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Kursk 1919 German deportees

Die Abschiebung Deutscher aus Australien

Rücktransport nach Deutschland (1919/1920)

Titelbild:
Abgeschobene Deutsche auf der “Kursk“, 1919, Quelle: Australian War Memorial, HO4148, public domain

Deutsche in Australien am Ende des Ersten Weltkrieges

Nach dem Ersten Weltkrieg wurden 6150 Personen, überwiegend Deutsche und Deutschstämmige, aus Australien abgeschoben. Ebenso betroffen waren Staatsangehörige Österreich-Ungarns.

Von den 6150 Menschen waren 5414 in Lagern interniert gewesen. Die übrigen waren Familienmitglieder (Frauen, Kinder), die vom Verteidigungsministerium (Defense Department) ebenfalls aufgefordert wurden, das Land zu verlassen.

Über 1000 Personen legten Beschwerde gegen die Abschiebung beim Commonwealth Alien Board ein, allerdings wurde nur 306 Anträgen stattgegeben.

Darunter waren 179 Personen, die vorher die australische Staatsbürgerschaft angenommen hatten oder in Australien geboren waren.

Alle anderen mussten das Land verlassen.

Quelle: http://www.migrationheritage.nsw.gov.au/exhibition/enemyathome/holsworthy-internment-camp/index.html

Darling Harbour, German deportees, 1919

Darling Harbour, Sydney, australische Soldaten bewachen die Ankunft eines Zuges mit deutschen Gefangenen am Kai bei der Einschiffung auf die „Kursk“; Quelle: Australian War Memorial, HO4144; public domain.

Die Abschiebung

Für den Rücktransport der unerwünschten Personen nach Europa waren von der australischen Regierung zehn Schiffe vorgesehen.

Offiziell trugen die Schiffe die Bezeichnung H.M.A.T., also His Majesty’s Australian Transport, zum Beispiel H.M.A.T. „Rugia“. Der Einfachheit halber lasse ich diese Bezeichnung in der Folge weg.

Ships for transport of German deportees 1919

Liste der Schiffe für den Rücktransport Deutscher aus Australien in den Jahren 1919/1920; Quelle: Australian War Memorial, AMW2019.8.46

Zielhafen der Schiffe war zunächst Rotterdam, da die britische Seeblockade deutscher Häfen bis über die Mitte des Jahres 1919 hinaus andauerte.

In der Folge gebe ich einige Informationen zu den Schiffen und den Fahrten. Es handelt sich dabei um ausgewählte Beispiele. Weder sind alle Schiffe erwähnt, noch alle Fahrten. Diese sollten sich bis in die Mitte des Jahres 1920 hinziehen und einige Schiffe unternahmen mehrere Fahrten.

Ferner habe ich darauf verzichtet, die Ankunftsmeldungen der Schiffe in den niederländischen Medien zu übersetzen. Ich denke, man kann den Inhalt auch ohne Kenntnisse des Niederländischen zumindest grob verstehen.

Das Lager Holsworthy, in dem viele Deutsche gefangen waren, bestand noch bis in das Jahr 1920 fort, der letzte Gefangene verließ das Lager am 5. Mai 1920.
Quelle: Holsworthy Internment Camp during Word War I, Beverley Donald 2014; dictionaryofsydney.org

Der Krieg war zu diesem Zeitpunkt fast achtzehn Monate vorbei.

„Willochra“

Das erste Schiff, dass Gefangene nach Rotterdam brachte, war die „Willochra“. Die Abfahrt aus Sydney war am 22. Mai 1919.

Dieses Schiff ist in australischen Unterlagen ebenfalls als His Majesty’s Australian Transport bezeichnet, dabei muss es eigentlich H.M.N.Z.T. heißen, also His Majesty’s New Zealand Transport.

Die „Willochra“ diente im Ersten Weltkrieg nämlich als Truppentransporter für neuseeländische Soldaten.

Auch im Sommer 1919 war das Schiff in Wellington abgefahren und hatte etwa 300 Gefangene an Bord, die aus Neuseeland abgeschoben worden waren. In Sydney wurde die „Willochra“ mit Deutschen „aufgefüllt“.

Zuvor mussten zahlreiche Österreicher, die von Neuseeland mit der „Willochra“ gekommen waren, das Schiff verlassen und wurden per Zug ins Holsworthy Camp gebracht. Für sie war ein anderer Transport nach Europa vorgesehen. (Quelle: The Sun, Sydney, 27. Mai 1919)

Austrian Internees 1919 Sydney harbour

Österreichische Gefangene gehen in Sydney von Bord der „Willochra“, The Sun, Sydney, 27. Mai 1919, S. 8. Die schwarzen senkrechten Streifen an der Schiffswand sind Teil des „Dazzle Painting“, einem Camouflage-Anstrich mit geometrischen Mustern.

Willochra

„Willochra“ in Camouflage, Quelle: Mackrell Papers, Manawatuheritage.pncc.govt.nz; ID 2018P_Mackrell-PapersS5F2_024577

Die Zeitung De Maasbode berichtete am 18. Juli 1919 über die Ankunft der „Willochra“ in Rotterdam und kündigt das nächste Schiff, die „Kursk“ an:

Willochra, Rotterdam, 1919

Zeitungsartikel über die Ankunft der „Willochra“ und die erwartete Ankunft der „Kursk“ in Rotterdam; De Maasbode, 18. Juli 1919, S. 3; http://www.delpher.nl

Die „Willochra“ fuhr am 20. Juli von Rotterdam nach London weiter, die begleitenden britischen Wachmannschaften gingen am 21. Juli 1919 in Tilbury von Bord.

Willochra

Die „Willochra“ in „zivilem Anstrich“, Aufnahme von Allan C. Green, Datum unbekannt (wahrscheinlich vor 1914), Quelle: State Library Victoria, BIB ID 1651329.

„Kursk“

Eine Woche nach der „Willochra“, am 29. Mai 1919, verließ die „Kursk“ den Hafen von Sydney. Sie erreichte Rotterdam am 28. Juli 1919.

Die „Kursk“ war ursprünglich ein russischer Passagierdampfer der Russian American Line. Nach der Oktoberrevolution kam das Schiff unter britische Flagge. Im Jahr 1921 wurde die „Kursk“ ein Schiff der Baltic American Line und in „Polonia“ umbenannt.

An Bord der „Kursk” befand sich auch Professor Erich Hupka, über den ich hier im Blog berichtet hatte, da er kurze Zeit im Hafen von Colombo auf dem Frachtdampfer „Fürth“ festgesetzt worden war: Wie ein bekannter deutscher Physikprofessor auf die „Fürth“ kam

„… Familie Hupka verließ Australien zusammen mit vielen weiteren Kriegsgefangenen am 29. Mai 1919 auf dem Truppentransporter „Kursk“, einem ehemaligen russischen Auswandererschiff. Auf dem überbelegten Schiff waren die hygienischen Zustände katastrophal. An den Folgen einer auch aus diesen Gründen an Bord ausgebrochenen Lungenpest verstarb unter anderem auch Dr. Erich Hupka. Er wurde zwei Stunden später in Höhe der südafrikanischen Stadt Durban dem Meer übergeben.“
Zitat aus: Deutsche im Ersten Weltkrieg in Ostasien und Australien von Gerhard Dannemann, 2018, Book on Demand (abgerufen über books.google.fr).

Ehefrau Therese kehrte mit ihrem Sohn Herbert über Rotterdam nach Oberschlesien zurück.

Kursk 1919, at sea

Die „Kursk“ auf See. Das Foto wurde während der Stunde aufgenommen, an denen die Männer einmal täglich ihre Ehefrauen (und Kinder) besuchen konnten. Quelle: Australian War Memorial, HO4145; public domain.

Kursk 1919, Durban, Johann Petersen, Gneisenau

Trauerfeier für den an Bord der „Kursk“ gestorbenen Torpedomatrosen von SMS „Gneisenau“ Johann Petersen in Durban; Quelle: Australian War Memorial, HO4149, public domain.

Petersen (geboren in Kiel am 14.3.1892) wurde auf dem Friedhof in Durban begraben; neben ihm Georg Boysen aus Flensburg. Insgesamt waren an Bord sechzehn Todesopfer zu beklagen.
Siehe dazu auch : https://historischer-kreis.de/erinnerungen-an-die-spanische-grippe-vor-101-jahren/

Kursk, Durban 1919

Während des Aufenthalts der „Kursk“ im Hafen von Durban wurden die deutschen Gefangenen täglich an den Strand „Bluff Beach“ begleitet. Quelle: Australian War Memorial, HO4146, public domain.

„Tras-os-Montes“

Das Schiff “Tras-os-Montes“ ist hier im Blog unter seinem alten Namen „Bülow“ hier im Blog schon einmal kurz erwähnt worden.

Die „Bülow“ war ein Schiff des Norddeutschen Lloyd Bremen, das bei Ausbruch des Krieges in Portugal festgehalten worden war und dann 1916 von Portugal übernommen wurde und den neuen Namen „Tras-os-Montes“ erhielt.

Der von der „Bülow“ abgemusterte Schlachter Max Heigold hatte sich mit dem Schmied Max Benkert Anfang Juli 1914 in Antwerpen an Bord der „Neumünster“ geschlichen. Die beiden blinden Passagiere hatten sich am 5. Juli 1914 bei Kapitän Herrmann gemeldet. SIEHE: Aus dem Logbuch des Schiffes „Neumünster“

Die erste Abfahrt der „Tras-os-Montes“ aus Sydney scheiterte, da kurz danach die Spanische Grippe an Bord ausbrach und das Schiff nach Sydney zurückkehren musste.

Tras os montes, spanish flu, 1919

Nach einem Influenza-Ausbruch musste die „Tras-os-Montes“ nach Sydney zurückkehren, Algemeen Handelsblad, 24. Juni 1919; http://www.delpher.nl

Die „Tras-os-Montes“ verließ Sydney schließlich am 9. Juli 1919. Über Albany und Port Natal (Durban) lief sie nach Rotterdam und schließlich nach London (Tilbury). Die Wachmannschaften verließen dort am 6. September 1919 das Schiff.

“Ypiranga”

Die “Ypiranga” verließ Sydney am 12. August 1919 und erreichte Rotterdam am 10. Oktober mit 943 Deutschen, davon 839 Männer, 60 Frauen und 44 Kinder.

