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Rio Negro in Hamburg

Der blinde Passagier

Titelbild: Das Dampfschiff „Rio Negro“, Hamburg Südamerikanische Dampfschifffahrts-Gesellschaft (kurz Hamburg Süd) im Hamburger Hafen; Postkarte, nicht datiert, ungelaufen; eigene Sammlung

Für Kaiser und Vaterland

Bei meinen Recherchen über das Schicksal deutscher Seeleute in Barcelona nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges bin ich auf eine spannende Abenteuergeschichte gestoßen, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte.

In dem Blogartikel Gestrandet in Barcelona hatten wir gesehen, dass der Rückweg aus dem neutralen Spanien nach Deutschland durch den Krieg versperrt war. Zumindest galt das für Männer im wehrfähigen Alter, die beim Versuch nach Deutschland zu gelangen, bei Patrouillen der Alliierten von neutralen Schiffen geholt und in Kriegsgefangenschaft gesteckt wurden.

Von einem deutschen Schiffsoffizier, dem die Reise trotzdem gelungen ist, handelt dieser Artikel. Er hatte sich von Portugal bis nach Deutschland durchgeschlagen und erzählte anschließend den Altonaer Nachrichten seine abenteuerliche Geschichte.

Die Begebenheit liest sich wie die Erzählung einer Flucht. Aber nein! Der Offizier der Deutschen Handelsmarine nahm alles nur in Kauf, um für sein Vaterland in den Krieg zu ziehen.

Aus heutiger Sicht ist dies nur schwer nachvollziehbar. Der Zeitungsartikel ist jedoch ein Zeitdokument, der die Stimmungslage zu Kriegsbeginn im Jahr 1914 einfängt. Zum besseren Verständnis gebe ich ihn mit einigen Kommentaren wieder. Die damalige Rechtschreibung habe ich beibehalten, die Originaltexte gebe ich kursiv wieder.

Der Titel des Artikels ist

Der blinde Passagier

In der Einleitung des Artikels heißt es:

* Nachstehender Brief eines Offiziers der Hamburg Südamerika-Linie, der uns freundlichst zur Verfügung gestellt wurde, dürfte gewiß in weiteren Kreisen Beachtung finden:

Ob der Artikel tatsächlich in weiteren Kreisen Beachtung fand, kann ich heute nicht beurteilen. In jedem Fall erzählt er eine äußerst abenteuerliche Geschichte.

Die Hamburg Südamerikanische Dampfschifffahrts-Gesellschaft (kurz Hamburg Süd) war bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges die viertgrößte deutsche Reederei noch vor der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (und hinter HAPAG, Nordd. Lloyd und DDG Hansa). Die wichtigsten Reiseländer der Hamburg Süd waren Brasilien und Argentinien. Die Titelabbildung zeigt mit der „Rio Negro“ einen Dampfer dieser Linie.

Lassen wir aber jetzt den Schiffsoffizier zu Wort kommen:

… Am 2. August, dem Tage der Kriegserklärung, erreichten wir mit unserem Dampfer Leixoes.

Die Kriegserklärungen zum Ersten Weltkrieg erfolgten in mehreren Schritten. Deutschland hatte am 1. August Russland den Krieg erklärt. Am 2. August drangen deutsche Truppen in Luxemburg und Frankreich ein, die offizielle Kriegserklärung gegenüber Frankreich erfolgte erst am 3. August 1914.

Leixoes liegt wenige Kilometer nördlich von Porto (weiter unten im Text als Oporto bezeichnet) an der Atlantikküste. Der Hafen wurde seit Ende des 19. Jahrhunderts regelmäßig erweitert und die Schiffe der Hamburg Süd legten hier und auch in Lissabon regelmäßig auf der Linienfahrt nach Brasilien an.

Leixoes (Porto) 1931

Hafen von Leixoes im Jahr 1931; Gazeta dos Caminhos de Ferro No. 1055, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Porto_de_Leixoes_-_GazetaCF_1055_1931.jpg

Hier war bereits ein Telegramm von der Reederei eingelaufen, daß unser Dampfer liegen bleiben sollte. Es erschien mir undenkbar, nicht fürs Vaterland kämpfen zu sollen, deshalb machten der Kapitän, der auch Reserveoffizier ist, und ich uns auf den Weg zur Heimat. Wir wollten durch Spanien und Italien nach Deutschland. Aber schon in Oporto erfuhren wir durch den deutschen Konsul, daß nach Aussage des Berufskonsuls in Madrid nach den neuesten Bestimmungen für Wehrpflichtige vorläufig keine Aussicht sei, die Iberische Halbinsel auf dem See- oder Landwege zu verlassen. Betrübt mußten wir daher wieder unser Schiff aufsuchen.

Wie wir noch sehen werden, wurden Schiffe neutraler Staaten im Mittelmeer regelmäßig kontrolliert und Wehrpflichtige Deutsche von Bord geholt. Kapitän Richter und seinem dritten Offizier war es auf der Reise von Colombo nach den Niederlanden ebenso ergangen. SIEHE: Die abenteuerliche Reise des Kapitäns der „Fürth“, W. Richter, auf der „Koningin Emma“

Der Gedanke, nur als Zuschauer an dem Krieg um deutsches Sein oder Nichtsein teilzunehmen, war mir unerträglich. An Bord war nichts zu tun, die Ausflüge – auf denen wir durch besonders lebhafte Bettelei belästigt wurden – und das Segeln befriedigten wenig. Das einzige war noch der Besuch im deutschen Klub, wo wir die verspätet eintreffenden Kriegsnachrichten verschlangen.

Ich bemühte mich nun, einen fremden Pass zu erlangen. Da England das gesamte Völkerrecht außer Kurs gesetzt hatte, mußte ich es mal im Nebenfahrwasser versuchen. Nach wochenlangen Mühen fand ich einen brotlosen portugiesischen Barbier, der mir seine Papiere abtreten wollte. Doch zu meinem größten Aerger hatte der Mensch eine solche Personalbeschreibung, daß ich selbst dem kurzsichtigsten Gesetzeswächter damit nicht entwischt wäre. Also warten! Die Portugiesen sind ziemlich deutschfeindlich gesinnt. Vergeblich bemühten wir uns, ihnen begreiflich zu machen, daß ein Eingreifen ihrerseits ihnen nur zum Schaden gereichen würde; ihre geringe Macht könne nicht den bescheidensten Einfluß auf das endgültige Ergebnis ausüben; die Engländer wollten sie ja doch nur, wie alle ihre Verbündeten, als Kanonenfutter gebrauchen. Den besten Beweis hätten sie doch in den 300 in Oporto lebenden Engländern, für die der Weg in die Heimat frei war – und von denen ganze drei Mann sich freiwillig meldeten zu einem Kampfe, wie ihn England noch nie erlebt.

Ich lasse die Zahl so stehen, ich habe sie nicht überprüft.

Die Kerle waren nicht zu überzeugen, so hatten die englischen und französischen Blätter hier die öffentliche Meinung verseucht. Nur der sehr stark um sich greifenden Revolution haben wir es zu verdanken, daß das portugiesische Heer mit sich selbst genug zu tun hat.

Der portugiesische König und sein Thronfolger waren 1908 in Lissabon erschossen und 1910 die Republik ausgerufen worden. Die innenpolitische Lage blieb jedoch in den Folgejahren äußerst instabil, bis 1926 ein Putsch die lange Militärdiktatur des Estado Novo einleitete.

Endlich – es war mittlerweile Oktober geworden – lieh mir ein stamm- und blutsverwandter Skandinavier seinen Miltärpaß. Damit versuchte ich nun nochmals mein Glück. Sechs Mann der Besatzung schlossen sich mir an. Dazu eine deutsche Dame, die nach Madrid wollte. Am 18. Oktober verließen wir in der Frühe Oporto und erreichten am Morgen des 19. Madrid. Hier schlossen sich noch 90 Deutsche uns an, und am abend des 20. langten wir in Barcelona an. Wir wurden vom Deutschen Hilfsverein in Empfang genommen und an Bord der deutschen Dampfer „B.“ und „D.“ beherbergt und ausgezeichnet verpflegt.

Der Deutsche Hilfsverein in Barcelona existiert seit 1868. Er hilft „deutschsprachigen Menschen in Barcelona in einer gesundheitlichen, rechtlichen oder sozialen Notlage“. Mehr über den gemeinnützigen Verein erfahren Sie auf dessen Internetpräsenz. Nachdem es ein Verein nach deutschem Recht ist, können sie Spenden an diese engagierte und tatkräftige Organisation sogar von der Steuer absetzen.
https://www.deutscher-hilfsverein-barcelona.org/

Barcelona 1908, Stereokarte

Barcelona, Hafen und Zollgebäude, detailreiche Stereolithographie, 1908; Quelle: Library of Congress, https://www.loc.gov/resource/stereo.1s37393/

Unser Schiffsoffizier nennt die Namen der deutschen Schiffe nur mit den Anfangsbuchstaben. Bei „B.“ handelt es sich um das Schiff „Brasilia“ der Hamburg-Amerika Linie (HAPAG) und „D.“ steht für „Düsseldorf“, einem Frachtdampfer der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft. SIEHE dazu den Artikel Gestrandet in Barcelona

Nun mußte ich mir zu meinem Militärpaß einen Reisepaß besorgen, den konnte ich aber vom schwedischen Konsul nicht bekommen, weil ich der Sprache nicht genügend mächtig war. Da es mir außerdem ratsamer schien – es lugten hier unendlich viele Deutsche nach Fahrgelegenheit aus -, mein Glück allein zu versuchen, so verließ ich meinen Gefährten und fuhr nach einem kleinen Nest nahe der französischen Grenze, wo ich in der Nacht eintraf. Zu meinem Pech war nun hier wieder kein schwedischer Konsul ansässig. Ich setzte jetzt dem deutschen Konsul mein Vorhaben auseinander, und der erzählte mir zu meiner großen Freude, daß Montag mittag ein schwedischer Dampfer nach Genua abfahren sollte.

Bei dem „Nest“ könnte es sich um Portbou handeln, hier gab es den deutschen Konsularagenten Eduard Font. Einen deutschen Vizekonsul gab es nördlich von Barcelona auch in der Hafenstadt Sant Feliu de Guíxols (Carl August Bender). Beide waren dem Generalkonsul in Barcelona unterstellt, im Jahr 1914 Georg Alfred Plehn.

Ich bat nun den Kapitän, mich in die Mannschaftsliste auf den Namen meines schwedischen Passes einzutragen. Der wollte aber nicht, um Unannehmlichkeiten aus dem Wege zu gehen. Nachdem ich der Worte genug gewechselt, schritt ich zu Taten. Mit den Verhältnissen an Bord gut vertraut, wartete ich den günstigen Augenblick der Nachtwachenablösung ab. Um die Geisterstunde schlich ich mich an Bord und in einen kleinen dunklen Raum, dessen nähere Bezeichnung hier überflüssig ist. Um in den zu gelangen, mußte ich durch zwei Luken steigen.

Hier behält es der Autor für sich, wo er sich versteckt hatte. Er war sich offenbar recht sicher, dass ihn vor der Abfahrt hier keiner finden würde.

In der Hoffnung, nach 30 Stunden aus meinem selbstgewählten Gefängnis erlöst zu sein, versuchte ich, mich so häuslich wie möglich einzurichten. Mein Lebensunterhalt bestand aus zwei Broten und einem Futterpäckchen, das mir die liebenswürdige Frau Konsul mitgegeben hatte, als sie erfuhr, auf welche Weise ich Genua erreichen wollte. Zum Glück war ich im Besitz meiner Taschenuhr und einiger Streichhölzer, sodaß ich die Zeit genau verfolgen konnte.

Mit Unbehagen bemerkte ich, daß der Dampfer gegen Mittag nicht loswarf, erst abends um 8 Uhr lichtete er die Anker. Somit war ich 20 Stunden umsonst in dem kleinen Raum. Feucht und kalt war es geworden, beschweren konnte ich mich auch nicht, also vertrieb ich mir zähneklappernd die Zeit mit Schlafen, Essen und Trinken. Das Futterpäckchen war in meiner dunklen Einöde zum Lichtstrahl geworden. Außer appetitlichen Brötchen und schönem Obst fand ich auch eine Flasche Rotwein darin. Der erste Schluck galt der edlen Spenderin.

Nachdem glücklich 16 Stunden Fahrt vergangen waren, wurde ich plötzlich durch das Fallen des Ankers aus meinen mehr oder weniger süßen Träumen geweckt. Schnell voltigierte ich durch die eine Luke und hob den Deckel der andern mit äußerster Vorsicht: es wirkte nicht gerade beruhigend, als ich ein französisches Torpedoboot entdeckte. Mein gastlicher Dampfer sollte auf Konterbande and deutsche Reservisten untersucht werden. Es waren ein paar ungemütliche Augenblicke. Vor allem hielt ich erst mal von innen die Luke krampfhaft fest, um dadurch ein Ausgequollensein vorzutäuschen. Da kamen auch schon über mir Schritte. Das Gefühl der Sicherheit hatte nahezu den Nullpunkt erreicht. – Sie entfernten sich. Nach kurzer Zeit setzte sich das Schiff wieder in Bewegung. Ich glaubte, nie eine schönere Melodie gehört zu haben, als das Rasseln der Ankerketten. Ich war dabei schön warm geworden und die weiteren 13 Stunden verbrachte ich im Halb- und Ganzschlummer. Nachts 1 Uhr ankerten wir auf der Reede von Genua, und morgens 7 Uhr liefen wir in den Hafen ein.

Vorsichtshalber hielt ich mich noch einige Stunden versteckt, um möglichst unbemerkt von Bord zu kommen und den Kapitän vor einem nachträglichen Schreck zu behüten. Nach 62 Stunden verließ ich dann ohne Trauer mein Logis und atmete an Land wirklich befreit auf. Im nächsten anständigen Gasthof – um nicht Hotel, Alberga [sic] oder Trattoria zu sagen – machte ich mich wieder menschlich, um dann am andern Tage meine Fahrt durch das schöne Tirol nach der Heimat anzutreten. Sonntag, den 1. November, erreichte ich meine Vaterstadt Altona.

Altona war zu dieser Zeit noch eigenständig, erst am 1. April 1938 wurde es nach Hamburg eingemeindet.

Am andern Tage ging es nach Kiel, wo ich auf einem Torpedoboot eine förmliche Luxuskabine – im Vergleich zu meinem Dampferlogis – besitze.

Heil und Sieg!

W. B.

Quelle: Altonaer Nachrichten, Abendausgabe am Freitag, 20. November 1914; http://www.europeana.eu

Genua Hafen ca. 1880-1890; Giorgio Sommer

Der Hafen von Genua, ohne Datumsangabe (ich vermute spätes 19. Jahrhdt.), Fotografie von Giorgio Sommer (1834-1914); Quelle: Commons.wikimedia.org

Seinen Namen gibt der Offizier im Artikel nicht preis, lediglich seine Initialen. Zu seinem vollständigen Namen und über sein weiteres Schicksal kann ich leider keine Angaben machen.

Wohl aber kann ich das Schiff der Hamburg Süd identifizieren, mit dem er in Portugal angekommen war.

„Santa Ursula“ (1908)

Das Schiff, auf dem unser Schiffsoffizier W. B. seinen Dienst tat, muss der Frachtdampfer „Santa Ursula” (1908) gewesen sein. Er war zu Kriegsbeginn das einzige Schiff der Reederei Hamburg Süd in Leixões:

A 10 de Setembro chega a barca alemã Sachsen, que fundeia no porto de Leixões, proveniente de Nova Orleães, ao lado do vapor alemão Santa Ursula, que já se encontrava no mesmo porto desde o eclodir da guerra.

Quelle: A ATIVIDADE MARÍTIMA ALEMÃ DURANTE A PRIMEIRA GUERRA MUNDIAL (1914-1918) NA COSTA PORTUGUESA MIGUEL CASTRO BRANDÃO, in A Grande Guerra (1914-1918): Problemáticas e Representações; https://ler.letras.up.pt/uploads/ficheiros/14691.pdf

Laut anderen Quellen war die „Santa Ursula“ (1908) in Lissabon interniert. Das ist allerdings kein Widerspruch, denn nach folgender Meldung wurde die „Santa Ursula“ Anfang September 1914 unter Begleitung des Kreuzers „Almirante Reis“ von Leixões nach Lissabon gebracht.

Den Zusatz (1908) habe ich hinter den Namen „Santa Ursula“ gestellt, da die Hamburg Süd im Jahr 1950 noch einmal ein Schiff mit dem gleichen Namen in Fahrt gebracht hat. Dieses war natürlich kein Dampfschiff mehr, sondern ein Motorschiff mit Dieselmotor.

Die Hamburger Reederei wurde 2017 Teil des dänischen Unternehmens Maersk, bevor der Name Hamburg Süd im Januar 2023 endgültig vom Markt verschwand.

Weitere Blogartikel über Deutsche in Portugal

Das Dampfschiff „Fürth“ in Lissabon

Unfreiwilliges Treffen auf den Azoren

„Wart ihr auch alle brav …?“

Erstveröffentlichung von „Der blinde Passagier“ hier im Blog am 19. Februar 2022.

log book Furth 1914

Dampfschiff „Fürth“: Tagebuch-Spezial – Deserteure, Einschleicher und wechselndes Personal

Viel Arbeit für den Kapitän

Mit dem Eintreffen des Dampfschiffes „Fürth“ am 22. Juni 1914 in Australien kam das Mannschaftsgefüge gehörig durcheinander. Die australischen Häfen waren bei den Seeleuten beliebt, ihren Traum von einem besseren Leben in die Tat umzusetzen.

15 – 25 Prozent Desertionen

Desertieren waren eine gängige, quasi unvermeidliche Praxis und bereitete den Kapitänen (und Reedereien) eine Menge Arbeit und Ärger. Und es waren beileibe keine Einzelfälle:

„Ziffernmäßige Aufgaben, welche wir während der Arbeiterbewegung vor zwei Jahren hierüber von einigen Reedereien erhalten haben, weisen während eines halben Jahres 15 bis 25% der angemusterten Mannschaften als desertiert auf. Das allgemeine Interesse unserer Schiffahrt und unseres Handels fordert dringend, daß solchem Unwesen mit Nachdruck entgegengetreten und Seeleuten, welche keinen Anstand nehmen, die Vertragstreue leichtfertig zu verletzen, die Rechtswidrigkeit und Folgenschwere ihrer Handlungsweise durch empfindliche Strafen, zum Bewußtsein gebracht wird.“
Quelle: Hansa: 47. Jahrgang, Januar 1910, Verschärfung der Bestrafung von Seeleuten wegen Desertion; abgerufen unter: digishelf.de

Das Seemannsamt Hamburg berichtete für das Jahr 1912 über 2427 bekannte Fälle von Desertionen. Den absoluten Spitzenplatz unter den von Desertionen betroffenen Häfen belegte New York (899) vor Philadelphia (229) und Buenos Aires (176). Auf den Plätzen vier bis sechs folgten die australischen Häfen Melbourne (130), Sydney (77) und Adelaide (65 Desertionen).
Quelle: Die Tätigkeit des Hamburger und Bremer Seemannsamtes 1912, HANSA, 50. Jahrgang (1913), S. 249

Die Zahl von 15 % bis 25 % „Abwesenden“ ist für einen ordnungsgemäßen Betriebsablauf in jedem Unternehmen allerdings ein Alptraum.

