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Feurlöschübung, Prinzessin Victoria Luise 1901

Dampfschiff „Fürth“: Sicherheit an Bord

Über Sicherheitseinrichtungen und -maßnahmen

Titelbild: Feuerlöschmanöver an Bord des Dampfers „Prinzessin Victoria Luise“ der Hamburg-Amerika-Linie im Hafen von Bergen (Ausschnitt), aus: Sicherheits-Einrichtungen der Seeschiffe, Oswald Flamm, 1904, Berlin (Verlag Otto Salle); Quelle: Biblioteka Politechniczna Kraków, Quelle: https://repozytorium.biblos.pk.edu.pl/

Anmerkungen:

Der Passagierdampfer „Prinzessin Victoria Luise“ wurde von der HAPAG als Kreuzfahrtschiff im Jahr 1900 in Dienst gestellt. 1901 fanden die ersten Nordlandreisen statt. Das Schiff ging bereits 1906 auf Jamaika verloren.

Ich zweifle die Richtigkeit der Ortsangabe an und denke, dass es sich um den Hafen von Helsinki handelt. Die Silhouette der Kirche rechts im Bild sieht aus wie der Dom von Helsinki.

Oswald Flamm

In einigen vorangegangenen Blogartikeln waren Sicherheitsmaßnahmen und Sicherheitseinrichtungen an Bord der „Fürth“ bereits angeschnitten worden.

Dieser Beitrag fasst das Thema Sicherheit an Bord zusammen und gibt neue Einzelheiten, wie zum Beispiel zu den Rettungsbooten und deren Ausstattung. Außerdem habe ich zum Thema einige schöne Aufnahmen gefunden. Sie stammen aus einem Buch mit dem Titel Sicherheits-Einrichtungen der Seeschiffe (1904). Der Autor ist Oswald Flamm, Professor der Technischen Hochschule zu Charlottenburg.

Flamm (1861 – 1935) war ein führender deutscher Schiffbau-Ingenieur und bereits mit 33 Jahren Professor. Er war maßgeblich an der Gründung der Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau in Berlin beteiligt sowie Mitbegründer der Schiffbautechnischen Gesellschaft und des Flottenvereins.
(https://www.deutsche-biographie.de/gnd116588284.html#ndbcontent)

Oswald Flamm 1907

Portrait von Oswald Flamm, Aufnahme von Rudolf Dührkoop, 1907, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rudolf_D%C3%BChrkoop_-_Oswald_Flamm_(1907)_(KTHzB).jpg

Die Boote

Der Frachtdampfer „Fürth“ verfügte über 5 Boote, die sich auf dem Bootsdeck über dem Maschinenhaus befanden.

Von den fünf Booten war eines ein sogenanntes Arbeitsboot und die vier anderen Rettungsboote. Alle Boote waren aus Holz.

Für die Abmessung der Boote greife ich den Generalplan des Schwesterschiffes „Reichenbach“ zurück, für ihre Ausstattung auf die Inventarliste des Schwesterschiffes „Neumünster“.

Siehe dazu die Artikel Pläne zur Rekonstruktion des Dampfschiffes „Fürth“ und Dampfschiff „Fürth“: In der Kapitänskajüte

Das Arbeitsboot

Sobald die „Fürth“ in einem Hafen auf Reede lag, also nicht an einem Kai, brauchte die Besatzung ein Boot, um an Land zu gelangen. Außerdem diente das Arbeitsboot für Arbeiten am äußeren Rumpf und für andere seemännische Arbeiten.

Es hatte Abmessungen von etwa 5,8 m x 1,8 m x 0,7 m (Länge x Breite x Höhe) und war damit kleiner und handlicher als die größeren Rettungsboote.

Es verfügte über sechs Riemen, ein Ruder, eine Pinne und einen Mast. Segel waren laut Inventarbuch nicht vorgesehen, an Bord des Arbeitsbootes der „Neumünster“ waren jedoch deren zwei im Istbestand.

An zusätzlichem Equipment waren ein Bootshaken, ein Ösfass, eine Fangleine und zwei Manntaue an Bord.

Anmerkung: Ein Manntau ist ein Tau, welches über Bord hängt und dazu benutzt wird, an Bord zu klettern. Ein Ösfass ist ein Eimer zum Schöpfen von Wasser. Er ist in der Regel auf einer Seite abgeplattet.

Zu Wasser gelassen konnte das Arbeitsboot über zwei Davits mit Taljen. Es befand sich auf dem Bootsdeck an Steuerbord zwischen zwei Rettungsbooten.

Davits, Rettungsboote 1904

Aufstellung der Boote mit gewöhnlichen Davits; aus: Sicherheits-Einrichtungen der Seeschiffe, Oswald Flamm, 1904, Berlin (Verlag Otto Salle); Quelle: Biblioteka Politechniczna Kraków, https://repozytorium.biblos.pk.edu.pl/

Die Rettungsboote

Die vier Rettungsboote hatten leicht voneinander abweichende Dimensionen. Ihre Länge betrug etwa sieben Meter. Die Breite war etwa 2,20 Meter, die Gesamthöhe betrug etwa 0,75 Meter.

Die Boote befanden sich auf dem Bootsdeck an Backbord (Boot I und Boot II) und an Steuerbord (Boot III und Boot IV).

Zu Wasser gelassen wurden die Rettungsboote mit 2 Davits, ein Manntau diente dazu, an Bord zu klettern.

Bootsdeck, Reichenbach 1907

Bootsdeck, Ausschnitt aus dem Generalplan der „Reichenbach“, einem Schwesterschiff der „Fürth“, © mit freundlicher Genehmigung des Schifffahrtsmuseums Flensburg (Ref. FSG_267). Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass sämtliche Bildrechte beim Schifffahrtsmuseum Flensburg liegen und jegliche Nutzung dieses Bildes der Genehmigung des Rechteinhabers bedarf.

Jedes Boot verfügte über:

8 Riemen
9 Scepter oder Dollen (Rudergabel, Ruderlager)

1 Fangleine
1 Ruder
1 Pinne

1 Mast
1 Segel

2 Bootbeile
1 Bootcompass
1 Oeltank
1 Oelbeutel
2 Wasserfässer mit Pumpe
1 Brottank

1 Lampe
2 Bootshaken
1 Oesfass
1 Dragge
1 Treibanker
1 Segelbezug
1 Dokumentenkasten
2 Pflöcke für Wasserlöcher

Das Öl diente zur Beruhigung der See bei Schwerwetter (Siehe dazu den Blogbeitrag: Tagebuch (11): Die „Fürth“ in den Roaring Forties). Es musste verpflichtend in jedem Rettungsboot an Bord sein. Eine Dragge ist ein kleiner Anker.

Die Überholung der Boote hatte nach den Unfallverhütungsvorschriften der See-Berufsgenossenschaft einmal jährlich zu erfolgen. Aus eigenem Interesse haben die Kapitäne dies aber sicher bei jeder Fahrt mindestens einmal durchführen und dabei auch das Wasser in den Wasserfässern erneuern lassen, ebenso wir die Notration Brot im Brottank.

Im Logbuch der „Fürth“ aus dem Jahr 1914 ist die Überholung der Boote auf der letzten Fahrt zweimal verzeichnet (4. Juni und 25. Juli 1914). SIEHE: Das Schiffstagebuch der „Fürth“ – eine Einleitung

Cymric 1910 lifeboat

Rettungboote auf der „Cymric“, 1910, Bain News Service, Library of Congress, Washington DC; https://www.loc.gov/item/2014698987/

Anmerkung: Die “Cymric” war ein Passagierdampfer der britischen White Star Line.

Prinzessin Victoria Luise 1901

Rettungsbootmanöver, Dampfschiff „Prinzessin Victoria Luise“ der Hamburg-Amerika-Linie bei Gudvangen (Nærøyfjord, Norwegen); aus: Sicherheits-Einrichtungen der Seeschiffe, Oswald Flamm, 1904, Berlin (Verlag Otto Salle); Quelle: Biblioteka Politechniczna Kraków, https://repozytorium.biblos.pk.edu.pl/

Die Bootsrolle

Jeder Seemann hatte im Notfall seinen fest zugewiesenen Platz in einem der Boote. Diese Aufteilung der Besatzung auf die Rettungsboote wurde in der Bootsrolle bestimmt. Dieses Dokument musste an Bord bei Beginn einer Fahrt ausgehängt werden.

„Die gesamte Schiffsbesatzung ist nach einer Bootsrolle auf die Boote und Klappboote einzuteilen, und an jedem Boot müssen die Nummern der dafür bestimmten Leute angeschlagen sein. Offiziere und Unteroffiziere sind auf die Boote gleichmäßig zu verteilen.“ (§ 54 Einteilung der Besatzung, Auszug aus dem Gesetz über das Auswanderungswesen; Quelle: Hilfsbuch für den Schiffsbau: https://link.springer.com/content/pdf/bbm%3A978-3-642-50701-4%2F1.pdf)

Lifeboat

Männer in einem Rettungsboot unter Segel, Aufnahmedatum unbekannt (1900-1954), Fotograf: Allan C. Green, State Library Victoria, Ref. H91.325/1876

Übungen im Rudern

Zur Sicherheit an Bord gehörten regelmäßige Übungen im Rudern der Rettungsboote. Die Anweisung lautete, diese Übungen „bei passender Gelegenheit“ durchzuführen.

Auf der letzten Australienfahrt der „Fürth“ ließ Kapitän Richter ein Bootmanöver im Hafen von Adelaide durchführen. Im Logbuch verzeichnete er

Machten Bootsmanöver:

sämtliche Rettungsboote wurden ausgeschwungen, die B.B. Boote zu Wasser gelassen, bemannt u. die Mannschaft im Rudern unterrichtet. Alles in Ordnung.

Der Eintrag erfolgte in roter Farbe.

Bootsmanöver 24. Juli 1914

Logbuch der „Fürth“, nummerierte Seite 94 (Ausschnitt), mit freundlicher Genehmigung des National Museums Liverpool (Merseyside Maritime Museum), Ref. B/HAR/11/4/1

Prinzessin Viktoria Luise 1901

Übungen im Bootsrudern, Dampfschiff „Prinzessin Victoria Luise“ der Hamburg-Amerika-Linie bei Gudvangen (Nærøyfjord, Norwegen); aus: Sicherheits-Einrichtungen der Seeschiffe, Oswald Flamm, 1904, Berlin (Verlag Otto Salle); Quelle: Biblioteka Politechniczna Kraków, https://repozytorium.biblos.pk.edu.pl/

Rettungsgeräte und Signalmittel

An Bord der „Fürth“ waren folgende Rettungsgeräte:

2 Signalbälle
45 Korkwesten
2 Rettungsringe mit Wasserlicht
4 Rettungsringe ohne Wasserlicht
1 Rauchhelm mit Zubehör
2 Längen Feuerschläuche à 20 Meter
1 Schlauchspritze (Messing)

Ein Rauchhelm war ein Vorläufer der Atemschutzmaske. Seeleute mussten den Träger des Rauchhelms mittels einer Pumpe mit Atemluft versorgen, die ihm über einen Schlauch zugeleitet wurde. Der Rauchhelm gehörte zur Pflichtausrüstung eines Dampfschiffes.

Es war eine Reederei interne Regelung, dass auf jeder Reise eine Übung mit dem Rauchhelm, ein Schottenmanöver und Feuerlärm durchgeführt werden mussten.

Beim Schottenmanöver wurde das Schließen der Schotten geübt; Trennwände, die im Fall eines Wassereintritts an einer Stelle, die übrigen Schiffsteile wasserdicht abschließen konnten und so die Schwimmfähigkeit garantierten. Auch im Brandfall verhinderte ein Schließen der Schotten eine Ausbreitung eines Feuers auf andere Bereiche des Schiffes.

Als Feuerlärm wurde eine Feuerschutzübung bezeichnet. Jeder Seemann hatte eine bestimmte Aufgabe. Diese wurde in der sogenannten Feuerrolle beschrieben. Die Feuerrolle gehörte zu den Pflichtaushängen an Bord.

Baltische Korkenfabrik

Anzeige von Eugen Pfotenhauer & Co., Kiel in HANSA, Deutsche nautische Zeitschrift, August 1912; Quelle: digishelf.de

An Signalmitteln waren in drei Feuerwerkskästen an Bord:

24 Kanonenschläge
24 Blaulichter
12 Rotlichter
24 Raketen

Kanonenschläge, Rotlichter und Raketen für den Notfall; Blaulichter (Blaufeuer) dienten nachts zur Anforderung von Lotsen und wurden im Abstand von 15 Minuten abgebrannt.

Berckholtz Kunstfeuerwerkerei 1912

Anzeige der Fa. Berckholtz in HANSA, Deutsche nautische Zeitschrift, Januar 1912; Quelle: digishelf.de

Auf dem Dampfschiff „Fürth“ ist der Notfall in den Jahren 1907 – 1914, als das Schiff für die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft in Hamburg in Fahrt war, zum Glück nie eingetreten. Zumindest ist mir keine Quelle bekannt, die darüber berichtet hätte.

Das von einer Fahrt der „Fürth“ erhaltene Logbuch weist darauf hin, dass die Sicherheits-Übungen von den Kapitänen regelmäßig durchgeführt wurden und dies zum Teil sogar über die gesetzlichen Vorschriften hinaus.

Logbuch Fürth 1914

Logbuchseite mit den Sicherheitsvorschriften und deren Durchführung; mit freundlicher Genehmigung des National Museums Liverpool (Merseyside Maritime Museum), Ref. B/HAR/11/4/1

Anmerkung: Erstveröffentlichung des Artikels am 19. Dezember 2020

Suez canal 1915

Dampfschiff „Fürth“: durch den Suezkanal

In der Wüste Ägyptens

Bildnachweis Titelbild:

Schiff an einer Signalstation im Suezkanal, 1915, T.P. Bennett Collection, handkoloriertes Diapositiv, State Library Victoria, ID H83.103/152; trove.nla.gov.au; Bild zugeschnitten

Vierzehn Kanalfahrten

Das Dampfschiff „Fürth“ passierte zwischen 1907 und 1914 vierzehn Mal den Suezkanal. Alle Passagen sind in der Rubrik Schiffsmeldungen in den Tageszeitungen aus dieser Zeit dokumentiert. Siehe dazu: Australienfahrten

Eine Besonderheit ist, dass die vierzehn Kanalfahrten stets von Süden nach Norden verliefen, also vom Roten Meer in Richtung Mittelmeer oder anders ausgedrückt, von Suez nach Port Said.

Das hing damit zusammen, dass die Hauptlinien der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) auf der Ausreise von Europa nach Australien um die Südspitze Afrikas verliefen und nur die Rückfahrten durch den Suezkanal.

Grund dafür waren die hohen Kanalgebühren, die sich für die Reederei jährlich zu einer stattlichen Summe addierten.

Zu den Kanalgebühren und über den für die Kanalfahrt notwendigen Messbrief, den Suez-Messbrief siehe den Blogartikel: Der Suezkanal-Messbrief des Dampfschiffes „Fürth“

Suezkanal Messbrief Fürth

Suezkanal-Messbrief der „Fürth“, oberer Teil, Version von 9. November 1910 © Staatsarchiv Hamburg, Schiffsregisterakte Schraubendampfer Fürth, Registernr. 3656, Ref. 231-4_3005

Heute stelle ich Ihnen die vierzehnte Fahrt der „Fürth“ durch den Suezkanal im Detail vor. Denn nur von dieser Fahrt ist ein Logbuch erhalten geblieben (Kenntnisstand Mai 2024).

Dieses Logbuch habe ich hier im Blog in 18 Artikeln sehr detailliert vorgestellt, der achtzehnte Beitrag endete nach der Kaperung der „Fürth“ vor Ceylon im Hafen von Colombo. Die letzten Tagebucheinträge von Kapitän Richter und seinem ersten Offizier Hoffmann waren vom 11. August 1914.

S S Trickey, R J Thomson 1914

Logbuch der „Fürth“, nummerierte Seite 136 (Ausschnitt – Unterschriften R J Thomson und S S Trickey), mit freundlicher Genehmigung des National Museums Liverpool (Merseyside Maritime Museum), Ref. B/HAR/11/4/1

R. J. Thomson und S.S. Trickey

Das Logbuch wurde im Oktober 1914 von Kapitän R. J. Thomson fortgeführt, einem Kapitän der Reederei Thomas & James Harrison, welche die „Fürth“ im Auftrag der Britischen Krone nach London überführte. Siehe: Ein Logbuch der „Fürth” in Liverpool und Kapitän R. J. Thomson überführt das Dampfschiff „Fürth“ von Ceylon nach England

Mit dem Schreiben des Logbuches beauftragte Kapitän Thomson seinen ersten Offizier, S. S. Trickey; die Logbucheinträge sind in englischer Sprache.

Stanley Standford Trickey kam aus Brixham, einem Fischerort in der Grafschaft Devon, etwa 50 Kilometer östlich der Hafenstadt Plymouth. Er dürfte zu dieser Zeit 37/38 Jahre alt gewesen sein. Im Jahr 1915 wurde er befördert: Seine erste Reise als Kapitän führte ihn mit dem Schiff  „Botanist“ von Liverpool nach Kalkutta (1915crewlists.rmg.co.uk).

Kapitän R. J. Thomson kam aus Kirkcudbright im südwestlichen Schottland. Zur Zeit der Überführung der „Fürth“ dürfte er 52 oder 53 Jahre alt gewesen sein. Seine nächste Fahrt auf der „Explorer“ ging ebenfalls von Liverpool nach Kalkutta (1915crewlists.rmg.co.uk).

Die Angaben zu R. J. Thomson und S.S. Trickey beruhen auf Informationen aus: The National Archives, Kew; National Maritime Museum, Greenwich; myheritage.com.

Explorer, R. J. Thomson, 1915

Ausschnitt aus der Mannschaftsliste der „Explorer“, 12. Jan. 1915, als vorangegangenes Schiff ist die „Fürth“ eingetragen, irrtümlich jedoch mit dem Zusatz Bremen statt Hamburg; Quelle: National Maritime Museum, Greenwich, https://1915crewlists.rmg.co.uk/document/204757

Anmerkung:

Heutzutage ist die Rechtschreibung im Deutschen meist „Sueskanal“. Zur Zeit des Dampfschiffes „Fürth“ erfolgte die Schreibung in allen Dokumenten mit „z“, also Suezkanal. Hier im Blog folge ich dieser damals üblichen Schreibweise mit „z“, wie sie in den hier im Blog gezeigten Originaldokumenten verwendet wurde und wie sie heute nach wie vor im Englischen oder Französischen üblich ist.

steam ship in Suez canal 1904

Dampfschiff im Suezkanal, Stereographie, 1904, C. H. Graves, Library of Congress, Washington DC; https://www.loc.gov/item/91727909/

Abfahrt aus Colombo

Die Abfahrt der „Fürth“ aus Colombo erfolgte am 23. Oktober 1914. Das Datum ist durch ein Telegramm des Gouverneurs von Ceylon, Robert Chalmers dokumentiert.

Prize ship “Furth“ left here October 23rd for London please make arrangements for taking over ship on behalf of Crown on arrival.
CHALMERS.
Quelle: Telegramm von Gouverneur Chalmers vom 26. Oktober 1914, Britisches Nationalarchiv, Referenznummer CO 323/625/9

Die Einzelheiten erfahren wir aus dem Logbuch.

Der erste Eintrag von Kapitän R. J. Thomson erfolgte am 21. Oktober 1914, also zwei Tage vor dem Ablegen.

An diesem Tag, einem Mittwoch, ließ er alle Boote zu Wasser und beließ sie dort bis zum nächsten Tag. Erst dann wurden sie wieder an Deck gehievt.

Oct 21st. All boats put in water

Oct 22nd. Boats taken onboard.

 

Am 23. Oktober 1914 kam früh um 5.40 Uhr ein Pilot an Bord und die Vorbereitungen zur Abfahrt wurden getroffen. Der Tiefgang wurde ebenfalls eingetragen:

Draft 21‘3“ fwd. 24‘0” aft.

5.40 am Pilot onboard. Singled Moorings
5.55 Stand by
6.10 Anchor up – Slow ahead.
6.20 am Pilot left
6.22 Full ahead. Passing Breakwater.
Streamed and set Log. Set Courses N 67° W
8 am. Light NW wind, mod. swell, fine clean weather.
Log 12 ½.

Kapitän Thomson hat das Patentlog verwendet, um zurückgelegte Entfernungen zu bestimmen. Alle vier Stunden gibt es in der Folge einen Eintrag im Logbuch dazu. Nicht dass ich Ihnen das Patentlog bislang verschwiegen hätte: unter Kapitän Richter wurde es offensichtlich nicht verwendet, es gab keinerlei Einträge im Schiffstagebuch.

Zur Funktionsweise: Das Patentlog besteht aus einer langen Leine, an deren Ende ein Propeller angebracht ist. Die Propellerumdrehungen bei Fahrt des Schiffes werden an Bord auf einem Zähler sichtbar gemacht und die zurückgelegte Entfernung kann sehr zuverlässig abgelesen werden.

Eine Peilung vom Abend desselben Tages:

11.52 pm Muttum Pt. L. abm 10’

Anmerkungen:

abm steht für abeam (deutsch: querab, also im 90° Winkel zur Fahrtrichtung)

Muttom Point Lighthouse liegt etwa 15 Seemeilen westlich von Kap Comorin, der Südspitze des indischen Subkontinents.