Ypiranga 1919 in Rotterdam

Ankunft der “Ypiranga” in Rotterdam, Nieuwe Rotterdamsche Courant, 10. Okt. 1919; http://www.delpher.nl

Weitere Schiffe

Zum Abschluss dieses Artikels noch einige Meldungen aus der niederländischen Presse über die Ankunft anderer Schiffe mit deutschen Gefangenen in Rotterdam. Es sind dies die „Windhuk“, die „Rio Negro“, die „Valencia“ und die „Rugia“.

Die Abschiebung dauerte bis in den Sommer 1920 an. Laut The Australasian vom 12. Juni 1920 verließen 29 Deutsche mit dem Schiff „Main“ Australien.

Windhuk ship 1919

De Tijd: godsdienstig-staatkundig dagblad, 11.12.1919

Rio Negro 1919

La gazette de Hollande, 27. Okt. 1919

Valencia 1919

Haagsche Courant vom 12. Dez. 1919

SS Rugia 1919

La gazette de Hollande, 12.12.1919

Demnächst im Blog

Rückkehr nach Deutschland

Die Mannschaften der Deutschen Handelsmarine kehrten nach etwa fünf Jahren zu ihren Familien zurück.

Schwieriger war die Lage für diejenigen, die vor dem Krieg in Australien gewohnt hatten und jetzt in ein für sie fremd gewordenes Land zurückgeschickt worden waren.

Deutschland war nicht mehr das Land, das sie verlassen hatten und unter Millionen Vertriebenen und durch die Wirren des Krieges Geflüchteten waren die aus Australien Abgeschobenen eine kleine Minderheit.

Ihre Schicksale sind im Nachkriegsdeutschland untergegangen.

Rotterdam 1904

Im Hafen von Rotterdam (1908)

Die Zufahrt, der Rheinhafen, die Ausstattungen am Kai und viele Gebühren

 

Titelbild: Panorama von Rotterdam aus dem Jahr 1904, Gemälde von E. Hesmert, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Panorama_van_Rotterdam_door_E._Hesmert,_1904.jpg

Zum Bild: Das Stadtzentrum Rotterdams befindet sich am oberen Bildrand über dem Fluss Nieuwe Maas, der von rechts nach links durch das Bild in Richtung Meer fließt. Ganz unten ist das große Becken des Maashaven zu sehen. Schräg rechts darüber ist das Becken des Rheinhafens (Rijnhaven). In diesem befanden sich die Anleger der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft.

Im Jahr 1908

Heute geht es im Blog mit der Zeitmaschine in das Jahr 1908 und zwar in den Hafen von Rotterdam.

Rotterdam wurde von der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) auf der Ausreise nach Australien bedient und zwar auf den Linien 1, 2 und 7.
Zu den Linien siehe:
Die Flotte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft 1914

Auf der Rückreise von Australien war dagegen Amsterdam die regelmäßige Station in den Niederlanden.

Von Rotterdam liefen die Schiffe der DADG dann regelmäßig nach Antwerpen und von dort nach Südafrika oder auch nonstop nach Australien.

Hamburg, Rotterdam, Antwerpen

Vom Warenumschlag her waren die Häfen Hamburg, Rotterdam, Antwerpen Anfang des 20. Jahrhunderts etwa gleichauf, mit leichten Vorteilen für Hamburg. Im Jahr 1907 wurden in Rotterdam und Antwerpen etwa je 10 Millionen Netto-Registertonnen umgeschlagen, in Hamburg 12 Mio. t.

An einsamer Spitze in Europa lag damals London mit gut 17 Mio. t. In der gleichen Liga wie Hamburg, Rotterdam und Antwerpen spielten Liverpool (11,6 Mio. t) und interessanterweise Cardiff (10,6 Mio t). Hier war der Löwenanteil der Tonnage auf den Kohlenexport zurückzuführen.

Zum Vergleich: Im Jahr 2019 war Rotterdam der größte Hafen Europas. Der Warenumschlag wird mit 469,4 Mio. t angegeben.
Quelle: https://www.portofrotterdam.com/

Der Hafen von Rotterdam 1908

In diesem Blogartikel geht um die Zufahrt zum Hafen, um die Hafenanlagen und Hafeneinrichtungen sowie um eine ganze Reihe verschiedener Abgaben.

Der Hafen befand sich damals unter der Regie der Gemeinde Rotterdam (Gemeentelijke Handelsinrichtingen). Für die Hafennutzung mussten die Reedereien, Makler, Speditionen und andere Hafennutzer an die Gemeinde Gebühren und Steuern zahlen.

H.A. van Ysselstein

Zusammengestellt habe ich die Informationen aus einem Buch, welches 1908 erschienen ist und das ich in der Bibliothek der Technischen Universität Krakau gefunden habe.

Der Hafen von Rotterdam, H. A. van Ysselstein, 345 S., 3. Auflage 1908, Rotterdam (Nijgh & Ditmar’s Verlags Anstalt);
Quelle: Biblioteka Politechniki Krakowskiej, https://repozytorium.biblos.pk.edu.pl/;
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

Der Autor H. A. van Ysselstein war „Vice-Direktor des Städtischen Bau-Amtes“ in Rotterdam.

Die Tatsache, dass das Buch auch in deutscher Sprache erschienen ist, erleichtert mir die Arbeit. Zu verdanken ist dieser Umstand einem gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Großereignis, das 1908 in Rotterdam stattfand:

Die Internationalen Handels- und Schiffahrtsfeste zu Rotterdam 1908

Hunderte hochrangige geladene Gäste aus dem In- und Ausland nahmen daran teil und die Rotterdamer haben alles darangesetzt, ihre Stadt im besten Lichte erstrahlen zu lassen. Heute nennt man dies nüchterner Standortmarketing.

Die „Deutsche Wochenzeitung für die Niederlande u. Belgien“ in Amsterdam hat zur Erinnerung an dieses Ereignis eine aufwändige Sonderausgabe erstellt. Ein Exemplar findet sich in der Universitätsbibliothek Leiden und ist online über http://www.delpher.nl abrufbar.
(https://www.delpher.nl/nl/boeken/view?coll=boeken&identifier=MMUBL07:000000542:00001)

Alle Zitate im Text sind aus dem Buch von van Ysselstein und kursiv wiedergegeben. Abweichungen davon sind angegeben.

Das Buch ist noch antiquarisch zu bekommen, online kann man es in Krakau einsehen:
Biblioteka Politechniki Krakowskiej (https://repozytorium.biblos.pk.edu.pl/).

Copyrighthinweis: Die Inhalte unterliegen der Creative Commons Lizenz CC BY 4.0, Attribution 4.0 International (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.

Der Zugang zum Hafen Rotterdam

Namensklärung

Rotterdam ist über einen Rheinarm mit dem Meer verbunden. 1866 bis 1872 wurde ein Schifffahrtskanal gebaut, der Nieuwe Waterweg, um den Zugang der Stadt zum Meer zu verbessern.

Verwirrenderweise heißt der Mündungsarm des Rheines der durch Rotterdam fließt Nieuwe Maas. Der Name kommt daher, dass dieser Rheinarm in einem alten Bett der Maas fließt.

Namensgebend für die Stadt Rotterdam ist der Fluss Rotte. Dieser wird heute im Stadtgebiet unterirdisch durch einen Kanal in die Nieuwe Maas geleitet.

Im Folgenden interessiert uns der Nieuwe Waterweg, über den die Schiffe den Hafen von Rotterdam erreichten.

Nieuwe Waterweg 1907

aus: Der Hafen von Rotterdam, H. A. van Ysselstein, 3. Auflage 1908, Rotterdam (Nijgh & Ditmar’s Verlags Anstalt)

Der Nieuwe Waterweg

Die Einfahrt in den Nieuwe Waterweg erfolgte bei Hoek van Holland (in der Abbildung oben links). Die Distanz zum Hafen in Rotterdam betrug etwa 20 Kilometer. Etwa auf halbem Weg liegt die Stadt Maassluis.

Für das Befahren des Kanals wurden Lotsen an Bord genommen:

Die Seelotsen bringen die Schiffe bis vor Maassluis. Die Flusslotsen oder sogenannten „Binnenloodsen“, übernehmen alsdann ihre Aufgabe und begleiten die Fahrzeuge bis in das Grundgebiet der Gemeinde. Dann treten die Hafenlotsen der Gemeinde auf.

Hier im Blog hatte ich über ein Logbuch des Schiffes „Neumünster“ berichtet, einem Schwesterschiff des Frachtdampfers „Fürth“. In diesem Logbuch ist die Passage durch den Nieuwe Waterweg dokumentiert:

Logbuch Neumünster 1914

aus: Schiffstagebuch der „Neumünster“, Juni bis August 1914, © State Archives of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1

In der untersten Zeile heißt es:

11.45 Lotse v. d. Lumzo (?) an Bord.

Anmerkung: Das Befahren des Nieuwe Waterweg erfolgte in der Nacht vom 28. auf den 29. Juni 1914. Der Logbucheintrag 11.45 Uhr ist „pm“, also 23.45 Uhr. Bei den Namen der Lotsen bin ich nicht sicher, daher die Fragezeichen.

Logbuch Neumünster 1914

aus: Schiffstagebuch der „Neumünster“, Juni bis August 1914, © State Archives of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1

Steuern nach Lotsenweisungen. 1 h 28 am wechseln Lotsen bei Maassluis. Lotse Heiligehr (?) übernahm die Führung. 2 h 40 Hafenlotse Anadde (?) an Bord.
3 h 30 fest am Rheinquai. Ende der Reise.
Quelle: Schiffstagebuch der „Neumünster“, Juni bis August 1914, © State Archives of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1

Hafen Rotterdam 1908

aus: Der Hafen von Rotterdam, H. A. van Ysselstein, 3. Auflage 1908, Rotterdam (Nijgh & Ditmar’s Verlags Anstalt)

Der Rijnhaven und die Fa. Wambersie & Zoon

Der Rijnhaven ist ein großes Hafenbecken und liegt am linken Maas-Ufer. Hier hatten die Makler der DADG Lagerschuppen von der Gemeinde Rotterdam angemietet.