Eine (nicht repräsentative) Überprüfung der Zahlen

Schauen wir uns den konkreten Fall einer Reise des Dampfschiffes „Fürth“ an. Die „Fürth“ hatte Europa mit 42 Personen inklusive Kapitän Richter verlassen.

Allerdings habe ich kein Dokument, das die Mannschaftsstärke in Hamburg, Antwerpen oder Lissabon belegen würde. Ich greife dazu auf ein Dokument vom 29. Juni 1914 der australischen Hafenbehörde in Sydney zurück, dass bei der Einreise 40 Personen ausweist:

crew list SS Fuerth, Sydney June 29th, 1914

Mannschaftsliste der „Fürth“, Sydney 29. Juni 1914, © State Records Authority of New South Wales; 40 Crewmitglieder, keine Passagiere

Fehlende Mannschaftsmitglieder

Allerdings fehlen zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Personen. Dazu das Schiffstagebuch der „Fürth“:

Melbourne, 25. auf 26. Juni 1914:

In der Nacht vom 25./VI. bis 26./VI. desertierten die Trimmer K. F. Paul Jenke (?) u. der Trimmer Fr. Ph. Horning unter Mitnahme ihrer Effekten. Ich stelle Strafantrag gegen obige Schiffsleute wegen Desertion nach den § S.O. W. Richter (Unterschrift)

Horning hatte auf der Fahrt von Algoa Bay nach Melbourne den Maschinen-Assistenten W. Heidepriem tätlich angegriffen, ihn erwartete deswegen eine Strafanzeige: SIEHE: Tagebuch (11): Die „Fürth“ in den Roaring Forties

log book steamer Furth 1914

Logbuch der „Fürth“, nummerierte Seite 69 (Ausschnitt), Desertion der Seeleute Jenke und Horning, mit freundlicher Genehmigung des National Museums Liverpool (Merseyside Maritime Museum), Ref. B/HAR/11/4/1

Sydney

Nach dem Anlaufen von Sydney und damit nach Ausstellung des obenstehenden Dokuments, gab es folgende Veränderungen an Bord:

Mittwoch, 1. Juli 1914.

5.30 pm wurde der Heizer Hunger beim Kesselspülen verbrüht. Siehe Unfall-Journal Seite 1.

In der Nacht vom 1ten Juli auf zweiten Juli desertierten der I. Bootsmann Kurt Kiewitt u. der Mtr. Michel Potschka unter Mitnahme ihrer Effekten, ich stelle wegen Desertion Strafantrag nach den § d. S.O. gegen obige Leute. W. Richter (Unterschrift)

Anmerkungen: Das Unfall-Journal liegt mir nicht vor.

Anmusterungen

Von 42 Personen ab Hamburg fehlten damit schon vier Deserteure und auch der verunfallte Heizer R. Hunger konnte die Fahrt nicht fortsetzen. Kapitän Richter reagierte, indem er fünf neue Mannschaftsmitglieder anheuerte:

Freitag d. 3./VII   Es wurden mit dem heutigen Tag wegen Mangels an Zeit nach den Statuten der Musterrolle folgende Leute angemustert.

Matr. Max Lehmann geb. 7ten Juni 1893 Heubude b. Danzig für Heuer 5 £ p. M. bis Antwerpen
Matr. Wilhelm Kreinacker geb. 6ten Aug. 88 zu Schlewecke b. Harzburg für eine Heuer von 5 £ pr. M. bis Antwerpen
Fireman J. Montegue geb. 3ten Oktober 1878 zu Buffalo N.Y. für eine Heuer von 6 £ pr. Monat Hamburg
Trimmer Ernst Lemburg geb. 13ten Sept. 1890 zu Hamburg für eine Heuer von 4 £ pr. Monat bis Antwerpen
Trimmer Harry Brand 20/Mai 88 Karlsstad Schweden für eine Heuer von 4 £ pr. M. bis Hamburg


Jeder Eintrag ist mit der Unterschrift des jeweiligen Seemanns bestätigt (fast im Bund, daher sehr unleserlich).

Anmerkungen: Der ehemalige Ort Heubude ist heute Stadtteil von Danzig, die richtige Schreibweise der schwedischen Stadt ist Karlstadt, sie liegt am Vänernsee.

log book Furth 1914

Logbuch der „Fürth“, nummerierte Seite 74 (Ausschnitt), mit freundlicher Genehmigung des National Museums Liverpool (Merseyside Maritime Museum), Ref. B/HAR/11/4/1

Weitere Desertionen

Allerdings konnte Kapitän Richter gar nicht so schnell anmustern, wie ihm die Leute wegliefen:

Freitag d. 3/7.14   Schönes Wetter

In der Nacht vom 2ten nach (?) 3ten Juli desertierten Heizer A. Raber u. M. Röder unter Mitnahme ihrer Effekten. Ich stelle gegen obige Leute Strafantrag wegen Desertion nach den § d. S.O. W. Richter (Unterschrift)

Es kamen an Bord: Matr. Lehmann u. Krainacker, Heizer Montegue, Trimmer Lemburg u. Brown

Anmerkung: Brown muss identisch sein mit Brand, der Eintrag im Tagebuch stammt diesmal von einer anderen Person.

Einschleicher, Überschmuggler oder blinde Passagiere

Am 3. Juli 1914 legte die „Fürth“ in Sydney ab und lief nach Brisbane.

Um 8 h meldeten sich die Leute R. Köppe geb. 20/11 88 zu Leipzig u. A. Seiffert geb. 10/12 84 (?, den Geburtsort kann ich nicht entziffern), selbige hatten sich bei Abfahrt des Schiffes verstaut.

Unterschriften: H. Seufert, R. Köppe

Anmerkung: verstaut = versteckt

Laut Tagebuch war das Schiff in Sydney nicht nach blinden Passagieren abgesucht worden. Blinde Passagiere wurden seinerzeit auch als Einschleicher oder Überschmuggler bezeichnet.

Brisbane

Die beiden blinden Passagiere hatten offensichtlich nur ein billiges Transportmittel gesucht, denn in Brisbane verschwanden sie wieder von Bord:

Es desertierten die Einschleicher R. Köppe u. A. Seiffert. W. Richter (Unterschrift)

Das sollten allerdings nicht die einzigen Veränderungen in Brisbane bleiben:

In der Nacht vom 5ten auf 6ten Juli desertierten unter Mitnahme ihrer Effekten Mtr Max Lehmann u. Trimmer Harry Brand. Ich stelle Strafantrag gegen obige Leute wegen Desertion. W. Richter (Unterschrift)

Auch diese beiden hatten also keine lange Lebensdauer an Bord. Die zwei desertierten blinden Passagiere und die beiden desertierten Seeleute finden wir auf einem Dokument der Hafenbehörde Brisbane bei der Ausreise:

Port of Brisbane, list of crew SS Furth, July 10th 1914

Ausreisedokument der Hafenpolizei Brisbane vom 10. Juli 1914 (Ausschnitt); © National Archives of Australia, Barcode 20359771

Ich hatte zunächst an der Identität des Dokumentes gezweifelt, da es nicht von Kapitän Richter unterschrieben ist und keiner der vier Namen mit dem Dokument aus Sydney übereinstimmt. Dank des Tagebuchs ist die Sache nun aufgeklärt.

Zwischenfazit bei der zweiten Ankunft in Sydney

Halten wir fest:

In Melbourne desertierten Jenke, und Horning, so dass 40 Personen in Sydney ankommen.

Dort gibt es zwei mal zwei Desertionen (Kiewitt, Potschka und Raber, Röder) und einen Mann weniger wegen eines Arbeitsunfalls (Heizer Hunger).

Zwei blinde Passagiere kommen in Sydney an Bord (Köppe, Seufert; die wir außen vorlassen können, da sie so schnell verschwunden wie sie aufgetaucht sind).

Fünf Seeleute werden angemustert: Lehmann, Kreinacker, Montegue, Lemburg, Brand

In Brisbane desertieren zwei von den Neuanmusterungen; bleibt eine Mannschaftsstärke von 38 Personen

Zurück in Sydney

In Sydney, eintreffend am 13. Juli 1914 hat Kapitän Richter das folgende Dokument an die Hafenbehörde weitergegeben, welches diese 38 Personen auflistet (37 + Kapitän):

crew list, SS Fuerth, Sydney July 13th, 1914, shipping master's office

Einreisedokument der „Fürth“, Hafenpolizei Sydney, 13. Juli 1914, © State Records Authority of New South Wales, via Mariners and Ships in Australian Waters (marinersandships.com.au)

Anmerkung: Im Dokument der Hafenbehörde Sydney bei Ankunft am 13. Juli 1914 ist für die Trimmer Lemburg und Podsionek als Geburtsort Schweden eingetragen. Das Schiffstagebuch weist für den angemusterten Lemburg aber Hamburg als Geburtsort aus.

Anmusterungen und eine Abmusterung

In Sydney gab es dann folgende Veränderungen:

Sydney, 14. Juli

Es kamen an Bord: Matr. Eskell Hellstern, Trimmer John Lieno

Anmerkung: Wahrscheinlich ist die Schreibweise Leino statt Lieno richtig (s. u.). Leino ist ein finnischer Familiennname.

Sydney, 17. Juli

Es kam an Bord Joe Narion

Anmerkung: Schon am 14. Juli gab es einen Eintrag, dass Joe Narion mit den beiden anderen neuen Mannschaftsmitgliedern an Bord gekommen war, dieser wurde allerdings wieder durchgestrichen. Bei diesem Eintrag ist die Funktion Trimmer mit dem Namen angegeben.

Sydney, 18. Juli – Maschinen-Assistent Heidepriem

Mit dem heutigen Tag wird der Assistent H. Heidepriem geb. 7 Marz 96 Sande b/ Bergedorf von D.S. Fürth abgemustert, selbiger verzichtet auf alle Ansprüche auf Schiff u. Rhederei. Es geschieht dies an Bord, weil keine Zeit mehr vorhanden ist.
W. Richter und Wilhelm Heidepriem (Unterschriften)

log book steam ship Furth 1914

Logbuch der „Fürth“, nummerierte Seite 86 (Ausschnitt), mit freundlicher Genehmigung des National Museums Liverpool (Merseyside Maritime Museum), Ref. B/HAR/11/4/1

Anmerkung: Heidepriem hatte sich ein neues Schiff ausgesucht. Es war die „Oberhausen“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft. Er sollte bei Kriegsausbruch in Tasmanien interniert werden. Darüber habe ich an dieser Stelle berichtet: Die Kaperung der „Fürth“. Neu ist die Information, dass er in Sande bei Bergedorf geboren wurde und zwar am 7. März 1896.

Siehe dazu auch: https://geschimagazin.wordpress.com/2014/07/14/die-mannschaft-der-ss-oberhausen-im-ersten-weltkrieg/

Die drei Anmusterungen sind im Tagebuch festgehalten

Es wurden wegen Mangels an Zeit hiermit folgende Leute nach den Statuten der Musterrolle angemustert

Trimmer Joe Narion geb. Glasgow 20.5.88 vom 17. Juli Heuer 4 £ pr. Monat nach Antwerpen
Trimmer John Leino geb. Nystadt 28.5.88 vom 15. Juli Heuer 4 £ pr. Monat nach Antwerpen
Mtr. Eskell Hellstern geb. 25./I. 1889 Nystadt/Finnland vom 14. Juli Heuer 5 £ pr. Monat nach Hamburg

Unterschriften W. Richter und Seeleute

Weitere Personalwechsel in Melbourne

Wieder war eine der Anmusterungen nicht erfolgreich:

Melbourne, 21. Juli

Trimmer Joh. Narion desertierte am 21. Juli unter Mitnahme seiner Effekten. Ich stelle gegen obigen Strafantrag nach den § S.O. wegen Desertion. W. Richter (Unterschrift)

Weitere Desertionen

Bei so vielen „Vorbildern“ waren auch die Schiffsjungen auf den Geschmack gekommen. Die beiden waren gerade einmal 16 und 17 Jahre alt.

In der Nacht vom 21ten auf den 22ten Juli desertierten die Jungen G. Middelborn (?) und P. Junge unter Mitnahme ihrer Effekten. Ich stelle gegen beide Leute Strafantrag nach den § S. O. wegen Desertion. W. Richter (Unterschrift)

Anmerkung: zu den drei Desertionen siehe Titelbild des Beitrages.

Am gleichen Tag erfolgte folgende Anmusterung:

Trimmer Bernhard Mannel geb. 25/I 88 Paderborn Westfalen wird mit dem heutigen Tag d. 21/VII als Trimmer für eine Heuer von 5 £ nach den Statuten der Musterrolle bis Antwerpen angemustert. Es geschieht dies wegen Mangels an Zeit an Bord. W. Richter (Unterschrift)

Adelaide, 24. Juli 1914

Der Trimmer Karl Grundmann geb. 24/Juli 1886 Leutewitz b. Dresden wird mit dem heutigen Tag als Trimmer für eine Heuer von 90 Mark pro Monat nach den Statuten der Musterrolle nach Antwerpen angemustert, es geschieht dies an Bord wegen Mangel an Zeit.

Karl Grundmann, W. Richter (Unterschriften)

log book, steamer Furth, Adelaide 1914

Logbuch der „Fürth“, nummerierte Seite 94 (Ausschnitt), mit freundlicher Genehmigung des National Museums Liverpool (Merseyside Maritime Museum), Ref. B/HAR/11/4/1

Auf der Fahrt von Adelaide nach Fremantle (25. Juli)

Der neue Trimmer John Leino war als Trimmer offensichtlich nicht zu gebrauchen. Er wurde zum Matrosen zu verringerter Heuer umfunktioniert:

Trimmer John Leino wird mit dem heutigen Tag zum Matrosen gemacht u. bezieht eine Heuer von 3 £ pr. Monat. J. Leino (Unterschrift)

Dieser Fall war auch in der Seemannsordnung von 1902 (§ 43) vorgesehen:

Stellt sich nach Antritt der Reise heraus, daß der Schiffsmann zu dem Dienste, zu welchem er sich verheuert hat, untauglich ist, so ist der Kapitän befugt, ihn im Range herabzusetzen und seine Heuer verhältnismäßig zu verringern.

Fremantle

Fremantle sollte der letzte australische Hafen sein, bevor die „Fürth“ nach Colombo lief. Das Schiff wurde deshalb nach blinden Passagieren abgesucht (30. Juli):

Deck u. Räume wurden nach Einschleichern abgesucht, niemand gefunden

Die Suche mag zwar sorgfältig gewesen sein, aber nicht sorgfältig genug. Am Abend des 31. Juli gab sich der blinde Passagier zu erkennen:

7 h pm meldete sich Aug Kast geb. 24/10 81 in Heidesheim, Baden, selbiger hatte sich in Fremantle eingeschlichen und bis jetzt verstaut gehalten.

August Kast macht Ärger

Der Einschleicher Kast beschäftigte allerdings die ganze Decksmannschaft:

5. August

Der Einschleicher August Kast, war nicht zu finden
nach mehrstündlicher Durchsuchung des Schiffes durch die ganze Decksmannschaft, wurde er gegen 7 h am in No. II links durch den II. Bootsmann gefunden, woselbst er sich zwischen die Mehlsäcke verstaut hatte.

Damit nicht genug:

7. August

Der Einschleicher August Kast hatte sich wiederum versteckt, nach mehrstündlicher Durchsuchung des Schiffes wurde er in den Festen Bunkern verstaut gefunden.

Ich kann mir gut vorstellen, dass der Einschleicher Kast nach der Festsetzung in Colombo und später im Lager Ragama nicht viele Freunde hatte.

Personen an Bord der „Fürth“ bei der Ankunft in Ceylon

Aus den Dokumenten der Zollbehörden in Sydney und Brisbane sowie dem Schiffstagebuch lassen sich die bei Kaperung der „Fürth“ vor Ceylon befindlichen Personen wie folgt rekonstruieren:

Decksmannschaft

  1. Wilhelm Friedrich Richter (ca. 44 Jahre, Kapitän)
    2. R. Hoffmann (32 J., Erster Offizier)
    3. H. Nagel (33 J., Zweiter Offizier)
    4. H. Wodarz (25 J., Dritter Offizier)
    5. Th. Christiansen (22 J., Vierter Offizier)
    6. R. Jelinck ( 25 J., Zimmermann)
    7. A. Schütze (ev. Schutze, 32 J., Bootsmann)
    8. J. Prend (ev. Prenor, 25 J; Vollmatrose)
    9. R. Neumann (30 J., Vollmatrose)
    10. L. Wendland(t) (19 J., Vollmatrose)
    11. G. Bauer (ev. Bromer/Brauer, 24 J., Vollmatrose)
    12. O. Wimmer (28 J., Vollmatrose)
    13. Wilhelm Kreinacker (25 J., geb. 6.8.88 in Schlewecke b. Harzburg, Vollmatrose)
    14. G. Pfennig (35 J., Matrose)
    15. A. Leppik (22 J., Matrose)
    16. H. Albrecht (50 J., Koch)
    17. W. Schürer (26 J., Zweitkoch)
    18. F. Schwenk (21 J., Erster Steward)
    19. C. oder K. Werner (19 J., Zweiter Steward)
    20. Eskell Hellstern (26 J., geb. 25.1.1889 Nystadt/Finnland, Matrose)

Maschinenmannschaft

  1. W. Collier (33 J., 1. Ingenieur)
    22. J. Willkens (30 J., 2. Ingenieur)
    23. A. Herrde (34 J., 3. Ingenieur)
    24. G. Conrad (oder Konrad, 21 J., 4. Ingenieur)
    25. J. Ernst (23 J., Maschinenassistent)
    26. H. Steinborn (?, 24 J., Heizer)
    27. O./A. Widemann (?, 36 J., Heizer)
    28. F. Brensfedt (ev. Brugstedt o. ä., 31 J., Heizer)
    29. L. Uschkur (42 J., Heizer)
    30. A. Roßow (30 J., Heizer)
    31. J. Handt (46 J., Heizer)
    32. H. Möller (39 J., Heizer)
    33. J. Montegue (35 J., geb. 3.10.1878 in Buffalo N.Y./USA; Heizer)
    34. Ernst Lemburg (23 J., geb. 13.9.1890 in Hamburg, Trimmer)
    35. E. Podsionek (27 J., Trimmer)
    36. H. Manruen (21 J., Trimmer)
    37. John Leino (25 J., geb. 28.5.88 in Nystadt/Finnland, Trimmer, ab 25. Juli Matrose)
    38. Bernhard Mannel, 26 J., geb. 25.1.88 in Paderborn, Trimmer)
    39. Karl Grundmann (27 J., geb. 24.7.1886 in Leutewitz b. Dresden, Trimmer)

Außerdem:

  1. August Kast (38 J., geb. 24/10 81 in Heidesheim, Baden, Blinder Passagier)

Nicht mehr an Bord:

F. Paul Jenke (?) Trimmer (desertiert in Melbourne 25./26. Juni)

Fr. Ph. Horning, Trimmer (desertiert in Melbourne 25./26. Juni)

Kurt Kiewitt, 1. Bootsmann (desertiert in Sydney 1./2. Juli)

Michel Potschka, Matrose (desertiert in Sydney 1./2. Juli)

A. Raber, Heizer (desertiert in Sydney 2./3. Juli)

M. Röder, Heizer (desertiert in Sydney 2./3. Juli)

Joe Narion, Trimmer (angem. am 17. Juli in Sydney, desertiert am 21. Juli in Melbourne)

G. Middelborn, Schiffsjunge (desertiert in Melbourne 21./22. Juli)

P. Junge, Schiffsjunge (desertiert in Melbourne 21./22. Juli)

R. Hunger, Heizer (Arbeitsunfall in Sydney)

Wilhelm Heidepriem, Abmusterung in Sydney; Anmusterung auf der „Oberhausen“

Harry Brandt (3. Juli 14 angemustert; 5. auf 6. Juli 14 desertiert)

Max Lehmann (3. Juli 14 angemustert; 5. auf 6. Juli 14 desertiert)

Resumee

Von der ursprünglichen Mannschaft (43 Personen) fehlten also 8 Personen durch Desertion (18,6 %); der Heizer R. Hunger durch einen Arbeitsunfall und der Assistent Wilhelm Heidepriem hatte abgemustert. Das macht dann schon 23,3 %!