Der Leuchtturm spielte eine Rolle bei dem Untergang des Dampfschiffes „Bergedorf“. Der Leuchtturm hatte im Januar 1910 eine stärkere Befeuerung erhalten und die Kennung war geändert worden. Dies führte zu einer Verwechslung, da die Seekarten an Bord der „Bergedorf“ nicht aktualisiert worden waren. (Kennung = Farbe des Feuers und Verhältnis von Scheindauer zu Unterbrechungsdauer).

SIEHE: Der Untergang des Dampfers „Bergedorf“

Informationen über den Leuchtturm: http://muttomlighthouse.com/index.html

Im Tagebuch vermerkt sind ab Ceylon auch die wachhabenden Seeleute.

Die Einträge gehen täglich von 18 Uhr bis 6 Uhr, Wachwechsel alle zwei Stunden. Am 23. und 24. Oktober ist nur ein Name pro Schicht eingetragen, danach regelmäßig zwei Namen.

Alleppey 1900, Lighthouse

Alleppey Leuchtturm, 1900, Fotograf: Zacharias D‘Cruz, British Library Online Collection (bl.uk)

Durch den Indischen Ozean

Die „Fürth“ lief auf ihrer Fahrt Richtung Rotes Meer zunächst die Küste von Kerala (Südwest-Indien) entlang und passierte Alleppey am Mittag des 24. Oktober 1914.

Auf einigen Fahrten hatte die „Fürth“ an der indischen Malabarküste angelegt: SIEHE Das Dampfschiff „Fürth“ an der indischen Malabarküste

Um 18.35 Uhr des gleichen Tages wurde der Kurs von N 23° W auf N 56° W geändert. Das bedeutete, dass das Schiff die indische Küste verließ um den Indischen Ozean in Richtung des Golfs von Aden zu queren.

Die Fahrt durch den Indischen Ozean verlief ruhig.

Der Standardeintrag um Mitternacht in das Logbuch lautete:

„Lights, Lookouts, Ventilation, Soundings having careful attention.”

 

Wie auch schon zuvor die deutsche Decksmannschaft, wurde auch die neue Mannschaft der „Fürth“ mit den gleichen Routinearbeiten beschäftigt:

„Crew employed cleaning & painting ship”

 

Das Wetter ist routinemäßig notiert und zeigt wenig Veränderung. Ein typischer Eintrag vom 29. Oktober, 20 Uhr:

Light East Wind & Smooth Sea, fine clear weather. Log 81

Im Roten Meer

Für die Fahrt durch das Rote Meer benötigte die „Fürth“ knapp sechs Tage.

Die erste Landpeilung nach der Querung des Indischen Ozeans und vor der Einfahrt in das Rote Meer lautete am 1. November 1914:

11.6 am Aden (Marchaq) L. Str. abm 3‘ Log 34 ½. (Signalled)

Das Ras Marchaq Lighthouse ist seit 1867 in Betrieb. Signalled bedeutet, dass die „Fürth“ ihr Unterscheidungssignal an den Leuchtturm übermittelt hat. Siehe dazu: Das Unterscheidungssignal der „Fürth“

Die Insel und Kohlenstation Perim in der Meeresstraße Bab al-Mandab am Eingang zum Roten Meer wurde um 18.35 Uhr gesichtet und um 20.30 Uhr passiert (Balfe Pt. L. abm 2‘).

Die Kohlestation zur Versorgung von Dampfschiffen existierte auf der Insel Perim von 1883 bis 1936. Sie wurde von der Perim Coal Company betrieben und stand in scharfer Konkurrenz mit Kohleversorgern in Aden.

In der Nacht von 1. auf 2. November frischte der Wind auf und die See wurde rau:

2. November, 8 Uhr:

Strong SW wind & rough sea

Vier Leuchttürme wurden an diesem Tag passiert, im Lauf des Nachmittags flaute der Wind ab und die See wurde ruhiger.

0.7 am Mocha L. abm. 7

5.15 Abu Ail L. abm 2’

11.56 am Centre Peak L. str abm 3’

3.38 pm. Jebel Tair Isl. L. Str abm 3’

Drei Tage später, am 5. November, wurden am Abend die zu Ägypten gehörigen El Ikhwa Islands oder Brothers Islands mit dem Brothers Island Lighthouse passiert bevor um 23.15 Uhr die Maschine für zwanzig Minuten gestoppt werden musste. Die Probleme sind nicht näher beschrieben (engine purposes), wiederholten sich aber in der gleichen Nacht (6. Nov. 1914, 0.10 Uhr). Diesmal wurde die Fahrt für zehn Minuten unterbrochen.

Port Tewfic, Suez canal

Port Tewfic am südlichen Eingang des Suezkanals, Photochromdruck, um 1900; Quelle: Library of Congress; https://www.loc.gov/item/2017656980/

Die Kanalfahrt

Am Abend des 6. November 1914 erreichte die „Fürth“ die südliche Einfahrt des Suez-Kanals und ging vor Anker:

8.15 Stand By
8.30 Stopped
8.50 pm Anchored on Port on 20 faths
of cable in 7 faths of water
Mid.
Light West winds & smooth sea, fine clear weather

Das Ankern am Kanaleingang gehörte zur Prozedur einer Kanalfahrt, ebenso wie die Anbordnahme eines Lotsen und die Bezahlung:

A vessel on reaching the port of entry must anchor and arrange for passing….The ship is gauged, a pilot ordered, and the bill made out in advance….A copy of the regulations and of signals used at stations is supplied to each vessel.
aus: Senate Documents, Otherwise Publ. as Public Documents and Executive Documents, 14th Congress, 1st Session-48th Congress, 2nd Session and Special Session, Band 7, 1884, abgerufen über books.google.fr

Ein paar Informationen zum Suezkanal

In seinem Verlauf vom Mittelmeer zum Roten Meer nutzt der Kanal natürliche Wasserflächen, wie den Timasahsee und den Großen und Kleinen Bittersee. Im nördlichen Teil verläuft er durch den schon beim Kanalbau ausgetrockneten Menzalehsee (siehe Karte).

Der Kanal verläuft durch eine weitgehend vegetationslose Landschaft. Die Sanddrift macht ein regelmäßiges Ausbaggern der Fahrrinne notwendig. Winde und Strömungen können die Durchfahrt erschweren.

There is nothing remarkable in the appearance of the canal except the general absence of vegetation; the continued drift of sand necessitates the employment of dredgers throughout. In places where the sand lies at less than the natural angle the banks are supported by imbedded sones. The water pipes from Ismailia to Port Said assist the same object….
The services of the pilot are most necessary in the Bitter Lakes; in the Little Bitter Lake and thence southward, close attention must be paid to the direction and force of the wind and to the current, which sometimes sets across the canal.
The Maritime Canal of Suez, J.E. Nourse, 1884, 48th Congress, 1st Session; Washington 1884; abgerufen über books.google.fr

Der Suezkanal hat keine Schleusen, er war zu Beginn 87 Seemeilen lang. Die Verwaltung oblag und obliegt der Suez Canal Authority.

Seit 1887 konnte der Suezkanal auch nachts durchfahren werden. Schiffe mussten dazu elektrische Suchscheinwerfer an Bord haben oder sich dieses Material vor Ort für die Durchfahrt leihen.

Die Kanalfahrt war auf 10 Kilometer/Stunde begrenzt, um die Uferböschungen vor Erosion zu schützen.

The maximum speed permitted in the canal itself is 10 kilometres an hour.
Encyclopedia Britannica, Ausgabe 1911 (en.m.wikisource.org).

Bei Begegnungen stoppte eines der Schiffe, während das andere die Fahrt fortsetzte:

… ; but owing to the widening that have been carried out, passing is now possible at any point over the greater part of the canal, one vessel stopping while the other proceeds on her way.
Encyclopedia Britannica, Ausgabe 1911 (en.m.wikisource.org).

In recht regelmäßigen Abständen befanden sich 14 Signalstationen zur Überwachung des Schiffsverkehrs am Kanal.

Suez canal about 1913

Begegnung zweier Schiffe im Suezkanal. Das Schiff, von dem aus die Aufnahme gemacht wurde, liegt in einer Ausweichstelle und lässt das andere passieren; Stereoskopkarte, 1913, Library of Congress, Washington DC, https://www.loc.gov/item/2019637404/

Suez und Port Tewfic

Die Stadt Suez am südlichen Kanalende hatte 1907 gut 18.000 Einwohner. Seit dem Kanalbau gibt es einen Frischwasserkanal, der Wasser vom Nil nach Suez bringt. Der Kanal war die wirtschaftliche Grundlage der Stadt. Hafen und Kaianlagen lagen etwa drei Kilometer südlich in Port Tewfic. Sie waren durch einen Damm und einen Eisenbahnanschluss mit Suez verbunden. Für Mekka-Pilger gab es eine Quarantänestation.

Suez is a quarantine station for pilgrims from Mecca; otherwise its importance is due almost entirely to the ships using the canal.

Zitat und Informationen nach Encyclopedia Britannica, Ausgabe 1911 (en.m.wikisource.org).

Suez and Port Tewfik

Suez und Port Tewfik am südlichen Ende des Suezkanals, Karte von 1914; aus: Egypt and the Sudan, Karl Baedeker, University of California Libraries; über commons.wikimedia.org

Suez Egypt 1914

In Suez, Luftaufnahme, um 1914; Quelle: Bain News Service, Library of Congress, Washington DC; https://www.loc.gov/item/2014697965/

Frühe Abfahrt

Am 7. November 1914 kam ein Pilot bereits um 2.30 Uhr nachts an Bord der „Fürth“.

Dazu die Einträge ins Logbuch von diesem Tag.

Anchor Lights Ventilation Sounding & Lookouts carefully attended to

2.30 am Pilot onboard
4 am Light NW airs, fine clean weather
4.3 am Stand By
4.15 Anchor up
4.20 Full ahead
4.35 Canal Office

Im Anschluss wurden im Logbuch die Signalstationen notiert, die etwa im Stundentakt passiert wurden:


5.44 Station No. 1

6.42 Station No. 2

7.37 Stn No. 3

8 am Light NW winds fine weather. Clear. Engines working to orders.
9 am Station No. 4

10.5 Made fast Station No. 5

10.56 proceeded

11 am Stn No. 6

11.40 Stopped Ismaila
changed Pilots. Light airs, fine weather

Draft 20.10 fwds. 21.3 aft.

Suez canal, signal station, 1919

Signalstation am Suezkanal, 1919; Quelle: Australian War Memorial, Accession No. H01803; https://www.awm.gov.au/collection/H01803/

Ismailia

Ismailia liegt am Timsahsee auf der halben Strecke des Suezkanals. Ein obligatorischer Lotsenwechsel fand und findet hier immer noch statt.

Lake Timsah, once a dry basin, is now a sheet of water 2 miles long by 2 ½ miles wide, having through it a navigable channel and an artificial basin three-fifth of a mile square. The town of Ismailia is situated on it; it is almost exclusively a European village, having had no existence before the canal. A fresh-water canal from the Nile gives an ample supply of water, and a considerable vegetation in and about the town. Various species of palms and all varieties of the acacia are luxuriant.
aus: Senate Documents, Otherwie Publ. as Public Documents and Executive Documents,th Congress, 1st Session-48th Congress, 2nd Session and Special Session, Band 7, 1884, abgerufen über books.google.fr

Timsah Lake, Suez canal

Suezkanal am Timsahsee, Photochromdruck, ca. 1890-1905; Library of Congress, Washington D.C.; https://www.loc.gov/item/2017656986/

Von Ismailia nach Port Said

Mit dem neuen Lotsen an Bord ging es nach Port Said, wieder wurde die Passage der Signalstationen im Logbuch festgehalten:

0.12 pm Station No. 8

1.25 Station No. 9

2.22 pm Station No. 10

3.20 Station No. 11

4 pm. Light West winds fine weather
Engines working to orders.
4.34 (?) Station 12

5 pm Station 13

6.5 pm Station No 14

7 pm Left Canal

Am 7. November 1914 um 19 Uhr verließ die „Fürth“ den Suezkanal.

Im Logbuch wurde die Dauer der Kanalfahrt mit 14 Stunden 30 Minuten notiert, das heißt die Einfahrt war um 4.30 Uhr, kurz vor dem Passieren des Kanalbüros in Suez.

Eine Fahrtzeit von 15 Stunden ist auch heute noch eine durchaus übliche Dauer für das Durchqueren des Suezkanals.

Port Said map 1914

Port Said, Karte von 1914; aus: Egypt and the Sudan, Karl Baedeker, University of California Libraries; über commons.wikimedia.org

Port Said 1898

Suezkanal bei Port Said, Stereographischer Druck, 1898; Library of Congress, Washington D.C.; https://www.loc.gov/item/91727902/

In Port Said

Im Jahr 1907 hatte Port Said 49.884 Einwohner. Die Stadt verdankte ihre Existenz dem Suezkanal und diente der Versorgung der durchfahrenden Schiffe:

It lies on the western side of the canal on the low, narrow, treeless and desolate strip of land which separates the Mediterranean from Lake Menzala, the land at this point being raised and its area increased by the draining of part of the lake and by excavation of the inner harbour.

For many years after its foundation it depended entirely upon the traffic on the canal, being the chief coaling station of all ships passing through and becoming the largest coaling station in the world.

Die Stadt hatte einen schlechten Ruf:

…with the damp heat and the dirt and noise of the incessant coaling operations gave the town an unenviable reputation.

Anfang des 20. Jahrhunderts verbesserte sich die Situation der Stadt durch beginnenden Baumwollexport und einen Eisenbahnanschluss nach Kairo.

Zitate und Informationen nach Encyclopedia Britannica, Ausgabe 1911 (en.m.wikisource.org).

Auch Kapitän Thomson nutzte Port Said zum Bunkern von Kohle:

7.30 Off. Bump (?) Let go Anchor (Port.) & made fast to Bumps (?) fore & aft.

7.36 Finished with Engines.

8 pm. Commenced Coaling.

Mid. Nord. West winds fine clear weather

coaling Port Said 1934

Suezkanal, Bunkern von Kohlen, 1934, Library of Congress, Washington D.C.; https://www.loc.gov/item/2019713228/

Suez Kanal Video (ca. 1920)

Von einer Fahrt durch den Suezkanal gibt einen schönen Dokumentarfilm aus den 1920er Jahren (7:33 Minuten). Der Film des Unternehmens Pathé News entstand für die damaligen Wochenschauen (newsreel), die im Kino gezeigt wurden und sich großer Popularität erfreuten.

In den Stummfilm sind kurze englische Textblöcke zur Erklärung eingefügt.

Der Film beschreibt eine Fahrt von Suez nach Port Said, die Fahrtrichtung entspricht also der im Logbuch der „Fürth“ dokumentierten Fahrt durch den Suezkanal. Man bekommt einen sehr guten Eindruck von der Kanalfahrt in der damaligen Zeit, aber auch von Besiedlung und Landschaft. Meine Lieblingsszene ist diejenige, in welcher der Kanallotse mit dem schicken Tropenhelm an Bord eines Schiffes geht.

Den Film gibt es auf YouTube (https://www.youtube.com/watch?v=j3cyoo2n7Ts) oder direkt auf der Seite britishpathe.com unter dem Stichwort The Suez Canal 1920.

Bei über 200.000 historischen Kurzfilmen besteht jedoch die Gefahr, dass Sie viel länger auf der Seite bleiben, als die siebeneinhalb Minuten.

Port Said 1915

Hafen von Port Said mit dem Verwaltungsgebäude der Suez Canal Authority, 1915, kolorierte Postkarte, State Library Victoria, ID H84.414/12

Durchs Mittelmeer

Die Aufnahme von Bunkerkohle in Port Said dauerte fünf Stunden und vierzig Minuten und endete in der Nacht um 1.40 Uhr. Anschließend wurden die Vorbereitungen zur Abfahrt getroffen. Dazu steht im Logbuch vom 8. November 1914

Anchor Lights Lookouts Ventilation Soundings carefully attended to
1.40 am. Coaling finished
1.55 Stand By
2.8 Anchor up Slow ahead
2.10 Pilot left
2.35 S/Set Log

Anmerkung: S/Set Log bedeutet ausgeschrieben: Streamed and set Log

Damit konnte die Fahrt der „Fürth“ durch das Mittelmeer beginnen. Ein nächster Zwischenstopp wird in Gibraltar sein.

Über die Reise der „Fürth“ von Port Said nach London anhand der Eintragungen im Schiffstagebuch können Sie hier nachlesen. Dampfschiff „Fürth“: Fahrt durchs Mittelmeer und den Atlantik nach London

Anmerkung: Erstveröffentlichung des Beitrags im Oktober 2020.

Port Said about 1900

Port Said, nördliche Zufahrt zum Suezkanal, Photochromdruck, um 1900; Quelle: Library of Congress; https://www.loc.gov/item/2017656966/

steam ship Furth, bielbrief, detail, Hamburg

Der Bielbrief der „Fürth“ und die Eintragung ins Schiffsregister

Originaldokumente aus dem Jahr 1907

Staatsarchiv Hamburg

Im Staatsarchiv Hamburg konnte ich bei den Seeschiffsregisterakten die Akte des „Schraubendampfers Fürth“ ausfindig machen. Die Akte enthält zahlreiche Originaldokumente aus der Registrierungsphase der „Fürth“ sowie den dazugehörigen Schriftverkehr zwischen der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, dem Kaiserlichen Vermessungsamt und der Schiffsregisterbehörde in Hamburg.

Erleichtert wurde die Einsichtnahme der Akte durch einen Kopierservice, den das Staatsarchiv Hamburg in Kooperation mit den Elbe-Werkstätten, einer gemeinnützigen, anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen, anbietet. Das ist eine gute Alternative zu einer persönlichen Fahrt in den Lesesaal, der von mir aus stolze 1300 Kilometer entfernt ist.

steamship Fürth, registration documents, Hamburg

Antrag der DADG zum Eintrag der „Fürth“ in das Schiffsregister; © Staatsarchiv Hamburg, Schiffsregisterakte Schraubendampfer Fürth, Registernr. 3656, Ref. 231-4_3005

Das Antragsschreiben

Das hier abgebildete Antragsschreiben der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft ist adressiert an die „Deputation für Handel und Schifffahrt“ in der Schiffsregister-Behörde Hamburg.

Das vom 13. August 1907 datierte Scheiben lautet:

D. “Fürth“
Wir beantragen ergebenst die Eintragung dieses für uns bei der Flensburger Schiffsbau-Gesellschaft in Flensburg gebauten Dampfers und fügen zu diesem Zweck die vorgeschriebene Anzeige und Bielbrief hier bei.
Gleichzeitig ersuchen wir um Ausfertigung eines Schiffs-Zertifikats sowie Auszuges aus demselben und baldmöglichste Überlassung des deutschen Messbriefes.
Hochachtungsvoll

Unterzeichner sind Direktor Harms und ein Prokurist: ppa. Oppermann.

Unter den Unterschriften findet sich ein Zusatz des Adressaten: Unterschriften und Vertretungsbefugnis sind amtlich bekannt.

In der Schiffsregisterakte im Staatsarchiv befinden sich ebenfalls die im Brief erwähnten Anlagen: Die sogenannte Anzeige und der Bielbrief.

steam ship Furth, registration documents, Hamburg

Titelseite der Anzeige für die Eintragung der „Fürth“ ins Schiffsregister; © Staatsarchiv Hamburg, Schiffsregisterakte Schraubendampfer Fürth, Registernr. 3656, Ref. 231-4_3005

Die Anzeige

Bei der sogenannten Anzeige handelt es sich um ein vierseitiges Formular, das bei der Beantragung der Eintragung in das Register für Seeschiffe ausgefüllt werden musste. Es enthält Angaben über die Schiffsgattung („Schraubendampfer“), die Maschinenleistung (2200 indizierte Pferdestärken), das Baumaterial (Stahl), den Namen des Erbauers (Flensburger Schiffsbau-Gesellschaft), den Erbauungsort (Flensburg), das Erbauungsjahr (1907) und den Heimathafen (Hamburg).

steam ship Furth, registration documents, Hamburg

Seite 2 der Anzeige für die Eintragung der „Fürth“ ins Schiffsregister; © Staatsarchiv Hamburg, Schiffsregisterakte Schraubendampfer Fürth, Registernr. 3656, Ref. 231-4_3005

Als Reederei ist die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft eingetragen mit dem Verweis auf die letzte Registereintragung, den Dampfer „Neumünster“.

Anmerkung: Das Schiff „Neumünster“, ein Schwesterschiff der „Fürth“, wurde drei Monate zuvor, im Mai 1907, an die Reederei abgeliefert.
steam ship Furth, registration documents, Hamburg

Seite 3 der Anzeige für die Eintragung der „Fürth“ ins Schiffsregister; © Staatsarchiv Hamburg, Schiffsregisterakte Schraubendampfer Fürth, Registernr. 3656, Ref. 231-4_3005

Auf der vierten Seite ist ausgewiesen, dass es sich um einen Neubau handelt und es wird auf den Bielbrief vom 3. August 1907 verwiesen (siehe unten).