Den Makler Wambersie & Zoon hatte ich bereits im Blog vorgestellt.
SIEHE: Ein Revisionsbericht von Lloyds aus dem Jahr 1912

Emanuel Wambersie

Emanuel Wambersie, Gründer des Schiffmaklers Wambersie. Das Unternehmen hatte im Lauf seines Bestehens unterschiedliche Teilhaber und Namen.

Zu ergänzen ist, dass es mit dem Unternehmen Phs. van Ommeren noch einen zweiten Makler der DADG in Rotterdam gab, der allerdings nur die ausgehende Fracht nach Niederländisch-Indien betreute. Dies bezog sich lediglich auf die Linie 5 der DADG, die von Hamburg über den Suezkanal direkt dorthin lief.

In Amsterdam war der Makler für eingehende Fracht die Fa. Wm. H. Müller & Co. Dieses Unternehmen hatte ebenfalls im Rijnhaven einen Schuppen, war aber in Rotterdam nicht für die DADG tätig.

Der Schuppen von Wambersie & Zoon lag an der Südseite des Rheinhafens, die beiden Makler Phs. van Ommeren und Wm. H. Müller & Co. hatten Lagerschuppen an der Nordseite des Rheinhafens (siehe Beschriftungen in der Abbildung unten).

Rheinhafen Rotterdam 1908

aus: Der Hafen von Rotterdam, H. A. van Ysselstein, 3. Auflage 1908, Rotterdam (Nijgh & Ditmar’s Verlags Anstalt)

Rijnhaven

van Ysselstein gibt uns eine Beschreibung des Hafenbeckens:

Der „Rynhaven“, tief 8.5 M. unter R. P., der eine Oberfläche von 30 Hektar hat. Der Eingang ist 140 M. breit und die grösste Breite am Ende beträgt 450 M.
In der Mitte des Hafens stehen 19 Anlegepfähle, an denen 15 grosse Seeschiffe Platz finden können. Ebenso wie an den Bojen im Flusse, können diese dann an beiden Seiten in Rheinschiffe überladen. Wenn der jetzt in Anbau begriffene Teil der Kaimauer längs der Südseite vollendet ist, wird der „Rijnhaven“ ganz mit Kaimauern in einer Gesamtlänge von 2 Km. umgeben sein.

Anmerkung: R. P. steht für Rottepegel, der in Rotterdam in Abweichung vom sonst in den Niederlanden gebräuchlichen Amsterdamer Pegel (N. A. P. = Normaal Amsterdams Peil) verwendet wurde. Der Rottepegel liegt 0.603 M. unter N. A. P. (Angabe von van Ysselstein 1908).

Rheinhafen Rotterdam

aus: Der Hafen von Rotterdam, H. A. van Ysselstein, 3. Auflage 1908, Rotterdam (Nijgh & Ditmar’s Verlags Anstalt)

Die Lagerschuppen

Zu den Lagerschuppen gibt es ebenfalls eine Beschreibung und sogar eine Zeichnung.

Längs der Nord- und der Südseite des „Rijnhaven“ sind von der Gemeinde Schuppen gebaut, die an die Firmen Wm. H. Müller & Co. und Wambersie & Zoon vermietet sind. Diese sind gänzlich von den Firmen gestellten Anforderungen gemäss, gebaut worden.
Sie haben eine innere Breite von 24 M. und Perrons in einer Breite von 3 und 1 M. Sie bestehen aus einer Eisenkonstruktion, mit steinernen Mauern an den Enden, und erforderten eine Ausgabe von ca. f 35.- per Quadratmeter.

Die Größe des an Wambersie & Zoon vermieteten Schuppens ist mit 3.680 m2 angegeben.

Die Zeichnung zeigt einen Schnitt durch diesen Schuppen und den Kai.

Lagerschuppen Rotterdam

aus: Der Hafen von Rotterdam, H. A. van Ysselstein, 3. Auflage 1908, Rotterdam (Nijgh & Ditmar’s Verlags Anstalt)

Für die Verladung standen an der Südseite des Rheinhafens vier Hafenkräne zur Verfügung.

Längs der Südseite des „Rijnhaven“ befinden sich drei transportable elektrische Krahne mit einer Hebekraft von 1.500 bis 2.250 Ko. und ein bewegbarer elektrischer Krahn mit einer Hebekraft von 2.500 Ko.

Für Schwerlasten waren im Rotterdamer Hafen 1908 Dampfkräne mit einem Hebevermögen bis zu 60.000 Kg verfügbar.

Kohlenkipper

Rotterdam lag sehr günstig für die Anlieferung von Kohlen, zum Beispiel aus dem Ruhrrevier über Schiff und Schiene. Das Bunkern dürfte hier billiger gewesen sein, als im Heimathafen Hamburg, denn auch die englischen Kohlenhändler versorgten den Hafen von Rotterdam:

Holland profitiert von der Konkurrenz der englischen und deutschen Steinkohlenhändler.

Auch das Schiff „Neumünster“ der DADG hat im Sommer 1914 in Rotterdam gebunkert. Am 29. und 30. Juni 1914 nahm es 1400 Tonnen Kohlen auf, bevor es nach Australien aufgebrochen ist.

Im Fall der „Neumünster“ gehe ich davon aus, dass die Kohlen über Leichter an Bord kamen, da das Bunkern parallel zum Laden erfolgte.

Der Hafen verfügte im Jahr 1908 aber auch über drei Kohlenkipper, deren interessante Technik ich hier kurz vorstelle.

Bei diesen drei Kohlenkippern handelte es sich um zwei hydraulische und einen elektrischen Kipper. Der jüngste und größte unter ihnen war der elektrische Kipper (s. Abb.) mit einem Hebevermögen von 28000 KG und einer Hebehöhe von 12,5 Metern.

Kohlenkipper Rotterdam 1908

aus: Der Hafen von Rotterdam, H. A. van Ysselstein, 3. Auflage 1908, Rotterdam (Nijgh & Ditmar’s Verlags Anstalt)

Zur Funktionsweise:

Die Kräne verfügten über einen Gleisanschluss. Über eine Drehscheibe wurden die einzelnen mit Kohle beladenen Waggons zum Kipper gezogen. Dort wurden sie auf einer Plattform eingehakt und nach oben befördert, wo die Plattform geneigt wurde. Der Waggon schüttete daraufhin seinen Inhalt in eine große Rinne/Rutsche.

Bei dem zweiten und dritten Kipper hat die Rinne eine Länge von nicht weniger als 7.30 M. und eine Breite an der unteren Seite von 1.8 M.

Auf dem Bild des Kohlenkippers No. II am Binnenhaven sieht man gut, wie der auf der Plattform geneigte Waggon seinen Inhalt in die Kohlenrutsche entleert.

Kohlenkipper II Binnenhaven Rotterdam

aus: Der Hafen von Rotterdam, H. A. van Ysselstein, 3. Auflage 1908, Rotterdam (Nijgh & Ditmar’s Verlags Anstalt)

Waren die Waggons entleert, kamen sie nach unten und über die Drehscheibe auf ein geneigtes Auslaufgleis

… bis sie auf dem horizontalen Teile des Geleises gegen einander stossen und da einen Zug bilden, der entweder von Lokomotiven oder von Pferden gezogen werden kann.

Ein Kipper konnte bis zu 20 Entladevorgänge pro Stunde durchführen, in der Regel wurden jedoch nur zehn erreicht, da die Kohlen nach einem Schüttvorgang im Schiffsraum getrimmt (verteilt) werden mussten.

Die Kohlenkipper gehörten der Gemeinde Rotterdam und ihre Benutzung war kostenpflichtig:

Für den Gebrauch der Kohlen-Kippen muss f 0.10 per 1000 Ko. während des Tages, und f 0.15 während der Nacht bezahlt werden.

Die großen Antriebsmotoren des elektrischen Krans waren in einem Maschinenhaus untergebracht (linke Zeichnung).

Kohlenkipper Rotterdam

aus: Der Hafen von Rotterdam, H. A. van Ysselstein, 3. Auflage 1908, Rotterdam (Nijgh & Ditmar’s Verlags Anstalt)

Lotsengeld, Seehafengeld, Kaigeld und andere Abgaben

Die Gebühren für den Kohlenkipper bringen uns zum Thema Abgaben und Steuern.

Die Benutzung des Hafens und seiner Serviceeinrichtungen unterlag einer festen Gebührenordnung, die von der Gemeinde Rotterdam als Betreiber des Hafens eingefordert wurden.

Hinzu kamen Kosten für private Dienstleistungen, wie zum Beispiel Schiffsassistenz (Schleppdienste).

Anmerkung: van Ysselstein beschreibt und beziffert die Gebührenordnung der Gemeinde. Die DADG und Wambersie & Zoon hatten sicher versucht, mit der Gemeinde Rotterdam Sonderkonditionen zu verhandeln, da die Schiffe der DADG mit den Hauptlinien 1 und 2 Rotterdam regelmäßig anliefen. Die reellen Kosten für Reederei und Makler dürften daher unter den offiziellen Tarifen gelegen haben.

Wambersie & Zoon Rotterdam, advertisement

Anzeige von Wambersie & Zoon, Rotterdam, Nieuwe Rotterdamsche Courant, 30.10.1910

Lotsengeld

Für den Zugang vom Meer zum Hafen waren drei Lotsen notwendig (siehe oben). Deren Dienste waren tariflich gestaffelt.

Es gab verschiedene Tarife für die Fahrt vom Meer nach Rotterdam bzw. umgekehrt. Die Fahrt von Rotterdam zum Meer war günstiger. Zudem waren die Lotsengelder in Sommer- und Wintertarife unterteilt, wobei die Wintertarife verständlicherweise höher lagen.

Nieuwe Waterweg Lotsengeld 1908

aus: Der Hafen von Rotterdam, H. A. van Ysselstein, 3. Auflage 1908, Rotterdam (Nijgh & Ditmar’s Verlags Anstalt)

Anmerkung: Die Tarifangaben in der Tabelle sind nur auszugsweise wiedergegeben sind. Eigentlich waren die Tarife sehr viel detaillierter nach Dezimeter Tiefgang gestaffelt. Aber wir erhalten zumindest einen Anhaltspunkt.