Insgesamt 10 Seeleute wurden neu angemustert, von denen allerdings 3 sehr schnell verschwunden waren (30 % Desertionen).

Damit kommen wir zurück auf die anfangs genannte Zahl von 15 – 25 % an Desertionen, die mir – und vielleicht auch Ihnen – zu Beginn reichlich hoch vorkam. Inzwischen können wir jedoch festhalten, dass die „Fürth“ damit durchaus im damals üblichen Mittel lag und wir für den konkreten Fall dieser Fahrt des Dampfschiffes „Fürth“ im Jahr 1914, die im Artikel der Zeitschrift HANSA genannten Zahlen (s. o.) bestätigen können.

In Colombo

Für das weitere Schicksal der Seeleute war ihre Nationalität entscheidend:

Leino, Hellstern (Finnland) und Montegue (USA) konnten sicher in Colombo wieder direkt neu anmustern, während allen deutschen Mannschaftsmitglieder und der deutsche Einschleicher zunächst an Bord bleiben mussten und dann zum Großteil im Lager Ragama interniert wurden.

Siehe dazu: Die Fürth in Colombo und Gefangenschaft auf Ceylon – Mannschaftsmitglieder der „Fürth“ berichten

Titelbild:

Logbuch der „Fürth“, nummerierte Seite 90 (Ausschnitt), mit freundlicher Genehmigung des National Museums Liverpool (Merseyside Maritime Museum), Ref. B/HAR/11/4/1

Copyright-Hinweis

Auf dem Logbuch ist ein © Copyright, das nach dem Zeitpunkt des Todes des Verfassers für 70 Jahre fortbesteht. Der erste Teil des Logbuches ist von Kapitän Richter, aber in großen Teilen auch von seinem ersten Offizier.

Kapitän Richter starb am 19. Februar 1917, somit sind die 70 Jahre lange abgelaufen. Jedoch ist mir für den ersten Offizier R. Hoffmann das Todesdatum nicht bekannt. Ich weise deshalb pflichtgemäß darauf hin, dass deshalb noch ein © Copyright auf dem Logbuch bestehen könnte.

Über alle Hinweise zu dem 1. Offizier R. Hoffmann bedanke ich mich herzlichst im Voraus. Bislang kann ich nur als Hinweis geben, dass er für diese Fahrt neu auf die „Fürth“ gekommen und im Sommer 1914 32 Jahre alt war: siehe Drei Mannschaftslisten der „Fürth“ aus dem Jahr 1914

Alle Folgen des Logbuchs der „Fürth“ finden Sie auf der Startseite des Blogs unter dem Eintrag „Logbuch„.

Abschließende Bemerkung: Erstveröffentlichung des Beitrags am 28. März 2020.

Hafenarzt Dr. Sannemann Hamburg 1914

Dampfschiff „Fürth“: Über Hygiene und Gesundheit an Bord

Rattenbekämpfung, Gesundheitszeugnisse, Krankheiten und Arbeitsunfälle

Heute berichte ich über einen ganzen anderen Aspekt der Dampfschifffahrt: Hygiene und Gesundheit. Drei unveröffentlichte* Originaldokumente aus dem Jahr 1914 veranschaulichen das Thema dieses Beitrages. (* soweit mir bekannt).

Die Dokumente stammen vom Schiff „Neumünster“, einem Schwesterschiff der „Fürth“ und wurden bei der Kaperung des Schiffes durch die australische Marine im August 1914 nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges sichergestellt. SIEHE: Schwesterschiffe der „Fürth“: Die „Neumünster“

Heute befinden sie sich im Staatsarchiv von Westaustralien, in Perth (Cons. 4230).

Die Unterlagen mussten auf allen Schiffen der Deutschen Handelsmarine im Überseeverkehr mitgeführt werden, sie sind also exemplarisch für alle anderen Schiffe.

Bildnachweis Titel: Bescheinigung Hafenarzt Hamburg, mit freundlicher Genehmigung des © State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.07

Rattenbekämpfung

Fangen wir mit vierbeinigen blinden Passagieren an, die sich zwangsläufig auf jedem Schiff und auch in jedem Hafen der Welt befanden: Ratten.

Das vorliegende Originaldokument ist die Bestätigung einer Rattenbekämpfung an Bord des Schiffes „Neumünster“ im Hamburger Hafen, die am 28. Mai 1914 durchgeführt wurde. Die Bestätigung wurde einen Tag vor Abreise des Schiffes nach Australien ausgestellt, nämlich am 26. Juni 1914 (© mit freundlicher Genehmigung des State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.07):

„Hiermit bescheinige ich, daß der deutsche Dampfer Neumünster Kapitän C. Herrmann am 28. Mai d. Js. zur Vernichtung der Ratten an Bord vorschriftsmäßig mittels Schwefel und Holzkohlen ausgeräuchert worden ist.

Der Hafenarzt: Dr. Sannemann [Unterschrift]

Durch Stempel hat die „Kasse des Instituts für Schiffs- und Tropenkrankheiten“ am 27. Juni 1914 bestätigt, den Betrag für die Dienstleistung erhalten zu haben. Die Stempelgebühr betrug 3 Mark.

Text im Original: siehe Titelbild

Die Echtheit der Bescheinigung wurde vom Britischen Konsulat auf der Rückseite bestätigt, wofür 5 Shilling Konsulargebühr anfielen (etwa 5 Mark), also mehr als für die Ausstellung des Originals selbst:

Bescheinigung Hafenarzt Hamburg, Bestätigung Britisches Konsulat 1914

Bescheinigung Hafenarzt Hamburg, Rückseite, mit freundlicher Genehmigung des © State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.07

Der Hafenarzt in Hamburg

Seit 1883 gab es in Hamburg einen Hafenarzt. Den ersten Hamburger Hafenarzt, Dr. Nocht, hatte ich im Blog bereits vorgestellt (siehe: Aerger in Melbourne). 1906 übernahm das Amt Dr. Sannemann, der bis 1934 in dieser Position blieb.

„Fast jeder Hafen der Welt unterhält einen hafenärztlichen Dienst… Der hafenärztliche Dienst ist für die gesamte Hafengesundheit, Seuchenabwehr (Quarantäne), Hygieneüberwachung etc. verantwortlich. Nach dem internationalen Übereinkommen (WHO: International Health Regulations) obliegt ihm auch die Durchführung und Kontrolle der Rattenbekämpfung an Bord der Seeschiffe bzw. im Hafengebiet.“
(Verkehrsmedizin: Unter Einbeziehung aller Verkehrswissenschaften, H. J. Wagner, Springer-Verlag, 2013, 482 S., Zitat auf S. 249, 
http://books.google.fr)

Wie die Rattenbekämpfung im Hamburger Hafen durchgeführt wurde, erklärt uns Dr. Nocht höchstpersönlich:

„Seit langer Zeit werden an Bord Räucherungen zur Vernichtung von Ratten und anderem Ungeziefer angewandt. Am meisten wird hierzu schweflige Säure, durch Verbrennen von Schwefel erzeugt, benutzt. In Hamburg verbrennen wir den Schwefel zusammen mit Holzkohlen. Auf 1000 cbm Laderaum sollen mindestens 10 kg Schwefel und 20 kg Holzkohle langsam verschwelt werden. Dabei müssen die Laderäume gut abgedichtet und mindestens 10 Stunden lang verschlossen gehalten werden. Nach dem Ausräuchern werden oft Hunderte von verendeten Ratten aufgefunden. Sehr oft findet man die Kadaver um die schwelenden Feuer herumliegen.“

Vorlesungen für Schiffsärzte der Handelsmarine über Schiffshygiene, Schiffs- und Tropenkrankheiten, Bernhard Nocht, Nachdruck 2013, maritimepress (Bremen); abgerufen über books.google.fr

In einem so großen Hafen wie Hamburg musste diese Tätigkeit gut organisiert sein. Es gab für die Desinfektion ein eigenes Schiff:

„Hamburg verfügte mit dem Desinfektionsschiff „Desinfektor“ schon 1908 über die damals modernste mobile Rattenvertilgungsanlage für Schiffe, erdacht von Nocht und Giemsa. Genutzt wurde Generatorengas/Kohlenmonoxyd, Formalin, verstäubte schwefelige Säure sowie Wasserdampfdesinfektion.“

Quelle: Stephan Krull, Die Geschichte der Gesundheitsbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg im 20. Jahrhundert, Dissertation, Ludwig-Maximilians-Universität München, 2013; abgerufen über edoc.ub.uni-muenchen.de

Bernhard Nocht, Hafenarzt und Tropenmediziner

Sondermarke der Deutschen Bundespost zum 100. Jahrestag des Bernhard-Nocht-Institutes für Tropenmedizin (2000)

Gesundheitspässe

Ein anderes unverzichtbares Dokument an Bord war der Gesundheitspass, der bestätigte, dass im Hafen, von dem sich ein Schiff auf Reise begab, keine Seuchen und Epidemien herrschten.

An Bord der „Neumünster“ befanden sich im Sommer 1914 gleich zwei Gesundheitspässe, da das Schiff nicht nur nach Australien, sondern auch nach Niederländisch-Indien, dem heutigen Indonesien, unterwegs war.

Ausgestellt wurden beide Pässe in Antwerpen, dem letzten angelaufenen europäischen Hafen (Die „Neumünster“ war nach der Abreise aus Hamburg zunächst Rotterdam angelaufen, dann Antwerpen. Von dort ging die Fahrt nonstop nach Fremantle/Westaustralien).

Bill of Health – Der Gesundheitspass für Australien

Die ausstellende Behörde für den Bill of Health war das Britische Generalkonsulat in Antwerpen. Der Text lautet wie folgt (siehe auch Abbildung unten):

Bill of Health

To all to whom these Presents shall come,
I, Sir Cecil Herklet,
British Consul General for Belgium,
send greeting
WHEREAS the German st. Ship “Neumunster”,
Official number 3634, owned by the Deutsch Austral. D.G.
of Hamburg, whose Master is W. C. Herrmann,
and which was last at the Port of Rotterdam,
is about to sail from the Port of Antwerp,
on this first day of July in the Year of our
Lord One thousand nine hundred and fourteen and from thence for
Fremantle, Adelaide and other places beyond the Seas,
with Forty two Persons on Board including the said Master
and Passengers.

Anmerkung: Die ausgeschriebene Zahl forty two wurde am Rand durch die Zahl ergänzt (42).

Weiter lautet der Originaltext des Dokuments:

„Now, Know ye that I, the said Consul General do hereby make it known to all Men, that at the time of granting these presents no Plague, Epidemic Cholera, of Yellow Fever, nor any dangerous or contagious disorder in epidemic form exists in the above Port or neighbourhood.

In testimony whereof I have hereunto set my Name and Seal of Office, on the Day and Year aforesaid.

Given in the British Consulate General
at Antwerp
on the 1st day of July
in the Year of our Lord, 1914

Cecil Herklet [Unterschrift]

 

Die Bestätigung, dass in Antwerpen und Umgebung weder Pest, Cholera oder Gelbfieber herrschten, trägt einen Stempel des Konsulats (BRITISH CONSULATE GENERAL ANTWERP) und eine Wertmarke im Wert von 10 Schilling des Consular Service.

Dies entsprach etwa 10 Mark (1 Britisches Pfund hatte 20 Schilling; der Wechselkurs für ein Pfund lag bei 20,43 Mark).

Bill of Health 1914

Bill of Health, 1. Juli 1914; © mit freundlicher Genehmigung des State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.05

GEZONDHEIDSPAS – Der Gesundheitspass für Niederländisch-Indien

Ein zweiter Gesundheitspass war für das Zielgebiet Niederländisch-Indien notwendig. Dieser ist ausgestellt vom Consulaat Generaal der Nederlanden in Antwerpen.

Darin heißt es im Original sehr ähnlich wie vorstehend, deswegen habe ich auf eine Übersetzung verzichtet:

De Consul Generaal der Nederlanden te ANTWERPEN verklaart,
dat het stoomschip genaamd :
Neumünster
varende onder Duitsche vlag, Kapitein C. Herrmann
den 3 July 1914 uit deze haven vertrekt naar :
Nederlandsch Indië
met eene bemanning van 42 koppen, den Kapitein en passagiers mede-
gerekend, en beladen met Stukgoederen en verklaart
verder dat in deze haven geen pest of gele koorts of choléra, of eenige
andere buitengewone besmettelijke zietke heerscht.
Afgegeven te ANTWERPEN, den 2 Juli 1914,
ten 12 ure.

De Consul Generaal der Nederlanden vnd.
[Stempel und Unterschrift]

Sicherlich wurde auch für dieses Dokument eine Konsulargebühr erhoben, allerdings ist darüber auf dem Dokument selbst nichts vermerkt.

Gesundheitspass Schiff Neumünster 1914

Gezondheidspas, Konsulat der Niederlanden in Antwerpen, 2. Juli 1914 © mit freundlicher Genehmigung des State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.06

Typische Krankheiten der Seeleute

Wenn wir schon beim Thema sind, noch ein paar weitere Informationen zum Thema Gesundheit. Die Besonderheiten des Seemannsberufs beschreibt ein Handbuch für Gewerbehygiene und -gesundheit aus dem Jahr 1926:

„Der Beruf des Seefahrers bringt Lebens- und Arbeitsbedingungen mit sich, die sich von den an Land ausgeführten Berufen schon dadurch unterscheiden, daß die Arbeitsstelle – das Schiff – sich in dauernder Ortsveränderung mit oft sehr jähem Wechsel der klimatischen und Witterungsverhältnisse befindet, und damit auch den Seemann Gesundheitsschädigungen durch Kälte und Hitze, Sturm und Windstille in besonderem Maße aussetzt. Dazu kommen die mit der besonderen Arbeit der einzelnen seemännischen Beschäftigungsgruppen – Decks-, Maschinen-, Bedienungspersonal – verbundenen Gesundheitsgefährdungen wie auch durch das enge Zusammenleben an Bord und den Aufenthalt in den Tropen begünstigten Gefahren der ansteckenden und klimatischen Krankheiten.“

Quelle: Handbuch der sozialen Hygiene und Gesundheitsfürsorge, 2. Band Gewerbehygiene und Gewerbekrankheiten, A. Gottstein, A. Schlossmann, L. Teleky (Hrsg.), Springer 1926.

Tripper, Syphilis und Weicher Schanker

Bei den ansteckenden Krankheiten nahmen Geschlechtskrankheiten eine wichtige Rolle ein:

„Auffallend groß ist die Zahl der geschlechtlichen Erkrankungen. Von den in die Krankenhäuser Hamburgs aufgenommenen Seeleuten waren durchweg ein Drittel, in manchen Jahren eine noch größere Zahl, damit behaftet. Zweifellos trägt dazu die Eigenart des Seemannslebens mit seiner oft recht langen Fernhaltung von der Familie, der Ungebundenheit und der Größe der Versuchung an Land, aber auch die Unkenntnis der mit diesen Krankheiten verbundenen Gefahren wesentlich bei. Meist handelt es sich um Tripper, in etwa ein Viertel der Fälle um Syphilis, in fast ebensoviel um weichen Schanker.“
(gleiche Quelle)

Hautkrankheiten

Auch Hautkrankheiten waren weit verbreitet:

„Ansteckende Hautkrankheiten, besonders Krätze sowie Filzläuse u. dgl., gehören zu häufigen Vorkommnissen, vor allem bei der Decksbesatzung, was wohl mit dem engen Zusammenleben und der leider oft, besonders bei schwerem Wetter, mangelhaften Körperpflege zu erklären ist. Sehr lästig ist ein unter dem Einfluß des Seewassers und des Tropenklimas häufig auftretender, nicht infektiöser Hautausschlag (Roter Hund).“

Anmerkung: Die Hautkrankheit Roter Hund wird medizinisch als Miliaria bezeichnet.

Innere Krankheiten

Bei den inneren Krankheiten nennt die gleiche Quelle an erster Stelle Erkrankungen der Verdauungsorgane. Ein Drittel der Todesfälle nach inneren Erkrankungen ließ sich auf Tuberkulose zurückführen.

Malaria

Nach Sannemann waren in den Jahren 1913 und 1914 bei der Schiffsbesatzung von 13871 inneren Erkrankungen 1860 = 13,1 % Malariafälle vorgekommen.

Schwerpunkt der Malariafälle war jedoch Westafrika und Westindien (68,8 % der Fälle).

(Quelle: Die antropogeographische Bedeutung der Malaria, Dr. Richard Röder, Leiden 1930; books.google.fr).

Im Fahrtgebiet der Schiffe der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft waren Häfen in Indien und Niederländisch-Indien betroffen.

fireman or stoker

Heizer im Maschinenraum eines Dampfschiffs (Bild symbolisch) – Pixabay

Arbeitsunfälle

Neben den erwähnten zahlreichen Krankheiten, gab es auf Dampfschiffen definitiv zu viele Arbeitsunfälle:

„Danach wurden bei einer Gesamtzahl der versicherten Seeleute von rund 70000 in den Jahren 1910-1914 insgesamt 18418 Unfälle angemeldet. Davon waren 2100 (11,4 %) tödlich, jedoch befanden sich dabei 848 mit ihren Schiffen verschollene Seeleute.“
Quelle: Handbuch der sozialen Hygiene und Gesundheitsfürsorge, 2. Band Gewerbehygiene und Gewerbekrankheiten, A. Gottstein, A. Schlossmann, L. Teleky (Hrsg.), Springer 1926.