Im Hinblick auf den Lebenslauf von Kapitän C. B. Saegert, dem ersten Schiffsführer der „Fürth“, ist interessant zu erfahren, dass sein Wohnort mit Rostock angegeben ist. Ein Hinweis, der uns mehr über die Identität des Kapitäns verraten kann (Kapitän C. B. Saegert – eine Würdigung). Außerdem ist die Besatzung der „Fürth“ mit vierzig Personen angegeben und wir erfahren, dass die „Fürth“ zwei Chronometer an Bord hatte.

steam ship Furth, registration documents, Hamburg

Seite 4 der Anzeige für die Eintragung der „Fürth“ ins Schiffsregister; © Staatsarchiv Hamburg, Schiffsregisterakte Schraubendampfer Fürth, Registernr. 3656, Ref. 231-4_3005

Der Bielbrief

Laut Brockhaus‘ Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1, Leipzig 1911, S. 203 ist ein Bielbrief oder Beilbrief bzw. Bylbrief ein „obrigkeitliches Zeugnis über Ursprung (gesetzmäßig ausgeführten Bau), Gattung, Größe und Tragfähigkeit eines Schiffs“ (Quelle: http://www.zeno.org/nid/20000957712)

Im Bielbrief der „Fürth“ bescheinigt die Werft, die Flensburger Schiffsbau-Gesellschaft, den Neubau des Dampfers und dessen Eigentumsübergang an die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft.

Dabei wird das Baumaterial angegeben (Stahl), die Dimensionen des Schiffs und die Bauzeit. Die Tragfähigkeit der „Fürth“ wird in einem anderen Dokument angegeben, dem Messbrief, auf den wir noch zurückkommen.

Unterzeichnet wurde der Bielbrief vom Direktor der Flensburger Schiffsbau-Gesellschaft, Thomas Bredsdorff und dem Prokuristen Adolf Jacobsen in Anwesenheit des Notars Christian Petersen, einem Notar aus Flensburg im Bezirk des Königlich Preußischen Oberlandesgerichts zu Kiel. Das Unterzeichungsdatum ist der 3. August 1907. Er ist damit derzeit das älteste von der „Fürth“ vorliegende Original-Dokument.

steam ship Furth, Bielbrief, registration documents, Hamburg

Bielbrief der „Fürth“; © Staatsarchiv Hamburg, Schiffsregisterakte Schraubendampfer Fürth, Registernr. 3656, Ref. 231-4_3005

Die Notargebühren für die Beurkundung des Bielbriefes der „Fürth“ gehen aus einem Rechnungsstempel in der linken unteren Ecke der Urkunde hervor: 57,40 Mark laut geltender Gebührenordnung, 1,50 Mark als Stempelgebühren und 10 Pfennig Schreibgebühren, was sich zu Notargebühren in Höhe von 59,00 Mark addierte.

Zum Vergleich: Ein Bauarbeiter in Kiel hatte 1907 einen Wochenlohn von 27,00 Mark bei einer Arbeitswoche von wohlgemerkt 54 Stunden (Quelle: Arbeitslohn und Arbeitszeit in Europa und Amerika 1870–1909, Rene Kuczynski, S. 693, abgerufen über books.google.fr).

steam ship Furth, bielbrief, notary's stamp, Hamburg

Bielbrief der „Fürth“, Notarstempel; © Staatsarchiv Hamburg, Schiffsregisterakte Schraubendampfer Fürth, Registernr. 3656, Ref. 231-4_3005

Bevor die „Fürth in das Register für Seeschiffe eingetragen werden konnte, musste allerdings noch ein weiteres Dokument vorliegen: Der Messbrief.

Hinweis: Erstveröffentlichung dieses Artikels am 23. März 2019.

distances Europe Australia in nautical miles

Die weiten Reisen des Dampfschiffes „Fürth“

54000 Kilometer in fünf Monaten

Titelbild: Entfernungstabelle Linie 2 aus: Handbuch of the Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, for Australia and New Zealand, 1914; State Library of New South Wales, Sydney

Vor der kommenden Feriensaison zeige ich Ihnen heute eine Entfernungstabelle der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) aus dem Jahr 1914.

Sie kennen diese Art von Tabellen vielleicht noch aus dem Pränavizän, also dem Erdzeitalter vor der Erfindung des Navigationsgerätes, als ein Autoatlas zur Standardausrüstung für die automobile Urlaubsreise gehörte.

Mein betagtes Exemplar von der Kraftstofffirma mit der Muschel weist beispielsweise für die Reise von Hammerfest nach Malaga stolze 5533 Straßenkilometer aus.

Mit ungleich größeren Entfernungen rechnete die DADG in ihren Entfernungstabellen.

Die Tabelle der DADG aus dem Jahr 1914

Wie es sich für eine Reederei gehört, sind alle Entfernungen in Seemeilen (= nautische Meilen) angegeben, das heißt, für eine Angabe in Kilometern muss jeder Wert mit 1,852 multipliziert werden (1 Seemeile entspricht 1852 Meter).

Die Gesamtdistanz einer gut fünfmonatigen Rundreise von Hamburg nach Hamburg, in der Tabelle 29245 Seemeilen, entspricht also gut 54000 Kilometern. Die Strecke Hammerfest-Malaga würde dagegen, in Seemeilen ausgedrückt, auf 2988 Seemeilen zusammenschrumpfen.

Zugegebenermaßen habe ich die umfangreichste Tabelle mit den weitesten Entfernungen herausgesucht (Linie 2 der DADG), aber die anderen Übersichten stehen diesem Tableau nicht viel nach.

Warum der Text in Englisch ist, habe ich hier erklärt: Die Flotte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft 1914

distances Europe Australia in nautical miles

Entfernungstabelle Linie 2 aus: Handbuch of the Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, for Australia and New Zealand, 1914; State Library of New South Wales, Sydney

Die Häfen der Linie 2

Von links nach rechts sind die Häfen in der Reihenfolge angegeben, wie sie auf der Linie 2 der Reederei angelaufen wurden: von Europa über Südafrika nach Australien. Sydney war die „Endhaltestelle“. Von dort ging es zurück über Süd- und Westaustralien, also Port Adelaide und Fremantle nach Batavia (Jakarta).

Anmerkung: In Klammern habe ich die heute gültigen Namen der Städte gesetzt.

Die weiteren Häfen auf Java waren Samarang (Semarang), Soerabaya (Surabaya) und Tjilatjap (Cilacap). Anschließend liefen die Schiffe in die beiden britischen Besitzungen, die Strait Settlements Singapur und Penang auf der Malayischen Halbinsel und von dort an die indische Malabarküste nach Cochin (Kochi). Zu Cochin siehe: Das Dampfschiff „Fürth“ an der indischen Malabarküste

Suez (Sues) und Port Said schließlich sind die beiden Endpunkte des Suezkanals, bevor Marseille der erste europäische Hafen auf der Rückreise war (in der Tabelle wird die englische Schreibweise Marseilles verwendet).

Durch den Umweg über Südostasien wuchs die Entfernung zwischen Sydney und Hamburg auf 15335 Seemeilen an. Auf der Hinreise waren es dagegen „nur“ 13910 Seemeilen, obwohl die Reise um den Afrikanischen Kontinent herumlief.

Eine andere Tabelle (Linie 1) weist für die direkte Rückreise von Sydney über Colombo nach Hamburg eine Entfernung von 12790 Seemeilen aus (siehe Abbildung).

Distances in nautical miles, Europe, Australia

Entfernungstabelle Linie 1 aus: Handbuch of the Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, for Australia and New Zealand, 1914; State Library of New South Wales, Sydney

Nah und fern

Die kürzeste Entfernung in der Tabelle ist die von Suez nach Port Said mit 87 Seemeilen, was der Länge des Suezkanals zur damaligen Zeit entspricht (genau waren es 87,7 Seemeilen oder 162,5 Kilometer).

Die weitesten Distanzen, die das Schiff zwischen zwei Häfen ohne Landberührung zurücklegte, waren die Strecke Antwerpen – Kapstadt (6250 Seemeilen) und East London (Südafrika) nach Fremantle (Westaustralien, 4320 Seemeilen).

In Zeit ausgedrückt dauerte die Reise von Antwerpen nach Kapstadt etwa 3 ½ Wochen, die von East London nach Fremantle rund 2 ½.

Es kam aber auch vor, dass die Strecke Antwerpen – Fremantle (oder Melbourne) nonstop zurückgelegt wurde. Die Mannschaften blieben dann sechs Wochen oder mehr ohne Landberührung (und ohne Nachrichten, wenn keine drahtlose Telegrafie an Bord war – heute unvorstellbar!).

United Tyser Line

Interessant finde ich auch die Tabelle der United Tyser Line, einer Gemeinschaftslinie aus DADG, DDG Hansa (Bremen) und der Tyser Line Ltd. (London). Von New York nach Sydney (über Südafrika) legten die Frachtdampfer eine Strecke von 14010 Seemeilen, knapp 26000 Kilometer zurück. Nicht in der Tabelle verzeichnet ist Durban in Südafrika, ein Hafen der zwischen New York und Fremantle zur Aufnahme von Bunkerkohlen angelaufen wurde.

United Tyser Line, distances

Entfernungstabelle United Tyser Line aus: Handbuch of the Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, for Australia and New Zealand, 1914; State Library of New South Wales, Sydney

Zurückgelegte Gesamtdistanz

Für das Dampfschiff „Fürth“ habe ich versucht, die zurückgelegten Seemeilen abzuschätzen, die das Schiff von der Jungfernfahrt im August 1907 bis zum Ersten Weltkrieg bei der Festsetzung in Colombo (August 1914) zurückgelegt hat.

Allein sechsmal bediente das Schiff die in der Entfernungstabelle angegebene Linie 2.

Bei insgesamt fünfzehn durchgeführten Reisen komme ich an Hand der Entfernungstabellen und mit zusätzlicher Ergänzung einiger Strecken durch die Internetseite searoutes.com auf etwa 425 000 Seemeilen oder 787 000 Kilometer.

Zurück zu eingangs erwähnter Strecke: die Distanz von Hammerfest nach Malaga hätte das Schiff in den sieben Jahren insgesamt mehr als 142-mal zurückgelegt.

Anders ausgedrückt hat die „Fürth“ in dieser Zeit die Erde über neunzehnmal umrundet.

Auf das Kalenderjahr gerechnet gibt das eine Fahrdistanz des Dampfschiffes „Fürth“ von 61 000 Seemeilen oder 112 000 Kilometern.

Bei einer angenommenen Durchschnittsgeschwindigkeit von 10,5 Knoten dürfte das Schiff im Schnitt somit rund 242 Tage pro Jahr auf See gewesen sein.

Wenn man bedenkt, dass das Be- und Entladen vor Erfindung des Containers eine aufwändige Angelegenheit war, ist das eine gute Auslastung.

steam ship Furth, 10th travel to Australia

Beispiel für eine Linienfahrt der „Fürth“ auf der Linie 2 der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft; eigene Tabelle; jedes Datum ist durch mindestens eine Zeitungsmeldung belegt

Zuverlässige Dampfmaschine

Die Maschinisten der „Fürth“ müssen gute Arbeit geleistet haben, denn in den sieben Jahren ist kein einziger Maschinenschaden dokumentiert, zumindest keiner, der eine lange Verzögerung bedeutet hätte und eine Meldung in den damaligen Tageszeitungen wert gewesen wäre.

SS Great Britain Bristol, engine room

SS Great Britain, Maschinenraum, Bristol (England), eigene Aufnahme Februar 2019

Allgemeine Gültigkeit

Die vorgestellten Werte dürften ein Durchschnitt gewesen sein, der für alle anderen Schiffe der Reederei ebenfalls Gültigkeit hat. Die Höchstgeschwindigkeit der Schiffe lag sehr einheitlich zwischen 11,5 und 12,5 Knoten (21,30 -23,15 km/h).

Mit einer Maschinenleistung von 2200 PS lag die „Fürth“ zu Beginn des Jahres 1914 bereits am unteren Ende der Skala aller eingesetzten Schiffe, neuere Frachtdampfer ähnlicher Baugröße hatten bereits 3100 PS, die großen Schiffe bis zu 4500 PS.

Auch alle anderen Frachtschiffe der großen deutschen Reedereien im Überseeverkehr (HAPAG, Norddeutscher Lloyd, DDG Hansa oder Hamburg Süd) dürften um das 1910 auf ähnliche Werte gekommen sein.

Für Kombi- oder Passagierschiffe galten andere Werte, diese Schiffe waren deutlich schneller unterwegs und konnten dementsprechend größere Distanzen bei gleicher Fahrzeit zurücklegen.

shipping review 1912

Shipping Review, Daily Commercial and Shipping News, Sydney 31.12.1912

Von der Tageszeitung zum Live-Tracking

Vor dem Ersten Weltkrieg waren Tageszeitungen für ein breites Publikum die einzigen Nachrichtenquellen, um zu erfahren, wo sich ein Schiff gerade aufhielt, beziehungsweise am Tag oder an den Tagen zuvor aufgehalten hatte. In den Zeitungen der großen Hafenstädte nahmen diese Meldungen durchaus eine ganze oder sogar mehrere Seiten ein. Zwei Beispiele sind abgebildet.

Heute können Sie den weltweiten Schiffverkehr live von zu Hause aus mitverfolgen. Wenn Sie zum Beispiel Apps oder Homepages von MarineTraffic oder ShipFinder ansehen, bekommen Sie einen Eindruck vom globalen Schiffsverkehr.

Schiffsmeldungen Tageszeitung 1913, Beispiel

Suchbild: In welchem Hafen ist die „Fürth“ am 6. November 1913 angekommen? Schiffsmeldungen, Ausschnitt, De Maasbode, Rotterdam, 7. Nov 1913 (Abendblatt, 2. Ausgabe)

German Australian Line map 1912

Die Weltkarte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft

Titelbild: Weltkarte mit dem Linienverkehr der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft aus dem Jahr 1912; Digitalisierung: Peter Tamm Sen. Stiftung (Hamburg), Objektnr. 161789; Lizenz CC BY-NC 4.0 DEED, http://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/deed.de

Die Fahrtgebiete auf einen Blick

Auf der oben abgebildeten Karte aus dem Jahr 1912 hat die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) ihr Fahrtgebiet veranschaulicht. Keine leichte Aufgabe, wenn der Linienverkehr einer Reederei in fünf Kontinente führt (Europa, Afrika, Australien, Asien und (Nord-)Amerika).

Die Linien in der Karte zwischen den Kontinenten bezeichnen zum einen die wichtigsten Unterseekabel, die bis heute das Rückgrat der weltweiten Kommunikation bilden. Über ihre Geschichte und die Rolle der Firma Siemens & Halske hatte ich in dem Blogartikel über den Rohstoff Guttapercha berichtet: https://frachtdampferfuerth.com/2023/06/03/guttapercha-2/

Zum anderen stellen die Linien der Schiffsverbindungen der Reederei dar, ergänzt mit einigen Verbindungslinien („connecting lines“) anderer Reedereien, wie zum Beispiel die Linie des Norddeutschen Lloyd, die zwischen Sydney und Hongkong bis nach Japan verlaufend, die deutschen Kolonien an die Außenwelt angebunden hatte (Austral-Japan-Linie).

Vignette auf der Weltkarte, diesmal aus: Harm, O. (1933): Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg und den Untertitel Ihre Gründung und Entwicklung bis zum Kriege. Schröder & Jeve, Druckerei und Verlag, Hamburg 8

Der Linienverkehr der DADG

Die Kartenlegende weist sechs Linien aus, wobei noch eine zusätzliche Linie ohne Nummerierung angegeben ist (America – Australia and back). Dazu später mehr.

Linien 1 und 3

Die Linie 1 bediente ausgehend von Hamburg Rotterdam und Antwerpen, bevor die Fahrt nach Südafrika ging. Hier war Kapstadt der erste Anlaufhafen, dann Algoa Bay (Port Elizabeth). Die zwischen beiden Häfen liegende Bucht Mosselbay wurde in der Regel bei jeder zweiten Fahrt bedient.

Von Südafrika verlief die Linie 1 nach Melbourne, Sydney und Brisbane. Von dort ging es zurück über Sydney, Melbourne und Fremantle nach Colombo (Ceylon, heute Sri Lanka) und von dort nach Antwerpen und Hamburg.

Soweit der Fahrplan. Die Reederei handelte jedoch sehr flexibel und passte den Linienverkehr an die tatsächliche Ladungsmenge an. So konnte Brisbane entfallen und die Rückfahrt direkt ab Sydney erfolgen. Oder von Colombo aus noch Häfen an der indischen Malabarküste bedient werden, um dort noch zusätzliche Fracht aufzunehmen.

Wichtig war, dass das Schiff im Fahrplan blieb, um den lange im Voraus festgelegten Fahrplan einhalten zu können.

Die Abbildung zeigt den Fahrplan der Linie 1 ausgehend, das heißt von Europa nach Australien. Ein entsprechender Fahrplan existierte für die Rückfahrt („heimkehrend“).

Die Ankünfte in Südafrika als auch in Australien tragen den Zusatz „an etwa“, wohl wissend, dass eine taggenaue Angabe bei den zurückgelegten Fahrtstrecken unmöglich war. Immerhin legten die Schiffe zwischen Hamburg und Brisbane 13.695 Seemeilen zurück. In Kilometern klingt die Strecke noch eindrucksvoller: gut 25.300 Kilometer.

timetable German Australian Line 1912
Fahrplan der Linie 1 (ausgehend) der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft aus dem Jahr 1912; Digitalisierung: Peter Tamm Sen. Stiftung (Hamburg), Objektnr. 161789; Lizenz CC BY-NC 4.0 DEED, http://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/deed.de;

Die Linie 3 war in ihrem Verlauf weitgehend identisch, nur dass auf der Ausreise statt Rotterdam Lissabon angefahren wurde. Antwerpen wurde von beiden Linien bedient. Erster Anlaufhafen der Linie 3 in Australien war Adelaide, dann wie bei Linie 1 Melbourne, Sydney und Brisbane. Von dort startete auch die Linie 3 ihre Heimfahrt.

Die Linie 3 war im Lauf der Zeit deutlich verändert worden. Als das Dampfschiff „Fürth“ auf Linie zwischen 1907 und 1909 fuhr, verlief die Linie auf der Heimfahrt von Brisbane noch die australische Ostküste nach Norden und dann durch die Torres Straße über Makassar und Batavia (heute Djakarta) zurück nach Europa. Dies war jetzt der Linie 4 vorbehalten.

Linie 2

Auch die Linie 2 hatte die DADG umgestellt. Ursprünglich verlief sie von Hamburg über Rotterdam und Antwerpen nach Adelaide in Südaustralien und von dort über Java zurück nach Europa.

Eine direkte Rückfahrt von Adelaide hatte jedoch einen großen Nachteil: Bunkerkohle musste aufwändig aus dem Südosten Australien herangeschafft werden und auf sogenannten Kohlenhulks zwischengelagert werden. So weist der Fahrplan für 1912 eine Schleife auf, die von Adelaide über Sydney bis nach Newscastle NSW führt, dem wichtigsten Kohlehafen Australiens.

Für die Heimfahrt wurde Batavia (heute Djakarta) angelaufen und von dort aus andere Häfen auf Java bedient, wie Soerabaya oder Tjilatjap, bevor es über Singapur, Penang (ein britisches Straits Settlement, heute Teil Malaysias) und Cochin (indische Malabarküste) zurück nach Europa ging. Hier war der erste Anlaufhafen Marseille in Südfrankreich, dann Amsterdam und schließlich der Heimathafen Hamburg.

German Australian Line timetable 1912
Fahrplan der Linie 2 (heimkehrend) der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft aus dem Jahr 1912; Digitalisierung: Peter Tamm Sen. Stiftung (Hamburg), Objektnr. 161789; Lizenz CC BY-NC 4.0 DEED, http://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/deed.de;

Linie 4

Wie bereits oben angedeutet, war aus der alten Linie 3 die Linie 4 geworden. Nach Brisbane wurde noch Townsville an der australischen Ostküste angelaufen, weniger häufig auch Rockhampton und Cairns. Von dort gingen die Schiffe nach Makassar, dass die DADG zu einem wichtigen Standort in Niederländisch-Indien ausbauen konnte.

Für die niederländischen Reedereien lag von Batavia kommend Makassar bereits „ab vom Schuss“, so dass diese der DADG ein relativ hohes Frachtvolumen zugestanden, was die Reederei gerne annahm.

Anmerkung: Die Entfernung von Batavia nach Makassar beträgt rund 1000 Seemeilen.

Linie 5

Die Linie 5 hatte die Besonderheit, dass sie nicht über Südafrika, sondern durch den Suezkanal verlief. Sie bediente Java und Padang (West-Sumatra) in Niederländisch-Indien. Die Linie wurde in Zusammenarbeit mit den Reedereien Stoomvaart Maatschappij Nederland und dem Rotterdamsche Lloyd durchgeführt. Die DADG stellte ein Drittel der Schiffe auf der Linie, was 1912 den monatlichen Einsatz eines Schiffes erforderte.

Linie 6

Auch die Linie 6 war ungewöhnlich. Sie verlief im vierwöchentlichen Rhythmus von Skandinavien (Gothenburg in Schweden und Frederikstad in Norwegen) direkt nach Australien. Der Transport von Holzprodukten verschaffte der Reederei ein gewisses Zusatzgeschäft. Wichtiger war es jedoch, mehr Ladevolumen für die lukrative Rückfahrt von Australien nach Europa zu bekommen.