Lotsengeld für das Schiff „Neumünster“ im Juni 1914

Für die oben erwähnte Fahrt der „Neumünster“ ergäbe dies nach den Angaben im Logbuch die folgende Gebühr:

Der größte Tiefgang des Schiffes betrug bei der Ankunft in Rotterdam am 29. Juni 1914 hinten 16“10‘, das entspricht 5,13 m. Laut Tabelle ergibt das ein Lotsengeld in Höhe von f 196,60 (Tiefgang 6 Meter und weniger für Dampfschiff im Sommer).

Der Wechselkurs des Niederländischer Gulden lag bei etwa 1,69 M. f 196,60 waren also 332,25 Mark.

Bei der Abfahrt der „Neumünster“ betrug der größte Tiefgang 21“10“ = 6,65 m, denn das Schiff hatte Kohlen gebunkert und zwei Tage Fracht geladen.

Der Tarif bei Ausfahrt der Schiffe von Massluis nach dem Meere betrug bei einem Tiefgang von über 6 Metern f 210,- (354,90 Mark).

Hafenlotse

Der Hafenlotse war ebenfalls kostenpflichtig, allerdings deutlich günstiger.

Kommt das Schiff in Rotterdam an, so wird es von den Hafenlotsen nach seinem Platze gebracht.

Der Tarif für einfahrende Schiffe über 1000 Tonnen netto lag bei f 4.- und derjenige für ausfahrende Schiffe bei f 2.50.

Nachts wurde ein Zuschlag erhoben und die Fahrtkosten für den Lotsen kamen ebenfalls dazu:

Für Dienste während der Nacht wird das Lotsengeld um f 1.50 erhöht für mehr als eine halbe Nacht, und um f 0.75 für die halbe Nacht oder weniger.
Die Kosten für das Abholen und die Rückkehr das Lotsen kommen zu Lasten desjenigen, der den Lotsen bestellt.

Seehafengeld

Sobald das Schiff Gebrauch macht „von den Häfen, Kais, Pfählen, oder einer dieser zunutzen der Schiffahrt gemachten Gemeindeanlagen wird Steuer erhoben, …
Auf Grund dieser Verordnung wird das Seehafengeld erhoben nach der Brutto-Inhaltsgröße der Fahrzeuge, sowie diese im Reichsmessbrief angenommen wird.

Im Fall des Dampfschiffes „Neumünster“ waren das 4224 Brutto-Registertonnen.

Das Seehafengeld lag für Dampfschiffe über 1000 Kubikmeter bei f 0,03 pro Kubikmeter, für die „Neumünster“ also knapp f 127,- (215,- Mark). Für diesen Betrag durfte das Schiff maximal drei Monate im Hafen bleiben.

Die Einkassirung des Seehafengeldes geschieht durch den Reichs-Einnehmer der Eingangszölle, der diese Gemeinde-Funktion mit Zustimmung der Regierung wahrnimmt.

Mit der Seehafensteuer war es jedoch noch nicht getan.

Anzeige_Wambersie_02021913_nieuwe rotterdamsche courant

Anzeige von Wambersie und Sohn, dem Makler der DADG in Rotterdam, in der Zeitung Nieuwe Rotterdamsch Courant vom 2. Februar 1913

Kaigeld

Für die Fahrzeuge, die regelmässig von ein und demselben Kai Gebrauch zu machen wünschen, wird Kaigeld erhoben, …

Das Kaigeld musste jährlich entrichtet werden und bemaß sich nach der benötigten Kaitiefe und nach der Länge des Fahrzeuges.

Bei einer verlangten Kaitiefe von 8 Metern und mehr waren pro Meter f 40,- Steuer fällig.

Der Kai im Rijnhaven hatte eine Tiefe von 8,5 Metern und das längste Schiff der DADG im Jahr 1908 eine Länge von rund 124 Metern.

Das jährliche Kaigeld belief sich demnach für die DADG auf etwa f 4960,- (rund 8.380 Mark).

Weitere Abgaben

Nutzung öffentlichen Raumes

Eine weitere Gemeinde-Abgabe bezog sich auf den Gebrauch öffentlichen Raumes:

Steuern für den Gebrauch von öffentlichen Gemeinde-Grundstücken oder öffentlichen Gemeinde-Gewässern oder für, mit Bezug darauf, von der Gemeinde bewiesene Dienste

In den Häfen waren dies Tarife für den Gebrauch von Kais und öffentlichen Gewässern.

Die Erhebung für die Einnahme der öffentlichen Kais findet statt wie folgt:
a. für gelöschte oder zur Einladung angebrachte Waren, während längerer Zeit als 3 Tagen, per Quadratmeter, per Woche oder kürzere Zeit f 0,05

Nachdem der Lagenschuppen am Rijnhaven ganzjährig an die Fa. Wambersie & Zoon vermietet war, nehme ich an, dass diese Gebühr in die Mietkosten für den Schuppen umgelegt wurde.

Das gleiche könnte für die Krangebühren gegolten haben:

Krangebühren

Die Benutzung der Kräne unterlag dem Tarif und den Bedingungen

für den Gebrauch von Lagerraum und Maschinen unter Verwaltung der städtischen Handels-Anlagen

Für die Kräne im Rheinhafen galten folgende Tarife:

Für den Gebrauch der transportablen Krahne (Dampf-, hydraulische- oder elektrische Kraft) mit einem Hebevermögen von 1500 Ko. wird eine Vergütung verlangt von f 10.- per Tag und f 6.- für den halben Tag.
Für den Gebrauch der elektrischen Krahne mit einem Hebevermögen von 2500 Ko. wird verlangt f 0.02¾ per 100 „Watt“-Stunden, laut Anweisung des Elektrizitätsmessers, jedoch mit der Bestimmung, dass nie weniger als f 10.- vergütet wird.

Rheinhafen Rotterdam 1900

Rijnhaven Rotterdam, zwischen 1890-1900, Photochromdruck, Quelle: Library of Congress Prints and Photographs Division Washington, D.C. 20540 USA; http://hdl.loc.gov/loc.pnp/ppmsc.05849

Gas und Strom

Die älteren Kais am rechten Maas-Ufer wurden noch mit Gas beleuchtet. Dazu heißt es bei van Ysselstein:

Dies wird geliefert für f 0.07 per Kubikmeter. Mann kann jedoch auch Lichter in Abonnement brennen lassen, falls diese stets sichtbar und zugänglich sind von der Verkehrsstrasse aus. Wenn diese ebenso lange brennen wie die öffentlichen Straßenlaternen, so bezahlt man f 0.02 per Stunde; für die Lichter, die stets bis Mitternacht brennen, wird f 0.03 per Stunde vergütet. Die Kosten des Anzündens, Auslöschens und Reinhaltens sind in diesen Preisen inbegriffen.

Im Rijnhaven auf der linken Flussseite war die Beleuchtung bereits elektrisch. Der Strom konnte über ein Jahresabonnement bezogen werden.

Bei einem Jahres-Abonnement wird per angeschlossene 100 Volt-Ampère-Stunde f 27.- per Jahr für Erleuchtung, und f 12.- für Betriebskraft berechnet. Gemäss dieses Abonnements kann per Jahr 12.000 Volt-Ampère-Stunden gebraucht werden. Wird mehr verbraucht, so wird dies berechnet zu f 0,08 per 100 Volt-Ampère-Stunde.

 

Wasser

Die Wasserversorgung erfolgt ebenfalls über die Gemeinde. Davon ausgeschlossen war die Versorgung von Schiffen.

Die Seeschiffe werden von Privatleuten mit Trinkwasser versehen mittelst Dampfer, die Reservoirs mit Trinkwasser an Bord haben und dies in die Wasserbehälter der grossen Schiffe überpumpen. Hierfür wird f 1.- pro Kubikmeter berechnet. Für diesen Preis wird das Wasser frei an Bord gebracht.

Sonstiges

Es existierten weitere Abgaben im Rotterdamer Hafen wie zum Beispiel das Brückengeld.

Im Hafengebiet gab es zahlreiche Brücken, die für die Durchfahrt von Schiffen geöffnet werden mussten. Einige davon waren gebührenfrei, bei anderen musste für die notwendige Öffnung der Brücke bei der Durchfahrt bezahlt werden.

Ebenfalls kostenpflichtig waren die Benutzung von Schleusen, der Gebrauch von Gemeinde-Schwimmdocks, die Ausstellung von Erlaubnisscheinen oder die Abstellung von Wachpersonal.

Schleppdienste

In Teilen des Hafens unterhielt die Gemeinde Rotterdam auch Schleppdienste. Überwiegend waren diese jedoch in privater Hand.

Bei der Abfahrt aus Rotterdam nahm die „Neumünster“ im Juni 1914 die Dienste zweier Schlepper an: „Mars“ und „Leonhardt“.

Insgesamt waren im Rotterdamer Hafen 1908 über 350 Schlepper im Einsatz:

Nicht weniger als 351 Schleppschiffe sind hier domiziliert, 11 weitere gehören zwar nicht hier, finden aber immer im Hafen Beschäftigung.

Auch im Winter war das Schleppen Routine:

Viele der hier stationierten Schleppschiffe, werden im Winter mit Eisbrechern versehen und verrichten dann in der Weise gute Dienste, dass sie den Fluss und die Häfen offen halten, oder dass sie die Schiffe quer durch die Eismassen hin- und herschleppen.

Nieuwe Maas Rotterdam

aus: Der Hafen von Rotterdam, H. A. van Ysselstein, 3. Auflage 1908, Rotterdam (Nijgh & Ditmar’s Verlags Anstalt)

Unter den Firmen, die 1908 Schleppschiffe unterhielten, war auch

die Firma L. Smit & Co. mit 29 Schleppschiffen

Falls Ihnen dieser Name bekannt vorkommt: Das Unternehmen Smit ist heute eines der führenden Unternehmen für Schlepp- und Bergungsdienste weltweit. 2012 war es an der Bergung der Costa Concordia vor der Insel Giglio beteiligt.

Lloyd's Register, Rotterdam, Neumünster

Ein Revisionsbericht von Lloyds aus dem Jahr 1912

… und Korrespondenz von Lloyd’s Register über das Dampfschiff „Iserlohn“

This is to certify….

Die bekannte Schiffs-Klassifikationsgesellschaft Lloyd’s Register hatte ich bereits vorgestellt und einen Registereintrag des Dampfschiffes „Fürth“ aus dem Jahr 1909-10 präsentiert.