Für die 848 Toten, die nie mehr heimkehrten, sowie für Ihre Familien, sicher auch kein Trost.

Die Gefahrenquellen waren für die Decks- und Maschinenpersonal unterschiedlich:

„… dass Unfälle und Verletzungen am häufigsten bei dem Maschinenpersonal vorkommen, besonders Verbrennungen und Verbrühungen. Auch Verletzungen mit den bei der Arbeit benutzten Geräten sind nicht selten, ebenso Verletzungen der Augen durch Metallsplitter und Kohlestückchen.“

Auf der letzten Australienfahrt der „Fürth“ hatte sich der Heizer Hunger in Sydney beim Kesselspülen verbrüht. Das ist im Logbuch dieser Reise dokumentiert. Siehe: Dampfschiff „Fürth“: Tagebuch-Spezial – Deserteure, Einschleicher und wechselndes Personal

„Bei der Decksbesatzung sind die Verletzungen nicht so zahlreich, aber oft schwerer, was sich schon in der Häufigkeit der Knochenbrüche ausspricht.“

Das galt mehr für Segelschiffe als für Dampfschiffe, aber „auch Sturz vom Deck in die Schiffsräume gibt oft zu schweren Verletzungen Anlaß.“ (alle Zitate aus der gleichen Quelle).

Zwei tödliche Stürze in den Raum hatte ich anhand der Verhandlungen des Seegerichts Hamburg hier im Blog dokumentiert. Sie ereigneten sich auf dem Dampfschiff „Ulm“ im Hafen von Ambon (Niederländisch-Indien), beide im Jahr 1916. SIEHE: Die „Ulm“ in Ambon (Teil 1 von 2) und Die „Ulm“ in Ambon (Teil 2 von 2)

Mehr zum Thema

Wer mehr über das Thema lesen möchte, kann das in diesem Buch tun:

Mann über Bord! Der Tod auf See, Jürgen Rath (2012), erschienen im Sutton Verlag, Erfurt.

Der Seemann und Historiker Rath beschreibt die Themen Gesundheit, Unfälle, Tod und Gewalt an Bord anhand konkreter Beispiele aus der Segel- und Dampfschiff-Ära. Aussagekräftiges Bildmaterial gibt es obendrein.

steam ship, speaking tube

Sprachrohr zum Maschinenraum eines Dampfschiffes (Pixabay)

Anmerkung: Die Erstveröffentlichung dieses Beitrags erfolgte am 31. Oktober 2020.

sale sultania 1934

Das Ende des Dampfschiffes „Fürth“

Die „Sultania“, exKerman, exFürth wird abgebrochen

Titel: Dampfschiff „Fürth“: Zeitungsartikel über den Verkauf zum Abbruch
Daily Commercial News and Shipping List, Sydney, 12. Februar 1934, S. 4; Quelle: National Library of Australia, trove.nla.gov.au

Folgen der Weltwirtschaftskrise

Nach Informationen des globalen Marktplatzes der Schifffahrtsbranche, The Baltic Exchange, wurden im Zuge der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er/Beginn der 1930er Jahre 3,5 Millionen Bruttoregistertonnen (BRT) Schiffsvolumen aufgelegt.

The depression of the 1930s resulted in 3.5 million gross tonnage being laid up.
Quelle: balticexchange.com; history 1920-1939

Allein für das Jahr 1933 spricht HANSA, Deutsche Nautische Zeitschrift, von 1,8 Millionen Tonnen, die aus dem Verkehr gezogen wurden:

„Im Laufe des Jahres 1933 sind von der Welttonnage über 1,8 Mill. T abgewrackt, von denen allein 240 000 T. zum Abwracken nach Japan gegangen sind.
HANSA, Deutsche Nautische Zeitschrift, 1934 (71. Jahrgang), S. 109

Neben Japan gab es auch in Europa viele Abwrackwerften, allen voran in Großbritannien oder Italien.

Die Zahlen für ausgewählte Länder:

USA

Den drastischen Rückgang an Schiffsraum verdeutlicht auch eine Meldung in The New York Times vom 31. Dezember 1933 (Section S, p. 10; nytimes.com). Danach war ein Drittel der Kapazitäten der US-amerikanischen Handelsmarine aufgelegt worden:

33% OF OUR SHIPS REPORTED LAID UP
Survey of Merchant Fleet Reveals Sharp Curtailment, Committees Declare

More than one-third of the seagoing tonnage of the American merchant marine is laid up, according to information submitted by committees of ship operators to the National Industry Recovery Administration.

Bush Docks 1914, Brooklyn, New York

Bush Terminal, Brooklyn, um 1914, Library of Congress; über Wikipedia (https://en.wikipedia.org/wiki/File:Bush_Terminal_Brooklyn_historic.jpg)

Großbritannien

Auf den Britischen Inseln war die Lage ähnlich dramatisch, auch wenn sich die Lage 1933 wieder leicht erholte:

Zu Beginn des Jahres 1934 waren 1,24 Mio. Nettoregistertonnen (NRT) oder 32 % aufgelegt, ein Jahr zuvor noch 1,97 Mio. Tonnen bzw. 37 %.

In Schiffen ausgedrückt werden 482 Einheiten aufgeführt, davon 253, die bereits seit einem Jahr oder länger nicht mehr genutzt wurden.

Quelle: Commerce Reports Weekly, Bureau of Foreign and Domestic Commerce, US Department of Commerce, Jan. 6, 1934 über books.google.fr

Greenland Dock, London

Das Greenland Dock in London, 1927, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Greenland_dock_1927.jpg

Britisch Indien

In Britisch Indien lähmte ebenfalls ein drastischer Einbruch der Im- und Exporte den Schiffsverkehr um etwa 55 %. Auch auf den Eisenbahnverkehr und die Landwirtschaft hatte die Great Depression extreme Auswirkungen.

Die Krise führte zu zahlreichen Aufständen gegen die britische Kolonialherrschaft (siehe unten). Weltweite Aufmerksamkeit fand der Salzmarsch unter Führung Mahatma Gandhis im Jahr 1930, der letztlich zur Unabhängigkeit Indiens im Jahr 1947 führen sollte.

Über den Überlebenskampf indischer Reedereien gegen die allmächtigen Kolonialherren hatte ich hier berichtet: Die „Sultania“, exFürth wird nach Rangun verkauft

Bombay harbour 1890

Bombay, Hafen bei der Ankunft eines Postschiffes, Photochromdruck, um 1890; Library of Congress, https://www.loc.gov/item/2017658173/

Regionale Ereignisse erschweren die Situation zusätzlich

Aufstände

Die Weltwirtschaftskrise war für viele Reedereien eine Katastrophe.

Für den Eigner des Dampfschiffes „Sultania“, exFürth, die Bengal Burma Steam Navigation Co., kamen zusätzlich lokale Ereignisse in dem Fahrgebiet der Gesellschaft zwischen Kalkutta und Rangun hinzu, die zu einem noch stärkeren Umsatzeinbruch geführt haben dürften.

In der Hauptstadt Burmas, Rangun kam es im Mai und Juni 1930 zu gewaltsamen Konflikten zwischen indischen und burmesischen Arbeitern (Rangoon Riots). Dem war ein lange schwelender ethnischer Konflikt zwischen Burmesen und indischen Arbeitern, die in großer Zahl ins Land gekommen waren, vorausgegangen.

Noch im gleichen Jahr, im Dezember 1930, begann der Saya-San-Aufstand burmesischer Bauern gegen die Kolonialmacht. Der starke Verfall der Preise für das Hauptanbauprodukt Reis hatte viele der verarmten Landwirte mobilisiert. Der Aufstand sollte fast zwei Jahre dauern und endete mit der Verhaftung der Aufständischen und der Exekution Saya Sans und anderer Anführer.

Erdbeben

Neben der Weltwirtschaftskrise und ethnischen Konflikten wurde die Region auch von Naturkatastrophen heimgesucht. Zwischen Januar 1929 und Januar 1931 kam es in der Region Bengalen und Burma zu mehreren Erdbeben.

Die zwei bedeutendsten waren das Bago-Erdbeben am 5. Mai 1930 und das Pyu-Erdbeben vom 4. Dezember 1930. Beide führten zu zahlreichen Zerstörungen.

Aufgelegt

Vor diesem Hintergrund ist es leicht verständlich, dass die Bengal Burma Steam Navigation Co. die „Sultania“ im Dezember 1931 in Kalkutta aufgelegt hat:

SCINDIA LINES.
Reported Transfer Of Tonnage.
…intends to share in the passenger-carrying traffic in the Bay of Bengal, where the company is now virtually in control of the Bengal-Burma Steam Navigation Co., Ltd., which owns the steamers Englestan and Sultania. The latter, however, has been laid up at Calcutta since December, 1931.
The Strait Times, Singapore, 19. Oktober 1933, S. 3; Quelle: eresources.nlb.gov.sg

Abgebrochen

Interessanterweise sind es australische Medien, die sich des ehemaligen Schiffes „Fürth“ der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg erinnern und über den Abbruch berichten.

Die einzige Meldung, die ich über den Abbruch der „Fürth“ finden konnte, stammt aus der führenden australischen Tageszeitung für Wirtschaft und Schifffahrt Daily Commercial News and Shipping List, Sydney vom 12. Februar 1934 (siehe Titelbild).

Leider werden weder Verkaufspreis noch Abbruchwerft genannt. Laut dem Schifffahrtshistoriker Schmelzkopf fand die Verschrottung der „Fürth“ noch im Jahr 1933 in Bombay statt.
Quelle: R. Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven 1984

In Lloyd’s Register endet die Karriere der „Fürth“ mit dem Eintrag in der Ausgabe 1933-34 mit dem Stempeleintrag „Broken up“.

Sultania broken up 1933 1934

Lloyd’s Register, Ausgabe 1933-34; persönliche Einsichtnahme am Firmensitz in 71, Fenchurch Street, London im September 2019

Nachtrag: Die Schwesterschiffe der „Fürth“

Von den sechs Schwesterschiffen der „Fürth“, die vor dem Ersten Weltkrieg für die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft in Fahrt waren, wurden auch die „Hagen“, die „Neumünster“, die „Osnabrück“ und die „Hanau“ in den Jahren 1932 – 1937 abgewrackt.

Die „Reichenbach“ war bereits im „Ersten Weltkrieg“ von einem deutschen U-Boot versenkt worden.

Lediglich das Dampfschiff „Plauen“ überlebte die 1930er Jahre. Die portugiesische „Ganda“, ex CityofMilan, exPlauen wurde am 20. Juni 1941 vom deutschen U-Boot U 123 vor der marokkanischen Küste versenkt.

Stapellauf "Hamm" Hamburg Steinwärder Kleiner Grasbrook

Stapellauf des Dampfers „Hamm“

Titelbild: Stapellauf des Dampfers « Hamm » am 8. April 1910. Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft. Postkarte der Reiherstiegwerft, undatiert, Fotograf unbekannt, eigene Sammlung.

Freitag, der 8. April 1910

Die heutige Ansichtskarte zeigt den Stapellauf des Frachtdampfers „Hamm“ am Freitag, den 8. April 1910. Am Bug des Schiffes sind zahlreiche Menschen zu erkennen, die den Stapellauf von Bord aus begleiten dürfen oder müssen. Über ihnen weht die Hamburgische Landesflagge.

Der Name des Frachtdampfers „Hamm“ wurde auf der Ansichtskarte nachträglich mit weißem Stift ergänzt, vermutlich weil er auf der Originalabbildung nur schwer zu erkennen war. Bildbearbeitung anno 1910!

Die Karte ist eine schöne Ergänzung zu bestehenden Fotos und Informationen, die die Entstehungsgeschichte der „Hamm“ ausführlich dokumentieren. Für einen Frachtdampfer ist das sehr außergewöhnlich.

Eine erste Ansichtskarte der Reiherstiegwerft existiert bereits von der Kiellegung, also dem Baubeginn.

Kiellegung Dampschiff Hamm
Kiellegung des Dampfers „Hamm“, © Reinhart Schmelzkopf Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926

Auch die nächste entscheidende Etappe im Leben der „Hamm“ nach dem Stapellauf ist ausführlich dokumentiert. Es ist der Bericht über die Probefahrt, die am 4. Juni 1910 auf der Elbe stattfand. Die Tageszeitung Hamburger Correspondent berichtet am Folgetag ausführlich darüber. Den Artikel finden Sie wortgetreu hier im Blog: Probefahrt des Dampfers Hamm

Von dieser Probefahrt existieren ebenfalls noch eine Teilnehmerliste und sogar die Menükarte. Beide Dokumente hatte ich im Blog vorgestellt.

Siehe: Teilnehmer einer Probefahrt

Teilnehmerliste der Probefahrt des Dampfers "Hamm" am 4. Juni 1910, Titel; © Reinhart Schmelzkopf Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, erschienen 1984 im Eigenverlag (Strandgut-Publikation)
Teilnehmerliste der Probefahrt des Dampfers „Hamm“ am 4. Juni 1910, Titel; © Reinhart Schmelzkopf Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, erschienen 1984 im Eigenverlag (Strandgut-Publikation)

und Das Menü einer Probefahrt

Probefahrt Dampfer Hamm Menü
Speisekarte der Probefahrt des Dampfers „Hamm“, Ausschnitt, © Reinhart Schmelzkopf Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926

Neben dem Bauplatz der „Hamm“ befand sich das Trockendock der Reihersteigwerft, wie folgendes Foto belegt. Der markante Turm im Hintergrund ist auf allen drei Bildern mehr oder weniger deutlich zu sehen.

Trockendock Reiherstiegwerft Hamburg 1906
Trockendock der Reiherstiegwerft 1906, Historisches Hamburg, Fotograf Johann Hamann, über https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Trockendock_001.jpg, public domain.

Die Reiherstiegwerft existierte als Teil der Howaldtswerke-Deutsche Werft (HDW) bis in das Jahr 1983. Heute befinden sich auf dem Gelände Anlagen der Shell AG.

SMS Geier, Wilhelm II.

Die heimlichen Helfer der Kaiserlichen Marine

Die Unterstützung von SMS „Emden“ und anderer Kriegsschiffe durch die deutsche Handelsmarine am Beispiel des Frachtdampfers „Ulm“

Nachweis für das Titelbild:
Besuch Kaiser Wilhelm II. auf SMS „Geier“, 1894; Bundesarchiv Bild 134-B2664; Quelle: commons.wikimedia.org; Lizenz: CC-BY-SA 3.0

Eine Verhandlung des Seeamts zu Hamburg

Der Kapitän des Dampfschiffes „Ulm“ im Jahr 1914 war C. B. Saegert, der Kapitän, der von 1907 – 1912 die Geschicke des Dampfschiffes „Fürth“ leitete.

Bei Nachforschungen zu seinem späteren Lebensweg bin ich auf einen Zeitungsartikel in der Hamburger Tageszeitung mit dem umständlichen Namen Hamburgischer Correspondent und neue hamburgische Börsen-Halle gestoßen. In diesem Artikel hat mich ein Detail stutzig gemacht.

Der Artikel vom 1. November 1922 hat mehrere Todesfälle zum Inhalt. Ich gebe die Zeitungsmeldung hier verkürzt wieder, denn nur der Tod eines Leichtmatrosen im Herbst 1914 ist in dem hier zu schildernden Zusammenhang interessant.

Lesen Sie selbst:

Verhandlungen des Seeamts zu Hamburg
Mittwoch den 1. November 1922.

Vorsitzender: Direktor des Seeamts Dr. A. Schön. Beisitzer: die Kapitäne Frev. Hartung und Jonas sowie Ingenieur Ullrich. Protokollführer: Justizobersekretär R. Fritsche. Zunächst standen 3 Todesfälle zur Verhandlung die sich auf dem Dampfer Ulm der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, Kapitän C. B. Saegert, ereignet hatten.

Sodann stand zur Verhandlung der Tod des Leichtmatrosen Franz Kötteritzsch, geboren am 3. Februar 1896 zu Hamburg, vom Dampfer Ulm, durch Ertrinken im Hafen von Sawai, am 7. September 1914. Der Leichtmatrose Kötteritzsch hatte am 7. September gegen 6 1/2 Uhr morgen vom 1. Offizier Steinorth den Auftrag erhalten das Rettungsboot Nr. 2 von Backbord nach der Steuerbordseite zur großen Treppe zu wriggen. Nahe der Treppe, etwa 10—12 Meter querab vom Großmast stürzte Kötteritzsch ins Wasser. Der hinten an Deck befindliche Bäcker Tschiedel warf sofort einen Rettungsring, welcher dicht bei dem Verunglückten ins Wasser fiel, aber nicht erfaßt wurde. Nach einigen schwachen Bewegungen sank Kötteritzsch unter und kam nicht wieder hoch. Das klar an der Treppe liegende Boot 3 und mehrere andere Boote suchten sofort die Unfallstelle ab doch ohne Erfolg.
Nach erfolgter Beratung verkündet das Seeamt den Spruch wie folgt: Der Leichtmatrose Franz Carl Gustav Paul Kötteritzsch des Dampfers Ulm ist am 7. September 1914 beim Wriggen eines Schiffsboots im Hafen von Sawai über Bord gefallen und ertrunken. Der Unfall ist scheinbar auf die eigene Unvorsichtigkeit des Verunglückten zurückzuführen. Die Schiffsleitung trifft keine Schuld. Rettungsversuche sind prompt angestellt, aber ohne Erfolg geblieben.

Quelle: Hamburgischer Correspondent und neue hamburgische Börsen-Halle, 02. November 1922 , S. 27, Quelle: europeana.eu

Offensichtlich ein tragischer Unglücksfall. Der Leichtmatrose Kötteritzsch konnte vermutlich nicht schwimmen und ist ertrunken.

Warum ich aber bei dieser Meldung stutzig geworden bin?

Der Hafen von Sawai

Haben Sie schon einmal etwas von Sawai gehört? Wahrscheinlich können Sie sehr erfahrene Reiseblogger oder hartgesottene „Traveller“ in Verlegenheit bringen, wenn Sie ihnen etwas von der Bucht oder dem Hafen von Sawai erzählen. Wo zum Kuckuck liegt denn das???

Hier im Blog erfahren Sie jetzt natürlich, wo Sawai liegt und warum das Dampfschiff „Ulm“ an diesem auch heute noch sehr, sehr abgelegenen Ort war.

Die erste Antwort erhalten Sie sofort: das kleine Dorf Sawai liegt auf der Insel Seram (früher Ceram), die zu den Molukken gehört, eine Inselgruppe, die wiederum im östlichen Teil Indonesiens liegt, im Jahr 1914 also zu Niederländisch-Indien gehörte.