Linie 7

Noch nicht in der Übersichtskarte der Reederei für das Jahr 1912 eingezeichnet war die neue Linie 7, die zu dem wichtigen Erzhafen Port Pirie in Südaustralien führte. Von dort wurden vor allem Blei- und Zinkerze nach Europa verschifft. SIEHE dazu: https://frachtdampferfuerth.com/2019/11/30/erze-fuerth/

Der in der untenstehenden Anzeige vorgesehene Frachtdampfer „Fürth“ konnte die Reise jedoch nicht durchführen. Nach seiner Rückkehr nach Hamburg Ende August mussten zunächst Reparaturarbeiten in der Werft von H. Brandenburg durchgeführt werden, die durch Seeschäden notwendig geworden waren. Die Reparatur dauerte von 3. bis 14. September 1912.

German Australian Line timetable 1912
Umfangreicher Fahrplan mit den sieben Linien aus HANSA, Deutsche nautische Zeitschrift, 1912; Quelle: digishelf.de

Nordamerika

Überraschenderweise führte der Linienverkehr der DADG auch nach Nordamerika. Seit 1907 bestand eine Linienverbindung von New York mit Australien in Zusammenarbeit mit Hansa in Bremen und Tyser in London:

United Tyser Line
Artikel über die Linie New York – Australien in der Zeitschrift Hansa, März 1907

Eine Rückfahrt von Australien nach Nordamerika (New York und Boston) erfolgte jedoch nur in der australischen Wollsaison.

Eine weitere Verbindung von New York ist in der Übersichtskarte nicht erwähnt. Sie bestand zwischen New York und Java. Diese Linie wurde ausschließlich in dieser Fahrtrichtung durchgeführt. SIEHE: Im Auftrag Rockefellers

Das Dampfschiff „Fürth“ im Linienverkehr

Die sechs eigenen Linien der Reederei, die Zusatzlinien in Zusammenarbeit mit anderen Reedereien, Sonderfahrten, vor allem zur australischen Wolle- und Weizensaison und die langen Fahrtstrecken verlangten ein Höchstmaß an Flexibilität bei der Disposition der Schiffe.

Diese waren daher nicht „linientreu“, sondern bedienten im Wechsel die verschiedenen Linien. Für das namensgebende Schiff dieses Blogs, der Frachtdampfer „Fürth“, ergeben sich bei fünfzehn durchgeführten Fahrten von 1907 bis 1914 die folgenden Einsätze.

Eine Fahrt auf der Linie 1, deren sechs auf der Linie 2 und fünf auf der Linie 3. Die Skandinavien-Linie (Linie 6) und die Linie New York – Java bediente die „Fürth“ jeweils einmal. Komplettiert wurden die fünfzehn Reisen durch zwei außerplanmäßige Sonderfahrten.

Extra boot naar Sydney, ss Fürth, 19 Februari 1913, direct van Rotterdam
Ausschnnitt einer Anzeige von Wambersie und Sohn, Makler der DADG in Rotterdam, in der Zeitung Nieuwe Rotterdamsch Courant vom 2. Februar 1913
steamer Augsburg 1896

Verschollen und vergessen: Der Frachtdampfer „Augsburg“

Eine Erinnerung an die verschwundenen Seeleute der „Augsburg“

Beitragsbild: Der Frachtdampfer „Augsburg“, Aufnahmedatum unbekannt (zwischen 1896-1912); © R. Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, S. 30, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven 1984, Aufnahme aus der Sammlung A. Kludas.

Vorwort

Im Februar 2024 jährt sich der Untergang des Frachtdampfers „Augsburg“ zum 112. Mal. Nachdem das Schiff New York am 2. Februar 1912 verlassen hatte, ward es nie mehr gesehen. In Durban (Südafrika) wartete man vergeblich auf seine Ankunft. Es ist bis heute verschollen.

Nach dem ersten Erscheinen dieses Artikels im November 2020 konnte das Schicksals eines Heizers, des Schweizers Emil Steiner, aufgeklärt werden. Er war einer von den rund 40 Seeleuten, die im Ozean ein nasses Grab fanden. Seine Geschichte finden Sie hier: Schicksal des verschollenen Schiffsheizers Emil Steiner aufgeklärt

Ich wage nicht zu hoffen, noch ein weiteres Schicksal aufklären zu können. Mir geht es darum, die vergessene Geschichte der „Augsburg“ zu erzählen und den vierzig Männern ein Andenken zu hinterlassen.

Im Jahr 1912

Das Jahr 1912 wird in der Schifffahrtsgeschichte für immer und ewig mit dem Untergang der „Titanic“ verbunden bleiben. Sie erinnern sich sicher an einige Fakten: größtes Schiff der Welt – Eisberg – Kollision – White Star Line – Jungfernfahrt – 14. April 1912 – über 1500 Opfer usw.

Ich werde mich nicht in die Legionen einreihen, die über dieses bekannteste Schiffsunglück der Geschichte etwas zu sagen hatten oder auch nicht.

Zwei Monate zuvor, also im Februar 1912, war auf der Fahrt von New York nach Durban (Südafrika) ein anderes Schiff verunglückt und danach verschwunden, der Frachtdampfer „Augsburg“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG), Hamburg.

Dieser Schiffsuntergang hat es nicht einmal in die sonst recht umfangreiche Liste der bedeutenden Seeunfälle 1911 – 1920 bei Wikipedia gebracht, obwohl dort auch kleinere Havarien verzeichnet sind (Stand Februar 2024; https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_bedeutender_Seeunf%C3%A4lle_1911%E2%80%931920).

Das Schiff „Augsburg“, um das es hier geht, finden Sie ebenfalls nicht auf der Begriffsklärungsseite von Wikipedia, Stichwort Augsburg (Stand Februar 2024): https://de.wikipedia.org/wiki/Augsburg_(Begriffskl%C3%A4rung)

Auch sonst werden Sie über das Schiff nicht viel finden, und falls Sie doch auf mehr Informationen stoßen, als in diesem Artikel zu lesen ist, bitte ich um Ihre Mitteilung!

Der Frachtdampfer „Augsburg“ scheint also völlig vergessen zu sein; dieser Artikel möchte das Schiff wieder in Erinnerung bringen.

Vor allem aber soll der Artikel eine Erinnerung sein an die rund vierzig Seeleute, die mit dem Schiff „Augsburg“ bis heute verschollen sind. Ihre Namen sind unten im Text aufgeführt.

Anmerkung: Der hier beschriebene Frachtdampfer „Augsburg“ ist ein Dampfschiff der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG). Er ist nicht zu verwechseln mit SMS Augsburg, einem Kleinen Kreuzer der Kaiserlichen Marine, der 1909 vom Stapel lief.

Andere Schiffsunglücke im Blog

Über einen anderen Verlust eines Dampfschiffes der DADG hatte ich hier berichtet:

Der Untergang des Dampfers „Bergedorf“

Auch zwei andere, recht bekannte Schiffskatastrophen waren bereits ein Thema:

Die Explosion der „Sultana“ im Jahr 1865: SIEHE Gedenken an eine vergessene Katastrophe

und das mysteriöse Verschwinden der „Waratah“ im Jahr 1909. In die Suche nach dem australischen Schiff war auch der Frachtdampfer „Fürth“ eingebunden. SIEHE dazu: Suche nach der Waratah und Waratah – Suche Teil 2

Augsburg 1909 Steroscopic Card

Die Patenstadt: Ansicht von Augsburg mit Rathaus und Perlachturm, Stereoskopkarte 1909, Quelle: Library of Congress, https://www.loc.gov/item/2019643656/

Die „Augsburg“ (1896)

Die „Augsburg“ lief bei Charles Connell & Co. in Glasgow vom Stapel (Bau-Nr. 226) und wurde am 27. Juni 1896 an die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft ausgeliefert.

Es wurde bestellt am 18. Oktober 1895 ein Neubau bei Charles Connell & Co., Glasgow. Preis 39 500 £ – 6500 t d./w., elf Knoten; Lieferung 18. April 1896. Das war wieder ein Schritt vorwärts, 500 tons mehr d./w. und ½ Knoten mehr an Fahrt. Das Schiff wurde am 27. Juni 1896 geliefert und erhielt den Namen „Augsburg“. (Harms, 1933)

Anmerkungen:

d./w. = deadweight, Tragfähigkeit

39 500 £ entsprachen etwa 790 000 Mark. Die Einstandskosten der „Augsburg“ beliefen sich auf insgesamt 849 000 Mark (Harms, 1933).

Mit 4287 Bruttoregistertonnen, einer Länge von gut 115 Metern und einer Dreifachexpansions-Dampfmaschine mit 2000 PS hatte es eine vergleichbare Größe und Motorisierung wie das Dampfschiff „Fürth“. Die Bauweise des Schiffes war jedoch eine ganz andere. Siehe dazu zum Vergleich ein Bild der „Plauen“, eines Schwesterschiffs der „Fürth“, aus ähnlicher Perspektive.

Mehr über die „Plauen“ hier: Schwesterschiffe der „Fürth“: die „Plauen“

steamer Augsburg 1896

Der Frachtdampfer „Augsburg“, Aufnahmedatum unbekannt (1896-1912); © R. Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, S. 30, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven 1984, Aufnahme aus der Sammlung A. Kludas.

Dampfschiff

Das Dampfschiff „Plauen“, © National Library of Australia (State Library of New South Wales), Reference code 456726

Die Höchstgeschwindigkeit der „Augsburg“ ist mit 11 Knoten angegeben, die Stärke der Besatzung mit 37 Mann.

Vor der „Augsburg“ war nur das Schiff „Sommerfeld“ bei Charles Connell & Company bestellt worden. Danach wurde auf dieser Werft kein Schiff mehr für die DADG gebaut. Ein drittes Schiff, dass in Glasgow am Clyde gebaut wurde, war die „Chemnitz“ (1889). Die Werft war in diesem Fall Alexander Stephen & Sons.

A “poor man’s ship“

Die Einrichtungen für die Besatzung waren auf der Glasgower Werft sehr einfach gehalten. Das belegt das folgende Zitat:

Um für die getrennten Taxen bei der Kasko-Versicherung zuverlässige Unterlagen zu haben, hatten wir die Erbauer der Dampfer „Augsburg“ und „Flensburg“ um ihre Abschätzungen ersucht. Die Auskünfte lauteten für die Kajüte mit Zubehör:
auf 1080 £ für „Augsburg“ (6500 t d./w.)
auf 3200 £ für „Flensburg“ (6000 t d./w)
und zeigen, daß die Wohneinrichtungen usw. in Glasgow wesentlich einfacher als in Flensburg gehalten und mehr dem „poor man’s ship“ angepaßt waren.
Harms, 1933

Anmerkung: Die „Flensburg“ war von der Flensburger Schiffbau-Gesellschaft (FSG) erbaut worden, die Werft, welche die meisten Schiffe für die DADG herstellte.

Im Linienverkehr für die DADG

Von 1896 bis 1912 war die „Augsburg“ im Linienverkehr der DADG eingesetzt. Die Reederei bediente mit ihren Schiffen von Europa aus Südafrika, Australien und Niederländisch-Indien (das heutige Indonesien), hatte aber auch Linien von Nordamerika (New York) nach Java und nach Australien.

Feuer an Bord

Über ein Feuer an Bord der „Augsburg“ im Jahr 1904 hatte ich an anderer Stelle berichtet: Das Dampfschiff „Fürth“ an der indischen Malabarküste. Hier nochmal der Artikel aus The Sydney Morning Herald:

… The fire has been extinguished, cargo in No. 3 hold, Rolls of coir yarn, casks coconut oil, bags of poonac, bales of coir yarn, bags of copra for Hamburg and Antwerp; capacity of holds 23,800 cubic feet, about a half damaged more or less by fire and water. Most this cargo from Volkart Brothers. Stormy weather prevent work. All cargo No. 3 hold is being discharged, two-thirds already out. …
The Sydney Morning Herald, 16. März 1904, S. 10, Accidents to German Steamers

Anmerkungen: 23800 Kubikfuss sind rund 674 Kubikmeter; coir yarn ist Kokosfaser und poonac ist ein Rückstand der Kokosölgewinnung, also ein Ölkuchen, der noch als Viehfutter verwendet wird. Kopra ist getrocknetes Fruchtfleisch der Kokosnuss: Die Fracht der „Fürth“ – Kopra

Die im Artikel erwähnte Entladung der „Augsburg“ fand in Ferrol (spanische Nordwestküste) statt.

Ein Hurrikane und zwei Eisberge

Im Herbst 1907 hatte die „Augsburg“ einen schweren Hurrikane zu überstehen, bei dem zwei Eisberge gesichtet wurden. Das Schiff erreichte Fremantle (Westaustralien) mit erheblichen Schäden an Deck. Der Schweinestall mit zwei Schweinen und der Hühnerstall mit etwa einem Dutzend Hühnern wurden von Deck gespült. Schweine und Hühner dienten als Vorrat für die Bordküche.

Augsburg at Fremantle.
A HEAVY GALE.
ICEBEEGS SIGHTED.

FREMANTLE. Saturday, The Tyser liner Augsburg arrived last night from New York. The captain reports fine weather till October 2. When near Kerguelen she passed two large icebergs, five miles off. Next day the southerly gale increased to a hurricane. During the night the vessel was swept by heavy seas, and portion of the rails on the starboard side was carried away. The hand wheel aft was smashed, the iron stanchions supporting the awnings of poop broken and bent, and a large derrick weighing 1000 lb unshipped from the main mast. The pigstye with two pigs and hencoop with a- dozen fowls broke adrift, and striking the back stays on the port side were broken open and all the live stock were carried overboard. Next day the weather moderated, and continued fine to port. The ship sails tor Sydney this afternoon.
Evening News, Sydney, Sa 12. Okt. 1907

Die „Augsburg” unter Führung von Kapitän Paulsen (Evening Mail, 11. Okt 1907) war auf dieser Fahrt für die United Tyser Line unterwegs, einer Gemeinschaftslinie der DADG mit DDG Hansa, Bremen und der Tyser Line Ltd., London.

United Tyser Line

Artikel über die Linie New York – Australien in der Zeitschrift Hansa, März 1907

Februar 1912

Im Februar 1912 war die „Augsburg“ auf der Linie New York – Java eingesetzt. Eine Linie, die auch die „Fürth“ einmal bedient hatte und zwar im August 1913. SIEHE: Petroleum für Java

Die Abfahrt aus dem Heimathafen Hamburg erfolgte zuvor am 16. Dezember 1911 und das Schiff erreichte New York unter Ballast am 5. Januar 1912. Kapitän war Wilhelm Winter.

Augsburg arrives in New York, January 1912

Ankunft der „Augsburg“ in New York; The New York Herald, 6. Jan 1912; Quelle: Library of Congress, Washington DC

Über den Makler der DADG in New York, die Firma Funch, Edye & Co. siehe den Blogartikel: Im Auftrag Rockefellers

In der gleichen Ausgabe von The New York Herald wird berichtet, dass die „Augsburg“ am Tag zuvor in einem Sturm bei Sandy Hook einen Anker verloren hatte, der nun ersetzt wurde.

steamer Augsburg, January 1912

Augsburg verliert Anker; The New York Herald, 6. Jan 1912; Quelle: Library of Congress, Washington DC

Die Sandy Hook Bay liegt an der südlichen Einfahrt zum Hafen New York auf dem Gebiet von New Jersey. Die „Augsburg“ lag dort vielleicht auf Reede, bevor sie an Pier 3 in den Bush Docks in Brooklyn anlegen konnte.

Bush Docks 1914, Brooklyn, New York

Bush Terminal, Brooklyn, um 1914, Library of Congress; über Wikipedia (https://en.wikipedia.org/wiki/File:Bush_Terminal_Brooklyn_historic.jpg)

Der auch als Industry City bekannte Hafenkomplex Bush Docks/Bush Terminal bestand aus sieben Landungsstegen, die mit Lagerschuppen überbaut waren.

Die Liegezeit der „Augsburg“ in New York betrug genau vier Wochen und der Frachtdampfer verließ den Hafen von New York am Freitag, den 2. Februar 1912 mit Petroleum in Kanistern (“cased oil“) und Stückgut nach Batavia. Der nächste Hafen, der für die Aufnahme von Bunkerkohle angelaufen werden sollte, war Durban (Südafrika).

Nach dem Verlassen von New York wurde die „Augsburg“ nie mehr gesehen. Der Frachtdampfer mit etwa 40 Mann Besatzung gilt bis heute (Februar 2024) als verschollen.

meer_still_pixabay

Bild: Pixabay

Der Untergang der „Augsburg“

Es gibt keine letzte Gewissheit, wann was passiert ist.

Eine Vermutung ist, dass die „Augsburg“ bereits zwei Tage nach dem Verlassen von New York in einen schweren Sturm geraten ist und in diesem Sturm oder in Folge davon untergegangen ist.

Diese Vermutung basiert auf dem Bericht eines anderen Kapitäns:

Am gleichen Tag wie die „Augsburg“ hatte auch die „Magdeburg“, ebenfalls ein Schiff der DADG den Hafen New York mit Ziel Australien (über Durban nach Fremantle, Adelaide, Melbourne, Sydney und Brisbane) verlassen. Die Routen beider Schiffe waren bis Durban identisch.

Augsburg, Magdeburg, New York Tribune, February 1912

Abfahrt der „Augsburg” und der „Magdeburg” am 2. Februar 1912; New York Tribune, 3. Februar 1912, Quelle: Library of Congress, Washington DC

Kapitän Orgel berichtete nach dem Eintreffen der „Magdeburg“ in Australien von einem schweren Sturm, der zwei Tage nach dem Ablegen von New York etwa vierundzwanzig Stunden andauerte. Die anschließende Fahrt wäre dann ruhig verlaufen.

… Two days after leaving New York the Magdeburg ran into very bad weather. However, it only lasted for twenty-four hours and the remainder of the voyage was characterised by smooth seas …
Fate of the steamer Augsburg, The Mercury, Hobart, 16. April 1912, S. 4

Zu diesem Zeitpunkt war die „Augsburg“ bereits lange überfällig und Kapitän Orgel hatte die Befürchtung, dass die „Augsburg“ dem Sturm zum Opfer gefallen war.

FEARS FOR THE AUGSBURG.
The German-Australian steamer Magdeburg, from New York, via Adelaide, which arrived at Melbourne on Friday, left New York on February 12, and two days afterwards encountered a fierce storm. The steamer battled through without injury, but Captain Orgel fears that the Augsburg, of the same line, which left New York on the same day for Batavia, via Durban, was unable to weather the gale, and foundered. The Augsburg is two months overdue at Durban.
The Sydney Morning Herald, 8. April 1912, S. 10 (trove.nla.gov.au)

Über zwanzig Jahre später hat Otto Harms in seinem Buch über die Reederei bis zum Ersten Weltkrieg, das Verschwinden des Schiffes wie folgt zusammengefasst:

Für den Verlust des Dampfers „Augsburg“, welcher auf der Reise von New York nach Java verschollen ist, haben wir keine Erklärung, sondern nur eine Vermutung. Das Schiff war unter Führung eines tatkräftigen, tüchtigen Kapitäns, welcher nicht nur „Augsburg“ schon mehrere Reisen gefahren, sondern genau dieselbe Reise schon vorher gemacht hatte, das Schiff also gut kannte. Wir wissen auch von seinen Vorgängern in der Führung, daß „Augsburg“ ein gutes Seeschiff war. Von einem andern unserer Dampfer, welcher ungefähr zur selben Zeit New York verlassen hatte, ist berichtet worden, daß zu jener Zeit sehr schwere Stürme im Atlantischen Ozean gewütet haben. Dieser Dampfer hat darunter so gelitten, daß er St. Vincent anlaufen mußte, um den Kohlenvorrat zu ergänzen. Es ist sicher, daß „Augsburg“ diese Stürme ebenfalls durchzumachen hatte und es muß angenommen werden, daß er darin Schaden erlitten, welcher ihn betriebsunfähig gemacht hat, und daß er dann dem schweren Wetter zum Opfer gefallen ist. Besonders zu beklagen ist der Verlust vieler Menschenleben. Die Besatzung bestand aus 37 Mann.
Otto Harms (1933), Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft Hamburg, Schröder & Jeve, Hamburg.

Harms war vor dem Ersten Weltkrieg Geschäftsführer der Reederei.

Anmerkung: St. Vincent war eine bedeutende Kohlenstation auf den Kapverdischen Inseln.

Hoffen und Bangen

Die Distanz zwischen New York und Durban beträgt 7565 nautische Meilen (nach Searoutes.com). Bei einer angenommenen Durchschnittsfahrt von 10 Knoten entspricht das 31 Tagen und 12 Stunden.

Die „Fürth“ hatte im Sommer 1913 ziemlich genau diese Zeit gebraucht (Abfahrt von New York am 20. August 1913 und Ankunft in Durban am 21. September 1913).

Auf die Fahrt der „Augsburg“ übertragen, war mit einem Eintreffen in Durban um den 5. März 1912 gerechnet worden.

Die ersten Meldungen in den Zeitungen über die überfällige „Augsburg“ erschienen ab dem 23. März 1912:

In den USA:

steamer Augsburg, March 1912

Fear Steamer Is Lost: The Evening World, New York, 22. März 1912; Quelle: Library of Congress, Washington DC

In Niederländisch-Indien:

steamer Augsburg, De Sumatra-Post; 22.03.1912

De Sumatra-Post vom 22. März 1912; http://www.delpher.nl

Natal war britische Kolonie und ab 1910 Teil der Südafrikanischen Union. Wichtigste Hafenstadt war Durban (Port Natal).