SIEHE: Die „Fürth“ in Lloyd’s Register

Die nach der Indienststellung der Schiffe vergebene Klassifikation wurde regelmäßig von technischen Sachverständigen („Surveyors“) überprüft, die ihre Ergebnisse anschließend nach London mitteilten, damit der Eintrag des jeweiligen Schiffes in den jährlich erscheinenden Ausgaben des Registers wieder auf den neuesten Stand gebracht werden konnte.

Für den Fall der „Fürth“ war es so, dass das erste Audit des im August 1907 in Betrieb genommenen Schiffes bereits im Januar 1909 erfolgte.

Der hier vorgestellte Prüfbericht ist vom Januar 1912 für das Schiff „Neumünster“, einem Schwesterschiff der „Fürth“. SIEHE: Schwesterschiffe der „Fürth“: Die „Neumünster“

Die Überprüfung der „Neumünster“ war im Rheinhafen in Rotterdam vorgenommen worden.

Laut dem technischen Sachverständigen von Lloyd’s Register, A. Schouwenaar, mussten vorläufige Reparaturen in Rotterdam vorgenommen werden. Zusätzlich wurde die Auflage erteilt, nach der Rückkehr in den Heimathafen Hamburg weitere, dauerhafte Reparaturen vornehmen zu lassen.

Rheinhafen Rotterdam 1900

Rijnhaven Rotterdam, zwischen 1890-1900, Photochromdruck, Quelle: Library of Congress Prints and Photographs Division Washington, D.C. 20540 USA; http://hdl.loc.gov/loc.pnp/ppmsc.05849

Lloyd’s Register of British & Foreign Shipping.
Head Office : 71, Fenchurch Street, London, E. C.

Port of Rotterdam
4th Jan. 1912.

This is to certify that I have
Surveyed the German S.S. “Neumunster” of Hamburg,
on the 3rd & 4th Jan 1912, whilst she was lying
afloat in the “Rijnhaven” at this port

and that I have transmitted to the Committee of Lloyd’s
Register of British and Foreign Shipping, London, a Report
stating that all temporary repairs recommended by me have been completed
to my satisfaction, and that I have Recommended that she
be continued as now clasfed, subject to per-
manent repairs be carried out upon return of
the present voyage at Hamburg,
being fit to carry dry & perishable cargoes.

A. Schouwenaar.
Surveyor to Lloyd’s Register.

Im Kleingedruckten der Fußzeile heißt es weiter:

This Certificate is issued upon the terms of Rules and Regulations of the Society, which provide that: – “While the Committee use their best endeavors to ensure that the functions of the Society are properly executed, it is to be understood that neither the Committee nor the Society are under any circumstances whatever to be held responsible for any inaccuracy in any report or certificate issued by the Society or its Surveyors, or in any entry in the Register Book or other publication of the Society, or for any error of judgment, default, or negligence of the Surveyors, or other Officers or Agents of the Society.”

Lloyd's Register, Rotterdam, 1912

Revisionsbericht von Lloyd’s Register für das Schiff „Neumünster“, © mit freundlicher Genehmigung des State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.15

Der Prüfbericht befindet sich in einem Umschlag, der von dem Lloyd‘s Büro in Rotterdam an die Fa. Wambersie & Zoon adressiert war.

Wambersie & Zoon war der Makler der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft in den Niederlanden mit Büros in Rotterdam und Amsterdam.

Lloyd's Register of Shipping 1912

Umschlag Revisionsbericht, Schiff „Neumünster“, © mit freundlicher Genehmigung des State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.15

Wambersie & Zoon

Der Schiffsmakler Wambersie & Zoon geht zurück auf das Jahr 1820, als die Firma von Emanuel Wambersie gegründet wurde. Wambersie war aus den USA zurück nach Rotterdam gekommen und war dort auch amerikanischer Konsul. Sein Sohn Johan, geboren 1806 in Savannah (USA) übernahm später Unternehmen und Amt des Konsuls.

Eine sehr ausführliche Quelle über die Anfänge des Unternehmens finden Sie hier: EMANUEL EN JOHN WAMBERSIE, CONSULS EN CARGADOORS TE ROTTERDAM; http://rjb.x-cago.com/GARJB/1976/12/19761231/GARJB-19761231-0278/story.pdf (in niederländischer Sprache).

Emanuel Wambersie

Emanuel Wambersie, Gründer des Schiffmaklers Wambersie. Das Unternehmen hatte im Lauf seines Bestehens unterschiedliche Teilhaber und Namen.

Wambersie & Zoon wurde im 19. Jahrhundert die führende niederländische Agentur für die Emigration nach den USA.

Ein Teilhaber bei Wambersie & Zoon war Antoine Plate (1845-1927), niederländischer Schifffahrtsunternehmer und Politiker, der zu den Gründern der Nederlandsch-Amerikaansche Stoomvaart Maatschappij gehörte, im Ausland besser bekannt als Holland-America Line (HAL). Makler der Gesellschaft natürlich: Wambersie & Zoon.

Als einer der führenden Schiffsmakler der Niederlanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts, war Wambersie & Zoon Agent zahlreicher deutscher Reedereien: HAPAG, Dampfschifffahrtsgesellschaft „Neptun“, Oldenburg-Portugiesische Dampfschiff-Rhederei, Dampfschifffahrtsgesellschaft „Argo“, die Linie Hamburg-Rotterdam (A. Kirsten) und andere mehr.

Weniger erfolgreich war die 1914 von Wambersie & Zoon gegründete Algemeene Stoomvart Maatschappij für den Transport von Bananen nach Rotterdam. Auch nach einem Neustart nach dem Ersten Weltkrieg im Jahr 1921 mit drei neuen Schiffen wurde die Reederei bereits 1924 liquidiert und die Schiffe wieder verkauft.
(Quelle: theshipslist.com)

Firmensitz von Wambersie & Zoon war in der Calandstraat 5 in Rotterdam. Dort wurde in drei Phasen (1908, 1911 und 1930) ein repräsentatives Firmen- und Wohngebäude errichte, dass heute noch als Baudenkmal erhalten ist (https://www.monumenten.nl/monument/513902)

Logo der Fa. Wambersie & Zoon, ca. 1910

Logo der Fa. Wambersie & Zoon, ca. 1910

Die Klassifizierung des Dampfschiffes „Iserlohn“

Zum Thema des Revisionsberichtes von Lloyds passen zwei Briefe, die in der Lloyd’s Register Foundation in London erhalten sind und in Zusammenhang mit der Klassifizierung des Dampfschiffes „Iserlohn“ stehen.

Die Dokumente sind exemplarisch, es könnte sich auch um jedes andere Dampfschiff der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) handeln.

Der Frachtdampfer „Iserlohn“

Die „Iserlohn“ wurde auf der Reiherstieg-Werft in Hamburg gebaut (Bau-Nr. 426) und am 25. September 1909 in Dienst gestellt. Sie war etwas größer, als die „Fürth“ (4667 Bruttoregistertonnen („Fürth“ 4229 BRT) bei einer Ladekapazität von 7650 Tonnen („Fürth“ 7010 Tonnen).

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges lag die „Iserlohn“ wie viele andere Schiffe der DADG in Niederländisch-Indien (siehe: Die heimlichen Helfer der Kaiserlichen Marine).

Anmerkung: Nach der Stadt Iserlohn wurde 1922 erneut ein Schiff der DADG benannt. Die „Iserlohn“ (II) war ein Schiff der Krupp-Germaniawerft in Kiel (Bau-Nr. 362).

Alle Angaben nach R. Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven 1984.

Empfehlung der Klassifizierung 100A1

Das Schreiben vom 25. September 1909 ist eine Meldung nach London, dass die „Iserlohn“ die Klassifizerung 100A1 erhalten könne.

Erstellt hat es der Sachverständige der Klassifizierungsgesellschaft Lloyd’s Register in Hamburg, George Dykes.

Die Klasse 100A1, die beste Kategorie in Lloyd’s Register war etwas ganz Normales für ein neues Schiff dieser Größe im Überseeverkehr.

Das Tatzenkreuz vor der Angabe weist darauf hin, dass der Bau des Schiffes in der Werft unter besonderer Aufsicht durch die Klassifizierungsgesellschaft Lloyd’s erfolgte (special survey). Nachdem es mit keiner Schreibmaschinentaste wiedergegeben werden konnte, hat es George Dykes im Brief handschriftlich ergänzt.

Klassifikation 100A1 in Lloyd's Register

Klassifikation 100A1 in Lloyd’s Register

Lloyd's Register, Klassifikation, Iserlohn 1909

Brief von George Dykes zur Klassifikation der “Iserlohn” vom 25. September 1909, Archiv und Bibliothek des Heritage & Education Centre; © Lloyd’s Register Foundation 2018. Alle Rechte vorbehalten. Referenzcode: LRF-PUN-W31-0122-L

Lloyd’s Register hatte in Deutschland neben George Dykes weitere, eigene Sachverständige (Surveyors):

„In Deutschland befinden sich, außer einer Anzahl binnenländischer Surveyors für Materialprüfungen, 4 Experten an der Küste, in Hamburg (für Elbe, Schlewig-Holstein, Mecklenburg), Stettin (fûr Pommern), Danzig (für Preußen) und Bremerhaven (für Bremen, Hannover außer Elbegebiet, Oldenburg). Jeder dieser Surveyors an der Küste steht in direktem Verkehr mit dem Londoner Zentralbureau, und sendet diesem alle Nachrichten über Veränderungen am Schiffsbestand fortlaufend zu. In zahlreichen Fällen läßt das Zentralbureau dann wieder Rückfragen ergehen, die an die Surveyors und Agenten, oder direkt an die Reeder gerichtet werden.“
Quelle: Die Grundlagen der Schiffahrtsstatistik, W. Vogel, 1911, Veröffentlichungen des Instituts für Meereskunde an der Universität Berlin; http://www.digitalis.uni-koeln.de/Vogelw/vogelw72-80.pdf

Flexible Trossen

Das zweite Schreiben vom 7. Oktober 1909 ist offensichtlich eine Antwort, die George Dykes auf eine Rückfrage zur Klassifizierung an den Unternehmenssitz nach London geschickt hat.