Hier eine Übersichtskarte:

Java and Seram in the Netherlands Indies

Kartenausschnitt aus http://map.openseamap.org/; Wiedergabe in Sepia; zur Verdeutlichung habe ich die Namen der Insel Seram und die Stadt Banjoewangi auf Java in die Karte eingetragen.

… und im Detail die Lage von Sawai (oben Mitte) sowie der Insel und Stadt Ambon (unten links)

Seram

Die Insel Seram mit der Bucht von Sawai (Nordküste, Inselmitte) sowie die Insel Ambon und die Lease-Inseln, erstellt von: Lencer – own work, used:GMT and SRTM3V2File:Indonesia location map.svg by User:Uwe DederingPopulation_of_Indonesia_by_Village_2010.pdf by Banda Pusat Statistics for the labels of citiesBuria, by U.S. Army Map ServiceAmbon, by U.S. Army Map ServiceBula, by U.S. Army Map ServiceGeser, by U.S. Army Map Service, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=41001188, Lizenz: CC BY-SA 3.0, Wiedergabe in Sepia

Warum sich das Dampfschiff „Ulm“ hier befand, ist allerdings eine längere Geschichte. Lassen wir sie in Newcastle, N.S.W., also im Südosten Australiens, beginnen.

Chronologie einer Flucht

Das Dampfschiff „Ulm“ kam auf seiner Australienreise von Hamburg am 22. Juli 1914 in Newcastle N.S.W. (Australien) an, um dort Kohlen für Amboina, Makassar und Java, also für Niederländisch-Indien zu laden.

Am 2. August 1914 ist das Schiff von Newcastle abgegangen, ohne auf volle Ladung zu warten. (Quelle: The Daily News, Perth, Mo 3. Aug 1914, S. 2, GERMAN VESSELS)

Die vorgezogene Abfahrt von Newcastle war von der Reederei wegen des drohenden Eintritts Großbritanniens in den Ersten Weltkrieg angeordnet worden (Quelle: Otto Harms, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, 1933) SIEHE dazu auch: Die „Fürth“ beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges

Der Eintritt Großbritanniens erfolgte dann am Abend des 4. August 1914 (GMT, in Australien bereits der 5. August 1914).

Loading Coal, Newcastle Harbour NSW, about 1900-1910

Verladung von Kohle im Hafen von Newcastle NSW, ca. 1900 – 1910, Verladekran Nr. 11, © State Library of New South Wales, REFERENCE CODE 413801, CALL NUMBER PXE 711/480

Die eigentliche Route der „Ulm“ wäre durch die Torres-Straße nach Indonesien verlaufen. Kapitän Saegert musste jedoch klar sein, dass die Torres-Straße von Australien kontrolliert wurde. Außerdem lautete die Vorschrift seines Arbeitgebers, abseits der üblichen Routen zu fahren (Harms, 1933).

Eine andere Möglichkeit, nach Amboina zu kommen, wäre gewesen, um die Insel Neuguinea nördlich herumzufahren. Hier waren allerdings auch die Briten präsent und hatten in Port Moresby einen starken Stützpunkt, der die Region kontrollierte. Außerdem dürfte Kapitän Saegert keine Seekarten von diesem schwierigen Fahrtgebiet gehabt haben.

Und so nahm er mit größter Wahrscheinlichkeit eine südliche Route um den australischen Kontinent und Tasmanien herum nach Niederländisch-Indien, sich stets weit von der Küste entfernt haltend.

In Niederländisch-Indien erreichte er zunächst den Hafen Banjoewangi am östlichen Ende der Insel Java und zwar am 20. August 1914 (Harms 1933).

Anm.: Banjoewangi heißt heute Banyuwangi und liegt am Ostende der Insel Java, gegenüber der Insel Bali.

Dass die „Ulm“ die südliche Route um Australien herum nahm, wird auch durch ein Dokument im Britischen Nationalarchiv gestützt. Darin wurde die Position der „Ulm“, die aufgrund von Telefunkensignalen des Schiffes geschätzt wurde, südlich der Insel Java angegeben:

ADM 137/7/8: Page 381 (telegram from Commonwealth Naval Board, Melbourne to Admirality 27th August 1914 -estimation of German position – [German cruisers] Scharnhorst and Gneisenau disappeared North Eastwards. [German gunboat] Geier off North West of New Guinea. [gunboat] Jaguar off South coast of Java. [SS] Stolberg in Banda Sea. [SS] Luneberg in Java Sea. [SS] Ulm and [SS] Wismar south of Java.

Das Dokument belegt ebenfalls die Anwesenheit der deutschen Kreuzer SMS „Scharnhorst“ und SMS „Gneisenau“, als auch der deutschen Kanonenboote SMS „Geier“ und SMS „Jaguar“ in den Gewässern zwischen dem asiatischen Festland und Australien. SMS „Emden“ war zu dieser Zeit auf dem Weg von China durch die südostasiatische Inselwelt und noch nicht von der Australischen Marine erfasst worden.

SMS Emden, Tsingtau, China, 1914

SMS „Emden“ im Hafen von Tsingtau, Frühjahr 1914, Quelle: commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_137-001329,_Tsingtau,_SMS_%22Emden%22_I_im_Hafen.jpg

Ein sicherer Hafen

Neutral betrachtet hatte die „Ulm“ in Banjoewangi ihr Ziel erreicht. Ohne von den Briten oder einer anderen feindlichen Nation aufgegriffen und gekapert zu werden, war das Schiff in einen neutralen Hafen eingelaufen, hätte dort bleiben und das von jedem schnell erwartete Ende des Krieges abwarten können.

Bei einem erneuten Auslaufen lief das Schiff Gefahr, von einem feindlichen Schiff aufgegriffen und gekapert zu werden. Auch ein holländisches Kriegsschiff hätte es angehalten, da es Konterbande in Form von Kohlen geladen hatte, was bedeutet hätte, dass die Ladung konfisziert oder das Schiff des Landes verwiesen worden wäre.

Kapitän C. B. Saegert muss jedoch eine andere Anweisung gehabt haben. Denn statt in dem sicheren Hafen auf Java zu bleiben, machte er sich auf den weiten Weg nach Nordosten, in Richtung der Bucht von Sawai, einem sicherlich auch ihm bis dahin völlig unbekannten Ort.

Banyuwangi about 1930

Arbeiter mit Fracht auf einer Lore im Hafen von Banjoewangi auf Ost-Java, 1924-1932; Quelle: Collectie Nationaal Museum van Wereldculturen, Collectie Tillema, Amsterdam, Inventarnr. RV-A440-y-190

Etappe Batavia

An dieser Stelle kommt der Etappendienst ins Spiel. Der Etappendienst war ein weltweites Netzwerk, das die Versorgung der Kriegsschiffe des Deutschen Reiches sicherstellen sollte. Wichtigstes Versorgungsgut war Bunkerkohle, aber auch Lebensmittel und andere Verbrauchsgüter sollten den Kriegsschiffen von Versorgungsschiffen zur Verfügung gestellt werden. Und wer eignete sich als Versorgungsschiffe besser, als die Schiffe der deutschen Handelsmarine?

Im südostasiatischen Raum war der Etappendienst in mehreren Zellen („Etappen“) organisiert. Für den Fall des Dampfschiffes „Ulm“ war die zuständige Einheit die Etappe Batavia, die insgesamt acht Schiffe mobilisierte (Quelle: German Commerce Raiders 1914-1918, Ryan K. Noppen, Bloomsbury Publishing, 2015, abgerufen über books.google.fr). Angrenzend gab es in der Region eine Etappe China und eine Etappe Manila.

In Banjoewangi wurde die „Ulm“ „als Kohlendampfer für das Kreuzergeschwader ausgerüstet“ (Zitat Schmelzkopf) und verließ am 24. August 1914 wieder diesen Hafen.

Falls jemand Hinweise darauf hat, wie diese Ausrüstung konkret ausgesehen hat, bin ich für Hinweise dankbar! Vorstellen kann ich mir, dass die Lagerkapazität für Kohlen an Deck erhöht wurde, um eine schnellere Versorgung der Kriegsschiffe zu gewährleisten. Außerdem könnten auch Körbe, Schaufeln usw. an Bord gebracht worden sein, um das Umladen der Kohle zu beschleunigen.

Sicher ist, dass die „Ulm“ in Banjoewangi weitere Kohlen geladen hat. Quelle dafür ist ein Artikel mit dem Titel „Geheimnisvolle Schiffsbewegungen“ in der Zeitung De Preanger-bode vom 2.9.1914, (Geheimzinnige Scheepsbewegingen), http://www.delpher.nl.

Auf Anweisung der Kaiserlichen Marine

Es liegt nahe, dass Kapitän C. B. Saegert bereits vor seiner Abfahrt aus Hamburg von der Kaiserlichen Marine kontaktiert wurde und Order hatte, sich nach einem eventuellen Kriegsausbruch zur Verfügung zu halten. Die folgende Quelle zitiert diese Praxis für die beiden größten deutschen Reedereien, sie dürfte auch für die anderen großen deutschen Reeder gegolten haben:

“Steamers of the Norddeutscher Lloyd and Hamburg-Amerika Linie had already been instructed to assist such German warships before the outbreak of war. Their captains had been provided with a secret code for making contact.”
Quelle: The Netherlands Indies and the Great War 1914-1918, Kees van Dijk, KITLV Press, Leiden 2007; Verhandelingen van het Koninklijk Instituut voor Taal-, Land- en Volkenkunde, 254

42 deutsche Handelsschiffe

Insgesamt lagen während des Ersten Weltkrieges 42 deutsche Schiffe und zwei österreichische Schiffe in Niederländisch-Indien (van Dijk, 2007, s. o.).

Die hohe Zahl erklärt sich durch die Tatsache, dass die beiden größten deutschen Reedereien, die Hamburg-Amerika Linie und der NDL vor dem Ersten Weltkrieg ein Liniennetz in der ostasiatischen Küstenschifffahrt aufgebaut hatten.

Siehe dazu: Hamann, A. (2006). Die ostasiatische Küstenschifffahrt des Norddeutschen Lloyd und der Hamburg-Amerika Linie von 1900 bis 1914. Deutsches Schiffahrtsarchiv, 29, 159-180 ; https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-55833-2

Den Niederländern kam es sehr ungelegen, dass sich so viele deutsche Schiffe in ihren Gewässern befanden, waren sie doch auf eine strikte Neutralität bedacht. Eine Versorgung deutscher Kriegsschiffe in ihren Hoheitsgewässern konnten sie auf keinen Fall dulden. Die Briten überwachten diese Neutralität natürlich mit Argusaugen. Zum einen waren sie daran interessiert, jedwede Aktivität, die im neutralen Niederländisch-Indien gegen sie gerichtet war, zu unterbinden. Zum anderen hatten sie auch den Verdacht, dass Aufständische in Britisch Indien über Niederländisch-Indien mit Waffen versorgt wurden.

Unter den angegebenen 42 deutschen Schiffen waren auch 13 Schiffe der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG). Diese habe ich im Anhang dieses Blogartikels aufgelistet.

Zurück zur Geschichte des Dampfschiffes „Ulm“ im August 1914.

Quer durch Niederländisch-Indien

Die „Ulm“ verließ am 24. August 1914 den schützenden Hafen von Banjoewangi ohne die, bei den Hafenbehörden übliche Nennung eines Zielhafens (De Preanger-bode, 2.9.1914) und versegelte quer durch die Inselwelt Niederländisch-Indiens nach Sawai. Die Entfernung zwischen beiden Orten beträgt schätzungsweise etwa 1500 Seemeilen.

Auf dieser Fahrt wird Kapitän C. B. Saegert sehr vorsichtig gewesen sein, der Ausguck war sicherlich immer besetzt, auch wenn er gegen die Geschwindigkeit eines eventuell kreuzenden Kriegsschiffes nichts entgegenzusetzen hatte.

Spätestens am 7. September muss er in der Bucht von Sawai angekommen sein, da an diesem Tag der Leichtmatrose Kötteritzsch zu Tode kam (siehe oben).

In die Bucht von Sawai war auch ein zweites Schiff der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft gekommen, die „Linden“.

Die „Linden“ war ebenfalls am 2. August von Newcastle, N.S.W. (Australien) aufgebrochen und hatte ebenfalls eine große Ladung Kohlen an Bord. Ob beide Schiffe gemeinsam oder getrennt voneinander nach Sawai gekommen sind, muss offen bleiben. Die folgende Quelle spricht eher für die zweitgenannte Möglichkeit, da die „Linden“ zuvor schon einmal angehalten worden war, die „Ulm“ hingegen nicht.

Am 8. September 1914, also einen Tag nach dem unglücklichen Todesfall des Leichtmatrosen Kötteritzsch, wurden die beiden deutschen Schiffe von dem niederländischen Panzerkreuzer HNLMS Maarten Harpertszoon Tromp in „einer Bucht nördlich der Insel Seram“ in den Molukken entdeckt und aufgegriffen (die einzig größere Bucht an der Nordküste Serams ist die Bucht von Sawai).

Seram

Die Insel Seram mit der Bucht von Sawai (Nordküste, Inselmitte) sowie die Insel Ambon und die Lease-Inseln, erstellt von: Lencer – own work, used:GMT and SRTM3V2File:Indonesia location map.svg by User:Uwe DederingPopulation_of_Indonesia_by_Village_2010.pdf by Banda Pusat Statistics for the labels of citiesBuria, by U.S. Army Map ServiceAmbon, by U.S. Army Map ServiceBula, by U.S. Army Map ServiceGeser, by U.S. Army Map Service, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=41001188, Lizenz: CC BY-SA 3.0, Wiedergabe in Sepia

“On 8 September, the Tromp arrested two German steamers of the Deutsch-Australische Dampfschiff Gesellschaft, and an American ship, the Rio Päsig, in a bay north of Seram. One of the German ships was the Linden. On an earlier occasion she had already been ordered out of territorial waters because of her cargo of coal. Encountered in territorial waters for the second time, her cargo was confiscated. The Linden was taken to Ambon. Presented with the choice of unloading her coal or leaving Dutch territory on the condition that re-entering it meant an embargo, the captain of the second vessel, the Ulm, also loaded with coal, opted for the first alternative. The Rio Päsig left. She was later captured by the British. Having escorted the German ships to Ambon, the tromp immediately had to sail to Halmahera, to assist in suppressing an uprising, only to be ordered on again to Lombok, this time her quarry being a merchantman carrying no flag.”

The Netherlands Indies and the Great War 1914-1918, S. 187, Kees van Dijk, KITLV Press, Leiden 2007; Verhandelingen van het Koninklijk Instituut voor Taal-, Land- en Volkenkunde, 254.

Tromp 1907

Das Schiff „Tromp“ der Niederländischen Marine, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hr._Ms._Tromp_(1907)_KM.jpg

Gescheiterte Mission

Etappe Batavia hatte für die Versorgung der deutschen Kriegsschiffe sehr abgelegene Plätze gewählt, die über keine Telegraphenverbindung verfügten. Bis die Nachricht weitergegeben werden konnte, konnte mehr als eine Woche dauern:

“Without a telegraph it might take a week, and even longer, before a message could be sent if a foreign warship violated neutrality.” (van Dijk, 2007)

Der Etappe Batavia war ebenfalls klar, dass die Niederländer nicht in der Lage waren, die ganze Inselwelt zu kontrollieren. Das hatte auch der niederländische Vizeadmiral F. Pinke den Briten gegenüber offen eingestanden:

“As Pinke confided to Vice Admiral Sir Thomas Henry Martyn Jerram, the commander of the British fleet in East Asia at the end of September, ‘the total coastline of all the islands has a length nearly that of the equatorial circumference of the earth and that perhaps [a] thousand and more anchorages are found along this coastline’.” (van Dijk, 2007).

Im Fall der „Ulm“ und der „Linden“ hatte die Niederländische Marine jedoch einen Erfolg zu verzeichnen. Beide Schiffe wurden am 8. September 1914 aufgespürt, nach Ambon eskortiert und dort interniert.

Vater dieses Erfolgs war Konteradmiral Umbgrove:

„Konteradmiral Umbgrove ist der Mann, der die deutschen Schiffe „Ulm“und „Linden“ in einer der vielen Buchten des großen Ostens entdeckt und aufgebracht hat.“
TROMP EN EMDEN, De Maasbode, 07. Dez. 1919

Erfolgreicher waren die beiden Schiffe „Bochum“ und „Elmshorn“ (siehe unten), die beide SMS „Geier“ mit Kohlen versorgen konnten.

SMS Geier, Kaiser Wilhelm II.

Kaiser Wilhelm II. (m.) auf der SMS „Geier“, Bundesarchiv Bild 134-B2651, 1894; Quelle: commons.wikimedia.org; Lizenz: CC-BY-SA 3.0

In Ambon

Das Eintreffen der „Ulm“ und der „Linden“ in Ambon (auch Amboina) dürfte entweder noch am 8. September oder dann spätestens am 9. September 1914 erfolgt sein (nach Schmelzkopf erst am 12. September), wo die „Ulm“ bis über das Kriegsende hinaus verblieb.

Über das Dampfschiff „Ulm“ in Ambon siehe:

Die „Ulm“ in Ambon (Teil 1 von 2)

Die „Ulm“ in Ambon (Teil 2 von 2)

Soviel bereits hier: die jahrelange Untätigkeit in einem tropischen Hafen setzt den Seeleuten stark zu: Langeweile, tropische Krankheiten, sich durch den Krieg stark verteuernde Lebenshaltungskosten waren schwierige Rahmenbedingungen. Mit zwei unveröffentlichten Originaldokumenten und weiteren Quellen werde ich einen kleinen Einblick in die Situation der Besatzung während des Ersten Weltkrieges auf der Insel Ambon geben.

Aber auch das Schiff selbst wurde durch die fünf Jahre dauernde Liegezeit stark in Mitleidenschaft gezogen…

Ambon/Amboina port

Blick vom Strand auf den Hafen von Amboina, 1922, Quelle: Collectie Nationaal Museum van Wereldculturen, Amsterdam, Inventarnr. TM-33000958

Anhang:

13 Schiffe der DADG in Niederländisch-Indien

Die 13 Schiffe der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft (DADG), die sich bei oder nach Kriegsausbruch in Niederländisch-Indien befanden (in alphabetischer Reihenfolge):

„Bochum“: „bei Kriegsausbruch am 1.8. in Makassar, dort von Etappe Batavia erfaßt und als Kohlendampfer für das Kreuzergeschwader ausgerüstet; lief am 5.8. aus zum Kreuzer „Geier“, nach Versorgung am 23.8. in Manila eingelaufen und dort interniert“ (Schmelzkopf). Am 20. oder 21.8. sollen SMS „Geier“ und die „Bochum“ auf SMS „Emden“ und deren Versorgungsschiff „Markomannia“ getroffen sein.

