreide.

Getreide (Weizen) könnte auch im Januar 1935 an Bord gewesen sein, als die „Petrakis Nomikos“ aus Rosario in Rotterdam ankam. Rosario liegt in der LaPlata-Region in Argentinien am Paraná, eine der weltweit wichtigsten Weizen produzierenden Regionen.

Petrakis Nomikos, 1935

Anzeige Scheepvart, 04. Februar 1935, http://www.delpher.nl

Die Anschlussladung waren Kohlen für Piräus (Scheepvart, 20. Feb 1935).

Abbruch

Mit dieser Fahrt verschwindet die „Petrakis Nomikos“ aus den niederländischen Medien und erst im Mai 1936 erscheint eine Meldung über den Verkauf der ex-Hagen für 7650 Britische Pfund:

ZEEVART.

The Union, recently acquired, has been sold to North-East Coast shipbreakers, and the Spilsby has been purchased by British buyers under the scheme and resold to the Hughes Bolckow Shipbreaking Company, Ltd., Blyth, for about £5500, as she lies in the Tyne. Messrs. Hughes Bolckow have also acquired from British buyers the Petrakis Nomikos for about £7650 delivered Blyth, and a British firm has purchased he Weir steamer Dunafric. …
Scheepvart 18. Mai 1936

Die „Petrakis Nomikos“, ex-Michael N., ex-Aegeon, ex-Hagen ist zuletzt in der Ausgabe 1935-36 von Lloyd’s Register verzeichnet (allerdings noch ohne den Zusatz „Broken up“).

Verwirrung um die „Petrakis Nomikos“

Es wurden sowohl unter dem Namen „Aegeon“ als auch unter „Petrakis Nomikos“ wieder Schiffe in Fahrt gebracht, die jedoch nicht mit der ex-Hagen identisch sind.

Bei dem schweren Explosionsunglück des Tankschiffes (!) „Petrakis Nomikos“ in Rotterdam im Oktober 1936 mit vielen Toten kann es sich nicht mehr um die ex-Hagen handeln, auch wenn Pressemitteilungen dies teilweise so wiedergegeben haben (z. B. in Haagsche courant vom 31. Oktober 1936). Eine Abbildung des Hecks des Schiffes in dem Artikel zeigt eindeutig, dass es nicht die ex-Hagen ist: der Schornstein ist viel weiter in Richtung Heck des Schiffes als bei der ex-Hagen).

Andere Schwesterschiffe der „Fürth“

Schwesterschiffe der „Fürth“: Die „Reichenbach“

Schwesterschiffe der „Fürth“: die „Plauen“ und Das Schwesterschiff „Plauen“ – ein Nachtrag

Schwesterschiffe der „Fürth“: Die „Neumünster“

Schwesterschiffe der „Fürth“: der Frachtdampfer „Osnabrück“

Schwesterschiffe der „Fürth“: die „Hanau“

advertisement, continental, guttapercha, 1903

Guttapercha und der Tote aus Borneo

Kein neuer Commissario

– Guttapercha –

Keine Sorge, Guttapercha ist nicht noch ein neuer „Commissario“ und der Tote aus Borneo auch keine exotische Leiche. Aber eins nach dem anderen!

Auf den Fahrten der „Fürth“ treffen wir einige Waren an, die heute weitgehend in Vergessenheit geraten sind, wie zum Beispiel die Guttapercha oder auch nur kurz Gutta genannt. Wenn Sie nicht gerade in einem Dentallabor arbeiten, sind Sie wahrscheinlich noch nie in Berührung mit diesem, zur Zeit unseres Dampfschiffes „Fürth“, sehr begehrten Rohstoff gekommen. Ich auch nicht.

Und wer weiß heute schon noch, dass der weltweite Erfolg des größten deutschen Industrieunternehmens, der Firma Siemens, zu einem großen Teil auf dieser Substanz und ihrer Verarbeitung beruht?