Diesmal ist nicht nur ein Durchschlag, sondern der Originalbrief erhalten, so dass wir daraus die Firmenadresse von Lloyd’s Register in Hamburg erfahren: Steinhöft 3. Das war in unmittelbarer Nähe der Kontorhäuser Elbhof und Slomannhaus und einen Steinwurf vom Kaispeicher A mit dem Hamburger Zeitball (siehe dazu den Artikel: Tagebuch der „Fürth“ (3) – Bunkern und Laden im Hamburger Hafen).

George Dykes bestätigt in dem Schreiben, dass es sich bei den Trossen der „Iserlohn“ um Trossen aus flexiblem Stahldraht handelt. Dieser Punkt war wohl unklar geblieben.

Lloyd's Register, Klassifikation, Iserlohn, 1909

Brief von George Dykes von Lloyd’s Register Büro in Hamburg über die Beschaffenheit des Stahldrahtes der « Iserlohn », 7. Oktober 1909, Archiv und Bibliothek des Heritage & Education Centre; © Lloyd’s Register Foundation 2018. Alle Rechte vorbehalten; Referenzcode: LRF-PUN-W31-0120-L

Logbuch Neumünster 1914, log book

Aus dem Logbuch des Schiffes „Neumünster“

Juni bis August 1914

Bildnachweis Titel: Schiffstagebuch der „Neumünster“, Juni bis August 1914,
© State Archives of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1

Eine große Fülle an Logbüchern

Logbücher, auch Schiffstagebücher genannt, geben einen detaillierten Einblick in den Reiseablauf eines Schiffes.

Die Kapitäne und ersten Offiziere der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) haben über die Jahre Hunderte solcher Logbücher erstellt.

Allein die „Fürth“ hatte zwischen 1907 und 1914 fünfzehn Fahrten, also wurden darüber fünfzehn Logbücher verfasst.

Im Jahr 1913 hatte die DADG rund 50 Schiffe und eine Reise nach Australien und/oder Niederländisch-Indien dauerte etwa fünf Monate, so dass nur für das Jahr 1913 über einhundert Logbücher geschrieben werden mussten.

Anders gerechnet: Die Reederei hatte von 1889 bis 1914 etwa 70 Schiffe in Fahrt. Nehmen wir an, jedes dieser Schiffe hätte im Durchschnitt etwa fünfzehn Logbücher generiert, so müsste sich – konservativ gerechnet – auf jeden Fall eine Zahl im „hohen dreistelligen Bereich“ ergeben (ohne die Aktivitäten der Reederei nach dem Ersten Weltkrieg).

Die große Frage ist, wie viele davon heute noch in Archiven erhalten sind. Bislang kenne ich deren zwei und ich glaube heute (Juni 2020), dass die Zahl erhaltener Logbücher auch nicht über eine einstellige Zahl hinausgeht, wenn es nicht sogar bei den zwei Exemplaren bleibt.

Ein Logbuch der „Fürth“ hatte ich im Merseyside Museum in Liverpool aufgespürt und ausführlich hier im Blog in achtzehn Artikeln darüber berichtet.

Siehe: Das Schiffstagebuch der „Fürth“ – eine Einleitung bis Logbuch der „Fürth“ (18) – Ein plötzliches Ende der Reise

Die „Neumünster“

Ein zweites Schiffstagebuch eines Schiffes der DADG aus dem Jahr 1914, das heute noch existiert, befindet sich im Nationalarchiv in Perth (Australien). Es ist das Tagebuch der „Neumünster“ für eine Fahrt von Hamburg nach Fremantle im Sommer 1914.

Zum Schiff „Neumünster“ siehe: Schwesterschiffe der „Fürth“: Die „Neumünster“

Dieses Logbuch der „Neumünster“ beschreibt einen sehr ähnlichen Reiseverlauf, wie ich das für die Reise der „Fürth“ sehr ausführlich beschrieben habe, nämlich von Hamburg nach Australien. Dieser Artikel beschränkt sich daher auf Besonderheiten, die aus dem Tagebuch der „Fürth“ nicht hervorgegangen sind oder die ich für berichtenswert halte.

Eine Einführung in das Thema Schiffstagebuch finden Sie hier: Das Schiffstagebuch der „Fürth“ – eine Einleitung

Als Ergänzung dieses Artikels verweise ich auf den Blogbeitrag Die Musterrolle (Originaldokument aus den Jahren 1913/1914). Aus diesem Dokument geht beispielsweise hervor, dass es die vierzehnte Fahrt des Schiffes „Neumünster“ war, wer an Bord war, was die Mannschaftsmitglieder verdient und welches Proviant sie erhalten haben. Siehe dazu auch den Beitrag: Bordverpflegung nach Musterrolle.

Das Logbuch der „Neumünster“ hat einen Schutzeinband aus Leinen, der auf der Außenseite lediglich mit vier Buchstaben gekennzeichnet ist: R.P.M.B., das ist das Unterscheidungssignal der „Neumünster“.  Siehe dazu den Beitrag: Das Unterscheidungssignal der „Fürth“

Neumünster in Norwegen

Das Schiff „Neumünster“ in Norwegen, © Reinhart Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, 1984.

Beginn der Reise in Hamburg

Das Logbuch beginnt am 20. Juni 1914.

An diesem Tag wird das Schiff zur Reiherstieg-Werft im Hamburger Hafen verholt, wo es gereinigt wird und einen neuen Antifouling-Anstrich erhält. Zum Thema Antifouling siehe: Tagebuch (2) : Die „Fürth“ im Trockendock

Am Morgen des 22. Juni läuft die „Neumünster“ mit Schlepper-Assistenz in den India-Hafen und das Beladen kann beginnen.

Zunächst liegt die „Neumünster“ an Pfählen (Dalben) im Hafenbecken, erst am Donnerstag früh (25. Juni) erhält sie einen Platz am Australia-Kai und wird mit Hilfe von zwei Schleppern dorthin verholt.

Die Anmusterung der Mannschaft erfolgte dann am Freitag, den 26. Juni; die überholten Chronometer kamen an Bord zurück, am Samstag schließlich auch die Kompasse und das Barometer.

Die Reise der „Neumünster“ beginnt am 27. Juni 1914. Kapitän war Carl Herrmann und erster Offizier an Bord Johannes Kiesow. Das Führen des Logbuchs überließ der Kapitän seinem ersten Offizier, nur wenige Einträge stammen von ihm selbst. Das lässt sich leicht daran erkennen, dass die Einträge Herrmanns in Kurrentschrift erfolgten, der Offizier Kiesow dagegen schrieb sie in lateinischer Schrift.

An Bord fehlt bei der Abreise einer der angemusterten Männer:

Czech, Neumünster 1914

Schiffstagebuch der „Neumünster“, Juni bis August 1914, © State Archives of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1

„Bei Abgang von Hamburg befand sich der Matrose Czech nicht an Bord. Es wird Strafantrag gemäß der Seemannsordnung gestellt.“ C. Herrmann, Kapt.

Wir erfahren, dass für die Regulierung des Kompasses auf der Elbe eigens ein „Kompassregulierer“ an Bord war.

  1. Juni 1914, 2.35 Uhr „Kompassregulierer Krause von Bord bei Cuxhafen“.

Den Beruf des Kompassregulierers gibt es in der Schifffahrt auch heute noch. Informationen finden Sie beim VDKR eV, dem Verband deutscher Kompassregulierer oder international ausgedrückt: Association of German Compass Adjuster. Hier die Webadresse: http://www.compass-adjuster.de/home.html

Außerdem am 28. Juni:

„Die vorgeschriebenen Aushänge wurden heute im Mannschaftslogis ausgehängt. Seemannsordnung, Unfallverhütungsvorschr. d. S.B.G., Bekanntmachung der D.A.D.G. über Effekten usw., Überstunden, Landurlaub, Verhalten auf Java & Beschwerden über Beköstigung u. Rauchen an Deck.

S.B.G. Seeberufsgenossenschaft
D.A.D.G. Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft

Interessant zu erfahren wäre, welches besondere Verhalten der Seeleute auf Java oder generell in Niederländisch-Indien erwartet wurde.

Rotterdam

In der Nacht von 28. auf 29. Juni näherte sich die „Neumünster“ Rotterdam.

Um 11.45 kam der Seelotse v. d. Lumzo (?) an Bord, bei Maassluis um 1.28 Uhr dann der Lotse Heiligehr (?), bevor um 2.40 Uhr der Hafenlotse Anadde (?) übernahm. Um 3.30 Uhr war das Schiff fest am Rheinquai. Für die 315 Seemeilen von Hamburg nach Rotterdam hatte die „Neumünster“ insgesamt 1 Tag 6 Std. 45 Min. gebraucht.

Anmerkung: Bei der Schreibweise der Namen bin ich mir nicht sicher, daher die Fragezeichen.

In Rotterdam wurde am 29. und 30. Juni 1914 geladen und die „Neumünster“ bunkerte hier 1400 Tonnen Kohlen. In Antwerpen sollten dann noch 100 Tonnen hinzukommen, die Vorräte mussten bis Australien reichen.

Um 16.23 Uhr des 30. Juni hieß es: „Vertäuungen los.“ und die Reise nach Antwerpen konnte beginnen. Diese dauerte gerade einmal 15 Stunden und 30 Minuten. In Antwerpen lag die „Neumünster“ an Quai 15 B.

Antwerpen

1. Juli 1914:

„Heute Nachmittag meldete sich der Matrose E. Czech und trat seinen Dienst an.“
C. Herrmann, Kapt.

Czech, der in Hamburg das Schiff verpasst hatte, war also auf eigene Faust nach Antwerpen gereist, um seine Arbeit aufnehmen zu können.

Der Ladevorgang in Antwerpen dauerte bis Sonnabend, den 4. Juli. Anfang der Reise nach Australien: am Abend um 20.35 Uhr.

Dampfschiff Neumünster (1907)

Der Matrose Czech war ein guter Zeichner. Von ihm sind zahlreiche Zeichnungen aus dem Internierungslager Rottnest überliefert und diese nachgestellte Szene von der Kaperung der „Neumünster“ durch HMAS „Pioneer; mit freundlicher Genehmigung der State Library of Western Australia, Ref. b2554592_6

Die lange Seereise

Antwerpen war für die „Neumünster“ der letzte Hafen vor dem geplanten Anlaufen von Fremantle in Westaustralien.