„Elmshorn“: „am 1.8. in Makassar, dort von der Etappe Batavia erfaßt und als Kohlendampfer für das Kreuzergeschwader ausgerüstet
am 5.8. zum Kreuzer „Geier“ ausgelaufen, nach Versorgung am 23.8. in Manila eingelaufen und erneut ausgerüstet, sollte am 27.9. wieder auslaufen, was aber von amerikanischen Behörden verhindert wurde; das Schiff wurde daraufhin interniert“ (Quelle: Schmelzkopf)

„Freiberg“: seit 20. Juli in Soerabaya, „dort interniert“ (Schmelzkopf)

„Hagen“: am 29. Juli in Soerabaya „dort interniert“ (Schmelzkopf)

„Iserlohn“: am 19. August in Batavia, „dort interniert“ (Schmelzkopf)

„Linden“: 20. August in Banjoewangi; „von der Etappe Batavia erfaßt und als Kohlendampfer für das Kreuzergeschwader ausgerüstet und auf Station. Lief am 5.9. in Ceram ein, wurde jedoch am 10.9. wieder zum Auslaufen gezwungen und ließ sich am 20.9. in Amboina internieren“ (Schmelzkopf)

„Lübeck“: 26. August in Tjilatjap, „dort interniert“ (Schmelzkopf)

„Lüneburg“: 29. August in Makassar, „dort interniert“ (Schmelzkopf)

„Offenbach“: 27. Juli in Soerabaya; „von der Etappe Batavia erfaßt und als Versorgungsschiff für das Kreuzergeschwader vorgesehen und auf Station; wurde dort jedoch nicht angelaufen, lief am 27.8. nach Soerabaya ein und wurde dort interniert“ (Schmelzkopf). Die Station der „Offenbach“ war nach einer anderen Quelle in der Kambangragi-Bucht der kleinen Insel Jampea. Dort wurde sie am 11. und 12.8. gesichtet. Quelle: De Preanger-bode, 2.9.1914, Geheimzinnige Scheepsbewegingen. Anm.: Jampea gehört zu den Salajarinseln und liegt südlich der Insel Celebes (Sulawesi).

„Stolberg“: 10. August in Tjilatjap, „dort interniert“ (Schmelzkopf)

„Sydney“: 11. August in Tjilatjap, „dort interniert“ (Schmelzkopf)

„Wismar“: 27. August in Banjoewangi, „dort interniert“ (Schmelzkopf)

„Ulm“: siehe Text oben

Angaben nach:
Otto Harms, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg (Schröder & Jeve 1933)
und
Reinhart Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, S. 30, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven 1984

1000 Mark Banknote 1909

Der Schatz des Kapitän Wellhöfer

Über Havarien und Bergelohn

Titelbild: Reichsbanknote 1000 Mark von 1910; Quelle: commons.wikimedia.org

Vorfreude

Dieser Blogartikel erzählt die Geschichte von Carl Wellhöfer, einem Kapitän der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft, der im Dezember 1911 mit seinem Dampfschiff „Adelaide“ nach Australien unterwegs war und auf dieser Fahrt ein kleines Vermögen machte.

Sichtlich gut gelaunt erreichte er mit ein paar Tagen Verspätung Australien und berichtete einem Journalisten von seinen Erlebnissen.

Zu diesem Zeitpunkt wusste er bereits, dass nach der Rückkehr in Hamburg eine schöne Summe Bergelohn auf ihn wartete.

Das gleiche galt auch für die anderen Besatzungsmitglieder, wenn auch in deutlich bescheidenerem Umfang. Die Stimmung an Bord dürfte also allgemein gut, wenn nicht sogar ausgelassen gewesen sein.

Lesen wir im Folgenden, was Kapitän Wellhöfer widerfahren ist.

Die Geschichte beginnt im Atlantischen Ozean vor der afrikanischen Küste.

Adelaide ship 1911 German Australian Line

Der Frachtdampfer „Adelaide“ (1911), gebaut von der Flensburger Schiffbau-Gesellschaft, Aufnahme aus den Jahren 1911-1914; © R. Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, S. 30, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven 1984.

GERMAN LINER SALVAGED.

Captain Charles Wellhofer, of the German Australian liner Adelaide, which arrived at Melbourne last Saturday, after a trip from Hamburg occupying 59 days, is in rare good humour as the result of an incident which occurred during the voyage. He had been 21 days out, and was steaming down the west coast of Africa in a steady sea when one evening his look-out man reported signals of distress.

 

Charles Wellhöfer hieß eigentlich Carl mit Vornamen, aber vielleicht hat er sich im Commonwealth selbst auch Charles genannt.

Die „Adelaide“ war zu diesem Zeitpunkt von der Reederei auf der Linie 3 der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft disponiert, das heißt das Schiff lief von Hamburg über Antwerpen und Lissabon nach Kapstadt und Algoa Bay (Südafrika) nach Melbourne, Sydney und Brisbane.

Nach 21 Tagen auf See hatte eine der Wachen ein Seenotsignal bemerkt und gemeldet.

 

Captain Wellhofer, who had turned in, hurried on deck, and soon had the Adelaide within hailing distance of the German East African liner Usambara, of 8000 tons, which lay rolling helplessly in the ocean swell. Enquiry elicited that she had lost her propeller two days previously. The shaft and casing had broken, and the after peak was full of water. She was about 40 miles off Dakar, in French Senegal, and it was arranged that she be towed into port by the Adelaide.

Die Deutsche Ost-Afrika Linie (DOAL, German East African Line) war 1890 in Hamburg gegründet worden. Die Dampfer der Linie beförderten Fracht und Passagiere nach Häfen in West-, Süd- und Ostafrika. Das Deutsche Kaiserreich verfügte auf dem afrikanischen Kontinent über einige Kolonien.

Die „Usambara“ war 1903 von Blohm & Voss in Hamburg als „Edfu“ für die Deutsche Dampfschiffahrts Gesellschaft Kosmos gebaut worden. 1911 wurde das Schiff an die DOAL verkauft und in „Usambara“ umbenannt. Nach dem Ersten Weltkrieg musste die “Usambara” an Frankreich abgegeben werden, wurde „Montana“ genannt und war für die Cie. Générale Transatlantique (CGT) in Fahrt. Sie strandete am 22. März 1928 auf der zu Guadeloupe gehörigen Insel La Désirade.
(Quelle: Wrecksite.eu; https://www.wrecksite.eu/wreck.aspx?135909)

Das Schiff hatte ein Ladevermögen von 8.000 Tonnen bei einer Länge von 125 Metern (zum Vergleich das Dampfschiff „Fürth“: 7010 Tonnen Tragfähigkeit, 118 m Länge).

Die Achterpiek (after peak) ist ein kleiner Raum im Heck eines Schiffes.

French Senegal: Senegal war bis 1960 eine französische Kolonie.

Curiously enough, the Usambara was not fitted with wireless telegraphic apparatus, while two sister ships, cruising in the same waters, were so fitted. It was the inability of the Usambara to communicate with these ships that put Captain Wellhofer in such good humour.

Die fehlende Telegrafenausrüstung war also dafür verantwortlich, dass das Schiff „Usambara“ keine Hilfe bei der eigenen Reederei anfordern konnte. Und jetzt kam ausgerechnet die „Adelaide“ dem Schiff zu Hilfe: ausgerechnet deshalb, weil die „Adelaide“ das erste Schiff der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft war, welches mit einer Anlage zur „drahtlosen Telegraphie“ ausgestattet war. SIEHE: Telegrafie per Funk

morse-key-marconis-wireless-telegraph-circa-1899-659720-large

Morsetaste für Funktelegrafie, ca. 1899 © Museums Victoria (Australien), https://collections.museumvictoria.com.au/items/404170

He rode the derelict into port with little mishap beyond a broken tow rope, and thus complied with the German regulations for claiming salvage money. The Usambara was laden almost at the Plimsoll line with general merchandise, and would have been even more valuable from a salvage point of view if she had been carrying passengers. It occupied about four days to tow the disabled steamer into port.

Die Tatsache, dass die “Adelaide“ die manövrierunfähige „Usambara“ in den Hafen von Dakar eingeschleppt hatte, brachte die Zahlung eines Bergelohns mit sich (siehe unten). Je mehr und wertvoller das Schiff beladen war, desto höher fiel dieser Bergelohn aus, deshalb auch die Bemerkung „was laden almost at the Plimsoll line“, was heißen soll, dass das Schiff gut beladen war. Zur Plimsoll-Linie siehe: Logbuch der „Fürth“ (4) – Abfahrt aus Hamburg

Im Fall von Passagieren an Bord wäre der Bergelohn höher ausgefallen. Auch die aufgewendete Zeit spielte bei der Festlegung des Bergelohns eine Rolle.

The task of affixing the tow rope in the first instance was accomplished in somewhat forbidding circumstances. The sea, states Captain Wellhofer, was literally alive with sharks that had congregated about the Usambara, and if there had been a case of „man overboard“ that man’s life would not have been worth a pin’s purchase.
The Advertiser, Adelaide, Mi 14. Februar 1912, S. 8

Zum Abschluss bringt der Redakteur mit dem Hinweis auf die Anwesenheit von Haien bei dem Manöver auf See noch eine Portion Abenteuer für seine Leser ins Spiel.

Dakar Harbour about 1915

Dakar, Hafeneinfahrt von einem einlaufenden Schiff, Aufnahme von ca. 1914-18, Australian War Memorial, Ref. HO2298; https://www.awm.gov.au/collection/C244585

Im Seeamt zu Hamburg

Drei Monate nach der Bergung der „Usambara“ befasste sich das Seeamt in Hamburg mit dem Vorfall.

Verhandlungen des Seeamts zu Hamburg.
Den 27. März 1912

Hierauf wurde verhandelt über zwei Unfälle an Bord des zur „Deutsch-Ost-Afrika Linie“ in Hamburg gehörenden, 3850 Reg.-Tons netto großen Dampfers
„Usambara“, Kapitän Greiwe.
Auf der Reise von Las Palmas nach Durban, am 28. Dezember 1911, wurde aus dem Maschinenraum nach der Brücke gemeldet, daß die Maschine gestoppt werden müßte, weil die hintere Tunnelwelle schlage und Propellerschaft, sowie Sternrohr warm liefen. Es wurden sämtliche Segel gesetzt und versucht, das Schiff im Dampfertrakt von und nach Kapstadt zu halten, jedoch blieb das Schiff steuerlos. Auch wurde versucht, mit ganz langsamer Fahrt Dakar zu erreichen, aber ohne Erfolg; alle Versuche, mit der Maschine weiter zu arbeiten, mußten aufgegeben werden, da sich herausstellte, daß die Schwanzwelle gebrochen war. Der Unfall ereignete sich auf 16 Gr. 40 Min. N Br. und 14 Gr. 26 Min. W Lg. Am 30. Dezember um 1 Uhr morgens kam der zur Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft in Hamburg gehörende Dampfer „Adelaide“, Kapitän Wellhöfer, herbei, der die „Usambara“ ins Schlepptau nahm und nach Dakar bugsierte.
Es hat eine Besichtigung der gebrochenen Welle stattgefunden, wobei festgestellt wurde, daß an dem Material, aus dem die Welle angefertigt, nichts auszusetzen war. Anscheinend hat sich an der Bruchstelle ein kleiner Riß befunden, der bei der Besichtigung nicht entdeckt worden ist.
Der Reichskommissar führt den Unfall auf eine hohe Beanspruchung der Welle zurück, nicht etwa auf irgendwelche Mängel oder schlechtes Material.
Das Seeamt gab folgenden Spruch ab:
„Der Dampfer „Usambara“ hat am 28. Dezember 1911 auf der Reise von Las Palmas nach Durban einen Bruch der Schraubenwelle erlitten und ist am 30. Dezember von dem Dampfer „Adelaide“ ins Tau genommen und nach Dakar eingeschleppt worden. Die Ursachen des Wellenbruchs waren nicht festzustellen. Mängel des Materials oder Mängel in der Beaufsichtigung und Behandlung der Welle haben nicht vorgelegen und es trifft weder die Schiffs- noch die Maschinenleitung für den Unfall eine Verantwortung.“

Hamburgischer Correspondent und neue hamburgische Börsen-Halle, 28. März 1912

Anmerkungen:

Kapitän Greiwe hatte versucht die „Usambara“ im „Dampfertrakt zu halten“, was heißen soll, dass er versuchte das Schiff auf einer Position zu halten, die regelmäßig von Schiffen auf dem Weg nach Südafrika befahren wurde. Abseits dieser befahrenen Schifffahrtsroute wäre so schnell kein Schiff vorbeigekommen, das die Notsignale aufnehmen hätte können.

Die Positionsangabe kann nicht stimmen, 14° 26‘ w‘ Länge sind bei der angegeben Breite auf dem afrikanischen Festland.

Der Bergelohn

Eine andere Quelle gibt uns Auskunft, wie hoch der Bergelohn war, den die Deutsch-Ost-Afrika Linie der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft für die Bergung zahlen musste:

D. „Adelaide“, auf der ersten Reise und als Erster mit drahtloser Telegraphie meldete, daß er am 30. Dezember 1911 den Dampfer „Usambara“ betriebsunfähig, etwa 525 Seemeilen von Dakar entfernt, angetroffen und am 3. Januar eingeschleppt hätte. Für diese Bergung sind 100 000 M vergütet worden.
Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, Otto Harms (1933), Schröder & Jeve, Hamburg.

Anmerkung:  Wie weit die „Adelaide“ von Dakar entfernt war, als sie die „Usambara“ antraf, bleibt offen, die Angaben sind widersprüchlich.

In anderen Fällen hatten sich Dampfschiffe der DADG in Schwierigkeiten befunden und die Reederei musste ihrerseits Bergelohn an andere Unternehmen und Mannschaften auszahlen. Aber:

„Es liegt aber auch eine ganze Anzahl von Fällen vor, in welchen unsere Dampfer helfend eingreifen konnten und welche der Reederei und den Besatzungen gute Entschädigungen einbrachten.“
(gleiche Quelle)

20 Mark Goldmünze Deutsches Reich 1909, Bild: Pixabay

20 Mark Goldmünze Deutsches Reich 1909, Bild: Pixabay

Die Aufteilung

Insgesamt waren also 100 000 Mark Bergelohn aufzuteilen. Schauen wir uns an, wie die Teilung erfolgt sein könnte.

Im Handelsgesetzbuch heißt es unter § 747 Ausgleichsanspruch der Schiffsbesatzung

(1) Wird ein Schiff oder dessen Ladung ganz oder teilweise von einem anderen Schiff geborgen, so wird der Bergelohn oder die Sondervergütung zwischen dem Schiffseigner oder Reeder, dem Schiffer oder Kapitän und der übrigen Besatzung des anderen Schiffes in der Weise verteilt, dass zunächst dem Schiffseigner oder Reeder die Schäden am Schiff und die Unkosten ersetzt werden, und dass von dem Rest der Schiffseigner oder Reeder zwei Drittel, der Schiffer oder Kapitän und die übrige Besatzung je ein Sechstel erhalten.
Quelle: HGB Stand 31.7.2009 https://www.leipziger-logistik.de/files/hgb-handelsgesetzbuch.pdf

Die unten stehenden Zahlen weisen darauf hin, dass der Aufteilungsschlüssel früher gleich war.

Die Reederei konnte demnach von den 100 000 Mark zunächst ihre Unkosten abziehen und wird davon auch großzügig ausgelegt Gebrauch gemacht haben, schließlich war die DADG für ihr sparsames Wirtschaften bekannt:

Hafengebühren in Dakar, das gerissene Tau, der zusätzliche Kohlenverbrauch beim Schleppen, der Zeitverlust von vier Tagen inklusive der Mehrzahlung an Heuer für die Besatzung und ihre Verpflegung dürften alle in der Unkostenaufstellung wiederzufinden gewesen sein.

Von der Restsumme blieben dann weitere Zweidrittel in der Kasse der Reederei und ein Drittel wurde zu gleichen Teilen zwischen dem Kapitän und der ganzen Mannschaft aufgeteilt (jeweils ein Sechstel).

Die Aufteilung des für die Mannschaft bestimmten Sechstels lag in der Verantwortung des Kapitäns:

Paragraph 747: Ausgleichsanspruch der Schiffsbesatzung

(2) Der auf die Schiffsbesatzung mit Ausnahme des Schiffers oder Kapitäns entfallende Betrag wird unter alle Mitglieder derselben unter besonderer Berücksichtigung der sachlichen und persönlichen Leistungen eines jeden verteilt. Die Verteilung erfolgt durch den Schiffer oder Kapitän mittels eines vor Beendigung der Reise der Besatzung bekannt zu gebenden Verteilungsplans, in dem der Bruchteil festgesetzt ist, der jedem Beteiligten zukommt.
Quelle: HGB Stand 31.7.2009 https://www.leipziger-logistik.de/files/hgb-handelsgesetzbuch.pdf

Auf den Aushang oder die Bekanntgabe dieses Plans dürfte die Mannschaft mit großer Spannung gewartet haben.

Die Summen

Einen Anhaltspunkt für die Auszahlungssummen gibt uns ein anderer Fall, bei dem der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft ebenfalls ein Bergegeld zugestanden wurde. Für die Bergung des schottischen Dampfers „Glenlochy“ durch das Schiff „Meißen“ hat Harms (1933) die an die Mannschaft verteilten Beträge pfenniggenau aufgeschlüsselt.

Dazu die Tabelle von Seite 115:

Bergelohn Aufteilung 1905

Bergelöhne für Kapitän und Mannschaft des Dampfschiffes „Meißen“ nach Einbringung des Dampfers „Glenlochy“ der schottischen Glen Line, Glasgow am 10. Juni 1904 in Aden; Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg, Otto Harms (1933), Schröder & Jeve, Hamburg

Der Gesamtbetrag des Bergelohns belief sich auf £ 7.500, das entsprach vor dem Ersten Weltkrieg etwa 153 000 Mark.

Bei den gelisteten Beträgen dürfte es sich um die ausgezahlten Summen handeln (netto, nach Abzügen).

Grob nachgerechnet hatte von dem Bergelohn (153 000 Mark) die Reederei 15 000 Unkosten in Abzug gebracht und die verbleibenden 138 000 Mark aufgeteilt, so dass der Reederei zwei Drittel verblieben (92.000 Mark), ein Sechstel dem Kapitän (23.000) und ein Sechstel der Mannschaft (23.000).

„Usambara“

Wenn wir annehmen, dass die Reederei im Fall „Adelaide“/„Usambara“ gleich hohe Unkosten in Abzug brachte, bleiben rund 85 000 Mark aufzuteilen (um runde Zahlen zu bekommen, rechne ich mit 84 000 Mark). Von diesen 84 000 Mark verbleiben 56 000 Mark bei der DADG, 14 000 Mark beim Kapitän und weitere 14 000 Mark bei der Mannschaft.

Halten wir fest: Kapitän Wellhöfer müsste für die Bergung unter der Annahme gleicher Proportionen wie oben einen Bergelohn von etwa 14.000 Mark erhalten haben. Das dürften für ihn mehr als zwei Jahresgehälter gewesen sein.