Aber beginnen wir auf der Insel Java, wo die „Fürth“ regelmäßig Batavia, Soerabaya und auch Tjilatjap anlief (heute Djakarta, Surabaya und Cilacap) und Guttapercha nach Europa brachte.

guttapercha java

Guttapercha-Verarbeitung auf Java (ca. 1920/1930); Quelle: commons.wikimedia.org, File:COLLECTIE TROPENMUSEUM West-Java Tjipetir arbeiders bedienen de machines die de guttapercha wassen en persen TMnr 60020167.jpg

Der Guttaperchabaum

Dort, auf Sumatra, Borneo sowie auf der malaiischen Halbinsel, wächst der Guttaperchabaum (Palaquium gutta). Dieser tropische Laubbaum wird bis über 20 Meter hoch und liefert reichlich Milchsaft. Einige andere Arten der Gattung Palaquium liefern ebenfalls Guttapercha, aber nicht immer in der gewünschten Qualität.

Durch Trocknung, Reinigung und Aufkochen erhält man aus dem Milchsaft ein kautschukähnliches Produkt, die Guttapercha.

guttapercha java

Nicht erst seit Palmöl: Die Abrodung von tropischen Wäldern auf Java für Guttapercha-Plantagen
Quelle: commons.wikimedia.org, File:COLLECTIE TROPENMUSEUM Proefaanplant van guttapercha op de rubberonderneming Langsa West-Java TMnr 60020174.jpg

Eigenschaften

„Das wesentlichste Merkmal, durch welche sich Guttapercha ohne weiteres von dem mit ihr so oft identifizierten Kautschuk unterscheidet, ist zweifellos die bereits von Tradescant erwähnte, und auch von D’Almeida, sowie Montgomerie betonte Eigenschaft, beim Eintauchen in heißes Wasser weich und plastisch zu werden, dann beim Abkühlen jede ihr vorher gegebene Gestalt beizubehalten und hart, aber keineswegs spröde, wie andere Harze zu werden. Dem gegenüber wird Kautschuk in heissem Wasser nicht weich, und behält seine ursprüngliche Elastizität und Spannkraft fast unvermindert bei.“
Dr. Eugen Obach (1899): Die Guttapercha, Verlag von Steinkopff & Springer, Dresden,
abgerufen unter:
http://dfg-viewer.de/show/?tx_dlf%5Bpage%5D=1&tx_dlf%5Bid%5D=http%3A%2F%2Fdigital.ub.uni-duesseldorf.de%2Foai%2F%3Fverb%3DGetRecord%26metadataPrefix%3Dmets%26identifier%3D1259277&tx_dlf%5Bdouble%5D=0&cHash=47b26e1b8afb23734d48166b38dc3659

Ein guter Isolator

Guttapercha hat neben dieser einfachen Verformbarkeit noch eine andere, sehr begehrte Eigenschaft: sie ist ein guter, sogar sehr guter Isolator. Womit wir zur Firma Siemens & Halske kommen.

„Das Jahr 1847 wird in der Geschichte der Guttapercha-Industrie allezeit denkwürdig bleiben. Wurde doch in demselben die Pflanze, von der dieses industriell wertvolle Produkt stammt, zum ersten Male von Sir William Jackson beschrieben. Und im gleichen Jahr begann auch Dr. Ernst Werner von Siemens, damals Artillerieleutnant in der Preussischen Armee, die Verwendung von Guttapercha zur elektrischen Isolierung unterirdischer Telegraphenleitungen aufzunehmen. Er erbaute damals eine Maschine, mittels welcher Draht fortlaufend mit dem Stoffe umhüllt werden konnte. Diese Maschine ist, mit geringen Änderungen, bis auf den heutigen Tag im Gebrauch geblieben.“
Dr. Eugen Obach (1899): Die Guttapercha, Verlag von Steinkopff & Springer, Dresden.

Allegorical scene showing Neptune with a trident in foreground, and lion representing Great Britain holding one end of the Atlantic cable and eagle representing the United States holding the other end of the cable, with ocean between them and cities behind them. Includes portrait of the inventor, Cyrus Field, at top center.

Das achte Weltwunder, Originalbeschreibung: Allegorical scene showing Neptune with a trident in foreground, and lion representing Great Britain holding one end of the Atlantic cable and eagle representing the United States holding the other end of the cable, with ocean between them and cities behind them. Includes portrait of the inventor, Cyrus Field, at top center.
Quelle: Library of Congress, https://lccn.loc.gov/93510355

Das achte Weltwunder

Der Bedarf an Kabeln war in der zweiten Hälfte des neunzehnten und zu Beginn des 20. Jahrhunderts enorm. Unterirdische Telegrafenleitungen wurden über hunderte Kilometer über Land gelegt und ab 1856 begann die Geschichte einer technischen Meisterleistung, die damals als achtes Weltwunder gefeiert wurde: Die 1866 nach mehreren Fehlversuchen gelungene Installation eines über 2000 Meilen langen Unterseekabels zwischen Europa und Nordamerika. Ein Meilenstein in der Kommunikationstechnik.