In Deutschland:

steamer Augsburg, Altonaer Nachrichten March 28th, 1912

Augsburg überfällig, Altonaer Nachrichten vom 28. März 1912 (europeana.eu)

Im April 1912 kam noch einmal Hoffnung auf. Die treibende „Augsburg“ wäre im Atlantik auf 38° nördlicher Breite und 56 ° Länge gesichtet worden. Zwei deutsche Schiffe, die „Caledonia“ und die „Bremen“ (1897) machten sich auf die Suche, aber ohne Erfolg. Die Nachricht stellte sich später aber als Falschmeldung heraus.

steamer Augsburg, April 1912

To Hunt The Augsburg: The Sun, New York, 22. April 1912; Quelle: Library of Congress, Washington DC

Zeitungen in Niederländisch-Indien brachten Meldungen, dass die treibende „Augsburg“ in der Nähe der Insel Ceylon gesichtet worden oder auf der Fahrt verbrannt wäre. Die große Ladung Petroleum ließ das eine nahe liegende Ursache sein. Keiner dieser Meldungen lagen jedoch Tatsachen zugrunde, es handelte sich um Gerüchte.

Die verschollenen Seeleute

Die Besatzung der „Augsburg“ geht aus einem Artikel im Hamburger Anzeiger vom 30. März 1912 hervor. Einleitend heißt es:

Von dem Hamburger Australdampfer „Augsburg“, der wie berichtet, schon lange überfällig ist, und auf den bereits 60 Prozent Rückversicherung abgeschlossen worden sind, fehlt auch bis heute jede Nachricht, so daß die Befürchtung, daß er auf der Reise von Neuyork über Südafrika nach Australien mit der ganzen Besatzung verloren gegangen ist, nicht von der Hand zu weisen ist. Würde er infolge Schaftbruchs oder schweren Maschinenschadens manövrierunfähig geworden sein, so hätte man ihn jedenfalls bereits angetroffen, da die Route, welche er fährt, stark belebt zu sein pflegt. …

Anschließend folgen die Namen der Seeleute, die ich zur besseren Übersicht untereinander geschrieben habe. Es sind Kapitän Winter und 37 Besatzungsmitglieder.

Die Besatzung besteht, laut Musterrolle, aus nachstehenden Personen:
Kapitän Wilhelm Winter – Altona
erster Steuermann Robert Th. C. Herrlich – Lübeck
zweiter Steuermann Walter F. G. H. Reckling – Zelle
dritter Steuermann Johannes K. Abam – Hildesheim

Zimmermann C. Heinrich Dankwerts – Cranz
Bootsmann Carl J. F. Lange – Kustrow

Matrosen
Chr. G. R. Lange – Stettin
Aug. Nyström – Stockholm
F. H. Carl Lorenz – Aken
Paul J. C. Hidde – Berlin
Ferdinand Boschke – Danz. Heisternest
Anton Jerschewitz – Herrwilk, Rußland

Leichtmatrosen
Georg K. H. Schwarz – Lauterbach
G. Emil Kühn – Deuben
C. Jackel

Koch Carl J. F. Großmann – Bärnsdorf
Kochsmaat Heinrich Blanck – Markt Bergel
erster Steward Hermann H. J. Alwes – Hamburg

erster Maschinist Maximilian D. Russe – Neu-Lewin
zweiter Maschinist Carl A. Chr. Friedland – Hamburg
dritter Maschinist C. Richard Becker – Altona

Assistenten
Ludw. A. M. K. Burmeister – Lübeck
A. Sukopp

Heizer
August Zoller, Mosnang
Max Drunkenpolz – Kötzling
J. J. Richard Putz – Berlin
Rich. E. Stubbe – Birken
Emil Steiner – Utzensdorf
Henry Szameitpreugsch – Memel
Jakob Baudy – Grafenhausen

Schmierer
J. Peter Reis – Frickenhausen

Trimmer
Rudolf Prozell – Plömnitz
Franz P. Knak – Wiedeloh
Johann H. F. Ehrich – Kiel
Christian Carstensen – Bollersleben
Ernst M. C. Barth – Hamburg
W. Dages
R. Willbrecht

Quelle: Hamburger Anzeiger vom 30. März 1912; Quelle: europeana.eu

Mögliche Desertionen

Die im Hamburger Anzeiger vom 30. März 1912 veröffentlichen Seeleute von der Musterrolle der „Augsburg“ müssen am 2. Februar 1912 beim Ablegen des Schiffes in New York nicht alle zwangsläufig an Bord gewesen sein.

Ich hatte über das Thema Desertionen einen ausführlichen Artikel veröffentlicht. Darin wurde deutlich, dass die Zahl der Desertionen auf Dampfschiffen zu dieser Zeit zwischen 15 – 25 % pro Reise lag und dass New York mit Abstand der beliebteste Hafen für Desertionen in Hamburg angemusterter Seeleute war. SIEHE: Dampfschiff „Fürth“: Tagebuch-Spezial – Deserteure, Einschleicher und wechselndes Personal

Das Seemannsamt Hamburg verzeichnete für das Jahr 1912 die sehr hohe Zahl von 899 Desertionen im Hafen New York.

Die „Augsburg“ hatte immerhin vier Wochen im Hafen von New York gelegen und die Gelegenheiten zu desertieren dürften zahlreich gewesen sein.

Letzte Sicherheit über die Seeleute, die tatsächlich an Bord waren, kann nur eine Mannschaftsliste der Hafenpolizei New York vom 2. Februar 1912 bei der Abfahrt der „Augsburg“ geben.

Ob diese Outward crew list in den National Archives oder an einem anderen Ort überliefert ist, habe ich jedoch nicht recherchiert.

Oktober 1912

Im Oktober 1912 erschienen noch einmal einige Artikel in australischen Medien, die das Verschwinden und die Suche im April thematisierten.

Ich schließe diesen Blogbeitrag mit den letzten Worten eines mehrfach in gleichem Wortlaut erschienenen Artikels (zum Beispiel in Daily Commercial and Shipping List, Sydney vom 31. Oktober 1912:

… Since then hope has gradually dwindled down until now even the most optimistic persons have realised that the good old steamer has gone to the “port of missing ships”.

Im „Hafen der vermissten Schiffe“ ist die „Augsburg” bis heute.

sea gull

Bild: Pixabay.

Beschreibung Rumfordsche Suppe (Originaltext)

Mannschaftsessen auf dem Dampfschiff „Fürth“: Rumfordsche Suppe

Bordverpflegung

Ausgehend vom kürzlich hier im Blog veröffentlichen Menü der Probefahrt des Dampfschiffes „Hamm“, habe ich recherchiert, was damals an Bord von Schiffen der Marine bzw. Handelsmarine typischerweise auf den Teller kam.

Nachdem uns von Frachtschiffen keine Menükarten vorliegen, wie wir das von den großen Passagierschiffen kennen, müssen wir andere Wege gehen, um herauszufinden, was die Mannschaft auf dem Dampfschiff „Fürth“ als Verpflegung bekam.

Von einigen Gerichten können wir davon ausgehen, dass es sie mit größter Wahrscheinlichkeit an Bord gegeben hat. Zu diesen Speisen gehörte die Rumfordsche Suppe, die im 19. Jahrhundert große Bekanntheit erlangte, heute jedoch weitgehend in Vergessenheit geraten ist.

Die Entstehung der Rumfordschen Suppe

Das Rezept für die Rumfordsche Suppe (oder auch Rumfordsuppe) geht zurück auf Benjamin Thompson, den Reichsgrafen von Rumford, einem Amerikaner, der auf einigen Umwegen nach München gekommen war und dort dem Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz diente.

Reichsgraf von Rumford

Benjamin Thompson, Reichsgraf von Rumford; Quelle: commons.wikimedia.org/wiki/File:Rumford.jpg

Die Suppe wurde von ihm 1795 entwickelt, um zu niedrigsten Kosten die Soldaten der Armee zu ernähren. Später wurde die Suppe auch in großer Menge an Bedürftige verteilt und verbreitete sich von München aus in viele Suppenküchen des von den Koalitionskriegen gegen Napoleon gebeutelten Mitteleuropas.

Auch in dem von Hungersnöten gezeichneten Jahr 1816, das heute noch als „Jahr ohne Sommer“ bekannt ist, da der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora das Wetter in Europa komplett durcheinander gebracht hatte, wurde die Rumfordsche Suppe an viele notleidende Menschen abgegeben.

In der Folgezeit blieb die Rumfordsche Suppe ein Standardessen bei Armee, Marine und überall da, wo viele Menschen günstig verköstigt werden mussten.

Man nehme

Wie es sich für ein einfaches Gericht gehört, sind die Zutaten der Rumfordschen Suppe in der Originalfassung schnell aufgelistet: Wasser, Graupen, Erbsen, Kartoffeln, Salz und Essig.  Das Ganze wurde stundenlang gekocht und dann in Suppenteller auf Scheiben altbackenen Brotes gegossen, damit die Leute auch etwas zum Kauen hatten und damit die Mahlzeit länger vorhielt.

In späteren Jahren wurden am Rezept zahlreiche Verfeinerungen vorgenommen, so dass unzählige Variationen der Rumfordschen Suppe existieren. Laut einer Verballhornung des Namens kam alles hinein, was „rum“ liegt und „fort“ muss.

Rumfordsuppe; Quelle: commons.wikimedia.org/wiki/File:Rumfordsuppe.jpg

Rumfordsuppe; Quelle: commons.wikimedia.org/wiki/File:Rumfordsuppe.jpg

Das Rezept nach Brodmeyer

Wie können wir nun davon ausgehen, dass die Rumfordsche Suppe über einhundert Jahre nach ihrer Erfindung auf dem Speiseplan des Dampfschiffes „Fürth“ stand?

Einen gewichtigen Anhaltspunkt dazu gibt uns ein Kochbuch, genauer gesagt ein Schiffskochbuch. Zusammengestellt und herausgegeben wurde es von Karl J. H. Brodmeyer bei Eckardt & Messtorff, Nautische Verlagsbuchhandlung in Hamburg 11. Es ist ca. 1908 in erster Auflage erschienen und fand großen Anklang bei der Marine, aber auch auf Handelsschiffen.

Es enthält 351 Rezepte und Handlungsanweisungen für die Bordküche. Die einzelnen Kapitel: Suppen, Fleischgerichte, Geflügel, Fische, Gemüse, Kompotts, Salate, Eierspeisen, Soßen, Klöße und Füllsel.

Ein Kapitel hat den sperrigen Namen „Gerichte aus Salz- und präs. Fleisch, sowie Corned Beef und präserviertem Lachs“. Dem Abschluss bilden Getränke sowie ein Kapitel über das Backen an Bord.

Im Kapitel über Suppen finden wir die Rumfordsche Suppe sehr prominent an dritter Stelle. Daher die Annahme, dass die Suppe weiterhin recht beliebt war. Zumindest bei den Kapitänen, denn sie war kostengünstig und bei den Köchen, da leicht zuzubereiten. Ob sie es auch bei der Mannschaft war, muss ich unbeantwortet lassen.

Wenn auch die Zubereitungsarten des Schiffskochbuchs und vor allem die Kochzeiten aus heutiger Sicht recht befremdlich erscheinen, gibt das Rezept einen guten Eindruck, wie man sich eine Rumfordsche Suppe an Bord der „Fürth“ vorzustellen hat:

Ausgangspunkt in dem Rezept bei Brodmeyer ist eine Knochenbrühe.

„Die Suppe wird aus Baten- oder frischen Knochen hergestellt. Man zerhackt die Knochen und setzt sie mit Speck (Speckschwarte und Abfällen) und fein geschnittenen Suppenwurzeln in Wasser zum Kochen an. Die Suppe muß so lange kochen, bis der Speck weich ist. Den Speck nimmt man heraus und ebenso die Knochen, wozu man die Suppe am besten durch ein Sieb laufen läßt. Dann setzt man sie von neuem zum Kochen an. Pro Kopf tut man 50 Gramm gelbe Erbsen, die man den Abend vorher in kaltem Wasser eingequollen hat, und 8 Gramm Graupen in die Brühe. Dann übergießt man pro Mann ungefähr 2-3 geschälte und in Würfel geschnittene Kartoffeln mehrmals mit kochendem Wasser, das man ablaufen läßt, und fügt sie hinzu, wenn Erbsen und Graupen ziemlich weich sind. Die Kartoffeln läßt man in der Suppe gar kochen und würzt mit Salz und gehackter Petersilie.“

Quelle: Schiffskochbuch, Karl J. H. Brodmeyer, 2. Auflage, Eckhardt & Messtorff, Hamburg.

Anm: Im Buch ist kein Jahr angegeben. Die zweite Auflage wird in Antiquariaten meist auf das Jahr 1913 datiert.

Mahlzeit!

Selbst in der Literatur fand die Rumfordsche Suppe Erwähnung. Heinrich Heine zitierte sie in Zusammenhang mit puritanischen Bewegungen in der Gesellschaft folgendermaßen :

„Alle überlieferte Heiterkeit, alle Süße, aller Blumenduft, alle Poesie wird aus dem Leben herausgepumpt werden, und es wird davon nichts übrigbleiben als die Rumfordsche Suppe der Nützlichkeit.“
Quelle: Heinrich Heine über Ludwig Börne, Hamburg 1840 (Hoffmann und Campe, abgerufen über books.google.fr)

Das Originalrezept liest sich wie folgt:

Beschreibung Rumfordsche Suppe (Originaltext)

Beschreibung der Rumfordschen Suppe, Auszug aus Benj. Grafen von Rumford kleine Schriften politischen, ökonomischen und philosophischen Inhalts, Band 1, S. 254, abgerufen unter books.google.de

Erstveröffentlichung des Beitrages: 14. September 2019.

Weitere Blogartikel zum Thema Ernährung an Bord:

Dampfschiff „Fürth“: Bordverpflegung nach Musterrolle

Dampfschiff „Fürth“: Weitere Einblicke in die Bordverpflegung

Dampfschiff „Fürth“: In der Kombüse

ship's articles Neumunster 1913/1914

Eine Musterrolle aus den Jahren 1913/1914

Eine Original-Musterrolle von einem Schwesterschiff der „Fürth“

Titelbild mit freundlicher Genehmigung des © State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230 1.03), siehe auch das Ende des Beitrags

Das Dampfschiff „Neumünster“

Von einem Schwesterschiff der „Fürth“, dem Dampfschiff „Neumünster“, ist eine Musterrolle erhalten, die sich heute im Nationalarchiv der Hauptstadt Westaustraliens, in Perth befindet, im State Records Office of Western Australia.

Über die „Neumünster“ hatte ich bereits ausführlich berichtet: Schwesterschiffe der „Fürth“: Die „Neumünster“

Die Musterrolle liefert wertvolle Informationen über:

– die Personen an Bord, ihre Funktion und ihre Heuer (siehe das Ende des Beitrags), zum Teil auch ihre zuständige Versicherung und das vorherige Schiff, auf dem sie beschäftigt waren

– die Verpflegung der Mannschaft, beziehungsweise die ihr zustehenden Rationen (siehe Dampfschiff „Fürth“: Bordverpflegung nach Musterrolle)

-die Vertragsbedingungen zwischen dem Kapitän als Arbeitgeber und den angeheuerten Mannschaftsmitgliedern

Die vorliegende Musterrolle umfasst zwei Australienfahrten der „Neumünster“, eine von Dezember 1913 bis Mai 1914 (dreizehnte Fahrt) und eine zweite von Juni 1914 bis zur Kaperung des Schiffes nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges Mitte August 1914 (vierzehnte Fahrt).

Wegen der Kaperung trägt das Dokument einen blauen Eingangsstempel im oberen Teil der Titelseite. Er belegt die Beschlagnahmung der Musterrolle durch die australischen Behörden, des Obersten Gerichtshofes: SUPREME COURT OFFICE PERTH, W.A. 18 AUG. 1914 (siehe dazu: Schwesterschiffe der „Fürth“: Die „Neumünster“)

Anmerkung: W.A. steht für Western Australia

ship's articles Neumunster 1913/1914

Musterrolle des Dampfschiffes Neumünster, Titelseite, Ausschnitt, mit freundlicher Genehmigung des © State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.03)

Die Musterrolle

Definition

Die Musterrolle (englisch: ship’s articles) ist eine offizielle Liste, in der alle Besatzungsmitglieder eines Schiffes eingetragen sind. Die Eintragung erfolgte in einem Musterungsverfahren vor dem Seemannsamt.

Die Flotte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG) hatte ihren Heimathafen in Hamburg, die Musterungen wurden demzufolge vom Seemannsamt Hamburg durchgeführt. Im Ausland übernahmen die Kaiserlichen Konsulate die Aufgaben des Seemannsamtes. Die Musterrolle hatte sich während der gesamten Reise eines Schiffes an Bord zu befinden.

Inhalt

Ein Arbeitsvertrag zwischen einer Reederei und den Besatzungsmitgliedern der Schiffe wird als Heuerverhältnis bezeichnet. Dieses Vertragsverhältnis wird durch die Seemannsämter behördlich überwacht. Die Musterrolle beurkundet, wer an Bord tätig ist und wie die Schiffsbesatzung zusammengesetzt ist. Die aufzunehmenden Angaben waren in der Seemannsordnung von 1902, § 14 definiert:

„Die Musterrolle muß enthalten: Namen und Nationalität des Schiffes, Namen und Wohnort des Kapitäns, Namen, Wohnort und dienstliche Stellung jedes Schiffsmanns, den Hafen der Ausreise, die Bestimmungen des Heuervertrags, namentlich auch den Ueberstundenlohnsatz (§. 35 Abs. 3, §. 37 Abs. 3) und etwaige besondere Verabredungen. Insbesondere muß aus der Musterrolle erhellen, was dem Schiffsmanne für den Tag an Speise und Trank gebührt. Bei besonderen Verabredungen mit Schiffsoffizieren kann die Eintragung auf die Wiedergabe des wesentlichen Inhalts beschränkt werden. Abreden, welche nach §. 1 Abs. 2 unzulässig sind, dürfen nicht aufgenommen werden.“

Die Musterrolle war ein amtliches Dokument, sie wurde in Form eines offiziellen Vordrucks von der Reichsdruckerei erstellt.

Die vorliegende Musterrolle des Dampfschiffes „Neumünster“ aus dem Jahr 1913/1914 verfügt über 20 Seiten (16 Innenseiten plus 4 Seiten Umschlag). Auf Seite 2 sind zwei gedruckte Formblätter eingeklebt, die die Verpflegung an Bord und die besonderen Vertragsbedingungen der DADG enthalten.

Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Musterrollen von Schiffen der Reederei im gleichen Zeitraum Unterschiede aufwiesen. Die Musterrolle der „Neumünster“ kann daher als Modell für alle anderen Schiffe, also auch der „Fürth“ dienen.

Die Titelseite der Musterrolle

Die Titelseite der Musterrolle trägt die Aufschrift Deutsches Reich, den Reichsadler, den Schiffsnamen, den Heimat- und Registerhafen und das Unterscheidungssignal des Schiffes. Außerdem ist eingetragen, dass die Anmusterung für unbestimmte Zeit erfolgt. Alternativ bestehen die vorgedruckten Möglichkeiten, dass die Musterrolle für eine bestimmte Reise oder eine bestimmte Zeit gelten soll. Des Weiteren ist der Hafen der Ausreise vermerkt, für die Schiffe der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft war das Hamburg.

Weiter heißt es im vorgedruckten Text:

Vor dem unterzeichneten Seemannsamte sind erschienen der nachbenannte Schiffer auf großer Fahrt als Kapitän einerseits, und die unter Nr. 1 bis 41 nachbenannten Schiffsoffiziere und Schiffsleute andererseits und haben erklärt, daß diese sich zum Schiffsdienste nach Maßgabe der deutschen Seemannsordnung auf dem obengenannten Schiffe und, soweit nicht nachstehend anderes vermerkt, für die vorbezeichnete Zeit gegen die bei ihrem Namen angegebene Heuer sowie nach Empfang des unter der Heuer angegebenen Vorschusses und unter den umstehend aufgeführten weiteren Bedingungen verheuert haben.

Die Heuer ist, soweit dabei nicht anderes vermerkt steht, in Mark und für den Monat angegeben; die Zahlung beginnt mit dem Tage der Anmusterung, soweit ein früherer Tag des Dienstantritts vermerkt ist, mit diesem.

HAMBURG, den 12. Dezember 1913.

Das Seemannsamt

p.a. Unterschrift

Die zweite Seite der Musterrolle

Auf der zweiten Seite sind die Verpflegung der Mannschaft und die besonderen Vertragsbedingungen festgehalten.

Beides erfolgte mittels Vordrucken, ein Zeichen dafür, dass diese Vertragsbestandteile für alle Schiffe gleich waren, zumindest bis im Laufe der Zeit eine Änderung eintrat.

Zunächst geht es um die Beköstigung, über die ich bereits berichtet habe:
Dampfschiff „Fürth“: Bordverpflegung nach Musterrolle

Weiter heißt es im Vordruck:

Für Überstundenarbeit wird gezahlt:

siehe „Besondere Verabredungen“

Diese besonderen Verabredungen sind ebenso wie die Angaben zur Verpflegung auf einem eingeklebten, gedruckten Blatt wiedergegeben, dass unten links mit dem Stempel des Seemannsamtes versehen ist, damit ein nachträgliches Austauschen ausgeschlossen war.