Aber auch für die Mannschaft, insbesondere die Offiziere hatte sich die Bergung der „Usambara“ gelohnt. Die oben genannten Einzelbeträge wären laut meiner Rechnung mit dem Faktor 0,6 anzusetzen (wobei wir nicht wissen, wie Kapitän Wellhöfer die Summe unter der Mannschaft aufgeteilt hat).

Zur besseren Einordnung des Bergelohns hier noch einmal die monatlichen Heuersätze der Seeleute (Angaben für das Jahr 1914). Quelle: Die Musterrolle (Originaldokument aus den Jahren 1913/1914)

Offiziere
1. Offizier: 220 Mark
2. Offizier: 170 Mark
3. Offizier: 130 Mark
4. Offizier: 120 Mark

Mannschaft
Zimmermann: 95 Mark
1. Bootsmann: 90 Mark
2. Bootsmann: 80 Mark
Matrosen: 73 Mark
Leichtmatrosen: 40 Mark
Jungen: 20 Mark

Koch: 120 Mark
Kochmaat: 55 Mark
1. Steward 75 Mark
2. Steward: 35 Mark

Maschinisten:
1. Maschinist: 375 Mark
2. Maschinist: 270 Mark
3. Maschinist: 200 Mark
4. Maschinist: 125/150 Mark
Maschinisten-Assistenten: 75/60 Mark

Heizer: 83 Mark
Trimmer:73/55 Mark

reichsmark1913

Bild: Pixabay

Kapitän Wellhöfer

Was Kapitän Carl Wellhöfer mit dem Geld machte, weiß ich nicht. Informationen gibt es aber zu seinem weiteren Lebensweg:

Er blieb Kapitän bei der DADG, beziehungsweise bei deren Nachfolgegesellschaften, den Deutsch-Austral und Kosmos Linien und ab 1926 bei der HAPAG, in die diese Reedereien aufgingen.

Es dauerte allerdings bis in dieses Jahr 1926, bis er als Schiffsführer wieder regelmäßig in australischen Hafenstädten anzutreffen war.

1932 unternahm er seine letzte Australienfahrt und ging in den Ruhestand.
(Newcastle Morning Herald and Miner’s Advocate, 19. Juli 1932, S. 9).

Hinweis: Dieser Beitrag wurde zuerst am 3. Oktober 2020 veröffentlicht.

Feurlöschübung, Prinzessin Victoria Luise 1901

Dampfschiff „Fürth“: Sicherheit an Bord

Über Sicherheitseinrichtungen und -maßnahmen

Titelbild: Feuerlöschmanöver an Bord des Dampfers „Prinzessin Victoria Luise“ der Hamburg-Amerika-Linie im Hafen von Bergen (Ausschnitt), aus: Sicherheits-Einrichtungen der Seeschiffe, Oswald Flamm, 1904, Berlin (Verlag Otto Salle); Quelle: Biblioteka Politechniczna Kraków, Quelle: https://repozytorium.biblos.pk.edu.pl/

Anmerkungen:

Der Passagierdampfer „Prinzessin Victoria Luise“ wurde von der HAPAG als Kreuzfahrtschiff im Jahr 1900 in Dienst gestellt. 1901 fanden die ersten Nordlandreisen statt. Das Schiff ging bereits 1906 auf Jamaika verloren.

Ich zweifle die Richtigkeit der Ortsangabe an und denke, dass es sich um den Hafen von Helsinki handelt. Die Silhouette der Kirche rechts im Bild sieht aus wie der Dom von Helsinki.

Oswald Flamm

In einigen vorangegangenen Blogartikeln waren Sicherheitsmaßnahmen und Sicherheitseinrichtungen an Bord der „Fürth“ bereits angeschnitten worden.

Dieser Beitrag fasst das Thema Sicherheit an Bord zusammen und gibt neue Einzelheiten, wie zum Beispiel zu den Rettungsbooten und deren Ausstattung. Außerdem habe ich zum Thema einige schöne Aufnahmen gefunden. Sie stammen aus einem Buch mit dem Titel Sicherheits-Einrichtungen der Seeschiffe (1904). Der Autor ist Oswald Flamm, Professor der Technischen Hochschule zu Charlottenburg.

Flamm (1861 – 1935) war ein führender deutscher Schiffbau-Ingenieur und bereits mit 33 Jahren Professor. Er war maßgeblich an der Gründung der Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau in Berlin beteiligt sowie Mitbegründer der Schiffbautechnischen Gesellschaft und des Flottenvereins.
(https://www.deutsche-biographie.de/gnd116588284.html#ndbcontent)

Oswald Flamm 1907

Portrait von Oswald Flamm, Aufnahme von Rudolf Dührkoop, 1907, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rudolf_D%C3%BChrkoop_-_Oswald_Flamm_(1907)_(KTHzB).jpg

Die Boote

Der Frachtdampfer „Fürth“ verfügte über 5 Boote, die sich auf dem Bootsdeck über dem Maschinenhaus befanden.

Von den fünf Booten war eines ein sogenanntes Arbeitsboot und die vier anderen Rettungsboote. Alle Boote waren aus Holz.

Für die Abmessung der Boote greife ich den Generalplan des Schwesterschiffes „Reichenbach“ zurück, für ihre Ausstattung auf die Inventarliste des Schwesterschiffes „Neumünster“.

Siehe dazu die Artikel Pläne zur Rekonstruktion des Dampfschiffes „Fürth“ und Dampfschiff „Fürth“: In der Kapitänskajüte

Das Arbeitsboot

Sobald die „Fürth“ in einem Hafen auf Reede lag, also nicht an einem Kai, brauchte die Besatzung ein Boot, um an Land zu gelangen. Außerdem diente das Arbeitsboot für Arbeiten am äußeren Rumpf und für andere seemännische Arbeiten.

Es hatte Abmessungen von etwa 5,8 m x 1,8 m x 0,7 m (Länge x Breite x Höhe) und war damit kleiner und handlicher als die größeren Rettungsboote.

Es verfügte über sechs Riemen, ein Ruder, eine Pinne und einen Mast. Segel waren laut Inventarbuch nicht vorgesehen, an Bord des Arbeitsbootes der „Neumünster“ waren jedoch deren zwei im Istbestand.

An zusätzlichem Equipment waren ein Bootshaken, ein Ösfass, eine Fangleine und zwei Manntaue an Bord.

Anmerkung: Ein Manntau ist ein Tau, welches über Bord hängt und dazu benutzt wird, an Bord zu klettern. Ein Ösfass ist ein Eimer zum Schöpfen von Wasser. Er ist in der Regel auf einer Seite abgeplattet.

Zu Wasser gelassen konnte das Arbeitsboot über zwei Davits mit Taljen. Es befand sich auf dem Bootsdeck an Steuerbord zwischen zwei Rettungsbooten.

Davits, Rettungsboote 1904

Aufstellung der Boote mit gewöhnlichen Davits; aus: Sicherheits-Einrichtungen der Seeschiffe, Oswald Flamm, 1904, Berlin (Verlag Otto Salle); Quelle: Biblioteka Politechniczna Kraków, https://repozytorium.biblos.pk.edu.pl/

Die Rettungsboote

Die vier Rettungsboote hatten leicht voneinander abweichende Dimensionen. Ihre Länge betrug etwa sieben Meter. Die Breite war etwa 2,20 Meter, die Gesamthöhe betrug etwa 0,75 Meter.

Die Boote befanden sich auf dem Bootsdeck an Backbord (Boot I und Boot II) und an Steuerbord (Boot III und Boot IV).

Zu Wasser gelassen wurden die Rettungsboote mit 2 Davits, ein Manntau diente dazu, an Bord zu klettern.

Bootsdeck, Reichenbach 1907

Bootsdeck, Ausschnitt aus dem Generalplan der „Reichenbach“, einem Schwesterschiff der „Fürth“, © mit freundlicher Genehmigung des Schifffahrtsmuseums Flensburg (Ref. FSG_267). Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass sämtliche Bildrechte beim Schifffahrtsmuseum Flensburg liegen und jegliche Nutzung dieses Bildes der Genehmigung des Rechteinhabers bedarf.

Jedes Boot verfügte über:

8 Riemen
9 Scepter oder Dollen (Rudergabel, Ruderlager)

1 Fangleine
1 Ruder
1 Pinne

1 Mast
1 Segel

2 Bootbeile
1 Bootcompass
1 Oeltank
1 Oelbeutel
2 Wasserfässer mit Pumpe
1 Brottank

1 Lampe
2 Bootshaken
1 Oesfass
1 Dragge
1 Treibanker
1 Segelbezug
1 Dokumentenkasten
2 Pflöcke für Wasserlöcher

Das Öl diente zur Beruhigung der See bei Schwerwetter (Siehe dazu den Blogbeitrag: Tagebuch (11): Die „Fürth“ in den Roaring Forties). Es musste verpflichtend in jedem Rettungsboot an Bord sein. Eine Dragge ist ein kleiner Anker.

Die Überholung der Boote hatte nach den Unfallverhütungsvorschriften der See-Berufsgenossenschaft einmal jährlich zu erfolgen. Aus eigenem Interesse haben die Kapitäne dies aber sicher bei jeder Fahrt mindestens einmal durchführen und dabei auch das Wasser in den Wasserfässern erneuern lassen, ebenso wir die Notration Brot im Brottank.

Im Logbuch der „Fürth“ aus dem Jahr 1914 ist die Überholung der Boote auf der letzten Fahrt zweimal verzeichnet (4. Juni und 25. Juli 1914). SIEHE: Das Schiffstagebuch der „Fürth“ – eine Einleitung

Cymric 1910 lifeboat

Rettungboote auf der „Cymric“, 1910, Bain News Service, Library of Congress, Washington DC; https://www.loc.gov/item/2014698987/

Anmerkung: Die “Cymric” war ein Passagierdampfer der britischen White Star Line.

Prinzessin Victoria Luise 1901

Rettungsbootmanöver, Dampfschiff „Prinzessin Victoria Luise“ der Hamburg-Amerika-Linie bei Gudvangen (Nærøyfjord, Norwegen); aus: Sicherheits-Einrichtungen der Seeschiffe, Oswald Flamm, 1904, Berlin (Verlag Otto Salle); Quelle: Biblioteka Politechniczna Kraków, https://repozytorium.biblos.pk.edu.pl/

Die Bootsrolle

Jeder Seemann hatte im Notfall seinen fest zugewiesenen Platz in einem der Boote. Diese Aufteilung der Besatzung auf die Rettungsboote wurde in der Bootsrolle bestimmt. Dieses Dokument musste an Bord bei Beginn einer Fahrt ausgehängt werden.

„Die gesamte Schiffsbesatzung ist nach einer Bootsrolle auf die Boote und Klappboote einzuteilen, und an jedem Boot müssen die Nummern der dafür bestimmten Leute angeschlagen sein. Offiziere und Unteroffiziere sind auf die Boote gleichmäßig zu verteilen.“ (§ 54 Einteilung der Besatzung, Auszug aus dem Gesetz über das Auswanderungswesen; Quelle: Hilfsbuch für den Schiffsbau: https://link.springer.com/content/pdf/bbm%3A978-3-642-50701-4%2F1.pdf)

Lifeboat

Männer in einem Rettungsboot unter Segel, Aufnahmedatum unbekannt (1900-1954), Fotograf: Allan C. Green, State Library Victoria, Ref. H91.325/1876

Übungen im Rudern

Zur Sicherheit an Bord gehörten regelmäßige Übungen im Rudern der Rettungsboote. Die Anweisung lautete, diese Übungen „bei passender Gelegenheit“ durchzuführen.

Auf der letzten Australienfahrt der „Fürth“ ließ Kapitän Richter ein Bootmanöver im Hafen von Adelaide durchführen. Im Logbuch verzeichnete er

Machten Bootsmanöver:

sämtliche Rettungsboote wurden ausgeschwungen, die B.B. Boote zu Wasser gelassen, bemannt u. die Mannschaft im Rudern unterrichtet. Alles in Ordnung.

Der Eintrag erfolgte in roter Farbe.

Bootsmanöver 24. Juli 1914

Logbuch der „Fürth“, nummerierte Seite 94 (Ausschnitt), mit freundlicher Genehmigung des National Museums Liverpool (Merseyside Maritime Museum), Ref. B/HAR/11/4/1

Prinzessin Viktoria Luise 1901

Übungen im Bootsrudern, Dampfschiff „Prinzessin Victoria Luise“ der Hamburg-Amerika-Linie bei Gudvangen (Nærøyfjord, Norwegen); aus: Sicherheits-Einrichtungen der Seeschiffe, Oswald Flamm, 1904, Berlin (Verlag Otto Salle); Quelle: Biblioteka Politechniczna Kraków, https://repozytorium.biblos.pk.edu.pl/

Rettungsgeräte und Signalmittel

An Bord der „Fürth“ waren folgende Rettungsgeräte:

2 Signalbälle
45 Korkwesten
2 Rettungsringe mit Wasserlicht
4 Rettungsringe ohne Wasserlicht
1 Rauchhelm mit Zubehör
2 Längen Feuerschläuche à 20 Meter
1 Schlauchspritze (Messing)

Ein Rauchhelm war ein Vorläufer der Atemschutzmaske. Seeleute mussten den Träger des Rauchhelms mittels einer Pumpe mit Atemluft versorgen, die ihm über einen Schlauch zugeleitet wurde. Der Rauchhelm gehörte zur Pflichtausrüstung eines Dampfschiffes.

Es war eine Reederei interne Regelung, dass auf jeder Reise eine Übung mit dem Rauchhelm, ein Schottenmanöver und Feuerlärm durchgeführt werden mussten.

Beim Schottenmanöver wurde das Schließen der Schotten geübt; Trennwände, die im Fall eines Wassereintritts an einer Stelle, die übrigen Schiffsteile wasserdicht abschließen konnten und so die Schwimmfähigkeit garantierten. Auch im Brandfall verhinderte ein Schließen der Schotten eine Ausbreitung eines Feuers auf andere Bereiche des Schiffes.

Als Feuerlärm wurde eine Feuerschutzübung bezeichnet. Jeder Seemann hatte eine bestimmte Aufgabe. Diese wurde in der sogenannten Feuerrolle beschrieben. Die Feuerrolle gehörte zu den Pflichtaushängen an Bord.

Baltische Korkenfabrik

Anzeige von Eugen Pfotenhauer & Co., Kiel in HANSA, Deutsche nautische Zeitschrift, August 1912; Quelle: digishelf.de

An Signalmitteln waren in drei Feuerwerkskästen an Bord:

24 Kanonenschläge
24 Blaulichter
12 Rotlichter
24 Raketen

Kanonenschläge, Rotlichter und Raketen für den Notfall; Blaulichter (Blaufeuer) dienten nachts zur Anforderung von Lotsen und wurden im Abstand von 15 Minuten abgebrannt.

Berckholtz Kunstfeuerwerkerei 1912

Anzeige der Fa. Berckholtz in HANSA, Deutsche nautische Zeitschrift, Januar 1912; Quelle: digishelf.de

Auf dem Dampfschiff „Fürth“ ist der Notfall in den Jahren 1907 – 1914, als das Schiff für die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft in Hamburg in Fahrt war, zum Glück nie eingetreten. Zumindest ist mir keine Quelle bekannt, die darüber berichtet hätte.

Das von einer Fahrt der „Fürth“ erhaltene Logbuch weist darauf hin, dass die Sicherheits-Übungen von den Kapitänen regelmäßig durchgeführt wurden und dies zum Teil sogar über die gesetzlichen Vorschriften hinaus.

Logbuch Fürth 1914

Logbuchseite mit den Sicherheitsvorschriften und deren Durchführung; mit freundlicher Genehmigung des National Museums Liverpool (Merseyside Maritime Museum), Ref. B/HAR/11/4/1

Anmerkung: Erstveröffentlichung des Artikels am 19. Dezember 2020

seaman's book, German Australian Line 1910

Die Karriere des Kapitän Peter Kiel

Das Seefahrtsbuch eines Schiffsoffiziers

Titelbild: Seefahrtsbuch von Peter Christensen Kiel aus dem Jahr 1910; in Privatbesitz, Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Eigentümers

Heute bin ich in der Lage, Ihnen ein seltenes Originaldokument präsentieren zu können: Das Seefahrtsbuch von Peter Christensen Kiel.

Kiel war Offizier und später Kapitän der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft Hamburg (DADG).

Das Seefahrtsbuch befindet sich in Privatbesitz, sein Eigentümer hat es mir freundlicherweise für eine Veröffentlichung hier im Blog zur Verfügung gestellt. An dieser Stelle ganz herzlichen Dank dafür.

Das Zeitdokument reiht sich in ein in seltene Schriftstücke, die von dieser, nur bis in das Jahr 1926 bestehenden Reederei, noch erhalten sind.

Peter Christensen Kiel

Peter Christensen Kiel wurde am 7. Juni 1882 in Wonsbek geboren. Sein Vater war der Kapitän Chresten Thomsen Kiel.

Wonsbek liegt in Nordschleswig an der Förde von Hadersleben. Damals lag die Region ganz im Norden des Deutschen Kaiserreiches, heute ist sie ein Teil Dänemarks. Wonsbek heißt daher aktuell Vonsbæk und die Stadt Hadersleben, in der Kiel später wohnte, Haderslev.

Haderslev Jungfernstieg 1911
Ansichtskarte von Hadersleben/Haderslev, gelaufen 1911; gemeinfrei; Quelle: commons.wikimedia.org

Die frühe Karriere zur See von Peter Christensen Kiel bleibt uns verborgen, da das erhaltene Seefahrtsbuch nur den Zeitraum von 1910 bis 1913 abbildet. Wir müssen davon ausgehen, dass Kiel ein erstes Seefahrtsbuch besessen hatte. Vermutlich war es bereits zur Gänze ausgefüllt, so dass Kiel 1910 vom Seefahrtsamt Hamburg ein neues ausgestellt bekam.

Auf der Titelseite des Seefahrtsbuchs ist vermerkt, dass Kiel am 12. Februar 1907 in Schleswig die Kapitänsprüfung als Schiffer großer Fahrt abgelegt hatte.

Peter Kiel, master
Seefahrtsbuch von Peter Christensen Kiel aus dem Jahr 1910, Vergrößerung der Titelseite; in Privatbesitz, Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Eigentümers

Weiters wissen wir aus der Zeit vor 1910, dass Kiel im Jahr 1903 seinen Militärdienst in der 1. Torpedoabteilung absolviert hat. Dieser Eintrag datiert vom 1. Oktober 1903. Kiel unterlag der Kontrolle des Bezirkskommandos Hadersleben.

Elbing seaman's book 1910
Seefahrtsbuch von Peter Christensen Kiel aus dem Jahr 1910, Seiten 10-11; in Privatbesitz, Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Eigentümers

Schiffsoffizier Kiel

Am 14. Januar 1910 heuerte Kiel als 2. Offizier auf dem DADG-Dampfer „Elbing“ unter Führung von Kapitän Leibfahrt an. Seine Heuer betrug monatlich 150 Mark. Die Fahrt dauerte 5 Monate und 14 Tage und endete am 28. Juni 1910. Das ist eine sehr durchschnittliche Dauer einer damaligen Australienreise der DADG. Das Seefahrtsbuch bescheinigt Kiel, dass er für diesen Zeitraum seine Beiträge für die Invalidenversicherung bezahlt hatte.