Guttapercha war also sehr begehrt und wurde entsprechend teuer.

„Dazu kommt, was wesentlich mitspricht, daß der Preis der Guttapercha immer mehr steigt, und wenn dieser Punkt bei den großen Unterseekabeln nicht von entscheidender Bedeutung ist, so wird doch die Kostenfrage, wenn es sich um elektrische Anlagen, z. B. für Beleuchtungszwecke handelt, eine sehr wesentliche.“
Arthur Wilke (1893): Die Elektrizität, ihre Erzeugung und ihre Anwendung in der Industrie und Gewerbe, Springer Verlag Berlin Heidelberg (abgerufen unter books.google.fr)

Djeloetong oder „Dead Borneo“

Dies hatte zur Folge, dass auch andere Produkte als Ersatzstoffe für Guttapercha auf den Markt kamen. Einer davon war Djeloetong, mit Handelsnamen auch „Dead Borneo“, das ebenfalls auf der „Fürth“ nach Europa transportiert wurde.

Der ungewöhnliche Handelsname „Dead Borneo“ soll darauf zurückgehen, dass das Holz des Djeloetong-Baumes ein bevorzugtes Material für die Herstellung von Särgen war. Deswegen also „der Tote aus Borneo“. Sie mögen mir diese etwas freie Übersetzung nachsehen.

djeloetong

Djeloetong (Handelsname Dead Borneo) ist ein Ersatzstoff für Guttapercha,
Quelle: Hubert Winkler (1912), Botanisches Hilfsbuch: für Pflanzer, Kolonialbeamte, Tropenkaufleute und Forschungsreisende, Hinstorffsche Verlagsbuchhandlung, Wismar (abgerufen unter books.google.fr)

Golfbälle

Falls Sie Golf spielen: Golfbälle wurde um die Jahrhundertwende (also um 1900) ebenfalls aus Guttapercha hergestellt.

„The Gutta Percha ball was the ball that opened Golf to the masses, the first major development in the evolution of the golf ball.

Gutta Percha revolutionised the game of golf,… „
(https://www.standrewsgolfco.com/shop/products/heritage-collection/clubs-and-balls/historic-balls/the-bramble-guttie/)

So ein Golfball hieß je nach Oberflächenbeschaffenheit „Guttie“ oder „Bramble“. Diese Bälle finden Sie antiquarisch oder auch als Replik. Das ist vielleicht mal ein ungewöhnliches Geschenk für einen Golfer und Sie können jetzt ja auch noch eine Geschichte dazu erzählen! Lassen Sie mich bitte wissen, wenn Sie einen Guttapercha-Ball ausprobieren, wie er sich von modernen Bällen unterscheidet.

Im Plastozän

Heute, im Zeitalter des „Plastozän“, ist Guttapercha weitgehend in Vergessenheit geraten. Verwendet wird es nach wie vor in der Zahntechnik:

„In der Zahnmedizin wird es als provisorisches Füllmaterial und zur Herstellung von Abdrücken sowie zum Verfüllen der Wurzelkanäle bei Wurzelkanalbehandlungen verwendet.“
(http://www.chemie.de/lexikon/Guttapercha.html)

Falls Sie im Sommer an den Atlantik fahren und am Strand spazieren gehen, achten Sie mal auf gummiartige Substanzen im Strandgut, vielleicht fällt Ihnen ja echtes Guttapercha in die Hände! Mehr dazu in einem Artikel der Zeit:
https://www.zeit.de/2015/06/strandgut-cornwall-fundstueck-tjipetir

Das Titelbild des Beitrags ist eine Werbung der Firma Continental aus dem Jahr 1903, die damals noch Continental Caoutchouc & Guttapercha Co. hieß. Auch das haben wir im Plastikzeitalter längst vergessen.

advertisement, continental, guttapercha, 1903

Werbung der Continental Caooutchouc & Guttapercha Co. Hannover aus dem Jahr 1903
Quelle: commons.wikimedia.org (File:1903 Werbung Continental Pneumatic Continental Caoutchouc & Guttapercha Co. hannover.JPG)

Pixabay, rice

Urlaubsgrüße aus Java

Der Dampfschiff-„Fürth“-Blogger ist im Urlaub!