Hier der Text des Formblattes über „Besondere Verabredungen“:

ship's articles Neumunster 1913/1914

Musterrolle des Dampfschiffes Neumünster, Seite 2, Ausschnitt, mit freundlicher Genehmigung des © State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.03)

Anmerkungen:

Die Zahlung der Heuer nach Beendigung einer Reise war im § 45 der Seemannsordnung festgelegt.

„Die Heuer hat der Schiffsmann, sofern keine andere Vereinbarung getroffen ist, erst nach Beendigung der Reise oder des Dienstverhältnisses zu beanspruchen.“

Dort heißt es ebenfalls:

„Ist die Anheuerung auf Zeit erfolgt (§. 28), so kann der Schiffsmann bei Rückkehr in den Hafen der Ausreise die bis dahin verdiente Heuer beanspruchen.“

Die Auszahlung bei der Rückkehr sollte zur Reduzierung der allgegenwärtigen Desertionen beitragen. SIEHE dazu: Dampfschiff „Fürth“: Tagebuch-Spezial – Deserteure, Einschleicher und wechselndes Personal

Im gleichen Paragraphen waren auch Zeitpunkt und Höhe der Vorschüsse geregelt:

„Der Schiffsmann kann jedoch in einem Hafen, in welchem das Schiff ganz oder zum größeren Theil entlöscht wird, die Auszahlung der Hälfte der bis dahin verdienten Heuer (§ 80) verlangen, sofern bereits drei Monate seit der Anmusterung verflossen sind. In gleicher Weise ist der Schiffsmann bei Ablauf je weiterer drei Monate nach der früheren Auszahlung wiederum die Auszahlung der Hälfte der seit der letzten Auszahlung verdienten Heuer zu fordern berechtigt.“

Wilhelm Holst, Schiffskoch, Vorschüsse

Abrechnung der DADG für den Schiffskoch Holst vom 27. März 1917, Rückseite mit eingetragenen Vorschüssen, eigene Sammlung

Das in den „Besonderen Verabredungen“ beschriebene Verbot zur Mitnahme bestimmter Gegenstände bezieht sich ebenfalls auf die Seemannsordnung:

§ 87:

Der Schiffsmann darf ohne Erlaubniß des Kapitäns keine Güter an Bord bringen oder bringen lassen. Für die gegen dieses Verbot beförderten eigenen oder fremden Güter muß er die höchste am Abladungsorte zur Abladungszeit für solche Reisen und Güter bedungene Fracht erstatten, unbeschadet der Verpflichtung zum Ersatz eines erweislich höheren Schadens.
Der Kapitän ist auch befugt, solche Güter über Bord zu werfen, wenn ihr Verbleib an Bord Schiff oder Ladung oder die Gesundheit der an Bord befindlichen Personen gefährden oder das Einschreiten einer Behörde zur Folge haben kann.

Der Paragraph 88 präzisiert die Vorschriften für bestimmte Güter:

„Die Vorschriften des §. 87 finden auch Anwendung, wenn der Schiffsmann ohne Erlaubniß des Kapitäns Waffen oder Munition, Branntwein oder andere geistige Getränke oder mehr an Taback und Tabackswaaren, als er zu seinem Gebrauch auf der beabsichtigten Reise bedarf, an Bord bringt oder bringen läßt.
Die gegen dieses Verbot mitgenommenen Gegenstände verfallen dem Schiffe.“

Verstöße der Seeleute gegen diese beiden Paragraphen mussten im Logbuch vermerkt werden (§ 89 der Seemannsordnung).

Verseuchte Häfen: Zu den verbreiteten Infektionskrankheiten gehörten Malaria und Gelbfieber. Im Fahrtgebiet der DADG dürften sich die verseuchten Häfen in Niederländisch-Indien, auf Ceylon und in Indien befunden haben.

Der Kapitän als Vertragspartner

Weiter heißt es im Originaltext auf der zweiten Seite der Musterrolle:

ship's articles Neumunster 1913/1914

Musterrolle des Dampfschiffes Neumünster, Seite 2, Ausschnitt, mit freundlicher Genehmigung des © State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.03)

Der Heuervertrag war zuerst von Kapitän P. Kiel aus Wonsbek unterschrieben worden mit der Angabe Peter Kiel, geb. 7./6 1882 zu Wonsbek.

Zwischen der dreizehnten Fahrt (Dezember 1913 bis Mai 1914) und der vierzehnten Fahrt (ab Juni 1914) des Dampfschiffes „Neumünster“ hatte es einen Kapitänswechsel gegeben, der neue Kapitän hieß C. Herrmann.

Der Ort Wonsbek heißt heute Vonsbaek und liegt in Dänemark bei Haderslev (Hadersleben). Bis 1920 gehörte der Ort zum Deutschen Reich.

Folgeseiten

Die folgenden Seiten der Musterrolle (Seiten 3-18) enthalten dann tabellarisch die angeheuerten Seeleute; die Innen- und Außenseite des hinteren Umschlages wurde für Sichtvermerke in den unterwegs angelaufenen Häfen genutzt.

ship's articles Neumunster 1913/1914

Musterrolle des Dampfschiffes Neumünster, Seite 12, Ausschnitt, mit freundlicher Genehmigung des © State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.03)

Die dreizehnte Fahrt der „Neumünster“

Für die dreizehnte Fahrt der „Neumünster“ ab Dezember 1913 waren 41 Personen angemustert, ein Schiffsjunge kam eine Woche später in Antwerpen an Bord.

Von dieser Mannschaft blieben vier an Bord für die nächste Reise, 26 musterten ordnungsgemäß ab, 11 desertierten (10 in Australien, 1 Seemann schon bei der Ausreise in Rotterdam), der Matrose Kurt Haenschel, geboren am 9.2.1884 in Berlin, wurde am 25. Februar 1914 in Adelaide (Südaustralien) „krankheitshalber im Hospital zurückgelassen“.

Über diese dreizehnte Fahrt und ihre Besatzungsmitglieder berichte ich hier nicht weiter. Ich konzentriere mich auf die vierzehnte und letzte Australienfahrt. Die Mannschaftsmitglieder dieser letzten Reise wurden nach Kaperung des Schiffes vor Fremantle auf Rottnest Island (Westaustralien) interniert. Über dieses Lager und das Schicksal der deutschen Seeleute dort werde ich noch einen Artikel verfassen.

Auf zwei Einzelheiten der dreizehnten Fahrt will ich dennoch kurz eingehen, da ich sie für berichtenswert halte und sie in dieser Form auf der vierzehnten Reise nicht wieder vorkommen.

Falls Sie einen Ihrer Vorfahren auf dem Schiff „Neumünster“ auf der dreizehnten Fahrt vermuten, können Sie mich gerne kontaktieren, ich gehe die Mannschaftsliste gerne mit Ihnen durch.

Bedürftige Seeleute

Auf Seite 10 der Musterrolle befindet sich folgender Eintrag:

Ausserdem befinden sich an Bord als hilfsbedürftige Seeleute:

Kreglhe (?) Alfred, geboren am 5.6.1887 in Königsberg

Kuhn (Vorname?), geb. am 24.5.1883 in O’Klausdorf

Als Dienstantritt ist der 17.3. bzw. der 31.3.1914 eingetragen, das heißt, dass die Seeleute auf der Reise unterwegs „eingesammelt“ wurden. Am 17.3. war die „Neumünster“ in Soerabaya (Insel Java) und am 31.3. in Makassar (Insel Celebes). Beide Inseln gehörten zu Niederländisch-Indien. Offensichtlich waren die beiden Männer dort gestrandet.

Heuer haben die beiden nicht erhalten, aber Kost, Logis und eine Heimfahrt nach Hamburg. Beide Namen wurden vom Seemannsamt Hamburg nach der Abmusterung abgestempelt. Die Namen sind durchgestrichen, weil sie auf der vierzehnten Fahrt nicht mehr an Bord waren.

Nicht dass Sie denken, dass es eine noble Geste des Kapitäns Peter Kiel war, die beiden mitzunehmen. Laut dem Gesetz betreffend die Verpflichtung der Kauffahrteischiffe zur Mitnahme heimzuschaffender Seeleute vom 2. Juni 1902 musste er das tun:

Paragraph 1. Mitnahmepflicht
Jedes deutsche Kauffahrteischiff, welches von einem ausserdeutschen Hafen nach einem deutschen Hafen oder nach einem Hafen des Kanals, Grossbritanniens, des Sundes oder des Kattegats oder nach einem ausserdeutschen Hafen der Nordsee oder der Ostsee bestimmt ist, ist verpflichtet, deutsche Seeleute, welche ausserhalb des Reichsgebiets sich in hülfsbedüftigem Zustande befinden oder wegen einer nach den Reichsgesetzen strafbaren Handlung an die heimischen Behörden abgeliefert werden sollen, behufs ihrer Rückbeförderung nach Deutschland auf schriftliche Anweisung des Seemannsamts gegen eine Entschädigung (Paragraph 5) nach seinem Bestimmungshafen mitzunehmen. …

Für jeden Tag an Bord bekam der Kapitän eine Entschädigung von 3 Mark pro Seemann.

Aus: Die Seemannsordnung vom 2. Juni 1902 nebst den dazu ergangenen Nebengesetzen. Erläutert von E. Loewe, Berlin 1903 (Guttentag Gmbh); abgerufen über books.google.fr

ship's articles Neumunster 1913/1914

Musterrolle des Dampfschiffes Neumünster, Seite 10, Ausschnitt, mit freundlicher Genehmigung des © State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.03)

Konsul Ludwig Ratazzi

Ein schönes Detail, so finde ich, ist die kunstvoll geschwungene Unterschrift von dem Kaiserlichen Konsul in Fremantle, Ludwig Ratazzi.

Zwei Seeleute, der Heizer Paul Müller (geboren in Stendal am 16.3.1887?) und der Leichtmatrose Walter Arnold (geboren in Liegnitz am (?, Datum unleserlich, 1896) wurden in Fremantle am 3. März 1914 „Nachgemustert zu den Bedingungen der Musterrolle für die Reise bis Amsterdam“.

Das Kaiserliche Konsulat in Fremantle kam hier seiner Aufgabe als Seemannsamt nach und die Nachmusterung der beiden Seeleute wurde wie folgt bestätigt:

ship's articles Neumunster 1913/1914

Musterrolle des Dampfschiffes Neumünster, Seite 10, Ausschnitt, mit freundlicher Genehmigung des © State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.03)

Carl Peter Ludwig Ratazzi wurde am 21.09.1865 in Frankfurt/M. geboren und kam im Jahr 1900 nach Westaustralien. Zusammen mit Otto Lurman war er Vertreter für den Norddeutschen Lloyd, außerdem Konsul der Deutschen Reiches und Konsular-Agent für Italien.

Anders als die Gebrüder Strelitz (SIEHE: Die „Fürth“ und die Gebrüder Strelitz in Fremantle, Logbuch (17)) entkam Ratazzi, dessen Sohn in die Kaiserliche Armee eingetreten war und der außerdem (wie grundsätzlich jeder Deutsche nach Ausbruch des Krieges) der Spionage verdächtigt wurde, nicht der Einlieferung in ein australisches Lager. Bis zu diesem Zeitpunkt bewohnte er die stattliche Villa Maria, 115 Queen Victoria Street in Fremantle.

https://fremantlestuff.info/buildings/villamaria.html

Ein Foto von dem Herrn mit dem wohlklingenden Namen als Gefangenen mit der Nummer 4731 finden Sie hier: https://recordsearch.naa.gov.au/SearchNRetrieve/Interface/DetailsReports/PhotoDetail.aspx?Barcode=200963669.

Die vierzehnte Fahrt

Nach der dreizehnten Fahrt der „Neumünster“ hatte Kapitän Carl Herrmann das Schiff übernommen. Von der alten Besatzung blieben nur vier Männer an Bord, zwei Offiziere und zwei Maschinisten:

Johannes Korff, 2. Offizier, geboren in Rinkenis am 2.6.1885

Heinr. Bussert, 4. Offizier, geboren in Sievertshagen am 19.5.1889

Adolf Cortie, 1. Maschinist, geboren in Hamburg am 17.1.1878

Jul. Meentzen, 4. Maschinist, geboren in Sedan am 16.6.1883

Anmerkungen:

Rinkenis, heute Rinkenæs, liegt an der Flensburger Förde. Der Ort gehörte bis 1920 zum Deutschen Reich, danach und bis heute zu Dänemark.

Sedan liegt an der Maas in Nordfrankreich an der belgischen Grenze. Im Deutschen Kaiserreich war die Stadt durch die Schlacht von Sedan und den Sedantag bekannt.

Sievertshagen liegt südwestlich von Stralsund.

Zu dem an Bord gebliebenen 2. und 4. Offizier kamen neu hinzu:

Johannes Kiesow, 1. Offizier, geboren in Wolgast am 24.6.1883

und

Boy Hansen, 3. Offizier aus Keitum, geboren am 15.11.1886

ship's articles Neumunster 1913/14

Musterrolle des Dampfschiffes Neumünster, Seite 11, Ausschnitt, mit freundlicher Genehmigung des © State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.03)

Die beiden Maschinisten komplettierten

Heinrich Kaerkes, 2. Maschinist, aus Neuwark, geboren am 31.3.1882

Gustav Martens, 3. Maschinist, aus Flensburg, geboren am 8.11.1885

Richard Hofmann, Maschinisten-Assistent, aus Flöhn, geb. am 28.9.1893

Berthold Karl Ernst Gruhl, Maschinisten-Assistent, aus Goslar, 24.5.1887 (Rufname unterstrichen)

Decksmannschaft

Die weiteren Männer an Bord, zunächst die Decksmannschaft, jeweils mit Geburtsort und -datum:

Johannes Münder, Zimmermann, Altona, 16.10.(?)1889

Friedr. Borek, 1. Bootsmann, Malchin, 24.2.1871

Friedr. Hamann, 2. Bootsmann, Leysnhuen 29.4.1871
Anmerkung: Hamann ist in der Musterrolle irrtümlich als „2. Leichtmatrose“ eingetragen (siehe Abbildung weiter oben im Text), was jedoch nicht stimmen kann (es gibt keinen zweiten Leichtmatrosen, außerdem ist seine Heuer dafür viel zu hoch, siehe unten)

Julius Piepkorn, Matrose, Laba (?), 8.2.1885

Erich Czech, Matrose, Berlin, 5.2.1883
Anmerkung: Czech hatte sich ab Hamburg verheuert, das Schiff allerdings verpasst. Er kam dann in Antwerpen an Bord (Quelle: Schiffstagebuch der „Neumünster“)

Wilhelm Sassen, Matrose, Geestemünde, 22.11.1888

Adolf Czyrnik, Matrose, Striegau, 17.6.1896

Heinrich Onkes, Matrose, Norderney, 6.8.1887

Carl Quiel, Matrose, Rostock, 7.12.1889

Paul Troitz (?), Leichtmatrose, Moseau (?), 27.12.1895

Stephan Bley, Leichtmatrose, Wehr, 2.5.1890

Albrecht Walter Reuß, Junge, Reval, 21.9.1896 (Rufname unterstrichen)

Baruf (?) Fritz Schumann, Junge, Hamburg, 10.12.1899 (Rufname unterstrichen)

Alois Plauder, Koch, Radkersburg, 21.5.1875
Anmerkung: damit war auch ein Österreicher an Bord

Hermann Laubsch, Bäcker + Kochmaat, Forst, 1.12.1879

Max Hagelberg, 2. Steward, Zerbst, 27.9.1889
Anmerkung: Hagelberg hat noch bei der Ausreise in Antwerpen wieder abgemustert (?.7.1914) und wurde durch einen neuen 2. Steward ersetzt

ship's articles, Neumunster 1914, Max Hagelberg

Musterrolle des Dampfschiffes Neumünster, Seite 13, Ausschnitt, mit freundlicher Genehmigung des © State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.03)

Nachmusterungen in Antwerpen

Nachträglich nachgemustert zu den Bedingungen dieser Rolle:

Friedrich Schreiber, 1. Steward, wohnhaft in Gadersleben, geb. in Schlaustert (?), 24.4.1896

Nachgemustert wie vor:

Joseph Kirchhoff, 2. Steward, Ottbergen, 18.1.1896

Beide Anmusterungen wurden vom zuständigen Seemannsamt in Antwerpen, dem Kaiserlichen Generalkonsulat bestätigt. Unterzeichner ist J. A. Blaesing.

Heizer und Trimmer

(jeweils mit Geburtsort und -datum)

Arthur Wagner, Heizer, Breslau, 4.4.1886

Wendelin Haas, Heizer, Lackendorf, 10.10.1883

Adolf Becks, Heizer, Essen, 29.11.1875

Heinr. Hartz, Heizer, Altona, 13.4.1890

Ernst Menter, Heizer, Tangermünde, 26.6.1883

Otto Brons (?), Heizer, Gotha, 11.12.1883

Theodor Berges, Heizer, Nauen, 2.11.1876

Heinrich Vogler, Heizer, Osnabrück, 18.1.1879

Aug. Schwabe, Heizer, Hochstüblau, 31.3.1886

Otto Schweidereit, Heizer, Gelsenkirchen, 5.5.1887

Otto Schwartz, Trimmer, Pommerensdorf, 31.12.1889

Franz Gallinat, Trimmer, Graboroen (?) 28.9.1892

Heinrich Barenberg, Trimmer, Bismarck bei Gelsenkirchen 14.7.1890

Otto Winzler, Trimmer, Bismarck b. Gelsk., 28.2.1889

Anmerkungen:

Lackendorf gibt es deren mehrere, eins zum Beispiel bei Rottweil.

Hochstüblau heißt heute Zblewo, gehört seit 1920 zu Polen und liegt etwa 70 Kilometer südwestlich von Danzig.

Pommerensdorf ist heute ein Stadtteil von Stettin und heißt Pomorzany.

Bei Graboroen bin ich mir nicht sicher, es könnte sich um das heutige Dorf Grabowo bei Goldap im nördlichen Polen handeln.

Einschleicher an Bord:

Aus dem Schiffstagebuch der „Neumünster“ geht hervor hervor, dass sich noch zwei weitere Personen an Bord befanden. Diese hatte sich in Antwerpen an Bord geschlichen. Sie sind in der Musterrolle nicht verzeichnet.

Max Heigold, Schlachter, geb. 16.02.1886

Franz Benkert, Schmied, geb. 26.03.1884 in Hamme b. Borkum

(Angaben aus: Schiffstagebuch der „Neumünster“, Juni bis August 1914, © State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.2)

Die Heuer

Die Musterrolle gibt uns auch Auskunft über die Bezahlung (Heuer) an Bord. Der entsprechende Betrag ist jeweils direkt bei den Seeleuten verzeichnet.

Hier gebe ich die Heuer der 41 Besatzungsmitglieder (ohne Kapitän) in einer Übersicht wieder:

Die Decksmannschaft (21 Personen)

Offiziere

  1. Offizier: 220 Mark
  2. Offizier: 170 Mark
  3. Offizier: 130 Mark
  4. Offizier: 120 Mark

Mannschaft

Zimmermann: 95 Mark
Erster Bootsmann: 90 Mark
Zweiter Bootsmann: 80 Mark
Sechs Matrosen à 73 Mark
Zwei Leichtmatrosen à 40 Mark
Zwei Jungen à 20 Mark

Koch: 120 Mark
Bäcker und Kochmaat: 55 Mark
Erster Steward 75 Mark
Zweiter Steward: 35 Mark

Die Maschinenmannschaft (20 Männer)

Ingenieure

  1. Maschinist: 375 Mark
  2. Maschinist: 270 Mark
  3. Maschinist: 200 Mark
  4. Maschinist: 150 Mark (seine Heuer betrug auf der dreizehnten Fahrt noch 125 M, sie wurde ab Juni 1914 auf 150 M erhöht)

Zwei Maschinisten-Assistenten: 75 Mark und 60 Mark

Anmerkung: der Unterschied bei den Maschinisten-Assistenten lässt sich dadurch erklären, dass einer „befahren“, also schon mindestens ein Jahr zur See fuhr, der andere dagegen noch „unbefahren“ war

Zehn Heizer: 83 Mark
Drei Trimmer à 73 Mark
Ein Trimmer: 55 Mark

Anmerkung: es war übliche Praxis, Trimmern ohne oder mit noch wenig Erfahrung („unbefahren“) weniger zu bezahlen, als „befahrenen“ Trimmern

Der Kapitän

Als einziger, dessen Gehalt nicht aus einer Musterrolle hervorgeht, bleibt uns der Kapitän, der ja als Arbeitgeber in der Musterrolle Vertragspartner aller Schiffsoffiziere und Schiffsleute ist.

Ich schätze seinen Verdienst auf mindestens 450 Mark Einstiegsgehalt (im Jahr seiner Beförderung vom Ersten Offizier). Mit zunehmender Dienstzeit konnte er sicher auf über 600 Mark pro Monat oder noch deutlich mehr angestiegen sein.

Falls Sie Kapitänsgehälter aus der deutschen Handelsmarine vor dem Ersten Weltkrieg kennen und eventuell auch wissen, welche zusätzlichen Bonuszahlungen damals üblich waren, freue ich mich auf Ihre Hinweise!

reichsmark1913

Bild: Pixabay

Die Musterrolle heute

Das Musterungsverfahren wurde erst 2013 abgeschafft. Die Musterrolle ist durch eine Besatzungsliste ersetzt worden und die Seemannsordnung heißt heute Seearbeitsgesetz.