Am 5. Juli wurde im Logbuch vermerkt:

Einschleicher, Schiff "Neumünster" 1914

Schiffstagebuch der „Neumünster“, Juni bis August 1914, © State Archives of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1

Machten bei Dungeness Unterscheidungssignal mit Erfolg.
Heute Vormittag meldeten sich der Schlachter Max Heigold geb. 16. Febr. 1886 abgem. v. S.S. „Bülow“ und der Schmied Franz Benkert geb. am 26. März 1884 in Hamme b. Bochum. Dieselben haben sich in Antwerpen eingeschlichen. C. Herrmann Kapt.

Anmerkung: abgem. steht für abgemustert; die „Bülow“ (S.S. heißt Steam Ship) war ein Schiff des Norddeutschen Lloyd, Bremen. Die „Bülow“ war bei Ausbruch des Krieges in Portugal, wurde dort festgehalten und dann 1916 von Portugal übernommen worden. Unter dem neuen Namen „Tras-os-Montes“ transportierte die exBülow nach Kriegsende in Australien internierte Deutsche nach Europa zurück. Vielleicht auch den Schlachter Max Heigold?

Es folgt eine recht ungemütliche Fahrt durch den Golf von Biscaya, am 7. Juli musste am Vormittag von 9.16 – 9.37 Uhr das Schiff wegen eines Maschinendefekts gestoppt werden.

Anschließend kamen ruhige Tage auf See und ein frischer Passatwind begleitete die „Neumünster“ auf ihrer Fahrt nach Süden durch den Atlantik. Anders als im Logbuch der „Fürth“ gibt es leider fast keine Einträge zu den Routinearbeiten an Bord.

Am 18. Juli gab es erneut einen Zwangsstopp wegen Maschinenreparatur, er dauert von 12 Uhr Mittag bis 13.20 Uhr. Ab 18 Uhr war dann ein neuer Logpropeller im Einsatz.

Am 23. Juli erfolgte eine Kontrolle der Boote, drei Tage später eine Feuerübung, beides vorgeschriebene Sicherheitsmaßnahmen der Seeberufsgenossenschaft (SBG).

„Überholten die Rettungsboote, erneuerten das Trinkwasser in denselben u. fügten noch 3 Signalraketen u. 2 Blaufeuer zu jedem Boot hinzu. Alles in bester Ordnung u. nach Vorschrift der S.B.G.“

„3.30 pm Feuerlärm, verbunden mit Schottenschließmannöver. Der Rauchhelm funktionierte gut. Die Sicherheitslampe wurde probiert, ebenso die Feuerlöschvorrichtung mittels Dampfschlauch. Alles in Ordnung nach Vorschr der S.B.G.“

Die „Roaring Forties“

Am Abend des 27. Juli 1914 wurde das Kap der Guten Hoffnung gepeilt (22.15 Uhr), verbunden mit einigen Lotungen, ohne dabei Grund zu erreichen.

Die Logbuch-Eintragungen zum Wetter nehmen zu, die See rauer; hinzu kam ein erneuter Maschinenschaden. Ein Logbucheintrag vom 29. Juli:

Neumünster, Logbuch, 1914

Logbuch der „Neumünster“, Juni bis August 1914, © State Archives of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1

„Gewaltige schwere See. 4.20 (pm) drehten bei u. stoppten von 4.20 – 5.20 wegen Maschinenreparatur. Oelten währenddessen die See mit Erfolg. Schiff rollt äußerst heftig. ??? 6“ abflauend.“

Zur Benutzung von Wellenöl siehe den Beitrag: Tagebuch (11): Die „Fürth“ in den Roaring Forties

Am 30. Juli gab es erneut eine Reparatur, diesmal am Ruder:

„Steuerten mit dem Handruder von 1.00 bis 2.36 pm wegen Repar. an der Rudermaschine“

Puffiger Wind

Am 1. August habe ich ein schönes und seltenes Adjektiv gefunden, das den Wind beschreibt. Ich will es Ihnen nicht vorenthalten:

„Wind unstetig u. puffig, Wasser über Vordeck u. Luken. Grobe See, Schiff stampft heftig“

Die Häufigkeit der Maschinenreparaturen ist wirklich auffällig. Am Vormittag des 3. August heißt es erneut:

„Maschine gestoppt von 9.15 – 10.00 zwecks Reparatur. Steuerten mit Handruder von 10-11 h.“

Einen Tag später machten die Roaring Forties ihrem Namen wieder alle Ehre:

„Sehr hohe durcheinanderlaufende See. Gegen 1 h (pm) sprang der Wind plötzlich nach SW, dann schnell bis zum schweren Sturm mit orkanartig harten Böen anwachsend.“

Die Windstärke wurde im Logbuch bis maximal „11“ eingetragen.

Am 6. August riss die Logleine und am Nachmittag wurde wieder Wellenöl eingesetzt:

„Während der Wache riß die Loggleine ab.“

„Ölten die See mit Erfolg.“

Die Maschine machte weiterhin Ärger:

Sonnabend, den 8. Aug. 1914

„Stoppten zwecks Maschinenreparatur von 9h5 – 9.50“ (pm)

Kaperung vor Australien

Erst bei der Annäherung an den australischen Kontinent am 14. August 1914 besserten sich die Wetterbedingungen.

Zur Erinnerung: Während die „Neumünster“ mit den Unbilden des Wetters im südlichen Indischen Ozean zu kämpfen hatte, war zwischen dem Deutschen Reich und Großbritannien – und somit auch dem Commonwealth – der Erste Weltkrieg ausgebrochen (4. August 1914, GMT).

Die „Neumünster“ hatte wie auch die „Fürth“ noch keine Telefunken-Anlage an Bord und wusste somit von diesen Ereignissen nichts. Die letzten Nachrichten waren aus Antwerpen gewesen. Das war am 4. Juli 1914.

Zurück zum Logbuch:

Freitag, den 14. Aug. 1914

„Schönes Wetter.
Fahren ab 12 h reduziert.

Der Eintrag über verminderte Fahrt ist unterstrichen. Ich nehme an, dass Kapitän Herrmann zu diesem Zeitpunkt sehr genau abschätzen konnte, wann er in Fremantle eintreffen würde und passte die Geschwindigkeit entsprechend an, um am frühen Morgen einzutreffen, damit der Tag dann zum Entladen genutzt werden konnte.

Aber es sollte anders kommen:

Der letzte „normale“ Eintrag im Tagebuch ist vom 15. August, 12 Uhr Mittag auf der nummerierten Seite 49.

Neumünster, Schiff (1907)

Logbuch der „Neumünster“, Juni bis August 1914, © State Archives of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1

Die „Neumünster“ hatte folgende Position erreicht (nach astronomischer Beobachtung):

32°53‘ S und 113°44‘ O

Die zurückgelegte Distanz wurde von 192 Seemeilen auf 179 Seemeilen korrigiert (Besteckversetzung).

Die Seite 50 des Logbuchs ist leer, der letzte Eintrag, jetzt in englischer Sprache, erfolgte auf Seite 51.

Schiffstagebuch Neumünster 1914, Kaperung

Logbuch der „Neumünster“, Juni bis August 1914, © State Archives of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1

Vorab zur Erläuterung: R.N. steht für Royal Navy, R.A.N. für Royal Australian Navy, H.M.A.S. für Her Majesty’s Australian Ship

Two Officers, viz. Lieutenant Kenneth Park Dalglish, R.N. and Paymaster Hugh Malcolm Ramsay R.AN of His Majesty’s Australian Ship “Pioneer” commanded by acting Commander Thomas Wyburn Biddlecombe R.A.N. boarded S.S. “Neumünster”, master Captain Carl Herrmann, at 8.30 a.m. on 16th August, 1914 about ten miles off Rottnest Island. S.S. “Neumünster“ was first sighted about ten miles South West from Rottnest Island at 5.40 a.m. on the 16th August 1914 and was stopped by H.M.A.S. “Pioneer” and directed to follow her towards the anchorage at Fremantle. Owing to the heavy sea running when first stopped it was impossible to board SS. “Neumünster” until 8.30 a.m. Lieutenant Dalglish then informed the Master that his ship was captured as a Naval Prize and the British Mercantile Ensign was hoisted. The “Neumünster” then proceeded to berth, and was berthed about 10.30 a.m. All Ship’s papers were then examined and a schedule made of them, one copy being delivered to the Master of the “Neumünster”, duly certified as being correct. The Master desires it to be stated that the British Ensign was hoisted in disregard of his protest.
Kenneth Dalglish
Lieutenant R.N.
c(?) Visiting Officer

Witness: HM Ramsay

Anmerkungen:

Die Angabe „about 10 miles“ wurde im Logbuch wieder durchgestrichen.

Kenneth Park Dalglish

Lieutenant Kenneth Park Dalglish (1888-1923) diente eigentlich in der Royal Navy, war aber von Mitte 1913 bis Anfang 1919 an die Royal Australian Navy ausgeliehen (lent for duty under the Australian Govt.). Er diente dort im leichten Kreuzer HMAS „Pioneer“ und übernahm von 1916-1918 das Kommando des Zerstörers HMAS „Torrens“ im Grad eines Lieutenant Commander. Er starb bereits mit 34 Jahren in England. Sein älterer Bruder Robin Campsie Dalglish brachte es bis zum Konteradmiral.
Quelle: https://www.navy.gov.au/biography/rear-admiral-robin-campsie-dalglish

Commander Thomas Wyburn Biddlecombe

Der Commander der “Pioneer” wurde am 28. Juni 1880 in England geboren. Er führte dort das Kommando von Dezember 1913 bis Juni 1916. Er starb bei einem U-Boot-Angriff (U61) am 13. März 1917 vor der Westküste Irlands an Bord des Schiffes Q27 HMS Warner.

Quellen: Australian War Memorial, https://www.awm.gov.au/collection/P10679797; https://www.greatwarforum.org/topic/75555-q27-hms-warner/

Naval Prize

Siehe Artikel: Das Dampfschiff „Fürth“ wird kondemniert

British Mercantile Ensign

Die Red Ensign ist die Handelsflagge des Vereinigten Königreichs.