Batavia, Hotel Des Indes

Direktor Gantvoort vom Hotel Des Indes erwartet uns schon!, Aufnahme 1910, Quelle: commons.wikimedia.org, COLLECTIE_TROPENMUSEUM_Batavia_directeur_Gantvoort_van_Hotel_des_Indes_met_(mogelijk)_twee_van_zijn_medewerkers_TMnr_60009065.jpg

In Batavia wird mir ein sonderbares Reisgericht serviert:

„Das schnurrigste Gericht, mit dem ich je auf meinen Reisen Bekanntschaft machte, war das, welches mir unlängst in einem erstklassigen Hotel Batavias angeboten wurde. Um acht Uhr erklang das Gong, das uns zum Frühstück rief.  Der Mandoer oder Hauptkellner — alle dienstbaren Geister in javaischen Hotels sind Schwarze, die stets barfuß einherlaufen — meldete uns, daß das Reisgericht auf der Tafel sei. Der Kellner brachte mir zunächst einen sehr, sehr tiefen Teller. Gleich darauf kam er mit einer mächtigen Reisschüssel, wovon ich mir als leidenschaftlicher Verehrer dieses Gerichts eine gute Portion nahm. Darauf reichte er mir den Hühnercerry. Ich war eben im Begriffe, mich an das Gericht zu machen, als auch schon ein anderer Diener hinter mir stand, in seinen Händen zwei weitere Gerichte tragend. Verwundert sah ich ihn an, da ich keine weiteren Teller vor mir stehen sah. Mein Nachbar, ein alter Java-Ansässiger, erklärte mir, der Reis und Cerry seien nur die Unterlage des Reisgerichtes, ich soll nur ruhig von den angebotenen Speisen nehmen und sie auf demselben Teller unterbringen. Ich tat wie angeraten, — es war eine Art von Frikassé und gebackene Eier. Diese wurden also auf die Grundlage als erstes Stockwerk gelegt. Schon stand ein dritter Diener an meiner Seite, wiederum mit zwei weiteren Schüsseln bewaffnet — es waren gebratene Bananen und Fische. Also: zwei weitere Gerichte wurden aufgeladen — es waren nunmehr sechs im ganzen. Der vierte Diener kam und bot mir zwei neue Gerichte an, es waren diesmal Mixed Picles und Blumenkohl. Und so wurde denn das vierte „Stockwerk“ aufgebaut. Es war dies gar keine leichte Arbeit, denn die verschiedenen Speisen fingen bereits an, bedenklich über den Rand des Tellers hinaus zu gucken. Ich betrachtete diesen modernsten Turmbau zu Babel mit geheimem Schrecken. Ich beobachtete mein Gegenüber und sehe, daß dieser mit großer Gewandtheit seine acht Gerichte auf dem Teller mischt. Hierzu waren Löffel jedem Teller beigelegt. Ich folge dem Beispiel und koste. Zu meinem großen Staunen finde ich, daß dieses Batavia-Allerlei gar nicht übel schmeckt! Langsam, aber sicher wird der Haufen kleiner und kleiner. In paar Tagen hatte ich mich daran schon so gewöhnt, daß ich, als ich Batavia und Java wieder verließ, mit förmlichem Herzweh daran dachte, in Zukunft dieses schnurrige Reisgericht nicht mehr aufbauen und wieder niederreißen zu dürfen.“

Der Artikel erschien in der Neuen Hamburger Zeitung vom 24. Februar 1908 auf den Seiten 2-3 in der Rubrik „Buntes Feuilleton“ unter dem Titel „Reisgericht auf Java. Uns wird geschrieben:“

Nasi Uduk?

Nun die Frage an alle Indonesienkenner: Was hat der Mann gegessen? Vielleicht Nasi Uduk? Ich war noch nie dort, befürchte aber, dass wir das Gericht heute nicht mehr so stilvoll serviert bekommen.