Copyright-Hinweis

Auf der Musterrolle ist ein © Copyright, das nach dem Zeitpunkt des Todes des Verfassers für 70 Jahre fortbesteht. Für den Kapitän und die Offiziere der „Neumünster“ ist mir das Todesdatum nicht bekannt. Ich weise deshalb pflichtgemäß darauf hin, dass deshalb noch ein © Copyright auf der Musterrolle bestehen könnte.

Erstveröffentlichung dieses Beitrags am 4. Juli 2020 hier im Blog.

Sailing and Arrival code, German-Australian Line 1914

Die Telegrammcodes des Dampfschiffes „Fürth“

Von Adjugabam bis Sentienda

und was bedeutet:
UNHOPEFUL FURTH COMEOUTERS BUTSHAFT POPILIUS?

Nachweis Titelbild:
Sailing and Arrival Code, DADG, Titelseite (Ausschnitt), mit freundlicher Genehmigung des © State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.14

Heute stelle ich Ihnen wieder unveröffentlichte Originaldokumente vor.

Zunächst ein Codebuch, welches bei der Kaperung des Schiffes „Neumünster“, einem Schwesterschiff der „Fürth“, im August 1914 von den australischen Behörden sichergestellt wurde. Siehe dazu auch: Schwesterschiffe der „Fürth“: Die „Neumünster“

Im Anschluss folgen zwei weitere Beispiele zum Thema Telegrafie, diesmal Telegramme aus The National Archives in Kew (London).

Fangen wir mit dem Codebuch an:

Das kleine Büchlein trägt auf der Außenseite den englischen Titel: Sailing and Arrival Code, außerdem gleich zweimal den Namen der Reederei „Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg“ (DADG) in der Kopf- und der Fußzeile und zusätzlich den Namen des Schiffes „Neumünster“, diesen nur in der Fußzeile.

Für mich sieht es so aus, dass der Fußzeileneindruck eingestempelt wurde, er steht leicht schräg. Mit dem gleichen Eindruck wurde der sonst blanke Innentitel (Seite 3) gestempelt.

sailing and arrival code, German Australian Line 1914

Sailing and Arrival Code, DADG, Ausschnitt Innentitel, mit freundlicher Genehmigung des © State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.14

Der Innenteil

Der Innenteil besteht aus zweimal vier Doppelseiten, die ersten vier Doppelseiten sind mit „ARRIVALS“, die zweiten mit „SAILINGS“ betitelt.

Pro Doppelseite folgen dann die Namen von zwanzig Schiffen in alphabetischer Auflistung, insgesamt 60 Schiffe.

  1. „Adelaide“ bis „Forst“
  2. „Freiberg“ bis „Mannheim“
  3. „Melbourne“ bis „Worms“

Die vierte Seite ist offensichtlich für Neuzugänge reserviert und trägt keine Schiffsnamen, aber bereits vorbereitete Codes.

Pro Doppelseite gibt es acht Spalten, wovon die erste für die Schiffsnamen reserviert ist und die sieben weiteren für die Wochentage, beginnend mit Sonntag.

Für jeden Wochentag gibt es pro Schiff zwei Begriffe, der erste ist für 0-12 Uhr und der zweite von 12-24 Uhr. Dies ist in der Fußzeile erklärt:

The first word indicates arrival/sailing A. M., the second P. M.

Für eine Ankunft der „Fürth“ am Sonntagvormittag (0-12 Uhr) war das in der Telegraphie zu verwendende Wort „Adjugabam“, erreichte die Fürth einen Hafen am Sonntagnachmittag, war das Wort „Adjugantem“ zu verwenden und so fort.

arrival code, GAL, 1914

Sailing and Arrival Code, DADG, 2. Doppelseite, Ausschnitt; mit freundlicher Genehmigung des © State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.14)

Alle Codewörter für die Ankunft der 60 Schiffe begannen mit einem „A“, wie „Arrival“.

Das gleiche Prinzip gilt für die folgenden vier Doppelseiten. Wieder gibt es für jedes Schiff und jeden Halbtag ein Codewort, das diesmal für das Ablegen, also „SAILING“ steht. Alle Codewörter beginnen diesmal mit einem „S“.

Der Codename für ein Ablegen der „Fürth“ am Sonntagvormittag lautete „Sentencio“, am Sonntagnachmittag „Senticeta“.

Außer den beschriebenen Texten erhält das Codewort-Verzeichnis keinerlei Erklärungen und sonstige Angaben.

arrival code, GAL, 1914

Sailing and Arrival Code, DADG, 1. Innenseite; mit freundlicher Genehmigung des © State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.14)

Die Standardcodes für Telegrafie

Die Verwendung von Codebüchern war Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts eine gängige Praxis im Wirtschaftsverkehr.

Komplexe ökonomische Zusammenhänge konnten mittels Codes mit wenigen Worten übermittelt werden. Nachdem der Versand telegrafischer Nachrichten in Worten abgerechnet wurde und von einem Handels- oder Industrie-Unternehmen eine Vielzahl dieser Nachrichten abgesetzt wurden, ergaben sich auf diese Weise große Einsparpotentiale.

Im Folgenden ein paar Beispiele aus
The ABC Universal Commercial Electric Telegraphic Code Specially Adapted for the Use of Financiers, Merchants, Shipowners, Brokers, Agents, &c., Fourth Edition, 1881.
Quelle: Duke Digital Collections

Dieser Code wurde (unter anderen) auch von der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft verwendet:

Telegraphic codes, German Australian Line, 1914

Telegrammadresse und verwendete Codebücher; aus: Handbuch of the Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, for Australia and New Zealand, 1914; State Library of New South Wales, Sydney

Ausgangspunkt für das (fiktive) Beispiel ist folgende Nachricht in Klartext, die Strandung des Schiffes „Enrique“:

ABC Universal Commercial Electric Telegraphic Code 1881

aus: The ABC Universal Commercial Electric Telegraphic Code Specially Adapted for the Use of Financiers, Merchants, Shipowners, Brokers, Agents, &c., Fourth Edition, 1881.

Unter dem Stichwort „stranded“ finden Sie im Codebuch mehrere Optionen (in der Abbildung wegen des Seitenumbruchs auf zwei verkürzt):

aus: The ABC Universal Commercial Electric Telegraphic Code Specially Adapted for the Use of Financiers, Merchants, Shipowners, Brokers, Agents, &c., Fourth Edition, 1881. Quelle: Duke Digital Collections

Angewendet auf die ganze Meldung ergibt das diesen Telegrammtext:

telegraphic code 1881

Nachdem in den Standardcodes für Telegrafie unternehmensspezifische Sachverhalte nicht enthalten sein konnten, entwickelten zahlreiche Unternehmen zusätzliche Code-Listen für ihren täglichen Gebrauch. So ist das vorliegende Codebuch der DADG zu verstehen.

Ein sehr ausführlicher und lesenswerter Beitrag zu dem Thema Telegrafie am Beispiel der Deutschen Bank wurde unter dem anschaulichen Titel „Das viktorianische Internet“ veröffentlicht:

Das viktorianische Internet, Ingrid Rold-Saez, Bank und Geschichte, Historische Rundschau, Informationsbrief No. 40, März 2019, Historische Gesellschaft der Deutschen Bank eV.; http://www.bankgeschichte.de/de/docs/Historische_Rundschau-14-RZ-website.pdf

Druckdatum

Offen ist, wann der „Sailing and Arrival Code“ erstellt wurde. Anders als andere Dokumente der Reederei trägt das Verzeichnis keinen Formularcode, der Aufschluss über das Erstellungsdatum gibt.

Letztmöglicher Drucktermin ist Juni 1914, die „Neumünster“ verließ Hamburg laut Logbuch am 27. Juni 1914.

Um das Druckdatum weiter einzugrenzen, schauen wir uns die Liste der sechzig Schiffe an, die verzeichnet sind. Als erstes fällt mir auf, dass eine andere Quelle (Harms, 1933) von 55 Schiffen der DADG bei Kriegsausbruch spricht; die Liste enthält 60 Schiffe.

Jüngstes Schiff in der Liste ist die „Ceylon“, die im Februar 1914 bestellt wurde; dieser Frachtdampfer kam vor dem ersten Weltkrieg nicht mehr in Fahrt, gleiches gilt für die Schiffe „Forst“, „Guben“, „Lennep“ und „Waldenburg“, die zwar alle bestellt und zum Teil in Bau, aber noch nicht an die Reederei abgeliefert worden waren.

Das letzte Schiff, das vor dem Ersten Weltkrieg von der DADG an eine andere Reederei verkauft wurde, war die bereits 1897 in Dienst gestellte „Meissen“ und zwar im Juli 1913 (Harms 1933, Schmelzkopf 1984). Dieses Schiff ist in der Liste nicht mehr verzeichnet.

Das Druckdatum des Codewortverzeichnisses sollte also etwa zwischen Juli 1913 und Mai 1914 liegen.

Staatsarchiv Hamburg

Wer den Sailing und Arrival Code der DADG einmal selbst einsehen möchte, muss übrigens nicht nach Perth in Westaustralien fliegen. Im Staatsarchiv Hamburg befindet sich ebenfalls ein Exemplar (Referenznummer: 621-1/95_2529 Sailing and Arrival Code der „Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft“, Hamburg, s. d. (sine dato).

Auch hier der Hinweis „Sine dato“, also Erstellungsdatum unbekannt. Interessanterweise ist das Verzeichnis im Firmenarchiv der HAPAG archiviert, ein Hinweis darauf, dass die großen deutschen Reedereien ihre Codeverzeichnisse gegenseitig ausgetauscht haben.

Sailing code, GAL 1914

Sailing and Arrival Code, DADG, 2. Doppelseite, Ausschnitt; mit freundlicher Genehmigung des © State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.14)

Die Verschlüsselung von Nachrichten („Cipher“)

…von Unternehmen

An dieser Stelle greife ich die Nachricht von der Strandung des Schiffes „Enrique“ noch einmal auf. Diese Nachricht lässt sich auch verschlüsselt übermitteln. Diese könnte dann wie folgt lauten (Originalbeispiel aus dem ABC Standard-Codebuch von 1881):

telegraphie_enrique_stranded_cypher

Für die Verschlüsselung der Nachrichten kommen die neben dem Codewort angegebenen Codenummern ins Spiel. Für die Nachricht „Is stranded, but do not expect any damage” ist das die Nummer 13751.

telegraphie_example_streamlet-cypher

Zur Verschlüsselung der Nachricht definieren Sie zunächst eine zehnstellige Buchstabenfolge, in diesem Beispiel das Wort Cumberland.

telegraphie_cypher_example

Mit Kenntnis des Schlüssels Cumberland können Sie nun cmlec als 13751 entschlüsseln und die entsprechende Aussage im Codebuch finden.

Unternehmen verzichteten in vielen Fällen auf diese Verschlüsselung, weil die Übermittlung verschlüsselter Nachrichten teurer war, als die unverschlüsselter.

… in der Weltpolitik

War die Verschlüsselung von Telegramm in der Politik auch schon zu Friedenszeiten eine übliche Angelegenheit, unterlagen telegrafische übermittelte Nachrichten im Ersten Weltkrieg zusätzlich der Geheimhaltung. Heute ist ein Teil dieser Meldungen in Archiven erhalten.

Ein überliefertes Telegramm, dass der westaustralische Premier kurz vor der Kriegserklärung Großbritanniens an den australischen Premierminister nach Melbourne schickte, lautete beispielsweise:

“ENGLISHRY TIPSTOCK MY BUTTONING WILL APIASTER BE AT YOUR SALIGOTS…”

In Reinschrift übertragen lautete der Text:

„that in the event of the declaration of war my Cabinet will at once be at your service…”

Quelle: State Records Office of Western Australia, World War I in WA, Secret Coded Messages; sro.wa.gov.au

Am 5. August 1914 sendete der australische Premierminister dann folgenden Text nach Perth an den Gouverneur Westaustraliens:

TIPSIFIED GERMANY. GLYPHIC.

dies bedeutete:

„Was has broken out between Great Britain and Germany. Signed, the Governor General”

Quelle: State Records Office of Western Australia, World War I in WA, Secret Coded Messages; sro.wa.gov.au

… in Angelegenheiten des Dampfschiffes „Fürth“

Nicht nur in der großen Politik, auch im Kleinen wurden Nachrichten verschlüsselt, zum Beispiel wenn es um das Dampfschiff „Fürth“ ging.

Hier zwei Beispiele aus der Zeit zwischen der Kaperung der „Fürth“ vor Ceylon und der Abfahrt des Dampfschiffes nach London im Oktober 1914. Siehe dazu auch die folgenden Beiträge: Die Kaperung der „Fürth“Das Dampfschiff „Fürth“ wird kondemniert.

Am Samstag, den 3. Oktober 1914 sendete Gouverneur Chalmers aus Colombo folgenden Text über The Eastern Telegraph Company nach London:

„Rempotage sailclutch sabertooth cypher. Governor.”

Von einem Mitarbeiter im Colonial Office in London wurde der Text dann auf einer Schreibmaschine ins Reine getippt, die Reinschrift lautet wie folgt:

TELEGRAM The Governor of Ceylon to the Secretary of State for the Colonies.
(Received, Colonial Office 1-31 p.m. 3 October,1914)

Should be glad to receive early reply to my telegram of September 21st sent in cypher. CHALMERS

(National Archives, Kew, Aktennummer CO 323/625/6, Prize Ship “Furth”)

Diese kurze Reinschrift war eine einfache Arbeit für den Mitarbeiter im Colonial Office, er hatte aber auch komplexere Sachverhalte zu entschlüsseln. Hier wiederum ein Telegramm von Gouverneur Chalmers, diesmal vom 9. Oktober 1914:

XSA 18 COLOMBO 84 9 RX GOVT PASCOL =

CHAPELRIES LN =

UNHOPEFUL FURTH COMEOUTERS BUTSHAFT POPILIUS AND HANDFUL CROWN SACKDUSTER VESSEL LIBRILLIS WITH PAINTLESS ORIGINAL CARGO CONQUERING LEAD AND ZINC COLLEGIANS AND HAVE ALREADY LEASED REMAINING SPACE ARCHPASTOR LOCAL CARGO REPTILIAN CATARROSAS IMMANENT ANTORBITAL LOCAL INDUSTRIES REMAINDER OF CARGO HEARTDEEP WAREHOUSED HERE AND CLAIMS ARE UNDER INTOMBS SHIPPERS OF CARGO REQUIRE APEDROME VESSEL TOUCHPIECE INSURED AGAINST WAR RISK ECLUSA THEM TO INSURE CARGO ARBUSTIVE GENETTA DESIRED ASSURANCE REMPRUNTER ANNITOR ASSURANCE DELAYED FINANCIAL INCAUTO CROWN WILL ONLY BE INSURING HULL FOR ITSELF = GOVERNOR.

Immerhin kann man aus diesem Cable/Cablegram schließen, dass es um eine Schiffsladung und um deren Versicherung gegen Kriegsrisiko geht. Glücklicherweise ist neben dem Original-Telegramm auch diesmal die Reinschrift in den Akten:

TELEGRAM The Governor of Ceylon to the Secretary of State for the Colonies.
(Received, Colonial Office 2.23 p.m. 9th October,1914)

Your telegram 8th October Furth has been condemned by Prize Court and handed over to Crown; purpose to send vessel to London with part of original cargo consisting of lead and zinc concentrates and have already leased remaining space available for local cargo at request of Chamber of Commerce in order to assist local industries; remainder of cargo has been warehoused here and claims are under investigation; shippers of cargo require assurance that vessel will be insured against war risk in order to enable them to ensure cargo authority is requested to give desired assurance; telegraph reply as if assurance delayed financial liability will be incurred; Crown will only be insuring hull for itself. CHALMERS.

(National Archives, Kew, Aktennummer CO 323/625/20, Prize “Furth”)

 

Über die Problematik der Versicherungsfrage vor der Abfahrt der „Fürth“ von Colombo nach London (Tilbury) hatte ich im Blog berichtet, siehe dazu folgenden Artikel:  Dampfschiff „Fürth“: Die Abfahrt nach England verzögert sich

Falls Sie Gefallen an den phantasievollen Codenamen gefunden haben, habe ich Ihnen im Anhang alle Codenamen für die Ankünfte und Abfahrten der „Fürth“ zusammengestellt.

Falls Ihnen das nicht genug ist, finden Sie in der Liste noch 79 x 14 weitere schöne Namen zum Rezitieren oder auswendig lernen.

Oder sind Sie vielleicht auf der Suche nach einem ausgefallenen Vornamen? Wie wäre es mit Alamont oder Sinalissa?

Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt!

Anhang

Die vollständigen Telegrammcodes des Dampfschiffes „Fürth“

Von Adjugabam bis Adjugatos (ARRIVALS)

(Für Ankünfte von Sonntagvormittag bis Samstagnachmittag):

Adjugabam
Adjugantem
Adjugabare
Adjugarem
Adjugabis
Adjugaris
Adjugabo
Adjugas
Adjugamur
Adjugatae
Adjugandam
Agjugatior
Adjugandi
Adjugatos

Beim drittletzten Wort gehe ich davon aus, dass es sich um einen Druckfehler handelt. Agjugatior passt so gar nicht in die Reihe und heißt wohl richtig Adjugatior.

Irgendwie erinnert mich die Wortliste an eine lateinische Verbkonjugation, wobei ich zugebe, dass ich nie Lateinunterricht hatte. Oder auch an ein Gedicht eines Vertreters der Berliner Dadaisten-Szene in den zwanziger Jahren, wie zum Beispiel eines Raoul Hausmann.

Von Sentencio bis Sentienda (SAILINGS)

Für die Abfahrten klingt das dann so (wiederum von Sonntagvormittag bis Samstagnachmittag):

Sentencio
Senticeta
Sententia
Senticetum
Sentenza
Senticosa
Sentero
Senticosum
Sentia
Sentido
Sentiamo
Sentidora
Sentiatis
Sentienda

Sailing code, GAL 1914

Sailing and Arrival Code, DADG, 2. Doppelseite, Ausschnitt; mit freundlicher Genehmigung des © State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.14)

Die Erstveröffentlichung dieses Beitrags erfolgte am 25. Juli 2020.

 

Volkart Brothers Label Yarn

Das Dampfschiff „Fürth“ an der indischen Malabarküste

… und das Imperium der Gebrüder Volkart

Titelbild: Etikett für Garne, Gebrüder Volkart, mit freundlicher Genehmigung: Stadtarchiv Winterthur, Firmenarchiv der Gebrüder Volkart, Dep 42_1971.15

Alle Wege führen in die Schweiz

Das Recherchieren für diesen Blog hat manchmal ganz überraschende Wendungen parat.

Ein Beispiel war der Fund eines Tagebuchs der „Fürth“ in Liverpool: Ein Logbuch der „Fürth” in Liverpool

Jetzt bin ich bei der Suche nach Informationen über die Geschichte der „Fürth“ an der indischen Südwestküste ganz unverhofft in der Schweiz, genauer gesagt in Winterthur gelandet. Für mich eine spannende Geschichte, da ich ein Jahr „z’Winti“ gewohnt habe.

Ein herzlicher Dank geht an dieser Stelle an das Stadtarchiv Winterthur für die freundliche Unterstützung bei der Recherche und die Zurverfügungstellung von Bildmaterial und einer Vertretungsvollmacht aus dem Jahr 1908.

Anmerkung zum Titelbild und weiteren Bildern im Text: Es handelt sich um farbenfrohe Etiketten, die die Gebrüder Volkart auf Schweizer bzw. europäischen Produkten verwendet haben, die sie in Indien vermarktet haben. Die Begriffe 44s GREY und 40s DYED oder auch Chrome Yellow Yarn weisen darauf hin, dass es sich um gefärbte (Baumwoll-)Garne gehandelt hat.

Die „Fürth“ in Cochin und anderen Häfen in Südwestindien

Insgesamt gab es sieben Aufenthalte des Dampfschiffes „Fürth“ an der indischen Malabarküste in den Jahren 1908 bis 1912 plus einen weiteren weiter nördlich in Bombay im Juli 1912.

Hier die Häfen, die Aufenthaltsdauer und die DADG-Linie, auf der die „Fürth“ jeweils unterwegs war, im Detail (DADG steht für Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft).

Cochin, 6. – 9. Juni 1908 (Linie 2)
Cochin und Calicut, 20. – 22. Oktober 1909 (Linie 2)
Cochin und Badagara, 6. – 11. April 1910 (Linie 2)
Alleppey und Cochin, 27. September – 1. Oktober 1910 (Linie 2)
Cochin und Tellicherry, 25. – 28. Februar 1911 (Linie 2)
Cochin, 16. – 22. August 1911 (Linie 6)
Bombay, 16. – 18. Juli 1912 (Linie 1)
Cochin und Calicut, 28. – 30. Dezember 1912 (Linie 3)

Zu den Linien der DADG gibt es einen eigenen Beitrag: Die Flotte der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft 1914

Ports at Malabar Coast 1914

Die Häfen Alleppey, Cochin, Calicut, Badagara, Tellicherry und Magalore (von Süden nach Norden) an der Malabarküste; Ausschnitt aus einer Karte von Baedeker 1914; Quelle: University of Texas Libraries, legacy.lib.utexas.edu; nachträgliche Hervorhebung der Hafenstädte

Die Hafenstädte

Die von der „Fürth“ angelaufenen fünf Hafenstädte liegen nur maximal 270 Kilometer auseinander, von Alleppey im Süden bis nach Tellicherry im Norden. Wichtigste Hafenstadt, die bei allen Aufenthalten an der Malabarküste auf dem Fahrplan stand, war Cochin.