Am 15. Juli 1910 musterte Kiel für seine nächste Fahrt an. Diese bestritt er als 1. Offizier, der nächste Schritt in seiner Karriere bei der DADG. Sein Schiff: „Magdeburg“ unter Leitung von Kapitän Helling. Kiel erhielt jetzt eine Heuer von 190 Mark monatlich. Mit 5 Monaten und 16 Tagen war die Reisedauer fast identisch mit der zuvor. Am 30. Dezember 1910 war Kiel zurück in Hamburg.

Magdeburg, Sydney 1910
Mannschaftliste der „Magdeburg“ vom 26. September 1910 eintreffend in Sydney; Quelle: marinersandships.com.au

Anmerkung: Peter Kiel – 28 – Wonsbek – 1. Offizier ist der erste Name auf der Liste links oben

Kiel blieb drei Monate in Hamburg und musterte am 10. März 1911 auf der „Offenbach“ unter Kapitän Mangelsdorff bei unveränderter Heuer an. Nach 5 Monaten und 4 Tagen war er am 13. August 1911 zurück in Hamburg.

Kiel blieb auf der „Offenbach“, erhielt aber einen neuen Chef, Kapitän Moritzen. Seine Heuer stieg auf 210 Mark. Das Schiff verließ Hamburg am 30. Januar 1912. Es kehrte im September zwar nach Hamburg zurück, aber Kiel blieb für eine weitere Fahrt direkt an Bord, so dass sein Dienstverhältnis erst nach 13 Monaten am 1. März 1913 in Hamburg endete.

Für die lange Dauer von dreizehn Monaten habe ich zwei Gründe gefunden. Zum einen fand die erste Fahrt Kiels auf der „Offenbach“ auf der Skandinavien-Linie statt. Auf dieser Linie wurden die Schiffe randvoll mit Holz für Australien beladen, zum Teil auch als Deckladung. Lade- und Abladezeiten gestalteten sich daher deutlich länger, als bei anderen Fahrten. Zum anderen lief „Offenbach“ auf der zweiten Fahrt Kiels nach Nordamerika, was ebenfalls mit zusätzlicher Zeit verbunden war.

Es folgte dafür eine sehr kurze Fahrt. Kiel musterte am 22. März 1913 als erster Offizier auf der „Iserlohn“ unter Kapitän Orgel für eine Heuer von jetzt 240 Mark an.

Die Fahrt führte nach Schweden und Norwegen und von dort wieder zurück nach Hamburg. Das war sehr ungewöhnlich, aber vielleicht musste vor der Reise nach Australien eine Reparatur durchgeführt werden, wofür der Heimathafen erneut angelaufen wurde, bevor die lange Reise nach Australien angetreten wurde.

iserlohn seaman's book 1913
Seefahrtsbuch von Peter Christensen Kiel aus dem Jahr 1910, Seiten 18-19; in Privatbesitz, Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Eigentümers

Mit dem Eintrag zu dieser kurzen Skandinavien-Reise endet das Seefahrtsbuch von Peter Christensen Kiel.

Er dürfte danach von der DADG mit der Leitung eines Schiffes betraut worden sein.

Kapitän Kiel

Die Zeit zwischen dem 8. April und dem 12. Dezember 1913 muss ich derzeit offenlassen.

Sicher ist, dass Kiel den Frachtdampfer „Neumünster“ als Kapitän für die 13. Fahrt des Schiffes übernommen hatte. Diese begann am 12. Dezember 1913 in Hamburg und endete am 21. Mai 1914 am gleichen Ort.

Diese Fahrt dokumentiert nicht das Seefahrtsbuch, sondern die Musterrolle der „Neumünster“. Sie ist im State Records Office of Western Australia in der Stadt Perth erhalten geblieben. Mehr dazu hier: Die Musterrolle (Originaldokument aus den Jahren 1913/1914)

ship's articles Neumunster 1913/1914
Musterrolle des Dampfschiffes Neumünster, Seite 2, Ausschnitt, © State Records Office of Western Australia, Perth, Cons. 4230/1.03)

Anmerkung: Kapitän Carl Herrmann übernahm die „Neumünster“ kurz vor dem ersten Weltkrieg (die zweite in der Musterrolle überlieferte Fahrt). Er wurde mit seiner Mannschaft in Westaustralien interniert: Rottnest Island: Die Internierung deutscher Seeleute in Westaustralien

Für den weiteren Verlauf der Karriere von Kapitän Kiel vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs sind wir auf Schiffsmeldungen angewiesen. Diese besagen, dass Kiel den Dampfer „Elmshorn“ der DADG übernommen hatte. Die Fahrt führte den Kapitän durch den Suezkanal nach Asien.

„Elmshorn“ mit Kapitän Kiel verließ am 26. Juni Suez und erreichte Soerabaya auf Java am 26. Juli 1914.

Laut Schmelzkopf (1984) erreichte „Elmshorn“ anschließend am 1. August 1914 Makassar und wurde dort von der Etappe Batavia als Kohlenversorger für deutsche Kriegsschiffe ausgerüstet.
Quellenangabe: Reinhart Schmelzkopf, Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft, Hamburg 1888 – 1926, Eigenverlag (Strandgut), Cuxhaven 1984

Nach Versorgung des Kreuzers „Geier“ kam „Elmshorn“ am 23. August 1914 nach Manila. Hier wurde das Schiff interniert. Bei Kriegseintritt der USA im April 1917 wurde das Schiff beschlagnahmt. Die Philippinen waren zu dieser Zeit amerikanische Kolonie (1898-1946).

Neben „Elmshorn“ waren auch die DADG-Schiffe „Bochum“ und Esslingen“ in Manila; insgesamt 18 deutsche Schiffe.

450 Personen aus Manila, darunter sehr wahrscheinlich auch die Seeleute der beschlagnahmten Schiffe wurden in die USA gebracht. Sie kamen im Dezember 1917 im Immigrationszentrum Angel Island (San Francisco) an und wurden einen Monat später weiter in das Lager Hot Springs transportiert. Unter diesen Personen dürfte auch unser Kapitän Peter Kiel gewesen sein.

Über das ungewöhnliche Lager Hot Springs habe ich hier berichtet:
Angelpartie in Hot Springs

Peter Kiel und Johannes Kiel

Die Verfolgung der Spur Peter Kiels verkompliziert sich, weil es vor dem Ersten Weltkrieg bei der DADG zwei Kapitäne mit dem Nachnamen Kiel gegeben hat. „Unseren“ Peter und Johannes. Ein Ahnenbuch der Familie (in Privatbesitz) schließt aus, dass sie Brüder waren. Vielleicht aber Cousins. Das muss offenbleiben.

DADG Schiffsmeldungen 1914
Die Kapitäne Kiel, „Elmshorn“ mit Peter Kiel und „Rostock“ mit Johannes Kiel, Hamburgischer Correspondent und neue hamburgische Börsen-Halle, 27. Juni 1914; Quelle: europeana.eu

Anmerkung: Die Vornamen der beiden Kiels habe ich anderen Quellen entnommen.

In den 1930er Jahren finden wir Johannes Kiel als Kapitän der „Bitterfeld“, einem Kühlschiff der Hamburg-Amerika Linie, in den australischen Medien wieder. Er wurde in einem Artikel der Newcastle Sun vom 10. Februar 1934 als Kapitän der „alten Schule“ gewürdigt. (Quelle: trove.nla.gov.au)

Was allerdings aus Kapitän Peter Kiel geworden ist, muss ich leider offenlassen.

Über weitere Informationen, die den Lebenslauf von Kapitän Peter Kiel ergänzen können, freue ich mich außerordentlich.

German Australian steamer Mannheim as Lieutenant Saint Joubert Bie

Der Frachtdampfer „Lieutenant Saint Loubert Bie“, exMannheim…

…und die Reederei Messageries Maritimes

Titelbild: „Lieutentant Saint Joubert Bie“, exMannheim im Hafen von Marseille; Aufnahme von Photo-Sport Baudelaire, Marseille, ca. 1930-1945; eigene Sammlung

Über lange Schiffsnamen

Heute kann ich Ihnen eine Fotografie eines Dampfschiffes mit dem außergewöhnlich langen Namen „Lieutenant Saint Loubert Bie“ präsentieren. Denken wir einen Moment an die armen Matrosen, die die Aufgabe hatten, diesen langen Namen mit Farbe auf die Schiffswand zu pinseln. Sie mussten dies dreimal tun: zweimal auf der Back, sowohl backbord als auch steuerbord und schließlich noch auf dem Heck des Schiffes.

Sollten Sie kurz gedacht haben, dass ein noch längerer Schiffsname kaum möglich sei, haben Sie die Rechnung ohne den real existierenden Sozialismus gemacht. In Rostock wurde 1978 tatsächlich ein Frachtschiff auf den rekordverdächtig langen Namen „Fliegerkosmonaut der DDR Sigmund Jähn“ getauft. Der Name musste zweizeilig aufgebracht werden. Nicht auszudenken, wenn man DDR noch ausgeschrieben hätte …

Zurück zu unserem heutigen Schiff „Lieutenant Saint Loubert Bie“.

In Marseille

Das Titelfoto dieses Artikels zeigt das Schiff an einem Quai im Hafen. Es handelt sich um ein „richtiges“ Foto, keine Ansichtskarte und die Rückseite verrät uns, wo es aufgenommen wurde.

Der Stempel „Photo-Sport Baudelaire, 2 pl. Gabriél Péri, Marseille“ ist der entscheidende Hinweis.

„Photo-Sport Baudelaire“ war ein Fotostudio in Marseille, direkt am Vieux Port (Alter Hafen). Die Inhaber waren die Herren Stalars und Baudelaire. Es existierte etwa zwischen 1930 bis 1945. Damit lässt sich die Aufnahme auch in diese Zeitspanne einordnen.

Über Monsieur Baudelaire heißt es, er habe jedes Schiff fotografiert, dass ihm vor die Linse kam. So entstand eine eindrucksvolle Sammlung, die nach der Auflösung des Studios Photo-Sport von dem bekannten Marseiller Studio Detaille aufgekauft wurde.

Quelle zu Photo-Sport Baudelaire : https://pbaudelaire.wordpress.com

Marseille map 1925
Marseille, Plan der Innenstadt (1925), der Alte Hafen (Vieux Port) wird im Westen von der Schwebefähre überspannt (doppelt gestrichelte Linie), der Hafen Bassin de la Joliette ist links oben; am Nordrand befanden sich die Gebäude der Messageries Maritimes; Quelle: Guides Diamant : Marseille, Aix et environs, éditions Hachette, 1925, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Plan_centre-ville_Marseille_1925.jpg

Mehr über die Schwebefähre: https://frachtdampferfuerth.com/2022/04/30/schwebefahre-marseille/

Steine über Steine

Am Hafenkai erkennen wir eine große Menge Steine, die offenbar darauf warten, auf das Schiff verladen zu werden. Unten rechts ist ein LKW erkennbar, auf dem Arbeiter damit beschäftigt sind, weitere Steine abzuladen. Bestimmt sind sie vielleicht für den Bau einer Hafenanlage/-erweiterung in Indo-China. Des Weiteren kann man Metallgestelle, Reifen und andere, unter Planen verborgene Güter ausmachen, wenngleich die Steine den mengenmäßig größten Anteil der potentiellen Fracht ausmachen.

Ein gut erkennbares Detail am Schiff sind die Rattenbleche an den Festmacherleinen. Die dunklen kreisrunden Bleche heben sich gut vom weißen Anstrich des oberen Buges ab. Die Bleche verhindern, dass die ungebetenen Gäste über die Festmacherleinen an Bord klettern können.

Festmacherleinen mit Rattenblechen, Ausschnitt aus der Titelabbildung

Messageries Maritimes

Das Schiff „Lieutenant Saint Loubert Bie“ war 1922 zu der großen französischen Reederei Messageries Maritimes gekommen. Der ursprünglich bei Tecklenborg in Geestemünde im Jahr 1911 als „Mannheim“ für die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft gebaute Frachtdampfer musste 1919 von Deutschland als Reparationszahlung an den französischen Staat abgetreten werden. Dieser wiederum verkaufte das Schiff 1922 an Messageries Maritimes.

Messageries Maritimes betrieb einen weltweiten Linienverkehr. Zum einen stellte die Reederei die Postverbindung in französische Kolonien her, wofür sie vom Staat subventioniert wurde. Zum anderen wurde ein gemischter Passagier- und Frachtverkehr auf rein wirtschaftlicher Basis durchgeführt.

Die „Lieutenant Saint Loubert Bie“ wurde bis 1936 auf der Linie Dünkirchen – Fernost eingesetzt. Danach folgten einige Reisen über das Kap (Südafrika) nach Brisbane.

Affiche Messageries Maritimes
Messageries Maritimes, Plakat aus den Jahren 1919-1939; Quelle: http://www.beeldbankkusterfgoed.be BewaarinstellingStadsarchief Oostende. Objectnummer AF/J0158 über commons.wikimedia.org

„Lieutenant Saint Loubert Bie“ in Adelaide

Aus dem Jahr 1938 gibt es eine bemerkenswerte Zeitungsmeldung in The Advertiser in Adelaide. Der für die Schiffsmeldungen zuständige Redakteur muss über große Sachkenntnis verfügt haben, denn er erkannte, dass es sich bei in zwei im Hafen liegenden Dampfern um Schiffe deutscher Bauart handelte.

„Zwei alte deutsche Schiffe zusammen im Hafen”

In dem Artikel „Two Old German Ships In Port Together“ von Donnerstag, den 10. Februar 1938 erkannte der Journalist in der „Lieutenant Saint Loubert Bie“ die ehemalige „Mannheim“ und in dem Kühlfrachter „Huntingdon“ die ehemalige „Münsterland“.

„Münsterland“ war 1920 auf der Bremer Vulkan fertiggestellt worden und musste als Reparationszahlung an Großbritannien abgetreten werden. Eigentlich hätte es ein HAPAG-Schiff werden sollen. Der Kühlfrachter war ab 1922 für die Federal Steam Navigation Co. zwischen Großbritannien und Südostasien/Australien/Neuseeland in Fahrt. Er wurde im Februar 1941 vom italienischen U-Boot „Michele Bianchi“ vor Schottland versenkt, 67 Mann Besatzung konnten gerettet werden.

Am 9. Februar 1938 lagen die beiden in Deutschland gebauten Frachter nun zusammen am gleichen Kai in Port Adelaide.

Der Redakteur berichtet, dass es die erste Reise der „Lieutenant Saint Loubert Bie“ nach Australien wäre. In verschiedenen australischen Häfen sollten Wolle und Schafhäute geladen werden. Ein Foto mit geschäftiger Ladetätigkeit ist von einer späteren Reise aus Brisbane überliefert (März 1939).

Brisbane 1939 loading wool
„Lieutenant Saint Loubert Bie“ in Brisbane, Laden von 18000 Ballen Wolle für Antwerpen und Dünkirchen; Quelle: The Telegraph, Brisbane, 23. März 1939; trove.nla.gov.au

Zur Namensgebung weiß der Autor, dass die Person Lieutenant Saint Loubert Bié ein Angestellter der Messageries Maritimes war, der im Ersten Weltkrieg gefallen war.

Anmerkung: Der Familienname Bié und damit auch das Schiff wird eigentlich mit Akzent geschrieben und „Biee“ ausgesprochen, also mit Betonung auf dem é. Auf dem Schiff selbst war der Name in Großbuchstaben geschrieben und der Akzent nicht gesetzt. Ich habe ihn daher in diesem Artikel beim Schiffsnamen weggelassen (ebenso wie die zum Teil zwischen den Namensbestandteilen gesetzten Bindestriche).

Außerdem erfahren wir über das Schiff „Lieutenant Saint Loubert Bie“, dass es üblicherweise zwischen Frankreich und dem Fernen Osten sowie zu Pazifischen Inseln verkehrte. Von Indo-China wurden asiatische Arbeiter zu den Neuen Hebriden transportiert, die dort im Bergbau (Mangan, Nickel) arbeiteten bzw. arbeiten mussten.

„Lieutenant Saint Loubert Bie“ konnte im Zwischendeck 1700 Passagiere befördern, in Kabinen lediglich 10. Ursprünglich war die exMannheim als reines Frachtschiff gebaut worden, die Deutsch-Australische Dampfschiffs-Gesellschaft hatte das Auswanderergeschäft bereits 1894 aufgegeben.

Numerous vessels moored at Woolloomooloo wharf, including MANNHEIM to the left. Mai 1914
Dampfschiffe im Hafen von Wooloomooloo, Mai 1914, links im Bild die „Mannheim“, Deutsch-Australische Dampfschiff-Gesellschaft; Australian National Maritime Museum on The Commons, Object no. 00017565

Im Zweiten Weltkrieg und danach

„Lieutenant Saint Loubert Bie“ kehrte am 23. Juni 1940 von einer Reise nach Südamerika aus Buenos Aires zurück und verblieb sechs Monate im Hafen von Lissabon. Im Dezember 1940 fuhr das Schiff nach Marseille zurück und wurde Teil der französischen Flotte unter der Verwaltung des Vichy-Regimes.

Auf einer Reise nach Indochina wurde der Dampfer am 18. Mai 1941 von Briten aufgebracht und kam unter das Management der Clan Line. Mehr zu dieser Reederei, die 1915-1920 auch die „Kerman“, exFürth unter ihrer Leitung hatte, gibt es hier: https://frachtdampferfuerth.com/2021/07/03/cayzer-irvine/

Nach Kriegsende, am 9. Mai 1945, wurde „Lieutenant Saint Loubert Bie“ an Messageries Maritimes zurückgegeben und als Transporter für den für den französischen Expeditionskorps (Corps expéditionnaire français en Extrême-Orient) eingesetzt. Am 26. Mai 1950 lief das Schiff in Vietnam auf eine Mine, konnte jedoch noch nach Frankreich zurückkehren. Dort wurde es im Oktober 1950 an dem großen Werftstandort La Seyne-sur-Mer bei Toulon abgebrochen.

Messageries Maritimes publicite 1921
Anzeige der Messageries Maritimes in Guides Diamant aus dem Jahr 1921; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:R%C3%A9clame_Compagnie_des_Messageries_Maritimes-1921.jpg

Weitere Informationen zu Messageries Maritimes

Ausführliche Informationen über die Reederei Messageries Maritimes und allen Schiffen der Reederei finden Sie auf einer privaten, sehr empfehlenswerten Internetseite mit dem Titel L’Encyclopédie des Messageries Maritimes. Hier die Adresse https://www.messageries-maritimes.org/p1mm.htm (in französischer Sprache mit kurzer englischer Zusammenfassung).