Auf der „Fürth“ hingegen war nach der Kaperung der Engländer die White Ensign gehisst worden, die britische Seekriegsflagge. Siehe dazu ebenfalls den Artikel Das Dampfschiff „Fürth“ wird kondemniert

Red Ensign 1914

Britische Handelsflagge des Q-Schiffes „Mavis“, ca. 1914; Royal Museums Greenwich; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Red_Ensign_RMG_L0149.tiff

Rottnest Island

Die weitere Geschichte des Dampfschiffes „Neumünster“ habe ich zusammenfassend hier dargestellt: Schwesterschiffe der „Fürth“: Die „Neumünster“

In Vorbereitung ist ein Beitrag über die Mannschaftsmitglieder der „Neumünster“, die nach ihrer Ankunft in Fremantle auf Rottnest Island interniert wurden, die Insel, die sie Tage zuvor noch als freie Männer von ihrem Schiff aus als erste Landmarke bei der Annäherung an das australische Festland sehen konnten und auf der sie über ein Jahr als Gefangene verbringen sollten, bevor sie in andere Lager in Australien verbracht wurden.

Neumunster, German-Australian Line, August 1914

Das beschlagnahmte Dampfschiff “Neumünster” im Hafen von Fremantle, Zeitungssausschnitt, Quelle: National Library of Australia

Die Fracht der „Fürth“ – Kopra

Wo ist die Kokosnuss?

Im Blogtitel heißt es „… eine Spurensuche“. Deshalb möchte ich in loser Folge auch den Spuren der Waren nachgehen, die auf der „Fürth“ transportiert wurden und was aus ihnen hergestellt wurde.

Fangen wir mit Kopra und in Marseille an, dem ersten europäischen Hafen, der auf der Rückfahrt von Australien und Niederländisch-Indien angelaufen wurde.

Im Bericht über die erste Fahrt ist folgendes Zitat vermerkt, aus dem hervorgeht, dass eine große Menge Kopra im Marseiller Hafen gelöscht wurde. Hier noch einmal der Wortlaut:

Le mouvement des navires dans les ports de Marseille a été, hier, de dix-huit vapeurs et de quatre voiliers, entrées et sorties comprises.
SONT ARRIVES. – …
…le Fürth, de Makassar, avec 6.200 tonnes de coprah, peaux, etc., dont 1.200 tonnes pour Marseille
Le Petit Marseillais, 6.
Jan 1908, S. 2, MOUVEMENTS DES PORTS (www.retronews.fr)

Marseille - Le Phare Sainte Marie

Hafeneinfahrt in Marseille mit dem Leuchtturm Sainte-Marie; Postkarte (gelaufen 1906), eigene Sammlung.

Marseiller Seife

Was wird also in Marseille aus dieser Kopra? Die Antwort: die berühmte „Savon de Marseille“, also Marseiller Seife!

Die Seifenherstellung war in Marseille, zumindest bis zum Ersten Weltkrieg, ein bedeutender Wirtschaftszweig. Schauen wir uns daher bei einem Seifenhersteller um, um mehr zu erfahren:

Marius Fabre ist Seifenhersteller seit 1900 und könnte daher durchaus über unsere „Fürth“ beliefert worden sein. Auf seiner Internetseite lesen wir zunächst, dass es zwei Typen Marseiller Seife gibt, die grüne und die weiße. Die grüne ist ein Körperpflegeprodukt und besteht aus Olivenöl und Kopra. Die weiße Seife wurde dagegen fürs Wäschewaschen verwendet, diese bestand aus Palmöl und wiederum Kopra, welche damit in allen beiden Produkten enthalten ist. Auch wenn die „Savonniers“, also die Seifenhersteller am liebsten über das verwendete Olivenöl sprechen, von dem eine höhere Wertigkeit ausgeht, als von den beiden anderen Ölen. Der pflanzliche Ölanteil in den Seifen beträgt übrigens 72 %, eine Zahl die oft auf den Seifenstücken eingeprägt ist (der Rest ist Wasser).

Die typische Würfelform der Marseiller Seife

Savon de Marseille, Marseiller Seife besteht aus 72 % pflanzlichen Fetten; Kokosnussfett ist immer enthalten.

Warum die Kopra in der Seife war, erklärt uns ebenfalls das Haus Fabre: „Das Kopraöl hat schäumende Eigenschaften, ohne Kopraöl würde die Seife nur wenig schäumen.“

(Informationen von der Seite http://www.marius-fabre.com/fr/, eigene Übersetzung aus dem Französischen).

Kunstbutter (Margarine)

Nach der Abfahrt unserer „Fürth“ aus Marseille ist aber noch viel Kopra für die anderen Häfen übrig. Was wurde also noch aus Kopra hergestellt? Hier eine weitere Antwort:

„1902 fand der Chemiker Wilhelm Norman (1870 – 1939) ein Verfahren, welches eine Margarinefabrik in Emmerich am Niederrhein zur industriellen Reife entwickelte. Das Prinzip bestand darin, an die ungesättigten Öle Wasserstoff anzulagern, was deren Schmelzpunkt erhöhte. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten wurden immer mehr Pflanzen und Öle für die Margarineherstellung erschlossen: Öle aus Kopra, Palmkernen, Erdnüssen, Soja; später kamen Wal- und andere Fischöle dazu. Damit gewann die Margarineindustrie erheblich an Flexibilität.“
(Geschichte der Konsumgesellschaft, Wolfgang König, Franz Steiner Verlag, 2000, 509 Seiten, Zitat von S. 168.; http://google.books.fr)

Anm.: Vor dieser Zeit wurde der Butterersatz-Stoff Margarine ausschließlich aus tierischen Fetten hergestellt (Zitat aus der gleichen Quelle); falls jemand Herrn König trifft, sagen Sie ihm bitte, er möge das Wort „andere“ in der letzten Zeile des Zitates streichen, man könnte sonst meinen, er hält den Wal für einen Fisch.
Sanella Margarine Werbung

Sanella-Werbung zu Beginn des 20. Jahrhunderts
Bildquelle: http://www.industriemuseum.lvr.de

Im Anschluss an obenstehendes Zitat wird auch der Herstellungsprozess von Margarine aus der Zeit um den ersten Weltkrieg beschrieben. Diese Beschreibung möchte ich Ihnen hier ersparen, appetitlich war das nicht. Ich weiß schon, warum mein Kühlschrank eine „margarinefreie Zone“ ist.

Das Zentrum der deutschen Margarineherstellung lag am Niederrhein, viele Familien haben hier im Raum Kleve „op de Botter“ gearbeitet. Diese Gründungen ging von holländischer Seite aus, wo Margarine schon vorher industriell produziert wurde. Beide Gebiete haben ihre Kopra über den Amsterdamer oder Rotterdamer Hafen erhalten:

„Kleve war wegen seiner Nähe zum Rotterdamer Hafen ein optimaler Standort.“
LVR-Industriemuseum, Oberhausen
(http://www.industriemuseum.lvr.de/de/verbundseiten/sammlung/sammlung_entdecken/unternehmen___ihre_produkte/reklamemarke__sanella_/reklamemarke_sanella_1.html#!prettyPhoto)

Palmin-Werk in Hamburg

Eine dritte Spur für die Verwendung der Kopra führt uns nach Hamburg, genauer gesagt nach Hamburg-Wilhelmsburg. Hier wurde im Jahr 1908 das Palmin-Werk erbaut und der Fabrikant Julius Schlinck verlegte den Firmensitz von Mannheim im darauffolgenden Jahr hierher. Die Kopra diente der Herstellung des bekannten Speisefettes „Palmin“, auch heute noch ein bekanntes Markenprodukt. Neben Speisefetten wurde aber auch Kernseife in Wilhelmsburg produziert. Der ausführliche Markenname „Dr. Schlinck´s Palmin 100% Cocosfett“ weist darauf hin: hier wurde als Fettbestandteil ausschließlich Kokosnuss, also Kopra verwendet.

Kokosfett Palmin Werbung

Palmin-Werbung zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Zahlenspiele

Eine Vorstellung über die verarbeiteten Mengen bekommen wir hier:

„Die Anbindung an den Hamburger Hafen erleichterte den Import des Produktrohstoffes aus den deutschen Kolonien und die Verteilung des Palmins über die Schiene. Bereits 1911 arbeiteten dort ca. 1.000 Personen und verarbeiteten den Ernteertrag von ca. 7 Mio. Kokospalmen der Jahre 1910/1911.

Aus dem getrockneten Kokosnussfleisch – Kopra – wurde das Öl herausgepresst, anschließend entsäuert, bedampft, sterilisiert, filtriert und in Behältnisse abgefüllt. Das Öl verlor hierdurch den typischen Kokosgeruch.“

(Quelle: Ausstellung „Das Kochbuch in Baden 1770 – 1950“, Mannheimer Cocosbutter, https://ausstellungen.blb-karlsruhe.de/ausstellung/mannheimer-cocosbutter.html)

Anm: Eine deutsche Kolonie mit hoher Kopra-Produktion war zu dieser Zeit Deutsch-Samoa.

Versuchen wir die Menge verarbeiteter Kokosmasse mit folgenden Angaben noch etwas näher zu bestimmen:

„Die eiförmigen bis runden Kokosnüsse mit einem Gewicht von 1 – 2,5 kg gehören zu den größten Früchten im Pflanzenreich. … Eine erwachsene Palme liefert jährlich 50 – 80 Früchte.“
Infoblatt Kokospalme, Ernst Klett Verlag, TERRASSE-Archiv, https://www.klett.de/sixcms/detail.php?template=terrasse_artikel__layout__pdf&art_id=1006639, 16.2. 2018)

Anm: Manchen Quellen zufolge liefert eine Kokospalme auch über 100 Kokosnüsse pro Jahr.

Und:

„Ein Einzelbaum liefert zwischen 5 und 20 kg Kopra pro Jahr.“
(www.deacademic.com, http://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/783636)

Das macht dann für die oben zitierten 7 Millionen Kokospalmen mindestens 350 Millionen verarbeitete Kokosnüsse pro Jahr und wenn wir konservativ mit nur 10 kg Kopra pro Palme rechnen, kommen wir damit auf 70 Mio. kg oder 70 tausend Tonnen verarbeitete Kopra allein im Palmin-Werk Hamburg (für das Jahr 1910/1911, s. o.).

Eine wahrlich beachtliche Menge und viele Schiffsladungen Kopra für die „Fürth“ und andere Schiffe!