Ein zusätzlicher Hafen der von der DADG angelaufen wurde, war Mangalore (heute Mangaluru). Er liegt ca. 150 Kilometer nördlich von Tellicherry, so dass der von der Reederei bediente Küstenabschnitt auf 420 km anwächst. Ein sehr kleiner Ausschnitt der langen Küste British Indias.

Cochin

Cochin (heute: Kochi), Einwohner (1901): 19 274 (Encyclopaedia Britannica 1911)

Bis in die 20-er Jahre des 20. Jahrhunderts gab es in Cochin noch keinen richtigen Hafen. Die Schiffe mussten auf Reede liegen und wurden durch Leichter be- und entladen, da eine Sandbank die Zufahrt blockierte.

„At that time Cochin was a port where the ships were berthed offshore with cargo loading and unloading being done using lighters. The ships were exposed to all the violent forces of the open sea.”
Quelle: corporationofcochin.org

Erst in den 20er und 30er Jahren wurde von Cochin von dem Hafeningenieur Robert Bristow zu einem modernen Hafen umgestaltet.

Cochin war wichtiger Ausfuhrhafen für Pfeffer, Kardamom und andere Gewürze. Außerdem für Kokosfasern, Kokosnüsse und Kopra.

Alleppey (1901: 25 000 Einwohner); heute Alappuzha

Der Hafen von Alleppey entwickelte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur dank der Verarbeitung von Kokosfasern und dem Verkauf von deren Produkten in alle Welt. Vor allem die weltweite Nachfrage nach Kokosmatten als billigem Bodenbelag gab dem Hafen und der lokalen Wirtschaft Arbeit. Arbeit, die allerdings schlecht bezahlt wurde und Schenk (2010) spricht in dem Buch Gateways of Asia daher von „economics of poverty“.

Die Nachfrage erlebte nach dem Zweiten Weltkrieg einen starken Rückgang, da Bodenbeläge aus Kokosfasern zunehmend durch synthetische Materialien verdrängt wurden. Alleppey verlor an Bedeutung und die verbliebene Verarbeitung von Kokosfasern verlagerte sich in das nur rund 50 Kilometer entfernte Cochin.

Informationen aus:
Alleppey: From a Port without a City to a City without a Port, Hans Schenk, in: Gateways of Asia, Port Cities of Asia in the 13th to 20th Centuries, Frank Broeze (ed.), Routledge, London/New York (2010); abgerufen über books.google.fr

Alleppey

Alleppey, Blick vom Leuchtturm auf den Anleger, 1900, Fotograf: Zacharias D‘Cruz, British Library Online Collection (bl.uk)

It has a pier 773 feet long and 21 feet broad fitted with two steam cranes and two hand cranes for handling cargo. A lighthouse was constructed for the convenience of mariners in 1862 by Captain Hugh Crawford.
Quelle: British Library Online Gallery, http://www.bl.uk/onlinegallery/onlineex/apac/photocoll/a/019pho000430s45u00042000.html

Anmerkung: Die beiden Bilder aus Alleppey sind Teil der Curzon Collection mit insgesamt 76 Aufnahmen „Album of South Indian Views“. Ein Porträt des Fotografen mit ausgewählten Fotos gibt es hier: http://photomail.org/online/zachariah-dcruz-and-the-act-of-photographing-a-progressive-travancore/

Alleppey 1900, Lighthouse

Alleppey Leuchtturm, 1900, Fotograf: Zacharias D‘Cruz, British Library Online Collection (bl.uk)

Tellicherry

1901: 27 883 Einwohner

The town is a busy centre of export trade in coffee, coco-nut produce, spices and sandal-wood. (Encyclopaedia Britannica 1911)

Der Hafen Tellicherry (heute Thalassery) war die erste regelmäßige Ansiedlung der East India Company an der Malabarküste. Tellicherry wurde als bester Ort für den Handel von Pfeffer und Kardamom angesehen. Andere Exportprodukte waren Kaffee oder Reis.

„By the last decade of 19th century, port handled shipment of a number of articles like coffee, pepper, rice, salt etc. and the average tonnage was about 6 lakhs per year”


1 Lakh entspricht 100.000, das wären 600 000 Tonnen pro Jahr.

Calicut

Calicut (heute Kozhikode) war größer als Tellicherry. Einwohner (1901): 76 981.

„Calicut possessed an iron screw pile pier extending out to twelve feet of water and it had a light house exposing a good dioptric light. By the last decade of 19th century this port was one of the largest ports in Madras presidency having an annual tonnage of about 9 lakhs. Its imports ware mainly grain, salt and piece goods and export consisted of coffee, pepper, timber, ginger etc.”

Zitate zu Tellicherry und Calicut aus: Economic History of Kerala from 1800 to 1947 AD, Part 1: Malabar, B.A. Prakash, Thiruvanathapuram Economic Studies Society, November 2018; keralaeconomy.com

As the administrative headquarters of the district, Calicut maintains its historical importance. It is served by the Madras railway, and is the chief seaport on the Malabar coast, and the principal exports are coffee, timber and coco-nut products. There are factories for coffee-cleaning, employing several hundred hands; for coir-pressing and timber-cutting. The town has a cotton-mill, a saw-mill, and tile, coffee and oil works. (https://en.wikisource.org/wiki/1911_Encyclop%C3%A6dia_Britannica/Calicut)

Volkart Brothers Yarn Label

Etikett für Garne, Gebrüder Volkart, mit freundlicher Genehmigung: Stadtarchiv Winterthur, Firmenarchiv der Gebrüder Volkart, Dep 42_1971.4

Die Gebrüder Volkart

Wie in allen angelaufenen Hafenstädten hatte die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft auch in Indien einen Agenten/Makler. Das waren die Gebrüder Volkart.

Die Vereinbarung mit der DADG

Hier ist ein wirklich ganz besonderes Dokument: die Vertretungsvollmacht aus dem Jahr 1908.

Volkart Brothers Cochin 1908

Vertretungsvollmacht der DADG für die Filiale der Gebrüder Volkart in Cochin vom 13. Oktober 1908; mit freundlicher Genehmigung: Stadtarchiv Winterthur, Firmenarchiv der Gebrüder Volkart, Dep 42_775 (1)

Unterzeichner für die DADG sind der Direktor Carl Ferdinand Schmidt und der Prokurist Ernst Chelins. Der Text der notariellen Beglaubigung des Dokuments nimmt weit mehr Raum ein, als die kurze Vereinbarung selbst. Der Hamburger Notar, der die Beglaubigung verfasst hat, war Max Crasemann:

I, Heinrich Max Crasemann, Doctor of Laws of the free and Hanseatic Town of Hamburg Notary public by lawful authority duly admitted and sworn, do hereby certify and attest unto all whom it may concern, that Director Carl Ferdinand Schmidt, of this City inhabitant, Manager and Ernst Chelins of this City inhabitant, who holds the power of the Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft a joint stock company domiciled at Hamburg, who are according to the official registers of the court of commerce of this city and to the articles of association of said company duly authorized and legitimated to sign the firm of this company collectively and to represent the latter in every respect and lawful manner, have acknowledged the foregoing signatures to be in their own and proper handwriting.
To the due execution thereof an act being required I have granted the same under my hand and seal of office to serve and avail as occasion shall or may require.

Anschließend folgen noch Ort und Datum, Stempel und Unterschrift:

Max Crasemann, Notar Hamburg

Vertretungsvollmacht der DADG für die Filiale der Gebrüder Volkart in Cochin vom 13. Oktober 1908; mit freundlicher Genehmigung: Stadtarchiv Winterthur, Firmenarchiv der Gebrüder Volkart, Dep 42_775 (2)

Das Notariat hat eine lange Geschichte und wurde bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts gegründet. Es besteht bis heute unter dem Namen Notariat Mönckebergstraße fort. Auf der Internetseite gibt das Notariat einen sehr ausführlichen Einblick in seine Geschichte: Max Crasemann war dort von 1881 bis 1925 über vierzig Jahre als Notar tätig.

Eine Beglaubigung der notariellen Beglaubiguung erfolgte am Tag darauf durch den britischen Generalkonsul in Hamburg, Sir William Ward, His Britannic Majesty’s Consul General.

William Ward, Consul General

Vertretungsvollmacht der DADG für die Filiale der Gebrüder Volkart in Cochin vom 13. Oktober 1908; mit freundlicher Genehmigung: Stadtarchiv Winterthur, Firmenarchiv der Gebrüder Volkart, Dep 42_775 (2)

These are to certify that the above Seal and Signature are the official Notarial Seal and Signature of Heinrich Max Crasemann, Doctor of Laws, a Sworn Notary Public residing and practising in the Free City of Hamburg and that full faith and credit are due thereunto and as whitness my Hand and Seal of Office at Hamburg this 14th of October 1908.
William Ward, His Britannic Majesty’s Consul General

Die kurze, halbseitige Vereinbarung zwischen beiden Unternehmen wuchs somit auf zwei ganze Seiten an.

Volkart Brothers label

Etikett, Gebrüder Volkart, mit freundlicher Genehmigung: Stadtarchiv Winterthur, Firmenarchiv der Gebrüder Volkart, Dep 42_1971.19

Die Geschichte der Gebrüder Volkart

Das Handelshaus Gebrüder Volkart mit Sitz in Winterthur wurde 1851 gegründet und war ein in der Schweiz führendes Unternehmen im Handel mit Kolonialwaren und bis 1989 viertgrösster Baumwollhändler der Welt.
(Zitat aus http://www.winterthur-glossar.ch)

Die Anfänge des Unternehmens

Über die ersten Jahre des Unternehmens gibt es einen schönen Aufsatz, den ich hier zitiere. Er ist von Arthur Glanzmann, erschienen in: Forschungsgemeinschaft China-Philatelie e.V., Heft 149 „Die China-Philatelie“, 02/2011, Titel: Es führen viele Wege von Zürich nach Shanghai

Anmerkung: Der Aufsatz hat die spätere Ausdehnung des Geschäftes der Gebrüder Volkart nach China unter philatelistischen Gesichtspunkten zum Thema. Hier beschränke mich hier auf die Darstellung des Engagements in Indien.

„SALOMON VOLKART wurde am 21. Mai 1816 in der Nähe von Zürich in der Schweiz geboren. Als 16-jähriger trat er der Handelsfirma des Caspar Schulthess von Rech bei. Vier Jahre später verließ er die Schweiz und arbeitete in Genua und Neapel. 1844/45 führte ihn eine Reise nach Indien, wo sein jüngerer Bruder JOHANN GEORG VOLKART in Kalkutta als Baumwollhändler bei Wattenbach & Co arbeitete. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz arbeitete SALOMON VOLKART einige Jahre bei Rieter Brothers & Greuther in Winterthur. Am 1. Februar 1851 gründeten die Volkart Brüder ihre eigene Firma Volkart Brothers, Winterthur und Bombay. Der in der Ankündigung der Geschäftseröffnung enthaltene Hinweis «Kaufleute und Agenten» lieferte nur ein indirektes Bild der wirklichen Geschäftsabsicht, bei der es um den direkten Austausch mit indischen Gütern ging – hauptsächlich Baumwolle, aber auch Öle, Kaffee, Tee, Kakao, Gewürze und Kautschuk, um ein paar zu nennen – gegen aus Europa gefertigte Güter wie Seife, Papier, Streichhölzer und später auch Uhren, Textilien und Maschinengüter. Aufgrund der anfänglichen Erfolge gründeten sie bald neue Büros in Colombo (1857), Kochi/Cochin (1859) und Karachi (1861). 1861 starb JOHANN GEORG VOLKART völlig unerwartet im Alter von 36 Jahren in Bombay und SALOMON übernahm das Geschäft alleine. Neben seinen Erfolgen im eigenen Geschäft saß SALOMON auch in zahlreichen Vorständen, beispielsweise dem der Bank von Winterthur, die 1863 gegründet wurde und später zur «UBS» wurde, sowie der vereinigten Schweizer Eisenbahnen und der schweizerischen Unfall-Versicherungsgesellschaft (heute «AXA Winterthur»).“ © Arthur Glanzmann, Forschungsgemeinschaft China-Philatelie e.V., Heft 149 „Die China-Philatelie“, 02/2011, Titel: Es führen viele Wege von Zürich nach Shanghai

Volkart Brothers Label

Etikett, Gebrüder Volkart, mit freundlicher Genehmigung: Stadtarchiv Winterthur, Firmenarchiv der Gebrüder Volkart, Dep 42_1971.2

Die weitere Entwicklung in Indien und Europa

In Südwestindien kam im Jahr 1876 eine weitere Filiale („Branch-House“) der Gebrüder Volkart in Tellicherry hinzu. Diese hatte Einkäufer („buying agencies“) in Calicut, Badagara und Mangalore. Die Filiale in Cochin wiederum hatte Einkäufer in Alleppey und Quilon (heute Kollam).

In Europa wurde das Stammhaus in Winterthur um einen Geschäftssitz in London erweitert. Ab 1920 gab es auch eine Filiale in Bremen.

Im Jahr 1912 ging die Leitung des Unternehmens an die Familie Reinhart über.

Volkarts waren ohne männliche Nachkommen geblieben und Theodor Reinhart, ein Schwiegersohn Salomon Volkarts, übernahm die Firma.

Das Kerngeschäft

Das Kerngeschäft der Gebrüder Volkart war Baumwolle. Volkart wurde damit ab Ende des 19. Jahrhunderts zu einem der größten Baumwollexporteure Indiens und nach 1945 zu einer der bedeutendsten Baumwoll- und Kaffeehandelsfirmen der Welt (Chalmin 1981, S. 28 f. zitiert nach Hierarchie und Netzwerk, Christof Dejung, in: Unternehmerische Netzwerke, H. Berghoff, J. Sydow (Kohlhammer, 2007)

Durch die Eröffnung des Suezkanals 1869 hatte das Geschäft großen Aufschwung genommen und der „Anteil der indischen Baumwolle, der ohne Umweg über Großbritannien direkt nach dem europäischen Festland ging, stieg aufgrund der besseren Erreichbarkeit bis 1885 auf 60 % an, ….“ (Dejung, 2007).

Das bedeutete gleichzeitig eine Zunahme des Geschäfts für nichtbritische Reeder:

„Volkart begann denn auch mehr und mehr, Baumwolle nicht mehr wie bis dahin üblich mit britischen Schiffen nach London zu exportieren, sondern mit kontinentaleuropäischen Schifffahrtslinien nach Häfen auf dem Kontinent zu verschiffen.“ (Dejung, 2007)

Ende des 19. Jahrhunderts belief sich die jährliche Exportmenge der Gebrüder Volkart nach Europa auf über 100.000 Ballen Baumwolle.
Quelle: Christof Dejung in: Aufbruch ins postkoloniale Zeitalter, Globalisierung und die außereuropäische Welt in den 1920er und 1930er Jahren, S. Kunkel, Ch. Meyer (Hrsg.) Campus Verlag 2012; abgerufen über books.google.fr

Volkart Brothers label

Etikett, Gebrüder Volkart, mit freundlicher Genehmigung: Stadtarchiv Winterthur, Firmenarchiv der Gebrüder Volkart, Dep 42_1971.10

Weitere Produkte

Neben Baumwolle handelten die Gebrüder Volkart mit Produkten aller Art (siehe oben), Rohstoffe, Konsumgüter und Investitionsgüter. Rohstoffe in der Regel von Indien nach Europa, Konsum- und Investitionsgüter in umgekehrte Richtung.

Einen großen Anteil an Waren, die mit der DADG nach Europa befördert wurden, hatten Kokosnussprodukte in allen Formen. Dazu ein Beispiel aus dem Jahr 1904. Es ist ein Bericht über Feuer an Bord eines Frachters:

… The fire has been extinguished, cargo in No. 3 hold, Rolls of coir yarn, casks coconut oil, bags of poonac, bales of coir yarn, bags of copra for Hamburg and Antwerp; capacity of holds 23,800 cubic feet, about a half damaged more or less by fire and water. Most this cargo from Volkart Brothers. Stormy weather prevent work. All cargo No. 3 hold is being discharged, two-thirds already out. …
The Sydney Morning Herald, 16. März 1904, S. 10, Accidents to German Steamers

Anmerkungen: 23800 Kubikfuss sind rund 674 Kubikmeter; coir yarn ist Kokosfaser und poonac ist ein Rückstand der Kokosölgewinnung, also ein Ölkuchen, der noch als Viehfutter verwendet wird. Kopra ist getrocknetes Fruchtfleisch der Kokosnuss: Die Fracht der „Fürth“ – Kopra

Das betroffene Schiff war die „Augsburg“, die Entladung fand in Ferrol statt (spanische Nordwestküste). Im Februar 1912 fuhr das Dampfschiff „Augsburg“ von New York nach Durban; es kam nie an und ist bis heute verschollen.

Über eine größere Ladung Pfeffer aus Tellicherry hatte ich hier berichtet:
Pfeffer aus Tellicherry

Neben dem Handel investierte das Unternehmen Volkart aber auch in Verarbeitungsbetriebe, ein Beispiel:

„1886 gründete Volkart in Tellicherry eine Fabrik, in der Rohkaffee für den Transport nach Europa präpariert wurde.“
Kulturen der Weltwirtschaft, W. Abelshauser, D. Gilgen, A. Leutzsch, Vandenhoeck & Ruprecht (2012); abgerufen über books.google.fr

Win-win-Situation

Die Gebrüder Volkart als Makler der DADG könnten selbst ihr bester Kunde gewesen sein. Sie hatten durch die Vereinbarung Schiffsraum für regelmäßige Abfahrten nach Europa zur Verfügung, über den sie disponieren und den sie mit ihren eigenen Produkten ausfüllen konnten. Sie mussten sich nicht um das Chartern von Schiffen kümmern.

Die Reederei wiederum konnte leer gebliebenen Raum oder in Niederländisch-Indien oder Ceylon wieder leer gewordenen Raum, in Indien gleich wieder auffüllen. Denn einige Waren wurden von Australien oft nur nach Niederländisch-Indien/Ceylon befördert, wie zum Beispiel Mehl.

Heute würde man das eine Win-Win-Situation nennen.

Volkart Brothers, label

Etikett, Gebrüder Volkart, mit freundlicher Genehmigung: Stadtarchiv Winterthur, Firmenarchiv der Gebrüder Volkart, Dep 42_1971.13

In späterer Zeit

1926 beschäftigte das Unternehmen weltweit 7600 Mitarbeiter.

Mit eigenen Gesellschaften in den USA (seit 1922), Mexiko und Südamerika sowie einem Netzwerk verbundener Unternehmen und Vertretungen auf allen Kontinenten waren die Gebrüder Volkart nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur einer der größten Baumwollhändler weltweit, sondern auch ein wichtiger Akteur im Kaffeegeschäft.

1989 zog sich die Gebr. Volkart AG aus dem Kaffeehandel zurück, der Handel mit Baumwolle wurde 1999 aufgegeben.

„…, eine eigene Geschäftstätigkeit – abgesehen von diversen Beteiligungen – besitzt das ehemalige grosse Handelsunternehmen nicht mehr.“ (www.winterthur-glossar.ch)

Darüber hinaus existiert heute (2020) noch die Volkart Stiftung (volkart.ch) und der Volkart Foundation Indian Trust (https://volkartfoundation.in/home.html).

Ein Firmenporträt und zahlreiche Personenporträts aus den Familien Volkart, Ammann und Reinhart finden Sie im lokalen „Wiki“ der Stadt Winterthur: http://www.winterthur-glossar.ch

Sammlung „Am Römerholz“

Zum Abschluss noch ein persönlicher Tipp, falls Sie einmal in Winterthur sind:

Ein Mitglied der Familie Reinhart, Oskar Reinhart, war passionierter Kunstsammler. In seinem ehemaligen Wohnhaus „Am Römerholz“ finden Sie eine der bedeutendsten Privatsammlungen Europas.

Sammlung Oskar Reinhart „Am Römerholz“, Winterthur; https://www.roemerholz.ch/sor/de/home.html

Volkart Brothers label

Etikett für chromgelbes Garn, Gebrüder Volkart, mit freundlicher Genehmigung: Stadtarchiv Winterthur, Firmenarchiv der Gebrüder Volkart, Dep 42_1971.13

Farbstoffetiketten

Die im Text gezeigten Farbstoffetiketten („dye labels“) wurden von großen Chemieunternehmen wie Ciba, BASF, Bayer, Hoechst u. a. hergestellt. Sie dienten zur Vermarktung von Farbstoffen oder – wie in einigen Beispielen im Text – von gefärbten Garnen. Die Motive waren genau auf die asiatischen Zielmärkte zugeschnitten: neben indischen Darstellungen gibt es auch viele Etiketten mit chinesischen oder japanischen Motiven.

Eine schöne Sammlung mit Motiven der Fa. Bayer finden Sie hier:
http://homepages.uni-jena.de/~i6zero/dye_labels.html

Hinweis: Erstveröffentlichung dieses Artikels am 20. Juli 2020